Speed Me Up - Sarah Saxx - E-Book

Speed Me Up E-Book

Sarah Saxx

4,0

Beschreibung

Die 22-jährige Brooke Ferguson ist Supercross-Fahrerin und als eine der wenigen Frauen in diesem Sport äußerst erfolgreich. Als sie während eines Rennens auf Matthew Carr trifft, ihren besten Freund aus Kindertagen, knistert es gewaltig zwischen den beiden. Doch der Gedanke an eine Beziehung macht Brooke nervös, und statt Matt in ihr Leben zu lassen, stößt sie ihn von sich und verletzt ihn damit zutiefst. Als ein paar Monate später ein verleumderischer Artikel über Brooke erscheint, gibt es nur einen, der ihr helfen kann: Matt. Kann Brooke ihre Angst überwinden und sich der Liebe öffnen? Eine temporeiche, herzerwärmende New-Adult-Geschichte mit einer echten Powerfrau in der Hauptrolle … Was will man mehr? – Ivy Andrews, Autorin der L.O.V.E.-Reihe

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Sarah Saxx

Speed me up

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Speed me up

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2021

© 2021 by LAGO Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© Sarah Saxx

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Textbaby Medienagentur, www.textbaby.de

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Christiane Geldmacher

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/My Portfolio, Dinara May

Satz: inpunkt[w]o, Haiger | www.inpunktwo.de

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-95761-197-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-274-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-275-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

Playlist

BROOKE – DAS QUALIFYING

MATT – DIE AFTER‑SHOW‑PARTY

BROOKE – CHAOS IM KOPF

MATT – HEISS AUF EIS

BROOKE – DAS ANGEBOT

MATT – FREIER FALL

BROOKE – FALSCH

MATT – MEERESLUFT

BROOKE – HERZRAUSCHEN

MATT – NEUE CHANCEN

BROOKE – DAS GESPRÄCH

MATT – NASSGESPRITZT

BROOKE – DIE ENTSCHEIDUNG

MATT – PERFEKT

BROOKE – ÜBERREAKTION

MATT – AUSSICHTSLOS

BROOKE – ABSTAND

MATT – LEERE

BROOKE – FEHLENTSCHEIDUNG

BROOKE – AUFPRALL

MATT – TALFAHRT

BROOKE – UNERWARTETE WENDUNG

MATT – AUFWIND

BROOKE – GUYETTE

MATT – AM LIMIT

BROOKE – DURCHEINANDER

MATT – ZERRISSEN

BROOKE – DIE ERKENNTNIS

MATT – DAS GESPRÄCH

BROOKE – HOFFNUNG

MATT – FALSCHES SPIEL

BROOKE – WENDUNGEN

MATT – FREUNDE

BROOKE – NEW YORK

BROOKE – ANGEKOMMEN

Danksagung

Playlist

Victim of States Power – Running Wild

By the Gates of Moria (Remastered 2017) – Blind Guardian

Kryptonite – 3 Doors Down

Paper Planes – Pixie Lott

Otherside – Red Hot Chili Peppers

Song #3 – Stone Sour

Astro – The White Stripes

Golden Dandelions – Barns Courtney

Still Breathing – Green Day

Hedonism (Just Because You Feel Good) – Skunk Anansie

Loser – 3 Doors Down

Naive – The Kooks

Dirty Laundry – All Time Low

Broken Bricks – The White Stripes

Black Butterflies and Déjà Vu – The Maine

Give – You Me At Six

Sweet Disaster – DREAMERS

How to Save a Life – The Fray

Don’t Come Down – The Maine

Here Without You (Acoustic Version) – 3 Doors Down

Misery – blink-182

Cannon – The White Stripes

Take Me Away – Avril Lavigne

Welcome to Mystery – Plain White T’s

Every You Every Me – Placebo

Punishment Time – Korn

I’m Ready (with Demi Lovato) – Sam Smith, Demi Lovato

Dieses Buch widme ich allen Frauen,die für ihre Träume und Ziele kämpfen.Seid stolz auf euch!

BROOKE – DAS QUALIFYING

Das aggressive Röhren des Motors vibrierte durch meinen Körper und trieb meinen Herzschlag an, als wäre ich mit der Maschine unter mir verbunden. Der unverkennbare Geruch von Erde, Dreck und Abgasen lag in der Luft, während das Jubeln der knapp fünfundvierzigtausend Fans im Angel Stadium of Anaheim den Lärm der zweiundzwanzig Motorradmotoren mit je einhundertzwölf Dezibel nicht übertönen konnte.

Konzentriert fuhr ich in Gedanken noch einmal die Strecke ab. Ich durfte mir jetzt keine Fehler erlauben. Mein Ziel war es, einen der vordersten neun Plätze zu ergattern – meine direkte Eintrittskarte für das Main-Event. Ansonsten hatte ich noch die Möglichkeit, im Last Chance Qualifying eine der ersten vier Platzierungen zu erreichen, um mir den Start beim Hauptrennen zu sichern, doch das war mir zu riskant. Ich musste es jetzt schon schaffen, ich musste eine Runde weiter. Denn: kein Main-Event – keine Punkte. Und davon brauchte ich bestenfalls so viele wie möglich. Schließlich hatte ich nicht vor, mit leeren Händen nach Hause zu gehen.

Und damit war es nicht genug. Ich wollte – und würde – auch bei den kommenden Rennen ordentlich Punkte sammeln. Ich würde mich als eine der wenigen Frauen, die es überhaupt schafften, sich für die Supercross-Weltmeisterschaft zu qualifizieren, gegen zig erfahrene Männer behaupten. Ich wusste, ich konnte es; das war meine Saison, und ich würde es allen beweisen. Noch nie zuvor hatte ich mich so bereit dafür gefühlt, noch nie war ich so in Topform gewesen und noch nie war mein Kampfgeist so groß. Ich würde an den insgesamt zehn Renntagen, die innerhalb der nächsten fünf Monate stattfinden werden, mein Bestes geben – und mehr. Weil ich mich mit weniger nicht zufrieden gab.

Ich war eine der besten Frauen im Rennsport. Und warum? Weil ich verdammt noch mal keine Angst hatte. Weil ich die Geschwindigkeit und die Gefahr brauchte wie andere den Sauerstoff zum Atmen. Weil es für mich nichts Besseres gab als den röhrenden Motor, den Dreck, den die Reifen aufwirbelten, und den Kick, den mir das Fahren bescherte.

Trotzdem nahm ich das Rennen nicht auf die leichte Schulter. Ich trat heute gegen die weltbesten Supercrossfahrer an – allesamt Männer, die den Sieg genauso wollten wie ich. Ich musste mich konzentrieren, durfte mich nicht verunsichern lassen. Schon allein, weil mir klar war, dass sie alles dafür tun würden, mich auszubremsen. Keiner dieser Kerle wollte gegen eine Frau verlieren.

Bereits bei der gestrigen Pressekonferenz hatte ich den Reportern angemerkt, dass sie es für einen Zufall hielten, dass ich so weit gekommen war. Ich war zwar nicht die erste Frau in der Geschichte des Motorsports, die es bis zur Weltmeisterschaft im Supercross geschafft hatte, aber allein, dass ich dabei war, galt als Sensation.

Die einen feierten mich, während mich die anderen belächelten. Schon bei der Streckenbegehung heute durfte ich mir von einigen Fahrern bescheuerte Kommentare anhören, doch die tangierten mich nicht. Im Gegenteil, sie waren für mich ein klares Zeichen von deren Unsicherheit. Und diese würde ich gleich zu meinem Vorteil nutzen.

Beim Supercross gibt es keine kritischere Situation als den Start. Es ist die einzige Stelle, die von zwanzig Fahrern gleichzeitig passiert wird, und ich wusste, wie wichtig es war, mir eine ordentliche Position zu sichern. Alle starteten auf selber Höhe und mein Startplatz war gut. Ich war in der Reihe relativ weit links, also nah an der ersten Kurve. Ich musste nur noch einen perfekten Start hinlegen, wenn wir jeden Augenblick alle gleichzeitig losfuhren, und schon zu Beginn so viele Fahrer wie möglich hinter mir lassen, denn in den sechs Minuten plus einer weiteren Runde war es nicht leicht, den Vorsprung auszubauen und Plätze zu machen.

Ein letztes Mal glitt mein Blick durch das mit Flutlicht ausgeleuchtete Stadion, um die Atmosphäre in mich aufzusaugen. Alleine, hier zu sein, bedeutete so viel für mich. Es war mehr, als ich mir je erträumt hatte – und trotzdem hatte ich mein Ziel, ins Main Event zu kommen, noch nicht erreicht.

Mein Herzschlag beschleunigte sich.

Gleich war es so weit. Die Tafel zeigte zwanzig Sekunden bis zum Start.

Ich spielte mit dem Gas und der Kupplung, fand den perfekten Punkt, an dem ich die Kraft der Maschine fühlte, spürte, wie sie vibrierte, ja, unter mir zuckte, als würde sie meine Vorfreude auf das Rennen teilen.

Zehn Sekunden.

Mein Gewicht verlagerte ich nach vorne, der Blick war auf das Startgatter gerichtet. Alles um mich herum schien zu verschwinden. Es gab nur noch die Strecke, meine Suzuki RM-Z250 und mich.

Das Tor fiel, ich ließ die Kupplung kommen und schoss heraus, flankiert von den anderen Fahrern. Es mussten neun vor mir sein oder zehn. Die erste Kurve war kritisch. Zu viele Bikes waren noch zu eng beisammen. Jeder Einzelne kämpfte um einen guten Platz.

Ich schaltete einen Gang runter, balancierte aus, lenkte. Dann wieder Gas.

Adrenalin peitschte durch meinen Körper, als ich im Augenwinkel sah, dass neben mir Fahrer stürzten. Weniger Konkurrenz in den vorderen Rängen. Das war gut.

Ich raste auf den ersten Triple Jump zu. Der Motor heulte auf, als ich in der Luft war, dann setzte die Maschine federnd am erdigen Untergrund auf.

Rechtskurve. Ich hielt meine Position.

Beim nächsten Hindernis erreichte ich den perfekten höchsten Punkt mit idealer Geschwindigkeit, flog förmlich darüber hinweg, überholte Jackson in der Luft und konnte einen Platz gutmachen. Die anschließenden Whoops, die vielen aufeinanderfolgenden Bodenwellen, waren eine andere Art der Herausforderung, doch ich hielt mich gut und konnte in der berüchtigten engen Kurve Clarkson überholen.

Platz sechs!

Schmutz flog mir um die Ohren, als Guyette vor mir beschleunigte und Clarkson wieder an mir vorbeizog. Entschlossen presste ich die Kiefer aufeinander, jagte mein Bike über die nächsten Sprünge, nur wenige Meter von seinem Hinterrad entfernt.

In den folgenden Runden lieferten Clarkson, Guyette und ich uns einen Wettkampf um den fünften, sechsten und siebten Platz. Das war gut, aber noch war nichts gewonnen. Ein kleiner Fehler, und ich würde zurückfallen, mit viel Pech irgendwo jenseits von Rang neun. Und das durfte nicht passieren.

Kurz vor dem Finish-Line-Jump in der achten Runde – ich befand mich gerade auf dem siebten Platz – passierte es: Clarkson knapp vor mir gab in der Kurve zu viel Gas, was zur Folge hatte, dass sein Hinterrad ausbrach. Fast wäre ich mit ihm kollidiert, und das hätte einen Sturz für mich bedeutet. Fluchend brachte ich das Bike wieder unter Kontrolle. Das Ausweichmanöver hatte mich zum Glück nur zwei Plätze gekostet.

Jetzt keine Fehler mehr, Ferguson. Volle Konzentration!

Ich war auf Rang neun, aber das war trotz allem noch gut. Das war gut, verdammt! Mehr brauchte ich nicht.

Meine Muskeln brannten, als ich meine Suzuki über die Whoops jagte.

Ich sah die weiße Flagge, die die letzte Runde signalisierte, und schluckte. Bei den Triple Jumps wagte ich einen schnellen Blick über die Schulter, um abschätzen zu können, wo sich die nächsten Fahrer befanden.

Drei waren mir direkt auf den Fersen.

Scheiße!

Ich nahm die Kurve so eng wie möglich, gab Gas, fuhr auf Risiko. Ich durfte nicht noch einen Platz zurückfallen, denn dann würde meine Chance auf das Main-Event und somit auf Punkte auf ein Minimum sinken.

Auf der Geraden holte ich erneut alles aus dem Bike heraus, jagte es über den unebenen Untergrund. Einer der Fahrer war direkt neben mir. Ich wusste nicht, wie weit die anderen zurückgefallen waren – oder ob sie fast gleichauf mit mir fuhren. Doch mich jetzt noch einmal umzudrehen wäre zu riskant.

Letzte Kurve, die ich leider nicht so eng nehmen konnte wie geplant, da sich einer neben mich drängte. Ich jagte wieder auf den Finish-Line-Jump zu, flog darüber hinweg und drosselte schließlich die Geschwindigkeit.

Mit rasendem Herzen sah ich mich nach meinem Team um – und erkannte, dass es jubelte.

War ich drin?

Hatte ich es geschafft?

Ich warf einen Blick auf die Anzeigetafel, überflog die Platzierungen und Namen.

Brooke Ferguson – #9.

Ich war drin, verdammt! Ich hatte mich für das Main-Event qualifiziert!

Tränen stiegen mir in die Augen, als ich den Arm in einer Siegerpose nach oben riss.

Ich hatte es tatsächlich geschafft!

»Gratuliere, Ferguson!« Mein Trainer, Henry Propst, streckte mir die Hand entgegen, und ich schlug breit grinsend ein, als ich die Umkleide betrat. »Denen hast du’s gezeigt. Willkommen im Main-Event.«

»Danke, Trainer.« In mir zitterte und flatterte noch alles vom Rausch des Rennens und der Tatsache, dass ich es wirklich ins heutige Finale geschafft hatte.

Er nahm mir meinen Helm ab, den ich lässig auf dem Arm trug, und hielt mir eine Wasserflasche entgegen. Dankbar griff ich danach und kippte fast den ganzen Inhalt auf einmal in mich hinein. Meine langen blonden Haare klebten wirr an meinem Kopf und im Gesicht. Mit den Fingern strich ich sie mir von den Wangen, ehe ich mir mit dem Handrücken über die Nase wischte und sie gleichzeitig hochzog.

Mein Leben lang war ich von Jungs und später von Männern umgeben aufgewachsen und hatte – zum Leidwesen meiner Mutter – viele sehr undamenhafte Verhaltensweisen übernommen, wie sie es nannte. Aber das war mir scheißegal. Wenn sich Kerle am Sack kratzen konnten, sah ich ehrlich gesagt keinen Grund, mich als Frau in einen Nebenraum verziehen zu müssen, wenn es mich zwischen den Beinen juckte. Zugegeben, darauf hatte ich schon die ein oder andere bescheuerte Reaktion erlebt, aber zum Glück war ich nicht auf den Mund gefallen und gab den Männern Kontra. Und mein Trainer kannte mich lange genug, als dass er sich noch darüber gewundert hätte. Ich war sogar davon überzeugt, dass es ihm leichter fiel, wenn ich kein klassisches Mädchen war, sondern mich verhielt wie all die anderen männlichen Fahrer. Ich war eine von ihnen, und das war gut so. Für sie, für mich und für meine Rennen. Denn für mich existierte in diesem Sport kein Unterschied zwischen Männern und Frauen.

Nicht falsch verstehen, ich war mir meiner Reize sehr wohl bewusst, und ich setzte sie oft genug zu meinem Vorteil ein. Nicht aber im Supercross. Hier hatten Geschlechterrollen nichts verloren – zumindest nicht für mich.

»Wenn du noch irgendwas brauchst, sag es Sue. Jordan wäscht in der Zwischenzeit dein Bike und checkt es noch einmal durch«, hörte ich Henry sagen.

Jordan war mein Mechaniker, Sue die gute Fee im Team, die sich um alles kümmerte, was anfiel. Sie mischte sich nirgends ein und brachte keine Missstimmungen rein, weshalb ich auch kein Problem mit ihr hatte. Den meisten anderen Frauen jedoch ging ich prinzipiell aus dem Weg. Besonders denen, die sich den Fahrern an den Hals warfen, nur, um sich am Ende des Tages von einem der Typen abschleppen zu lassen, um damit dann vor ihren Freundinnen anzugeben.

Vielleicht lag es daran, dass ich noch nie ein typisches Mädchen gewesen war. Ich hatte zu meinem dritten Geburtstag eine Puppe geschenkt bekommen. Meine Eltern dachten damals, dass sie mir damit eine Freude machen würden, doch das Foto, das von diesem Tag existierte, beweist das Gegenteil. Ich saß mit tränenüberströmtem Gesicht neben dem Spielzeug und hielt Sicherheitsabstand ein, da ich es nicht einmal berühren wollte. Überhaupt hatte ich kategorisch alles abgelehnt, was rosa, glitzernd und mädchenhaft war. Ich hatte nie Teepartys mit den Stofftieren abgehalten, sondern hatte mir mit meinem besten Freund Matt Schwertkämpfe geliefert. Oder wir waren mit unseren Bikes Rennen gegeneinander gefahren.

Unsere Väter betrieben gemeinsam eine Klinik für Plastische Chirurgie in New York, und über kurz oder lang mussten wir ihnen klarmachen, dass keiner von uns beiden sie übernehmen und weiterführen würde. Ich ganz besonders nicht, da ich von diesem Schönheitswahn genau gar nichts hielt. Matts Dad hatte diese Nachricht verhältnismäßig gut aufgefasst, wohingegen mein Vater mir noch heute so weit wie möglich aus dem Weg ging. Wenn ich bei meinen Eltern zu Besuch war, was nur zwei- bis dreimal im Jahr vorkam, ließ er mich jedes Mal aufs Neue spüren, wie enttäuscht er war. Da war meine Berufswahl das Tüpfelchen auf dem bekannten i. Für ihn war es eine dumme Spinnerei, ein Zeitvertreib, der vielleicht kurzfristig Spaß machte, der mir jedoch nicht bis ans Ende meines Lebens finanzielle Unabhängigkeit sichern würde.

Dass ich nicht ewig Rennen fahren konnte, dessen war ich mir sehr wohl bewusst. Doch im Moment war es alles, was ich tun wollte. Aufs College konnte ich später immer noch gehen, oder aber ich würde als Trainerin oder Managerin im Supercross bleiben. Die Möglichkeiten waren breit gefächert.

Henry hielt mir noch einen Vortrag darüber, dass ich mich weiterhin konzentrieren und mich nicht auf meinen Lorbeeren ausruhen solle – was ich sowieso nicht vorhatte, ich war eine Kämpferin und wenn ich ein Ziel erreicht hatte, strebte ich das nächste an –, dann ließ er mich allein, damit ich Kräfte sammeln konnte.

Ich leerte den kläglichen Rest der Wasserflasche, gönnte mir einen Energieriegel und griff nach meinem Handy. Eigentlich wollte ich die Ergebnisse des Rennens nachlesen, da ich draußen keine Zeit gehabt hatte, die Anzeigetafel lange genug zu studieren, doch dann stutzte ich. Ich musste lächeln, als ich eine Nachricht von Matt auf dem Sperrbildschirm sah. Auch wenn wir uns in den letzten dreieinhalb Jahren, seit er New York verlassen hatte, bis auf die Weihnachtsfeiern unserer Familien nicht mehr gesehen hatten, freute es mich, gerade jetzt von ihm zu hören.

Matt: Wahnsinn! Gratuliere! Ich wusste, du wirst das Feld rocken.

Brooke: Ja, echt irre, oder? Hast du das Rennen gesehen? Wo bist du?

Ich sah ihn förmlich vor mir, wie er in einer Bar oder an seinem Laptop die Liveübertragung verfolgte und mitfieberte.

Matt: Sektor 211, Sitz E 27

Überrascht runzelte ich die Stirn, ehe mein Herzschlag sich beschleunigte. Er war hier! Er hatte mein Rennen gesehen und mich im Stadion angefeuert.

Vielleicht war es idiotisch, dass ich mich so darüber freute, aber Matt hier zu wissen, bedeutete mir eine Menge und trieb meinen Puls zusätzlich in die Höhe. Nun hatte ich noch einen Grund mehr, das Main-Event nicht zu verkacken.

Brooke: Ich muss gleich los, drück mir die Daumen!

Matt: Wird gemacht! Ich glaube an dich! Du hast dich richtig gut gehalten im Rennen und du wirst denen zeigen, wie man gewinnt. Gib alles, Ferguson!

Lächelnd las ich die Zeilen ein zweites Mal, dann tippte ich eine Antwort.

Brooke: Du bist ein ewiger Optimist. Hast du später Lust, mit auf die After-Show-Party zu kommen? Entweder muss ich meine gute Platzierung feiern oder meine Niederlage begießen.

Dass ich gar nicht vorhatte, zu verlieren, verschwieg ich. Er kannte mich zu gut und wusste bestimmt ebenfalls, dass ich gewinnen wollte.

Ihn einzuladen, war eine spontane Eingebung, aber ich hatte ihn so lange nicht gesehen, dass ich mich darauf freute, zu hören, wie es ihm ging und was er jetzt machte.

Matt: Ich bin Realist (und außerdem dein größter Fan), und klar feiere ich deine geniale Platzierung mit dir! Sag mir einfach, wo ich hinkommen soll.

Sein Geständnis machte mich einen Moment sprachlos. Denn ja, ich wusste, dass er schon früher meine Leistung im Sport geschätzt hatte, aber zu lesen, dass er mein größter Fan war, ließ Hitze in meine Wangen schießen.

Ein Glück, dass ich inzwischen allein in der Umkleide war …

Ich schickte ihm die Adresse des Clubs, der in der Nähe des Angel Stadiums of Anaheim war, und versprach, dafür zu sorgen, dass er auf die Gästeliste kam. Im Anschluss informierte ich Sue darüber, Matthew Carr als meine Begleitung eintragen zu lassen.

Dann nahm ich den Helm und ging nach draußen, wo der Lärm des Stadions mich einhüllte und ich mit einem heftig pochenden Herzen meinen Weg zum Main-Event antrat.

MATT – DIE AFTER‑SHOW‑PARTY

Mit einem Lächeln auf den Lippen schob ich mein Handy in die Hosentasche und machte mich mit zwei Pappbechern, gefüllt mit Cola, und einer Brezel zwischen den Zähnen auf den Weg zurück zu meinem Platz.

»Hey, Mann, wo warst du so lange?«, rief mir mein Kumpel Ty über den Lärm des Stadions hinweg zu. Er nahm mir einen Becher aus der Hand und setzte sich. Den Blick hatte er wieder nach vorne gerichtet, wo gerade das Last Chance Qualifying der 250er-Klasse endete, in dem zweiundzwanzig Fahrer um die letzten vier Plätze für das Main-Event kämpften und ihr Bestes gaben. Hätte es Brooke nicht im normalen Qualifikationsrennen geschafft, hätte sie hier erneut um den Einzug kämpfen können, denn jetzt traten die zweiundzwanzig ausgeschiedenen Fahrer der vorherigen Qualifikationsrennen noch einmal gegeneinander an. Jedoch nur die besten vier würden hier ein Ticket fürs Main-Event lösen können.

Nach den Rennen der 250er-Klasse folgten jedes Mal die der 450er – die eigentlichen Publikumsmagneten. Die Klassenbezeichnung bezog sich auf den Hubraum der Maschinen, und in wenigen Minuten würden die großen Jungs mit den schweren Maschinen in der 450er-Klasse um die letzte Chance fürs Main Event kämpfen. Sie bezogen bereits ihre Positionen an den Startgattern. Aber schon allein deshalb, weil ich selbst nur 250er gefahren war, fieberte ich bei der kleineren Klasse viel mehr mit. Und natürlich wegen Brooke.

Wir waren schon am Nachmittag angekommen, als noch die freien Trainings stattfanden. Zuerst hatten wir nur nebenbei zugeschaut und uns über die letzte feuchtfröhliche Studentenparty vom letzten Wochenende unterhalten, während ich schon hier nach Brooke Ausschau gehalten hatte. Als um sieben Uhr abends endlich die offizielle Eröffnungszeremonie startete, hatte sich das Stadion fast bis auf den letzten Platz gefüllt, und die Stimmung war ein Erlebnis für sich. Und durch die vergangenen Rennen war es jetzt noch mitreißender geworden.

»Ich war noch pissen!«, rief ich grinsend zurück, nachdem ich die inzwischen durchweichte Brezel aus dem Mund nahm.

»Bah!«, stieß er aus und verzog mit Blick auf das labberige Gebäck angeekelt das Gesicht, doch ich lachte nur.

»Hättest dir ja deine Cola selbst holen können.« Ich setzte mich neben ihn und schaute kurz auf die Anzeigetafel, auf der das aktuelle Ranking angezeigt wurde.

»Und hier was verpassen? Ich bin ja nicht verrückt.«

Ich schenkte ihm einen amüsierten Blick und stieß gegen seinen Oberarm in dem Moment, als er von seiner Cola trinken wollte.

»Arschloch!«, spie er lachend aus und drückte mir ein paar Geldscheine in die Hand, die vermutlich nicht nur seine Cola bezahlten, sondern auch meinen Teil abdeckten.

»Lass stecken!« Ich wollte sie ihm zurückgeben, doch er schüttelte nur den Kopf und schob mir das Geld in die Brusttasche meines Fleecehemdes – was mich daran erinnerte, dass ich gleich nach dem Main-Event zurück ins Hotel musste, um mich umzuziehen. In diesem Aufzug konnte ich unmöglich bei dieser After-Show-Party aufkreuzen. Da konnte ich noch so deutlich auf der Gästeliste stehen, aber ich war mir sicher, dass Fleecehemden nicht zugelassen waren.

»Hör zu, Ty. Ich will gleich nach der Siegerehrung der 250er-Klasse weg, ich werde mir das Finale der 450er nicht mehr ansehen.«

Nur mühsam riss er den Blick von den Fahrern los, als langsam zu ihm durchsickerte, was ich ihm sagte.

»Wieso? Das Rennen mit den schweren Maschinen ist doch gerade das Spannende!«

Wenn ich ihm jetzt erklären würde, dass ich danach noch zur After-Show-Party eingeladen war, würde er mich so lange traktieren, bis ich ihn ebenfalls auf die Gästeliste bringen würde. Und dann hätte ich ihn an der Backe – etwas, worauf ich gar keinen Bock hatte.

Ich hatte Brooke schon so lange nicht mehr gesehen und wollte die Zeit mit ihr allein verbringen. Sofern allein auf dieser Party möglich war.

Und, ehrlich gesagt, hatte ich auch keine Lust, Ty dabei zusehen zu müssen, wie er sich an Brooke ranmachte. Das könnte unsere Freundschaft nämlich ernsthaft gefährden …

»Weil ich keinen Bock auf die Massen habe, die sich am Ende der Show nach draußen schieben. Alles, was ich noch sehen will, ist, wer heute den 250er gewinnt.« Lässig zuckte ich mit den Schultern und warf einen Blick auf die Uhr, die gleich neun Uhr abends anzeigte. Jeden Moment würde das Main-Event starten.

»Und dann lässt du den 450er aus? Wieso das, verdammt?«

Ich überlegte, ob ich auf diesen Kommentar etwas erwidern sollte, beließ es jedoch dabei.

Ty hatte den Blick sowieso wieder nach vorne gerichtet. Doch dann nickte er überraschenderweise und rief mir ein »Geht klar, bin dabei!« zu.

Einen Augenblick überlegte ich noch, was seine Antwort zu bedeuten hatte, doch das Jubeln des Publikums wurde lauter, und mir wurde bewusst, dass die letzte Runde begonnen hatte. Neugierig stand ich – wie die meisten im Stadion – auf, um mit den Fahrern mitzufiebern. Gleich darauf wurde ich in grölendes Jubeln gehüllt, als die ersten vier durchs Ziel kamen und sich somit auf den letzten Drücker für das alles entscheidende Rennen qualifiziert hatten.

Augenblicklich stieg die Anspannung in mir. Gleich war es für Brooke so weit, und – Scheiße! – ich drückte ihr alle Daumen.

Als die Fahrer den Platz räumten und die Streckenwarte das nächste Event vorbereiteten, waren meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt.

»Mann, beruhig dich, sie wird bestimmt gut fahren … und nicht stürzen oder so«, hörte ich Ty neben mir.

Ich runzelte die Stirn und sah ihn an, als wäre er von allen guten Geistern verlassen. Dass Brooke sich verletzen könnte, darüber wollte ich erst gar nicht nachdenken! »Halt die Klappe«, brummte ich deshalb.

Er stieß mich grinsend an und richtete den Blick nach vorne, als das röhrende Geräusch der Motoren wieder die Luft dominierte.

Zweiundzwanzig Fahrer würden jetzt antreten, und jeder von ihnen würde Punkte mit ins Gesamtranking nehmen. Der Letzte erlangte einen Punkt, der Vorletzte zwei, bis vor zur Nummer vier. Nur die ersten drei Ränge bekamen mehr, aber es war überhaupt schon der Wahnsinn, dass Brooke sich so gut gegen ihre männlichen Kollegen hatte behaupten können. Dass sie im Main-Event gelandet war, war eine unfassbare Leistung, und alles, was sie jetzt noch schaffte, jeder Punkt, den sie holte, war mehr als verdient.

Automatisch stand ich auf und suchte angespannt die zweiundzwanzig Fahrer nach Brooke ab, dann entdeckte ich ihren Dress mit der Nummer 135 auf dem Rücken rechts außen. Verdammt, eine nicht besonders gute Startposition. Sie würde einen weiten Weg bis zur ersten Kurve haben.

Natürlich war nichts ausgeschlossen, und ich konnte den Start kaum erwarten.

Ein leichtes Gefühl von Wehmut stieg in mir auf, als ich an die vielen Rennen denken musste, die Brooke und ich in New York und Umgebung gefahren waren. Irgendwie vermisste ich heute Supercross mehr als die letzten dreieinhalb Jahre. So lange Zeit hatte ich mir die Erinnerung an das Gefühl des Fahrens und Gewinnens verboten, doch mit einem Mal wusste ich sofort wieder, wie es sich anfühlte, wenn das Adrenalin durch den Körper rauschte, während ich gemeinsam mit Brooke über die Hindernisse jagte.

Das Dröhnen der Bikes sammelte sich zu einem einzigen Vibrieren, ehe sie über die Startgatter hinwegschossen.

Brooke machte sich gut und näherte sich nicht als Letzte der ersten Kurve. Mein Blick war allein auf sie geheftet. Ich fieberte mit, hatte meine Muskeln angespannt, als sie über die Hindernisse flog, schrie begeistert, als sie sich auf Rang achtzehn vorkämpfen konnte. Ich fluchte, als zwei andere Fahrer neben ihr kollidierten und sie kurz ins Schleudern brachten, was sie auf den letzten Platz zurückkatapultierte. Doch Brooke war niemand, der sich von so was aufhalten ließ. Schlussendlich konnte sie in den finalen Runden noch einen Platz gutmachen und fuhr als einundzwanzigste ins Ziel. Damit hatte sie sich schon beim ersten Rennen der Saison ihre ersten beiden Punkte gesichert. Ich schrie mir vor Freude die Kehle aus dem Leib. Ty ließ sich von meinem Jubel anstecken, bis wir uns völlig berauscht gemeinsam mit wenigen anderen Zuschauern auf den Weg zum Ausgang machten.

»Was für ein Rennen, Mann, ich bin immer noch total fertig«, meinte Ty lachend, als wir durch den Haupteingang ins Freie traten und die Nachtluft einatmeten. »Wir sollten unbedingt feiern, dass deine Freundin so gut gefahren ist.«

Verdammt, ich hätte damit rechnen müssen, dass er so was vorschlägt!

Ich zog mein Telefon aus der Hosentasche und hielt es hoch. »Sorry, Kumpel, aber sie war vor dir dran.«

Ty sah mich von der Seite an, dann lachte er lauthals. »Also doch … so was in der Art hatte ich schon erwartet. Du willst sie also heute noch flachlegen?«

Ich verzog das Gesicht und deutete nach rechts, wo ich mein Auto geparkt hatte. »So ist das nicht mit Brooke und mir, und das weißt du auch«, knurrte ich zwischen den Zähnen hervor. »Also spar dir zukünftig diese Kommentare.«

Er verstummte sofort und sah mich stattdessen mitleidig an. »Scheiße, sorry. Wie hältst du es aus, fast das ganze Leben mit so einer Frau einfach nur befreundet zu sein, ohne jemals mit ihr in der Kiste zu landen? Deine Selbstbeherrschung hätte ich gerne. Oder warte … ist das der Grund, weshalb ihr so lange kaum Kontakt hattet?«

Ich ignorierte seinen Kommentar. Darauf würde ich ihm keine Antwort liefern. Brooke und mich hatte von frühester Kindheit an der Sport verbunden. Supercross, und auch jede andere sportliche Aktivität, die wir brauchten, um Ausdauer und Kraft für die Rennen aufzubauen. Außerdem war da noch die Tatsache, dass unsere Väter gemeinsam die Schönheitsklinik führten. Alles andere war nie ein Thema zwischen uns gewesen. Was nicht bedeutete, dass ich nicht scharf auf sie war und Gefühle für sie hatte …

Ich meine, Scheiße, diese wahnsinnstolle Frau war schon immer meine beste Freundin gewesen. Wir hatten früher fast jeden Nachmittag zusammen verbracht, waren auf dieselbe Highschool gegangen. Ich hatte ihr geholfen, sich Toby Curtis, den Quarterback, zu angeln, während sie ein gutes Wort für mich bei der überraschenderweise etwas schüchternen Leiterin der Schülerzeitung, Tiffany Berger, einlegte, als ich diese bat, mich zum Abschlussball zu begleiten.

Dass Brooke und ich nicht gemeinsam als Paar dort aufkreuzten, hatten wir bereits zwei Jahre zuvor festgelegt. Genauso wie die Tatsache, dass zwischen uns nichts laufen würde, weil wir unsere Freundschaft nicht gefährden wollten. Zwar hatte es einmal einen Kuss gegeben, aber der hatte nur zu Übungszwecken gedient, als wir dreizehn oder vierzehn waren. Doch wir würden nicht rummachen, und schon gar nicht würden wir miteinander im Bett landen – so lautete unsere Vereinbarung.

Bis heute hatten wir uns daran gehalten. Und auch wenn wir uns kaum gesehen und wenig Kontakt hatten, als ich nach der Highschool nach Kalifornien ging, um an der CSU Bakersfield Journalismus und Sport zu studieren, waren wir immer noch Freunde. Zumindest empfand ich es so. Dennoch war ich seitdem kein einziges Mal mehr gefahren. Supercross gehörte für mich unwiderruflich zu Brooke, und es war mir falsch vorgekommen, mich in Kalifornien auf ein Bike zu setzen, wenn Brooke nicht dabei war, um mit mir gemeinsam zu fahren.

Dass wir uns aus den Augen verloren hatten, lag bestimmt an meinem Studium, das mich sehr vereinnahmte, und an ihrem Sport, durch den sie mehr unterwegs war als noch während der Highschool. Brooke fehlte mir, aber mit der Zeit hatte das Beantworten der Textnachrichten immer länger gedauert, die Anrufe waren weniger geworden, und irgendwann hatte ich unsere Entfremdung als normalen Entwicklungsverlauf und Brooke als Teil meines früheren Lebens abgestempelt. Einzig an Weihnachten bei den Feiern unserer Eltern liefen wir uns jedes Jahr wieder über den Weg, ab und zu auch im Sommer, wenn ich in den Ferien Mom und Dad besuchte. Und jedes verdammte Mal war mir aufgefallen, wie sehr ich die Zeit und die Gespräche mit ihr vermisst hatte. Doch ich war ein Idiot und hatte nichts dafür getan, um mit ihr in Kontakt zu bleiben … Weil es sich irgendwie seltsam anfühlte. Wir waren nicht mehr diese beiden sorglosen Teenager; wir waren erwachsen geworden. Und diese Tatsache hatte zumindest in mir etwas verändert.

Sie hatte mir vor zwei Jahren zu Weihnachten erzählt, dass sie im Januar in Anaheim sein würde, um sich die Rennen der Supercross-Weltmeisterschaft anzusehen, mit dem Plan, einmal selbst daran teilzunehmen. Allein das Wissen, dass sie in meiner Nähe war, hatte mich beinahe verrückt gemacht. Mehr als einmal hatte ich mir vorgenommen, sie zu kontaktieren, um sie wiederzusehen. Aber jedes verdammte Mal, wenn ich ihre Nummer wählen wollte, fühlte es sich an, als würde ich sie um ein Date bitten wollen und nicht um ein Treffen unter Kumpels. Bakersfield war knapp über zwei Stunden Autofahrt von Anaheim entfernt. Vielleicht gerade deshalb, weil es nicht direkt um die Ecke lag, wäre es seltsam gewesen, mich mit ihr zu treffen. Also hatte ich diesen Plan doch verworfen. Sie war schließlich nur als Zuschauerin hier gewesen. Aber seitdem hatte ich ihre Karriere wieder intensiver verfolgt. Nicht, dass ich jemals ganz damit aufgehört hätte. Ich wusste, dass sie sich für die diesjährige Weltmeisterschaft qualifiziert hatte.

Heute war ich hier, um sie anzufeuern, wie unzählige Tausende andere Zuschauer auch. Somit hatte ich die Anreise hierher vor meinem Gewissen rechtfertigen können.

Was ich jedoch davon halten sollte, dass sie mich zur After-Show-Party eingeladen hatte, wusste ich noch nicht. Aber ich freute mich, sie zu sehen und ihr zu ihrer jetzt schon herausragenden Leistung zu gratulieren …

Als Ty und ich im Hotel ankamen, hatte ich das Gefühl, dass er leicht angepisst war. Was ich auch verstand, schließlich hatte ich ihn erst um die letzten Events gebracht, nur um ihn jetzt allein im Hotelzimmer zurückzulassen, während ich mich mit Brooke traf, um über ihr Rennen und alte Zeiten zu reden. Bestimmt hatte er gedacht, wir würden noch etwas gemeinsam unternehmen, und war deshalb mit mir zurück zum Hotel gefahren.

»Hör zu, tut mir leid, Mann. Das war so nicht geplant, sie hat mich angeschrieben, als ich an der Snackbar war.«

Ty runzelte die Stirn. »Ich wusste gar nicht, dass du wieder mehr Kontakt zu ihr hast.«

»Das hat sich kurzfristig so ergeben.« Ich wandte mich von ihm ab, um ein hellblaues Poloshirt aus meiner Tasche zu ziehen.

Er brummte etwas Unverständliches, während ich noch nach frischer Unterwäsche, Socken und einer dunklen Jeans griff.

»Ich hab sie zuletzt an Weihnachten gesehen, und da hatten wir kaum Zeit, uns zu unterhalten. Abgesehen davon wusste ich nicht, ob sie überhaupt Zeit hat«, versuchte ich weiter, mein Treffen mit ihr zu verteidigen, doch Ty winkte ab.

»Schon gut, Alter. Hau ab, hab Spaß. Ich zieh mir inzwischen PayTV rein.« Er grinste breit.

»Halte dich von meinem Bett fern, hast du gehört!«, rief ich ihm noch drohend über die Schulter zu, ehe ich im Bad verschwand, um mir die Abgase und die Aufregung vom Leib zu waschen.

Die Party war schon in vollem Gange, als ich den riesigen Club betrat. Rockige Musik dröhnte aus den Boxen, zu denen sich die wogende Menge auf der Tanzfläche bewegte. Die insgesamt fünf Bars, die ich von der kleinen Empore aus erkennen konnte, waren dicht von Gästen belagert. Die Stimmung war gut, alle schienen zu feiern.

Ich ließ den Blick über die Menschenmassen im schummrigen Licht gleiten und wusste schon jetzt, dass ich Brooke nicht zufällig über den Weg laufen würde. Da wir weder eine Zeit noch einen Treffpunkt vereinbart hatten, holte ich mein Telefon aus der Hosentasche und öffnete unseren Chatverlauf, um ihr eine Nachricht zu schicken.

Matt: Bin im Club. Gib mir einen Tipp, an welcher Bar ich nach dir Ausschau halten soll.

Ich war mir sicher, Brooke würde mir nicht gleich antworten, weshalb ich die erstbeste Bar ansteuerte, um mir was zum Trinken zu besorgen. Mit einer Bierflasche in der Hand bahnte ich mir weiter den Weg durch die vielen Leute, von denen ich ein paar aus dem Fernsehen oder aus der Presse kannte; die meisten jedoch hatte ich noch nie zuvor gesehen, auch wenn ich viele Leute aus der Szene schon von den Rennen an der Ostküste aus unserer Highschoolzeit kannte. Doch ich entdeckte niemanden, von dem ich wusste, dass er zu ihrem Team gehörte, das sie zum Teil schon in New York in dieser Konstellation gehabt hatte. Zumindest wusste ich, dass sie ihren Trainer Henry Probst und Jordan, den Mechaniker, mitgenommen hatte.

Als ich einmal den Club durchquert hatte und wieder an der ersten Bar angekommen war, lehnte ich mich dort an den Tresen und beschloss, hier zu warten, bis sie sich melden würde. Tatsächlich kündigte sich in dem Moment eine Nachricht von ihr an.

Brooke: Sorry, ich war eben noch in der Nachbesprechung mit dem Team. Bin in dreißig Minuten bei dir. Wo finde ich dich?

Ich schrieb ihr mit einem Lächeln auf den Lippen zurück, wo ich auf sie warten würde, verstaute mein Telefon wieder und bestellte mir ein zweites Bier.

Eine Weile beobachtete ich das Treiben, amüsierte mich über die Freaks auf der Tanzfläche, die wohl schon etwas zu viel getrunken hatten, und nippte wieder an der Flasche, während dieses Flattern der Vorfreude auf meine beste Freundin immer mehr zunahm.

Kurz griff ich in meine Hosentasche und ertastete dort das kühle Metall meines Glücksbringers. Ich rieb mit dem Daumen darüber, kannte jeden Kratzer, jede Erhebung darauf. So viele Jahre war er schon in meinem Besitz und all die Zeit hatte er mich an Brooke erinnert.

Sie hatte ihn bei einem Rennen gewonnen, als wir beide ungefähr zehn Jahre alt gewesen waren. Die ganze Zeit über lag ich in Führung, doch auf den letzten Metern hatte sie mich überholt und gewonnen. In meiner Enttäuschung hatte ich ihr den Schlüsselanhänger gemopst und hab es damals nur als gerecht empfunden. Immerhin hätte ich ihn fast selbst gewonnen. Die paar Rennen danach hatte ich wieder die Nase vorn. Ich schob es auf den Anhänger und hatte ihn seitdem als meinen Glücksbringer immer dabei.

»Hey«, hörte ich eine Stimme unmittelbar neben mir, zu der ich mich gut gelaunt umdrehte. Eine attraktive Frau mit taillenlangen braunen Haaren lächelte mich an. »Ich versuche schon seit über zehn Minuten, etwas zu bestellen, aber irgendwie habe ich kein Glück.«

Stirnrunzelnd betrachtete ich sie. »Ich dachte immer, gut aussehende Frauen hätten keine Probleme damit, Barkeeper auf sich aufmerksam zu machen?«

Sie strahlte bei meinem Kompliment, deutete dann aber mit dem Kopf zu dem Kerl, bei dem ich das Bier innerhalb kürzester Zeit bekommen hatte. »Nicht, wenn sich der Barkeeper von Frauen nur wenig beeindrucken lässt.«

Ich verstand nicht sofort, was sie damit sagen wollte, doch als ich ihrem Blick zu dem Kerl hinter der Bar folgte, wurde mir bei dessen Lächeln und Augenzwinkern in meine Richtung klar, wovon sie sprach.

»Okay, worauf darf ich dich einladen …?«

»Aimee«, stellte sie sich vor und schenkte mir ihr hübschestes Lächeln, als sie mir die Hand reichte. »Und ich hätte gern einen Cosmopolitan.«

»Ich bin Matthew und dein Drink kommt sofort.« Mit einem kurzen Wink mit meiner Bierflasche machte ich den Barkeeper auf mich aufmerksam. »Einen Cosmo für die Lady, bitte.«

Ich zwinkerte ihr verschwörerisch zu, als er sich an die Arbeit machte. Keine Minute später hielt sie ihr Getränk in Händen. »Vielen Dank, Matthew. Darf ich fragen, woher du bist? Ich vermute mal, nicht aus dieser Gegend.« Sie beugte sich vor, da die Musik lauter geworden war und man sich inzwischen nur noch mühsam unterhalten konnte. Wie unbeabsichtigt berührte sie dabei mit ihren Brüsten meinen Oberarm.

Als ich zur Antwort ansetzen wollte, fiel mir ein blonder Wirbelwind um den Hals. »Matti, da bist du, ich hab dich schon überall gesucht.« Brooke drückte sich an mich, als hätte ich mich nicht gerade eben noch mit Aimee unterhalten.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte ich lachend in ihr Ohr und sah im Augenwinkel, wie Aimee enttäuscht abzog, jedoch nicht, ohne mir noch einmal mit einem halben Lächeln für ihren Cocktail zu danken.

»Ist sie weg?«, raunte Brooke in mein Ohr.

»Ja, du hast sie erfolgreich verjagt.«

Augenblicklich ließ sie mich los und grinste triumphierend.

»Was zur Hölle war das eben, Brooks?«, fragte ich belustigt.

»Ich dachte, du könntest Hilfe benötigen, und tadaaa«, sagte sie und machte eine Pose, als würde sie sich selbst als einen Preis präsentieren, »da bin ich. Stets zu Diensten, Matthew Carr.«

Amüsiert schüttelte ich den Kopf. »Danke für deinen lebensmutigen Einsatz und deine Rettungsaktion, auch wenn ich keine Minute in Gefahr war.«

»Oh, das sagst du jetzt«, behauptete sie total ernst, »aber glaub mir, ich kenne diese Sorte Frau. Erst machen sie einen auf unschuldig und wickeln die armen Kerle um ihren kleinen Finger. Dann fahren sie die Krallen aus, haken sich an ihnen fest, und ehe die sich‘s versehen, werden sie mit Haut und Haaren von ihnen verschlungen.«

»Klingt, als hättest du reichlich Erfahrung mit dieser Sorte Frau«, sagte ich herausfordernd.

Sie verdrehte die Augen. »Du glaubst nicht, wie sehr. Schließlich verfolge ich regelmäßig nach den Rennen dieses Schauspiel.«

»Und du bist anders?« Zumindest früher hatte sie dieses Kokettieren ausgelassen, gleich auf den Punkt gebracht, wenn sie etwas wollte, und sich genommen, was sie brauchte. Sie war die Sorte Frau, die einen Kerl an einer Bar sichtete, beschloss, ihn haben zu wollen, ihn ansprach und keine fünf Minuten später mit ihm die Bar verließ.

Auch wenn sie das nicht oft gemacht hatte, war dies einer der wenigen Punkte, die mich immer ein kleines bisschen an ihr gestört hatten – nur hatte ich ihr das nie gesagt. Sie hatte vermutlich zu lange unter dem Einfluss von Aufreißern gestanden und von ihnen deren Masche – absichtlich oder instinktiv – übernommen. Allein der Gedanke daran, dass sie so manchen Kerl einfach abgeschleppt hatte, war mir jedes Mal übel aufgestoßen. Es hatte mich verletzt, vielleicht sogar ein klein wenig eifersüchtig gemacht. Auch wenn ich kein Recht dazu hatte, denn erstens konnte mir das egal sein und zweitens war sie mir keine Rechenschaft schuldig. Ich war ja nur ihr bester Freund, nicht ihr fester.

»Ich bitte dich, Matt, du kennst mich«, erklärte sie mit hochgezogener Braue. Sie sah mir dabei tief in die Augen. Es war hier viel zu dunkel, als dass ich die Details ihrer babyblauen Iriden mit den kleinen violetten Sprenkeln hätte erkennen können. Doch ich brauchte dazu kein Licht. Ich kannte sie in- und auswendig.

Mein Herz schlug kräftiger, als wir uns noch immer ansahen, und ich versuchte herauszufinden, was hier gerade geschah. Was in ihrem hübschen blonden Kopf vor sich ging.

Mein Blick wanderte tiefer, und mir fiel ihr Oberteil auf, dessen Ausschnitt wie ein Wasserfall aussah und über dem sie eine kurze Weste trug, sowie die enge Hose – Leder, wenn ich das Material bei der Umarmung vorhin richtig ertastet hatte.

Ihre Handtasche hatte sie unter den Arm geklemmt, und setzte damit – bewusst oder unbewusst? – ihre Oberweite zusätzlich in Szene.

Ein Teil von mir freute sich wahnsinnig, dass ich sie nach all den Monaten wiedersah und nun endlich – abseits unserer Eltern – Zeit hatte, mich mit ihr in Ruhe zu unterhalten. Dann war da aber noch diese Anziehungskraft, die mich irritierte und von der ich nicht wusste, ob sie nur in meiner Vorstellung existierte. Ob sie schlichtweg ein Resultat unserer langjährigen und engen Freundschaft war oder ob mehr dahintersteckte.

»Manchmal bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich mich selbst kenne«, hörte ich mich sagen, wusste aber nicht, ob Brooke mich über den Lärm hinweg verstanden hatte.

Immer noch sah sie mich mit diesem herausfordernden Lächeln an, bei dem ich mir nie wirklich im Klaren war, woran ich bei ihr war. Dann senkte sie den Blick auf meine Lippen. Augenblicklich hatte ich das Bedürfnis, sie mit der Zunge zu befeuchten.

Brookes Augen weiteten sich dabei – so minimal, dass jemand anderem diese Regung vielleicht gar nicht aufgefallen wäre. Womöglich existierte sie auch wirklich nicht und mein vom Bier benebelter Kopf gaukelte mir nur vor, dass sie so reagierte.

Die Frage war nur, warum ich das wollte.

Unablässig sah ich sie an, unfähig, mich zu bewegen, geschweige denn etwas zu sagen, weil ich diese Spannung nicht zerstören wollte und ich gleichermaßen fasziniert davon war.

Auch ihre Zunge benetzte ihre Lippen, dann spürte ich ihre Hand in meiner. »Lass uns von hier abhauen«, raunte sie mir zu, ehe sie mich durch die feiernden Leute Richtung Ausgang zog.

Ich folge ihr überrascht, während mir Hitze in die Lenden und mein Puls in die Höhe schoss …

Sie würde nicht wirklich tun wollen, was ich vermutete. Oder etwa doch?

BROOKE – CHAOS IM KOPF

Keine Ahnung, was eben in mich gefahren war, als ich mich zwischen Matt und diese Frau gedrängt hatte, aber hey, ich hatte ihn so lange nicht gesehen, da hatte ich eigentlich nicht vor, die wenige wertvolle Zeit, die wir hatten, mit jemandem zu teilen. Sollte sie sich an einen anderen Kerl ranmachen.

Matt sah wie immer verdammt gut aus mit seinen kurzen dunkelbraunen Haaren, die wirr und zerzaust in alle Richtungen standen, dem Dreitagebart, den er erst seit knapp zwei Jahren trug und der ihn nur noch interessanter machte, und seinem Poloshirt mit Jackett darüber. Es hatte etwas von schaut mal, ich bin der wohlhabende Collegejunge, und dieser Look hatte schon immer reihenweise Frauen beeindruckt.

Leider war es hier jedoch so verdammt laut, dass man sein eigenes Wort kaum verstand. Super, wenn man flirten wollte, weil man auf diese Weise dem anderen auf die Pelle rücken musste. Aber ein Flirt mit Matt? – Also bitte …!

Er war mein bester Freund. Okay, zumindest war er das die meisten Jahre meines Lebens gewesen. Dass wir uns nach dem Highschool-Abschluss so auseinandergelebt hatten und nicht einmal mehr wirklich Kontakt hielten, hatte unsere Freundschaft verändert. Oder auch nicht. Ich wusste es nicht. Er war nach wie vor ein Freund aus früheren Zeiten, ein Teil meines alten Lebens in New York. Ihm jedoch hier und jetzt gegenüberzustehen fühlte sich an, als hätte es die letzten Monate und Jahre Funkstille nicht gegeben. Umso mehr zog es mich weg von dieser Party. Ich wollte wissen, was er inzwischen getrieben hatte. Wie es ihm im Studium ging, ob er schon einen Job in Aussicht hatte. Ob er auch noch fuhr oder ob er sein Bike verkauft hatte. Und ob er eine Freundin hatte …

Gut, der letzte Punkt konnte mir eigentlich egal sein. Und doch war er es nicht, was mich ärgerte. Was mir außerdem nicht gleichgültig war, war die Tatsache, dass ich Matti aufgrund meines bescheuerten Rettungsversuchs und wegen dieser lauten Musik hier in diesem Club viel zu nahe gekommen war. Ich hatte gerade eben noch keine Handbreit von ihm entfernt gestanden, wo ich seinen Duft eingeatmet hatte, der mir so vertraut war. Er hatte eine Flut an Gefühlen und Erinnerungen an unsere Jahre in New York hervorgerufen. Bilder und Wünsche tauchten in meinem Kopf auf, die mich verwirrten. Die nicht dorthin gehörten. Die ich tief in mir begraben hatte. Dieser Blick von ihm, dieses Lächeln, das er mir geschenkt hatte … Scheiße, es hatte sich fast so angefühlt, als wäre ich in irgendeinem seltsamen Voodoozauber gefangen. Ich war verloren in seinen warmen braunen Augen und doch fühlte ich mich in dem Moment sicher.

Was für ein verdammter Mist war das denn?

Deshalb: Flucht aus diesem Club.

Blöderweise kamen wir an meinem Trainer Henry und an Mädchen-für-alles-Sue vorbei, doch ich ignorierte ihre überraschten Blicke. Henry wusste, dass ich auf Partys dieser Art keinen Bock hatte, und ich hatte ihm nicht nur einmal gesagt, dass ich wenn, dann nur kurz aufkreuzen würde. Als nonverbale Entschuldigung verzog ich im Vorbeigehen das Gesicht, deutete auf die Ohren und sagte »ich verstehe nichts«, um den Lärm hier drinnen noch zusätzlich zu unterstreichen.

Die Luft wurde kühler, als wir den Eingang erreicht hatten. Sofort atmete ich tief durch und hörte Matt hinter mir lachen. »Scheiße, ist das laut da drin.«

Na bitte, wenigstens einer, der meine Meinung teilte.

»Wo gehen wir hin?«, wollte er wissen, als wir links abbogen.

Klang er etwa nervös?

Ich musterte ihn kurz von der Seite. Da er jedoch geradeaus sah, konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.

Der Wind war kühl und mich fröstelte. Automatisch zog ich mir die Weste über meinem dünnen Seidenoberteil enger und deutete mit dem Kopf die Straße entlang. »Dort vorne ist mein Hotel.« Meine Worte brachten mein Herz zum Rasen, doch ich ließ mir meine Aufregung nicht anmerken. »Die Hotelbar hat bis drei Uhr morgens geöffnet«, sagte ich schließlich und grinste, als ich Matt erleichtert aufseufzen hörte.

Wenig später saßen wir in der ruhigen Bar an einem Tisch für zwei. Das dunkle Holz in Verbindung mit den vielen Glaselementen und den Kristalllustern verbreitete eine angenehme und gehobene Atmosphäre, die Jazzmusik, die aus den Boxen zu hören war, unterstrich diese noch. Ein paar der Tische waren besetzt, doch es war definitiv ruhig. Der Kellner polierte gelangweilt ein Glas und ließ seinen Blick immer wieder über die Gäste schweifen.

Matt und ich hatten beide ein Bier vor uns stehen, und endlich entspannte ich mich. »Erzähl, wie geht es dir? Wie läuft das Studium?«

»Gut«, antwortete er und grinste breit. »Etwas stressig, aber es tröstet, zu wissen, dass auf jede harte Lernphase wieder ein paar Tage Verschnaufpause folgen.«

»So schlimm?«

Matt verzog fast schmerzhaft das Gesicht. »Frag nicht. Ich hatte es mir definitiv leichter vorgestellt. Aber dank meines Glücksbringers hab ich noch jede Prüfung gut abgeschlossen.«

»Du hast einen Glücksbringer? Davon wusste ich gar nichts. Immer schon?«

Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht, den ich nicht deuten konnte.

»Äh … ja.« Er räusperte sich und trank von seinem Bier.

»Dann kann es kein Höschen einer deiner Verflossenen sein«, sagte ich im Scherz und war gleichzeitig erleichtert, dass es wirklich so sein musste. »Was ist es dann?«

Er grinste breit. »Das kann ich doch nicht verraten, das bringt Unglück.«

Ich runzelte belustigt die Stirn. »Matthew Carr, ich hätte nicht gedacht, dass du an solchen Unfug glaubst.«

Er zuckte nur die Schultern. »Besser erst gar kein Risiko eingehen.«

Ich nickte und lächelte.

»Gratuliere übrigens zu deiner Platzierung beim Main-Event«, sagte er, den Hals seiner Bierflasche nur wenige Zentimeter von seinem Mund entfernt. Sein Lächeln erreichte seine Augen, und ich ahnte, dass er beim Zusehen vor Spannung fast umgekommen war.

»Danke«, sagte ich lächelnd.

Für das Rennen nächste Woche in Glendale/Arizona hatte ich mir vorgenommen, noch mehr zu geben als heute, aber das sprach ich nicht aus. Genau wie Matt wollte ich nichts verschreien. Ich wusste außerdem, dass ich meine Erwartungen auf so einem Level halten musste, dass ich einerseits nicht enttäuscht war, wenn ich sie nicht erreichte, andererseits so hoch ansetzte, dass ich für mich ein realistisches Ziel vor Augen hatte. Und dass ich es als Frau überhaupt so weit schaffte und mich gegen die viel stärkeren männlichen Fahrer behaupten konnte, war schon herausragend.

»Du hast mich vorhin echt überrascht, als du mir gesagt hast, dass du im Stadion bist. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht damit gerechnet, dass du hier sein würdest.« Wie sehr ich mich darüber gefreut hatte, verriet ich ihm nicht. Es auszusprechen würde sich einfach seltsam anfühlen.

»Hat sich eher kurzfristig ergeben«, erklärte er und stellte die Flasche wieder auf den Tisch. »Ich bin mit meinem Kumpel Ty hier.«

Überrascht sah ich mich um und lachte. »Hast du ihn im Zimmer versteckt?«

Nun grinste er auch. »Jap. Wir sind gleich nach deinem letzten Rennen zurück zum Hotel, und ich hab ihm gesagt, dass ich noch einmal ausgehe, um mich mit dir zu treffen.«

Überrascht hob ich eine Braue. »Ich hoffe nur, dein Freund nimmt es dir nicht übel, dass du ihn allein gelassen hast.«

»Wir teilen uns seit dem ersten Studienjahr eine Studentenbude – ich weiß, dass ich ihn ein paar Stunden allein lassen kann.« Er zwinkerte mir zu und schickte damit einen kleinen Feuerball in meinen Bauch, der dort für Wärme sorgte.

Um mich zu beruhigen, wich ich seinem Blick aus und wechselte das Thema. »Und wie geht es deinen Eltern?« Mit meinem Zeigefinger umkreiste ich die Öffnung des Flaschenhalses.

Als Matt nicht sofort antwortete, sah ich in sein Gesicht und bemerkte im letzten Moment, dass er ertappt von meinem Ausschnitt zu meinen Augen schaute.

»Matt! Hast du mir gerade auf die Möpse gestarrt?«, fragte ich gespielt schockiert und lachte, während ich mein Bier umfasste und mich, die andere Hand am Dekolleté, zurücklehnte.

»Denen geht es gut«, sagte er.

Irritiert versuchte ich zu verstehen, wieso es meinen Brüsten gut ging, als er mit einem spitzbübischen Grinsen »meinen Eltern, meine ich natürlich« anhängte.

Ich schenkte ihm einen Blick, der signalisierte, dass ich seinen Scherz für besonders schlecht hielt, und hörte ihm nur halbherzig zu, als er von der Wohltätigkeitsorganisation erzählte, die seine Mutter gründen wollte, und dem Segelausflug, den seine Eltern im Sommer geplant hatten. Stattdessen wurde mir bewusst, dass Matt und ich früher nie zweideutige Sprüche in Bezug auf uns beide gemacht hatten. Oder auf etwas, das zwischen uns passieren könnte.

Vielleicht interpretierte ich auch zu viel in diese ganze Sache hinein? Ich meine, wir saßen uns gegenüber und unterhielten uns. Ich hatte mit der Flasche gespielt und möglicherweise hatte er mit seinem Blick nur meine Fingerbewegungen verfolgt und gar nicht in meinen Ausschnitt gestarrt? Bestimmt war es so gewesen …

Jetzt kam ich mir blöd vor, weil ich das Thema auf meine Brüste gelenkt hatte.

Und doch hatte ich das Gefühl, dass sich im Vergleich zu früher etwas zwischen uns verändert hatte. Wir waren nicht mehr die Kinder, die gemeinsam aufgewachsen waren. Wir waren nicht länger die High-schoolkids, die unter der Woche in der Schule miteinander abhingen und in jeder freien Minute mit unseren Bikes Rennen gegeneinander fuhren, oder zum Schwimmen oder Joggen gingen. Wir waren erwachsen geworden, und mit diesem Prozess hatte sich etwas dazugesellt, was das Kommando über die Situation zwischen uns zu übernehmen schien. Denn ich ertappte mich dabei, dass ich Matt fasziniert beobachtete, wie er erneut die Bierflasche ansetzte und einen Schluck trank. Erst jetzt fiel mir auf, wie weich seine Lippen aussahen und dass sie einen vorher nicht bemerkten sinnlichen Schwung hatten. Der bescheuerte Wunsch keimte in mir hoch, dass ich selbst diese Flasche sein wollte, die seinem Mund so nahekam. Ich wünschte mir, dass er mich festhielte, wie er sie in seiner Hand hatte. Okay, nicht genau so, aber die Richtung, in die meine Gedanken liefen, zeichnete sich ganz eindeutig ab.

Immer noch erzählte er von New York, und was sich dort in den letzten Wochen getan haben musste, seit ich meine Eltern zu Weihnachten besucht hatte, doch ich bekam nichts mehr davon mit.

Stattdessen beherrschten Bilder meinen Kopf, die lange nicht mehr dort gewesen waren. Szenarien, die mich schockierten und faszinierten zugleich und von denen ich doch wusste, dass ich sie sofort wieder loswerden sollte. Matt und ich waren Freunde und nicht mehr. Und das würde auch so bleiben. Denn Gefühle für ihn zuzulassen würde zu schmerzhaft enden, um damit klarzukommen. Das hatte ich alles schon durch …

Ich setzte die Flasche an, legte den Kopf in den Nacken und ließ das Bier meine Kehle hinunterrinnen. Dann stellte ich sie wieder geräuschvoll auf den Tisch, bevor ich mich nach vorn beugte und einen Angriff wagte, der mich auf den Boden der Tatsachen zurückbringen sollte.

»Wie geht es Lotta?«

Ich hatte Matt mitten im Satz unterbrochen. Er runzelte die Stirn, als würde er einen Moment brauchen, um meinen Gedankengängen zu folgen. »Du meinst Lorretta?«

»Ja … genau. Wie auch immer. Lorretta. Wie geht es ihr?« Vielleicht war es arschig von mir, ihn auf seine Ex anzusprechen, die Ende November letzten Jahres mit ihm Schluss gemacht hatte. Ich wusste, er hatte zu Weihnachten davon erzählt, als meine Mom sich nach ihr erkundigt hatte, aber damals hatte ich diese Information nur am Rande wahrgenommen. Dass mein Matti eine ernsthafte Beziehung führte, war seltsam, und das Jahr zuvor hatte ich diese Tatsache einfach ignoriert, als er mit ihr aufgekreuzt war und seine neue Flamme allen vorgestellt hatte.

Dass sie Weihnachten nun gefehlt hatte, hatte mir gefallen. Vielleicht deshalb, weil ich seit frühesten Kindertagen Anspruch auf Matt erhob – und diesen mit einer anderen Frau wissentlich zu teilen, fühlte sich nicht richtig an.

Er verzog keine Miene, als er mich ein paar Sekunden schweigend musterte. Zu gern hätte ich herausfinden wollen, was in seinem Kopf vor sich ging. »Lorretta und ich sind nicht mehr zusammen. Wir haben uns seit der Trennung nicht mehr gesehen, sind uns maximal am Campus über den Weg gelaufen«, sagte er mit ruhiger Stimme. Ich konnte seinem Tonfall leider nicht entnehmen, ob es ihm egal war oder ob ihn diese Tatsache verletzte.

»Vermisst du sie?«, hörte ich mich fragen und erklärte mich im selben Moment für eine verrückte Sadistin.

Matt wich meinem Blick aus und schien in Gedanken versunken.

Sofort bereute ich meine Frage noch mehr, denn er wirkte … gekränkt.

»Manchmal denke ich, dass ich ein schlechter Mensch bin«, begann er schließlich.

Verwundert wartete ich auf eine Erklärung.

»Wenn man mit einem Menschen fast vierzehn Monate seines Lebens teilt, sollte man doch traurig sein, wenn einem dieser offenbart, nichts mehr für einen zu empfinden, oder?« Nun sah er mich fragend an. Aber er erwartete wohl nicht wirklich eine Antwort darauf, denn er redete weiter. »Wenn ich jedoch ehrlich bin, war ich erleichtert, als sie mir gesagt hat, sie würde sich von mir trennen.« Er lachte leise. »Ich dachte immer, ich hätte ihr und mir und meinen Eltern gegenüber eine Verpflichtung. Ich sollte mit ihr zusammen sein, weil es gut ins Bild gepasst hätte. Aber es war nicht gut. Es war nicht einmal eine Freundschaft, wenn man unsere damit vergleicht.« Er schnaubte auf. »Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe.«

Ich blinzelte, völlig perplex. Laut den Berichten meiner Mom am Telefon waren Matt und seine Flamme das neue Traumpaar gewesen. Und Bethany, Matts Mom, hatte anscheinend sogar schon Kleider für eine anstehende Verlobungsparty gekauft, so sicher war sie sich gewesen.

»Und wie ist es mit dir? Hast du jemanden?«

Seine Frage irritierte mich, ehe ich lachte. »Nein, wirklich nicht. Du kennst mich, ich brauche meine Freiheit.«

Er schmunzelte. »Stimmt. Du bist das Vögelchen, das immer wegfliegt, wenn ein Kerl die Hand nach ihm ausstreckt.«

»Idiot«, meinte ich grinsend, doch er zuckte nur mit den Schultern.

»Irgendwann wird diese eine Person in deinem Leben auftauchen, die deine Welt aus den Angeln hebt und zu deinem Lebensmittelpunkt wird.«

Ich lachte. »Du denkst ernsthaft, jemand könnte den Platz einnehmen, den Supercross in meinem Leben hat?«

»Nicht einnehmen. Aber es wird sich jemand dazugesellen.« Er zwinkerte mir zu.

»Und mir die Flügel stutzen, um mich am Fliegen zu hindern? Glaub mir, das wird nicht passieren. Dazu müsste mich erst jemand fangen. Außerdem liebe ich meine Freiheit zu sehr.«

»Derjenige wird nicht deine Flügel stutzen müssen, damit du bei ihm bleibst. Denn wenn er es versuchen würde, wäre er nicht der Richtige. Nicht für dich und für niemanden sonst. Wenn, dann muss das Vögelchen aus freien Stücken immer wieder zu ihm zurückkommen. Weil es sich ohne diese zweite Hälfte nicht mehr vollständig fühlt.«

Eine Weile musterte ich ihn. »Das klingt … poetisch. Und total beknackt. Vielleicht ist diese ganze Beziehungssache ja für andere ein Lebensziel, aber ich bleibe lieber meinem Sport treu. Da weiß ich, was mich zu erwarten hat.«

»Stinkende Umkleiden, Dreck und das Begießen von Niederlagen?«

»Hey!« Lachend boxte ich ihm gegen den Oberarm. »Heute feiere ich meine gute Platzierung!«

Matt grinste schief und sah mir dabei tief in die Augen. Und weil wir gerade von Vögelchen sprachen: In meinem Bauch schien eines zu flattern. Musste mir aus dem Oberstübchen abgestürzt sein, anders konnte ich es mir nicht erklären. Sofort verscheuchte ich es, und dieses kribbelnde Gefühl in der Magengegend verschwand langsam wieder.

Zum Glück vibrierte in dem Moment meine Armbanduhr und kündigte einen Anruf an.

Ich warf einen Blick darauf und verdrehte die Augen. »Meine Mom ruft an«, erklärte ich, während ich bereits meine Clutch öffnete, um das Telefon herauszuholen. Hin und wieder blieb sie wach, um mich nach den Rennen noch anzurufen. Dass sie das nun auch machte, wo ich an der Westküste fuhr und es in New York drei Stunden später war, überraschte mich.

Matt wusste ebenfalls, was ihr Anruf bedeutete … Er schenkte mir einen mitleidsvollen Blick, als das Klingeln aufhörte – und gleich darauf von Neuem begann.

Frustriert seufzte ich. »Sieht wohl so aus, als müsste ich rangehen.« Ich atmete tief durch und hob dann mit einem ruhigen »Hi, Mom« ab.

»Schätzchen, wo warst du denn? Ich hab eben schon mal angerufen, aber du warst nicht erreichbar.«

Ich verdrehte die Augen. »Ich war bis eben noch in einer Besprechung«, log ich und grinste dabei Matt entschuldigend an.

Dieses Gespräch könnte unter Umständen länger dauern, und es nervte mich schon jetzt, dass sie unsere Unterhaltung unterbrochen hatte. Frustriert stützte ich den Kopf in die freie Hand.

»Ach so. Ich wollte dir auch nur zu deinem Rennen gratulieren. Der einundzwanzigste Platz ist nun nicht besonders toll, oder? Aber alles andere wäre auch utopisch, du bist schließlich eine Frau.«

Mit ihr darüber zu diskutieren, würde keinen Sinn ergeben, also hielt ich den Mund und presste die Kiefer aufeinander, um mich nicht zu vergessen. Meine Mom war unfassbar anstrengend, hatte noch nie Verständnis für meine Leidenschaft gezeigt und hatte auch nicht das Talent, mich aufzubauen oder sich für mich zu freuen.

»Hast du das Rennen gesehen?«, fragte ich, auch weil ich mich wunderte, dass sie über das Ergebnis Bescheid wusste. Bisher hatte sie sich nie großartig für meinen Sport interessiert, im Gegenteil. Doch jetzt, wo ihre Tochter an der Weltmeisterschaft teilnahm, war es wohl etwas anderes …

»Nein, du weißt ja, ich kann dich nicht fahren sehen. Aber ich habe die Ergebnisse gegoogelt.«

Enttäuschung überschwemmte mich, obwohl mir ihre Antwort eigentlich egal sein könnte. Ich kannte sie nicht anders, und im Grunde hätte ich damit rechnen müssen, so etwas von ihr zu hören.

Vielleicht war ich gerade deshalb so ehrgeizig – in der Hoffnung, sie wäre einmal stolz auf mich und würde gutheißen, was ich tat.

»Und was hat Dad dazu gesagt?«, fragte ich und hätte mich im nächsten Moment am liebsten geohrfeigt. Schließlich kannte ich seine Einstellung zu meinem Sport.