Bitte habt euch wieder lieb! - Carolin Weißbacher - E-Book

Bitte habt euch wieder lieb! E-Book

Carolin Weißbacher

0,0

Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Bitte habt euch wieder lieb! »Und wie lange wird das Aufpumpen dauern?« Mit gerunzelter Stirn blickte der achtjährige Stefan auf die Ladestation für E-Autos, von der ein schwarzes Kabel zur Batterie des schicken silberfarbenen Mercedes EQC 400 lief. Auf Laura Bongartz' verkniffene Lippen stahl sich ein Lächeln. »Ungefähr eine Stunde, schätze ich«, erwiderte sie und strich dabei mechanisch die widerborstigen dunkelbraunen Haare ihres Sohnes glatt. »Aber es heißt nicht aufpumpen, sondern aufladen, Stefan. Unser Wagen wird aufgeladen. Aufgepumpt werden die Reifen deines Fahrrads. Und deine Luftmatratze.« »Oh Mann. Das ist doch vollkommen egal. Du bist schlimmer als unsere Lehrerin«, moserte Stefan und schob die Hand der Mutter weg. »Außerdem ist es hier affenheiß. Und ich habe Durst.« »Ich auch«, meldete sich Stefans Schwester, die sechsjährige Silvia, zu Wort, während sie, ihre Lieblingspuppe im Arm, aus dem Fond des Wagens hopste und sich zu ihrem Bruder und zu ihrer Mutter gesellte. »Ich möchte eine Cola. Aber vorher möchte ich ein Eis.«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 139

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust - Die nächste Generation – 46 –

Bitte habt euch wieder lieb!

Silvia und Stefan machen sich Sorgen um ihre Eltern…

Carolin Weißbacher

»Und wie lange wird das Aufpumpen dauern?« Mit gerunzelter Stirn blickte der achtjährige Stefan auf die Ladestation für E-Autos, von der ein schwarzes Kabel zur Batterie des schicken silberfarbenen Mercedes EQC 400 lief.

Auf Laura Bongartz‘ verkniffene Lippen stahl sich ein Lächeln. »Ungefähr eine Stunde, schätze ich«, erwiderte sie und strich dabei mechanisch die widerborstigen dunkelbraunen Haare ihres Sohnes glatt. »Aber es heißt nicht aufpumpen, sondern aufladen, Stefan. Unser Wagen wird aufgeladen. Aufgepumpt werden die Reifen deines Fahrrads. Und deine Luftmatratze.«

»Oh Mann. Das ist doch vollkommen egal. Du bist schlimmer als unsere Lehrerin«, moserte Stefan und schob die Hand der Mutter weg. »Außerdem ist es hier affenheiß. Und ich habe Durst.«

»Ich auch«, meldete sich Stefans Schwester, die sechsjährige Silvia, zu Wort, während sie, ihre Lieblingspuppe im Arm, aus dem Fond des Wagens hopste und sich zu ihrem Bruder und zu ihrer Mutter gesellte. »Ich möchte eine Cola. Aber vorher möchte ich ein Eis.«

»Ja, ein Eis und eine Cola«, bekräftigte Stefan. »Und dann ein Hotdog. Mit ganz viel Ketchup.«

Laura Bongartz seufzte. Sie schaute sich um und entdeckte einen Supermarkt ganz in der Nähe der Ladestation. »Bestimmt hat der Markt da drüben eine Cafeteria. Oder zumindest eine Imbisstheke«, meinte sie. »Wollen wir mal nachsehen?«

Stefan nickte eifrig.

»Ich mag aber nur Eis und Cola. Kein Hotdog«, verkündete Silvia. »Und Stefan darf auch kein Hotdog essen. Weil ich sonst dauernd an Sam denken muss. Und dann muss ich weinen. Wenn Sam hier wäre, hätte ich ihm meine ganze Wurst gegeben. Und von Stefans Wurst hätte ich so viel wie möglich für ihn stibitzt.« Silvia drückte ihre Puppe noch enger an sich. Dabei zog sie einen Flunsch und bedachte Laura mit einem vorwurfsvollen Blick. »Warum haben wir Sam nicht mit in den Urlaub genommen wie jedes Jahr?«

Bei dem Wort ‚Urlaub’ zuckte Laura Bongartz zusammen, hatte sich aber rasch wieder in der Gewalt.

»Ach, Silvia! Das habe ich dir doch schon mindestens hundert Mal gesagt«, antwortete sie so geduldig und ruhig, wie es ihr angesichts ihrer angespannten Nerven möglich war. »Tante Konstanze hat eine Hundehaarallergie. Wenn sie mit einem Hund in Kontakt kommt oder wenn ein Hund auch nur im gleichen Haus ist wie sie, tränen ihre Augen und sie muss ganz schrecklich niesen und husten. Es fühlt sich für sie dann an, als hätte sie eine richtig schlimme Erkältung.«

»Und warum fahren wir überhaupt zu dieser Tante Konstanze?«, hakte Silvia nach. »Wir hätten doch mit Papa in die Berge fahren können. Oder ans Meer wie letztes Jahr. Da hätten wir auch Sam mitnehmen können.«

»Ja, genau«, pflichtete Stefan seiner Schwester bei. »Warum machen wir bei dieser komischen Tante Konstanze Urlaub und nicht einfach irgendwo, wo es richtig schön ist?«

»Weil, weil…« Laura Bongartz schluckte trocken. »Bei Tante Konstanze ist es auch schön. Vielleicht machen wir einen Ausflug an den Bodensee. Oder in den Schwarzwald«, rang sie sich ab. »Und außerdem ist Tante Konstanze nicht komisch. Sie ist meine ältere Schwester, und sie ist sehr nett. Ich… ich habe sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Ich wollte einfach wieder einmal mit ihr zusammen sein. Das… das müsst ihr doch verstehen. Ich kann schließlich…«

»Aber Papa wollte nicht mit Tante Konstanze zusammen sein«, fiel Stefan seiner Mutter ins Wort. »Sonst wäre er mitgekommen. Wahrscheinlich findet er diese Tante Konstanze mit ihrer dämlichen Hundehaarallergie doof. Und hatte deshalb keine Lust, sie zu besuchen.«

»Jetzt ist aber Schluss. Zuerst ist Tante Konstanze komisch, dann ist sie doof. Redet man so über seine Tante? Und überhaupt – dass Papa in diesem Jahr nicht mit uns in die Ferien fährt, hat mit Tante Konstanze nicht das Geringste zu tun. Papa mag Tante Konstanze sehr gerne. Papa… ist nur…« Laura brach ab, weil plötzlich vor ihrem geistigen Auge ein von goldblondem Lockenhaar umrahmtes Frauengesicht auftauchte: das zarte, ebenmäßige Gesicht von Karina Winter, der mit Sicherheit äußerst tüchtigen Gründerin und Chefin der exklusiven Kosmetikfirma ‚Dreams of Beauty’.

»Was ist mit Papa?«, beharrte Stefan eigensinnig.

»Er ist…«

»Wenn es nicht wegen Tante Konstanze ist … Ist es dann … wegen mir? Oder wegen Stefan? Hat … hat Papa uns nicht mehr lieb?«, kam es von Silvia, noch ehe Laura ihren Satz hätte vollenden können.

Für einen Moment wich alle Farbe aus Lauras Gesicht. »Wie … wie kommst du denn auf so einen Gedanken, Silvia?«, stammelte sie und fügte mit einem ein wenig gekünstelten Lächeln hinzu: »Natürlich hat Papa euch noch lieb.«

»Und warum fährt er dann nicht mit zu Tante Konstanze?«

»Weil … weil er keine Zeit hat«, erklärte Laura. »Er hat in der Firma schrecklich viel zu tun, weißt du. Zurzeit bauen gerade ganz viele Menschen Häuser.«

Stefan verdrehte die Augen. Er glaubte seiner Mutter nicht, denn er hatte sich die Dinge inzwischen auf seine Weise zusammengereimt. »Das kann nicht stimmen, Mama. Wir haben in der Schule auch furchtbar viel zu lernen. Und trotzdem haben wir sechs Wochen Ferien wie jeden Sommer. Wenn Papa nicht mit uns kommen wollte, kann es also nur daran liegen, dass Tante Konstanze von Hunden Erkältung bekommt«, vermutete er. »Weil Sam nicht mit zu ihr nach Maibach kann, bleibt Papa daheim bei Sam und passt auf ihn auf. Damit Sam nicht traurig und einsam ist. Das ist richtig lieb von Papa.«

Silvia steckte die Spitze ihres Zeigefingers in den Mund und saugte daran, wie immer, wenn sie nicht so recht wusste, was sie von einer Sache halten sollte. Dann betrachtete sie eine Weile nachdenklich ihre Puppe. »Sonja findet, dass Stefan recht hat«, wandte sie sich schließlich an ihre Mutter. »Und deshalb … wären ich und Sonja viel lieber zu Hause bei Papa und Sam. Kannst du uns nicht wieder zurückfahren, Mama?«

Laura fühlte glühende Hitze in sich aufsteigen, obwohl es in der kleinen Supermarkt-Cafeteria, die sie soeben betraten, angenehm kühl war. Die Klimaanlage war eingeschaltet, und in der Ecke, auf die Laura zusteuerte, plätscherte ein üppig begrünter Zimmerspringbrunnen. »Genieß doch erst einmal die Tage bei Tante Konstanze, Silviaschatz«, schlug Laura mit dünner Stimme vor. »Es wird dir bei ihr in Maibach sehr gut gefallen. Da bin ich mir ganz sicher.« Sie griff spontan nach der Eiskarte und schlug sie auf. »Aber jetzt essen wir erst einmal einen schönen Eisbecher. Schau, da gibt es sogar verschiedene Kindereisbecher: Einen Eiskönigin-Becher. Und einen Pokémon-Becher. Und einen Wunderland-Becher. Das klingt doch richtig toll.«

»Weiß nicht«, murmelte Silvia, doch ihre Augen hatten sich bereits an den bunten Abbildungen festgesaugt. »Ich will den da«, sagte sie und zeigte auf den Wunderland-Becher.

Wenig später schaufelte sie begeistert grünes und himmelblaues Eis in sich hinein und ergötzte sich an den kleinen bunten Lutschern in Form von Drachen und Einhörnern, die über die Eiskugeln und über die mit bunten Smarties bestreuten Sahnehäubchen verteilt waren.

Laura nippte an ihrem Eiskaffee und war erleichtert, dass Silvias Heimweh nach Golden Retriever Sam zumindest vorübergehend vergessen war.

Stefan war leider weniger leicht abzulenken. Er hatte sich für den Pokémon-Eisbecher entschieden, aber im Gegensatz zu Silvia hatte sich seine Laune nicht gebessert. Immer noch mürrisch, nahm er ein paar Löffel Eis und spülte sie mit etlichen großen Schlucken Cola hinunter, dann fing er wieder von vorne an. Dazwischen griff er in die Tüte mit Pommes frites, auf der er unerbittlich bestanden hatte, wobei er die Fritten abwechselnd in Ketchup und in Eis tauchte.

Laura schwante für die kommenden Stunden Düsteres, doch sie hatte im Moment nicht die Kraft, Stefan zurechtzuweisen und damit einen seiner Wutanfälle zu riskieren.

Schweigend starrte sie stattdessen auf das sprudelnde Wasser des Zimmerspringbrunnens und hing ihren Gedanken nach. Wie so oft flogen sie zurück zu jener Nacht, in der sie auf der fast menschenleeren, regennassen Straße in der Münchner Innenstadt gestanden hatte, ihre Blicke auf das Gebäude gerichtet, in dessen oberstem Stockwerk sich die Büroräume der Baufirma Bongartz befanden. Es war fast dreiundzwanzig Uhr gewesen. Sämtliche Fenster des großen Firmengebäudes hatten sie mit leeren, lichtlosen Augen angestarrt, nur die Fenster der Bongartz-Büroräume waren noch hell erleuchtet gewesen.

Hanno hatte ihr zwar gesagt, dass er an diesem Abend wieder einmal länger würde arbeiten müssen, aber dass es bis tief in die Nacht dauern würde … Er schien über seinen Geschäftsbüchern wieder einmal die Zeit vergessen zu haben.

Mit Sicherheit hatte er noch keinen Bissen zu Abend gegessen!

Sein unermüdlicher Fleiß und sein beinahe übermenschlicher Einsatz für die Firma in allen Ehren, aber es durfte nicht sein, dass er sich für immer noch mehr Geld und immer noch mehr Luxus gesundheitlich zugrunde richtete! Schließlich hatten sie ohnehin schon alles, was das Herz begehrte: Sie besaßen eine feudale Villa in Münchens Nobelvorort Grünwald mit Schwimmbad und allen Schikanen, schicke Autos…

Während Laura mit dem Aufzug zu Hannos Büroräumen hochgefahren war, um ihn daran zu erinnern, endlich Feierabend zu machen, hatte sie sich ernsthaft Sorgen um Hanno gemacht. Sie hatte ihren früher so energischen, tatkräftigen Mann vor sich gesehen, wie er in den vergangenen Wochen immer öfter gewesen war: müde und abgespannt, geistesabwesend und zerstreut. Er hatte zusehends überarbeitet gewirkt und erschöpft, am Ende seiner Kräfte. Was im Grunde kein Wunder war, denn selbst noch an den Wochenenden hatte er häufig sein Büro aufgesucht, um zu arbeiten.

Laura schüttelte, während sie sich ihren Erinnerungen hingab, den Kopf, ohne es zu merken. Nie im Leben hätte sie damals auch nur den Hauch eines Gedankens daran verschwendet, dass Hanno…

»Mama, Stefan wirft Fritten in deinen Eiskaffee«, riss Silvias Stimme Laura aus ihren Gedanken.

Sie fuhr hoch und schaute auf ihren Eiskaffee, in dem in der Tat etliche aufgequollene Pommes frites schwammen. Angewidert schob sie das Glas von sich und bedachte Stefan mit einem verweisenden Blick.

Leider zeigte der Junge nicht den geringsten Anflug von Reue. Stattdessen grinste er frech und kippte den letzten Rest Cola, der noch in seiner Flasche war, ebenfalls in ihren Eiskaffee.

Von einem der Nachbartische drangen Gesprächsfetzen an Lauras Ohr. Sie glaubte, Worte wie »unfähig, ein Kind zu erziehen …«, »…wenn das mein Junge wäre, dann…«, zu vernehmen und hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht.

Mit hochrotem Kopf warf sie einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte erleichtert fest, dass die Batterie ihres Elektroautos inzwischen aufgeladen sein musste. »Wir gehen. Das Auto ist fertig. Wir können weiterfahren«, sagte sie hastig und erhob sich.

Silvia folgte ihr als Erste, dann kam Stefan.

Zwar mussten sie auf halbem Weg wieder umkehren, weil Silvia ihre Puppe vergessen hatte, doch zu guter Letzt saßen sie alle im Auto, und die Fahrt konnte weitergehen.

»Wir spielen ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘«, schlug Silvia vor. Weil Stefan mit der Begründung ablehnte, für solche albernen Kleinmädchenspiele bereits zu erwachsen zu sein, fiel Laura die Rolle der Mitspielerin zu, bis Silvia immer langsamer und leiser wurde und schließlich eindöste.

Auch Stefan wurde müde, und allmählich fielen ihm ebenfalls die Augen zu.

Laura konzentrierte sich nun ganz auf die Fahrt und auf die Landschaft, die an ihr vorüberglitt.

Als sie kurz vor Maibach einen Wegweiser mit der Aufschrift ‚Wildmoos’ sah, wurde mit einem Mal ein Stück ihrer Kindheit wieder lebendig.

Sie erinnerte sich, dass es damals in Wildmoos ein Herrenhaus gegeben hatte, das eher einem kleinen Schloss glich. Man erzählte sich, dass es irgendwann in ein Kinderheim für Waisenkinder umgebaut werden sollte.

Zuerst hatte sie geglaubt, dass dort eine Prinzessin wohnen würde mit ihren königlichen Eltern. Sie hatte davon geträumt, diese Prinzessin kennenzulernen, sich mit ihr anzufreunden und mit ihr im Schloss und in dem Park, der das Schloss umgab, zu spielen.

Sie war oft mit dem Fahrrad daran vorbeigefahren, doch niemand hatte sich blicken lassen. Irgendwann hatte sie dann das Schlösschen überhaupt gemieden. Und zwar von dem Tag an, an dem ihre Mutter sie ganz schrecklich ausgeschimpft hatte. Sie solle sich ein Beispiel an ihrer älteren Schwester Konstanze nehmen und im Haushalt und im Gasthof mithelfen, anstatt ihre ganze freie Zeit nutzlos mit Malen und Tagträumen zu vergeuden.

Ob es das Schlösschen immer noch gab? War es ein Kinderheim geworden? War es in Privatbesitz?

Konstanze würde es mit Sicherheit wissen.

Konstanze…

Unwillkürlich hielt Laura das Lenkrad ihres Wagens ein wenig fester, als sie von Weitem die Silhouette von Maibach erblickte. Gleichzeitig machte sich ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend breit.

Die elterliche Gastwirtschaft, die ihre Mutter als Witwe allein weitergeführt hatte, gehörte nun, nach dem Tod der Mutter und nachdem sie, Laura, auf ihren Anteil des Erbes verzichtet hatte, Konstanze. Oder besser gesagt: Konstanze und ihrem Mann zu gleichen Teilen.

Würde sie mit den Kindern dort für die erste Zeit, bis sie Arbeit und eine Wohnung gefunden hatte, wirklich so willkommen sein, wie Konstanze es am Telefon versprochen hatte?

Nervös kaute Laura so lange auf ihrer Unterlippe herum, bis sie den metallischen Geschmack von Blut auf ihrer Zunge spürte.

Sie hatte Peter, Konstanzes Mann, bis jetzt nur einmal in ihrem Leben gesehen, und das war auf Konstanzes Hochzeit gewesen. Sie hatte ihn nicht sonderlich sympathisch gefunden, aber sie hatte sich gesagt, dass ihr in diesem Punkt schließlich kein Urteil zustand.

Nun würden sie allerdings zumindest für kurze Zeit unter einem Dach leben…

Laura warf den Kopf zurück und verscheuchte ihre Zweifel. Es würde schon alles gut gehen. Und mit ein bisschen Glück würde es vielleicht gar nicht allzu lange dauern, bis sie irgendwo in Lohn und Brot stand, selbst wenn sie nichts weiter vorweisen konnte als ein halbwegs passables Zeugnis der Mittleren Reife.

Sagte man nicht, dass auch ein blindes Huhn Körner fand?

»Hallo, ihr Schlafmützen! Aufwachen!«, weckte Laura im nächsten Augenblick die Kinder. Dabei bemühte sie sich redlich, ihrer Stimme einen fröhlichen, aufgekratzten Klang zu geben. Schließlich wollte sie den Kindern Zuversicht vermitteln und Mut machen. Und, wenn sie ehrlich war, nicht nur den Kindern, sondern auch sich selbst.

*

»Deine Schwester scheint nicht eben die Pünktlichkeit in Person zu sein«, bemerkte Peter mit einem übellaunigen Blick auf seine Armbanduhr. »Wollte sie nicht zu unserer Kaffeestunde um vier Uhr hier sein?« Er lud sich mit der Tortenschaufel ein großes Stück Kuchen auf seinen Teller und fing an zu essen.

Konstanze verdrehte die Augen. »Muss das sein?«, bemerkte sie mit einem Anflug von Ärger. »Ich habe mir solche Mühe mit dem Träubeleskuchen gemacht, und jetzt hast du den Baiserüberzug zerbrochen.«

»Es ist Punkt vier Uhr. Es ist Kaffeezeit, und ich habe Hunger auf Süßes«, stellte Peter klar. »Nur gut, dass heute Montag und somit unser Ruhetag ist. An den Tagen, an denen wir geöffnet haben, muss alles klappen wie am Schnürchen. Da ist dann keine Zeit mehr für die Schludereien und Trödeleien deiner Schwester.«

»Vielleicht ist Laura irgendwo unterwegs in einen Stau geraten«, meinte Konstanze begütigend, schenkte Peter Kaffee ein und schob Kaffeesahne und Zucker in Reichweite. »Außerdem ist es nicht ganz einfach, mit zwei kleinen Kindern unterwegs zu sein, die quengeln, weil sie aus ihrem gewohnten Hott und Trott gerissen wurden.«

»Das ist nicht unser Problem«, gab Peter zu bedenken.

»Nein, natürlich nicht. Aber bitte hab ein bisschen Geduld mit Silvia und Stefan. Und auch mit Laura. Meine Schwester hat, wie du weißt, viel durchgemacht in letzter Zeit. Es ist für sie bestimmt nicht leicht, die Trennung von Hanno zu verkraften.«

»Du meinst wohl, es wird ihr schwerfallen, wieder in das normale Leben zurückzufinden, das Menschen wie ich und du führen?«

Konstanze schwieg eine Weile, nahm sich dann mit einem leisen Seufzer ebenfalls ein Stück Kuchen und schenkte sich Kaffee ein. »Als Laura mich angerufen und mich gefragt hat, ob sie bei uns fürs Erste Unterschlupf finden könnte, hatte ich nicht das Herz, Nein zu sagen. Und du weißt auch, warum«, versetzte sie. »Wäre Laura nach Mutters Tod nicht bereit gewesen, auf ihren Anteil an der Gastwirtschaft zu verzichten, säßen wir beide heute nicht hier. Hätten wir Laura ihren Anteil auszahlen müssen, wäre ein Verkauf des Anwesens unumgänglich gewesen. Nie und nimmer hätten wir…«

»Immer wieder der alte Kram«, fiel Peter Konstanze ins Wort und verschluckte sich dabei an dem Bissen, auf dem er gerade herumkaute. Er musste husten, wobei sein Gesicht puterrot anlief und seine Augen tränten. Konstanze erhob sich und klopfte ihm auf den Rücken, bis er die Krümel, die in seiner Luftröhre gelandet waren, wieder ausspuckte. Schwer atmend wischte er sich mit dem Handrücken über Mund und Nase. »Dass sie damals verzichtet hat, war eine Selbstverständlichkeit. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Laura war schließlich wohlversorgt und saß bei ihrem Prinzen im Märchenschloss, während wir mit finanziellen Sorgen und Nöten zu kämpfen hatten: der Heimaufenthalt deiner Mutter, der durch die Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung nicht annähernd abgedeckt war, die Renovierungskosten für das marode Dach und für die ebenso marode Heizung, der Ersatz der altmodischen Einrichtung der Gaststube, die Fällung der Kastanien im Biergarten…«