Sophienlust - Die nächste Generation 32 – Familienroman - Carolin Weißbacher - E-Book

Sophienlust - Die nächste Generation 32 – Familienroman E-Book

Carolin Weißbacher

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Beschreibung

Vom Vater ihres Kindes, Boris, hat die junge Journalistin Lisa Winter seit ihrer Schwangerschaft nichts mehr gehört. Und das ist auch gut so, denn Boris hatte sich als totale Niete entpuppt. Als Lisas Chef sie nach Wien schickt, um dort eine große Reportage zu schreiben, entschließt sie sich, ihre kleine Tochter Elfie in dieser Zeit nach Sophienlust zu geben. Zumal eine Nachricht von Boris Lisa in große Unruhe stürzt. Denise von Schoenecker und Nick versprechen, besonders gut auf Elfie aufzupassen … Mit einer raschen, energischen Bewegung schaltete Lisa Winter das Autoradio aus und brachte ›Shade of you‹ zum Verstummen. "Schluss. Das macht mich nervös", knurrte sie, obwohl sie die Musik von Ed Sheeran normalerweise sehr gern mochte. Aber heute war einfach nicht ihr Tag. Im Moment regte sie alles auf, sogar ihre Lieblingsmusik. Vom dichten Feierabendverkehr, durch den sie sich nun bereits eine geschlagene halbe Stunde nach Hause quälte, einmal ganz zu schweigen. Und jetzt sprang obendrein wieder eine dieser verdammten Ampeln auf rot! Mann, o Mann! Unruhig trommelte Lisa auf dem Lenkrad herum. Die Unterredung mit ihrem Chef ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Fünf lange Jahre hatte sie ihre journalistische Arbeit für die Zeitschrift ›Frau von heute‹ im Homeoffice erledigen dürfen. Seit der Geburt ihrer kleinen Tochter Elfie hatte ihr Chef sie ausschließlich auf Themen angesetzt, für die sie das notwendige Material per Internet-Recherche hatte zusammentragen können. Damit waren ihr aufwändige Reisen erspart geblieben, und sie hatte auch nicht allzu oft im Redaktionsgebäude erscheinen müssen. Für diese Privilegien war sie Hajo Wanner sehr dankbar gewesen, hatte sie als alleinerziehende Mutter auf diese Weise doch viel Zeit mit ihrer kleinen Tochter verbringen können. Auch wenn es nicht immer ganz einfach gewesen war, ihre Arbeit und Elfies Wünsche unter einen Hut zu bringen, hatte sie jeden Tag des Beisammenseins genossen. Und nun sollte das ein für alle Mal vorbei sein. Irgendwie hatte Lisa, als Hajo Wanner sie für eine Unterredung unter vier Augen ins Redaktionsgebäude einbestellt hatte, von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt. Und dieses mulmige Kribbeln im Magen hatte sich nur allzu schnell als durchaus begründet herausgestellt. Er habe zwei äußerst interessante Aufträge für sie, hatte ihr Chef ihr mit strahlender Miene mitgeteilt.

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Sophienlust - Die nächste Generation – 32 –

Familienglück im Fünferpack

Nach großen Sorgen wird doch alles gut

Carolin Weißbacher

Mit einer raschen, energischen Bewegung schaltete Lisa Winter das Autoradio aus und brachte ›Shade of you‹ zum Verstummen. »Schluss. Das macht mich nervös«, knurrte sie, obwohl sie die Musik von Ed Sheeran normalerweise sehr gern mochte.

Aber heute war einfach nicht ihr Tag. Im Moment regte sie alles auf, sogar ihre Lieblingsmusik. Vom dichten Feierabendverkehr, durch den sie sich nun bereits eine geschlagene halbe Stunde nach Hause quälte, einmal ganz zu schweigen.

Und jetzt sprang obendrein wieder eine dieser verdammten Ampeln auf rot! Mann, o Mann! Wenn der weiße Ford und der dunkelblaue Seat vor ihr nicht so erbärmlich getrödelt hätten, und wenn der Fahrradfahrer, der auf der falschen Seite überholt hatte …

Unruhig trommelte Lisa auf dem Lenkrad herum. Die Unterredung mit ihrem Chef ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Fünf lange Jahre hatte sie ihre journalistische Arbeit für die Zeitschrift ›Frau von heute‹ im Homeoffice erledigen dürfen. Seit der Geburt ihrer kleinen Tochter Elfie hatte ihr Chef sie ausschließlich auf Themen angesetzt, für die sie das notwendige Material per Internet-Recherche hatte zusammentragen können. Damit waren ihr aufwändige Reisen erspart geblieben, und sie hatte auch nicht allzu oft im Redaktionsgebäude erscheinen müssen.

Für diese Privilegien war sie Hajo Wanner sehr dankbar gewesen, hatte sie als alleinerziehende Mutter auf diese Weise doch viel Zeit mit ihrer kleinen Tochter verbringen können. Auch wenn es nicht immer ganz einfach gewesen war, ihre Arbeit und Elfies Wünsche unter einen Hut zu bringen, hatte sie jeden Tag des Beisammenseins genossen.

Und nun sollte das ein für alle Mal vorbei sein.

Irgendwie hatte Lisa, als Hajo Wanner sie für eine Unterredung unter vier Augen ins Redaktionsgebäude einbestellt hatte, von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt. Und dieses mulmige Kribbeln im Magen hatte sich nur allzu schnell als durchaus begründet herausgestellt.

Er habe zwei äußerst interessante Aufträge für sie, hatte ihr Chef ihr mit strahlender Miene mitgeteilt. Sie war gespannt, aber auch nervös gewesen. Was für Aufträge meinte er?

Hajo Wanner hatte sie nicht lange auf die Folter gespannt. Schon mit dem nächsten Satz hatte er die Bombe platzen lassen: Der erste Auftrag sollte sie in ein Kinderheim namens ›Sophienlust‹ führen, über das er eine kritische Reportage von ihr erwartete. Für den zweiten Auftrag würde sie nach Wien reisen müssen, denn es war ein Bericht über das touristische Leben dort geplant. Die Dauer ihres Aufenthalts in der österreichischen Hauptstadt sollte sich nach Hajo Wanners Vorstellung auf drei bis vier Wochen belaufen, den Themenschwerpunkt hatte er in ihr eigenes Ermessen gestellt.

Schön und gut, aber was sollte aus Elfie werden? Sie würde die Kleine, zumindest im zweiten Fall, natürlich nicht mitnehmen können, und …

Ein grelles Hupkonzert der Autos hinter ihr riss Lisa ins Hier und Jetzt zurück. Die vermaledeite Ampel hatte inzwischen auf grün geschaltet, und sie hatte nichts davon bemerkt!

Hastig legte Lisa den Gang ein, um loszufahren – und würgte prompt den Motor ab.

Das Hupen wurde lauter.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, setzte sich Lisas rot-schwarzer Cooper Mini in Bewegung, während die Ampel zum Ärger der Hupenden bereits wieder auf gelb sprang. Lisa gab Gas, um Land zu gewinnen. Geschafft!

Sie atmete auf, aber nur für einen Moment. Dann kehrten ihre Gedanken wieder zurück zur Besprechung mit ihrem Chef und zu ihrer kleinen Tochter. Wo, um alles in der Welt, sollte sie Elfie lassen, während sie in Wien war?

Daran hatte Hajo Wanner mit Sicherheit überhaupt nicht gedacht. Er hatte wieder einmal nur sein heiß geliebtes Hochglanzmagazin im Blick gehabt und sonst nichts. Manchmal konnte er schrecklich gedankenlos sein.

Oder …

Plötzlich fiel es Lisa wie Schuppen von den Augen: Dieser Artikel über das Kinderheim, den sie schreiben sollte, war nichts weiter als ein Wink mit dem Zaunpfahl! Sie sollte sich dieses Kinderheim anschauen, Gefallen daran finden und bei künftigen beruflichen Reisen Elfie dort parken wie ein Auto, das man am Straßenrand abstellte! Genauso hatte Hajo Wanner sich das gedacht!

Von einer Sekunde auf die andere kochte heiße Wut in Lisa hoch. Ihre Elfie, ihr lieber kleiner Spatz in einem Kinderheim! Das kam überhaupt nicht infrage! Und wenn doch, dann nur über ihre Leiche! Lisa schnaubte. Ein Kinderheim! Auf so eine Schnapsidee konnte nur ein Mensch wie Hajo Wanner kommen, der selber keine Kinder hatte!

Nie und nimmer würde sie Elfie so etwas antun! Kinderheime waren lieblose Institutionen, in denen jedes Kind nur eine Nummer unter vielen war. In Kinderheimen gab es ungesundes Einheitsessen. Statt zu spielen, mussten die armen Kleinen gesittet in Reih und Glied spazieren gehen. Abends wurden sie in einen Massenschlafsaal verfrachtet, und dann wurde auf Kommando das Licht gelöscht. Kein Gutenachtkuss, keine Gutenachtgeschichte …

Energisch schüttelte Lisa sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Natürlich würde sie Elfie zu ihren Recherchen in dieses Sophienlust mitnehmen, aber Elfie brauchte nur in dem Heim zu bleiben, solange sie selbst dort zu tun hatte. Abends würde sie die Kleine mit sich in ihr Hotelzimmer nehmen.

Und in der Mittagspause würde sie mit ihr spielen oder in den Zirkus gehen. Oder mit ihr andere lustige und interessante Dinge unternehmen. Irgendetwas würde es in diesem Wildmoos oder Maibach schon geben, was einer Fünfjährigen gefiel.

Und was ihren Aufenthalt in Wien betraf, musste sie einfach eine Möglichkeit finden, Elfie bei jemandem unterzubringen, den die Kleine mochte und bei dem es ihr gefiel.

Fragte sich nur, wer dieser Jemand sein sollte.

Ihre Eltern waren beide tot. Eine heißgeliebte Oma und einen heißgeliebten Opa gab es also nicht. Vielleicht … käme ihre Freundin Katja infrage? Lisa verwarf den Gedanken sofort wieder. Bei Katja würde Elfie sich mit Sicherheit nicht wohlfühlen. Katja stand zurzeit sowohl beruflich als auch privat viel zu sehr unter Stress, als dass sie sich angemessen um ein kleines Mädchen kümmern konnte. Sie würde in ihrer momentanen Situation mit Elfie heillos überfordert sein und der Kleinen, ohne dass sie es wollte, das Gefühl geben, überflüssig und lästig zu sein.

Lisa seufzte.

Bliebe noch ihr ebenfalls alleinerziehender Nachbar Christian, mit dem sechsjährigen Kevin und mit Bonzo, dem zotteligen Mischlingshund.

Der dunkelhaarige Christian mit den lustigen blauen Augen konnte wunderbar mit Kindern umgehen. Außerdem waren Elfie und Kevin die dicksten Freunde und würden, ginge es nach ihrem Willen, am liebsten den ganzen Tag über zusammenstecken.

Vielleicht … Nein, Christian war trotzdem keine Option. Schon deshalb nicht, weil allein beim Gedanken an ihn in ihrem Bauch schon wieder ein ganzer Schwarm Schmetterlinge losgeflattert war. Und so etwas … so etwas durfte einfach nicht sein.

Sie wollte sich nie mehr verlieben und sie würde sich auch nie mehr verlieben! Tausend Mal lieber wollte sie für den Rest ihres Lebens Single bleiben! Das war entschieden besser als eine zweite Trennung, als noch einmal …

Lisa Winter setzte den Blinker und wechselte die Spur.

Nur noch ein paar hundert Meter, dann war sie zu Hause bei Elfie. Mit Sicherheit saß die Kleine noch immer vor dem Fernseher und schaute das Disney-Video, das sie ihr eingelegt hatte. Die Vorstellung, wie ihre kleine Tochter den Film verfolgte, ihre Augen riesengroß und strahlend auf den Bildschirm geheftet, die Wangen vor Aufregung gerötet und den Zeigefinger im Mund, zauberte Lisa ein Lächeln ins Gesicht.

Obwohl sie ihren Beruf als Journalistin liebte – ohne Elfie wäre ihr Leben arm und dürftig. Elfie war die unumstrittene Nummer eins für sie. Elfie war die Achse, um die sich alles drehte.

Wenn sie Elfie verlieren würde …

Energisch schüttelte Lisa den Kopf. An so etwas Schreckliches wollte sie lieber gar nicht denken. Wieso sollte sie auch! Elfie war gesund und munter, ein quicklebendiges Kind mit einem wachen Verstand und einem großen Herzen für Tiere, vor allem für Bonzo.

Was diesen unseligen Aufenthalt in Wien betraf, würde sich schon noch eine Lösung finden. Es gab immer eine Lösung, auch wenn es manchmal so aussah, als wäre das Gegenteil der Fall.

*

Voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit ihrer kleinen Tochter parkte Lisa ihren Wagen in der Tiefgarage und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zu ihrer Wohnung im zweiten Stock hinauf. Mit fliegenden Fingern holte sie den Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss die Wohnungstür auf.

Verblüfft hielt sie inne. Alles war still, kein Disney-Video lief.

War Elfie …?

Noch ehe Lisa ihren Gedanken zu Ende führen konnte, fiel ihr Blick auf den Zettel, der genau unter dem Briefschlitz auf dem Fußboden des Flurs lag. Bestimmt hatte Christian Elfie abgeholt und eine Nachricht hinterlassen, damit sie sich keine Sorgen machte. Wenn Kevin wieder einmal quengelig geworden war, weil er unbedingt mit Elfie zusammen sein wollte, hatte der gute Christian wohl notgedrungen nachgegeben und war mit den beiden zum Spielplatz oder in den Park gegangen.

Rasch griff Lisa nach dem Zettel. Stirnrunzelnd betrachtete sie die extrem rechtsschrägen, großen Schriftzüge, die mit so starkem Druck aufgetragen waren, dass an manchen Stellen ein Loch im Papier entstanden war.

Das war doch nie und nimmer Christians Schrift! Und es war auch keine Kinderschrift! Es war …

Lisa wurde abwechselnd heiß und kalt. Beinahe von einer Sekunde auf die andere senkte sich ihr Magen, als hätte sie einen riesigen Ziegelstein verschluckt. Boris! Das war eindeutig Boris’ Handschrift!

Rasch überflog Lisa den Zettel. »Hallo Lisa«, las sie halblaut vor sich hin. »Ich wollte dich besuchen und meine kleine Tochter sehen, habe aber leider niemanden angetroffen. Deshalb werde ich zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen. Wann genau, weiß ich nicht. Boris.«

Lisa schluckte.

Boris, der Mann, der sie und die noch ungeborene Elfie im Stich gelassen hatte, war wieder im Land! Lisas Herz begann zu rasen. Was wollte Boris von ihr? Er hatte sie damals, als er die Beziehung zu ihr beendet hatte, in ein beispielloses Chaos gestürzt. Und jetzt tauchte er mir nichts, dir nichts auf und wollte seine Tochter sehen, die ihn fünf Jahre lang nicht im Geringsten interessiert hatte!

Das durfte doch einfach nicht wahr sein!

Lisa überlas den Zettel ein zweites Mal. Nein, sie litt nicht unter Halluzinationen! Boris war in der Tat da gewesen. Er hatte hier vor ihrer Wohnungstür gestanden, er hatte …

Panik durchflutete Lisa und schnürte ihr die Kehle zu. Hatte Elfie ihm aufgemacht? Mit Riesenschritten rannte Lisa ins Wohnzimmer.

Elfie war fort!

Einen Moment lang stockte Lisa der Atem, dann schaute sie sich um.

Der Fernseher war ausgeschaltet. Elfies Spielsachen befanden sich ordentlich in der dafür vorgesehenen Kiste, ihr zerschlissener Lieblingsteddy thronte obenauf. Und auf dem Couchtisch lag eine Blumenkarte. Mit Christians Schrift.

›Liebe Lisa, Kevin hat mir keine Ruhe gelassen. Er wollte unbedingt mit Elfie zum Spielplatz und anschließend auf ein Eis zum Italiener. Wir haben Elfie gefragt, ob sie mitkommen möchte, und da war das Disney-Video natürlich abgemeldet. Aber du kannst ganz beruhigt sein. Elfie ist bei uns gut aufgehoben, und Kevin und sie haben bestimmt jede Menge Spaß. Zumal Bonzo natürlich mit von der Partie ist. Liebe Grüße also von Christian, Elfie, Kevin und Bonzo. PS: Falls du nachkommen möchtest, wir sind ab ungefähr fünf Uhr nachmittags beim Italiener.‹

Lisa ließ sich erleichtert aufs Sofa fallen, schloss die Augen und atmete erst einmal tief durch. Ihre Hände zitterten so sehr, dass Christians Karte ihren Fingern entglitt und auf den Fußboden segelte. Sie hob sie auf, legte sie neben sich und wartete, bis ihr wild schlagendes Herz wieder ein wenig leiser und ruhiger klopfte.

Elfie war in Sicherheit und hatte einen schönen Nachmittag.

Eine Welle von Dankbarkeit gegenüber Christian stieg in Lisa empor. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass Elfie bei Boris’ Auftauchen gar nicht zu Hause gewesen war! Unvorstellbar, wenn die Kleine Boris geöffnet hätte in der Meinung, draußen wären Kevin und Christian …

Lisa wurde fast schwindlig bei diesem Gedanken. Gleich morgen würde sie Christian endlich einmal sagen, wie froh sie war, dass Elfie ihn und Kevin hatte! Vielleicht würde sie Christian sogar wieder einmal zum Mittagessen einladen und Spaghetti kochen, Elfies und Kevins Lieblingsessen.

Lisa seufzte. Auch wenn sie Christians zaghaften, fast schüchternen Annäherungsversuchen in den letzten Wochen sehr beharrlich ausgewichen war, sehnte sie sich plötzlich nach einer Schulter zum Anlehnen. Nach jemandem, mit dem sie reden und mit dem sie ihre Ängste teilen konnte.

Unwillkürlich warf Lisa einen Blick auf ihre Armbanduhr.

Ob sie es noch zum Italiener schaffen würde?

Schon war Lisa auf dem Weg zur Wohnungstür, als sie innehielt und sich zur Ordnung rief. Nein, mit ihren Problemen musste sie alleine fertig werden! Sie durfte Christian nichts von Boris erzählen. Sie durfte ihn nicht in diese leidige Angelegenheit hineinziehen.

Mit einem Mal war Lisa froh, dass sie schon bald zusammen mit Elfie nach diesem Wildmoos abreisen würde. Boris würde es wohl kaum schaffen, sie und Elfie dort ausfindig zu machen. Sie würde also erst einmal Ruhe vor ihm haben und konnte sich überlegen, wie sie weiter vorgehen wollte.

Falls er sich wirklich noch einmal meldete.

›Kommt Zeit, kommt Rat‹, hatte ihre Mutter immer gesagt. Vielleicht bewahrheitete sich das Sprichwort ja auch diesmal.

*

»Wie lange dauert es denn noch, bis wir endlich zu diesem ›Sofenlust‹ kommen?« Elfie hielt ihren Teddybären auf dem Schoß fest und streichelte über seinen Kopf. »Pu Nilsson hat Durst. Und Hunger hat er auch. Und außerdem ist ihm warm.«

Lisa warf einen Blick in den Rückspiegel, wo sie Elfie in ihrem Kindersitz sehen konnte. »Wir sind gleich da, Elfieschatz. Aber wenn Pu Nilsson ganz schlimm Durst hat, fahren wir an den Straßenrand und holen die Wasserflasche aus der großen Tasche.«

»Möchtest du Wasser, Pu Nilsson?«, erkundigte sich Elfie. Sie betrachtete den Teddybären eine Weile aufmerksam, dann schüttelte sie den Kopf. »Er möchte kein Wasser, Mama. Er hat gesagt, er möchte Limonade. Und zwar am liebsten Himbeerlimonade.«

Lisa verdrehte die Augen. »Himbeerlimonade haben wir leider nicht«, bedauerte sie. »Wir haben außer Wasser nur Apfelschorle.«

»Pu Nilsson sagt, Apfelschorle schmeckt ihm nicht. Er mag nur Himbeerlimonade«, beharrte Elfie. »Und gegen den Hunger mag er einen Schokokeks.«

»Schokokekse haben wir auf alle Fälle«, erklärte Lisa erleichtert, setzte den Blinker und steuerte ihren Cooper Mini an den Straßenrand.

Sie öffnete die Autotür und sah sich um. Weit und breit waren nur Wiesen mit grasenden Kühen, Pferdekoppeln und ganz normale Häuser zu sehen, aber kein Gebäude, das auch nur entfernt Ähnlichkeit mit diesem Sophienlust hatte. Sie hatte das Kinderheim vor ihrer Abfahrt sicherheitshalber gegoogelt und sich dabei gewundert, dass es überhaupt nicht wie ein Kinderheim aussah, sondern eher wie ein Schlösschen, doch nun …

Lisa kramte nach den Schokokeksen.

Irgendwo in diesem Maibach musste sie, nachdem ihr Navi den Geist aufgegeben hatte, eine falsche Abzweigung genommen haben, und nun wusste sie überhaupt nicht mehr, wo sie sich befand.

Sie warf einen raschen Blick auf ihr Handy. Vielleicht konnte sie in dem Kinderheim anrufen und sich den Weg beschreiben lassen? Die Telefonnummer hatte sie jedenfalls vorsichtshalber einprogrammiert.

Schon griff sie nach dem Mobiltelefon, als ihr auf dem Fahrradweg neben der Straße ein Radfahrer auffiel, der offenbar gerade dabei war, seinen Hunden Auslauf zu verschaffen. Er hatte eine Dogge neben sich an der Leine und einen Bernhardiner im Schlepptau, der ihn zu einem ziemlich gemächlichen Tempo zwang.

Lisa stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte.

Der Mann auf dem Fahrrad winkte zurück und schwenkte sofort bereitwillig auf die andere Straßenseite, wo Lisas Auto stand. »Haben Sie eine Panne? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, erkundigte er sich zuvorkommend.

Lisa zuckte ein wenig hilflos die Schultern. Der Mann war schlank, dunkelhaarig und sehr, sehr jung. Mit Sicherheit noch nicht einmal zwanzig.

»Eine Panne habe ich nicht«, gab Lisa zurück. »Aber Hilfe brauche ich trotzdem. Leider hat mein Navi mich schmählich im Stich gelassen, und jetzt …« Sie machte eine vage Handbewegung. »Ich suche ein Kinderheim namens Sophienlust. Es sieht – zumindest auf Google Earth – fast wie ein kleines Schloss aus, aber hier sind nur ganz normale Häuser und viel Landschaft …« Eine erneute unsichere Handbewegung folgte, dann richtete Lisa ihre Augen fragend auf den jungen Mann.

Sein Mund öffnete sich zu einem Lächeln.