Sprachbewusstsein -  - E-Book

Sprachbewusstsein E-Book

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Beschreibung

Sprache durchdringt unseren Alltag und unterstützt uns tagtäglich dabei, Gedanken in Worte zu fassen. Im Deutschunterricht spielt die Sprache gleich mehrere Rollen: Sie ist sowohl Kommunikationsmedium als auch zentraler Lerngegenstand, der als Querschnittsmaterie fächerübergreifend relevant ist. Dieses Heft möchte sich dem Thema Sprachbewusstsein aus verschiedenen Blickwinkeln nähern und eine Vielfalt an didaktischen Zugängen aufzeigen: Lustvoll-spielerische ergänzen sich mit strukturorientierten Auseinandersetzungen. Die Beiträge zeigen Wege auf, wie über den bewussten, aufmerksamen Umgang mit Sprache Einsichten in die Regeln und Muster der deutschen Sprache sowie metasprachliches Wissen gewonnen werden können. Ausgelotet werden auch Dimensionen, die unmittelbar mit Sprachreflexion in Zusammenhang stehen, wie Varietätengebrauch und die Wertschätzung von Sprache(n). Die Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten von Sprache soll das sprachliche Handeln der Schüler_innen fördern und sie im reflektierten Gebrauch der Sprache sicherer machen. Inhalt Editorial Ursula Esterl, Jutta Ransmayr, Jürgen Struger: Sprache (immer wieder) im Blick Annäherung an den Begriff Sprachbewusstsein Jürgen Struger: Sprachbewusstsein als Querschnittsthematik im Deutschunterricht. Annäherungen an das Phänomen Eva Neuland: Sprachbewusstsein und Sprachreflexion – revisited Sprachbewusstsein und seine Themenfelder Ann Peyer: Erfahrungsbezogene Zugänge zu Sprachbewusstsein Nanna Fuhrhop: Das Schriftsystem als Teilgebiet der Grammatik im Deutschunterricht Juliane Stude: Sprachbewusstsein und Mündlichkeit Sprachbewusstsein anbahnen durch Konzepte, Methoden und Strategien (auch) in Lehrwerken Wilfried Krenn: Verstehe ich alles? Sprachbewusstsein als Katalysator für Lernprozesse in sprachlich heterogenen Deutschklassen Caroline Kodym: Sprachbewusstsein und Sprachreflexion in den Sprachbüchern der Sekundarstufe I. Traditionen, Tendenzen, Ausblicke auf den Lehrplan 2022 Lukas Mayrhofer: Schlagobers statt Schlagsahne – und das ist alles? Sprachbewusstsein entwickeln und Lernprozesse anregen im Klassenzimmer Lucia Haldorn (geb. Zahradníček), Miriam Langlotz: Das Feldermodell als Beispiel zur Förderung von Sprachbewusstsein im Grammatikunterricht Knut Stirnemann: Über Sprache sprechen. Unterrichtsvorschläge zur Erweiterung des Grammatikbewusstseins Petra Balsliemke: Arbeit am Sprachbewusstsein durch Aktivierung des Gefühlswortschatzes. Eine Unterrichtssequenz, die zu Äußerungen über Emotionen anregt Service Julia Tabacariu: Fachliteratur zum Thema Sprachbewusstsein. Auswahlbibliographie Magazin Kommentar Christiane M. Pabst: Im Spannungsfeld zwischen Usus und Norm einerseits und gesellschaftspolitischen Bestrebungen andererseits ide empfiehlt: Nicola Mitterer: Carlo Brune (2020): Literarästhetische Literalität Neu im Regal

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Editorial

URSULA ESTERL, JUTTA RANSMAYR, JÜRGEN STRUGER:

Sprache (immer wieder) im Blick

Annäherung an den Begriff Sprachbewusstsein

JÜRGEN STRUGER: Sprachbewusstsein als Querschnittsthematik im Deutschunterricht. Annäherungen an das Phänomen

EVA NEULAND: Sprachbewusstsein und Sprachreflexion – revisited

Sprachbewusstsein und seine Themenfelder

ANN PEYER: Erfahrungsbezogene Zugänge zu Sprachbewusstsein

NANNA FUHRHOP: Das Schriftsystem als Teilgebiet der Grammatik im Deutschunterricht

JULIANE STUDE: Sprachbewusstsein und Mündlichkeit

Sprachbewusstsein anbahnen durch Konzepte, Methoden und Strategien (auch) in Lehrwerken

WILFRIED KRENN: Verstehe ich alles?Sprachbewusstsein als Katalysator für Lernprozesse in sprachlich heterogenen Deutschklassen

CAROLINE KODYM: Sprachbewusstsein und Sprachreflexion in den Sprachbüchern der Sekundarstufe I. Traditionen, Tendenzen, Ausblicke auf den Lehrplan 2022

LUKAS MAYRHOFER: Schlagobers statt Schlagsahne – und das ist alles?

Sprachbewusstsein entwickeln und Lernprozesse anregen im Klassenzimmer

LUCIA HALDORN (geb. Zahradníček), Miriam Langlotz: Das Feldermodell als Beispiel zur Förderung von Sprachbewusstsein im Grammatikunterricht

KNUT STIRNEMANN: Über Sprache sprechen Unterrichtsvorschläge zur Erweiterung des Grammatikbewusstseins

PETRA BALSLIEMKE: Arbeit am Sprachbewusstsein durch Aktivierung des Gefühlswortschatzes. Eine Unterrichtssequenz, die zu Äußerungen über Emotionen anregt

Service

JULIA TABACARIU: Fachliteratur zum Thema Sprachbewusstsein. Auswahlbibliographie

Magazin

Kommentar

CHRISTIANE M. PABST:

Im Spannungsfeld zwischen Usus und Norm einerseits und gesellschaftspolitischen Bestrebungen andererseits

ide empfiehlt

NICOLA MITTERER:

Carlo Brune (2020):Literarästhetische Literalität

Neu im Regal

»Sprachbewusstsein« in anderen ide-Heften

ide 4-2020

Spracherwerb und Sprachen lernen

ide 1-2020

Schrift und Schriftlichkeit

ide 4-2018

Normen und Variation

ide 4-2015

Sprachliche Bildung im Kontext von Mehrsprachigkeit

ide 3-2014

Österreichisches Deutsch und Plurizentrik

ide 1-2011

Wort.Schatz – Wörter.schätzen

ide 2-2010

Grammatik (und Textgestaltung)

ide 2-2008

Mehrsprachigkeit ide 3-2002 Sprachaufmerksamkeit

Das nächste ide-Heft

ide 4-2021

Global Citizenship Education und|im Deutschunterricht erscheint im Dezember 2021

Vorschau

ide 1-2022

Lesen: Wege zum Text

ide 2-2022

Neues aus Österreich

https://ide.aau.atBesuchen Sie die ide-Webseite! Sie finden dort den Inhalt aller ide-Hefte seit 1988 sowie »Kostproben« aus den letzten Heften. Sie können die ide auch online bestellen.

www.aau.at/germanistik/fachdidaktikBesuchen Sie auch die Webseite des Instituts für GermanistikAECC, Abteilung für Fachdidaktik an der AAU Klagenfurt: Informationen, Ansätze, Orientierungen.

EditorialSprache (immer wieder) im Blick

Dieses Heft greift ein komplexes und weitläufiges Thema (wieder) auf. Sprachbewusstsein ist als Lern- und Arbeitsbereich im Deutschunterricht nicht mehr wegzudenken – wie eine zentrale Schnittstelle, fast wie ein Herzstück, ist es an prominenter Stelle positioniert: als ein Lernfeld des Deutschunterrichts, das in seiner bereichsübergreifenden, alles Sprachliche durchdringenden, integrativ-dienenden Funktion in allen Arbeitsbereichen relevant ist, aber auch für sich allein einen eigenen Lernbereich bildet.

Was genau Sprachbewusstsein ist (oder sein soll), ist jedoch noch nicht umfassend definiert, als vorrangig interne Größe ist Sprachbewusstsein zudem schwer mess- und fassbar; gleichzeitig ist dieser Begriff für den Deutschunterricht unverzichtbar, da angemessene und erfolgreiche Sprachverwendung neben Wissen und Können auch Reflexion und Kritikfähigkeit umfasst sowie einen bewussten Umgang mit Regeln und Normen.

Doch nicht nur im Deutschunterricht erfolgt eine Beschäftigung mit Sprachbewusstsein, es spielt auch für den schulischen Bildungserfolg in anderen Fächern, aber auch außerhalb der Institution Schule selbst eine wichtige Rolle. Denn schulisch vermitteltes sprachliches Wissen und Können bilden auch den Grundstock für den späteren Eintritt ins Berufsleben und in tertiäre Ausbildungen. Dort ändern sich Lernumgebungen, Sprach -gebrauch und Gesprächsformen; neue Textsorten müssen erarbeitet werden und fachspezifische Formen der Darstellung und Kommunikation kommen hinzu – all das nicht zuletzt inmitten einer mehr- und vielsprachigen Gesellschaft. Auf diese vielfältigen Anforderungen kann kein schulisches Curriculum umfassend vorbereiten. Der achtsame, kritische und reflektierende Blick auf Sprache kann aber im Curriculum grundgelegt werden, gewissermaßen als Meta-Kompetenz, mit der Schüler_innen ihre schulische sowie nach- und außerschulische sprachliche Entwicklung bewusst wahrnehmen und steuern und dabei ihre sprachlichen Fähigkeiten selbst erweitern können.

Ein ide-Heft stellt einen begrenzten Raum für dieses vieldimensionale Thema dar, weshalb die Entscheidung für ein Heftkonzept fiel, in dem nach grundlegenden Überlegungen zum Begriff Annäherungen aus unterschiedlichen ausgewählten Perspektiven präsentiert werden. Der Bogen spannt sich dabei von Grundfragen zu Konzepten von Sprachbewusstsein, über grammatikalische, orthographische, pragmatische, wortschatz- und varietätenbezogene Aspekte bis zu methodischen Ansätzen in Schulbüchern und im Unterricht im heterogenen, zumeist mehrsprachigen Klassenzimmer.

In den beiden einleitenden Beiträgen erfolgt eine differenzierte und kritische Annäherung an die vielen Facetten des Bereichs Sprachbewusstsein.

Jürgen Struger lotet die Dimensionen des Begriffsfeldes aus, wobei er zunächst verschiedene Konzepte von Bewusstsein in den Blick nimmt und hinterfragt, inwiefern sich die unterschiedlichen Zugänge, Anforderungen und (Er-)Kenntnisse in einen mit Deskriptoren beschreibbaren Kompetenzbereich überführen ließen, der sich im Deutschunterricht überprüfen und beurteilen lässt. Dabei wird sichtbar, dass der Mehrwert eines sprachsensiblen und sprachbewussten Unterrichts in einem individuellen und reflektierten, wenn auch durch die Lehrperson gelenkten Zugang begründet liegt, der Bezug auf Differenzerfahrungen, auf (eigene und fremde) Sprachverwendung, auf das Spiel mit Norm und (bewusster) Abweichung, auf das Ausloten von Grenzen und die Diskussion über die Angemessenheit von unterschiedlichen sprachlichen Äußerungen nimmt.

Vergangenheit, Gegenwart und (Ausblicke auf die) Zukunft des Begriffs Sprachbewusstsein skizziert Eva Neuland in ihrem Beitrag. Nach einem Rückblick auf die Entwicklungsetappen der bundesdeutschen Diskussion seit den 1980er Jahren zum »Reformkonzept« Reflexion auf Sprache zeigt sie einige bis heute offene Problembereiche, die mit den Termini Sprachbewusstsein und Sprachreflexion verbunden sind, aus didaktischer und linguistischer Sicht auf. Anhand ausgewählter Beispiele aus einer aktuellen Studie zu Gebrauchs- und Verständnisweisen sprachlicher Höflichkeit bei Jugendlichen lassen sich Sprachreflexionen von Jugendlichen auf hohen Entwicklungsstufen und basierend auf einem distinkten Sprachbewusstsein nachweisen. Potential für die Zukunft schulischer Sprachreflexion ortet sie insbesondere in der Verbindung außer schulischer und innerschulischer Sprachreflexion, wobei sich varietäten- und diversitätssensible Felder mit Blick auf die sozialidentifikatorische Dimension von Sprachbewusstsein und Sprachreflexion als besonders ergiebig erweisen.

Drei umfassende Themenfelder des Sprachbewusstseins – nämlich methodisch-didaktische Konzepte der Sprachreflexion im Unterricht, Sprachbetrachtungen und sprachliche Norm sowie der soziale, mündliche Gebrauch von Sprache – werden im zweiten Teil des Heftes bearbeitet.

»Sprache und Sprachgebrauch untersuchen« ist der Kern der Basiskompetenz Sprachbewusstsein und Sprachreflexion und somit für alle Formen des sprachlichen Handelns relevant; darüber hinaus ist es eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Der Zugang dazu eröffnet sich für Schüler_innen dann am besten, wenn Sprachbewusstsein auf eigene Erfahrungen bezogen ist, eine persönliche Auseinandersetzung mit Sprache und ein von der Lehrperson zurückhaltend begleiteter Austausch im Unterricht erfolgt, wie Ann Peyer kenntnisreich ausführt. Sie plädiert dafür, Sprachbewusstsein nicht nur kognitiv, sondern als zum Selbstkonzept einer Person gehörig, das sich im Laufe ihrer sprachlichen und literalen Sozialisation entwickelt und erweitert, zu verstehen. Mithilfe eines diese unterschiedlichen Ebenen berücksichtigenden Mehrebenenmodells können Aufgaben und Gelegenheiten für eine erfahrungsbezogene Auseinandersetzung mit Sprache(n) so gestaltet werden, dass die individuellen Voraussetzungen der heutigen, sehr heterogenen Schüler_innenschaft berücksichtigt werden, wie die Autorin an ausgewählten Beispielen für die Sekundarstufe I aufzeigt.

Nanna Fuhrhop plädiert in ihrem Beitrag dafür, das Schriftsystem als Teilgebiet der Grammatik zu sehen, und verweist dabei auf Erkenntnisse der modernen Schriftsystemforschung und Schriftdidaktik. Da Schrift grammatisch fundiert ist, sollten im Deutschunterricht (Recht-)Schreibunterricht und Grammatikunterricht stärker aufeinander bezogen werden, was sowohl zum Verständnis der Schreibung beitragen als auch Grammatik besser sichtbar machen würde. Die Vorteile eines grammatischen und systematischen Zugangs zur Orthographie zeigt sie anhand von typischen Fehlerquellen wie der Groß- und Kleinschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung von Verben und der dass-Schreibung.

Dass sprachreflexive Aktivitäten im (Deutsch-)Unterricht auch zur Förderung mündlicher Kompetenzen herangezogen werden können, demonstriert Juliane Stude in ihrem Beitrag. Ausgehend von der Funktion mündlicher Kommunikation als Lernmedium, Lerngegenstand und Lernziel zeigt sie auf, wie ein geleitetes Nachdenken über Mündlichkeit sowohl den Aufbau sprachlichen Wissens als auch mündlicher Kommunikationskompetenz unterstützt. Um der immer noch zu geringen Berücksichtigung im (Deutsch-) Unterricht entgegenzuwirken, wird in einem ersten Schritt die Bedeutsamkeit der Mündlichkeit für Schule und Gesellschaft herausgearbeitet und daran anschließend die Rolle des Sprachbewusstseins für den Erwerb mündlicher Kompetenzen beleuchtet. Abgerundet werden die Ausführungen mit unterrichtspraktischen Vorschlägen für den Sekundarstufenunterricht, die dazu einladen, authentische Gesprächssituationen und sprachliche Ausdrucksformen in Feedbackgesprächen metasprachlich zu thematisieren.

Der Frage, mit Hilfe welcher Konzepte, Methoden und Strategien Lernprozesse im Bereich des Sprachbewusstseins im Unterricht – insbesondere durch anregende Aufgabenstellungen in für den Unterricht erstellten Lehrwerken – angebahnt und vertieft werden können, gehen die Beiträge im dritten Teil dieser ide-Ausgabe nach.

Wie ein bewusster Umgang mit Sprache in sprachlich heterogenen Deutschklassen verankert werden könnte, damit Curriculumsziele für möglichst viele Lernende erreichbar sind, ist Thema des dieses Kapitel eröffnenden Beitrags von Wilfried Krenn. Erfolgsversprechend erscheinen ihm dafür lernpsychologisch fundierte didaktische Konzepte, wie sie dem kommunikativen prinzipiengeleiteten Ansatz zugrunde liegen. Mithilfe unterschiedlicher Prinzipien sollen Ausbau und Erweiterung grundlegender Sprachkompetenz unterstützt, praktische Spracharbeit und Sprachreflexion im Unterricht stärker miteinander verknüpft, heterogene Voraussetzungen berücksichtigt und durch signifikante Aufgabenstellungen die Motivation der Lernenden verbessert werden, was zu einer bewussteren Wahrnehmung und Reflexion sprachlicher Phänomene führt. Möglichkeiten der praktischen Umsetzung des prinzipiengeleiteten Ansatzes werden anhand eines Unter-richtsmodell für die Sekundarstufe I sowie ausgewählter Übungssequenzen dargelegt.

Caroline Kodym lenkt den Blick auf die Umsetzung curricularer Vorgaben zu den Bereichen Sprachbewusstsein und Sprachreflexion in ausgewählten Sprachbüchern der Sekundarstufe I. Ausgehend von grundlegenden Überlegungen zu den Anforderungen bei der Gestaltung von Lehrwerken, die unterschiedlichen Vorgaben und Ansprüchen gerecht werden müssen, richtet sie die Aufmerksamkeit auf Fragen einer zeitgemäßen, funktional ausgerichteten, integrierten Grammatikvermittlung, wie sie auch der neue österreichische Lehrplan für die Sekundarstufe I vorsieht. Anhand von Beispielen aus aktuellen Sprachbüchern legt sie dar, wie unterschiedliche Anforderungen – von der motivationsfördernden Gestaltung über die Einbettung von Sprachbewusstsein und Sprachreflexion in die anderen Kompetenzbereiche bis zur thematischen Orientierung an der Lebenswelt und der Berücksichtigung realer Sprachverwendung der Schüler_innen – bei der Erstellung der Lehrwerke umgesetzt werden können.

Die Frage, wie die sprachliche Realität in Österreich in den im Unterricht eingesetzten Lehrwerken für den Deutsch als Zweitsprache- und den muttersprachlichen Deutschunterricht abgebildet wird, erörtert Lukas Mayrhofer. Anhand von ausgewählten Beispielen aus DaZ-Lehrwerken für den außerschulischen Unterricht mit erwachsenen Lernenden sowie aus Lehrwerken für den muttersprachlichen Deutschunterricht in Primar- und Sekundarstufe zeigt er, ob und wie österreichisches Deutsch berücksichtigt wird. Dabei wird sichtbar gemacht, vor welche Herausforderungen Auto r_innen bei der Bearbeitung bestehender Lehrwerke für den österreichischen Markt gestellt werden, um der Plurizentrik des Deutschen nicht nur auf lexikalischer Ebene gerecht zu werden.

Im vierten und abschließenden Teil dieses ide-Heftes präsentieren die Autor_innen anhand von Unterrichtssequenzen und -modellen Anregungen für die Aktivierung von Sprachbewusstsein und Sprachreflexion im Deutschunterricht.

Lucia Haldorn und Miriam Langlotz stellen das Feldermodell ins Zentrum ihrer Betrachtungen und regen dazu an, durch die Nutzung des grammatischen Modells der Felderstruktur formalen und funktionalen Grammatikunterricht zu verzahnen, wobei insbesondere das Potential der relativ freien Wortstellung im Deutschen, veranschaulicht am Beispiel des Vorfelds, Möglichkeiten zur abwechslungsreichen Gestaltung von Satzanfängen eröffnet. Die Berücksichtigung der funktionalen Varianz – durch die Lernenden, aber auch die Lehrkräfte – kann das Sprachhandeln und die Schreibentwicklung der Schüler_innen unterstützen und zu einer abwechslungsreicheren und fokussierteren thematischen und stilistischen Gestaltung der Textkohärenz in den Schüler_innentexte führen.

Daran anschließend präsentiert Knut Stirnemann »Unterrichtsvorschläge zur Erweiterung des Grammatikbewusstseins« für die Sekundarstufen I und II. Mit der Methode des explorativen, selbstentdeckenden (Gram -matik-)Unterrichts werden Schü ler_in-nen angeregt, durch lustvolles Spiel und kreativen Umgang mit Grammatik ihr Sprachbewusstsein zu erweitern und zu vertiefen. Indem sie selbst mit Sprache spielen, Muster und Regularitäten entdecken, können Einsichten in Sprache gewonnen und implizites Wissen kann explizit gemacht werden. Dabei erweisen sich insbesondere Gespräche über grammatische Phänomene in der Peergroup oder mit den Lehrenden als besonders fruchtbar.

Wortschatzarbeit zur Aktivierung des Sprachbewusstseins steht im Fokus des den Praxisteil abschließenden Textes von Petra Balsliemke. Sie zeigt anhand einer Unterrichtssequenz zum Gefühlswortschatz Möglichkeiten auf, wie Lernende über die Äußerung von Gefühlen ihr Sprachbewusstsein aktivieren und durch Sprachreflexion auf die Bewältigung von pragmatischkommunikativen Handlungsanforderungen vorbereitet werden können. Durch die enge Verbindung von Denken und Emotion in mentalen Prozessen kann die Auseinandersetzung mit dem Gefühlswortschatz nicht nur zur Erhöhung der Kommunikationskompetenz und der Sprachsensibilität führen, sondern auch zur Arbeit an der eigenen Sprachbiografie und dadurch zur Identitätsbildung beitragen.

Die sorgfältig zusammengetragene Auswahlbibliographie von Julia Tabacariu bietet einen Überblick über ausgewählte sprachwissenschaftliche und -didaktische Publikationen sowie Unterrichtsmaterialien zum großen Themenfeld des Sprachbewusstseins. Den Magazinteil eröffnet Christiane M. Pabst, die in ihrem Kommentar die Abbildbarkeit sprachlicher Normen im Spannungsfeld gesellschaftspolitischer Bestrebungen und sprachlenkender Einflüsse in einem Regelwerk wie dem Österreichischen Wörterbuch auslotet. Carlo Brunes kenntnisreiche und profunde Abhandlung Literarästhetische Literalität (2020) steht im Zentrum von Nicola Mitterers Literaturempfehlung.

Die verschiedenen »Ebenen« der sprachlichen Bewusstwerdung zeigen sich auch auf dem von Ariane Ouschan gestalteten Umschlag. Dieser soll wie das gesamte vorliegende ide-Heft dazu beitragen, die Auseinandersetzung mit dem vielfältigen Bereich des Sprachbewusstseins (wieder) anzuregen und zu vertiefen.

Wir laden dazu ein, den eingeschlagenen Wegen zu folgen, es bleibt jedoch noch viel Raum für eigene Erkundungen.

URSULA ESTERL, JUTTA RANSMAYR UND JÜRGEN STRUGER

__________

URSULA ESTERL ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für GermanistikAECC der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Mitherausgeberin der Zeitschrift ide. Arbeitsschwerpunkt: Deutsch als Zweitsprache. E-Mail: [email protected]

JUTTA RANSMAYR ist Assistenz-Professorin für Sprachdidaktik Deutsch am Institut für Germanistik und am Zentrum für Lehrer_innenbildung der Universität Wien. Sie beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit Sprachdidaktik und Korpuslinguistik, insbesondere mit Sprachnormen und österreichischem Deutsch bzw. sprachlicher Varianz im Deutschen. E-Mail: [email protected]

JÜRGEN STRUGER ist Assoc. Professor am Institut für GermanistikAECC, Abteilung Fachdidaktik an der AAU Klagenfurt im Bereich Sprachdidaktik. Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Sprachaufmerksamkeit, Schreibdidaktik, Textund DiskursentwicklungE-Mail: [email protected]

Jürgen Struger

Sprachbewusstseinals Querschnittsthematik imDeutschunterricht

Annäherungen an das Phänomen

In diesem Beitrag sollen einige Dimensionen des Begriffsfeldes Sprachbewusstsein dargestellt und im Hinblick darauf diskutiert werden, wie sich Sprachbewusstsein manifestiert, ob und wie es nachgewiesen und überprüft werden kann und welche Konsequenzen sich für den Unterricht ergeben. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Sprachbewusstsein nicht zur Gänze didaktisiert (standardisiert, überprüft etc.) werden kann, dass es aber auf allen Ebenen, in allen Bereichen und Situationen des Deutschunterrichts relevant ist und thematisiert werden kann. Ziel dieses Beitrags ist es, die grundlegende Bedeutung von Sprachbewusstsein für den Deutschunterricht darzustellen.

1. Sprachbewusstsein: Annäherungen an den Begriff

Der Begriff Sprachbewusstsein1 stellt eine bemerkenswerte Ausnahme im deutschdidaktischen Vokabular dar.

Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören werden in Kompetenzbeschreibungen formuliert, die wiederum in Kompetenzbereiche gliederbar sind, die schließlich mit standardisierbaren Deskriptoren beschrieben werden können. Kompetenzorientierung zielt ihrem Wesen nach auf die Modellierung von Könnensbeschreibungen. Kompetenzen sind nicht sichtbar, man kann auf sie »nur aus dem Erfolg von Handlungen in Form von ›Produkten‹ schließen« (BMBWF 2011, S. 3). Das bringt Vor- und Nachteile mit sich. Zu den Vorteilen zählt die Möglichkeit, mit psychometrischen Methoden valide Testkonstrukte zu entwerfen, die dann den jeweiligen Kompetenzbereich abbilden und die zu Test- und Prüfformaten führen, mit denen das Konstrukt »Kompetenz« zuverlässig und vergleichbar in SchülerInnenleistungen überprüft werden kann. Zu den Nachteilen zählt, dass es sich eben um Konstrukte handelt, die mehr oder weniger genau die Phänomene abbilden, für die sie erstellt worden sind. Eine an Transparenz, Vergleichbarkeit und Objektivität orientierte Deutschdidaktik bzw. ein solcher Deutschunterricht basieren in wesentlichen Bereichen auf dieser konstruktorientierten Logik, die in der Unterrichtspraxis zu konkret formulierbaren Könnenserwartungen führt. Das Prädikat »Gut schreiben können« mit der Aura von Talent, Begabung oder gar Genie wird durch analysierbare Schreibkompetenzen ersetzt, die auch ständig erweitert werden können. So weit, so gut.

Wie steht es aber um »Sprachbewusstsein«? Die beschriebene Logik der Modellierung von Kompetenzbereichen wird auch hier angewendet:

Der Kompetenzbereich Sprachbewusstsein umfasst die Fähigkeiten, Text- und Satzstrukturen zu erkennen (Satzzeichen, Bindewörter, Satzbauelemente) und die grundlegenden Regeln der Rechtschreibung und der Verwendung von Zeitformen zu beherrschen. Auch die Benennung von Wortarten, das Wissen um ihre wesentliche Funktion und die Grundlagen ihrer Bildung sowie das Erkennen von Wortstrukturen zählen zu diesem Kompetenzbereich. Des Weiteren fokussiert dieser Kompetenzbereich auf die Fähigkeit, sprachliche Ausdrucksmittel situationsgerecht anzuwenden und überprüft, ob die Schülerinnen und Schüler über einen angemessen differenzierten Wortschatz verfügen und Bedeutungsunterschiede von Wörtern kennen. (BIFIE 2016, S. 14; Hervorh. J. S.)

Fähigkeiten, Kenntnisse, Regelbeherrschung, Wortschatz, angemessene Anwendung: Diese Determinanten sind hilfreich für die Praxis, denn sie lassen sich in konkrete Anforderungen, Übungen und Überprüfungsformate umsetzen. Hier wie auch bei den anderen Kompetenzbereichen ist aber zu fragen, ob dieses Konstrukt, das zur Überprüfung dient, das Phänomen Sprachbewusstsein ausreichend einfängt. Im Folgenden sollen Annäherungen an den komplexen Begriff »Sprachbewusstsein« skizziert werden, wobei der Fokus auf dem komplexen Bewusstseinsbegriff liegt.

1.1 (Sprach-)Bewusstsein ist ein vieldimensionales Phänomen

Im Rahmen dieses Beitrags kann nicht auf die enorme Anzahl an Konzepten von Bewusstsein eingegangen werden, zur Orientierung sollen aber folgende Bestimmungen als Thesen im Hinblick auf den Deutschunterricht diskutiert werden.2

•Phänomenales (Sprach-)Bewusstsein3: die Fähigkeit, Dinge der Außenwelt zu erleben und sich von ihnen ein konkretes Bild (eine mentale Repräsentation; vgl. Metzinger 1999, Abschnitt 3.2) zu machen, auf dessen Grundlage das Individuum handlungsfähig wird; hier konkret die Fähigkeit, Sprache in ihren Formen, Wirkungen und spezifischen Eigenschaften bewusst wahrzunehmen.

Die Wahrnehmung des Individuums richtet sich dabei zum Beispiel auf Sprache als eigenständigen Phänomenbereich, der nach bestimmbaren Regeln und Formen strukturiert ist. Bewusstsein bedeutet hier etwa, sich der spezifischen Eigenschaften verschiedener Sprachregister bewusst zu sein und den Unterschied zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch zu erkennen; oder etwa zu erkennen, dass ein Text fehlerhaft oder in einem auffälligen Stil verfasst wurde. Bereits im Vorschulalter finden sich bei Kindern Indizien für »sprachliche Bewusstseinsprozesse, mit denen sie besondere Phänomene in der mündlichen Sprache thematisieren« (Spitta 2000, S. 9), etwa wenn gefragt wird: »Warum heißen Kirschen eigentlich Kirschen« etc. (ebd.; vgl. hierzu auch Neuland/Peschel 2013, S. 127 f.). Das kann auch im DaZ-Kontext bei Vorschulkindern beobachtet werden, wenn Sprache bewusst als abweichend wahrgenommen wird: »Das klingt aber komisch!« (vgl. Jeuk 2021, S. 62). Hier handelt es sich nicht um sprachliche Zweifelsfälle im engeren linguistischen Sinn (siehe hierzu etwa Dürscheid 2011; Klein 2003), sondern um einen zweifelnden Blick auf Sprache, der Regeln und Muster und eventuell Abweichungen davon erkennt und benennt.

Phänomenales Bewusstsein lässt sich – annähernd – mit Deskriptoren beschreiben, da es an systematisierten Spracheigenschaften ausgerichtet ist; diese bilden den Orientierungsrahmen, also etwa Wortarten, Satzbau etc. (siehe oben, BIFIE 2016, S. 14). Entlang der Sprachstrukturen lassen sich Aufgaben entwerfen, über die man auf (phänomenales) Sprachbewusstsein schließen kann.

•Reflexives (Sprach-)Bewusstsein: die Fähigkeit, sich selbst als SprachbenutzerIn wahrzunehmen.

Identität und Kommunikation werden, insbesondere in soziologischen Ansätzen seit den 1970er Jahren wie zum Beispiel bei Habermas, als einander bedingend verstanden. Bezogen auf Sprachbewusstsein wird dabei Reflexion besonders betont, wie zum Beispiel bei Ingendahl (1999):

– Reflexion über die Sprache selbst: Sprachbewusstsein

– Reflexion über die sprachlich kennenzulernende Welt: Gegenstandsbewusstsein

– Reflexion über die Beziehungen der beteiligten Menschen: Gesellschaftsbewusstsein

– Reflexion über Innenwelten: Selbstbewusstsein (Ingendahl 1999, S. 121 f.)

Der Blick richtet sich also zugleich auf die Außenwelt (Sprache, Welt, Beziehungen) und auf »Innenwelten«, wobei Reflexion letztlich streng genommen immer den Blick auf sich selbst in Bezug auf die eigene Sprachverwendung bedeutet, auf sich selbst in einem kommunikativen Umfeld in Auseinandersetzung mit anderen Individuen und in Bezug auf Normen der Kommunikation:

Ich-Identität […] ist an soziale Kommunikation und an die Reflexion von Normen, die in der Kommunikation gelten bzw. gelten sollen, und an die Reflexion des Ichs, wer es unter diesen reflektierten Normen selbst ist, gebunden. Ich-Identität ist reflexives Bewusstsein und die Kompeten z, sich unter allgemein begründbaren Normen als konsistent zu präsentieren. (Abels/König 2010, S. 66; Hervorh. i. O.)

Ein Beispiel hierfür wäre etwa sich ständig wandelnde Formen von Jugendsprache, die gerade durch ihre Brechung von und ihr Spiel mit Normen erklärbar sind.4 Jugendsprachliche Phänomene können in diesem Sinn als Ergebnisse von reflexiver Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als SprachbenutzerIn gedeutet werden. Der Blick richtet sich hier vom Individuum auf sich selbst in Sprachverwendungszusammenhängen, also darauf, welche Normen es gibt und wie und wieweit diese angenommen werden, bzw. darauf, in welchen Kontexten welche Sprachverwendungen für eine Teilhabe angemessen sind. Ein weiteres Beispiel wäre die bewusste Wahrnehmung von unterschiedlichen Sprachregistern in der privaten und öffentlichen Kommunikation (z. B. Regeln der konzeptionellen Schriftlichkeit im Unterschied zu informeller Sprache in Chats etc.).

Reflexives Sprachbewusstsein lässt sich annäherungsweise in Deskriptoren beschreiben, wenn man die Reflexion und Auseinandersetzung mit Normen (siehe obiges Zitat) als Grundlage nimmt, es entzieht sich jedoch bislang der generellen Vergleichbarkeit und Standardisierbarkeit. Nichtsdestotrotz ist Deutschunterricht nicht denkbar ohne die Annahme von selbst-bewussten SprachbenutzerInnen, die ihr Sprechen und Schreiben in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Vorgaben entwickeln (vgl. etwa Budde 2012, S. 22 f.).

•Intentionales (Sprach-)Bewusstsein: Eine seit dem 19. Jahrhundert bestehende Richtung der Geistesphilosophie, angeregt vom Philosophen Franz Brentano, nimmt an, dass Bewusstsein stets einen Absichtsgehalt hat, dass ich mir (reflexiv) nicht nur einer Sache (phänomenal) bewusst sein kann, sondern damit immer Ziele verfolge, Handlungsabsichten habe. Umgelegt auf Sprachbewusstsein ist Sprachverwendung letztlich immer als Handlung zu verstehen, die verschiedene Funktionen erfüllt.5 Erwähnt seien hier die von Jakobson (1971) formulierten Sprachfunktionen (Darstellung, Ausdruck, Appell, Beziehungsorientierung, poetische Funktion und metasprachliche Funktion) oder das Organon-Modell von Bühler (1993). Dieser Aspekt spielt gerade im Unterrichtskontext eine herausfordernde Rolle, da Handlungsaufträge etwa in Form von Schreibaufgaben nicht automatisch zu Handlungsabsichten von SchülerInnen werden. Die Forderung nach »authentischen« Aufgabensettings, die noch dazu möglichst einen »Bezug zur Lebenswelt von SchülerInnen« haben sollen, versucht letztlich, im Unterrichtskontext sinnvolle Intentionen bzw. Handlungsziele zu formulieren.

Diese zwangsläufig unvollständige Liste der Aspekte zeigt, dass das Phänomen Sprachbewusstsein nur teilweise über Deskriptoren beschreibbar und überprüfbar ist und dass es trotzdem im Unterricht über die Bildungsstandards hinaus zu berücksichtigen ist.

1.2 (Sprach-)Bewusstsein entsteht durch Differenzerfahrungen und in Kommunikationen

Ein bis auf Piaget zurückgehender Ansatz der Bewusstseinsforschung basiert auf der Annahme, dass Sprachbewusstsein aus Erfahrungen der Differenz zwischen eigenem und fremdem Sprachgebrauch erwächst (vgl. Paul 2011, S. 78), dass »Differenzerfahrung als Motor von Betrachtungsaktivitäten« (Bredel/Pieper 2015, S. 282) und somit von Sprachbewusstsein beschrieben werden kann.

Ein Konsenspunkt aller Forschungsergebnisse besteht darin, dass der ursprüngliche Auslöser der Reflexionen über Sprache als eine »Störung« in der fortlaufenden Kommunikation anzusehen ist, als ein Moment der »Differenzerfahrung« zum sonst »automatisch« und störungsfrei ablaufenden Sprachgebrauch. In diesem Moment beginnt der Sprecher (oder Schreiber) über den sprachlichen Problemfall zu reflektieren. Entweder geschieht diese Reflexion »unbewusst«, also selbst für den Reflektierenden nicht explizit wahrnehmbar, und führt zu einer schnellen Auflösung der Differenzerfahrung, oder sie wird mehr oder weniger abstrahiert vom fortlaufenden Kommunikationsprozess und explizit vollzogen. (Siegfried 2004, S. 18)

Neuland spricht sich bereits 1993 dafür aus, dass der Sprachunterricht Differenzerfahrungen von SchülerInnen »als einen immer wichtiger werdenden Bestandteil der kommunikativen Wirklichkeit ernst nehmen« muss (Neuland 1993, S. 57). Differenzerfahrungen sind schon in frühen Phasen des Spracherwerbs von Kindern zu beobachten und können alle Ebenen der Sprachverwendung betreffen:

• Phonetik, Lexik, Grammatik, Syntax: Differenzen in der Aussprache (dialektale Varianten, nationale Sprachvarietäten etc.), in der Wortwahl, im Satzbau (stilistische Merkmale, Phraseologie)

• Sprachkontakte, Mehrsprachigkeit (auch innere)

• Soziale Kontexte: privat vs. öffentlich; formell vs. informell, Gruppen- und Fachsprachen etc.

• Mediale Kontexte: Schriftlichkeit vs. Mündlichkeit; digitale vs. analoge Formen der Kommunikation

• Gesellschaftliche Teilbereiche mit ihren unterschiedlichen Diskursformen: Politik, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft etc.

Differenzerfahrungen entstehen im Spracherwerb und in der Sprachverwendung zwangsläufig, wenn auch oft vorbewusst (siehe oben). Ein sprachbewusster Unterricht kann sie zum Thema machen und damit »ins Bewusstsein rücken«.6 Eine Konsequenz davon ist ein veränderter Umgang mit dem Gegensatz zwischen Norm und Abweichung. Bewusste Differenzerfahrungen in der Sprachverwendung zielen dann nicht lediglich darauf ab, zwischen »richtig« und »falsch« zu unterscheiden und die bzw. eine sprachliche Norm zu kennen, sondern auf die Fähigkeit, die Angemessenheit von Sprache in verschiedenen Kontexten einzuschätzen. Die didaktische Aufgabe besteht hier darin, Reflexion nicht nur über unterschiedliche Sprachverwendungen anzuregen, sondern darin, die Differenzerfahrungen der SprachenlernerInnen zur Sprache kommen zu lassen, was in allen Teilbereichen des Deutschunterrichts möglich ist, vom eigentlichen Grammatikunterricht über Lesen und Schreiben bis zum Literaturunterricht.

1.3 (Sprach-)Bewusstsein: Regeln, Probleme, Zweifel und die Fähigkeit, Fragen zu stellen

Sprachverwendung wird im Deutschunterricht unter den Vorgaben der Angemessenheit und formalen Richtigkeit in Leistungsüberprüfungen beurteilt. Eine sprachliche Regel richtig anzuwenden (etwa die Passivbildung, die Nominalisierung oder die Bildung und den Einsatz von Partizipien) bedeutet ein Leistungsziel erreicht zu haben. Das kann etwa im traditionellen Grammatikunterricht mit den bekannten Methoden (Übungssätze, Lückentexte etc.) erreicht und überprüft werden. Das von der Lehrkraft vermittelte Wissen kann solange geübt werden, bis entsprechende Leistungsüberprüfungen zufriedenstellende Ergebnisse liefern. Damit kann das vorab definierte Wissen über bestimmte Teilbereiche des grammatikalischen Systems (Normen, Regeln, Anwendungsbeispiele) an SchülerInnen weitergegeben werden. SchülerInnen sollten nun wissen, »wie man es richtig macht«. Die Praxis zeigt oftmals, dass das Einüben von Normen und Regeln bis zur Perfektion in der Regelanwendung am Übungsblatt gebracht werden kann und dass der etwas später verfasste (freie) Text trotzdem den Eindruck macht, als wären bestimmte Themen nie besprochen worden. Der/die LehrerIn nimmt das wahr und verstärkt die Übungseinheiten, bis das Ergebnis akzeptabel ist. Was ist passiert? Normen und Regeln wurden geübt, aber ihre Anwendung in vielen unterschiedlichen Fällen kann natürlich nicht vorweggenommen werden und bei der Erledigung eines Schreibauftrages rückt das Wissen über die korrekten Partizipformen, die jeweiligen Textsorteneigenschaften etc. in den Hintergrund, weil noch viel mehr (Themenführung, Textaufbau etc.) zu berücksichtigen ist. Die Lehrkraft nimmt die Fehler wahr, der/die SchülerIn offenbar nicht.

Die Definition von Könnenserwartungen an SchülerInnen ist zwangsläufig entlang von sprachlichen Normen und Regeln (wie etwa Textsorteneigenschaften u. a.) formuliert. Eine Regel zu befolgen, bedeutet im schulischen Zusammenhang eine positive Leistung zu erbringen. In einem weiter gefassten Sinn sind es jedoch nicht nur Regeln und Normen, die es zu kennen und zu beherrschen gilt, sondern auch ihre Grenzen. Ein bewusster Umgang mit Sprache umfasst zwar Regelwissen, aber auch ein Verständnis davon, was es bedeutet, wenn Regeln verletzt werden;7 weiters die Fähigkeit, Regeln und ihre Anwendung fallweise infrage zu stellen oder als Problem zu erkennen. Wenn der/die LehrerIn einen grammatikalischen Fehler im Schülertext markiert, weiß der/die SchülerIn, dass er/sie eine Regel verletzt hat – mehr aber noch nicht. Von Sprachbewusstsein kann etwa in der Schreibdidaktik möglicherweise gesprochen werden, wenn schon bei der Formulierung oder bei der Überarbeitung eines Textes die Frage gestellt wird: »Stimmt das so? Kann ich das so sagen? Gibt es andere Möglichkeiten des Ausdrucks?«, wenn also die eigene Textproduktion im Hinblick auf die Regeleinhaltung im gegebenen Kontext hinterfragt wird und wenn Zweifelsfälle auftreten und alternative Formulierungen erwogen werden; oder in Bezug auf das Lesen bei der Erarbeitung von Texten mit einem kritischen Blick darauf, mit welchen sprachlichen Mitteln ein Text seine Wirkung erzielt.

Es geht hierbei also um den Blick auf Sprache von einer Außenperspektive, von der aus der/die SprecherIn seine/ihre Sprache betrachtet. Nach Wittgenstein kann Sprachverwendung als »ein Teil […] einer Tätigkeit, oder einer Lebensform« (Wittgenstein 2010, § 23) verstanden werden. Wittgenstein spricht von »Sprachspielen«8 mit spezifischen Regeln, die einzuhalten sind, wenn Sprache erfolgreich verwendet werden soll. Um das »Spiel« zu beherrschen, ist es nicht nur erforderlich, die Regeln einzuhalten, sondern sie auch in ihrer Funktion und ihren Grenzen zu verstehen, was wiederum bedeutet, sie hinterfragen zu können. Die Rede vom »Sprachspiel« ist hilfreich beim Verständnis der Tatsache, dass Normen und Regeln keine Naturgesetze sind, sondern auch – bewusst – verändert werden können.

2. Sprachbewusstsein im Unterricht: didaktische Implikationen und Orientierungspunkte für die Berücksichtigung von Sprachbewusstsein

Nach diesem zwangsläufig unvollständigen Blick auf Dimensionen des Begriffs Sprachbewusstsein lässt sich zusammenfassend feststellen, dass Sprachbewusstsein in allen Bereichen des Deutschunterrichts relevant ist, in allen Dimensionen des Lehrplans (unabhängig von der jeweils geltenden Version) und letztlich potenziell in jeder unterrichtspraktischen Situation. Sprachbewusstsein ist ungeachtet seiner nur eingeschränkten Standardisierbarkeit und Bewertbarkeit eine generell zu berücksichtigende Dimension, wenn man die Tatsache akzeptiert, dass die Entwicklung von Sprachkompetenzen nicht mit der Reifeprüfung abgeschlossen ist. Ein bewusster und reflektierter Blick auf Sprache(n) kann als Grundlage für den weiteren Ausbau von Kompetenzen verstanden werden, der mit dem Einstieg in tertiäre Ausbildungen ebenso wie in unterschiedliche Berufswege erforderlich ist. Sprachbewusstsein gilt als »integraler Bestandteil aller anderen Kompetenzbereiche« (BIFIE 2016, S. 14). Was aber bedeutet das in der Praxis? Gewissermaßen traditionell wird Sprachbewusstsein quasi als Synonym für Sprachwissen, für Kenntnisse in Grammatik und Rechtschreibung verstanden; in erweiterten Fassungen auch mit dem Blick auf Syntax, Stil und Texteigenschaften. Das hatte (und hat) zur Folge, dass es tendenziell isoliert vermittelt wird und nicht in andere Bereiche integriert, wobei zu klären ist, wie sich diese »Integration« im Unterricht äußern kann. Der bewusste Blick auf Sprache und ihre Eigenschaften kann jedoch in allen Bereichen des Deutschunterrichts zum Thema gemacht werden, anlassbezogen oder geplant, und zwar nicht lediglich als zusätzliche Option, sondern durchwegs als Kernelement des jeweiligen Lerninhalts. Aus dem bisher Gesagten lassen sich zusammenfassend die folgenden Eckpunkte für die Berücksichtigung von Sprachbewusstsein im Deutschunterricht formulieren.

2.1 Sprachbetrachtung ist kein »Lehrinhalt« neben anderen, sondern eine Grundlage jeglicher Themenbearbeitung im Deutschunterricht

Grammatik und Sprachbetrachtung als ein Fokus zu Beginn der Sekundarstufe I rücken mit den aufsteigenden Schulstufen mehr und mehr in den Hintergrund, andere Bereiche nehmen zunehmend Raum ein, wie etwa das Lesen und Verfassen von Sachtexten und Literaturunterricht. Spätestens zu Beginn der Sekundarstufe II wirft die Schriftliche Reife- und Diplomprüfung ihren Schatten auf die Stundeninhalte. Grammatik bleibt aber weiterhin relevant, der Blick auf Sprache in ihren Verwendungszusammenhängen in literarischen und Sachtexten, in diversen Medien und im Hinblick auf wissenschaftliches Schreiben (Vorwissenschaftliche Arbeit). Das wird etwa deutlich, wenn aktuelle Themen wie Fake News thematisiert werden. Eine Trennung von Inhalten und sprachlichem Ausdruck ist hier ebenso wenig möglich wie in literarischen Werken (und hier nicht lediglich in der Lyrik).

2.2 Interaktion – die Rolle der Lehrenden

Wie in Abschnitt 1 herausgearbeitet, bezieht ein sprachbewusster Unterricht nicht nur den Gegenstand (Sprache und ihre Strukturen) ein, sondern auch die SprachbenutzerInnen (reflexiv und handelnd). Somit kann jedes Thema in seiner sprachlichen Verfasstheit bearbeitet werden und zugleich auch mit Blick darauf, wie über dieses Thema gesprochen/geschrieben werden kann. Dem/der LehrerIn kommt die Aufgabe zu, Kommunikation über Sprache anzuregen, da Sprachbewusstsein kein zu vermittelnder »Lehrinhalt« ist, sondern vielmehr eine kommunikative Grundhaltung, mit der der Blick auf Sprache und die SprecherInnen sowohl punktuell auf konkrete Phänomene der Grammatik (wie etwa das Partizip etc.) als auch auf ganze Themenfelder (wie etwa das Erörtern, Berichten, politische Sprache etc.) gerichtet werden kann. Das impliziert aber auch, dass der/die Lehrende sich den bewussten und gewohnheitsmäßigen kritischen Blick auch auf die eigene Sprach-verwendung zu eigen macht und sich als Teil der kommunikativen Situation im Unterricht versteht.

2.3 Normen, Regeln und ihre Anwendung in Kontexten (Sprache in Gebrauch)