Sorry, ihr nervt mich jetzt alle! - Attila Albert - E-Book

Sorry, ihr nervt mich jetzt alle! E-Book

Attila Albert

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Beschreibung

Unter Nervensägen Die Abteilungsleiterin ist seit ihrem Achtsamkeitstraining nicht etwa empathischer, sondern passiv-aggressiv. Ein Kollege verkündet, er kämpfe trotz Konzernkarriere »gegen das System«. Ein anderer übt sich im »Quiet Quitting«, lässt also entspannt andere mehr arbeiten. Wieso sind heute nur alle so anstrengend? Die halbe Belegschaft pflegt ihre Macken, erwartet für sich aber unbedingte Toleranz. Kein Wunder, wenn die eigenen Nerven blank liegen! Doch Attila Albert zeigt humorvoll und lebensnah, wie Sie mit nervigen Chefs, Kollegen und Geschäftspartnern unterschiedlichster Art – ewigen Opfern, streitsüchtigen Rechthabern, abgehobenen Weltverbesserern – umgehen können. Nutzen Sie deren Spleens zum eigenen Vorteil, damit Sie trotzdem Ihre Arbeit schaffen und selbst bei Verstand bleiben! Mit einem gezielten Aktionsplan und vielen Tipps aus seiner Coachingpraxis liefert er eine Anleitung für mehr Gelassenheit, selbst wenn alle anderen durchdrehen.

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Seitenzahl: 268

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Attila Albert

SORRY, IHR NERVT MICH JETZT ALLE!

ATTILA ALBERT

SORRY, IHR NERVT MICH JETZT ALLE!

Mit Nervensägen im Job umgehen, ohne selbst den Verstand zu verlieren

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

© 2023 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

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Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Christiane Otto

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: Yayayoyo/Shutterstock

Satz: ZeroSoft, Timisoara

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-86881-914-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-472-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-473-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Genug genervt

Warum Nervensägen so nerven

Nervensägentyp 1: ewige Opfer – auch wenn sie gar nicht viel zu jammern haben

Nervensägentyp 2: verbissene Rechthaber – die anderen liegen immer falsch

Nervensägentyp 3: schlaffe Zögerer – nie bereit, sich endlich zu bewegen

Nervensägentyp 4: fürsorgliche Helferseelen – glauben, dass es ohne sie nicht geht

Nervensägentyp 5: übermotivierte Problemlöser – so effektiv, dass sie vieles nicht mehr mitkriegen

Nervensägentyp 6: selbstgerechte Weltverbesserer – für alle da, so lange es sie selbst nichts kostet

Nervensägentyp 7: abgehobene Welterklärer – über den Dingen ist’s oft einsam

So befreien Sie sich von den Tricks der Nervensägen

Was Sie niemals versuchen dürfen

Neun Blitzstrategien gegen Nervensägen

Weniger angreifbar machen, um sich zu befreien

Grenzen gegen Drohungen und Unverschämtheiten

Wie sage ich anderen am besten, dass sie nerven?

So merken Sie, dass Sie selbst eine Nervensäge sind

Nervensägen als Partner, Kinder oder Freunde

Wer passt zu wem? Nervensägen in der Kombi

Wenn andere mit Privatproblemen nerven

Nervensägen ändern, lieben lernen oder sich trennen

Die anderen nehmen, wie sie sind

Über den Autor

Literaturempfehlungen

GENUG GENERVT

Seit wann sind nur alle so anstrengend? Ein paar Nervensägen hat man im Berufsleben ja schon immer getroffen. Aber heute ist man doch schon völlig erstaunt, wenn jemand mal einfach seinen Job erledigt und nicht pausenlos nervt.

Der CEO muss erst eine Klimaschutzpredigt auf LinkedIn halten, ehe er zu seiner nächsten Konferenz nach Asien fliegt. Der Abteilungsleiter ist seit seinem Achtsamkeitstraining nicht etwa empathischer, sondern passiv-aggressiv. Eine Kollegin verkündet im Meeting, dass sie jetzt »non-binär, aber polyamorös« sei. Die andere gibt bekannt, dass sie trotz Konzernkarriere »gegen das System« kämpfe, insbesondere das Patriarchat hasse, aber den Geschäftsführer feiere. Der Praktikant hält sich für hochsensibel, ist aber vor allem gering motiviert. Als Teil der »Generation Z« weiß er, dass er hohe Ansprüche nur anmelden kann, weil seine Eltern notfalls sein Leben weiterfinanzieren, bis er 35 ist. Kurz: Jeder* pflegt seine Neurosen und erwartet dafür unbedingte Toleranz. Aber wie soll man noch konzentriert seine Arbeit erledigen, wenn man eigentlich als Therapeut und Seelsorger gebraucht wird? Wie entspannt bleiben, wenn einen alle anderen schaffen?

In früheren Zeiten war man zumindest nach Feierabend abgeschirmt. Musste der Chef oder eine Kollegin einen unbedingt daheim anrufen, konnte man unbemerkt den Anrufbeantworter einschalten und sich am nächsten Morgen zurückmelden: »Tut mir leid, wir waren unterwegs. Hab’s erst spät gehört!« Heute nutzen die Nervensägen alle digitalen Kommunikationswege, um zu jammern, zu schimpfen, emotionale Bedürftigkeit zu offenbaren und sich selbst darzustellen (»Ich weine um die Regenwälder in Brasilien, auch wenn ich gar nicht genau weiß, wo die liegen«). Hat man erst einmal grob fahrlässig die Nachricht auf LinkedIn, Facebook oder WhatsApp gelesen, gibt es kein Zurück mehr: Irgendein kleines Symbol verrät, dass sie geöffnet wurde. Nun ist eine Antwort fällig, die einen unter Rechtfertigungsdruck setzt.

Dabei muss man froh sein, wenn noch jemand verständliches Deutsch beherrscht. HR und Personalentwicklung haben die gefühlig bevormundende Sprache der Sozialarbeiter und Esoteriker ins Unternehmen geschleppt. »Ich rede jede Woche mit ›Transformierenden‹«, berichtete kürzlich ein »HR-Strategist« in seinem Beitrag. »Meine Frage an sie ist: Was ist dein Warum? Wie kommen wir ins Handeln, wo möchtest du nicht hinsehen?« Manchmal schämt sich da selbst das »innere Kind«, weil sein älteres Ich wegen einer Überdosis an Veit-Lindau- und Robert-Betz-Büchern das richtige Sprechen verlernt hat. »Wenn du anderen Licht geben möchtest, musst du vorher selbst leuchten«, hieß es doch kürzlich im Motivationsseminar. »Du bist ein kostbares Sinnwesen, verschenke dich!« Darauf einen »biodynamisch« erzeugten »Detox-Saft«, also einen ganz normalen Gemüsesaft zum zehnfachen Preis. Den kann man sich von einem schmalen Fahrradkurier mit Mindestlohn auch täglich frisch in die Firma liefern lassen. Das versüßt ihn noch mit dem wohligen Gefühl, ein lokales Start-up - also nachhaltiges Wirtschaften - zu unterstützen!

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* Dieses Buch ist in klassischem Deutsch verfasst, also im generischen Maskulinum. Diese grammatikalische Form meint weder nur Männer noch werden Frauen »mitgemeint«. Es spezifiziert gar kein biologisches Geschlecht, sondern ist darauf bezogen neutral.

Anglizismen zeigen, wer trendig ist

Marketing und Vertrieb haben schon vor vielen Jahren entdeckt, dass Anglizismen perfekt dafür sind, jede Banalität weltläufig und neu erscheinen zu lassen. »Dienst nach Vorschrift« klingt als »Quiet Quitting« beispielsweise gar nicht mehr faul und ambitionslos, sondern wie eine trendige Revolte, über die man gerade in Amerika spricht. Fortgeschrittene kennen schon »Quiet Constraint«, was bedeutet, seinen Kollegen nicht alles zu verraten. Auch das hat es noch nie gegeben, wie jeder Berufstätige bestätigen kann. Am besten, man führt laute Handytelefonate in Bus und Bahn, damit andere mehr lernen: »Haben wir die Units so, dass sie performen? Das war ein ewiger Struggle. Aber jetzt stehen wenigstens die Dotted Lines für unseren Go-to-Market!«

Eine Freundin tippte, schon progressiv amerikanisch, »Hi, guys!« in den Firmenchat ihres neuen Arbeitgebers. Sofort tauchte ein automatisierter Hinweis auf: Diese Anrede könne sich »für Frauen und nicht-binäre Personen ausschließend anfühlen«. Sie möge bitte eine Alternative wählen. Dabei kommt es gerade jetzt auf den guten Willen an. Die Pressestelle zeigt nicht ohne Grund in jedem zweiten Foto ein afrikanisches Modell, obwohl in Deutschland nur 0,9 Prozent der Bevölkerung eine derartige Herkunft haben. Aber dann können zumindest alle anderen beruhigt darüber sein, dass hier niemand diskriminiert wird.

Manche Kollegen haben schon gar keinen Platz mehr in ihren Social-Media-Profilfotos. Sie mussten darin bereits Regenbogen-, EU- und Ukraineflaggen, Spritzensymbole (»Ich bin geimpft!«), ein grünes Herz und »Keinen Millimeter nach rechts!« unterbringen. Jetzt darf allerdings nichts mehr passieren, was weitere Statements dieser Art erfordert, sonst müssten sie hart erkämpfte Positionen wieder räumen.

Andere verlegen sich auf Geheimcodes. Drei rote Punkte im Profilnamen heißen zum Beispiel wahlweise, dass man die Coronalage besonders schlimm fand oder sich härtere Maßnahmen wünscht. Einige wollen sich nicht mehr auf »er« oder »sie« festlegen lassen. Ein geheimnisvolles eigenes Personalpronomen zeigt, dass man ganz besonders ist, selbst auf einer regulären Sachbearbeiterstelle. Die Deutsche Telekom schlägt dafür in ihrem internen Kommunikationshandbuch beispielsweise »nin« vor, was praktisch »es« heißt. Beispielsatz: »Nin arbeitet gern mit nimsem Team zusammen.« Wer sich dem verweigert, könnte ans »Bedrohungsmanagement« gemeldet werden, also an die neue interne Moralpolizei.

Bei all dem spüren wir schmerzlich den Niedergang der Kirchen. Früher hätten Töchter und Söhne aus besserem Hause mit Hang zur frömmelnden Weltverbesserung eine sinnvolle Aufgabe im Kloster gefunden, etwa die Armen versorgt und getröstet. Heute müssen sie erst zu »Fridays for Future«, dann in die Konzernabteilungen für »Vielfalt, Inklusion und Nachhaltigkeit«, um öffentlich unsere Sündhaftigkeit anzuprangern, Buße und Umkehr einzufordern.

Das konterkariert zwar die Wachstumsziele des Unternehmens, insbesondere auch in den Märkten mit heiklen ökologischen, sozialen und politischen Gegebenheiten. Aber notfalls kann der Vorstand ja ein örtliches Hilfsprojekt sponsoren, was die lästigen NGOs hinhält und sich für die eigene Image-PR nutzen lässt. Regenbogenflaggen kann man ja sowieso nun das ganze Jahr nutzen, wenn nicht gerade wieder die Ukraine dazwischenkommt. In Konzernzentralen werden heute mehr »Zeichen gesetzt« als auf dem Kirchentag. Allerdings endet die Nächstenhilfe meist schon, wenn es darum geht, die eigene Belegschaft ausreichend zu besetzen. Ein Rätsel aber auch, warum sich nie genügend auf die hochgestochenen Ausschreibungen zum Niedriglohn bewerben!

Viele Fragen an die Nervensägen unter uns

Der Umgang mit den Nervensägen im Berufsleben wirft viele Fragen auf. Was soll man einer Branchenkollegin antworten, die auf Twitter dieses angebliche Erlebnis veröffentlicht: »Heute früh hat meine vierjährige Tochter zu mir gesagt: ›Kann Annalena Baerbock helfen, dass Elon Musk nicht mehr so böse ist?‹ Da musste ich weinen.« Vielleicht: »Ist das dieselbe Tochter, die vor einem Jahr gesagt haben soll: Mama, können denn auch Männer Bundeskanzlerin werden? Und was ist ihre Position zur Energie- und Klimapolitik? Denn Greta ist ja nun auch schon volljährig und gehört damit zum Establishment.«

Auch handfeste Fragen der Betriebswirtschaft führen schnell zu nervigen Streitigkeiten. Wie beispielsweise reagieren, wenn die neue Abteilung »People & Culture« eine Themenwoche zum Trendthema »Mental Health« durchführt und vorschlägt, man könne doch via Zoom gemeinsam kochen, um sich über Probleme und Ängste auszutauschen? Soll man darauf entgegnen, dass es sinnvoller wäre, ausreichend viele Mitarbeiter einzustellen und die Organisation zu vereinfachen, damit nicht mehr fünf Führungskräfte auf einen Kollegen zugreifen? Oder vielleicht, dass ein pünktlicher Feierabend die bessere Wahl wäre, um mit dem eigenen Partner kochen zu können oder überhaupt endlich einen zu finden?

Damit würde man schnell zum Spielverderber, dem mangelnde Sensibilität zu unterstellen ist und der zudem die Kostenkalkulation völlig durcheinanderbringt. Am Ende schlägt noch jemand vor, all die Abteilungen für ideologische Umerziehung und PowerPoint-Erstellung aufzulösen und die Planstellen den unterbesetzten Bereichen zuzuschlagen. Immerhin erzählen die automatisierten Ansagen im Kundenservice seit Jahren: »Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass es aufgrund der aktuellen Coronalage und eines zusätzlich sehr hohen Arbeitsaufkommens zu einer längeren Bearbeitungszeit Ihrer Anfragen kommen kann.« Aber eventuell lässt sich der Fachkräftemangel so gar nicht lösen, weil in den betreffenden Teams gar nicht genügend Mitarbeiter sind, die man in wertschöpfende Bereiche versetzen könnte. So sind sie weiter gezwungen, selbstgerechte Moralprosa zu verfassen.

Andere haben sich derart optimiert, dass sie ohne den ständigen Blick auf ihre Apple Watch gar nicht mehr sicher sein können, ob ihr Puls noch schlägt. Wer nicht schnell genug an ihnen vorbeigeht, hört die unvermeidbare Meldung: »Ich bin heute schon meine 10.000 Schritte gelaufen!« Dann kann man sich auch einen überteuerten Fitnessriegel aus der Kantine erlauben, der mehr Kalorien und Zucker als ein McDonald’s-Menü hat. Aber dafür vegan und fair gehandelt!

Diese Kollegen sind auch eine große mentale Unterstützung für diejenigen, die es seit vielen Jahren in ihrem Job »nicht mehr aushalten«, aber bleiben, weil der nächste Urlaub schon wieder gebucht ist und sie noch das Geld dafür verdienen müssen. Ihnen malen sie gern Kreisdiagramme auf, in denen sich die Beschriftungen »Passion«, »Mission« und »Profession« so überlagern, dass man in die Mitte »Purpose« schreiben kann. Wer dann immer noch nicht weiß, warum er sich das antut, dem helfen nur noch der Tony-Robbins-Podcast oder Neuro-Linguistisches-Programmieren.

Bestehen und nicht selbst den Verstand verlieren

Viele Chefs, Kollegen und auch Geschäftspartner sind also nicht einfach, »aber nun sind sie halt da«. Wer bestehen will, lernt besser, mit diesen Nervensägen umzugehen, um nicht selbst den Verstand zu verlieren. Dieses Buch hilft Ihnen dabei. Es ergänzt und vertieft meinen Ratgeber Ich will doch nur meinen Job machen, der 2022 im Redline Verlag erschien. Während jener humorvoll beschreibt, warum man am Arbeitsplatz nicht immer gleich die Welt retten und mit allen befreundet sein muss, geht es hier um diejenigen, die das moderne Berufsleben oft zur Zumutung machen. Das mag zwar gar nicht die Absicht dieser Nervensägen sein. Aber selbst die besten Motive sind keine Entschuldigung, sondern nur Hinweise darauf, wo Sie für eine Lösung ansetzen können.

Sie können meine Methodik und Empfehlungen allerdings ebenso in Ihrem Privatleben anwenden. Denn es soll ja sogar Eltern, Partner, Kinder und Freunde geben, die manchmal nerven. Mehr noch: Wenn Sie den Eindruck haben, dass andere Sie gelegentlich als Nervensäge empfinden, finden Sie auch Tipps zur persönlichen Weiterentwicklung.

Denn es ist völlig normal, dass sich auch die eigenen Ziele ändern. Mit Mitte 20 glaubt man eventuell noch, Erfolg bedeutet: Ein schickes Büro mit Weitblick, gelegentliche Dienstreisen in der Business Class, Karibik-Urlaube und die gleiche Gold-Rolex, wie sie Eminem trägt. Mit Mitte 30 lernt man: Luxus ist, einfach mal 15 Minuten von allen in Ruhe gelassen zu werden! Keine E-Mail-Aufträge vom Chef. Kein heulendes Kind am Telefon, das getröstet werden will. Kein Partner, der einem nach Feierabend von den gleichen Problemen erzählt, wie man sie gerade selbst erlebt hat. Kein Stress mit der Heimtechnik, wie man ihn gerade im Büro hinter sich bringen musste: »Hast du den Drucker-Treiber nicht aktualisiert? Und wieso geht das WLAN nicht mehr? Das hatten wir doch gerade neu eingerichtet!« Man wird bescheiden, was manchmal nur ein nettes Wort für »zermürbt« ist.

Möglicherweise kennen Sie schon einige Persönlichkeitsund Verhaltenstypologien, von denen es unzählige gibt. Bekannt sind unter anderem die 16 Persönlichkeitstypen nach Myers-Briggs, inspiriert wiederum von der Typologie nach Carl Gustav Jung, die neun Enneagramm-Typen oder die vier DISG-Profile, die jeder HR-Profi noch für den Notfall irgendwo als Excel-Tabelle hat. Manche ziehen bei entsprechendem Leidensdruck auch die zwölf Sternzeichen heran: »Nie wieder einen Fische-Chef! Emotional schwer bedürftig, depressiver Grundton. Einmal reicht!« – »Immer noch besser als eine Waage - entscheidungsschwach und manipulativ!«

In diesem Buch lernen Sie sieben Nervensägentypen kennen, vom kraftlosen Jammerer bis zum abgehobenen Welterklärer. Es baut auf den Arbeiten des amerikanischen Coaches und Autoren Bruce D. Schneider auf, bei dem ich seinerzeit meine eigene Ausbildung in Los Angeles und Chicago absolviert habe. Leider sind seine Bücher1 bisher nicht auf Deutsch erschienen, empfehlen sich aber, wenn Ihr Englisch genügt, als Hintergrundlektüre. Sie sind jedoch keine Voraussetzung. Dieses Buch steht für sich und ist selbsterklärend.

Lassen Sie uns also gemeinsam die Nervensägen um uns herum näher kennen- und verstehen lernen, damit Sie sich besser abgrenzen und mit ihnen umgehen können und einige vielleicht sogar in Ihrem Sinne für sich einnehmen. Werden Sie Teil der ständig wachsenden LMAA-Community, die ohne ständige Nerverei ihre Arbeit erledigen und ansonsten in Ruhe ihr eigenes Leben führen will. Damit Sie selbst bei Verstand bleiben, auch wenn alle anderen durchdrehen!

Attila Albert

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1 Schneider, Bruce D.: Energy Leadership: Transforming Your Workplace and Your Life; Wiley Verlag, Hoboken, New Jersey, 2007; Neuauflage 2022 unter dem Titel: Energy Leadership: The 7 Level Framework for Mastery In Life and Business

WARUM NERVENSÄGENSO NERVEN

Ständig soll man sich in sie hineindenken, alles verstehen, bestätigen und das eigene Leben nach ihnen ausrichten. Allein das Zuhören braucht so viel Zeit und Kraft! Warum Nervensägen so anstrengend sind und es sich lohnt, Grenzen zu setzen.

An guten Tagen kann man großzügig sein, es sich schönreden und in den schlimmsten Nervensägen noch liebenswerte Originale sehen, die nur »eigenwillig«, »besonders« und »individuell« sind. Man denkt nachsichtig: »Der meint es nicht so! Ist einfach ein Typ mit Ecken und Kanten.« An schlechten Tagen allerdings, wenn man selbst überfordert, zerfahren und müde ist, sind Nervensägen eine zusätzliche Belastung. Sie nerven einen mit ihrem endlosen Jammern, attackieren mit aggressiven Vorwürfen oder belästigen einen mit ihren halbgaren Ideen, wie die Welt bitte sein sollte. Während so viel zu erledigen wäre oder man sich gern einmal ausruhen würde, soll man sich stattdessen in sie hineindenken, alles verstehen, bestätigen und das eigene Leben nach ihnen ausrichten. Allein das Zuhören braucht so viel Zeit und Kraft!

Wer beispielsweise 100-mal von seinem unglücklichen Schreibtischnachbarn gehört hat, dass er es »hier einfach nicht mehr aushält« und deshalb »überlegt«, sich eine neue Stelle zu suchen, ohne je einen Schritt in diese Richtung zu machen, schreibt bald verzweifelt selbst Bewerbungen: »Hauptsache, endlich meine Ruhe!« Wer von einem Maßnahmengegner im Team hören muss, dass es »hier schon wie in der DDR oder Nordkorea« sei, wo man »gar nichts mehr sagen« dürfe, braucht ebenso Nerven, um sachlich zu entgegnen: »Eventuell wärst du da nicht mit deiner Demo im Fernsehen und mit eigenen YouTube-Kanal aktiv, sondern im Gefängnis.« Der blassen Kollegin, die stündlich den Weltuntergang wegen des Klimawandels erwartet, könnte man entgegen: »Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Welt hatte bisher immer länger Bestand als die Leute, die ihr Ende vorhergesagt haben.«

Aber wir mussten in den vergangenen Jahren alle mehr Geduld mit nervigen Mitmenschen lernen. So waren die wenigsten von uns darauf vorbereitet, dass so viele nach dem Besuch staatlicher Schulen und mit Berufs- oder sogar Universitätsabschluss davon überzeugt sind, dass die Erde eine Scheibe ist, Mann und Frau nur zwei von unendlich vielen Geschlechtern sind, Viren und Bakterien häufig Einbildung und Impfungen deshalb sinnlos. Auch geheimnisvolle Energiequellen, die gegen alle Regeln von Physik und Ökonomie das gesamte Land aus dem Nichts mit Strom versorgen könnten, sind wieder so populär wie seinerzeit das Perpetuum Mobile. Der Schulstoff der 5. Klasse gilt heute als gewagte These. Kein Wunder, dass inzwischen viele »die Schule des Lebens« als höchsten Abschluss eintragen und noch stolz darauf sind.

In der Frühzeit des Internets war bei vielen Nutzern noch die Angst weit verbreitet, private Nacktfotos könnten sich online verbreiten. Heute haben sich so viele öffentlich intellektuell nackig gemacht, dass eventuelle Fotos vielleicht noch ein Ausgleich wären, eine kleine faire Entschädigung.

Vieles hängt dabei von der persönlichen Interpretation ab. Ist beispielsweise jemand, der im schiefen Gender-Deutsch schreiben muss, ein Missionar, Opportunist oder Pragmatiker? Vielleicht hat er auch nur eine herkömmliche Grammatik- und Verständnisschwäche und hält deswegen »Mitarbeiter« und »Mitarbeitende« für austauschbare Synonyme, obwohl Ersteres für eine regelmäßige, Zweiteres für eine eben stattfindende Mitarbeit steht. Manch einer glaubt auch, dass »Arzt« und »ärztliche Fachperson« sprachlich gleichwertig und Letzteres gerechter ist. Auf jeden Fall ist man in solchen Fällen dankenswerterweise vorgewarnt und weiß, dass man auch alle weiteren Informationen im Beitrag besonders aufmerksam und kritisch prüfen sollte.

Generell gehören selbsterklärte Weltverbesserer aktuell zu den größten Nervensägen und wie üblich hat sich inzwischen jedes Unternehmen drangehängt. Kürzlich las ich überrascht, bei Coca-Cola sei die »Diversity & Inclusion«-Philosophie tief verankert, »seit Jahrzehnten«2 Was mag damit gemeint sein – die Integration von Menschen mit solch einem abseitigen Geschmack, dass Kirsch-Vanille-Cola eine gute Idee zu sein schien? M&M hat seinen Schokolinsen einige mit lila Färbung beigemischt. Auch das stehe für »Akzeptanz und Inklusion«. Das ist Mut, der Respekt einflößt!

Dass endlich mehr Frauen in klassische Männerberufe gehen sollten, etwa Technikvorstand, Maschinenbau-Ingenieurin oder Programmiererin werden, hört man dabei weiterhin vor allem von Frauen, die das selbst auch nicht wollen. Lieber geben sie als Gleichstellungsbeauftragte, Diversity-Beraterin oder Gender-Professorin anderen dafür gute Ratschläge. Das ist keine vorgespielte Fürsorge oder gar Heuchelei, sondern gelebte Solidarität: Den Willigen soll keine Chance weggenommen werden! Daher auch selbst lieber einen gemütlichen Konzern- oder Unijob machen, als eine Firma gründen. Dann bleiben den anderen mehr Chancen für ihr IT-Start-up, das sie dringend gründen sollten, damit das nicht immer den Männern überlassen bleibt, die damit - wie in allen Bereichen von Straßenbau bis Landesverteidigung - nur »Machtstrukturen verfestigen«. So ist es nur fair, wenn auf einer Veranstaltung namens »Employers for Equality« ausschließlich Frauen auf der Bühne sitzen und sich gegenseitig für ihre »Frauennetzwerke« loben. So sind sexistische Seilschaften absolut okay - inklusiv durch Ausschluss!

Vieles kann man dabei mit Humor sehen. Bei einem Freund, der bei einer Bank arbeitet, fiel mir sein Armbändchen auf. »Das ist ein ›Together-Band‹«, sagte er nach einem Blick darauf und lächelte hintergründig. »Aus Plastikmüll gefertigt, der Verschluss aus eingeschmolzenen Waffen.« Tatsächlich, wie ich auf der Webseite später sah: Das Band gab es in 17 Farben, die für unterschiedliche Ziele standen, von Klimaschutz bis Gleichstellung der Geschlechter. Zwei Bändchen für 40 Euro, in Nepal produziert und eingeflogen. Wir verstanden uns mit einem Blick: Das könnte exakt genauso auch von einem Kunststoff- und Waffenhersteller stammen, wenn man die Marketing- und Pressetexte nur geringfügig anpassen würde.

Klar ist, dass man es nie allen Nervensägen gleichzeitig recht machen kann. Auf viele ist man ja auch angewiesen oder muss sich seinen Zugang erst erarbeiten. Wie soll man beispielsweise reagieren, wenn einen Arbeitgeber in ihren Stellenanzeigen plötzlich duzen? Oder wenn komplett unbekannte Personal- und Bereichsleiter einen ebenso mit »du« ansprechen, als wäre man erst zehn Jahre alt und wüsste deshalb noch nicht, dass fremde Erwachsene eine eigene Anrede haben? Was antworten, wenn eine Ausschreibung einen wechselnden Schichtdienst zwischen 5.30 und 23.15 Uhr, Montag bis Sonntag, als »gut planbares Leben« deklariert? Sich dumm stellen und für die »abwechslungsreiche Tätigkeit in einem dynamischen Umfeld« bedanken?

Es beginnt damit, zu verstehen, warum Nervensägen eigentlich – über den konkreten Einzelfall hinaus – so anstrengend sind. Sobald Ihnen das klar ist, wissen Sie, warum es ein Gebot des Selbstschutzes ist, ihnen zukünftig stärker Grenzen zu setzen. Danach geht es an Ihre eigenen Ziele.

Eigene Werte und Überzeugungen besser verstehen

Welche Nervensägen Sie besonders stören, verrät Ihnen immer auch etwas über Ihre eigenen Werte und Überzeugungen. Oft beginnend mit der Einsicht, dass Sie extreme Ansichten aller Art ablehnen und sich gegen übergriffige Missionierung aus allen Richtungen verwahren möchten. Der »gesunde Menschenverstand« ist zwar ein wenig aus der Mode gekommen, seit es weniger davon gibt. Aber laut dem deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) ist er »der durchschnittliche Verstand eines gesunden Menschen« und damit durchaus weiter eine bewährte Form der natürlichen Urteilskraft.

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2https://www.facebook.com/20min/posts/die-diversity-inclusion-philosophie-ist-bei-coca-cola-tief-verankert-kommunikati/10158844880331957/

Nervfaktor 1: Immer geht es nur um sie

Manchmal lässt man sich kurzzeitig täuschen. Spricht Ihr Kollege etwa auf einmal betont von »Kyiv« statt »Kiew« und verfasst kämpferische LinkedIn-Posts, denken Sie zuerst: »Nanu? Er war doch nie in der Ukraine, weiß nichts von der Geschichte, versteht weder die Sprache noch die Lage und hat sich niemals je dafür interessiert. Aber ihm geht das Ganze wohl wirklich nahe. Vielleicht ist er auch froh, einmal für Aufrüstung und Nationalismus sein zu dürfen, wenn er sonst immer dagegen sein musste.« Wenn Sie so denken, liegen Sie ganz falsch, interpretieren viel zu viel hinein.

Nervensägen sind Egoisten. Es geht ihnen immer zuerst um ihre Bedürfnisse und Ansichten, auch wenn sie das unterschiedlich offen zeigen. Manchmal erkennen Sie das sofort, weil Ihr Gegenüber ständig von sich redet. Das sind die Nervensägentypen 1-3 in den folgenden Kapiteln. Andere schieben Menschen, Initiativen und Ideen vor, die ihnen angeblich wichtig sind. Das sind die Nervensägentypen 4-7. Bei ihnen verhält es sich ebenso, nur weniger leicht erkennbar: Sie machen alles zu Ihrer Angelegenheit, damit es um sie geht.

Grundsätzlich ist das menschlich. Niemand sollte deswegen generell verurteilt werden. Aber Ihnen hilft dieses Verständnis, weniger überrascht und wehrlos zu sein, wenn eine Nervensäge mal wieder an Ihr Mitleid, Ihren Gerechtigkeitssinn oder an Ihre Hilfsbereitschaft appelliert. Das ist ihre Masche, sich selbst in den Vordergrund zu rücken und Sie dafür einzuspannen. Das heißt nicht, dass Sie alles ablehnen müssen, sondern es erlaubt Ihnen, je nach Sachverhalt, nach Ihren eigenen Wünschen und Möglichkeiten zu entscheiden.

Nervfaktor 2: Das kostet so viel Zeit und Kraft

Eventuell mussten Sie sich noch vor zwei Jahren dafür rechtfertigen, dass Sie in den Urlaub fliegen, oder Gott bewahre, sogar schon eine Kreuzfahrt gebucht und dabei Spaß gehabt haben. Vielleicht haben Sie Diskussionen darüber geführt, dass Sie sich - anders als Greta - leider nicht von einem Prinzen zwei Wochen auf eine Segelyacht einladen lassen können, weil Ihre Reisen etwas straffer ablaufen müssen. Heute erzählen Ihnen die gleichen Leute, wie großartig es ist, dass gekühltes Flüssiggas per Tankschiff aus den USA zu uns kommt. Fragen Sie da nur ja nicht nach, ob Sie deswegen nun unkritisiert in der Offizierskajüte mitreisen dürften!

Die Beschäftigung mit Nervensägen ist zeitaufwendig und kräftezehrend, ohne dass Sie viel davon hätten. Nur, wenn Sie einmal Ihren Facebook-Feed zurückscrollen, erinnern Sie sich wieder: »Layla, Winnetou, herrje - darüber haben wir damals gestritten.« Vielleicht fallen Ihnen dann sogar noch ein, zwei Kontakte ein, die Sie seinerzeit stummschalten oder ganz löschen mussten, damit nur endlich Ruhe ist. Was hätten Sie in der Zeit nicht alles für Ihr Berufs- und Privatleben machen können? Vielleicht wäre sogar ein Pilotenschein oder ein Bootsführerschein drin gewesen!

Wer mit einer Nervensäge - egal, welchen Typs - zu tun hat, sollte deshalb immer genau abwägen: Lohnt sich die Auseinandersetzung, was kostet sie mich und was verpasse ich deswegen? In diesem Buch sprechen wir über verschiedene Taktiken, um anstrengende Mitmenschen auf Abstand zu halten, ihren Einfluss zu neutralisieren oder sie sogar für sich zu gewinnen. Sie zeigen sich damit nicht nur vorbildlich als versöhnlicher Friedensengel, sondern sparen effektiv Zeit und Nerven, die Sie woanders besser einsetzen können.

Nervfaktor 3: Dabei wird nichts erledigt

Allgemein lässt sich beobachten, dass Nervensägen wenig erledigt bekommen. Wer erst eine 700 Wörter lange Anweisung schreiben und auf seine Webseite stellen muss, wie er angesprochen werden möchte, kann unmöglich noch Karriere machen oder gar ein Unternehmen gründen: »Mein Pronomen ist ›em‹ oder kein Pronomen. Bitte nutzen Sie für Substantive, Artikel und Adjektive die Schreibweise mit _ oder*, damit wir respektvoll vergeschlechtlicht sprechen. Mein Vorname wird bitte mit einem darauf folgenden Unterstrich geschrieben und dadurch ›entbinarisiert‹.«

Selbstverständlich darf jeder seine eigenen Schwerpunkte setzen. Eine Nervensäge hat für sich selbst allerdings, wie kurz erwähnt, immer die höchste Priorität. Das wird zum Problem, wenn Sie mit ihr zusammen etwas erledigen müssen, weil Sie etwa Kollegen sind. Statt Ihre Zuarbeit zu erhalten, hören Sie einen langatmigen, öden Vortrag über persönliche Befindlichkeiten: »Bitte sprich mich mit einem ›nicht-binären Neopronomen‹ an, aber nicht mit ›x‹ oder ›ecs‹. Sag am besten ›em‹ zu mir. Das ist mir momentan am liebsten.« Bis dahin haben Sie die Arbeit längst allein erledigt.

Zwar geht es im Leben niemals allein um Effizienz. In jeder beruflichen und privaten Beziehung muss man sich auch dem anderen anpassen und etwas hinnehmen. Aber immer zählt am Ende, ob sie insgesamt funktioniert, ob anstehende Herausforderungen angegangen und damit verbundene Aufgaben erledigt werden. Bei Nervensägen sieht die Bilanz nicht besonders gut aus. Für Sie heißt das, fallweise zu entscheiden, wie weit Sie sich arrangieren können und wo das kontraproduktiv oder sogar gefährlich wäre. Dann hilft nur noch, schnell weiterzuziehen.

Nervfaktor 4: Irgendwann ist’s auch langweilig

Dem Reiz des Neuen, Spektakulären erliegen wir alle. Eben feierten Marketingabteilungen, Redaktionen und Aktivisten noch dicke Prominente – Adele, Lizzo, Rebel Wilson – als neue Vorbilder und befreienden Tabubruch, hinter dem gesundheitliche Bedenken zurückzustehen hatten. Leider verrieten mehrere dieser bejubelten Curvy-Stars seitdem die »Body-Positivity-Bewegung« und nahmen ab, was sich schon zwischen Selbstermächtigung und Verrat bewegte. Immerhin konnte man aus der Kritik noch eine Variante von »Body Shaming« konstruieren, nun gegen Dünne.

Aber langfristig ist es natürlich unglaubwürdig, wenn etwas gleichzeitig begehrenswert und kritikwürdig, zugleich ganz besonders und völlig normal sein soll. So wendet sich das Publikum irgendwann gelangweilt und ermüdet ab, was für Nervensägen die Höchststrafe darstellt. Zumal die Maßstäbe hingebogen werden, wie es gerade passt. So gelten dicke Männer weiterhin nie als »wunderschön« und »mutig«, sondern als verfressen, bewegungsfaul und rücksichtslos ihren Frauen gegenüber, die ihrerseits in jeder Konstitution begehrenswert sein sollen.

Sie muss dieser Zirkus nicht interessieren, wenn Sie das Spiel der Nervensägen gar nicht erst mitmachen: Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und alles zu tun, damit das so bleibt. Über ihre Tricks (Ihnen Schuldgefühle einzureden) sprechen wir noch. Je besser Sie wissen, was Ihnen gefällt und wichtig ist, desto weniger verfangen bei Ihnen Manipulationen durch andere. Dazu zählt auch, ob Sie dicke, dünne oder durchschnittliche Menschen attraktiver finden oder das für Sie eigentlich generell wenig bedeutsam ist.

Nervfaktor 5: Sie erpressen einen emotional

Nur selten haben Nervensägen wirkliche Macht über Sie. Selbst ein Vorgesetzter kann nur begrenzt drohen, wenn Sie von sich aus für einen Wechsel bereit und darauf vorbereitet sind. Sie müssten theoretisch noch nicht einmal die Kündigungsfrist einhalten, sondern könnten kühl mitteilen: »Sucht euch Ersatz! Ab morgen bin ich nicht mehr da.« Was will er machen, Sie morgens von daheim abholen lassen? Im schlimmsten Fall müssten Sie Ihr Gehalt für die vertraglich verbleibende Zeit zurückzahlen, in der Sie nicht mehr kommen. Ein kleiner Preis für endlich Freiheit!

Die Macht der Nervensägen ist vor allem emotional. Sie machen sich Ihren guten Willen und Ihre Verantwortungsbereitschaft, Ihre Ängste, Sorgen und Hoffnungen zunutze. Die ganze Klaviatur der Gefühle, wobei jeder Nervensägentyp seine Spezialisierung hat: Klagen, die Sie zum Helfen verleiten; Drohungen, die Sie gefügig machen; Einladungen, sich an einem Projekt zu beteiligen, das Sie zunächst einmal anspricht. Anfangs sind Sie mehr oder weniger überzeugt dabei, fühlen sich bald gedrängt und manipuliert. Am Ende heißt es, Sie hätten es »doch so gewollt«!

Davon befreien Sie sich, wenn Sie erkennen, wo Sie bisher besonders angreifbar waren und Schwachpunkte haben, die Nervensägen ausnutzen. Je nach Fall kann das etwa eine übergroße Abhängigkeit von Ihrem aktuellen Arbeitgeber sein. Sie reduzieren sie, indem Sie sich durch verstärkte Bewerbungen, regelmäßiges Netzwerken oder eine nebenberufliche Selbstständigkeit mehr Optionen schaffen. Auch der häufige Wunsch, unbedingt von anderen gemocht und akzeptiert zu werden, kann anderweitig adressiert werden.

Nervfaktor 6: Gleichzeitig sind sie überempfindlich

Erinnern Sie sich noch, als die Vegetarier, Frutarier und Veganer mit ihrem Bekenntnis- und Missionierungsdrang (deutet auf Nervensägentyp 6 in unserer Typologie hin) genervt haben? In die teuren Bio- und Hofläden gehen seit der hohen Inflation noch weniger als früher. Aber mancher würgt weiter seine veganen Burger hinunter, nun von »Food For Future« von Penny, und redet sich ein, dass diese Meisterwerke der Lebensmitteltechnologie - gefärbtes Erbsenpüree, Rapsöl, hydrolysierte Stärke und Cellulose - sogar irgendwie natürlicher und gesünder wären.

Hier fällt ein weiteres Kennzeichen von Nervensägen auf: Sie teilen zwar gern aus, sind aber selbst überempfindlich. Mancher Veganer besteht darauf, dass kein Fleisch je sein Geschirr berührt haben darf, sei es auch noch so sauber. So kennt man es sonst nur von orthodoxen Juden und den Reliquien der katholischen Kirche, bei denen sich geheimnisvolle Kräfte schon durch Berühren übertragen. Aber auch gegen kritische Worte sind Nervensägen allergisch. Wer wenig »Persönlichkeit« hat, klammert sich eben an eine »Identität«.

Gewisse Rücksichten auf die Befindlichkeiten anderer werden Sie immer nehmen. Man will sich ja nicht ständig streiten, auch niemanden unnötig verletzen. Aber manchmal sind klare Worte und Grenzen nötig, auch wenn Sie jemandem damit einmal wehtun (was ihm aber langfristig oft hilft). »Entscheidend ist nicht, was der andere sagt, sondern wie ich darauf reagiere«, sagen kalifornische und indische Gurus gern. Klugerweise sind diese aber meist selbstständige Einzelunternehmer, haben also mit vielem gar nichts mehr zu tun.

Nervfaktor 7: Ständig nerven sie anders

Leider können Nervensägen nie zufrieden sein, weil sie dann ja keinen Grund mehr hätten, für sich den Mittelpunkt einzufordern. Bei uns untersagte die Stadtverwaltung das Public Viewing der Fußball-WM 2022. Man wollte damit gegen das Gastgeberland protestieren. Sofort beschwerten sich auch diejenigen, die das eigentlich gut fanden. Ein Leser klagte unserer Lokalzeitung: »Ich fühle mich einmal mehr bevormundet.

Sehr gerne hätte ich dem Veranstalter durch meine Abwesenheit im Zelt gezeigt, was ich von der WM in Katar halte.« Er wurde grausam seines Traumes beraubt, sich öffentlich hochmoralisch in Szene setzen zu können!

Nervensägen reagieren geradezu enttäuscht, wenn man ihnen Recht gibt und sich nicht weiter um sie kümmert. Sofort suchen sie sich den nächsten Anlass, um andere zu nerven. Denn getrieben werden sie von einer Unzufriedenheit, die tiefer als die aktuelle Sache liegt, die ihnen angeblich so wichtig ist. Sie treibt eine persönliche Bedürftigkeit, die sich in ihrer ständigen Nerverei ausdrückt. Sie sind nicht etwa unglücklich, weil etwas nicht in ihrem Sinne ist. Sondern: Ständig ist etwas nicht in ihrem Sinne, weil sie unglücklich sind.

Das ist Ihre Chance, Ihre Kommunikation effektiver zu gestalten. Möglicherweise haben Sie bisher »sachorientiert« diskutiert, sind einer Nervensäge also mit Fakten und Ihrer Meinung dazu gekommen. Nun wissen Sie, dass es ihr nie komplett um die Sache geht, sondern in der Tiefe um sich selbst. Es hat keinen Sinn, sich darüber zu beschweren. Stattdessen können Sie, haben Sie die wahren Bedürfnisse der Nervensäge erst einmal verstanden, ihr ein wenig dabei helfen - und sie so zum Verbündeten oder gar Freund machen.

Besser verstehen lernen

In den folgenden Kapiteln lernen Sie sieben Nervensägentypen kennen und verstehen, die auf unterschiedliche Art anstrengend sind. Manche deprimieren durch ihr Jammern. Andere erschöpfen durch ihre Streitsucht oder regen einen wegen ihrer Antriebslosigkeit auf. Ihnen sind alle diese Typen schon am Arbeitsplatz und im Privatleben begegnet. »Kenne ich«, werden Sie regelmäßig denken. »Kann mir gestohlen bleiben!« Vergleichen Sie hier aber einmal Typ für Typ.

Sie sind aufsteigend nach ihrer »Energie« geordnet, genauer: nach ihrer Selbstwirksamkeit, also ihrer Fähigkeit, Herausforderungen selbst zu bewältigen. Vom »kraftlosen Jammerer« (Typ 1), der als klassischer Energievampir alle anderen erschöpft, bis zum »abgehobenen Welterklärer« (Typ 7), der zwar inspiriert, aber auf andere Weise nervt. Je höher die Zahl, desto erträglicher ist diese Nervensäge als Chef, Kollege oder Geschäftspartner, denn desto stärker kann sie ihr eigenes Verhalten selbst reflektieren und auf Wunsch verändern.