Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania -  - E-Book

Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania E-Book

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Beschreibung

Die Beiträge des Bandes beleuchten die Beschreibung und Bewertung sprachlicher Entwicklungstendenzen und Diskussionen um "guten" und "schlechten" oder "richtigen" und "falschen" Sprachgebrauch im Spannungsverhältnis von öffentlicher und fachwissenschaftlicher Wahrnehmung. Es werden vielfältige Aspekte von Sprachkritik und Sprachberatung in verschiedensten romanischen Ländern untersucht.

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Seitenzahl: 783

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania

Wolfgang Dahmen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0057-1

Inhalt

Einleitung1. Frankophoner RaumSprachstil – Sprachvariation – Sprachwandel? Jacques Olivier Grandjouan, Les linguicides (1971)1 Einleitung2 Les linguicides: Inhaltsüberblick3 Kritik4 Variation oder Wandel?Sprachpflegerische Welten im Internet:1 Einleitung und Zielsetzung2 Sprachpflege und Laienlinguistik in öffentlichen Diskursräumen3 Online-Diskurse als Sonderform öffentlicher Diskurse4 Linguistische Diskursanalyse als methodischer Zugang zu laienlinguistischer Sprachreflexion5 Exemplarische Analyse6 Zusammenfassende Bemerkungen und AusblickGibt es eine Norm des Québécois?Zum Wandel in der Bewertung regionaler Merkmale in Québec1 Einleitung2 Die Rolle der Norm für die Sprachkritik3 Das Québecer Französisch und die Normfrage4 Die historischen Diskussionen zum sprachlichen Leitbild in Québec5 Sprachberatung und Sprachkritik in Québec heute6 KonklusionBibliographieEine frankokanadische Norm – Chancen und Grenzen1 Historischer Abriss der sprachlichen Situation im frankophonen Kanada2 Die heutige sprachliche Situation3 Aspekte der Normproblematik im frankophonen KanadaBibliographie2. IberoromaniaLingüística popular y codificación del español1 Introducción2 Un ejemplo: Un supuesto caso de dequeísmo3 Los “libros de estilo”, codificación “popular” de la norma, y la asesoría lingüística académica4 La norma ejemplar en el nuevo Libro de estilo (El País 2014): El “Diccionario”5 ConclusiónBibliografíaDie katalanische Sprachkultur am Beginn des 21. Jahrhunderts1 Einleitung: Sprachkritik und Sprachspiel2 Die Abgrenzung vom Kastilischen in der katalanischen Sprachkultur3 Sprachkultur der dubtes4 Wörterbücher, diccionaris de dubtes und llibres d’estil: „Ve’t ací el llibre imprescindible“?5 Der normative Diskurs in der katalanischen Sprachkultur: Exklusion – correctio – orientació d’ús6 SchlussbetrachtungBibliographie„Su acento le hace más apta para Dos Hermanas o Vélez-Málaga“. Polémica lingüística acerca de variedades e identidades1 El problema y el método2 El análisis3 Perspectivas„Sa nostra llengo“ – Die balearischen Artikelformen im Fokus laienlinguistischer Sprachkritik1 Vorbemerkungen2 Die Artikelformen aus systemlinguistischer Perspektive3 Die Artikelformen aus soziolinguistischer Perspektive4 Die Formen des article salat in der gegenwärtigen laienlinguistischen Diskussion5 Abschließende BemerkungBibliographieWie man versucht, den Dialekt von Alghero in die katalanische Normsprache einzupassen1 Geschichte des Katalanischen in Alghero2 Kurze Charakteristik des katalanischen Dialekts von Alghero3 Bemühungen um eine Sprachkodifizierung für Alghero an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert4 Josep Sanna publiziert ein Wörterbuch nach den Kriterien der katalanischen Normsprache5 Probleme bei der Applikation der katalanischen Normsprache auf den Dialekt von Alghero3. LateinamerikaDie Sprachratgeber der Academia Argentina de Letras – eine diachrone Analyse1 Einleitung2 Die Sprachberatung der Academia Argentina de Letras3 Dudas idiomáticas frecuentes (1992–2001)4 Diccionario argentino de dudas idiomáticas (2011)5 Exkurs: Panorama de nuestra lengua (2014)6 Twitter – Eine neue Form der Sprachberatung7 Analyseergebnis8 Nationale Sprachberatung und die panhispanische NormQuellennachweisDie Emergenz neuer sprachlicher Standards im peruanischen Spanisch: laienlinguistische vs. fachwissenschaftliche Perspektiven1 Interne Migration und ihre sprachlichen Konsequenzen in Peru2 Die Emergenz neuer sprachlicher Standards aus fachwissenschaftlicher Perspektive3 Die Emergenz neuer sprachlicher Standards aus Sprechersicht4 Der sprachliche Wandel in Lima aus Sprechersicht5 Das limeño als ‚norma culta peruana‘?6 FazitBibliographieNo digas chido porque se escucha gacho – Sprachkritik in Mexiko1 Vorüberlegungen2 Was ist Sprachkritik?3 Sprachkritik im Spannungsfeld zwischen norma culta und sprachlicher Realität im mexikanischen Kontext4 Ebenen von Sprachkritik in Mexiko5 Fazit und AusblickBibliographie4. ItalienischZwischen Norm und Gebrauch: die Online-Sprachberatungsdienste der Accademia della Crusca und von Treccani1 Die Sprachberatungsdienste von Treccani und von der Accademia della Crusca2 Fragen und Antworten: Die Sprachberatungsdienste der Crusca und von Treccani im Vergleich3 „Laien“, „Experten“ und die (Gebrauchs-)NormSprachkritik und Sprachberatung im Kontext der italienischen Lokalisierung freier und offener Software1 Einleitung2 Freie und offene Software3 Kanäle von Sprachberatung und Sprachkritik im Kontext der italienischen Lokalisierung von Freier und offener Software4 ZusammenfassungNormvorstellungen und Normtoleranz bei Italienischsprechern im Ruhrgebiet und in Catania1 Einleitung2 Normen und Normvorstellungen3 Sprachreflexion von Laien und Linguistik4 Normen, Sprechen und metasprachliche Äußerungen5 Umfrage Ruhrgebiet/Catania6 Schlüsse aus dem DatenmaterialGesprochenes Italienisch im Ruhrgebiet und in Catania aus laienlinguistischer und fachwissenschaftlicher Perspektive: Ergebnisse eines Perzeptionsexperiments1 Einleitung2 Wahrnehmung des gesprochenen Italienischen im Ruhrgebiet3 Wahrnehmungsexperiment4 Fazit5. RumänischMă-ta are cratimă. Die rumänische Orthographie als Objekt von Sprachkritik und Sprachberatung1 Herausbildung der rumänischen Sprachnorm2 Sprachpflege und Sprachkritik seit 19453 Sprachberatung im Internet4 Schlussbemerkungen

Einleitung

Claudia Polzin-Haumann (Saarbrücken)/Wolfgang Schweickard (Saarbrücken)

Das 30. Romanistische Kolloquium zum Thema „Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania“ hat vom 24. bis 26. September 2015 in Saarbrücken stattgefunden. Zentrale Schwerpunkte waren die Beschreibung und Bewertung sprachlicher Entwicklungstendenzen und die Diskussion um „guten“ und „schlechten“ oder „richtigen“ und „falschen“ Sprachgebrauch im Spannungsverhältnis von öffentlicher und fachwissenschaftlicher Wahrnehmung. Damit wurde ein Themenbereich gewählt, dem gerade in Zeiten rapider und weltweiter Veränderungen in den medialen Rahmenbedingungen der Kommunikation besondere Bedeutung und Aktualität zukommt. Im Rahmen der Vorträge wurden unterschiedliche Facetten der Thematik präsentiert und gemeinsam diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit galt der Geschichte und den Erscheinungsformen von Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania, den Inhalten und Besonderheiten der Diskussion in den verschiedenen romanischen Ländern, den Foren von Sprachkritik und Sprachberatung, dem Verhältnis von Laienlinguistik und wissenschaftlicher Sprachbetrachtung sowie den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen romanischen und nicht-romanischen Sprachen. Der vorliegende Band versammelt die in Saarbrücken gehaltenen Vorträge sowie einen ergänzenden Beitrag von Johannes Kramer.

Der einleitende Beitrag von Philipp Burdy (Bamberg) „Sprachstil – Sprachvariation – Sprachwandel? Jacques Olivier Grandjouan, Les linguicides (1971)“ stellt ein Werk vor, das zwischen wissenschaftlicher Prosa und Laienlinguistik angesiedelt ist. Der sprachkritische Essay widmet sich vornehmlich dem geschriebenen Französischen der Publizistik, Verwaltung, Schule, Politik, Justiz und Übersetzung, grenzt sich von Puristen und Antipuristen ab, befürwortet Neologismen und Lehnwörter und fordert u.a. ein Umdenken in der schulischen Ausbildung und einen verantwortungsvollen Sprachgebrauch der Publizistik. Burdy geht zunächst auf die Rezeption des Werks ein und bietet anschließend eine kritische Analyse von Inhalt und Stil des Essais. Grandjouans vor vierzig Jahren aufgestellte These, dass der Sprachgebrauch der Presse den allgemeinen Sprachgebrauch negativ beeinflusse, wird anhand von lexikographischen Referenzwerken und Google-Suchanfragen überprüft, ohne dass letztlich eine systematische Korrelation nachgewiesen werden kann.

Vera Neusius (Saarbrücken) widmet sich unter dem Titel „Sprachpflegerische Welten im Internet: Sprachnormierungskriterien in Deutschland und Frankreich aus argumentationsanalytischer Perspektive“ laienlinguistischen Äußerungen über Sprache aus kontrastiver Perspektive. Als Korpus dienen das Forum Promotion linguistique sowie weitere Foren der Website abc de la langue française einerseits und die deutsche Facebook-Seite des Vereins deutsche Sprache andererseits. Der Beitrag liefert wichtige Begriffsbestimmungen (bspw. zu Öffentlichkeit, Spracheinstellungen, Online-Diskursen) und weist anhand zahlreicher Beispiele die Verwendung klassischer Argumentationstopoi und -schemata des professionellen Sprachpflegediskurses in den laienlinguistischen Internetbeiträgen nach.

In seinem Beitrag „Gibt es eine Norm des Québécois? Zum Wandel in der Bewertung regionaler Merkmale in Québec“ diskutiert Elmar Eggert (Kiel) in einem diachronen Abriss historische und aktuelle Ansätze sowie Tendenzen bezüglich der Normfrage in Québec. Nach einer definitorischen Klärung des Terminus Norm im Sinne der Sprachkritik und -beratung wird dieser auf das komplexe Varietätensystem des frankokanadischen Sprachraums übertragen. Analysegegenstand im Folgenden sind historische Diskussionen zum sprachlichen Leitbild der Québecer, insbesondere Thomas Maguires sprachkritische Diskurse, in denen die Dominanz des hexagonalen Französischen als Norm und die zwingende Anpassung an den anglophonen Sprachraum scharf kritisiert werden. Ausgehend davon führt Eggert heutige sprachberatende und -kritische Vermittlungsinstanzen wie beispielsweise den Office Québécois de la langue française (OQLF) an und verdeutlicht, dass ein signifikanter Wandel innerhalb der Sprachbewertung des Québecer Französischen als Norm stattgefunden hat.

Edith Szlezák (Regensburg) befasst sich in ihrem Beitrag „Eine frankokanadische Norm – Chancen und Grenzen“ kritisch mit den Etablierungs- und Kodifizierungsversuchen einer Sprachnorm für das frankophone Kanada. Nach einem einführenden historischen Überblick über die Entwicklung der Sprachensituation und Daten zum aktuellen Stand der kanadischen Frankophonie erläutert Szlezák die vielfältigen und komplexen Hintergründe der Normproblematik. Als besonders schwerwiegend erweist sich das Fehlen eines kodifizierten Nachschlagewerks.

Franz Lebsanft (Bonn) setzt sich in seiner Studie „Lingüística popular y codificación del español“ mit den libros de estilo als einer für den hispanophonen Sprachraum charakteristischen Form von (binärer) Sprachberatung auseinander, deren normativen Standpunkt er „[…] a medio camino entre las codificaciones profesionales de académicos y lingüístas, por una parte, y las ideas lingüísticas de la masa de los hablantes, por otra“ (S. 107 im vorliegenden Band) ansiedelt. Diesen Charakter zwischen Fachwissenschaft und Laienlinguistik belegt Lebsanft am Beispiel des neuen Libro de estilo von El País (2014), das er exemplarisch unter orthographischen, morphosyntaktischen und lexikalischen Gesichtspunkten hinsichtlich der norma ejemplar analysiert und bewertet.

Felix Tacke (Bonn) analysiert unter dem Titel „Die katalanische Sprachkultur am Beginn des 21. Jahrhunderts – Abgrenzungsdiskurs und moderne Sprachkritik“ sprachpolitische sowie sprachkritische Tendenzen im heutigen Katalonien, bei denen der Umgang mit und die Bewertung von kastilischem Lehngut (castillanismes) einen zentralen Stellenwert einnehmen. An einem breit gefächerten Korpus werden Formen der traditionellen puristischen Abgrenzung, wie sie sich z.B. im Sprachratgeber des Institut d’Estudis Catalans (IEC) und in der Tradition der Diccionaris de dubtes manifestieren, anderen Formen der Sprachberatung vor allem in den modernen Kommunikationsmedien gegenübergestellt (Onlineplattform ésAdir). Tacke resümiert, dass im Unterschied zur spanischen in der katalanischen Sprachpflege diese neuen Akteure eine deutlicher kommunikativ orientierte Norm vertreten und sich damit von den etablierten akademischen Strukturen absetzen.

Alf Monjour (Duisburg-Essen), „‚Su acento le hace más apta para Dos Hermanas o Velez-Málaga.ʻ Polémica lingüística acerca de variedades e identidades“, nimmt laienlinguistische Äußerungen in öffentlichen Medien in den Blick, in denen der Gebrauch bestimmter sprachlicher Varietäten im heutigen Spanien mit stereotypen Identitätszuschreibungen gleichgesetzt wird. Er stellt insbesondere den politisch motivierten argumentativen Einsatz von Topoi des Typs „El hablante andaluz habla mal“ oder „El hablante andaluz tiene un nivel educativo bajo“ heraus und erläutert die dabei wirksamen framing-Prozesse. Daneben werden Versuche einer positiven Umwertung dieser Topoi illustriert.

Sandra Herling (Siegen) betrachtet unter dem Titel „«Sa nostra llengo» – Die balearischen Artikelformen im Fokus laienlinguistischer Sprachkritik“ den komplexen variations- und kontaktlinguistischen Sprachraum der Balearen aus soziolinguistischer Perspektive. Im Fokus der Analyse steht, ausgehend von einer systemlinguistischen Darstellung, die laienlinguistische sprachkritische Diskussion zum Gebrauch der dialektalen Artikelformen in den audiovisuellen Medien. Im Korpus zeigt sich zum einen der noch bestehende Konflikt zwischen den insularen Dialekten und dem Standardkatalanischen, zum anderen das identitätsstiftende Potenzial der balearischen Artikelmorphologie.

Johannes Kramer (Trier) gibt in seinem Beitrag, „Wie man versucht, den Dialekt von Alghero in die katalanische Normsprache einzupassen“ zunächst einen Überblick über die Geschichte des Katalanischen in Alghero. Hierbei stehen die territorial-politische und sprachliche Zugehörigkeit der Stadt seit ihrer Gründung und insbesondere externe Faktoren der Sprachgeschichte im Vordergrund. Es folgt eine Kurzcharakteristik des Algherese, dessen Besonderheit darin liegt, „dass hier eine Sprachvariante ohne starken Einfluss des Spanischen (oder Französischen) existiert […] [, die] spätestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts […] eine rein mündlich weiter vermittelte Sprache wurde“ (S. 209 im vorliegenden Band). Die folgenden Kapitel umreißen erste Bemühungen um eine Kodifizierung des Algherese an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und gehen auf das 1988 entstandene erste Wörterbuch von Josep Sanna ein. Abschließend benennt der Vf. „Probleme bei der Applikation der katalanischen Normsprache auf den Dialekt von Alghero“ (S. 214 im vorliegenden Band): Hierzu zählt er u.a. die Tendenz zum Gebrauch einer nicht-normierten, ‘personalisierten’, italienisierenden Orthographie und zum Gebrauch des Italienischen in der alltäglichen Jugendsprache.

Hanna Merk (Trier) widmet sich in „Die Sprachratgeber der Academia Argentina de Letras – eine diachrone Analyse“ Fragen der Sprachpflege und -beratung in Argentinien unter dem Vorzeichen einer zunehmenden plurizentrischen Normorientierung im hispanophonen Varietätenraum. Die Vf. betrachtet vier unterschiedliche Werke bzw. Erscheinungsformen der akademischen Sprachberatung im Hinblick auf ihren Umgang mit Besonderheiten des argentinischen Sprachgebrauchs und ihre Normorientierung (Dudas idiomáticas frecuentes, Diccionario argentino de dudas idiomáticas, Panorama de nuestra lengua und in neuerer Zeit die akademische Sprachberatung auf Twitter) und formuliert Überlegungen zur nationalen Sprachberatung im Kontext einer panhispanischen Norm.

Ausgangspunkt des Beitrags von Carolin Patzelt (Bremen), „Die Emergenz neuer sprachlicher Standards im peruanischen Spanisch: laienlinguistische vs. fachwissenschaftliche Perspektiven“ ist ein durch zunehmende Migration entstehender Varietätenkontakt zwischen der norma peruana andina und dem limeño costeño, das traditionell als die norma culta peruana gilt. In der linguistischen Fachliteratur ist diese Herausbildung eines neo-limeño gut erfasst; Patzelts Fokus liegt auf der Sprechersicht. Anhand laienlinguistischer Beiträge aus Internetforen wird die Wahrnehmung und Bewertung der Normfrage seitens der Sprecher analysiert. Der Beitrag arbeitet die Konvergenzen und Divergenzen zwischen der fachwissenschaftlichen und der laienlinguistischen Perspektive auf den Sprachwandel heraus.

Kathrin Pfadenhauer (Bayreuth) beleuchtet in ihrem Beitrag „No digas chido porque se escucha gacho – Sprachkritik in Mexiko“ Formen der öffentlichen Sprachkritik im multilingualen Sprachraum Mexiko und deren Einfluss auf die Sprechereinstellungen. Nach einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Definitionen von Sprachkritik zeigt Pfadenhauer anhand von Beispielen aus drei Ebenen die Heterogenität und Komplexität von Sprachkritik im mexikanischen Kontext. Es wird deutlich, dass sprachkritische Aktivitäten in der Öffentlichkeit in einem Staat wie Mexiko ein zusätzliches Konfliktpotenzial entfalten können, das auf Sprachbewertungen rekurriert, die in der Kolonialzeit verwurzelt sind.

Luca Melchior (Graz) setzt sich in seiner Studie „Zwischen Norm und Gebrauch: die Online-Sprachberatungsdienste der Accademia della Crusca und von Treccani“ ebenfalls mit den Erscheinungsformen laienlinguistischer und fachwissenschaftlicher Sprachberatungsanfragen auseinander. Nach einem einführenden Überblick über Struktur, Erreichbarkeit und Themenbereiche der beiden Sprachberatungsdienste konzentriert sich sein Vergleich auf die Fragen- und Antworttypologien. Melchior liefert hierbei sowohl empirische Dokumentation („il o lo jihadista?“) als auch synthetische Analysen. Der Wirkung des Spannungsfelds Norm-Gebrauch und der Charakterisierung von Sprachberatungsnutzern und -experten sowie deren Sprachbewusstsein wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Tendenziell sind eine Öffnung hin zur Gebrauchsnorm auf der Seite der Experten und eine ausgeprägte language awareness, großes Sprachinteresse und der Wunsch nach verbindlichen Regeln für einen korrekten Sprachgebrauch auf der Seite der Sprachberatungssuchenden festzustellen.

Falk Seiler (Gießen) untersucht in seinem Beitrag „Sprachkritik und Sprachberatung im Kontext der italienischen Lokalisierung freier und offener Software“ [= FOSS] die nicht-professionalisierte und nicht-institutionalisierte und somit unbezahlte und freiwillige „Übersetzung graphischer Benutzungsoberflächen von Computerprogrammen aus dem Englischen ins Italienische“ (S. 330 im vorliegenden Band). Nach einem Überblick über Charakteristika von FOSS, deren italienische Lokalisierung und bereits bestehende sprachnormative Vorgaben, konzentriert sich der Vf. auf sprachkritische und sprachberaterische Beiträge der Verteilerliste zur Übersetzung des Desktop-Systems KDE. Diese Form der kollaborativen Übersetzung prägt den Bereich der computervermittelten Sprache nachhaltig, ohne sich als präskriptive Instanz zu verstehen oder zu äußern: Es dominiert eine offene, nicht von Ideologie geprägte pragmatische Haltung. Angemessene Übersetzungen werden diskursiv ausgehandelt, wobei Kriterien wie Gebrauchsfrequenz, Verständlichkeit und sprachliche Korrektheit ins Feld geführt werden. Seltene präskriptive Beiträge zeichnen sich durch eine ausgeprägte Netikette aus. Sprachnormierende Tendenzen lassen sich vornehmlich im Befürworten einmal gewählter Übersetzungsäquivalente im Sinne der Nutzerfreundlichkeit nachweisen.

Gerald Bernhard (Bochum) vergleicht in seiner Untersuchung zum Thema „Normvorstellungen und Normtoleranz bei Italienischsprechern im Ruhrgebiet und in Catania“ metasprachliche Äußerungen von Catanesen, die in erster oder zweiter Generation im Ruhrgebiet leben, mit denjenigen von Catanesen ohne Migrationshintergrund. Im Fokus stehen dabei ästhetische Wahrnehmungen bezogen auf das Themenfeld „regionales Standarditalienisch und Dialekte Italiens“. Als Ergebnis hält der Vf. fest, dass beide Sprechergruppen ihren sizilianischen Heimatdialekt als positiv bewerten. Die Haltung der in Deutschland lebenden Catanesen zeigt allerdings markante Unterschiede im Vergleich zu denen in Italien: sie stehen Dialekten grundsätzlich ablehnender gegenüber, sie weisen im Hinblick auf die Plurizentrik des Standarditalienischen eine leicht höhere Normtoleranz auf, sie bewerten die „historisch-literarische[…] toskanisch-römische Norm“ (S. 361 im vorliegenden Band) etwas positiver, und sie fällen keine Negativurteile über norditalienische Varietäten.

Judith Kittler (Bochum), „Gesprochenes Italienisch im Ruhrgebiet und in Catania aus laienlinguistischer und fachwissenschaftlicher Perspektive: Ergebnisse eines Perzeptionsexperiments“, vergleicht die tatsächlichen phonetisch-prosodischen Merkmale des RuhrCat-Korpus mit den Wahrnehmungen von „Laienlinguisten“ (insgesamt 17 italophone Studierende eines Proseminars zur Perzeptiven Varietätenlinguistik, wobei die Wahrnehmungen von acht aus Süditalien stammenden Studierenden in die Auswertung aufgenommen wurden). Den Studierenden wurden Sprachproben von ebenfalls acht nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Migrationsgeneration (I/II) und Wohnort (Catania/Ruhrgebiet) gewählten Sprechern aus Catania vorgespielt. Im Fokus der linguistischen Beschreibung stehen die Realisierung von /E/ und /O/ sowie der Okklusive, darüber hinaus prosodische Aspekte wie Sprechgeschwindigkeit und Sprechflüssigkeit. Im Perzeptionsexperiment werden ästhetische Bewertungen, Sprachkorrektheit, Variation auf den Ebenen Phonie, Lexie, Syntax und Prosodie sowie die Herkunft der Sprecher abgefragt.

Victoria Popovici (Jena) geht in ihrem Beitrag „Mă-ta are cratimă. Die rumänische Orthographie als Objekt von Sprachkritik und Sprachberatung“ zunächst auf die Herausbildung der rumänischen Sprachnorm im 19. und 20. Jahrhundert sowie auf Erscheinungsformen von Sprachpflege und Sprachkritik nach 1945 ein. Im Weiteren steht insbesondere das Thema der Sprachberatung im Internet im Zentrum des Interesses. Die Vf. untersucht klassische Problemfälle der Orthographie: -i , -ii oder -iii im Auslaut, die Verwendung des Bindestrichs (rum. cratimă), den Einsatz der graphischen Varianten î/â für [ɨ], bzw. sunt/suntem/sunteţi für sînt/sîntem/sînteţi, und Worttrennungen des Typs nici un ‘nicht ein’ vs. niciun ‘kein’. Für diese Problemfälle beschreibt die Vf. das einschlägige Regelwerk und geht auf die Frage der Akzeptanz in Fachkreisen und öffentlichen Medien und auf laienlinguistische Hilfestellungen in Onlineforen ein. Mit Hilfe von Google-Suchanfragen werden quantitative Daten zu korrekten bzw. fehlerhaften Schreibweisen ermittelt. Abschließend moniert die Vf. das weitgehende Fehlen von Online-Sprachberatungsangeboten aus linguistischen Kreisen.

 

Die Herausgeber danken Lisa Rosprim, Kerstin Sterkel und Dr. Lisa Šumski (Saarbrücken) für ihr außergewöhnliches Engagement bei der Druckvorbereitung der Beiträge und bei der Herstellung der Druckvorlage.

 

Saarbrücken, im Juli 2017

Die Herausgeber

1. Frankophoner Raum

Sprachstil – Sprachvariation – Sprachwandel? Jacques Olivier Grandjouan, Les linguicides (1971)

Philipp Burdy (Bamberg)

1Einleitung

In den letzten Jahren hat der Germanist Jan Georg Schneider wiederholt die Forderung erhoben, die professionelle Linguistik dürfe den Diskurs über Sprachrichtigkeit nicht trivialisieren (vgl. Schneider 2005 und Schneider 2007). Aufgrund des Selbstverständnisses, eine rein deskriptive Wissenschaft zu sein, beschreibt man allenfalls laienlinguistische Sprachkritik aus der Außenperspektive, ohne jedoch zu den dort diskutierten Phänomenen Stellung zu nehmen (vgl. Schneider 2007, 18ff.). Häufig wird in der Publizistik genau das pauschal als ‘Sprachverfall’ angeprangert, was die Linguistik – übrigens oft ebenso pauschal – als ‘Sprachwandel’ ansieht. Im Sinne einer von Schneider befürworteten differenzierteren Auseinandersetzung mit den Monita der Sprachkritiker soll in den folgenden Ausführungen ein sprachkritischer Essai betrachtet werden, der bereits vor mehr als vierzig Jahren in Frankreich erschien: Jacques Olivier Grandjouan (1971): Les linguicides, Paris, Didier.

Der Text erfuhr eine geringe fachwissenschaftliche Rezeption zur Zeit seines Erscheinens, was typisch für die Gattung Sprachkritik ist. Bekannt sind mir lediglich zwei Kurzanzeigen, die eine von dem aus der französischen Lexikologie bekannten Louis Guilbert (1972), die andere von André Haudricourt (1973). Andererseits erlebte das Werk eine zweite Auflage (Grandjouan 1989) und wird auch in jüngerer Zeit vor allem in Arbeiten zur Diskursanalyse und zur Übersetzungswissenschaft gelegentlich zitiert.

Die Originalität des Buches von Jacques Olivier Grandjouan besteht darin, dass es ihm nicht um das gesprochene, sondern um das geschriebene Französisch geht und dass hier – im Gegensatz zu anderen sprachkritischen Pamphleten – kein Feldzug gegen Neologismen und Lehnwörter geführt wird. Der Ausdruck crise du français kommt an keiner Stelle im Buch vor. Der Vf. ist vielmehr ausgesprochener Befürworter von Wortneubildungen, was schon der Titel des Buches Les linguicides ‘die Sprachtöter’, gebildet nach dem Muster von tyrannicide, légicide usw., zeigt. Er ist erklärter Gegner sowohl des Purismus als auch des willenlosen Antipurismus und rechnet in seinem Buch mit beiden Gruppen rigoros ab. Thema des Ganzen ist eine Analyse des Stils vor allem der französischen Publizistik und die Identifizierung der sogenannten ‘Sprachtöter’, die das geschriebene Französisch von innen heraus zersetzen.1 Der Vf. spricht von contagion grammaticale und tripatouillage de notre langue (Grandjouan 1971, 19 und 25). Der Text ist in einem essai-artigen Stil mit vereinzelten Literaturverweisen gehalten; der Vf. selbst ist ausgebildeter Philologe und promovierter Psychologe und beherrscht zahlreiche Fremdsprachen. Er hat viele Jahre als Lehrer für Französisch als Fremdsprache in aller Welt und als Übersetzer bei den Vereinten Nationen gearbeitet. Ferner war er Verfechter innovativer pädagogischer Ansätze.

2Les linguicides: Inhaltsüberblick

Sein Buch über die ‘Sprachtöter’ gliedert der Vf. in fünf Teile und bedient sich hierbei der Metapher der Sprache als erkranktem Organismus. Der einleitende Teil, der circa zehn Jahre vor dem übrigen Text entstanden ist, liefert allgemeine Bemerkungen zu Sprachwandel und Sprachgebrauch (Considérations préliminaires sur les mots d’emprunt, l’usage, l’impudence des auteurs et le désarroi du public). Der zweite Teil diagnostiziert die ‘Krankheit’ des Französischen (Le malade et la maladie), während sich der dritte Teil ausführlich mit den ‘Infektionsherden’ befasst (Foyers d’infection). Der vierte Teil identifiziert diejenigen Kreise, die der Vf. für die Krankheit verantwortlich macht (Les linguicides); ein kurzer Schlussteil zeigt ‘Heilungsansätze’ auf (Les remèdes).

Im Folgenden soll ein Überblick über den Inhalt der einzelnen Teile geliefert werden. Der einleitende erste Teil bietet zutreffende Beobachtungen zu Sprachwandel im Allgemeinen, zu lexikalischem Wandel und zum Begriff des usage. Der Vf. gibt sich hier als versierter und gut unterrichteter Linguist zu erkennen. Er bekennt sich zu notwendigen Neologismen, die er als oxygène du vocabulaire bezeichnet (4),2 und erteilt dem Purismus eine Absage: „Pour garder une langue pure, il n’y a qu’un moyen: la tuer et l’empailler“ (5). Andererseits lehnt er die willenlose Akzeptanz aller Neuerungen durch die Antipuristen gleichermaßen ab (vgl. 7). Der usage ist für den Vf. der Sprachgebrauch der Mehrheit, ganz gleich welchen Bildungsgrades, der bon usage sei dagegen nur theoretisch zu definieren: „Encore une fois, le système est théoriquement simple. Le bon usage est celui qui est commun à la langue littéraire et à la langue vulgaire, commun aux poètes et aux crocheteurs“ (13). Die sprachlichen Autoritäten haben sich verschoben: Nicht mehr Autoren und Chansonniers bringen neue Wendungen und Neologismen in Umlauf, sondern die Medien (vgl. 15). Der Vf. fragt sich daher, weshalb die französische Öffentlichkeit derart unkritisch den ebenso unbeholfenen wie prätentiösen Sprachgebrauch der Publizistik akzeptiere (vgl. 19). Überflüssige Entlehnungen seien hierbei nicht das Problem, sondern nur ein Symptom für den besorgniserregenden Zustand des Französischen. Hätte es sich nicht selbst verwundbar gemacht, würden diese nämlich gar nicht eindringen (vgl. 19). Schon hier wird klar, dass der Vf. es vor allem auf den Journalistenjargon abgesehen hat. Er formuliert zwei Leitfragen, die die folgenden Teile des Buches charakterisieren (vgl. 26): Woher rührt die sprachliche Sorglosigkeit der Publizistik? Und woher die Passivität und sprachliche Manipulierbarkeit der französischen Öffentlichkeit?

Der Vf. skizziert zunächst die qualités propres du français, die in ihrer Summe den génie de la langue française ausmachen, nämlich clarté, précision, sobriété, tenue und élégance (32). Dies sind Stereotype, die spätestens seit Rivarol im sprachkritischen Diskurs verankert sind. Gleichzeitig bilden diese für den Vf. die critères de santé des Französischen (32). Abweichungen hiervon seien folglich Symptome einer Krankheit. Gegenstand der Betrachtung ist dabei nur das geschriebene français commun de tout le monde, nicht aber die gesprochene Sprache, die vom Vf. nicht als krank angesehen wird. Auch das rein literarische oder rein technische Französisch seien weitaus weniger betroffen (vgl. 33). Im sich anschließenden Teil des Buches will nun der Vf. anhand einer Fülle von Beispielen, die aus publizistischen und administrativen Texten stammen, den Nachweis erbringen, dass sämtliche genannten Qualitäten des Französischen am pourrissement de la langue leiden. Die clarté sei in erster Linie durch die équivoque, also die Doppeldeutigkeit, bedroht:

 

Une crise de conscience douloureuse (39) ([Weshalb nicht:] Une douloureuse crise de conscience ?) (43)

 

Les états indépendants de l’Afrique (40)

 

Les usines privées de métallurgie (40)

 

„Stage destiné aux professeurs de français libanais“ – Pourquoi n’ont-ils pas écrit: les Libanais professeurs de français ? (44)

 

„Jeux interdits sur la plage“ ou „Stationnement dans le village interdit“ peuvent être de simples notices municipales ou le titre de récits scabreux et romanesques (45)

 

„Les territoires voisins de la Zambie et de la Tanzanie“ – Quant à la Zambie et à la Tanzanie, il est sûr qu’ils ont d’intéressants voisins, mais est-ce d’eux que le journal veut nous parler ? (46)

 

L’encouragement de l’industrie : L’encouragement que représente l’industrie ? L’encouragement donné à l’industrie ? L’encouragement donné par l’industrie ? (47)

 

„Retour à la Tchécoslovaquie de Beneš et de Masaryk“ – retour des cendres? On les lui rend ? (48)

 

„Le premier ministre tchécoslovaque des affaires étrangères d’après-guerre“ – on a probablement confié à un historien celles d’avant la guerre. (49)

 

Jean nous lira une lettre de Marie qu’il a reçue en Normandie la semaine dernière. (52)

 

Celui qu’elle veut épouser, c’est un ingénieur vivant en Californie et gagnant beaucoup d’argent. – Et comment s’appelle-t-il? – Ça je te le dirai quand elle l’aura trouvé. (59)

 

Die Art der Kommentierung der Beispiele erinnert an den Stil der Remarqueurs vergangener Jahrhunderte. Als Schöpfer solcher Unklarheiten identifiziert der Vf. u.a. Journalisten und Verwaltungsbeamte; der klassischen Sprache und dem gesprochenen Französisch seien derartige Lapsus dagegen fremd (vgl. 55 und 59). Den sich anschließenden Abschnitt über Verstöße gegen die précision leitet der Vf. mit folgenden Worten ein: „Au musée des horreurs de la sémantique, ces mots employés de travers occupent des rayons entiers, à côté de la salle des emprunts mal compris“ (66). Er gibt u.a. die folgenden Beispiele:

 

„La réussite de la mission dépend de la tenue de cette conférence.“ – Du style de la conférence? (76)

 

„Atterrissage sur le ventre d’un Tupolev 124.“ – Drôle d’endroit pour atterrir. (78)

 

Besonders interessant ist die Beobachtung, dass in der Sprache der Publizistik das complément circonstanciel mehr und mehr zum complément du nom wird:

 

„Leur réunion sur les rapports avec Bonn“ (79)

„La situation en Indonésie a empiré“ (80)

„Le film évoque un drame sous la terreur“ (80)

 

Das Französische scheint also ein neues Verfahren zur näheren Bestimmung von Nominalphrasen zu entwickeln (vgl. 97). Dazu kommt eine Tendenz, (Verbal-)Abstrakta mit Infinitiven zu verbinden, was der Vf. als rections inédites bezeichnet:

 

[Korrekt ist:] Une menace de contagion, un effort de clarté, une tentative d’assassinat

 

[Nicht aber:] Sa menace de dénoncer, son défi d’agir, son effort de nuire, son accusation de mentir, sa tentative de perdre (82)

 

L’expression la demande de répondre peut vouloir dire que A demande à B l’autorisation de répondre, que A voudrait que B réponde, que A demande à B de faire répondre C. Bel exemple de confusion. (82)

 

Méthode, procédé, technique, procédure ne sont-ils pas les synonymes modernes de moyen, façon, manière ? Allons vite, et disons : „la méthode d’aborder le problème“, „les procédés de raffiner l’huile brute“, „les techniques d’alimenter les masses“, „la procédure de révoquer les ordonnances“. (83)

 

Die sobriété des Französischen werde beeinträchtigt durch weitere Phänomene journalistischer und administrativer „Logorrhö“ (87):

 

„Les températures relevées au cours de la journée marquent une nette augmentation par rapport à la moyenne de celles de la journée précédente“ = Il a fait plus chaud aujourd’hui qu’hier. (87)

 

„Dans l’état actuel de mes informations et étant donné les circonstances, il m’est naturellement impossible de vous donner une réponse formelle dans un sens ou dans un autre“ = je n’en sais rien, expression qui appartient désormais à une langue oubliée. (87)

 

Der Vf. fragt sich ferner, weshalb man in Zeitungen und Magazinen häufig folgendes liest:

[établir une distinction statt distinguer; manifester un souhait statt souhaiter; selon lequel statt einfachem que; en considération du fait que statt parce que; parallèlement au fait que statt pendant que:] Une fois sur cent, peut-être, la tournure est utile. Le reste du temps, elle est à mettre au panier. (101)

Alles, was den Rede- bzw. Lesefluss verlangsamt und aufbläht, scheine Journalisten, Funktionären und Politikern willkommen zu sein (vgl. 103). Im Abschnitt zur tenue geht es vor allem um die Zersetzung typisch französischer idiomatischer Strukturen, der sogenannten Gallizismen. Der Vf. zitiert etwa folgende Fälle:

 

„Ses parents adoptifs la considèrent être leur fille“ [→ juger être oder considérer comme, aber nicht considérer être] (129)

 

„Les réfugiés estiment qu’on a fait trop bon cas de leurs intérêts.“ [→ trop peu de cas oder trop bon marché] (127)

 

„une solution acceptable pour toutes les parties“; „Ce style est hermétique à la plupart des lecteurs“ Tous ces adjectifs se suffisent à eux-mêmes, sans qu’un régime les accompagne (131f.)

 

[Korrekt ist:] Les prisonniers ont utilisé leurs draps pour glisser jusqu’à terre. [Aber nicht:] utiliser l’escalier roulant [utiliser ‘rendre utile’!] (113)

 

Ebenso oft lese man in Pressetexten etwa l’empereur iranien, le président chilien, was korrekt l’empereur d’Iran, le président du Chili heißen müsste, da es um deren Funktion und nicht um deren Herkunft gehe (135). In Fällen wie le sénateur Kennedy, le ministre Guichard sieht der Vf. schließlich einen Einfluss des Englischen (Senator Kennedy usw.); französisch wäre die Nachstellung: M. Labiche, député, M. Tartempion, sénateur (139).

Die abschließend behandelte gefährdete Qualität des Französischen ist die élégance, die quasi die Summe der zuvor genannten Vorzüge des Französischen darstelle. Der Vf. lehnt hier grundsätzlich archaisierende Wendungen ab, ferner kritisiert er den übermäßigen Gebrauch von soi: „L’augmentation constante de la production n’est pas en soi un avantage“ [richtig wäre en elle-même] (148), und kommentiert dies mit folgenden Worten: „Les auteurs montrent qu’ils ont été à l’école – et qu’ils y ont perdu leur temps“ (148). Ein weiteres behandeltes Phänomen ist die zunehmende Polysemie alteinheimischer französischer Wörter in journalistischen Texten, worin der Vf. eine Gefahr sieht, da genuin französische Strukturen allmählich zersetzt würden: „Quant à présenter, il devient verbe à tout faire: on ne dépose plus un projet de loi, on le présente, l’ambassadeur n’adresse plus ses rapports, il les présente“ (151). Schließlich zieht der Vf. am Ende der ersten Hälfte seines Buches folgendes Fazit: „La langue est en pleine crue ; boueuse, encombrée d’énormes débris et de charognes gonflées, c’est un fleuve qui a perdu ses rives“ (153).

In den nun folgenden Teilen seines Buches nimmt sich der Vf. die von ihm identifizierten Milieus, die er für die beschriebenen Defizite des geschriebenen Französisch verantwortlich macht, einzeln vor, nämlich die Schule, die Verwaltung, die Übersetzer, die Presse, die Reklame und die Puristen. Zunächst fasst er nochmals die Gründe dafür zusammen, dass diese linguicides einen derart starken Einfluss ausüben:

 

Les Français ignorent les ressources de leur langue ou n’osent pas les employer.

 

Les Français essaient de se créer de nouvelles ressources linguistiques pour remédier à cette pauvreté volontaire.

 

Les Français ont peur de parler et d’écrire comme leur penchant les y mènerait, et ils se forcent à parler bien pour être considérés.

 

Les Français ont de l’école et des puristes une peur paralysante, et ils sont sans défense devant les marchands de mots (159)

 

Es ist mithin offensichtlich, dass das Übel laut dem Vf. nicht von außen kommt. Die Schule gebe keine Hilfestellung bei der Vermeidung der von ihm angeprangerten sprachlichen Defizite, sondern korrigiere grundsätzlich das Französisch der Schüler und lehre aberwitzige Grundsätze wie die Vermeidung von Parataxen und Wiederholungen (vgl. 180ff.): „L’école fait la guerre au français vivant au nom d’un français qui n’a jamais existé“ (172). Eines dieser von der Schule propagierten ‘Sprachmonster’ sei das Partizip Präsens an der Stelle eines Relativsatzes, das nur die Schule, nicht aber die alte Sprache oder die Sprache der weniger Gebildeten kenne (vgl. 173ff.). Der Schulunterricht gehöre daher zu den „linguicides malgré eux“ (182). Als nächste linguicides werden Justiz und Verwaltung identifiziert, die geradezu aus Angst vor der alltäglichen Sprache den style adjutant produzieren, den juristisch-administrativen Jargon. Dieser sei letzten Endes eine Konsequenz der Ordonnance de Villers-Cotterêts: „La justice, la basoche, les notaires, les bureaux, et peu à peu les services de l’Etat ont façonné, conservé et embelli une langue aussi obscure que le latin défunt“ (185). Früher, so schreibt der Vf., amüsierte man sich über die unnatürliche Sprache des Dorfpolizisten, den sogenannten style garde champêtre, heute lache niemand mehr. Man habe genug damit zu tun zu verstehen, was das Amt schreibt (vgl. 196). – Bei seiner Kritik an den Übersetzern hat der Vf. nicht die literarischen Übersetzer im Auge, sondern alles, was unter traductions utilitaires fällt. Viele Texte des täglichen Gebrauchs sind nämlich Übersetzungen und die meisten von diesen seien durch hastige Arbeit, impropriétés, gaucheries und faux-amis geprägt (vgl. 200):

L’étrange langue des traducteurs ne leur appartient plus exclusivement. Les gaucheries, les longueurs et les faux-sens qu’on tolère chez eux passent sans filtrage dans la langue commune. (225)

Dass der Vf. die Sprache der Presse als eine der Hauptschuldigen für die fortschreitende innere Zersetzung des Französischen ansieht, wird dem Leser schon in der ersten Hälfte des Buches mehr als deutlich.3 Dies wiege umso schwerer, als der Publizistik eine hohe Verantwortung in der gegenwärtigen Gesellschaft zukomme: Zeitungen und Magazine, so der Vf., seien schließlich die „forme principale de la culture écrite“ (237). Der sich daraus ergebenden Verpflichtung werde die Presse allerdings alles andere als gerecht:

 

Le style journaliste n’est ni soutenu, ni familier, il est négligé. (238)

 

Chaque page de journal, et souvent chaque colonne, ont des travers propres dont la somme fait de la lecture des périodiques un empoisonnement lent, mais général. (236)

 

Am Rande geht der Vf. auch auf die gesprochene Sprache der Medien ein und kritisiert deren eigenartige Phonetik, etwa die Tendenz zur Sonorisierung von [s] und [k] vor Konsonant, also législatif [leʒizlatif], optimisme [ɔptimizm], technique [tɛgnik], oder aber die Aussprache fremder Eigennamen, die bei jedem Rundfunksprecher anders, aber bei praktisch keinem korrekt sei. H.J. Wolf beobachtete etwa zur gleichen Zeit die Aussprache von Bruxelles mit [ks], die man selbst in belgischen Medien hört (vgl. Wolf 21991, 170). Auch in der Sprache der Reklame diagnostiziert der Vf. Einflüsse des Angloamerikanischen, etwa in Wendungen wie buvez français, voyagez français, die wohl Ausdrücke wie Buy British kopieren (vgl. 256). Außerdem werde in der Werbebranche jedes Wort, jede Wendung, die sprachlich betrachtet ein schlechtes Gewissen hervorrufen, in Anführungszeichen gesetzt:

Les guillemets sont l’antichambre et le purgatoire des sottises et des plates horreurs dont fourmillera demain le français de tous les jours. (126)

Den Abschluss der Identifizierung der linguicides bildet eine Abrechnung mit dem Purismus. Der Vf. plädiert für die Aktivierung ungenutzter Ressourcen des Französischen, nicht dagegen für eine Wiederbelebung von Archaismen. Daher wirft er den Puristen Folgendes vor:

Inventer enfin, c’est créer, et les puristes ne redoutent rien tant que la procréation. Ce sont les grands avorteurs. (267)

Die Reihe sprachlicher Abtreibungen und Sterilisierungen seit dem 17. Jahrhundert führe dazu, dass das Französische heute wie Schneewittchen im Glassarg liege, das man von außen betrachten, aber nicht aufwecken wolle (vgl. 272). Amüsant zu lesen ist die nun folgende persönliche Abrechnung des Vf. mit prominenten französischen Sprachkritikern (vgl. 273f.), nämlich „Robert-la-Pudeur“, also Robert Le Bidois, „René-la-Haine“, also René Étiemble, und „Marcel-sans-Gêne“, also Marcel Cohen. Étiemble wirft der Vf. sprachgeschichtliche Ignoranz vor, Cohen vergleicht er mit einem inspecteur Michelin. Für ihn leiden Puristen wie Antipuristen an Hypertrophie der Urteilsfähigkeit. Alle praktizieren ein jugement moral, das heißt, irgendein Sprachgebrauch ist entweder gut oder schlecht, doch sie weigern sich anzuerkennen, dass das Französische an einer maladie sociale leide (vgl. 282). Im Anhang liefert der Vf. schließlich eine synoptische Darstellung der von ihm analysierten Sprachphänomene.

Nach dieser fast 300 Seiten starken Anklage ist der Leser neugierig zu erfahren, wie der Vf. die Heilungschancen beurteilt. Seine These ist die folgende: Mehr Freiheit dort, wo Einschüchterung herrscht, gemeint sind die Schule und die Puristen, und mehr Feingefühl dort, wo Missbrauch herrscht, gemeint ist die Publizistik:

Ma thèse est donc qu’en mettant la liberté là où il y avait la contrainte et en essayant de mettre de la décence là où il n’y avait que des abus, on rendra à la langue commune la vigueur qu’il lui faut pour résister aux attaques futures des linguicides, même assagis. (295)

Der Vf. zieht eine gewisse sprachliche Anarchie der aktuellen Situation vor, denn die Bevormundung durch Schule und Puristen mache die Sprecher anfällig für die Nachahmung vermeintlicher Autoritäten wie Presse und Verwaltung (vgl. 296). Karikaturesk erscheint hingegen, was dem Vf. zur Eindämmung sprachlichen Missbrauchs konkret vorschwebt. So müssten innerhalb der Zeitungsredaktionen Geldbußen für sprachliche Nachlässigkeit eingeführt werden und in der Werbebranche der Gebrauch von alles entschuldigenden Anführungszeichen verboten werden (vgl. 300f.). Ernster zu nehmen ist dagegen die Forderung nach einem Umdenken im Schulwesen (vgl. 303ff.). Bereits der Grundschüler solle dazu ermuntert werden, sich spontan und frei auszudrücken, und zwar mündlich wie schriftlich, anstatt dass man ihn durch orthographische und schulgrammatische Unterweisung kommunikativ verunsichere und lähme. Es geht dem Vf. letztlich um eine Wiederbelebung des natürlichen, klaren Sprechens. Daraus ergebe sich das klare Schreiben von selbst (vgl. 314).

3Kritik

Was ist nun von diesem Pamphlet im Ganzen zu halten? Jacques Olivier Grandjouan ist durchaus ein Linguist und verfügt über exzellente sprachhistorische Kenntnisse. Er zitiert Du Bellay, dessen Vorliebe für Wortneubildungen er teilt. Seine Glossen erinnern an den Stil Malherbes, ein fingierter Dialog mit einem Puristen gemahnt ebenfalls an prominente Vorbilder in der Sprachgeschichte. Die linguistischen Analysen des Vf. sind in der Sache stets nachvollziehbar. Dennoch wählt er für sein Buch den Essai-Stil und rechnet sich selbst nicht der Gruppe der Sprachwissenschaftler zu, wodurch der Text in der Mitte zwischen Laienlinguistik und wissenschaftlicher Prosa anzusiedeln ist. Der Vf. argumentiert aus seinem untrüglichen Sprachgefühl heraus – was er übrigens den Puristen vorwirft – und verzichtet auf sprachhistorische Nachweise seiner Monita. Mal verwendet er phonetische Transkriptionen, mal nicht. Mal verwendet er konventionelle linguistische Termini, dann bezeichnet er Verbalabstrakta als maçdar (78 u.ö.), also mit einem Terminus aus der arabischen Grammatik. Der Vf. beherrscht zahlreiche Fremdsprachen, darunter Arabisch und exotische Sprachen, und scheint eine enorme Übersetzungspraxis zu besitzen. Zweifellos kennt er alle Finessen des genuin französischen Wortschatzes. Auffällig ist, dass der Vf. an mehreren Stellen die Beeinträchtigung der Normaussprache durch phonetische Merkmale des Midi kritisiert. Sein Familienname Grandjouan deutet hingegen darauf hin, dass er selbst aus Südfrankreich stammt. Es handelt sich hierbei um eine Art linguistischer Selbstgeißelung, die man ansonsten vor allem aus Belgien kennt.

Was kann man dem Vf. vorwerfen? Er ist zweifellos ein besserer Beobachter des Sprachgebrauchs als ein Entwickler konstruktiver Ideen zur Verbesserung des Ist-Zustandes des Französischen, die ihm vorschwebt. Die ihm eigene Metaphorik macht die Lektüre oft amüsant, doch die zentrale, das ganze Buch durchziehende Metapher der Sprache als kranker Organismus ist weder neu noch originell,4 ebensowenig der Rückgriff auf das Konzept des génie de la langue française. Die dem Vf. vorschwebende Instanz eines nationalen Sprachschiedsrichters erinnert stark an ihn selbst: „… un philologue compétant auquel la langue du temps sera aussi familière que la langue d’autrefois. J’aimerais penser qu’il saura aussi une ou deux langues étrangères et qu’il sera un peu linguiste“ (298). Was bleibt, ist die brillante Analyse der Sprache der französischen Presse und Publizistik. Der Linguist André Haudricourt lobte das Buch in seiner Kurzanzeige als eine der besten Einführungen in die Sozio- und Ethnolinguistik, was der Vf. gar nicht angestrebt hatte. Vielmehr handelt es sich um eine auch heute noch über weite Strecken äußerst lesenswerte Abhandlung über französische Stilistik: Dem Leser wird zum einen der Ist-Zustand der französischen Mediensprache bewusst gemacht, zum anderen erhält er Fingerzeige auf nachzuahmenden und zu vermeidenden Sprachgebrauch. Dass etwa Doppeldeutigkeiten (équivoques), falsch gebrauchte Phraseologismen, unnötige locutions verbalesund vermeintliche Synonyme5 auch die französische Mediensprache von heute kennzeichnen, wird niemand in Abrede stellen.

4Variation oder Wandel?

Die Hypothese des Vf., dass der Sprachgebrauch der Publizistik schleichend das français commun beeinflusst, scheint vierzig Jahre später im world wide web in einigen Fällen ihre Bestätigung zu finden, jedoch nicht grundsätzlich. Ich gebe nur einige wenige Beispiele: Das vom Vf. kritisierte capacité d’achat (22) liefert rund 325 000 Google-Treffer, das als korrekt erachtete pouvoir d’achat hingegen 7 340 000 Treffer. TLFi und GR verzeichnen capacité d’achat nicht. Ein ähnliches Bild liefert coût de la vie, nach englisch cost of living gebildet und vom Vf. abgelehnt (225), gegenüber prix de la vie: 12 800 000 Google-Treffern für die kritisierte Form stehen 39 900 000 Treffer für die korrekte Form gegenüber. Der GR (s.v. vie) und der TLFi (ss.vv. vie, coût) verzeichnen beide Varianten. Anders liegen die Dinge im Fall von niveau de vie vs. train de vie: Das vom Vf. getadelte niveau de vie (310) hat im Internet die andere Variante bereits überrundet (55 100 000 gegenüber 25 000 000 Treffern). Der GR und der TLFi liefern beide Varianten (ss.vv. niveau, train). Die vom Vf. kritisierte Verwendung von escalade in der Bedeutung ‘Eskalation’ ist im GR und im TLFi verbucht, die Zitate stammen jedoch tatsächlich zum größten Teil aus Presse und Publizistik (Le Monde, Le Figaro u.a.). Ein weiterer kritisierter mauvais usage scheint tatsächlich auf dem Vormarsch zu sein: Der Vf. spricht mit Blick auf les Caraïbes von einer „entité mystérieuse“, denn: „Passez vos vacances aux Caraïbes c’est comme si on nous disait : Passez vos vacances aux Avernes“ (136). Auch GRnpr (1, 545) und Lexis (2009, 271) teilen mit, dass mit Caraïbes ein Volk benannt werde, das einst die Kleinen Antillen besiedelte bzw. mit caraïbe die Sprache dieses Volkes. Ein anderes Bild liefert der entsprechende Wikipedia-Artikel Caraïbes: „Les Caraïbes […] sont une région du globe correspondant au bassin versant de la mer des Caraïbes“.6 Auch entsprechende Google-Suchen belegen, dass der vom Vf. bemängelte Usus, mit Caraïbes eine geographische Region zu benennen, inzwischen gang und gäbe ist: vacances aux Caraïbes liefert 12 900 Google-Treffer, voyage aux Caraïbes13 400 Treffer und croisière aux Caraïbes15 200 Treffer. Die entsprechenden Varianten vacances, voyage aux Antilles liegen mit 44 600 bzw. 24 700 Treffern noch vorn, nicht jedoch croisière aux Antilles (13 700 Treffer).

Auf der Grundlage der hier erörterten Sprachdaten lässt sich exemplifizieren, was K. Hunnius unlängst anhand von Beispielen aus dem Bereich der französischen Morphosyntax gezeigt hat: Variation ohne Wandel stellt ein reales Szenarium in der Sprachgeschichte dar (vgl. Hunnius 2015, 602f.). Zumindest für den hier betrachteten, zugegebenermaßen kleinen Ausschnitt aus der französischen Sprachgeschichte (des 20. Jahrhunderts) zeigen die Beispiele, dass in den fünfziger und sechziger Jahren genauso wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts Variation zu beobachten ist; in einigen Fällen mag diese Variation auf künftigen Wandel hindeuten, vollzogen ist dieser in keinem Fall: Hierfür müsste sich erst ein Statuswechsel abzeichnen, der eine in der Vergangenheit als korrekt erachtete Variante stigmatisiert (vgl. Hunnius 2015, 603). Diese Feststellung gilt nicht nur für die soeben erörterten Beispiele, sondern lässt sich auf sämtliche in dem Buch thematisierten Belege für nachlässigen Sprachgebrauch, denen der Vf. den seines Erachtens korrekten gegenüberstellt, ausdehnen: In keinem einzigen Fall kann davon die Rede sein, dass J.O. Grandjouan in seinem Werk Les linguicides einen usage propagiere, der heutzutage nachweislich in irgendeiner Form proskribiert wäre. Also kein Wandel, sondern Fortbestehen der Variation.

Literaturverzeichnis

GR = Robert, Paul/Rey, Alain (eds.) (2011): Le Grand Robert de la langue française, version numérique, http://gr.bvdep.com.

Grandjouan, Jacques Olivier (1971): Les linguicides, Paris, Didier.

Grandjouan, Jacques Olivier (1989): Les linguicides, Aix-en-Provence, Martorana.

GRnpr = Robert, Paul et al. (eds.) (1986): Le Grand Robert des noms propres. Dictionnaire universel alphabétique et analogique des noms propres, Paris, Le Robert.

Guilbert, Louis (1972): [Rez. zu „J.O. Grandjouan, Les linguicides, Paris: Didier 1971“], in: Bulletin de la Société de Linguistique de Paris, vol. 67, Nr. 2, 169–171.

Haudricourt, André G. (1973): [Rez. zu „J.O. Grandjouan, Les linguicides, Paris: Didier 1971“], in: L’Homme, vol. 13, Nr. 1, 260–261.

Hunnius, Klaus (2015): „Sprachgeschichte und Sprachvariation. Zur Imperfektverwendung in der Protasis des französischen Bedingungssatzes“, in: Zeitschrift für romanische Philologie, vol. 131, Nr. 3, 587–604.

Lexis = Haboury, Frédéric (ed.) (2009): Le Lexis. Le dictionnaire érudit de la langue française, Paris, Larousse.

Schneider, Jan Georg (2005): „Was ist ein sprachlicher Fehler? Anmerkungen zu populärer Sprachkritik am Beispiel der Kolumnensammlung von Bastian Sick“, in: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, vol. 2, 154–177.

Schneider, Jan Georg (2007): „Sprache als kranker Organismus. Linguistische Anmerkungen zum Spiegel-Titel ‚Rettet dem Deutsch!‘“, in: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, vol. 1, 1–23.

TLFi = Trésor de la langue française informatisé, Paris/Nancy, CNRS/ATILF, http://atilf.atilf.fr/tlf.htm.

Wolf, Heinz Jürgen (1979/21991): Französische Sprachgeschichte, Heidelberg, Quelle & Meyer.

Sprachpflegerische Welten im Internet:

Sprachnormierungskriterien in Deutschland und Frankreich aus argumentationsanalytischer Perspektive

Vera Neusius (Saarbrücken)

1Einleitung und Zielsetzung

Die in der heutigen Zeit immer weiter fortschreitende und sich diversifizierende mediale Praxis, darunter insbesondere internetbasierte Kommunikationsformen, fordert gerade im Rahmen einer Angewandten Linguistik die Erweiterung verschiedener sprachwissenschaftlicher Forschungsbereiche. Die Sprachpflege und Sprachkritik als einer dieser Bereiche steht sowohl in Deutschland als auch in Frankreich in einer langen Forschungstradition und sieht sich im gegenwärtigen Zeitalter globaler kommunikativer Prozesse mit neuen Entwicklungen konfrontiert: Der Wirkungsbereich metasprachlicher Diskurse hat sich auf neue Bereiche wie das Internet ausgeweitet und die Diskussion über Sprache und Sprachbewusstsein deckt nunmehr neben Wissenschaft und Politik einen immer größer werdenden Teil der Öffentlichkeit ab. Dass dabei „[j]e nach Akteur und Aktionsebene […] unterschiedliche Aspekte im Vordergrund [stehen]“ und „die Grenzen zwischen ihnen […] mitunter verschwommen [erscheinen]“ (Polzin-Haumann/Osthus 2011, 13) erschweren eine aus wissenschaftlicher Perspektive vollständige Erfassung sprachpflegerischer Diskurse, weshalb eine ihrer Komplexität angemessene, terminologisch und methodisch interdisziplinär angelegte Herangehensweise anzuwenden ist. Vor diesem Hintergrund strebt der Beitrag eine kontrastive Untersuchung aus diskurslinguistischer Perspektive an, die laienlinguistische Online-Kommunikation als sprachnormativen Teildiskurs in Deutschland und Frankreich fokussiert. Dabei soll zunächst exemplarisch geprüft werden, ob in Foren und sozialen Netzwerken verbalisierte Einstellungen zu Sprache und ihren Sprechern bereits historisch gewachsenen Normierungskriterien zugeordnet werden können. Im Anschluss sollen im Rahmen argumentationsanalytischer Überlegungen zentrale argumentative Strukturen der Diskursteilnehmer herausgearbeitet werden, um die innere Struktur laienlinguistischer Sprachthematisierungen genauer zu durchleuchten.

2 Sprachpflege und Laienlinguistik in öffentlichen Diskursräumen

Hoberg (1997, 55) definiert den Kommunikationsbereich Öffentlichkeit als „[…] alles, was nicht Linguistik ist und was >Publizität< beanspruchen kann“. Diese auf der einen Seite zunächst sehr offen anmutende Begriffsbestimmung impliziert auf der anderen Seite ein Verständnis von Öffentlichkeit als klar abgestecktem, geschlossenen Raum, in dem die äußeren Akteurspositionen „>Experte< und >Laie< […] zwei Pole auf einem Kontinuum sind“ (Spitzmüller 2005, 71). Wie aber der Übergang zwischen Experten und Laien nicht als absolut, sondern graduell zu verstehen ist (vgl. Stegu 2008, 84), so ist auch deren Wirkungsbereich Öffentlichkeit als offener und vernetzter Bereich zu verstehen, der gerade durch die Verwendung massenmedialer Formen wie des Internets seine Heterogenität und fließende Grenzen erhält. Dennoch erlauben die sich in metasprachlichen Kontexten manifestierenden Unterschiede zwischen Laien- und Expertentum – letzteres oftmals vertreten durch wissenschaftliche Sektoren, hier konkret die Sprachwissenschaft – eine Einordnung der sogenannten Laien-Linguistik in Form eines gesonderten diskursiven Feldes, das einen festen Platz in der Öffentlichkeit für sich beansprucht. Antos (1996, 34) sieht diese Unterschiede darin begründet, dass „Wissenschaften einen methodischen, d.h. systematischen Wissensgewinn anstreben.“ Laienlinguistische Theorien im Sinne subjektiver und intersubjektiver Alltagstheorien hingegen weichen, wenn auch mit Sicherheit nicht alle, von diesem Prinzip ab. Dies sei nicht nur einer geringeren Präsenz von Parametern wie Explizitheit, Falsifikation und Kohärenz bei der Beschreibung sprachlicher Handlungen geschuldet (vgl. ibid.), sondern vor allem dem ihr eigenen, relativ hohen Grad an sprachnormativer Präskription (vgl. id., 19). Jedoch soll es in diesem Beitrag nicht darum gehen, eine allgemein gültige definitorische Abgrenzung zwischen Linguistik und Laienlinguistik zu ziehen oder den Zuständigkeitsbereich der Laienlinguistik zu diskutieren (vgl. dazu weiterführend Brekle 1989; Niedzielski/Preston 2000; Paveau 2008; Preston 2008). Vielmehr soll im Kontext der Online-Kommunikation die folgende Definition nach Paveau/Achard-Bayle (2008, 5) angeführt werden:

Le terme linguistique populaire est un calque d’une série de dénominations anglo-saxonnes basées sur folk, dans lesquelles folk est traduit en français par populaire, spontané, naïf, profane ou ordinaire […]. On parle aussi de linguistique de sens commun et l’on rencontre également l’expression linguistique des profanes, dont L. Rosier [(Rosier 2004, 70)] signale la présence désormais massive sur l’internet : „On peut […] ajouter ce qu’on nomme “la linguistique des profanes”, particulièrement visible sur l’internet, notamment dans le cadre des forums de discussion […]“.

Im Rahmen dieser begrifflichen Grundlage soll es im Folgenden in erster Linie darum gehen, die Beschaffenheit metasprachlicher, (un)bewusster Wissensbestände und Wahrnehmungsprozesse auf der Grundlage expliziter Äußerungen zu rekonstruieren. Dabei steht weniger die Frage im Vordergrund, ob metasprachlich konstruierte Normen im sprachpflegerischen Diskurs deskriptiv oder präskriptiv veranlagt sind, sondern ob in einer sprachpflegerischen Tradition verankerte, „historisch gewachsene Orientierungs- und Handlungsrahmen“ (Spitzmüller 2005, 56) das Entstehen solcher Normen „à part des ‚professionnels de la normeʻ“ (Osthus 2003, 139) bedingen. Allerdings leiden, wie der Begriff Diskurs selbst, auch im Diskurs verankerte und durch ihn konstruierte Dachkonzepte wie Mentalität, Identität und Spracheinstellung unter terminologischer Unschärfe (vgl. Spitzmüller, 57), weshalb diese für die vorliegende Fragestellung kurz eingeordnet werden sollen:

Für diskurslinguistische Fragestellungen ist nach Wengeler (vgl. 2003, 61)1 – entgegen der alltagssprachlichen Auffassung von Mentalität im Deutschen – seine historiographische Verwendung zu bevorzugen, die auf dem Begriffsverständnis der französischen mentalité beruht:

[Es] fällt auf, daß es bei dem französischen Begriff entschieden auf die Gruppe ankommt (auf die collectivité), statt wie im Deutschen, gleichermaßen auf das Individuum; das Individuum hat eine mentalité bloß insofern, als es teilhat an der kollektiven mentalité (Hermanns 2012, 11).

Darüber hinaus ist neben der Bedeutung des Kollektivs weiterhin vor allem die historische und handlungsrelevante Komponente von Mentalitäten hervorzuheben, denn „[h]istorische Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalitäten manifestieren sich in Handlungen“ (Dinzelbacher 1995, XXI) und zeichnen sich weiterhin dadurch aus, dass sie vor allem „assoziativ“ sind, d.h. nicht „kausallogisch“ reflektiert werden. Auch wenn man sich ihrer Existenz nicht bewusst sein muss, stellen sie ein kollektives Dispositiv für menschliches Denken und Handeln dar, wobei natürlich stets zwischen „Mentalität als kognitiver Dimension und Handlung“ zu unterscheiden ist (vgl. Spitzmüller 2005, 58). Zwar ist es Ziel jeder diskurslinguistischen Untersuchung, aus Handlungen kollektive Mentalitäten abzuleiten, dennoch „[handeln] Individuen […] innerhalb einer Mentalität selbstverständlich auch unterschiedlich“ und nicht jede Handlung ist einer bestimmten Mentalität zugeordnet, sondern der Kontext der einzelnen Handlung ist stets in die Interpretation mit einzubeziehen (ibid.). Aus der Historizität der Mentalität resultiert ferner ihr synchroner „Schnittmengen“-Charakter (id., 60), der sich aus verschiedenen zeitlichen Ebenen zusammensetzen kann und in die Erscheinungsformen der epochalen „Totalmentalitäten“, die von mehr oder weniger allen Diskursteilnehmern geteilt werden, der „Makromentalitäten“ eines diskursspezifischen Kollektivs oder der „Mikromentalitäten“, die sich innerhalb eines Kollektivs manifestieren, differenziert werden kann (vgl. ibid.).

Mit dem Konzept der kollektiven Mentalität verwachsen ist der in der Forschung ebenfalls diskutierte Begriff der kollektiven Identität, der jedoch gerade für metasprachlich und sprachnormativ handelnde Akteure von nicht minderer Bedeutung ist. Für den sprachpflegerischen Diskurs scheint vor allem die von Assmann (62007, 134) beschriebene kollektive Identität im Sinne einer „reflexiv gewordene[n] gesellschaftliche[n] Zugehörigkeit“ zutreffend, da sie eine bewusste Abgrenzung einer Gruppe von anderen Gruppen und deren Einstellungen impliziert:

Unter einer kollektiven oder Wir-Identität verstehen wir das Bild, das eine Gruppe von sich aus aufbaut und mit dem sich die Mitglieder identifizieren. Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht an sich, sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen (id., 132, Hervorhebungen i.O.).

Für die laienlinguistische Sprachpflege – sofern man davon ausgehen kann, dass das Attribut ,laienlinguistisch‘ für dieses Akteurskollektiv überhaupt zutreffend ist – sowie auch und gerade für den Bereich der institutionalisierten Sprachpflege, auf den hier nicht intensiver Bezug genommen werden soll, ist festzuhalten, dass sich die ihr bewusst durch sich selbst zugeschriebene kollektive Identität maßgeblich von anderen Mentalitäten unterscheidet, da sie sich nicht im Sinne eines 'natürlichen' sozio-historischen Automatismus aus den jeweils geltenden gesellschaftlich-kulturellen Orientierungsschemata auf die Akteure im Diskurs überträgt, sondern die Akteure ihre Identität – wenn auch im Rahmen mentalitätsgeschichtlicher Impulse und Traditionen – im Diskurs bewusst konstruieren. Dieses entworfene Selbstbild wird mit dem primären Ziel der kollektiven Abgrenzung vom Anderen beharrlich propagiert und diktiert dadurch gleichzeitig einen bestimmten modus operandi. Es handelt sich um die Verzahnung einer aktiven, bewussten Identitätskonstruktion mit einer passiven, unbewussten Beeinflussung durch mentale Muster und Repräsentationen in einem „Wechselspiel von […] Identitäten und Alteritäten“ (Spitzmüller 2005, 65, Hervorhebungen i.O.). Wie unter anderem zu zeigen sein wird, nimmt dabei im sprachpflegerischen Diskurs oftmals die diskursive Verknüpfung von nationalerIdentität und der jeweiligen (Mutter-) bzw. (Landes-) Sprache einen zentralen Platz ein.2

An letzter Stelle steht die kurze Einordnung des Konzepts Spracheinstellungen,3 die sich im Hinblick auf metasprachliche und normative Diskurse natürlich vor allem auf die Sprache selbst, ihre Verwendung, ihre Entwicklung und ihre Sprecher beziehen, wobei sich diese Bereiche im Diskurs überschneiden können (vgl. Spitzmüller 2005, 69). Bei metasprachlichem Handeln werden in sprachpflegerischen oder gar puristischen Kontexten Einstellungen häufig in ihrer affektiven Komponente sichtbar, die Giles präzisiert als „definite attitudes […] towards speakers representing different speech styles“ (1987, 585) und Stickel (1999, 17) wie folgt ergänzt:

[Spracheinstellungen sind] wertende Dispositionen, die einzelne Menschen oder soziale Gruppen gegenüber sprachlichen Erscheinungen haben. Spracheinstellungen sind besonders Haltungen gegenüber Sprachen, Sprachvarietäten oder Sprachverhalten anderer Individuen und Gruppen, oft mit wertender Berücksichtigung der jeweils eigenen Sprache. Wie andere Einstellungen gelten Spracheinstellungen als erlernt, relativ beständig, wenn auch veränderbar.

Spitzmüller betont die enge Verknüpfung zwischen Mentalität, Identität und Einstellungen in metasprachlichen Diskursen (vgl. 2005, 70) und verweist in diesem Zusammenhang auf eine Definition nach Hermanns, der zufolge „[e]ine Mentalität […] die Gesamtheit aller usuellen Einstellungen in einer sozialen Gruppe [ist].“ Kollektive Identität wiederum „basiert zu großen Teilen auf der Überzeugung, Einstellungen anderer Individuen zu teilen“ (2002, 80f.).

3Online-Diskurse als Sonderform öffentlicher Diskurse

Um ein möglichst vollständiges Bild über die Struktur und Funktionsmechanismen von Wissensordnungen und Sinnsystemen im sprachnormativen Diskurs zu erhalten, muss nicht nur bedacht werden, dass unterschiedliche teildiskursbildende Akteursgruppen im Diskurs wirken, sondern dass sich diese auch verschiedener medialer Aktionsformen bedienen. Wie bereits Osthus (2003, 139) hervorgehoben hat, spielt dabei das Internet eine immer größere Rolle als Kommunikationsplattform für Laienlinguisten:

Aujourd’hui, une valorisation du discours normatif – surtout s’il s’agit de celui-ci des non-spécialistes – ne peut se faire sans prendre en compte les nouveaux médias qui sont en train de bouleverser nos habitudes de communication. Ce ne sont pas que publicitaires et marchands qui se lancent dans l’Internet, comme en témoignent […] les amateurs de la langue déjà nombreux avant l’arrivée du réseau mondial. En fait, il ne faut être ni linguiste ni Académicien pour juger sur le bon usage et les normes. Il suffit de se brancher sur Internet.

Online-Diskurse werden in der Diskursforschung nicht als „Verkürzung der angebotsförmigen, inhaltlichen und insbesondere handlungspraktischen, also produktiven und rezeptiven, Verflechtungen von medialen Angeboten“ angesehen, sondern sie bezeichnen einen Forschungsgegenstand, der sich aus der Gesamtheit „transmediale[n], multimodale[n] Kommunizierens“ ergibt (Fraas/Meier/Pentzold 2013, 8). Durch den Einsatz von digitalen und sich vernetzenden Medien erhalten diskursive Praktiken eine so große Reichweite und Vernetzung, dass „eine Verkürzung auf nur internetbasierte oder computervermittelte Inhalte und Diskussion“ (id., 10) dem diskurslinguistischen Forschungsanspruch nach einer Untersuchung transtextueller und transmedialer Diskursmuster nicht gerecht werden kann. In diesem Sinne ist die vorliegende Untersuchung natürlich als exemplarischer Beitrag zu verstehen, der kommunikative Strukturen und dahinter stehende mentale Konzepte im Rahmen eines Teildiskurs-Ausschnitts anhand von Textkommentaren untersucht und somit auch nicht den Anspruch erhebt, generalisierbare Aussagen über „relativ dauerhafte und regelhafte, also zeitlich und sozial formierte, Wissensordnungen […] in Diskussionen, Texten, Bildern, audiovisuellem Material und anderen multimodalen Äußerungen“ zu treffen (vgl. 4). Dennoch soll an dieser Stelle die Reflexion methodischer Implikationen für die Untersuchung zentraler Sprachgebrauchsmuster in internetbasierten Kommunikationsbereichen nicht unerwähnt bleiben.

Öffentlichkeit (vgl. 2) spielt sich aus mediensoziologischer Sicht auf unterschiedlichen Ebenen ab, die sich nach Reichweite und Grad an Stabilität unterscheiden lassen und die an „unterschiedliche Kommunikationstechnologien und -modi geknüpft sind“ (Schmidt 2013, 36). „Massenmedial hergestellte Öffentlichkeit ist […] per definitionem technisch vermittelt, wobei die Produktion von Kommunikationsinhalten unter Umständen zeitlich deutlich von der Rezeption abgekoppelt ist“ (ibid.). Schmidt (2015, 40ff.) definiert auf der Grundlage der Hybridität onlinebasierter Kommunikation vier verschiedene Typen von „Kommunikationsarenen“, die in der Regel auch miteinander vernetzt sind: die „Arena der massenmedialen Öffentlichkeit“, „der Expertenöffentlichkeit“, „der kollaborativen Öffentlichkeit“ und „der persönlichen Öffentlichkeit“. Zur letzten Arena zählen Netzwerkplattformen des sogenannten „personal publishing“ wie Facebook, Twitter, Foren oder Webblogs, „in denen Menschen Informationen insbesondere nach Kriterien der persönlichen Relevanz auswählen und zur Verfügung stellen“ (id., 43). In diesem Sinne ist das dort vertretene Publikum keineswegs eine „disperse unbekannte >Masse<, sondern üblicherweise das eigene erweiterte soziale Netzwerk, also das Geflecht von Personen, zu denen bereits Beziehungen existieren, seien es freundschaftliche Bindungen, ein geteiltes thematisches Interesse o.ä.“ (ibid.). Auf dieser Grundlage ist weiter davon auszugehen, dass „Medien als ‚gesellschaftliche Einrichtungen und Technologien […] etwas materiell oder symbolisch vermitteln und dabei eine Problemlösefunktion übernehmen‘. Im Gebrauch ermöglichen und formen Medien Wahrnehmungen, Handlungen und Kommunikationsprozesse“, d.h. sie agieren als Sozialisationsinstanz und wirken dabei nicht selten als Vektor stereotyper Darstellungen (Meißner 2015, 33f.; vgl. Thiele 2015).

Diese Komplexität internetbasierter Daten und damit verbundener sozialer Konstruktionen, die stets „als Produkt eines bestimmten Settings“ (Schirmer/Sander/Wenninger 2015, 10) zu verstehen sind, erfordert bei der Sammlung des Datenmaterials sowie bei der linguistischen Analyse spezifische methodische Überlegungen, worunter die Art der erfassten Daten, die Problematik der „Erfassbarkeit der Dynamik und der Flüchtigkeit von Internetdaten“ (id., 11) sowie letztlich auch Fragen des Urheberrechts und der Verwendbarkeit von online-publizierten Daten4 fallen. Bei sozialen Netzwerken stellt vor allem die Multimodalität eine Herausforderung dar, „weil sie sich naturgemäß mit den oft sprach- und schriftbasierten Verfahren nicht adäquat fassen lassen [kann]“ (id., 13). In Foren liegt eine maßgebliche Schwierigkeit in der Asynchronität der Diskussionsbeiträge. Alle diese Interaktionszusammenhänge möglichst detailliert zu erfassen und in interdiziplinärer Perspektive zu untersuchen hat sich als Postulat sowohl seitens der Qualitativen Sozialforschung (vgl. Schirmer/Sander/Wendiger 2015) als auch der Linguistischen Diskursanalyse (vgl. z.B. Busse/Teubert 2013; Fraas 2008; Fraas/Pentzold 2008) etabliert. Eine solch umfassende Analyse kann natürlich im vorliegenden Beitrag nicht vorgenommen werden, weshalb er sich aus diskurslinguistischer Perspektive auf eine ausgewählte Ebene der Sprachstruktur beschränkt (vgl. 4).

So interessiert sich die vorliegende Fragestellung neben den theoretisch erörterten Spezifika der Online-Kommunikation in erster Linie für das kommunikative Verhalten und die kommunikativen Strategien in metasprachlichen Äußerungen laienlinguistischer Akteure, bei denen anzunehmen ist, dass sie in ihrer Gesamtheit eine weitaus heterogenere Gruppe repräsentieren als die traditionell am sprachnormativen Diskurs beteiligten Parteien.

4Linguistische Diskursanalyse als methodischer Zugang zu laienlinguistischer Sprachreflexion

Das Interesse der Linguistischen Diskursanalyse in ihrer je nach spezifischem Forschungsschwerpunkt mehr oder weniger starken Anlehnung an die Diskurstheorie Michel Foucaults (vgl. 1969; 1971