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Ihre Gedichte sind Brücken aus Papier: Brücken zwischen Osteuropa und Amerika, Brücken in die Zeit vor der Shoah, Brücken aus der Tradition in die Moderne. Die vier Dichterinnen, deren Werke in diesem Band präsentiert sind, wurden Ende des 19. Jahrhunderts geboren. Sie wuchsen auf in der reichen Kultur des jiddischen Osteuropa und erlebten die turbulenten Jahrzehnte der Emanzipation als Frauen und als Jüdinnen. Sie wanderten aus in die Neue Welt und wurden durch die Shoah ihrer europäischen Wurzeln beraubt. Trotz dieser Gemeinsamkeiten hatten sie eine sehr unterschiedliche Sicht auf die Welt und fassten ihre Erfahrungen in Gedichte, die einen lyrischen Dialog ergeben, einen Austausch zwischen vier Frauen mit ähnlichem Hintergrund, aber sehr eigenen Persönlichkeiten. Ein faszinierender Blick in eine vergangene Welt, die in den Gedichten zu neuem Leben erwacht. Anna Margolin (1887–1952), Kadja Molodowsky (1894–1975), Malka Heifetz Tussman (1896–1987) und Rochl Korn (1898–1982) gelten im englischsprachigen Raum als die wichtigsten Vertreterinnen jiddischer Lyrik. Übersetzt und herausgegeben von Peter Comans, der bereits als Übersetzer Abraham Sutzkevers hervorgetreten ist, präsentiert der Band erstmals eine Auswahl ihrer Gedichte in deutscher Sprache.
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Seitenzahl: 359
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Peter Comans (Hg.)
Splitter von Licht und Nacht
Jiddische Gedichte von:Anna Margolin, Kadja Molodowsky, Malka Heifetz Tussman und Rochl Korn
Übersetzt und herausgegeben von Peter Comans
Campus VerlagFrankfurt/New York
Über das Buch
»Ich spürte heute Nacht auf meinen Lippen ein Gedicht,es war wie eine Frucht, wie eine saftig-süße und doch herbe,jedoch zerrann es mir im Blut, kaum dass der Tag begann,und seither gehen mir noch nach sein Duft und seine Farbe.«
aus: »Heute Nacht«, Rochl Korn
Ihre Gedichte sind Brücken aus Papier: Brücken zwischen Osteuropa und Amerika, Brücken in die Zeit vor der Shoah, Brücken aus der Tradition in die Moderne. Die vier Dichterinnen, deren Werke in diesem Band präsentiert sind, wurden Ende des 19. Jahrhunderts geboren. Sie wuchsen auf in der reichen Kultur des jiddischen Osteuropa und erlebten die turbulenten Jahrzehnte der Emanzipation als Frauen und als Jüdinnen. Sie wanderten aus in die Neue Welt –durch die Shoah wurden sie ihrer europäischen Wurzeln beraubt. Trotz dieser Gemeinsamkeiten hatten sie eine sehr unterschiedliche Sicht auf die Welt und fassten ihre Erfahrungen in Gedichte, die einen lyrischen Dialog ergeben, einen Austausch zwischen vier Frauen mit ähnlichem Hintergrund, aber sehr eigenen Persönlichkeiten. Ein faszinierender Blick in eine vergangene Welt, die in den Gedichten zu neuem Leben erwacht.
Anna Margolin (1887–1952), Kadja Molodowsky (1894–1975), Malka Heifetz Tussman (1896–1987) und Rochl Korn (1898–1982) gelten im englischsprachigen Raum als die wichtigsten Vertreterinnen jiddischer Lyrik. Übersetzt und herausgegeben von Peter Comans, der bereits als Übersetzer Abraham Sutzkevers hervorgetreten ist, präsentiert der Band erstmals eine Auswahl ihrer Gedichte in deutscher Sprache.
Über den Herausgeber
Peter Comans ist Übersetzer von Geh über Wörter wie über ein Minenfeld, der umfangreichsten Auswahl aus der Lyrik und Prosa des jiddischen Dichters Abraham Sutzkever in deutscher Sprache. Das Buch erschien 2009 als Band 25 der Reihe »Campus Judiaca«.
Anna Margolin
Lider (Nju-Jork, 1929) / Gedichte (New York, 1929)
Ich bin gewen a mol a jingling
Ich war vor langer Zeit ein Jüngling
Portret
Porträt
Majn shtam redt
Mein Volk spricht
A shtot bajm jam
Eine Stadt am Meer
Majn hejm
Mein Zuhause
Langzam un lichtik
Langsam und lichthell
Wiolinen
Violinen
Ful mit nacht un gewejn
Erfüllt von Nacht und Weinen
»Gewen iz efsher dos majn glik …«
»Vielleicht war das mein Glück …«
»Nejn, gornit zogn …«
»Nein, gar nichts sagen …«
»Uralte merderin nacht …«
»Uralte Mörderin Nacht …«
»Ich hob nit gewust, majn liber …«
»Ich habe nicht gewusst, mein Lieber …«
Shlanke shifn
Schlanke Schiffe
Di nacht iz arajn in majn hojz
Die Nacht ist herein in mein Haus
Hart harts
Hartes Herz
Epitaf
Epitaph
Shejne werter fun marmor un gold
Schöne Wörter aus Marmor und Gold
Harbst
Herbst
Far nacht
Abend
Harbst
Herbst
Shnej
Schnee
Ades
Odessa
Mejdlech in Krotona Park
Mädchen im Crotona-Park
Finfte ewenju, far nacht
Fünfte Avenue, am Abend
Tojern
Tore
Dos shtoltse lid
Das stolze Gedicht
Tojt-mid fun der last fun a cholem
Zu Tode erschöpft von der Last eines Traumes
Blojz ejn lid
Nur ein einziges Lied
Tsu Frants Werfel
An Franz Werfel
Af a balkon
Auf einem Balkon
[1932]
Shiker fun bitern emes
Trunken von bitterer Wahrheit
Kadja Molodowsky
Cheshwndike necht (Wilne, 1927) / Cheshwn-Nächte (Wilna, 1927)
Frojen-lider
Frauengedichte
Opgeshite bleter
Abgefallne Blätter
In blojen baginen
In der blauen Morgendämmerung
Oreme wajber
Arme Frauen
Dzhike gas (Warshe, 1933) / Dzhike-Straße (Warschau, 1933)
Dzhike gas
Dzhike-Straße
Majn papirene brik
Meine papierene Brücke
Iz majn shtub den a shif
So ist mein Zimmer denn ein Schiff
Januar
Januar
fun: In grinem bojm ligt grojer ash
aus: Auf dem grünen Baum liegt graue Asche
A lid tsu majn klejder-shank
Ein Gedicht an meinen Kleiderschrank
Frejdke (Warshe, 1935) / Frejdke (Warschau, 1935)
Majn shlep-shif
Mein Schleppschiff
In land fun majn gebejn (Shikage, 1937) / Im Land meiner Gebeine (Chicago, 1937)
Un doch …
Und doch …
Wen kejner ruft mich nisht
Wenn niemand mich ruft
Der wajser karshnbojm
Der weiße Kirschbaum
Ojsjes
Schriftzeichen
A benkl awekgeshtelt tsukopns
Ein Schemel, an das Kopfende gestellt
Der mejlech Dowid alejn iz geblibn (Nju-Jork, 1946) / Der König David allein ist geblieben (New York, 1946)
Ejl chanun
Gnädiger Gott
A briw tsu Eljohu hanovi
Ein Brief an den Propheten Elijah
Briw fun geto
Briefe aus dem Ghetto
A lid wegn zich
Ein Gedicht über sich selbst
Tsu a kinds portret
An ein Kinderbild
Nacht
Nacht
Tojter shabes
Toter Schabbes
Der mejlech Dowid alejn iz geblibn
Der König David allein ist geblieben
Es kumen nit mer kejn briw
Es kommen keine Briefe mehr
A tfile
Ein Gebet
Majne kinder
Meine Kinder
In shtal fun lebn
Im Stall des Lebens
[1958]
Wen s’bliakewet majn ojg
Verliert einmal mein Auge seinen Glanz
Majne »foterlender«
Meine »Vaterländer«
Licht fun dornbojm (Buenos-Ajres, 1965) / Licht vom Dornbaum (Buenos Aires, 1965)
Af majn dorn blit a rojz
Auf meinem Dorn blüht eine Rose
On werter
Ohne Wörter
Mir zenen itst shojn wi tswej groje tojbn
Wir sind inzwischen wie zwei graue Tauben
Ajzerner cholem
Eisentraum
Majn shprach
Meine Sprache
Ich derrojcher majn sigaret
Ich rauche meine Zigarette
Libshaft
Liebe
Ich bin a widerkol
Ich bin ein Nachhall
Bletlech
Blätter
Malka Heifetz Tussman
Lider (Los Andzheles, 1949) / Gedichte (Los Angeles, 1949)
Mit tsejn in erd
Mit den Zähnen in der Erde
Mit dir, mentsh
Mit dir, Mensch
Wi zindik ich bin
Wie sündig ich bin
Zun un regn
Sonne und Regen
Wi azoj bistu klug geworn, mame
Wie bist du weise geworden, Mame?
Gebundn
Gebunden
Umetik un gut
Schwermütig und gut
Mild majn wild (Los Andzheles, 1958) / Mild mein Wild (Los Angeles, 1958)
Firiber
Störe
Knechtshaft
Knechtschaft
Erdtsiternish
Erdbeben
Klugshaft
Weisheit
Shotns fun gedenken (Tel-Aviv, 1965) / Schatten der Erinnerung (Tel Aviv, 1965)
Zolst lib hobn
Sollst lieben
Waser on loshn
Wasser ohne Sprache
A mum
Ein Makel
Wi dos shulechl
Wie die kleine Synagoge
Hachnoedike sho
Stunde der Demut
In a shprots af tog
In aller Frühe
Opnejg
Eskapade
Shotns fun gedenken
Schatten der Erinnerung
Bleter faln nit (Tel-Aviv, 1972) / Blätter fallen nicht (Tel Aviv, 1972)
Jisroel brojt
Israel-Brot
Dich gezen tswishn bejmer
Dich gesehen bei den Bäumen
Wen Brochele iz krank geworn
Als Brochele krank war
Duner majn bruder
Donner mein Bruder
Majn shwester
Meine Schwester
Cholile
Nein bloß nicht
Hert uf
Schluss damit
A naketer frimorgn
Ein nackter Morgen
Bleter
Blätter
Unter dajn tsejchn (Tel-Aviv, 1974) / Unter deinem Zeichen (Tel Aviv, 1974)
Efn di towlen
Öffne den Buchdeckel
Letster epl
Letzter Apfel
Tsu Jerusholaim
An Jerusalem
fun: Almoneshaft
aus: Witwenschaft
Werter-went
Wörter-Wände
Fun a briw tsu Marsha
Aus einem Brief an Marcia
Hajnt iz ejbik (Tel-Aviv, 1977) / Heut ist ewig (Tel Aviv, 1977)
Bahit
Steh mir bei
Tseloches
Zum Trotz
Arojs un arajn
Hinaus und herein
Majn mes-les
Mein Tageslauf
Tsu Rochl Korn
An Rochl Korn
Bloe blikn
Blaue Blicke
Shejn wi di welt
Schön wie die Welt
Nasturtsjes
›Nasturtsjes‹
[1981]
Biterbrojt
Bitterbrot
A briw un an entfer
Ein Brief und eine Antwort
Un ich shmejchl (1985, nit dershinen) / Und ich lächle (1985, unveröffentlicht)
Genarnitse
Schwindlerin
Rochl Korn
Dorf (Wilne, 1928) / Dorf (Wilna, 1928)
Ch’bin durchgewejkt mit dir
Ich bin durchtränkt mit dir
Shtikerajen
Stickereien
Lejwe
Lejwe
Berls ku
Berls Kuh
Di alte Hanke
Die alte Hanka
Rojter mon (Warshe, 1937) / Roter Mohn (Warschau, 1937)
A briw
Ein Brief
Wi berezes wajse –
Wie weiße Birken …
A lid fun nechtn
Ein Gedicht von gestern
fun: Farwjaneter friling
aus: Verwelkter Frühling
Majne hent
Meine Hände
Papirene rojzn
Papierne Rosen
Hejm un hejmlozikejt (Buenos-Ajres, 1948) / Heimat und Heimatlosigkeit (Buenos Aires, 1948)
In weg
Unterwegs
Majn mame dawnt hajnt
Heute betet meine Mutter
Pamirer berg
Pamirgebirge
Tsu majn tochter
Meiner Tochter
Ch’wil tsugejn a mol
Ich möchte manchmal hingehn
Bashertkejt (Montreal, 1949) / Schicksal (Montreal, 1949)
Af di treplech fun wagon
Auf dem Trittbrett des Wagons
A briw fun Uzbekistan
Ein Brief aus Usbekistan
Es iz majn hant-gelenk –
Mein Handgelenk
A naj klejd
Ein neues Kleid
Kejner wejst es nisht –
Keiner weiß es ja
Dojres
Generationen
Fun jener zajt lid (Tel-Aviv, 1962) / Jenseits des Gedichts (Tel Aviv, 1962)
Fun jener zajt lid
Jenseits des Gedichtes
Ch’hob hajnt bajnacht0
Heute Nacht
Pejsechdike nacht
Die Nacht vor Pejsech
Alts wos iz ejnzam
Alles was einsam ist
Durch der kargshaft fun gojrl
Die Kleinlichkeit des Schicksals
Di gnod fun wort (Tel-Aviv, 1968) / Die Gnade des Wortes (Tel Aviv, 1968)
Zog zich nisht op fun mir
Sag dich nicht los von mir
Di ershte shure fun a lid
Die erste Zeile eines Gedichtes
Shwajg mich arajn
Schweig mich hinein
Kalt iz mir, majn mame
Kalt ist mir, meine Mame
Fun danen biz ahin
Von hier nach dort
Artur Zigelbojm
Artur Ziegelboim
Bloe neplen
Blaue Nebel
Af der sharf fun a rege (Tel-Aviv, 1972) / Auf der Schneide eines Augenblickes (Tel Aviv, 1972)
Ale wistenishn
Alle Wüsten
A farnacht bajm jam
Ein Abend an der See
Harbstiker etjud
Herbstliche Etüde
Bagegenish
Begegnung
Ch’shrajb on a shure
Ich schreibe eine Zeile hin
Farbitene wor (Tel-Aviv, 1977) / Vertauschte Wirklichkeit (Tel Aviv, 1977)
Wi hostu mich farshemt
Wie hast Du mich beschämt
Ch’wel mitnemen
Mitnehmen will ich
Sag ganz laut: Ich! Ich bin! – Vier jiddische Dichterinnen
Anmerkungen zu den Gedichten
Zur Transkription aus dem Jiddischen
Dank
Bibliographie
Als 1920 Gedichte einer gewissen Anna Margolin in der New Yorker jiddischen Presse abgedruckt wurden, entbrannte in den literarischen Zirkeln der Lower East Side eine Diskussion, wer sich hinter diesem Namen verberge und ob diese Verse nicht überhaupt von einem Mann verfasst sein müssten, da Frauen doch sentimental und eher dilettantisch schrieben. Diese Verse hingegen waren kraftvoll, intellektuell und provokant.
Tatsächlich war Anna Margolin1 ein neu aufgetauchtes Pseudonym, aber die Autorin in der New Yorker Szene eigentlich keine Unbekannte. Rosa Lebensbojm, wie sie in Wirklichkeit hieß, war geboren am 21. Januar 1887 in Brisk (Brest Litowsk), Weißrussland. Sie stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus: Der Vater Menachem, ein Getreidehändler, hatte sich vom Chassidismus ab- und der jüdischen Aufklärung und dem Zionismus zugewendet und führte ein modernes, mondänes Leben. Sein Beruf brachte es mit sich, dass er monatelang getrennt von seiner Familie lebte, meist in Königsberg. Zeitweise nahm er aber auch seine Familie dorthin mit. Die Mutter Dwojre Leje war hingegen eine einfache Frau, traditionell orientiert, und empfand die rasch um sich greifenden Veränderungen in der jüdischen Lebenswelt als belastend und verstörend. Sehr früh schon ging ein Riss durch die Ehe.
Die Tochter Rosa, das einzige Kind, war aufgeweckt und intelligent, und so war es für den Vater eine Selbstverständlichkeit, dass sie an einem Gymnasium in Odessa, wo die Familie damals wohnte, eine gründliche russische und hebräische Bildung erhalten sollte. Nach der Trennung der Eltern ließ Rosa ihre Mutter in Brisk zurück und folgte dem von ihr vergötterten Vater nach Warschau. Hier blühte sie auf, lernte die Literaten der Stadt kennen und sympathisierte mit den Ideen der sozialistisch-territorialistischen Bewegung.2
Schon als Mädchen und junge Frau war Rosa eine beeindruckende Persönlichkeit: belesen und gebildet, dazu auffallend attraktiv, mit blauen Augen und einer musikalischen Stimme. Sie war sich ihrer Anziehungskraft sehr bewusst und stürzte sich nur zu gerne in Flirts und Liebschaften.
Als eine solche Beziehung in eine frühe Bindung zu münden schien, setzte der Vater sich mit seiner Schwester in Williamsburg bei New York in Verbindung, die einwilligte, die Nichte bei sich aufzunehmen. Rosa sollte sich dort auf ein Universitätsstudium vorbereiten. Sie zeigte sich einsichtig und reiste so 1906 zum ersten Mal nach Amerika. In New York jedoch tauchte sie lieber ein in das literarische jüdische Leben der Stadt. Binnen kurzem überwarf sie sich mit ihrer Tante, mietete sich in der East Side ein, versuchte als Fabrikarbeiterin ihren Lebensunterhalt zu verdienen und wurde schließlich Sekretärin des populären Philosophen Chaim Zhitlowsky und zeitweilig seine Geliebte. Später arbeitete sie, ebenfalls als Sekretärin, für die anarchistische jiddische Zeitung Fraje arbeter shtime und konnte dort unter dem Pseudonym Chawe Gros ihre ersten Erzählungen veröffentlichen.
Doch es zog sie nach Europa zurück. Ausgestattet mit Empfehlungsbriefen Zhitlowskys besuchte sie London und Paris, wo die junge Frau als intellektuelle Gesprächspartnerin bemerkenswerte Bekanntschaften schloss: In London war sie häufig Gast bei dem russischen Fürsten Pjotr Kropotkin, dem Theoretiker der anarchistischen Bewegung, in Paris lernte sie den Sozialisten und Revolutionär Wladimir Burzew kennen, der durch die Enttarnung zaristischer Agenten Berühmtheit erlangte. Rosa Lebensbojm schrieb darüber auch Artikel für den Forverts in New York.
Als sie endlich nach zwei Jahren Abwesenheit wieder in Warschau eintraf, fand sie Zugang zu dem berühmten Jitschok Lejb Perets (Peretz), aber auch zu der neuen Generation aufstrebender Schriftsteller um den Poeten und Journalisten Menachem Goldberg. In diesem Kreis lernte sie Mojshe Stavsky kennen und heiratete ihn. Zusammen wanderten sie um 1910 über Odessa und weiter auf einem russischen Schiff nach Palästina aus, zunächst nach Jaffa, dann ins gerade entstehende Tel Aviv. Sie war unglücklich in dieser Ehe, zudem gelangweilt vom geistig wenig anregenden Leben im provinziellen Palästina. Einige Monate nach der Geburt eines Sohnes, Naaman, am 28. November 1911 verließ sie Mann und Kind3 und kehrte völlig mittellos nach Warschau zurück. Bei ihrem Vater und dessen neuer Familie war sie jedoch nicht willkommen und wurde als Gast nur geduldet. Etwa ein dreiviertel Jahr später ging sie nach Krementschuk (Ukraine) zur Mutter, die ihr eine zweite Atlantiküberfahrt ermöglichte. Am 13. Mai 1914 traf sie zum zweiten Mal und endgültig in Amerika ein.
Sie fand Arbeit bei der im November 1914 neu gegründeten jiddischen Tageszeitung Der tog, wo sie unter ihrem eigenen Namen die wöchentliche Kolumne »In der frojen-welt« schrieb und bis 1920 zum Mitarbeiterstab gehörte. Unter den Pseudonymen Sofia Brandt und später Clara Levin schrieb sie journalistische Arbeiten, als Chane Barut verfasste sie Erzählungen, die in anderen Zeitungen und Zeitschriften New Yorks abgedruckt wurden.
In der Redaktion des Tog traf sie den fünf Jahre jüngeren Psychiater und Schriftsteller Hirsch Lejb Gordon, verliebte sich auf den ersten Blick und heiratete ihn, vermutlich 1915. Als Gordon später mit der Jüdischen Legion in Palästina gegen die Osmanen eingesetzt war, ging die Ehe auseinander. Während Rosa Lebensbojm noch als Frau Gordons in New Haven lebte, nahm sie 1919 eine Beziehung zu dem verheirateten jiddischen Schriftsteller Reuven Ajzland (Iceland) auf, der ebenfalls für den Tog arbeitete und sie ermutigte, Gedichte zu schreiben, und der durch den Austausch mit ihr zu eigenem lyrischen Schaffen angeregt wurde.4 Als Rosa Lebensbojm dann 1920 begann, ihre Gedichte in Di naje welt und Fraje arbeter shtime zu veröffentlichen, wählte sie dafür ein neues Pseudonym, das sie fortan überall statt ihres eigentlichen Namens verwendete: Anna Margolin. Monatelang gelang es ihr, sich hinter diesem Pseudonym zu verstecken. Ajzland tauschte mit ihr Briefe aus und hielt sie über die Diskussionen in den New Yorker Redaktionen und Cafes über »Anna Margolin« und ihre Gedichte auf dem Laufenden.
Als Anna Margolin und Reuven Ajzland eine feste Beziehung eingingen, entfremdete dieser sich von seinen Kindern und seiner Familie. Anna Margolin und er blieben Lebenspartner; es ist nicht klar, ob sie jemals heirateten.
In den 1920er Jahren richteten sich Anna Margolins Ambitionen mehr und mehr auf Lyrik. Sie veröffentlichte einzelne Gedichte in Naj-jidish, Inzich und Di tsukunft. Unzufrieden mit der Vernachlässigung anspruchsvoller Poesie durch die jiddischen Zeitschriften, gab sie 1923 privat eine Anthologie heraus, Dos jidishe lid in Amerike. Diese sollte wohl jährlich erscheinen, es blieb aber bei einer einzigen Ausgabe.
Als 1929 Anna Margolins Buch Lider erschien, das 80 ihrer Gedichte enthielt, war die Resonanz in New York eher verhalten. Ganz anders als beispielsweise in Warschau, wo Aaron Zeitlin, Melech Rawitsh und Ber Horowitz sich begeistert äußerten. Dutzende anerkennende Briefe von Schriftstellerkollegen trafen ein, darunter zu Anna Margolins Freude auch ein Lob von Chaim Nachman Bialik, dem führenden hebräischen Dichter.
Was der Auftakt zu einer glanzvollen Karriere als Lyrikerin hätte sein können, wurde ihr Schlusspunkt. Anna Margolin schrieb zwischen 1929 und 1934 noch etwa zwanzig Gedichte, dazu Entwürfe und Fragmente, aber sie veröffentlichte nur noch eine Handvoll davon in Zeitschriften, die letzten 1932. Die Gründe für ihr Verstummen als Lyrikerin sind unklar, selbst Reuven Ajzland musste diese Frage offen lassen. Aus seiner Sicht waren die Ursachen vielschichtig, hatten aber auf jeden Fall damit zu tun, dass Margolin trotz der positiven Kritiken für ihr Buch wohl enttäuscht war, weil es nicht die von ihr erhoffte breite Leserschaft erreicht hatte. Das ist tragisch, hat es ihr doch in der jiddischen Literaturgeschichte einen festen Platz gesichert.
Sie schrieb weiterhin unter dem Namen Clara Levin als Journalistin für den Tog, schloss sich jedoch mehr und mehr von der Außenwelt ab. Nach 1944 litt sie immer stärker unter Depressionen, Schuld- und Schamgefühlen, Angstzuständen, Bluthochdruck und einer ganzen Reihe Krankheiten. Sie lebte schließlich völlig zurückgezogen neben Reuven Ajzland. Sämtliche Versuche der Außenwelt, auch von guten Freunden und Kollegen, mit ihr Kontakt aufzunehmen, scheiterten. Als beispielsweise der von ihr so sehr verehrte jiddische Dichter Itsik Manger 1951 nach New York zog und anfragte, ob er ihr einen Besuch abstatten dürfe, sah sie sich außer Stande ihn zu empfangen.
Sie blieb aber weiterhin lebhaft interessiert an Lyrik: Paul Verlaine, Dylan Thomas, Itsik Manger und Abraham Sutzkever waren zuletzt ihre Favoriten. Trotz ihrer Selbsteinschätzung, sie habe ihr Leben und ihr Talent vergeudet, hielt sie aber auch an ihrem eigenen poetischen Werk fest. Noch in ihrer letzten Lebensphase schickte sie dem Kritiker Shea Tenenbojm einen Brief mit Bemerkungen zu seiner in einem Aufsatz geäußerten Einschätzung ihrer dichterischen Persönlichkeit, und sie fügte auch ein Exemplar von Lider hinzu, in dem sie etliche Gedichte eigens mit handschriftlichen Verbesserungen versehen hatte.5
In ihren letzten Jahren verließ sie kaum noch das Haus. Sie hatte, wie Reuven Ajzland sich ausdrückte, keinen einzigen guten Tag mehr. Nach ihrem Tod am 29. Juni 1952 in New York entsprach er ihrem Wunsch und vernichtete ihre unveröffentlichten literarischen Manuskripte.
*
Anna Margolin scheut sich nicht, die Leserschaft mit ihrer Lyrik zu irritieren, ja zu provozieren. Wer den Band Lider (1929) aufschlug und romantische Bekenntnisse eines weiblichen Gemütes erwartete, musste nach der Lektüre des eröffnenden Gedichtes »Ich war vor langer Zeit ein Jüngling« ratlos dastehen: Sie sei nicht nur dieser Jüngling gewesen, sondern später ebenso eine Cäsarengestalt, aus der heidnischen griechisch-römischen Welt, philosophisch-elitär, hedonistisch, dekadent, homoerotisch und inzestuös, voller Spott für die am Horizont aufziehende jüdisch-christliche Welt.6 Dies läuft auf eine Verweigerung gegenüber jeder Erwartung an ein lyrisches Ich in der romantischen Tradition hinaus und wirkt um einiges schroffer, weil eine Frau spricht. Es sind offenkundig aufgesetzte Identitäten, Posen, Masken, die die Gestalt der Dichterin verbergen sollen, ihr Gelegenheit bieten, mit einer Vielfalt an Rollen zu spielen. Auch wenn die zwölf Zeilen dieses Gedichtes in ihrer Radikalität nicht für das gesamte Buch stehen können, war der Autorin offensichtlich an dieser Geste gelegen.7
Wenige Seiten später identifiziert das Gedicht »Mein Volk spricht« die Sprecherin mit einer verzweigten jüdischen Tradition, mit archaischen und modernen Elementen, zwischen inniger Frömmigkeit und bürgerlichem ennui, und doch bleibt ihr am Schluss die individuelle Stimme versagt:
Sie alle, mein Volk,
Blut von meinem Blut
und Glut von meiner Glut,
tot und lebend gemischt,
traurig, grotesk und groß,
stampfen durch mich wie durch ein dunkles Haus.
Stampfen mit Beten und Fluchen und Klage,
stoßen mein Herz an wie eine Kupferglocke,
und meine Zunge wirft sich hin und her,
ich erkenn nicht die eigene Stimme –
Mein Volk spricht.
Anna Margolin baut gerne ein immer wieder neues Spannungsfeld auf zwischen dem autobiographischen Ich und der Sprecherin, verbirgt und erfindet und verkompliziert Identitäten, mischt Einblicke in die Seele der Rosa Lebensbojm mit psychologischen Gegenentwürfen.8 Wie soll man das Liebes- und Hassgedicht »Uralte Mörderin Nacht …« auffassen? Lotet es verdrängte Potenziale der eigenen Seele aus?
Uralte Mörderin Nacht, schwarze Mutter in der Not, steh mir bei!
Betör ihn, umspinn ihn, verschling ihn, bring ihm den Tod!
Das Gedicht »Porträt«, vorgeblich der Blick in einen Spiegel und damit eine traditionelle Chiffre für Selbstprüfung und Selbstfindung, schließt mit der Vermeidung jedes für den Leser oder Betrachter erschließbaren emotionalen Ausdrucks. Es lässt die Sprecherin allein mit sich selbst, ganz auf ihre äußere Rolle fixiert und reduziert, statuesk und unnahbar wie eine Infantin. Und dennoch tut sich in den Schlusszeilen ein Abgrund auf: »Ein wüster, heißer Irrsinn / erstickt ganz zärtlich ihren Hals.«
»Porträt« zeigt außerdem eine für Margolin charakteristische Bildlichkeit: Das Motiv der »Maske« beziehungsweise der »skulpturhaften Schönheit«, die eine innerlich lodernde Leidenschaft verbergen, durchzieht ihr gesamtes Buch.9 In dieser Auswahl kehrt es wieder in den Gedichten »Schöne Wörter aus Marmor und Gold«, Herbst [Die Trauer des Vergehens…], »Tore« und »An Franz Werfel«.
Das Motiv entspricht einem der poetologischen Ideale Margolins. Laut schriftlich erhaltenen, leider nur stichworthaften Äußerungen zu ihrem dichterischen Konzept strebt Margolin nach Härte, einer prosaischen Diktion, einem Abstrahieren von der eigenen Zeit und Herkunft, eher nach Musik als nach Malerei, nach raren Bildern und Ironie und niemals nach dem schönen Wort auf Kosten der Wahrheit.10
Aber Margolins Texte enthalten oft genug auch eine gegenläufige Tendenz: eine Neigung harte Konturen aufzulösen, Zartheit und Sanftheit zum Ausdruck zu bringen, in impressionistischer Manier Stimmungsbilder zu schaffen. Bezeichnenderweise verwendet Margolin mit Vorliebe Metaphern des Liquiden: Wasser, Regen, Tränen, Wellen, Strömen, Trinken, Schwimmen,11 so in »Eine Stadt am Meer« und »Mein Zuhause«.
Das programmatische Gedicht »Hartes Herz« lässt sogar darauf schließen, dass nur eine Aufhebung des Gegensatzes zwischen der hier als negativ empfundenen Härte des lyrischen Ich und der »leuchtenden Welle« der Welt in ihrer Vielfältigkeit für die Dichterin eine Erlösung aus der allzu prinzipienfixierten Starre bewirken kann, sie durch und zur Empathie befreit:12
Hartes, verachtendes Herz,
lass ein die leuchtende Woge
aus Dirnen, Müttern und Kindern,
Bettlern, Krüppeln und Tänzern
und alten Leuten aus der Stadt,
nur bleib nicht bei dir und bei Gott,
hartes Herz,
entflieh zu den Menschen vor Gott.
Anna Margolin lehnt jede poetische Sentimentalität ab oder, so sollte man es vielleicht eher ausdrücken, es widerstrebt ihr im Prinzip, diese beim Ausdruck von Gefühlen zuzulassen. Doch viele ihrer Gedichte schwelgen in Sinneseindrücken, enthalten emotionale oder eben doch ins Sentimentale spielende Passagen. Über »Odessa« schreibt die Dichterin selbst: »Außer der zweiten Strophe und einer Zeile gegen Schluss über die Boulevards ist das Ganze sentimentale Banalität«.13
Besonders Margolins Liebes- oder Beziehungsgedichte setzen gern mit einem sehr persönlichen, romantischen Ton ein, verwenden erlesen schöne, gelegentlich artifizielle Bilder. In den folgenden Zeilen bringt die Autorin dann zum Beispiel ein Motiv der Ernüchterung oder existenziellen Angst ein und lässt das Gedicht in einer Ambiguität enden, ohne dass der Tonfall sich in entsprechendem Maße verändert hätte. Beispiele sind »Vielleicht war das mein Glück«, »Schlanke Schiffe« und »Die Nacht ist herein in mein Haus«. So werden Margolins Gedichte nicht selten Wege ins Ungewisse, in einen Zwiespalt, lassen Fragen offen oder in der Schwebe, zeigen ein ganz anderes lyrisches Ich.14
Ein wichtiger Zug von Margolins Poesie ist ihr Wechsel zwischen Reimlosigkeit und Reimen, dazu ihr Experimentieren mit Reimen und Halbreimen, auch mit dem aus dem Hebräischen und slawischen Sprachen stammenden lexikalischen Bestand des Jiddischen.15 Sie verwendet außerdem ungewöhnlich viele Germanismen und gelegentlich Anglizismen und erweitert so das Spektrum ihrer Ausdrucksmittel.
Aufgrund der bislang angeführten Merkmale lässt Anna Margolins Dichtung sich nur schwer in die Strömungen der zeitgenössischen jiddischen Literatur einordnen. Vom Lebensalter her könnte die Autorin zur Dichtergruppe Di junge zählen, ihre ersten gedruckten Gedichte erscheinen aber im selben Jahr 1920, in dem erstmals die Gruppe der sogenannten Inzichistn mit ihrer eigenen Zeitschrift an die Öffentlichkeit trat.
Di junge, die etwa seit der Mitte der ersten Dekade des Jahrhunderts in New York publizierten, als Gruppe aber nur locker verbunden waren, standen für ein neoromantisches ästhetisches Programm, auch mit einem Hang zu Heinescher Ironie, und sie stellten die individuelle schöpferische Freiheit des Dichters in den Mittelpunkt: Kunst müsse Selbstzweck sein, dürfe nicht nach gesellschaftlichem Nutzen oder politischer Zweckmäßigkeit streben. Sie zogen eine jüdische Bescheidenheit und einen moderaten, volkstümlichen Tonfall einer hochfliegenden Rhetorik vor. Ihre Vorbilder sahen sie nicht in den amerikanischen, sondern in den europäischen Dichtern, z.B. Brjussow und Blok, Rilke und Hofmannsthal, Baudelaire und Verlaine, deren Texte sie mit Vorliebe auch übersetzten. Die führenden Köpfe von Di junge waren Mani Lejb, Zishe Landau und Reuven Ajzland. Um 1920 war die Kohärenz dieser Gruppe allerdings nicht mehr stark, die einzelnen Vertreter – Mani Lejb, aber auch Dichter mit ohnehin lockeren Bindungen an die Gruppe, beispielsweise H. Leivick und Mojsche-Lejb Halpern, gingen eigene Wege.16
Die Inzichistn hingegen, deren Sprachrohr, die Zeitschrift In zich (später Inzich) vom Januar 1920 bis 1940 regelmäßig erschien, waren modernistisch und intellektueller ausgerichtet als Di junge. Sie lehnten deren Schönklang, romantische Weichheit und metrische Konventionalität ab. Sie wollten die im Bewusstsein wahrgenommene Realität darstellen und nicht die Außenwelt schlicht abbilden. Dementsprechend galt ihr nachdrückliches Interesse der Psychoanalyse. Der Name Inzichistn verweist auf diese introspektive Tendenz und sollte vom Expressionismus abgrenzen, obwohl die Gruppe mit letzterem durchaus Gemeinsamkeiten hatte. Die Inzichistn bevorzugten die formale Freiheit: den freien Vers und den Verzicht auf Reime. Hauptvertreter der Richtung waren Jankev Glatschtejn, Aaron Glantz-Leyeles und Nahum Baruch Minkoff. Überzeugt, dass die jiddische Sprache reif und ausdrucksstark genug für einen Platz in der Weltliteratur sei, suchten sie Anschluss an die universalen Tendenzen der zeitgenössischen Literatur in Europa und Amerika. Verbunden fühlten sie sich mit amerikanischen Autoren wie Ezra Pound, T.S. Eliot, Marianne Moore und Wallace Stevens, aber auch mit den russischen Akmeisten.17
Anna Margolin hätte beinahe in der ersten Nummer der Zeitschrift In zich debütiert, aber Aaron Glantz-Leyeles als Herausgeber entschied sich, obwohl die vorgelegten Verse recht gut ins dichterische Programm gepasst hätten, wegen der Unklarheit über die Identität von »Anna Margolin« gegen den Abdruck. Erst später gehörte sie zu den regelmäßig vertretenen Autoren. Die Reaktion der New Yorker Szene auf Margolins erste Gedichtveröffentlichungen sind bezeichnend: Wie Reuven Ajzland ihr berichtete, fanden sie große Anererkennung bei Mani Lejb (mit Einschränkung wegen der verwendeten Halbreime), während die Inzichistn sie verrissen.18
Die Art, wie Anna Margolin in ihrer Poesie Atmosphäre schafft, die romantischen Anklänge ihrer Bildlichkeit, das bekenntnishafte Auftreten ihres lyrischen Ich, auch die Neigung zum Grotesken, das alles passt zur Dichtergruppe Di junge.
Trotzdem, und obwohl ihr Lebenspartner Reuven Ajzland führend in der Gruppe war, grenzt sich Margolin, wie die oben angeführten poetologischen Äußerungen nahelegen, mit einigem Grund ausdrücklich ab gegen diese Strömung – und damit gegen ihren wichtigsten Gesprächspartner in Sachen Dichtung. Noch 1951 schreibt sie an den Kritiker Shea Tenenbojm: »Meine Gedichte sind nicht nur Gemurmel, Aroma, Spinngeweb. Ein großer Teil von ihnen ist: in texture19 – massiv, im Rhythmus – breit, im Inhalt – dramatisch. Ich bin kein ›Kind von Di junge‹, auch keine Enkelin oder Zeitgenossin (bezogen auf die schriftstellerischen Jahre, nicht die Lebensjahre). Mein Gedicht ist nicht ›hervorgetreten zur gleichen Zeit wie Di junge‹ […]. Es ist ein Sprung von ganzen 15 Jahren. Ich habe zum ersten Mal 1920 Gedichte veröffentlicht, einige Monate früher zum ersten Mal Gedichte geschrieben. Ich bin nicht in ihre Schule gegangen.«20
Anna Margolins Thematisierung von Seelenzuständen, ihre dramatischen Monologe und ihr weitgehender Verzicht auf jüdische Themen rücken sie in die Nähe der Inzichisten, doch bleibt sie eine eigenständige, an persönlichen poetischen Vorstellungen orientierte Dichterin, die literarische Anregungen aufzugreifen und zu etwas Neuem, Unverwechselbaren zu verschmelzen verstand. Mit Recht gilt Anna Margolin heute als die führende modernistische Dichterin in der Blütezeit der jiddischen Literatur in Amerika. Mit all seiner Dramatik, mit all seinem Oszillieren zwischen Schönem und Groteskem, Glücksgefühl und Angst, Liebe und Hass, Glut und Kälte, Emotion und Kalkül bildet ihr lyrisches Werk die innere Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit ihrer Persönlichkeit ab, ihr rastloses und kompromissloses Leben, das alles der Berufung zur Poesie zu opfern bereit war. Sie selbst wünschte sich für ihren Grabstein Zeilen, die ihr Leben und ihr poetisches Talent als weggeworfen und verloren abtaten, und so kann man es auch auf ihrem Grabstein in Brooklyn in New York lesen. Was sie für die jiddische Literatur unsterblich macht, drücken mit mehr Sympathie und angemessener einige Zeilen aus ihrem Gedicht »Epitaph« aus:21
Erzähl, dass sie bis in den Tod
getreu beschützte mit der bloßen Hand
das Feuer, das ihr anvertraut,
und dass im selben Feuer sie gebrannt.
Ich bin gewen a mol a jingling,
gehert in portikos Sokratn,
es hot majn buzemfrajnd, majn libling,
gehat dem shenstn tors in Aten.
Gewen Tsezar. Un a hele welt
gebojt fun marmor, ich der letster,
un far a wajb mir ojsderwejlt
majn shtoltse shwester.
In rojznkrants bajm wajn biz shpet
gehert in hojchmutikn fridn
wegn shwachling fun Nazaret
un wilde majses wegn jidn.
Ich war vor langer Zeit ein Jüngling,
hab bei den Säulen Sokrates gehört.
Hab meinen Busenfreund und Liebling,
den schönsten Torso von Athen begehrt.
War Cäsar. Und hab eine helle Welt
gebaut aus Marmor, war ihr letzter
und hab zum Weibe auserwählt
mir meine stolze Schwester.
Bekränzt mit Rosen und beim Wein bis spät
hab ich gehört in hochmütigem Frieden
von jemand Schwächlichem aus Nazareth
und wilde Rede über Juden.
A. Lejelesn
Wajl shpot un umglik hobn durchgeglit ir lebn,
hot zi getrogn azoj shtolts dem kop,
wi s’wolt zi Got gehejmnishful derhojbn.
In lern hojz, in shpigl zich gezen wi durch a regn.
Un wi es woltn alts ir nachgekukt bakante,
iz zi fajerlech gegangen zich antkegn,
wi men gejt antkegn an infante.
Gerut, gerut. Gesesn glajch un shtajf.
Un nit fartrojt ir maske ojch der einzamkejt,
wen s’hobn gute owntike shoen
jomerndik genejgt zich iber ir un iber alts.
Un nor gefilt: Wister, flamiker shigoen
drikt tsertlech ir tsunojf dem haldz.
für A. Leyeles
Weil es durchglüht von Spott und Unglück war, ihr Leben,
hat sie den Kopf so stolz getragen,
als habe Gott sie auf geheimnisvolle Art erhoben.
Im leeren Haus gespiegelt sich gesehen wie durch Regen.
Und als ob ihr ständig Augen folgten von Bekannten,
ging sie feierlich sich selbst entgegen,
wie man entgegengeht einer Infantin.
Ganz ruhig, ruhig. Dagesessen, förmlich, steif.
Und nie die Maske offenbart, auch nicht der Einsamkeit,
wenn gute abendliche Stunden
sich klagend neigten über sie und über alles.
Und nur gespürt: Ein wüster, heißer Irrsinn
erstickt ganz zärtlich ihren Hals.
Majn shtam:
Mener in atles un samet,
penemer lang un blejch zajdn,
farchaleshte glutike lipn.
Di dine hent tsertlen fargelte foljantn.
Zej redn in tifer nacht mit Got.
Un sochrim fun Lajpsk un fun Dansk.
Blanke manketn. Ejdeler sigarn-rojch.
Gmore-witsn. Dajtshe heflechkejtn.
Der blik iz klug un mat,
klug un iberzat.
Don-Zhuanen, hendler un zucher fun Got.
A shiker,
a por meshumodim in Kiew.
Majn shtam:
Frojen wi getsn batsirt mit briljantn,
fartunklt rojt fun terkishe ticher,
shwere faldn fun satin-de-Lion.
Ober dos lajb iz a wejnendike werbe,
ober wi trukene blumen di finger in shojs,
un in di welke farshlejerte ojgn
tojte lust.
Un grand-damen in tsits un in lajwnt,
brejtbejnik un shtark, un baweglech,
mitn farachtlechn lajchtn gelechter,
mit ruike rejd un umhejmlechn shwajgn.
Far nacht bajm fentster fun oremen hojz
waksn zej wi statuen ojs.
Un es tsukt durch di demerende ojgn
grojzame lust.
Un a por,
mit welche ich shem zich.
Zej ale, majn shtam,
blut fun majn blut
un flam fun majn flam,
tojt un lebedik ojsgemisht,
trojerik, grotesk un grojs
tramplen durch mir wi durch a tunkl hojz.
Tramplen mit tfiles un kloles un klog,
trejslen majn harts wi a kupernem glok,
es warft zich majn tsung,
ich derken nit majn kol –
majn shtam redt.
Mein Volk:
Männer in Satin und Samt,
Gesichter lang und seidig bleich,
sehnsüchtige, glühende Lippen.
Die dünnen Hände streicheln vergilbte Folianten.
Sie reden tief in der Nacht mit Gott.
Und Kaufleute aus Leipzig und Danzig.
Blanke Manschettenknöpfe. Edler Zigarrenrauch.
Talmud-Scharfsinn. Deutsche Höflichkeiten.
Der Blick ist klug und matt,
klug und übersatt.
Don Juans, Händler und Goldsucher.
Ein Trunkenbold,
ein paar Getaufte in Kiew.
Mein Volk:
Frauen wie Götzenbilder geschmückt mit Brillanten,
rötlich verdunkelt in türkischen Tüchern,
schwere Falten von Satin-de-Lyon.
Aber der Leib ist eine Trauerweide,
und die Hände wie trockene Blumen im Schoß,
und in den welken, verschleierten Augen
tote Lust.
Und grande dames in Calico und in Leinen,
grobknochig und stark, und beweglich,
mit verächtlichem, leichtem Gelächter,
mit ruhiger Rede und unheimlichem Schweigen.
Abends am Fenster des ärmlichen Hauses
wachsen sie wie Statuen so groß.
Und die dämmernden Augen durchzuckt
grausame Lust.
Und ein paar,
deretwegen ich mich schäme.
Sie alle, mein Volk,
Blut von meinem Blut
und Glut von meiner Glut,
tot und lebend gemischt,
traurig, grotesk und groß,
stampfen durch mich wie durch ein dunkles Haus.
Stampfen mit Beten und Fluchen und Klage,
stoßen mein Herz an wie eine Kupferglocke,
und meine Zunge wirft sich hin und her,
ich erkenn nicht die eigene Stimme –
Mein Volk spricht.
Wen iz es gewen? Ich ken zich nit dermonen.
Es gejt mir noch wi a fargesener refren:
A shtot bajm jam, noktjurnen fun Shopen
un ajzerne liljen fun balkonen.
Far nacht. Tswej shwester mit di shmole finger
fartrojmte rirn on dem shotndikn shtrom
fun zichrojnes in altmodishn albom.
Di alte bilder wern langzam jinger.
In tir halb ofener, dort tswishn di wazonen,
farchalesht shwimen porlech in a lashtshendikn wals.
O, tojte jugnt! O, der letster wals!
Di tentser shwimen un farshwindn wi fantomen …
Es iz gewen, gewen … Ich ken zich nit dermonen.
Wann es gewesen ist? Ich kann mich nicht entsinnen.
Es geht mir nach wie ein vergessener Refrain:
Die Stadt am Meer, Nocturne-Klang von Chopin,
und Lilien von Eisen an Balkonen.
Es wird Nacht. Zwei Schwestern, ihre schlanken Finger
berühren träumerisch den Strom aus Schatten
der Erinnerung auf altmodischen Albumblättern.
Die alten Bilder werden langsam jünger.
Die Tür halb offen, zwischen Pflanzenschmuck dort drinnen
schwimmen Paare, weltentrückt, in einem schmeichlerischen Walzer.
Ach, tote Jugend! Ach, der letzte Walzer!
Die Tänzer, schemenhaft, sie schwimmen und entschwinden …
Es war, es war … Ich kann mich nicht entsinnen.
Hajzer wign zich un shwimen lichtik-groj
mit fajchte gertner, zilber-hele gasn,
un mentshn baj shweln fun tirn
nejgn zich, shmejchlen, farblasn,
wern un nit-wern
durchn regn-bojgn fun trern.
A kind zitst bajm fentster.
In lewone-shajn shtromen di hor wi tunkeler regn.
Farakshnt un lichtik zuchn di ojgn
wi durch a wald
di ejgene wajte geshtalt.
O, wos tsiterstu, kind,
wen ich kum dir antkegn?
Häuser wiegen sich und schwimmen, leuchtend grau
von feuchten Gärten, silberhellen Gassen,
und Menschen auf Schwellen von Türen
verneigen sich, lächeln, verblassen,
entstehen und vergehen
in einem Regenbogen aus Tränen.
Ein Kind sitzt am Fenster.
Im Mondschein strömen die Haare dunkel wie Regen.
Unbeirrbar und hell suchen die Augen
wie in einem Wald
die eigene ferne Gestalt.
Oh, was zitterst du, Kind,
wenn ich komme, dir entgegen?
Langzam un lichtik
hostu dajn shwere shtern tsugebojgn tsu majn shtern,
bistu farzunken mit dajn shwartsn fajer
in majn blojen fajer.
Un majn tsimer iz geworn ful mit zumer,
un majn tsimer iz geworn ful mit nacht.
Hob ich majn lojchtnike wejnendike ojgn tzugemacht,
hob ich gewejnt shtil in majn shpetn zumer.
Langsam und lichthell
hast du deine schwere Stirn geneigt zu meiner Stirn,
bist versunken du mit deinem schwarzen Feuer
in meinem blauen Feuer.
Und mein Zimmer ward erfüllt von Sommer,
und mein Zimmer ward erfüllt von Nacht.
Da hab ich meine Augen, leuchtend, weinend, zugemacht
hab still geweint in meinem späten Sommer.
Der blojer trojm fun wiolinen.
Ich un du,
azelche wajze,
azelche wajze,
un s’wejs nit kejner,
az mir krajzn
in goldene ringen,
wi shmeterlingen,
in der blojer nacht fun wiolinen.
Du majn ru,
undzer nacht,
un mich, un dich
shpiln di bloje wiolinen.
Der blaue Traum der Violinen.
Ich und du,
solch eine Weise,
solch eine Weise,
und es weiß keiner,
dass wir kreisen
in goldenen Ringen,
gleich Schmetterlingen,
in der blauen Nacht der Violinen.
Du meine Ruh,
unsere Nacht,
und mich und dich
spielen die blauen Violinen.
A shwajgn plutsem un tif
tswishn undz bejdn,
wi a tsetumlter briw
mitn onzog fun shejdn.
Wi a zinkende shif.
A shwajgn on a blik, on a rir.
Ful mit nacht un gewejn
tswishn undz bejdn,
wi mir woltn alejn
tsu a ganejdn
farshlisn di tir.
Ein Schweigen, plötzlich und tief,
zwischen uns beiden,
wie ein verwirrender Brief,
wir müssten bald scheiden.
Wie ein sinkendes Schiff.
Ein Schweigen, erstarrt, ohne Blick,
erfüllt von Nacht und Weinen,
zwischen uns beiden,
als wollten wir von alleine
verschließen das Tor
zum Garten-Eden-Glück.
Gewen iz efsher dos majn glik:
Filn wi dajne ojgn
hobn zich far mir gebojgn.
Nejn, gewen iz dos majn glik:
Gejn shwajgndik hin un her
mit dir ibern skwer.
Nejn, nit dos, nit dos. Nor her:
Wen iber undzer frejd
flegt shmejchlendik zich ajnbejgn der tojt.
Un ale teg zajnen gewen purpurn,
un ale shwer.
Vielleicht war das mein Glück:
Fühlen wie sich deine Augen
vor mir zum Boden beugten.
Nein, das war mein Glück:
Gehen, schweigend, hin und her
mit dir zusammen auf dem Square.
Nein, nicht das, nicht das. Doch hör:
Als über unsre Freud
gebeugt mit einem Lächeln stand der Tod.
Und alle Tage waren purpurn,
und alle schwer.
Nejn, gornit zogn.
Nor in lichtikejt,
in lojter frejdikejt
zich aropbojgn
tsu dem tser in dajne ojgn,
tsu der shuld in dajne ojgn
un dir zogn …
nejn, gornit zogn.
Nein, gar nichts sagen.
Nur in lauter Helle,
in lauter Freude
sich hinunterbeugen
zu dem Schmerz in deinen Augen,
zu der Schuld in deinen Augen
und dir sagen …
Nein, gar nichts sagen.
Uralte merderin nacht, shwartse muter in nojt, helf mir!
Farnar im, farshpin im, farshling im, dershlog im tsum tojt!
Un ich,
wos trern zajnen gewen majn getrank,
un shand majn brojt,
wel trinken farchalesht,
girik un lang,
wi a libes-gezang,
zajn wajbs gewejn,
dos shwajgn fun kinder,
dos flistern fun frajnd
noch zajn gebejn.
Wel ojfshtejn wi ejne, wos iz lang gewen krank,
a shwarts geshpenst in morgnrojt,
wel zich bukn tsu ale fir ekn fun rojm
un zingen, un zingen, un zingen tsum lebn
a lojb farn tojt.
Uralte Mörderin Nacht, schwarze Mutter in der Not, steh mir bei!
Betör ihn, umspinn ihn, verschling ihn, bring ihm den Tod!
Und ich
– waren doch Tränen mein Trank
und Schande mein Brot –,
trinken werd ich, kaum bei Sinnen,
gierig und lang,
wie einen Liebesgesang,
seines Weibes Gewein,
das Schweigen der Kinder,
das Flüstern der Freunde
über seinem Gebein.
Aufstehen werd ich wie eine, die lange krank darniederlag,
ein schwarzes Gespenst im Morgenrot,
mich verbeugen vor allen vier Ecken im Raum
und singen und singen und singen dem Leben
ein Lob auf den Tod.
Ich hob nit gewust, majn liber,
az mit langzame benkendike finger
krits ich dich ajn in majne lider.
Itst hobn zej dem shwern glants
fun dajne ojgn, di sharfe linje
fun dajn mojl, fun dajn
akshonesdiker hant.
Dos wunder,
wen majn ejgn wort
barirt mich mit dajn hant.
Wen nont, o nont wakstu arojs
fun shtrengn lichtikn akord.
Dos wunder …
Ich habe nicht gewusst, mein Lieber,
dass ich mit langsamen und sehnsuchtsvollen Fingern
dich eingravier in meine Verse.
Nun haben sie den selben schweren Glanz
wie deine Augen, diese selbe scharfe Linie
wie dein Mund, wie deine
unwillige Hand.
Das Wunder,
wenn mein eignes Wort
mit deiner Hand mich anrührt.
Wenn nah, so nah du auftauchst
aus strengem, leuchtendem Akkord.
Das Wunder …
Shlanke shifn drimlen afn geshwoln grinem waser,
shwartse shotns shlofn afn kaltn harts fun waser.
Ale wintn zajnen shtil.
Chmares rukn zich geshpenstik in der nacht der shtumer.
Blejch un ruik wart di erd af blits un duner.
Ich wel zajn shtil.
Schlanke Schiffe schlummern auf den grünen Wasserfluten,
schwarze Schatten schlafen auf dem kalten Wasserherzen.
Alle Winde ruhen still.
Wolken schieben sich gespenstisch durch die Nacht, die stumme.
Bleich und ruhig liegt die Erde, harrt auf Blitz und Donner.
Bald bin ich still.
Di nacht iz arajn in majn hojz
mitn gebrum fun shtern, wasern, fligl,
mitn shajn fun zumpn, shliachn, tumanen.
Ich bin gelegn shtar un fintster.
Bejmer zajnen arajn in majn hojz,
gerukt zich rizik mit wortslen un shtamen
un urtife blikn fun bleter.
Un wolkns ojsterlish-grojs
zajnen gekumen mit duner un lachn,
wi tunkele kep fun di geter.
Un ale hobn zej gedrejt zich shwer, un wild, un wist.
Un ale hobn zej gerojsht: »Du bist, du bist, du bist«.
Ich bin gelegn shtar un fintster.
Die Nacht ist herein in mein Haus
mit dem Gerausche von Sternen, Fluten, Flügeln,
mit dem Glänzen von Sümpfen, Landstraßen, Nebeln.
Ich lag starr und finster.
Bäume sind herein in mein Haus,
ruckten riesenhaft mit Wurzeln und Stämmen
und urtiefen Blicken von Blättern.
Und Wolken, merkwürdig groß,
kamen mit Donner und Lachen,
wie die dunklen Häupter von Göttern.
Und alle drehten sie sich, schwer und wild und wüst.
Und alle lärmten sie: »Du bist, du bist, du bist.«
Ich lag starr und finster.
Hart farachtndik harts,
loz arajn di lichtike chwalje
fun zojnes, muters un kinder,
betlers, kripls un tentsers
un alte lajt fun der shtot,
nor blajb nit mit zich un mit Got.
Hart harts,
antlojf tsu mentshn fun Got.
Hartes, verachtendes Herz,
lass ein die leuchtende Woge
aus Dirnen, Müttern und Kindern,
Bettlern, Krüppeln und Tänzern
und alten Leuten aus der Stadt,
nur bleib nicht bei dir und bei Gott.
Hartes Herz,
entflieh zu den Menschen vor Gott.
Dertsejl es im: Zi hot fargebn
zich nit gekent ir trojerik gemit,
iz zi gegangen durchn lebn
mit zich antshuldiknde trit.
Dertsejl, az zi hot bizn tojt
geshitst getraj mit hojle hent
dos fajer, wos iz ir gewen fartrojt
un in ejgenem fajer gebrent.
Un wi in shoen fun ibermut
hot zi mit Got zich shwer gewert,
wi tif gezungen hot dos blut,
wi tswergn hobn zi tseshtert.
Erzähl es ihm: Nie konnt sie sich vergeben
ihr eignes, trauriges Gemüt,
und deshalb ging sie durch das Leben
mit sich entschuldigendem Schritt.
Erzähl, dass sie bis in den Tod
getreu beschützte mit der bloßen Hand
das Feuer, das ihr anvertraut,
und dass im selben Feuer sie gebrannt.
Und wie in Stunden voller Übermut
sie sich nach Kräften gegen Gott gewehrt,
und wie gesungen, tief in ihr, das Blut,
wie Zwerge sie zerstört.
Shejne werter fun marmor un gold,
nit ajch, nit ajch hob ich gewolt.
Far wor, ich hob di lider nit gewolt.
Nor andere – wi fajer un wi frejlecher shturem,
wos tserajsn impetik dem durchzichtikn furem.
Tsu shpet.
Un ich wolt weln zajn andersh tzu mentshn.
Nor ojch itst bin ich nit grejt
lib tsu hobn kind un kejt.
Ober wen ich wolt kenen fargebn
majn farpajnikt lebn
un tsugejn tsu dem un tsu jenem,
di shlechte, di shejne, di fun cholem getsundn,
welt-farlirer, welt-wagabundn,
un zogn: »Ich will zich ajch gebn.
Ich will zich farshwendn,
wi hejlike in legendn.
Zol majn gutskejt ufgejn iber ajch
shajnendik un rajch …«
Tsu shpet.
Ich her oft umhejmleche trit.
Ich tracht oft wegn letstn exit
un ich shwer
baj Elze Lasker Shiler, Rilke un Bodler,
az ich wel shtumen, nit klogn.
Di letste balejdikung fun lajb wel ich wirdik fartrogn.
Wel in jene shoen efsher cholemen, efsher waksn,