Spion aus dem Meer - Jörg Rönnau - E-Book

Spion aus dem Meer E-Book

Jörg Rönnau

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Beschreibung

Eine Waffe gefährdet die Erstürmung der Normandie "Wenn sie diese neumodische Waffe an der französischen Küste und am restlichen Atlantikwall einsetzen, dann endet die Invasion der Alliierten in einem Blutbad, bevor die Schiffe überhaupt ihr Ziel erreichen." 1943: Peter Heuer, deutschstämmiger Kommandant des US-Navy Geleit-Zerstörers USS Ellwood, erhält einen gefährlichen Auftrag. Beim Kampf gegen Nazideutschland und dessen Gräueltaten wird er von seinem langjährigen Freund Alexander "Aki" Smith, Captain der US-Navy, für eine Spionagemission des amerikanischen Geheimdienstes angeworben. Es gilt, die Lage und Einsatzfähigkeit einer militärischen Versuchsanstalt an der Kieler Förde ausfindig zu machen, auf der die Nazis eine neuartige Schiffsabwehrrakete mit dem Namen "Thors Hammer" erproben. Dieses innovative Waffensystem soll die geplante Invasion der Alliierten in der Normandie aufhalten. Bald landen Heuer und Smith per Fallschirm an der Ostseeküste und treffen dort Gräfin Dorothea von Zwiewitz, Spionin des britischen Geheimdienstes. Peter und Dorothea kennen sich seit Jugendtagen und verlieben sich ineinander, als der gefährliche Auftrag beginnt. Als die Mission fast schon gelungen scheint, kommt es zu einem dramatischen Showdown. Wird es Heuer, der Gräfin und Smith gemeinsam gelingen, dem SS-Hauptsturmführer Bodo von Schwentau zu entkommen? Während der Mission erinnert sich Heuer an die zahlreichen Abenteuer, die er bereits auf See erlebt hat. Temporeich und voll überraschender Wendungen erzählt Jörg Rönnau vom Schicksal eines Mannes, der das Leben auf See liebt, und liefert damit ein spannendes Kaleidoskop der Seefahrt der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.

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Ähnliche


Jörg Rönnau

Spion aus dem Meer

Weltkriegs-Thriller

 

Über das Buch

1943: Peter Heuer, deutschstämmiger Kommandant des US-Navy Geleit-Zerstörers USS Ellwood, erhält einen ­gefährlichen Auftrag. Beim Kampf gegen Nazideutschland und dessen Gräueltaten wird er von ­seinem langjährigen Freund Alexander »Aki« Smith, Captain der US-Navy, für eine Spionagemission des ameri­kanischen Geheimdienstes angeworben. Es gilt, die Lage und Einsatzfähigkeit einer militärischen ­Versuchsanstalt an der Kieler Förde ausfindig zu machen, auf der die Nazis eine neuartige Schiffsabwehr­rakete mit dem Namen »Thors Hammer« erproben. ­Dieses innovative Waffensystem soll die geplante Invasion der Alliierten in der Normandie aufhalten. Bald landen Heuer und Smith per Fallschirm an der Ostseeküste und treffen dort Gräfin Dorothea von Zwiewitz, Spionin des britischen Geheimdienstes. Peter und ­Dorothea kennen sich seit Jugend­tagen und verlieben sich ineinander, als der gefährliche Auftrag beginnt. Als die Mission fast schon gelungen scheint, kommt es zu einem dramatischen Showdown. Wird es Heuer, der Gräfin und Smith gemeinsam gelingen, dem ­SS-Hauptsturmführer Bodo von Schwentau zu entkommen?

Während der Mission erinnert sich Heuer an die zahlreichen Abenteuer, die er bereits auf See erlebt hat. Temporeich und voll überraschender Wendungen erzählt Jörg Rönnau vom ­Schicksal eines Mannes, der das Leben auf See liebt, und liefert damit ein spannendes ­Kaleidoskop der Seefahrt der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder ­Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen ­Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

Copyright © 2022 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

1. Auflage 2022

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle

Korrektorat: Angelika Wiedmaier

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Covergestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotive: © Alexyz3d/Shutterstock, zef art/Shutterstock, Ysbrand Cosijn/Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

Druck: Booksfactory

Made in Germany

ISBN: 978-3-948346-52-2

 

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Inhalt

Widmung

Meeresfieber

Frühsommer 1943, Norfolk, USA

Northern Clipper, 1905

Cape Cod, USA, 1943

RMS Titanic, Nordatlantik, 1912

Zerstörer USS Lobster, Atlantik, 1943

Kleiner Kreuzer SMS Wiesbaden, 1915

Glemsford, Großbritannien, 1943

Die Schäreninsel, Schweden, 1916

Ankunft in Deutschland, 1943

Vereinigte Staaten von Amerika, 1916

Spähtrupp, 1943

Die einsame Insel, 1920

Treffen mit dem Fischer, 1943

Erika und Erika, 1928

Thors Hammer, 1943

Das Treffen in Kiel, 1943

Rettung aus Deutschland, 1938

Die Versuchsanlage, 1943

Der Plan, 1943

In the Navy, 1942–1943

Die Befreiung, 1943

Endkampf, 1943

Epilog

Old Katey, Sommer 2020

Anmerkungen

Danksagung

Leise kommt die Nacht

Der Autor Jörg Rönnau

Weitere Titel von Jörg Rönnau

Widmung

Für Iris, Annelie und Justus

Meeresfieber

Ich muss wieder hinaus auf die See, hinaus in die einsame Ferne,

brauch nur ein stolzes Schiff und den Weg mir weisende Sterne,

und des Ruders Zerren und des Winds Gesang und der Segel Knallen und Schwellen

und am frühen Morgen das Nebelgrau auf den milchig tanzenden Wellen.

Ich muss wieder hinaus auf die See, weil keiner dem Ruf widersteht,

dem lauten unmissverständlichen Ruf, der von den Fluten her weht;

brauch nur einen Wind, der die Wolken jagt, und der brodelnden Wogen Gespei

und die Fontänen der sprühenden Gischt und der Möwen schrilles Geschrei.

Ich muss dringend hinaus auf die See, in die Freiheit wieder einmal,

hinaus in die Weite bei Wind und Wetter, begleitet von Möwe und Wal,

brauch nur einen fröhlichen Kumpel, der lustiges Seemannsgarn spinnt,

und ruhigen Schlaf und süßen Traum, wenn der Rausch schließlich zerrinnt.

John Edward Masefield (1878–1967), britischer Schriftsteller

Frühsommer 1943, Norfolk, USA

Langsam glitt der graue, einhundert Meter lange Stahlrumpf der USS Ellwood an die Kaimauer des Marinestützpunkts Norfolk. Matrosen warfen die Trossen zur Befestigung an Land. Eine Militärkapelle spielte Stars and Stripes Forever. Das Kriegsschiff kehrte nach einem zweimonatigen Einsatz zurück in seinen Heimathafen. Es hatte, zusammen mit fünf weiteren amerikanischen und britischen Zerstörern, einen Schiffskonvoi von Kanada nach England begleitet. Von den gestarteten zweiunddreißig Frachtern, die mit Material zur Versorgung des kriegsgebeutelten Großbritannien beladen waren, hatten sie drei durch feindliche deutsche Unterseeboote verloren.

Die grauen Wolfsrudel lauerten im Atlantik auf ihre ­Beute, hatten in den ersten Kriegsjahren Tausende von Schiffs­tonnagen versenkt. Aber dank der zunehmenden Flug­aufklärung der US Air Force und der britischen Luftstreitkräfte, die nun über weitreichende Seeaufklärer verfügten, und einer neuen Erfindung, dem sogenannten ASDIC (Anti Submarine Detection Investigation Committee), einem ­verbesserten Sonar-­Vorläufer, ging es den U-Booten zunehmend an den Kragen. Sie verloren langsam die Herrschaft auf dem ­Atlantik und aus den grauen Jägern wurden Gejagte.

Die Gangway wurde vom Schiff heruntergelassen und ein hoher Offizier, der bereits die ganze Zeit über das ­Einlaufen beobachtete, stieg aus seinem offenen Jeep Willys. Er ­richtete seine Mütze, zog seine maßgeschneiderte Uniformjacke glatt und musterte mit geübtem Blick den Zerstörer der ­Mahan-Klasse. Die Matrosen an der Pier erkannten am Dienstgrad einen Captain und salutierten. Der Offizier erwiderte den Gruß und enterte den schmalen Laufsteg. Oben angekommen stoppte er kurz, grüßte militärisch zum am Heck wehenden Sternenbanner und wurde vom Kommandanten der Ellwood empfangen, der ihm grinsend die Hand entgegenhielt.

»Peter, schön dich zu sehen. Ich hoffe, ihr hattet eine gute Überfahrt. Wie geht’s dem ollen Churchill? Alles wohlauf im Königreich?«, fragte der Captain.

»Guten Morgen, Aki. Die Rückfahrt verlief ruhig und ohne Feindkontakt, unterhalb von St. John’s hat uns allerdings ein Sturmtief ordentlich durchgeschüttelt, aber die ­Ellwood ist nach ihrem schweren Treffer im letzten Jahr ­wieder ganz die Alte. Das robuste Schiff wettert auch die dicksten Brecher gelassen ab.«

Die beiden verschwanden im Inneren des Kriegsschiffs und erreichten die Kapitänskajüte, die nur aus ­einem ­winzigen Raum mit einer Koje, einer kleinen Wasch­ecke, Kleiderschrank und Schreibtisch bestand, darauf die ­Fotografie ­einer gut aussehenden blonden Frau. Sie lachte ­vergnügt in die Kamera. Im Hintergrund erkannte man ­Dünen, Meer und weit entfernt am Horizont eine stolze Windjammer. Captain Alexander Smiths Blick haftete auf dem idyllischen Bild und sein Lächeln gefror.

»Es tut mir immer noch sehr leid für dich, Peter. Erikas Tod schmerzt. Sie war einer der wunderbarsten Menschen, die ich je gekannt habe.«

Smith sprach jetzt Deutsch, denn hier waren sie unter sich. Die beiden Männer kannten sich schon eine Ewigkeit, ­fühlten sich wie Brüder. Sie hatten zusammen bereits ­unendlich viel erlebt und der dreiundfünfzigjährige Smith war nur knapp ein Jahr älter als Lieutenant Commander Heuer.

Dieser nickte, wobei sich in seinem Gesicht kurzzeitig ein nie endender Schmerz abzeichnete. »Ich werde sie niemals vergessen, aber die Zeit heilt alle Wunden, ihr Unfall ist jetzt einige Jahre her. Katey wird ihrer Mutter immer ähnlicher, mit ihr ist ein Teil von Erika immer noch bei mir.«

Captain Smith nickte, er kannte den quirligen Teenager gut, liebte das Mädchen sehr, war ihr Taufpate. Heuer öffnete den Schrank und holte eine Flasche Kentucky Bourbon sowie zwei Gläser heraus.

»Eiswürfel sind leider ausgegangen! Auch mit Kaviar oder Lachs kann ich momentan nicht dienen. Die Navy sorgt eben schlecht für ihre Offiziere«, frotzelte Heuer.

Die Männer prosteten sich zu, lachten und tranken.

»Bevor du in den wohlverdienten Urlaub gehst und in dein Haus nach Cape Cod fährst, haben wir heute Mittag noch einen wichtigen Termin, mein Lieber.«

Heuer schaute seinen Freund verwundert an.

»Rear Admiral Newmann will uns sprechen. Ich weiß nicht genau, worum es geht, aber anscheinend handelt es sich um ein ganz großes Ding. Im Offizierskasino munkelt man, dass es bald losgeht und …«

»Die Invasion?«, unterbrach ihn Heuer und zog erstaunt die Augenbrauen nach oben.

»So ist es. Anscheinend machen die da oben nun Ernst und wollen Hitler so richtig in den Arsch treten. Aus der ­Admiralität sickern immer öfter Details heraus. Im ­nächsten Frühjahr wollen die Alliierten in Italien landen, wo genau ist noch ungewiss. Wahrscheinlich irgendwo im Süden. Vielleicht Sizilien? Im Sommer soll eine weitere ­Invasion, ­irgendwo zwischen Dover und der Normandie, statt­finden. Alles topsecret! Die Tommys sind schon mächtig heiß ­darauf, loszuschlagen. Die wollen den Deutschen ­lieber ­heute als ­morgen den Hintern versohlen. Wahrscheinlich sollen ­General ­Eisenhower und Montgomery als Ober­befehlshaber der ganzen Aktion agieren.«

Heuer pfiff durch die Zähne und schaute nachdenklich auf die goldfarbene Flüssigkeit in seinem Glas.

»Dann ist es wohl tatsächlich so weit und wir befreien endlich unsere alte Heimat von diesen verfluchten Nazis.«

Smith kramte ein silbernes Etui aus der Hosentasche und zündete sich eine Zigarette Marke Camel an.

»Peter, wir leben zwar bereits seit Jahrzehnten in ­Amerika, aber du stammst von der holsteinischen Ostseeküste, ich bin ein Hamburger Jung, viele in Deutschland denken so wie wir und sind mit der nationalsozialistischen ­Regierung nicht einverstanden. Du weißt selbst, dass die meisten ­unserer ehemaligen Landsleute keine Unmenschen sind. Die ­wurden alle durch die Nazi-Propaganda indoktriniert. Wir wissen aus sicheren Quellen, dass inzwischen auch ranghohe ­Offiziere die deutsche Regierung kritisieren, und Gerüchte von ­einem Putsch machen die Runde. Sogar Wilhelm ­Canaris hat sich, hinter vorgehaltener Hand, gegen Hitler geäußert. Wir sind zwar Amis, aber im Herzen immer noch deutsche See­männer. Nun wird es endlich, endlich Zeit, unsere alte ­Heimat von dieser furchtbaren Diktatur zu befreien!«

Heuer grinste, hob erneut sein Glas und prostete seinem Freund zu.

»Dann geht es endlich los. Auf ein freies Deutschland, Aki! Cheers!«

***

Mittags fuhren die beiden Männer in Smiths Jeep über den weitläufigen Marinestützpunkt zum Offizierskasino, um dort eine Mahlzeit einzunehmen. Während des ­Essens ­trällerte ununterbrochen Here Comes the Navy von den ­Andrew Sisters aus der Musikbox. Ein junger Offizier warf immer wieder Pennys in den Kasten, wählte diesen Song, ­schaute gedanken­verloren in sein Bierglas und trommelte die ­Melodie auf dem Tisch mit. Heuer und Smith schauten sich schmunzelnd an. Beide dachten daran, dass es sich bei dem Lied ursprünglich um den deutschen Schlager Rosamunde handelte. Ob der ­junge Lieutenant das wusste?

Eine halbe Stunde später machten sie sich auf den Weg zum Stabsgebäude, in dem sich das Büro von Rear ­Admiral ­Newmann befand. Die Sommersonne brannte von ­einem wolkenlosen Himmel auf Virginia herunter. Auf dem ­ganzen Areal herrschte ein geschäftiges Treiben. Von den Airfields starteten und landeten Flugzeuge im Minutentakt. Heuer erkannte an einem der Piers einen gigantischen Flugzeugträger, die USS Tripoli. Sie stand kurz vor der Indienststellung und wurde momentan für ihren ersten Einsatz im Atlantik ausgerüstet.

Seit Aki ihm vom Treffen mit dem bärbeißigen Admiral erzählt hatte, machte Heuer sich Gedanken, was der Oberbefehlshaber der Zerstörerflotte im Atlantik von ihnen ­wollte. Eigentlich sollte Peter bereits nach Cape Cod unterwegs sein, um endlich seine Tochter wiederzusehen und zwei Wochen in seinem Haus am Strand zu verbringen. Er ­freute sich auf stundenlange Spaziergänge am Meer, wollte den Krieg für ein paar Tage vergessen, nur Frieden und Ruhe. Nun dieses Treffen. Aber sein Freund Aki schwieg eisern. Sie kannten sich seit annähernd vierzig Jahren, Alexander verschwieg ihm etwas, das spürte Heuer. Dabei hatte ausgerechnet Aki ihn vor zwei Jahren in diesen verdammten Krieg hineingequatscht.

Rear Admiral Newmann empfing sie in seinem groß­räumigen, aber spartanisch eingerichteten Büro. Der bullige Sechzigjährige von annähernd zweihundertzwanzig Pfund Lebendgewicht, mit Glatze und Boxernase, stammte aus der Bronx, New York. Er hatte sich von ganz unten hoch­gearbeitet. Ein Bulle, der alles niedertrampelte, was sich ihm in den Weg stellte. Im Ersten Weltkrieg hatte er als einer der ersten Kampfpiloten der USA Einsätze über Frankreich ­geflogen und er galt als Haudegen und Draufgänger, der sich damals gern prügelte, doch mit zunehmendem Alter und als Vater von sechs Töchtern wurde sogar Newmann seit Kriegsbeginn etwas ruhiger. Das Einzige, worauf er nun einprügelte, waren Golfbälle.

Der Admiral bugsierte die Männer zu einer Sitzgruppe, an der bereits ein weiterer Offizier wartete, der sich bei ihrer Ankunft erhob und sie freundlich empfing.

»Darf ich Ihnen Captain Whittaker vom CIC, dem Counter Intelligence Corps, einer neu gegründeten Einheit zur Spionage­abwehr, vorstellen?«, brummte Newmann mit ­seiner ­sonoren Stimme. Gleichzeitig wandte er sich an ­Peter. »Lieutenant Commander Heuer, wir wissen, dass Sie so schnell wie möglich Ihren wohlverdienten Urlaub antreten wollen, aber es gibt wichtige Dinge, die der Captain Ihnen darlegen möchte. Also lassen Sie uns keine Zeit verlieren.«

Es klopfte an der Tür. Ein Sergeant betrat den Raum und stellte ein Tablett mit Kaffee und Sandwiches auf den Tisch. Nachdem der Unteroffizier den Raum wieder ver­lassen ­hatte, schenkten sie sich von dem schwarzen Gebräu ein und Whittaker ergriff das Wort.

»Meine Herren, ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden: Wir brauchen Sie. Captain Smith und ­Lieutenant Heuer, Sie stammen beide aus Deutschland, sind dort aufgewachsen und kennen sich mit den dortigen ­Gegebenheiten aus. Das prädestiniert Sie geradezu dafür, dort für uns als Spione zu agieren …«

Heuer, der gerade einen Schluck Kaffee trank, ­verschluckte sich am heißen Gebräu und unterbrach den Captain dadurch.

»Sagen Sie uns, dass das ein Scherz ist«, hustete er in eine Papierserviette hinein, dabei blickte er immer wieder zu Aki, der allerdings sein Pokerface zeigte.

»Keineswegs, Lieutenant Commander.« Whittaker ­lächelte. »Es dienen sehr viele deutschstämmige Soldaten in unserer Armee, auch als hohe Offiziere, so wie Sie beide, aber ­niemand könnte diesen Job besser erledigen, als zwei Männer, die sich in Deutschland bestens auskennen, dort nicht auffallen und gleichzeitig auch noch Seemänner sind.«

»Was für eine Aufgabe wäre das?«, fragte Aki neugierig lächelnd und entzündete sich eine Camel. Heuer suchte derweilen nach einer weiteren Serviette und wischte sich den Mund ab, musste sich aber immer wieder räuspern.

»Wir würden Sie dafür natürlich gründlich ausbilden. Was ich Ihnen jetzt allerdings erzähle, ist topsecret und darf diesen Raum nicht verlassen! Die Vorbereitungen für eine ­Invasion in Italien sind fast abgeschlossen, die Alliierten werden bereits in wenigen Wochen einen Brückenkopf in Salerno errichten. Wir rechnen dort mit wenig Widerstand, denn die Deutschen haben verhältnismäßig wenige ­Truppen in Italien. Vermutlich im Mai oder Juni nächsten Jahres wird es eine weitere Invasion geben. Das amerikanische und britische Oberkommando hat dafür die Normandie auser­koren. Diese Aktion wird jedoch wesentlich schwieriger. Wie Sie wissen, haben die Nazis in den letzten Jahren den sogenannten Atlantikwall errichtet. Befestigungsanlagen an den Küsten von Norwegen bis hinunter nach Frankreich. Schwere Geschützbatterien, Flugabwehr, verminte Strände, Panzersperren, Stacheldraht, Seeminen. Das wird dort kein Kindergeburtstag und wir rechnen bereits gleich zu Beginn der Invasion mit hohen Verlusten. Die Nazis werden uns allerdings an den Stränden von Calais erwarten, dazu läuft eine groß angelegte Verschleierungstaktik, aber wir treten ihnen in der Normandie in den Arsch. Kommen wir nun zu Ihnen, meine Herren! Lieutenant Commander Heuer, aus Ihrer Personal­akte konnten wir entnehmen, dass Sie in der Nähe von Kiel aufgewachsen sind und sich an der ­dortigen Ostseeküste gut auskennen. Deshalb sind Sie für uns von unschätzbarem Wert, denn dort gibt es etwas, das uns sehr beunruhigt. Sie werden zuerst mit dem Fallschirm über Norddeutschland abspringen, um sich mit weiteren ­Agenten zu treffen. Dort erhalten Sie Papiere, die Sie als Offiziere der Deutschen Kriegsmarine ausweisen, und Ihre Aufgabe ­besteht darin, eine streng bewachte und geheime militärische Anlage auszukundschaften.«

Heuer und Smith warfen sich einen schnellen Blick zu, wobei sich der Captain ein leichtes Grinsen nicht verkneifen konnte und eine weitere Camel anzündete. Aki, schon immer ein Draufgänger, war stets für jeden Schabernack zu haben, je gefährlicher, desto besser. Heuer hingegen galt eher als ruhiger und besonnener Typ, wägte stets alle Eventualitäten gründlich ab.

»Können Sie uns das näher erläutern?«, fragte Smith.

»Die Deutschen arbeiten östlich der Kolberger Heide, ­irgendwo zwischen Heidkate und Hohenfelde, an einer ­neuen, streng geheimen Superwaffe, einer sogenannten Schiffsabwehrrakete mit dem glorreichen Namen Thors Hammer. Derzeit ist uns nur bekannt, dass diese neu­artige Waffe bisher in der Raketenversuchsanstalt ­Peenemünde ­getestet ­wurde. Dort arbeiten die deutschen ­Ingenieure ­unter ­Leitung von Wernher von Braun nun allerdings fieber­haft an der V1, einer Rakete, die hohe Sprenglasten ­tragen kann und eine große Reichweite besitzen soll. Deshalb ­musste Thors Hammer ausweichen. Dafür wurde innerhalb ­kürzester Zeit eine Anlage nordöstlich von Kiel aus dem ­Boden gestampft. Die liegt aber dummerweise in einem ­größeren Wald­gebiet direkt an der Küste, sodass die britischen Spitfire-­Aufklärungsflugzeuge dort kaum brauchbare Fotos schießen können. Wir können diesen verdammten Ort nicht exakt ­lokalisieren. Darf ich Sie an die Karte bitten?«

Die Männer standen auf und gingen zu einer Landkarte, die an der Wand hing und die Umgebung der Ostseeküste von Kiel bis Lübeck zeigte. Dort umkreiste Whittaker ein Gebiet mit seinem Stock.

»Ungefähr dort, irgendwo zwischen dem ­Schönberger Strand und Behrensdorf, muss sich diese militärische Versuchs­anlage befinden. Wir müssen wissen, wo genau, wie weit die Entwicklung von Thors Hammer fortge­schritten und ob diese Rakete bereits einsatzbereit ist. Unsere ­Informanten haben allerdings berichtet, dass … und dabei ­kommen Sie ins Spiel.«

Der Captain redete und redete. Etwa eine halbe ­Stunde lang erklärte ihnen Whittaker die Mission, wobei er ­immer wieder vor Nervosität an seinem Krawattenknoten ­nestelte, um Luft zu bekommen. Nach seinen Ausführungen ­herrschte etwa fünf Minuten absolute Stille. Keiner der Männer sprach ein Wort. Aus dem geöffneten Fenster hörte man immer wieder das Brummen startender Flugzeuge.

»Also, ich bin dabei«, unterbrach Smith als Erster das Schweigen zwischen den Männern. »Könnte ein interes­santes Abenteuer werden. Außerdem würde ich mir das jetzige Deutschland gern einmal ansehen, ich war immerhin einige Jahre nicht mehr in Kiel. Zuletzt 1936 bei den Olympischen Sommerspielen im Segeln. Außerdem wollte ich schon immer mal in die Probstei. Peter, was meinst du?«

Dieser blickte zuerst nachdenklich in seine leere ­Kaffeetasse, um danach jeden der Männer im Raum kurz zu ­mustern. Heuer dachte dabei an seine Kindheit. Er kannte die Probstei und die dortige Ostseeküste gut, hatte damals jedes Jahr die Sommerferien bei seiner Tante verbracht.

»Rear Admiral Newmann, darf ich mir dazu eine Bedenk­zeit erbitten? Ich kann so eine Entscheidung nicht ad hoc fällen und muss darüber nachdenken. Zudem würde ich gern mit meiner Tochter reden, natürlich unter strengster Geheimhaltung. Ich würde ihr nicht erklären, worum es ­genau geht. Außerdem ist die Ellwood in zwei Wochen ­wieder einsatzbereit und soll einen weiteren Geleitzug über den ­Atlantik nach Liverpool bringen. Ich kann doch meinen Posten als Kommandant nicht so einfach verlassen.«

Bevor der Admiral antworten konnte, sprach Captain Whittaker.

»Lieutenant Commander, Sie brauchen sich um Ihre Pflichten auf der Ellwood keine Gedanken zu machen. Die Admiralität stellt Sie für diese Mission frei. Trotzdem kann und darf ich Ihnen nur wenig Bedenkzeit einräumen, denn die Zeit drängt. Die Planungen laufen auf Hochtouren und der Geheimdienst benötigt die Informationen so schnell wie möglich. Aber okay, ich gebe Ihnen eine Woche. Fahren Sie nach Cape Cod und denken Sie zu Hause darüber nach. In ein paar Tagen teilen Sie mir Ihre Entscheidung mit, ­wobei ich natürlich hoffe, dass Sie uns diesen Dienst ­erweisen ­werden. Die USA und die Alliierten benötigen dringend diese Informationen. Das Leben Tausender könnte davon ­abhängen. Außerdem kann ich Ihnen beiden versichern, dass sich dies in Ihrer Personalakte widerspiegeln und Sie dabei sicherlich mehr als einen Dienstgrad nach oben …«

Die letzten Worte hörte Heuer kaum noch. Nachdenklich blickte er aus dem Fenster und konnte die USS ­Tripoli ­erkennen, an dessen Heck das Sternenbanner im Wind ­flatterte.

***

Nachdenklich schaute Heuer aus dem Fenster der Transportmaschine. Die Curtiss C-46 Commando befand sich auf dem Flug von Norfolk nach New Bedford. Sie hatten Long Beach Island und New York bereits überflogen und ­befanden sich nun über dem Atlantik. Der Lieutenant ­Commander ­dachte darüber nach, ob er diesen Auftrag annehmen sollte. Es würde ein gefährliches Unterfangen werden, aber vielleicht könnte er damit tatsächlich den Kriegsverlauf beeinflussen. Dieser furchtbare Krieg musste einfach so schnell wie ­möglich beendet werden. Sollte er den Job übernehmen? Mit Aki an seiner Seite wäre dies wahrscheinlich sogar zu meistern. Aber was würde passieren, wenn etwas schiefging? Die Nazis würden sie sofort standrechtlich ­erschießen. Konnte er Katey das antun? Durfte er einem Teenager den Vater rauben, wo sie bereits seit Jahren auf ihre geliebte Mutter verzichten musste? Sie besaß doch nur noch ihn und Tante Lucie.

Dieser verdammte Krieg! Peter ballte die Hand zur Faust.

Plötzlich erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Durch das Flugzeugfenster erkannte er den Block Island Sound und ­einige Seemeilen vor der Küste segelte ein Dreimaster, eine Bark. Tatsächlich, eine Windjammer. Unter Vollzeug fuhr das Schiff Richtung Martha’s Vinyard. Stolz durchpflügte ihr weißer Rumpf die Wellen. Gischt spritzte am Bug empor. Er konnte die Augen kaum abwenden, dieser Anblick ließ sein Herz vor Freude hüpfen und er musste an sein eigenes Schiff denken, das momentan im Hafen von Bridgeport lag.

All Sails los!

In seinem inneren Ohr hörte er auf einmal den Bootsmann einen Shanty anstimmen und die Mannschaft antwortete im Chor:

I heard, I heard the old man say, hey

John Kanaka Kanaka tura yay,

Today, Today is a holiday

John Kanaka Kanaka tura yay,

Tura yay, oh, tura yay,

John Kanaka Kanaka tura yay …

Ein wohliges Gefühl durchströmte ihn. Das war Seefahrt in ihrer reinsten Form, so, wie er sie liebte. Nur Segel, Schiff, Mannschaft, Meer, Wellen und Wind. In absoluter Harmonie über die Ozeane kreuzen. So hatte einmal alles begonnen, vor so langer Zeit. Wie jung er damals gewesen war, ein Grünschnabel, ein kleiner Pimpf voller Flausen im Kopf und voller Sehnsucht nach Abenteuern auf dem Meer.

Damals, im Sommer 1905 …

Northern Clipper, 1905

Die Masten der Segelschiffe schienen bis in den Himmel zu ragen. Staunend schaute Peter immer wieder hinauf und meinte, dass ihre Spitzen bestimmt die Wolken berühren mussten, so hoch erschienen sie ihm. Sein Großvater musste auch immer wieder hinaufsehen. Dort oben würde Peter bald stehen, ganz oben und dann vor Freude in den salzigen Seewind jubeln und von der höchsten Top ins Meer hinunterspucken. Seit Wochen freute er sich bereits auf diesen Tag, endlich erfüllte sich sein langersehnter Wunsch und er würde Seemann werden.

Opa setzte sich auf einen Poller an der Kaimauer und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht – oder waren es Tränen? Peter stellte den Seesack auf den Boden, den ihm seine Mutter in Kiel bei einem Ausrüster in der Nähe vom Satorikai gekauft hatte und den er schon den ganzen Vormittag stolz auf der Schulter trug. Nun war er ein echter Seemann. Die vollgepackte Seekiste schickten sie bereits vor ein paar Tagen als Frachtpost nach Hamburg.

Der Junge ließ den Blick über die Schiffe im Hafen ­schweifen. Überall lagen Segler und Dampfer vertäut, ­dümpelten in den Wellen. Auf der Elbe fuhren unzählige Schiffe. Noch niemals zuvor war Peter in einer so großen Stadt wie Hamburg gewesen. Noch niemals zuvor hatte er einen solch riesigen Hafen gesehen. Wie viele verschiedene Menschen es hier gab, sogar ein Dunkelhäutiger mit einem goldenen Ohrring und mehrere Chinesen mit langen ­Zöpfen waren ihm bereits begegnet.

Oft fuhr er mit seiner Mutter oder mit Opa nach Kiel, aber der Reichskriegshafen an der Förde war nicht annähernd so gewaltig wie der Hamburger Handelshafen.

Sein Großvater stand auf, legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Wir müssen weiter, mien Jung, dein Schiff soll noch ein ganzes Stück flussabwärts liegen.«

Bereits früh am Morgen waren sie aufgebrochen. Zuerst mit der Eisenbahn von Preetz nach Kiel und von dort aus weiter in die Hansestadt an der Elbe. Seine Mutter und die Großmutter weinten beim Abschied und nahmen ihn immer wieder in die Arme. Am Bahnhof winkten sie dem Dampfross hinterher. Noch lange konnte er ihre Tränen sehen, doch Peter empfand nur Freude und Abenteuerlust.

Im Frühjahr hatten sie seine Konfirmation gefeiert und vor zwei Monaten hatte er die Volksschule beendet. Nun, mit gerade einmal vierzehn Jahren, begann eine neue ­Zukunft als Schiffsjunge auf einem Handelssegler, einer echten ­Hamburger Windjammer, für ihn. Seine Klassen­kameraden platzten alle vor Neid. Ihr Schicksal war es, eine stink­normale Lehrstelle als Schuhmacher, Maurer, Zimmer­mann oder Tischler anzutreten. Nicht so Peter Heuer. Nein, er würde in die Fußstapfen seines verstorbenen Vaters ­treten und ­Matrose werden. Schiffsjunge auf der legendären ­Northern Clipper, dem Flaggschiff der renommierten ­Hamburger ­Reederei PACC, der Petersen-Atlantik-Clipper-Company.

Opa Friedrich tippte Peter plötzlich auf die Schulter und zeigte auf ein riesiges Segelschiff, das sich nun genau vor ihnen an der Kaimauer befand. Dem Jungen stockte der Atem. So gigantisch hatte er sich das Schiff nicht vorgestellt, obwohl er sämtliche Maße des Seglers auswendig kannte. Ein Viermast-Vollschiff mit Stahlrumpf. Dreitausendzweihundert Bruttoregistertonnen, einhundertfünf Meter lang, vierzehn breit, sechs Meter Tiefgang, Höhe vom Großmast knapp über zweiundfünfzig Meter, gesamte Segelfläche viertausendeinhundert Quadratmeter, ­Höchstgeschwindigkeit siebzehn Knoten, etwa dreißig Mann Besatzung. In ­einem Zeitungsartikel der Kieler Neusten Nachrichten ­hatte er ­einmal gelesen, dass die Northern Clipper den Strecken­rekord ­zwischen ­Hamburg und der chilenischen ­Hafenstadt ­Valparaíso ­gebrochen hatte. In nur zweiundsechzig Tagen legte sie die fast zehntausend Seemeilen, das waren immer­hin achtzehntausend Kilometer, zurück. Da konnten wahrscheinlich nicht einmal die schnellsten Dampfschiffe ­mit­halten. Zur Besatzung dieser Windjammer würde auch er nun gehören. Stolz prangte die Galionsfigur, eine voll­busige Seejungfrau mit wallendem Haar, am Bug. An den Seiten stand, in goldenen, geschwungenen Buchstaben, der Name am schwarzen Rumpf. Northern Clipper.

Dieses Schiff würde also für die nächsten Monate und Jahre sein Zuhause sein. Im Brief der Reederei hieß es, dass die Windjammer zuerst über den Atlantik nach Buenos Aires fuhr. Mit dem Bauch voller Getreide ging es von dort aus rund um Kap Hoorn in den Pazifischen Ozean und nach San Francisco. Danach sollten sie ins chilenische ­Valparaíso segeln, um Salpeter zu bunkern, und dann würden sie nach Hamburg zurückkehren. Peter konnte es kaum fassen, so eine weite Reise, rund um die halbe Welt! Immer wieder ­verfolgte er zu Hause den Weg in Großvaters abgegriffenem Atlas.

Peters Opa sprach einen Seemann an, der gerade die Gangway hinunterkam, und fragte ihn, wo sie den Kapitän finden könnten. Der Sailor musterte den Jungen von Kopf bis Fuß, tippte mit der rechten Hand an den Schirm seines Elbseglers und grinste.

»Moin, der Alte is auf’m Achterdeck«, sagte er und wies dabei mit dem Daumen auf einen Mann, der vor dem ­Kartenhaus stand und auf seine Taschenuhr schaute. Sie ­bedankten sich und erklommen zusammen die Gangway. Nun stand Peter das erste Mal auf den Planken der ­Northern Clipper. Ein wunderbares, unbeschreibliches ­Gefühl. Die ganze Zeit über beobachtete er dabei den Kapitän, von dem er nur wusste, dass er Johannes Kröger hieß. Der Mann ­musste Mitte fünfzig sein und besaß eine kräftige ­Statur. Auf dem Kopf saß eine schwarze Kapitänsmütze mit ­goldenem ­Anker. Er trug eher einfache, robuste Kleidung: Manchesterhose und dunkelblauer Rollkragenpullover mit aufgekrempelten Ärmeln. Der Käpt’n sah gar nicht so aus, wie Peter sich Kapitäne vorstellte. Keine goldblitzende, mit Pailletten besetze Galauniform, wie die Offiziere der Kaiser­lichen Reichsmarine, die er in Kiel oft bestaunte.

Kapitän Kröger wurde aufmerksam auf die Ankömmlinge und kam lächelnd auf die beiden zu. Seine stahlblauen Augen musterten den Jungen.

Opa Friedrich stellte sich vor. Der Käpt’n reichte Peter seine riesige, schwielige Hand. Noch niemals zuvor hatte ­Peter so große Pranken gesehen.

»Moin, du bist also unser neuer Schiffsjunge. Herzlich willkommen an Bord des großartigsten Seglers der deutschen Handelsmarine. Einen besseren Kahn als unsere ­schöne Northern Clipper hättest du dir wahrlich nicht aus­suchen ­können.« Dabei zwinkerte er Peter mit dem rechten Auge zu.

»Vielen Dank, Herr Kapitän«, antwortete Peter stolz, wobei seine Ohren vor Aufregung glühten.

Kröger lächelte und wies einen der Matrosen an, dem ­Jungen sein Quartier im Vorschiff zu zeigen, bevor er mit Großvater Friedrich in die Schiffsmesse ging, um die ­Formalitäten zu erledigen. Die beiden Männer ver­schwanden im Niedergang.

»Tach ok, ich bin Alexander Schmidt«, begrüßte ihn nun der Matrose. »Ich bin hier Jungmann op’n Schipp. Kann’s Aki zu mir sagen, tun hier alle. Ik bin een waschechten ­Hamboorger Jung, geboren und aufgewachsen auf St. Pauli, direkt neben den Puffs, da is mien Mudder Putzfrau. Komm, ich zeig dir dein Logis.«

Der Matrose war nur wenig älter als Peter und lächelte immerzu, er schien eine wahre Frohnatur zu sein. Aki führte Peter zum Bug, wo ihnen plötzlich ein laut bellender Terrier entgegenkam. Die beiden bückten sich und streichelten den quirligen Hund.

»Dat is Fips, unser Bordhund. Er scheint dich zu mögen, dat is good«, meinte Aki. Peter schloss das Tier sofort in sein Herz.

Sie gingen einen Niedergang hinunter. Unter Deck ­führte Aki Peter einen engen Gang entlang und hielt vor einer ­schmalen Tür. Der Raum war kaum größer als Omas Speise­kammer. An einer Wand befand sich ein enges Etagenbett, in dem man die jeweiligen Einstiegsluken mit einer Schiebe­tür verschließen konnte, die Koje. Darin befand sich eine ­Matratze aus Seegras, ein Kopfkissen und eine kratzige Wolldecke mit dem Emblem der Reederei. Auf der anderen Seite waren zwei Spinde an der Wand befestigt. Davor stand seine Seekiste, auf die Opa mit weißer Farbe Peter Heuer gemalt ­hatte.

»Wir beiden teilen uns die Luxussuite. Ich schlaf oben. Ich hab letztes Jahr hier auf’m Pott als Schiffsjunge angeheuert, nu bin ich seit einem Monat Jungmann. Du hast dir wirklich ’nen dollen Kahn ausgesucht. Der olle Käpt’n ­Kröger ist ne Wucht in Tüten. Streng, aber gerecht. Bei dem kannste ­lernen, wat Seemannschaft ist. Der ist sehr klug und liest viele Bücher. Zudem ist die Besatzung klasse, bis auf Knurrhahn Brodersen, das ist ein richtiges Arschloch, vor dem musst du dich in Acht nehmen. Aber dat Beste von dat Schipp is de Smutje. Heißt Enrico, is’n Italiener und kommt aus Palermo. Der zaubert aus allem leckeres Essen, sein Labskaus ist sensationell und jeden Donnerstag gibt’s ’n Stück Kuchen und für uns Lütten manchmal auch zwei. Willkommen an Bord!«

Aki reichte Peter die Hand und grinste. Sie mochten sich auf Anhieb.

Etwa eine halbe Stunde später verabschiedete sich ­Peter von seinem Großvater. Als der alte Mann sich noch einmal umdrehte und ein letztes Mal winkte, erkannte der Junge ­Tränen in seinen Augen, und auch Peter musste nun einen dicken Kloß im Hals runterschlucken. Lange sah er ­seinem Opa hinterher, als sich plötzlich eine Hand auf ­seine ­Schulter legte. Ein von Sonne und Seewetter ­zerfurchtes ­Gesicht ­lächelte ihn an. Der Mann musste Ende fünfzig sein und trug einen löchrigen Elbsegler auf dem Kopf. Die ­Ärmel seines Troyes hatte er hochgeschoben, sodass Peter auf den Armen Tätowierungen erkannte. Rechts prangten Anker, Kreuz und Herz und links zwinkerte ihm eine barbusige Nixe zu. Sie hieß anscheinend Erna, denn der Name stand darunter.

»Willkommen an Bord«, sagte der Sailor. »Ich bin Bootsmann Burmeister. Falls du irgendwelche Probleme hast, wende dich an mich, ich bin für euch Jungspunde zuständig. Ich hab schon mit Aki gesprochen, der wird dir in den ersten Tagen die wichtigsten Dinge erklären, wat man hier an Bord so berücksichtigen muss. Is’n feiner Bengel, der Aki.«

Als der Steuermann ging, drehte er sich nochmals um und grinste. »Ich habe gehört, dass du aus Preetz kommst. Ich bin Plöner, da sind wir quasi Nachbarn. Holsteiner müssen doch zusammenhalten, oder?« Burmeister zwinkerte ihm verschwörerisch zu und verschwand kurz darauf unter Deck.

Peter schaute zum Hauptmast empor. Noch immer ­erschien es ihm, als würde die Spitze die Wolken ­berühren. Morgen ging es endlich los. Mit der ersten Flut sollte ein Schlepper die Northern Clipper die Elbe bis Glücksburg hinauf­ziehen. Dort würden sie Segel setzen, in die Nordsee auslaufen und in ein paar Tagen den offenen Atlantik ­erreichen. Meer so weit der Blick reichte. Das Abenteuer ­begann.

***

Peter konnte die ganze Nacht nicht schlafen, obwohl er nicht allein in der Koje lag. Fips war den ganzen Nachmittag nicht von seiner Seite gewichen und hatte es sich nun im engen Bett gemütlich gemacht. Die Wolldecke wärmte Peter zwar, doch sie kratzte, zudem pikte die Matratze. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, was Fips jedes Mal mit einem Grunzen kommentierte. Über ihm brabbelte Aki im Schlaf wirres Zeug. Nur wenige Zentimeter neben ihm gluckerte das Wasser gegen den Schiffsrumpf. Aki hatte ihm erzählt, dass ihre Kajüte genau auf der Wasserlinie lag, er würde also mit dem Kopf direkt neben dem Meer schlafen. Irgendwann in der Nacht kamen zwei Männer den Niedergang heruntergepoltert und sangen lauthals:

»Auf Matrosen - ohe!

Einmal muss es vorbei sein.

Nur Erinnerung an Stunden der Liebe

bleibt noch an Land zurück.

Seemannsbraut ist die See

und nur ihr kann er treu sein!

Wenn der Sturmwind sein Lied singt

dann winkt mir der großen Freiheit Glück …

La Paloma ade …«

Peter schmunzelte. Die Matrosen mussten voll wie ­tausend Haubitzen sein. Schnell verschwanden sie in der Kajüte ­nebenan. Dort rumpelte und schepperte es. Zweimal ­ploppte der Bügelverschluss von Bierflaschen auf. Lauthals palaverten die Seemänner. Peter verstand irgendwas von ­einer rothaarigen Lotte mit prachtvollen Titten, groß wie Melonen. Die Männer kicherten, prosteten sich zu und ­rülpsten. Wenig später hörte er lautes Schnarchen, als ­wollten sie sämtliche Bäume in Hamburg und Umgebung absägen.

Wieder Stille. Ab und zu tuckerte ein Dampfschiff vorbei, und gelegentlich schlug irgendwo eine Schiffs­glocke. ­Entfernt musizierte jemand auf einem Schifferklavier. ­Hafengeräusche.

Er dachte an ein weiteres Gespräch, das er am Abend mit Burmeister geführt hatte. Der freundliche Bootsmann ­erklärte ihm, dass er nun Besatzungsmitglied der Northern Clipper sei. Zur Mannschaft gehörten der Kapitän und zwei weitere Offiziere, die Steuermänner. Zudem gab es noch ­jeweils einen Bootsmann, Zimmermann, Segelmacher, Koch sowie sechzehn Vollmatrosen, acht Leichtmatrosen und Fips, den Bordhund. Eine bunt zusammengewürfelte Truppe. Die meisten Seemänner stammten aus Deutschland, aber auch ein paar Schweden und Norweger gehörten dazu. Viele von ihnen fuhren bereits seit mehreren Jahren auf dem Schiff, denn Käpt’n Kröger war ein ausge­zeichneter Schiffsführer, der seine Männer gut behandelte, was auf anderen Schiffen ganz und gar nicht als selbstverständlich galt. ­Burmeister erzählte ihm, dass der Alte ebenfalls an der Kieler Förde wohnte und ein Haus in der Probstei besaß.

Um fünf Uhr hörte Peter eine Pfeife trillern, danach Burmeisters wuchtige Stimme auf dem Gang: »Reise, ­Reise aufsteh’n! Seemann, heb dein Arschgewicht, Backbord ­voraus Laboe in Sicht. Aus den Kojen, ihr Faulpelze, die ­Reise beginnt! Kap Hoorn wartet!«

Peter musste grinsen und schwang sich aus der Koje. Von oben schaute Aki schlaftrunken aus der Luke und gähnte lauthals.

»Der Bootsmann hat noch viel bessere Sprüche auf Lager. Manche sind so frivol, da wird sogar der Käpt’n rot«, lachte er.

Schnell zogen sie sich an und rannten an Deck. ­Matrosen waren bereits dabei, die Haltetaue an Deck zu ziehen. Vorm Bug lag der Schlepper Woltmann und übernahm gerade die Trosse, mit der er die Northern Clipper