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Dr. Robin Brown wird an der Universität Tasmanien von seinen Kollegen sehr geschätzt und von seinen Studenten sehr verehrt. Als Professor der Philosophie begeistert er in dieser eher trockenen Wissenschaft derartig, dass seine jungen Zuhörer nach jeder seiner Vorlesungen ihm lange stürmisch huldigen. Auch schenkte ihm das Leben bisher eine tolle glückliche Ehe mit seiner 12 Jahre jüngeren hübschen Frau Sarah Flämming. Ihre gemeinsame Zeit begleiten viel Liebe pur, Vertrauen zueinander und finanzielle Sicherheit. Auf der Halbinsel Midway Point nahe Hobart erwarben sie ein scheunenartiges Haus nahe einer blauen Lagune. Hier findet auch seine junge Frau, eine begabte aufstrebende Künstlerin, in ihrem großen Atelier die nötige Ruhe zu ihren künstlerischen Tätigkeiten. Entspannung suchen die beiden oft im eigenen kleinen Ferienhaus an der Westküste von Tasmanien. Doch beim letzten Besuch findet dort ihr treuer Haushund, der Dalmatinerrüde Bellow, plötzlich viele fremde Spuren. Können die liebenden Eheleute diese sich häufenden Hinweise deuten?
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Seitenzahl: 386
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Die Romanhandlung umfasst drei Bücher.
*
Die beschriebenen Geschehnisse sind von mir von A - Z frei erfunden.
Auch wenn es auf der Insel Tasmanien die beschriebenen Orte, Landschaften, Gebäude und Einrichtungen tatsächlich gibt, sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen nicht beabsichtigt und rein zufällig.
HAJO YKERT, Jahrgang 1948, wurde in Zwickau (Sachsen) geboren. Als studierter Bauingenieur arbeitete er viele Jahre in Deutschland auf verschiedenen Baustellen. Nebenbei inspirierte ihn seine Leidenschaft zur Literatur so, dass er nebenbei mit dem Schreiben anfing. Es entstanden viele lyrische Arbeiten und Kurzgeschichten, bevor er nach dem Studium des Kreativen Schreibens mit seinem ersten Roman „HANJO RETCHIR– Legende über den Retter der Erde“ .sein schriftstellerisches Debüt gab.
Mit der jetzigen Veröffentlichung seiner Trilogie, dem erotischen Thriller „Spur des Tasmanischen Tigers“ unterstreicht der Autor seine schriftstellerische Vielfältigkeit.
Er lebt mit seiner Familie im Land Brandenburg, wo er derzeit an seinen weiteren Buchprojekten arbeitet.
Mehr über den Autor erfahren Sie unter www.hajoykert.de.
Personen
Worte des Autors
Kapitel
01 - Telefonat mit Sarah
02 - Abstecher nach Midway Point
03 - Aufregungen Zuhause
04 - Die nächtliche Autofahrt
05 - Zärtliche Berührungen
06 - Brunch vor dem Ferienhaus
07 - Anschauen der Post
08 - Die morgendliche Verführung
09 - Abstecher nach Strahan
10 - Sichtung eines Tasmanischen Tigers
11 - Ausflüge nach Zeehan und Queenstown
12 - Die Einmaligkeit des Sonnenunterganges
13 - Spontane Liebe am Strand
14 - Australischer Nationalfeiertag
15 - Nächtlicher Lärm
16 - Der letzte Urlaubstag
17 - Ankunft in Midway Point
18 - Bellows Witterung
19 - Erkenntnis von Sarah
20 - Der Vertragsentwurf
21 - Hinweise vom Platzwart
22 - Die feuchten Fliesen
23 - Philosophische Aussagen von Robin
24 - Erste Arbeitswoche
25 - Die zeugende Nacht
26 - Der verworfene Golfball
27 - Sarah erzählt über ihre Jugendliebe
28 - Planung des Treffens mit David
29 - Das Hotel Isington
30 - Regen auf dem Mount Wellington
31 - Im Hörsaal der Universität
32 - Gemeinsames Dinner
Ende Teil 1
Danksagung
Weitere Bücher von Hajo Ykert
Das Ehepaar
Dr. Robin Brown ….
International bekannter und anerkannter Professor der Philosophie an der Universität Tasmanien mit Sitz in Hobart; begeistert mit Vorlesungen seine
Studenten;
wohnt mit seiner Ehefrau in Midway Point;
Sarah Brown …....... geb. Flämming
12 Jahre jüngere und hübsche Ehefrau von Dr. Robin Brown; studierte Kunstwissenschaften in der Zweigstelle der Universität Tasmanien in Launceston; talentierte Bildhauerin; in ihrem Beruf damit schon auf der Insel Tasmanien erfolgreich, aber noch nicht in der Kunstszene von Australien;
Bekannte
David Pincal ............
ehemaliger Studienkollege und Exfreund von Sarah Flämming (zwei Jahre liiert); studierte Wirtschaftswissenschaften in der Zweigstelle der Universität Tasmanien in Launceston; nach dem Studium sehr erfolgreicher Unternehmer;
John Edwin ............
befreundeter Platzwart vom benachbarten Pittwater Golf Club, welcher bis an die westliche Seite vom Wohngrundstück des Ehepaares Brown heranreicht;
Ranke Cryon ..........
Listenschreiber beim Golfspiel;
Collin Pier …..........
Wohnungsnachbar in Midway Point;
Renny Lark ............
Wohnungsnachbar in Midway Point;
Gerett Huber …......
Assistent bei Prof. Dr. Robin Brown an der Universität Tasmanien mit Sitz in Hobart – Lehrstuhl Philosophie;
Liebe Leser,
neulich las ich etwas Überraschendes in einer deutschen Nachrichtenanzeige. Es erschrak mich.
„So werden doch täglich Menschen zu Mördern, von denen niemand geglaubt hätte, dass sie jemals zu solchen Taten fähig sein könnten – am allerwenigsten sie selbst.“
Das äußerte ein früherer Chef einer süddeutschen Mordkommission. Es war die Ermittler-Legende Wilfing. Und er sei davon überzeugt, dass in uns allen ein Mörder steckt.
Was ich las, war keinesfalls ein fiktiver Artikel. Denn in diesem Artikel steckten nüchterne Erfahrungen aus seiner siebenjährigen leitenden Tätigkeit in einer Mordkommission. Die inhaltlichen Aussagen beruhen also auf realen Geschehnissen.
Was ist der Antrieb zum Morden?
Wann beginnt die unheilvolle Entwicklung?
Was sind hierzu die wesentlichen Triebfedern?
Und ich las, dass die allermeisten Taten Beziehungstaten seien. Da gehe es um Habgier, Wut, drohende Trennung, finanziellen Ruin. Doch auch grenzenlose Machtgier und grausame Enttäuschungen seien dabei.
Die nüchterne Analyse des Chef-Ermittlers habe ergeben, dass bei allen Ursachen dabei die Angst eine ganz wesentliche Rolle spiele. Eben die Angst, alles zu verlieren, was man im Leben erreicht hat. Das kann den Menschen unberechenbar, ja sogar sehr gefährlich machen. Und bei den Tötungsdelikten gingen nur wenige Prozent auf das Konto von Gewalt- und Gewohnheitsverbrechen. Diese Tötungsarten sind eher „kurz und schmerzlos“.
Laut Wilfing gehe es dort am grausamsten zu, wo Menschen sich nahe stünden. Hier entlade sich dann eben die oft lange angestaute Emotion.
Der frühere Chef-Ermittler meint aber auch, dass jeder Mensch solch ein mögliches Verbrechen selbst verhindern könnte. Denn wenn nach seiner Meinung in uns allen ein Mörder steckt, so möge sich doch nur jeder Mensch einen Spiegel vorhalten, damit er sich selbst erkennt: „Hoppla, ich befinde mich in so einer Entwicklung.“
*
Und da ich schon lange einen Thriller schreiben wollte, war das Lesen des erwähnten provokanten Artikels meine Initialzündung, es doch nun endlich zu tun.
Hinzu kamen auch noch die täglichen Nachrichten über kriminelle menschliche Handlungen, über absurde Todesfälle, die mich zum Schreiben des Thrillers stimulierten.
Für den Handlungsort der zeitgenössischen Geschehnisse wählte ich hierzu die einzigartige Insel Tasmanien. Eben deshalb, um gut darstellen zu können, dass sich menschliche Tragödien überall auf unserer Erde entwickeln können. Selbst auf so einem naturbelassenen, einzigartigen Eiland.
So ergab das Schreiben der einzelnen Handlungen, die in unserer aktuellen Zeit platziert sind, letztendlich eine Trilogie.
Sämtliche Handlungen sind zwar vom Autor frei erfunden, doch er platzierte sie in die Nähe unglaublicher, schon geschehener bzw. möglicher menschlicher Erscheinungsformen.
Gerade in unserer aktuellen erbarmungslosen kapitalistischen Leistungsgesellschaft treten sie immer gehäufter auf. Tasmanien ist zwar der kleinste Bundesstaat von Australien, aber mit 67 800 km2 die größte Insel davon. Dieses einzigartige Eiland ist mit seiner wilden Berglandschaft, seinen tobenden Flüssen und wunderschönen Tälern ein Paradies für Naturschützer und Wanderer. So finden die auf der Insel oft modern eingebundenen Wohnlandschaften in der nahen Umgebung ideale Naturbedingungen vor.
Aber was ist schon so eine romantische Umgebung wert, wenn sich in so einer wunderbaren Landschaft menschliche Konflikte über Jahre anstauen und dann schließlich brutal eskalieren.
An der Trilogie des Thrillers zu arbeiten, hat mir großen Spaß gemacht, obwohl es zuweilen anstrengend und schwierig war. Nach den anfänglichen reichhaltigen Recherchen kam es mir so vor, dass mir Tasmanien immer vertrauter wurde. So reiste ich viel auf der Insel herum, fuhr mit dem Auto über gut ausgebaute Autobahnen und ländlichen Straßen, lernte die Vielfalt der dortigen Städte, Ortschaften, Hotels und wunderbaren Landschaften kennen – ohne je selbst dort gewesen zu sein. Mit seinem Flair zog mich Tasmanien einfach in den Bann. Zeitweise schien es mir so, dass ich selbst dort wohnen würde. Und so entwickelte ich die Handlung im Eiltempo - ohne Anleitung. Ich empfand diese Erfahrung als extrem befriedigend.
Zuerst wollte ich die einzelnen Puzzle der Handlung in einem Buch zusammensetzen. Doch bald bemerkte ich, dass ich die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander eingehender beleuchten muss, um den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen.
Deshalb wurde wegen der Komplexität der erotische Thriller, die SPUR DES TASMANISCHEN TIGERS, viel länger als erwartet – genau genommen zwei Bücher länger. So entstanden letztendlich drei Bücher zum Thriller.
Ich hoffe, dass der Lesestoff es erahnen lässt, wie liebende Menschen zwischen die Mühlsteine einer tödlichen Intrige geraten können und wie grausam sich schließlich alles entwickeln kann.
Eine unterhaltsame Lektüre wünscht Ihnen
Hajo Ykert
“Wie bedeutsam auch unsere Gedanken
sein mögen,
die Abstraktion und die Dürre
unserer Arbeiten,
der Traum der Liebe fegt das alles hinweg.“
Sully Prudhomme, Intimes Tagebuch
MIDWAY POINT
ESCORT:
Die beschriebenen Ereignisse spielen zu unserer Zeit.
Es ist Januar auf der Insel Tasmanien. In den Breiten herrscht hier gerade ein außergewöhnlich heißer Sommer.
Ein sehr warmer Abend neigt sich dem Ende und die klebrige schwüle Luft will keineswegs der Abendkühle weichen.
Dr. Robin Brown, Professor der Philosophie an der Universität Tasmanien mit Sitz in Hobart, hält sich noch in den Räumen seiner Sektion auf.
Bevor Professor Dr. Robin Brown kurz vor 21.00 Uhr sein Sektionsbüro in der Universität von Tasmanien verlassen wollte, versuchte er wiederholt mit seiner Frau zu telefonieren. Ständig wählte er ihre mobile Telefonnummer. Doch sie meldete sich nicht.
Langsam wurde er ungeduldig. Ärgerlich schaute er zum offenen Fenster. Da wehte gerade ein warmer Luftzug herein.
Ach ja, er musste es noch schließen. Schnell schloss er das geklappte Fenster. Dann versuchte er erneut, sie zu erreichen.
“Hallo Sarah, ich bin es“, sprach er wiederholt. “Gehe doch bitte ans Telefon.“
Nach weiteren fünf Minuten gelang endlich eine Verbindung.
“Hallo Sarah, bist du dran?“
“Ja, Robin“, rief Sarah vollkommen außer Atem.
“Na endlich. Ich dachte schon, dass du schon schläfst!“
“Ach iwo. Ich habe doch die ganze Zeit auf deinen Anruf
gewartet. Ich musste mal mit dem Hund raus.“
“Ach so, du warst mit Bellow vor dem Haus.“
“Ja, nicht weit weg. Und dann habe ich das Telefon gehört. Ich hatte es in der Küche gelassen … Wo steckst du jetzt?“
“Na in der Uni in Hobart. Vor zwei Stunden bin ich gelandet.
Jetzt bin ich noch im Büro.“
“Und waren deine Gastlesungen auf dem Festland erfolgreich?“
“Ja, die Vorträge in Sydney und Melbourne waren ausgebucht.
Das war für mich selbst überraschend. Na bei diesen trockenen philosophischen Themen!“
“Früher bin ich als Studentin doch auch begeistert zu deinen Vorträgen gekommen“, bemerkte Sarah.
Und sie fügte mit zärtlicher Stimme hinzu, dass das eben an seinem guten Aussehen gelegen hätte.
“Du willst doch nicht sagen, dass weniger der wissenschaftliche Inhalt, sondern mehr meine Ausstrahlung die hohe Resonanz erzeugt?“
“Na klar, besonders bei den Studentinnen. Oder liege ich falsch, wenn ich behaupte, dass deine Zuhörer zu mindestens 80 % Studentinnen waren?“
Dr. Robin Brown dachte nach. “Ja, das stimmt. Aber an so etwas habe ich die ganze Zeit gar nicht gedacht. Du weißt, dass bei mir die wissenschaftliche Arbeit im Mittelpunkt steht.“
“Natürlich weiß ich das. Und deshalb liebe ich dich auch. Und deshalb sind wir auch verheiratet.“
“Das beruhigt mich … Ach, ich freue mich auf unseren gemeinsamen Urlaub an der Westküste. Gleich nach unserem Gespräch werde ich nach Midway Point losfahren. Und dann von Zuhause aus sofort weiter. Der nächtliche Verkehr ist ja gering.
Ich denke, dass ich am frühen Morgen bei dir sein werde.“
“Liebling, lass dir ruhig Zeit. Fahr lieber vorsichtig.“
“Soll ich von Zuhause noch etwas mitbringen?“
Sarah überlegte kurz. “Ja, den Haarföhn – den habe ich vergessen. Und schau bitte auch noch mal nach den Blumen in der Blechwanne. Vielleicht musst du da noch etwas Wasser nachgießen.“
“Und wo hast du sie hingestellt?“
“Na die steht im Atelier an der Fensterfront - an der Wandseite zum Wasser.“
“Okay, ich weiß Bescheid.“
“Ach so, noch etwas. Vergiss bitte auch nicht den Briefkasten zu
leeren. Der wird wahrscheinlich voll sein.“
“Ja, mache ich. Noch etwas?“
“Nein.“
“Wie geht es Bellow? Hat er dich gut beschützt?“
“Ja. Ohne ihn hätte ich hier an diesem einsamen Ort schon Angst gehabt. Er hat dich gut vertreten. Nie ging er von meiner Seite.
Selbst am Strand lag er immer neben mir. Aber er ist sehr traurig und schaut oft nach Osten.“
“Ja, er wartet auf sein Herrchen“, antwortete Robin.
“Das denke ich auch. Ich glaube er spürte irgendwie, dass du bald kommst.“
“Du bist bestimmt schon in den fünf Tagen überall braun geworden. Bei dieser Gluthitze kann man es doch nur am Strand aushalten.“
“Natürlich war ich jeden Tag am Strand – vormittags und nachmittags. Jetzt ist mein Körper überall braun. Auch dort, wo du gerne verweilst.“
Robin schluckte. Gerne würde er jetzt schon diese erotischen Stellen berühren wollen. Doch die nächsten Stunden musste er noch aushalten.
“Schlafe jetzt, damit du ausgeruht bist, wenn ich komme“, sprach er sehnsuchtsvoll in den Hörer.
“Ja, ich werde mich jetzt zum Schlafen ins Bett begeben ...
Robin, du fehlst mir sehr!“
“Du fehlst mir auch.“
“Fahr ja vorsichtig. Robin, das musst du mir versprechen.“
“Ja, ich werde darauf achten. Bald werde ich bei dir sein.“
Wie es Professor Dr. Robin Brown richtig angenommen hatte, war der nächtliche Verkehr gering. Sein silbriger Cabriolet erreichte nach wenigen Minuten die Tasman Brigde und danach den Tasman Highway.
Während des Fahrens dachte er an das scheunenartige Haus, das sie vor dreieinhalb Jahren im Wohnort Midway Point erworben hatten. Deshalb gaben sie damals ihre Dreizimmerwohnung in Richmond auf.
Sie war für beide zu klein geworden.
Sarah hatte da gerade ihr Studium an der Universität von Tasmanien, an der Zweigstelle in Launceston abgeschlossen. Den Studienjahrgang der Bildenden Kunst hatte sie nicht nur mit guten Ergebnissen beendet, sondern es wurde ihr auch künstlerische Begabung bescheinigt.
Nun vollgestopft mit mehr theoretischen Wissen als mit handwerklichen Erfahrungen, wollte sie trotzdem sofort freischaffend wirken.
Natürlich schlug er ihr zu jener Zeit vor, dass sie doch erst einmal in ihrer speziellen Fachrichtung Plastik in einer beruflichen Anstellung arbeiten möge. So einige Jahre, um einfach Erfahrungen zu sammeln.
Aber davon wollte Sarah nichts hören. Was sie wissen müsste über die Kunst der räumlichen Gestaltung eines Bildwerkes, wäre ihr ausreichend bekannt. Ob aus Holz oder Elfenbein geschnitzt, aus Stein gehauen, aus einer weichen, später erhärteten Masse modelliert oder aus Metall gegossen – alles hätte sie in den Studienjahren durchlaufen. Jetzt wäre für sie einfach schon die Zeit reif, vollkommen frei zu schaffen.
Keinerlei Vorschrift und Zwang wolle sie unterworfen sein, außer ihren eigenen Ingenium – sozusagen als Künstlerin einer nur ihr zugänglichen Welt.
Und für ihre künstlerische Modellierungen würde ihr in der damaligen gemeinsamen Dreizimmerwohnung in Richmond ein einziges Zimmer für den Beginn ausreichen.
Seine junge Frau hatte eben einen sturen Kopf. Sie wählte sofort den schwierigeren Weg. Anfänglich gab es in der Wohnung in Richmond auch keine Flächenprobleme. Sarah hielt sich an ihre selbst auferlegten Vorgaben.
Natürlich war er als Professor der Philosophie oft auf dem australischen Festland unterwegs. Dort referierte er an den Universitäten in Melbourne und Sydney. Da konnte er nicht jeden Tag Zuhause sein. Doch mit den stetigen Anwachsen der künstlerischen Inspirationen von Sarah wurde der ausgewählte 20 Quadratmeter große Raum dafür bald zu klein. Werkzeuge, Materialien und die von ihr geschaffenen Werke ließen den Raum nach 15 Monaten überquellen.
Als er einmal überraschenderweise von einer Gastprofessorenreise zeitiger nach Hause zurückkehrte, entfernte gerade Sarah ihre abgestellten Sachen aus den anderen Zimmern.
Da hatte er ihr gesagt, dass sie nun bald ein größeres und eigenes Atelier benötige.
Sarah nickte darauf. Denn das umgebende Raumflächenverhältnis stimmte nun tatsächlich in der Wohnung nicht mehr. Sie brauchte einfach mehr Platz für die Umsetzung ihrer künstlerischen Ideen.
Monate später kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Das war genau vor vier Jahren, als sie gemeinsam mit dem PKW durch den Wohnort Midway Point auf dem Weg nach Richmond fuhren.
Es war der Tag, als sie von einem Kurzurlaub vom nahen Festland auf die Insel mit dem Flugzeug zurückkamen. Da der Flughafen von Hobart nahe Midway Point liegt, schlug Sarah damals den Rückweg durch diesen romantischen Ort vor. Und weil sie diese Strecke noch nie mit dem PKW gefahren waren, auch weil die Entfernung nach Richmond keinen großen Umweg darstellte, wählten sie diese ihnen unbekannte Strecke. Als sie dann nachmittags über die Halbinsel fuhren, verlief die dortige Hauptstraße entlang den Wasserflächen von Pittwater. Der beeindruckende Anblick des glitzernden, im Winde kräuselnden Wassers, ließ sie anhalten. Hier stellten sie das Auto an einer günstigen Stelle am Rande der Straße ab. Anschließend schlenderten sie in gemächlichen Schritten über die hügelige Halbinsel.
Auf einer erkletterten Anhöhe fanden sie heraus, dass die Halbinsel an der schmalsten Stelle nur 800 Meter breit war. Da gingen sie weiter, um auch noch die andere Seite zu erkunden.
Dort stießen sie auf einen befestigten Uferweg, der an der wasserreichen Lagune entlangführte. Hier verharrten sie nicht lange. Sie folgten einfach dem Uferweg in Richtung des nahen Ortes. Dort standen viele schmucke Häuser. Und sie bewunderten die Vielfalt der hier stehenden kleinen und größeren Baulichkeiten.
Natürlich war Sarah sofort von diesem herrlichen Wohnort begeistert. Sie träumte davon, hier einmal zu wohnen. Als sie wieder zum Auto zurückgingen, fragte sie deshalb spontan einen älteren Mann, welcher gerade seinen Hund ausführte, ob im Ort ein Haus zum Verkauf stünde. Zu ihren beiderseitigen Erstaunen bejahte er diese Frage. Mit seiner rechten Hand zeigte er in die nördliche Richtung zur nahen Lagune hin. Dort würde ein altes Scheunengebäude ganz am Ende des Uferweges stehen. Die alten Besitzer wären vor ein paar Monaten in eine altersgerechte Wohnung nach Hobart gezogen. Und weil keines ihrer zwei erwachsenen Kinder in das sanierungsbedürftige elterliche Haus einziehen wollte, hätten letztendlich auch die Besitzer die anstehenden enormen Sanierungskosten gescheut. Ihre beiden
Kinder arbeiteten ja auf dem Festland und hatten dort eine feste Anstellung gefunden. Und da eine baldige Rückkehr ausgeschlossen schien, wären auch die Besitzer nach Hobart gezogen. Nun stünde das Grundstück zum Verkauf. Doch der Befragte erwähnte auch noch, dass das scheunenartige Gebäude seit dem Auszug leerstehen würde. Das Grundstück wäre sehr heruntergekommen. Sie würden es nicht verfehlen. Die Verkaufsadresse hänge am Gartentor.
Da waren sie natürlich sofort umgekehrt und zur besagten Stelle ans Ende vom Uferweg gelaufen. Hier fanden sie auch das etwa 7.000 Quadratmeter große Grundstück. Es grenzte an der nordöstlichen Seite an die Lagune. Und etwas dahinter an der nördlichen Seite begann das Gelände vom Pittwater Golfclub.
Tatsächlich wirkte das Grundstück stark verwildert. Auch das darauf- stehende große scheunenartige Gebäude hinterließ schon von außen keinen guten baulichen Eindruck. Enttäuscht gingen sie zum Auto zurück.
Doch in Richmond ging Sarah das zum Verkauf stehende Grundstück in Midway Point nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder erinnerte sie ihn daran, dass der dortige Wohnort wirklich ideal wäre. Sie würden beide im Haus genügend Platz finden.
Und sie selbst könnte sich im Gebäude auch ein Atelier einrichten.
Trotz seiner enormen Einwände zum Erwerb des Grundstückes setzte sich Sarah schließlich durch.
Anschließend folgten sehr schwierige Verhandlungen mit den Besitzern. Doch ein halbes Jahr später konnten sie schließlich das ersehnte Grundstück erwerben. Dann folgten fast zwölfmonatige umfangreiche Sanierungsarbeiten, ehe ein guter baulicher Zustand für das langgestreckte Gebäude wieder hergestellt werden konnte.
Aber sie nahmen dabei auch eine Menge an Veränderungen innerhalb des Gebäudes vor. So ließen sie die große bauliche Nutzfläche in zwei Hälften aufteilen. Einmal in einen Wohnteil und einmal in ein Atelier für Sarah.
Im Wohnteil des Hauses richteten sie zwei Ebenen ein. Hier umfasste das Erdgeschoss einen langgestreckten Flur, einen Wirtschaftsraum, einen Waschraum, ein kleines WC, eine separate Küche und ein größeres Wohnzimmer. Dieses erhielt einen Zugang zum Terrassenbereich, welcher zur nahen Lagune zeigte.
Und in der darüber liegenden Etage teilten sie die gesamte Nutzfläche auf in ein großes Schlafzimmer, einen Raum für Bekleidung, einen Raum für Stapelwäsche und ein größeres Bad mit separaten WC. Auf dieser Etage erhielt auch Robin einen Arbeitsraum für seine Professorentätigkeit.
In ihrem Atelierbereich wollte Sarah keine Decken, so dass diese ganz entfernt wurden. Doch auch in den Außenwänden zur Lagune hin ließ sie einige neue und großflächige Fenster einbauen. Somit erhielt sie einen riesigen lichtdurchfluteten Raum bis zur Dachfläche. Auch wollte sie von ihrer künstlerischen Oase aus einen Abstand zum privaten Wohnteil haben. Deshalb verzichteten sie auf eine direkte Verbindungstür zwischen Wohnteil und Atelier. Beide erhielten generell einen separaten Eingang.
Als sie schließlich von Richmond nach Midway Point umgezogen waren, empfand es Sarah als Lottogewinn. Nun hatte sie endlich ihre großflächige Werkstatt erhalten, die inspirative Umgebung gefunden, die sie bisher so bitter benötigte.
Aber auch Robin sagte die ruhige Umgebung um das eigene Grundstück zu. Denn der gewählte neue Wohnort Midway Point war eine nur halb bewohnte Halbinsel. Dazu lag sie noch sehr romantisch zwischen den Wasserflächen vom Pittwater und der Lagune – der Onelton Lagoon. Landseitig grenzte das 7.000 Quadratmeter große Grundstück an den nördlich liegenden ruhigen Pittwater Golf Club, südlich an die Wohnsiedlung. An der westlichen Seite umgab sie sogar noch eine parkähnliche Erholungsfläche. Und an der nördlichen Seite grenzte das Grundstück sogar direkt an die Wasserfläche von der Lagune.
Zudem hatte Dr. Robin Brown es nicht mehr so weit bis zur Uni in Hobart. Da war die Wegstrecke bedeutsam geringer als früher vom alten Wohnsitz Richmond aus.
Deshalb bot ihnen dieser neue ruhige Wohnsitz jetzt ein ideales Zuhause. Er wurde ihr erträumter Hauptwohnsitz.
Ja, wer hier in Midway Point wohnte, fand schnell Erholung vom täglichen Stress.
Gerade spielte die im Autoradio eingesteckte Musikkassette den achten Song, als Dr. Robin Brown auf der Halbinsel ankam. Hier bog er in einem lokalen Straßenring von der Hauptstraße nach Midway Point ab.
Die Autouhr zeigte genau 23.10 Uhr an. Um diese Zeit herrschte natürlich hier in der Wohnsiedlung die von vielen Bewohnern auch eingehaltene Nachtruhe vor.
Nur vereinzeltes, spärliches Licht drang zu dieser späten Stunde aus den Fenstern der Häuser.
Langsam fuhr der nächtliche Fahrer durch die befestigten Querwege der Siedlung. Diese wurden nur von wenigen Straßenlaternen beleuchtet.
Als der silbrige Cabriolet am Ende des nordöstlichen Uferweges anlangte, endete hier generell die spärliche Straßenbeleuchtung.
Die Scheinwerfer des Autos erfassten das geschlossene eiserne Eingangstor vom letzten Grundstück. Es war jetzt ihr Zuhause.
Kurz davor hielt Dr. Robin Brown sein Auto an. Aber wegen seiner geplanten baldigen Weiterfahrt wendete er es schnell noch vor dem Eisentor. Bevor er ausstieg, schaltete er die Scheinwerfer auf Parklicht. Dann ging er zum Kofferraum und entnahm dort einen Handkoffer, der mit allerlei Akten und Büchern gefüllt war. Aber die danebenstehende Reisetasche rührte er nicht an. Er benötigte sie ja noch im bevorstehenden Urlaub.
Beim Zuschlagen der Heckplatte zum Kofferraum erschrak er selbst. Denn es knallte mächtig in der umgebenden Totenstille. Da hörte man schon aus einiger Entfernung jedes Geräusch. Doch in der Umgebung blieb es ruhig. Niemand fühlte sich belästigt.
Erleichtert drückte er mit seiner rechten Hand auf die Funktaste seines Schlüsselanhängers. Sofort rollte dröhnend das fünf Meter lange Eisentor nach der linken Seite weg. Dort rastete es am Ende ein.
Schon während des andauernden Rollvorganges lief Dr. Robin Brown mit dem Koffer durch die sich ständig vergrößernde Öffnung. Im Halbdunklen folgte er dem gepflasterten Weg bis zum 40 Meter entfernten Haus.
Etwa 20 Meter davor klickte es plötzlich. Es waren die im Gelände verborgenen Bewegungsmelder, die nun automatisch die an den Hausaußenwänden installierten Scheinwerfer einschalteten. Blitzartig erstrahlten die Rasenflächen vor dem länglichen Gebäude in satter grüner Farbe.
Der Hausbesitzer überschaute mit kontrollierenden Blick die hell erleuchteten südöstlichen Außenflächen des Grundstückes. Da nichts Ungewöhnliches festzustellen war, schritt er weiter ruhig bis zum Hauseingang. Dort stellte er den Koffer ab. Dann schloss er die mehrfach verschlossene Tür auf, die er sogleich mit dem erneut ergriffenen Koffer, den er nun mit der linken Hand trug, durchschritt. Gleich hinter der Tür griff er mit der rechten Hand nach den zentralen Schaltkasten für das Hausinnenlicht. Und als er ihn geöffnet hatte, betätigte er die richtigen Schalter.
Als alle zentralen Hausinnenwege beleuchtet waren, schloss er die Hauseingangstür hinter sich im Flur. Und weil er natürlich nicht lange in der Wohnung bleiben wollte, schritt er zielgerichtet in das Obergeschoss weiter.
Da ächzten unter seinen schnellen Schritten die hölzernen Treppenstufen nur so. Den flotten Gang hielt er aufrecht – er war doch ein sportlicher Typ.
Schließlich in seinem Arbeitszimmer angelangt, stellte er dort den Koffer ab. Aber auspacken wollte er ihn nicht mehr, das sollte erst nach dem Urlaub geschehen.
Weil die Luft im Zimmer sehr muffig wirkte, wollte er wenigstens den Raum noch kurzfristig lüften. So öffnete er die beiden Fenster vollkommen und schaute bei einem Fenster hinaus.
Noch immer strahlten außen die Scheinwerfer, die er auf drei Minuten Beleuchtungszeit eingestellt hatte. Und als er gerade dachte, dass diese nun sich wieder abschalten müssten, erloschen sie auch. Außen an der südöstlichen Hausseite waren die Rasenflächen nun wieder finster. Er sah nur sein nahes Auto mit eingeschaltetem Parklicht am rollbaren Eingangstor stehen.
Hier herrscht tatsächlich eine Totenstille - dachte Dr. Robin Brown.
Nachdenklich verließ er den Fensterplatz und ging in die Mitte des Raumes zurück, wo der Koffer stand. Vielleicht sollte er doch noch ein Buch dem Koffer entnehmen. Im Urlaub würde er sicherlich Zeit für eine Lektüre finden. Und so wollte er den Koffer öffnen. Doch dazu kam es nicht. Denn genau in diesen Moment schaltete sich plötzlich erneut die südöstliche Außenbeleuchtung ein. Der Hausbesitzer stürzte schnell zum geöffneten Fenster und sah eilig hinaus. Aber er konnte im äußeren hellerleuchteten Rasenbereich überhaupt nichts feststellen.
Um nun ganz sicher zu gehen, was wohl die Ursache hierzu gewesen sein könnte, wollte er auch auf der anderen Hausseite nachschauen. Sollten dort die Außenscheinwerfer ebenfalls zugeschaltet sein?
Dr. Robin Brown stürzte nun regelrecht ins gegenüberliegende Schlafzimmer, was auf der anderen Seite des Ganges lag. Als er das Zimmer betrat, bemerkte er sofort, das auch auf dieser anderen Hausseite die Außenscheinwerfer strahlten. Also haben auch hier die unsichtbaren Bewegungsmelder reagiert. Hastig öffnete er ein Fenster.
Von hier konnte er den gesamten Terrassenbereich überschauen. Dazu noch die anschließende Rasenfläche bis zum nahen Wasserrand der Lagune. Aber er entdeckte nichts Außergewöhnliches.
Was konnte nur die Bewegungsmelder ausgelöst haben?
Ein streunendes Tier?
Oder etwa sogar ein Einbrecher?
Davon aufgeschreckt, wollte er sich, bevor er wieder losfuhr, auf alle Fälle genau vergewissern. Man kann ja nicht vorsichtig genug sein, dachte Dr. Robin Brown. So ging er anschließend durch alle Zimmer des Obergeschosses, prüfte dort alle Fenster auf richtigen Verschluss. Ebenso den Zustand aller Räume. Die vorher geöffneten Fenster schloss er wieder.
Alles schien hier oben in Ordnung zu sein. Und weil er auch im Erdgeschoss nichts feststellen konnte, deutete nichts auf einen Einbruch hin. Selbst das Schloss der Hauseingangstür wies keine Spuren eines gewaltsamen Öffnens auf.
Als er gerade mit der Inspizierung des letzten Raumes, dem Wohnbereich, fertig war, begann hier plötzlich die Wanduhr zu dröhnen.
„Oh, schon Mitternacht!“, raunte Dr. Robin Brown.
Nun wieder ruhiger geworden, erinnerte er sich an die letzten Worte seiner Frau, dass er ihren Haarföhn mitbringen sollte. Und auch die Blumen im Atelier sollte er noch kontrollieren, natürlich auch den übervollen Briefkasten nicht vergessen!
Im Obergeschoss fand er im Bad schnell den Haarföhn mit sämtlichen Zubehör. Alles steckte er in einen daneben liegenden Plastikbeutel.
Auf seinem Rückweg zur Hauseingangstür schaltete er im Haus die beleuchteten Zimmer aus. Und zuletzt betätigte er im Flur wieder den zentralen Schalter für das Hausinnenlicht.
Als er dann aus dem Haus trat, schalteten sich sofort wieder die an den Außenwänden dieser Seite installierten Scheinwerfer ein.
Hell erstrahlten die nahen Außenflächen im satten Licht. Da verschloss er sehr gewissenhaft die Eingangstür. Natürlich kontrollierte er sie noch einmal.
Den Weg zum Atelier von Sarah wählte er über die andere Hausseite. Es war die südöstliche Seite, die zur Lagune zeigte.
Langsam schritt er hier den gepflasterten Weg um die südöstliche Stirnseite des Hauses herum und danach entlang dem länglichen Gebäude.
Und sobald er eine Hausseite betreten hatte, registrierten es hier die unsichtbaren Bewegungsmelder. Sofort schalteten jene in diesen Bereichen die Scheinwerfer ein. Somit konnte er auf seiner Wegstrecke alles genau sehen.
Als er an der mit grauen Steinplatten ausgelegten Terrassenfläche anlangte, schaute er zum nahen Uferrand der Lagune hin. Von dort hörte er kleine zierliche Wellen plätschern. In kurzer Folge schlugen sie ständig und ruhelos an den flachen sandigen Uferrand. Es war der leichte nächtliche Wind, der sie bewegte.
Selbst jetzt zu dieser mitternächtlichen Stunde verlor hier die romantische Umgebung keinerlei an Wirkung.
Als Dr. Robin Brown beim weiteren Schreiten an der Glasfront vom Atelier vorbeikam, sah er dahinter die Blechwanne voller Blumentöpfe stehen.
„Ah, hier steht die Wanne“, murmelte er erleichtert.
Ganz nah lehnte er sich an die Scheibe, um hineinzuschauen. Im gedämpften, von außen eindringenden Licht, wirkten die in der Blechwanne stehenden Blumentöpfe noch gut erhalten. Da waren sicherlich die geäußerten Sorgen von Sarah unbegründet, dachte er. Aber zur eigenen Kontrolle wollte er trotzdem den darin befindlichen Wasserstand noch einmal prüfen. Also würde er ins Atelier gehen.
Als er sogleich um die nordöstliche Stirnseite des Hauses bog, erleuchtete auch diese Seite. Hier befand sich die Eingangstür zum Atelier. Dr. Robin Brown kramte nach dem Schlüssel. Und als er ihn endlich hatte, wollte er die Tür aufschließen. Doch dabei stellte er fest, dass diese Tür überhaupt nicht verschlossen war. Da erschrak er.
Sollte Sarah etwa vergessen haben die Tür abzuschließen? So etwas wäre ja denkbar.
Vorsichtig betrat er nach Öffnen der Eingangstür den großen Atelierraum. Durch das einstrahlende gedämpfte Außenlicht im Türbereich und auch durch das noch nicht erloschene südöstliche Außenlicht, was noch durch die Glasfront einstrahlte, konnte er den riesigen Raum erfassen.
Sofort schaute er prüfend nach rechts und nach links. Dann bis zur Dachschalung hoch, welche aus gehobelten Brettern bestand.
Doch er konnte nichts Außergewöhnliches im hallenförmigen Raum feststellen.
Gerade als er sich beruhigte, erlosch zuerst das südöstliche Außenlicht an der Hausseite zur Lagune hin. Etwas später auch das Außenlicht an seiner Türseite. Nun war es im Raum ganz finster geworden.
Um nun sofort die Innenbeleuchtung einzuschalten, suchte Dr.
Robin Brown mit tastenden Handbewegungen die in der Nähe der Tür befindlichen Lichtschalter. Doch beim Suchen berührte er gleichzeitig dort angelehnte mannshohe Holzleisten. Diese hatte seine Frau zwischenzeitlich in der Nähe der Eingangstür abgestellt. Nun fielen diese mit höllischen Lärm reihenweise zur Seite um.
Da fluchte er. Und sein Schimpfen hielt auch noch nach dem Betätigen des Lichtschalters an.
Nach und nach erhellten nun die sich zuschaltenden Neonlampen die gesamte riesige Fläche des Atelier. Hier standen unvollendete, aber auch einige fertige Skulpturen. Alles stand ungeordnet durcheinander.
Da zwischen den künstlerischen Arbeiten auch noch aufgeklappte Leiter standen, an welchen mannsgroße papierartige Skizzen hingen, die mit Holzlatten daran befestigt waren, konnte er den vollständigen Raum nicht überschauen.
Aber auch noch andere Gegenstände engten das Sichtfeld ein. Es waren gestapelte Gipssäcke und Eimer, auch Holzkisten verschiedener Größe. Diese standen auf einzelnen Holzpaletten.
Und auf den dazwischen stehenden Tischen lagen eigenartige künstlerische Hilfsmittel. Da lächelte Dr. Robin Brown. Und er dachte daran, das es Zeiten der Ordnung hier wohl nicht geben wird. Sie wären nur die Atempause des Chaos. Und sogleich fiel ihm durch seine berufliche Professorentätigkeit ein Spruch von Voltaire ein, einem französischen Schriftsteller und Philosophen:
„Wisst ihr denn nicht,
dass das Chaos der Vater allen Seins ist
und Form und Materie der Welt ihren jetzigen
Zustand gegeben hat?“
Noch beim Nachsinnen vernahm Dr. Robin Brown plötzlich aus dem hinteren Bereich des Ateliers einige eigenartige Laute. Sofort ließ er den Plastikbeutel mit dem Haarföhn zu Boden sinken und bewaffnete sich mit einer danebenliegenden Holzlatte. Dann schritt er vorsichtig in Richtung der gehörten Geräusche, wich dabei wiederholt einzelnen Skulpturen aus.
Als er schließlich im hinteren Bereich vom Atelier anlangte, traute er seinen Augen nicht. Auf der mit einer braunen Decke bezogenen Liege, die seine Frau manchmal in ihren künstlerischen Pausen nutzte, lag eine miauende Hauskatze. Ihr schwarzes Fell betupften viele weiße bis helle Flecken. Die Katze trug auch ein blaues Halsband.
Als Dr. Robin Brown sich ihr näherte und dabei ihre friedlichen Augen bemerkte, wich sofort seine Anspannung.
Die Holzlatte beiseitelegend, streichelte er im Stehen über ihren warmen flauschigen Kopf. Die Katze genoss das Streicheln und schnurrte mächtig. Dabei bemerkte er die aufgewühlte braune Decke, in welcher sie sich wohlig streckte.
„Da hast du dir aber eine tolle Mulde zurecht geschoben“, bemerkte er und überlegte:
Wie kam die Katze nur ins Atelier?
Über die Fenster? Aber alle Fenster waren geschlossen!
Durch die Eingangstür? Auch diese Tür war geschlossen gewesen, wenn auch nicht abgeschlossen!
Vielleicht bei Sarah, als sie noch hier war. Aber sie war doch schon über eine Woche weg!
Und wie konnte die Katze so lange ohne Wasser auskommen?
Von der Situation völlig überrascht, setzte sich Dr. Robin Brown neben die Katze auf die Liege. Prüfend betrachtete er die schnurrende wohlgenährte Katze. Nichts deutete bei ihr auf eine dürstend, geschweige denn hungernd verbrachte einwöchige Zeit hin. Und er fragte sich erneut, wie die Katze nur ins Atelier gelangt sein könnte? Nach einer erklärenden Antwort suchend, stand er auf und schritt alle Fenster im riesigen Raum ab. Aber alle waren tatsächlich geschlossen.
Als er dann bei der großen verglasten nordöstlichen Fensterfront angelangte, kontrollierte er den Wasserstand in der Blechwanne.
An einer freien Stelle zwischen den Blumentöpfen hielt er den rechten Finger in das Innere. Dort berührte er kurz den Boden der Wanne. Als er dann den Finger wieder zurückgezogen hatte, stellte er noch etwa zwei Zentimeter Wasserstand fest. Da entschloss er sich, wegen der noch anstehenden 14 Urlaubstage, doch noch etwas Wasser nachzugießen.
Sofort blitzte es ihm durch den Kopf, dass ja die Katze aus der blechernen Wanne getrunken haben könnte. Aber da hätte sie doch hinein und wieder heraus springen müssen!
Doch der feine Gipsstaub, der um die Wanne herum den Boden bedeckte, wies keinerlei Spuren auf. Also verwarf Dr. Robin Brown auch diese Variante.
Nachdem er einen leeren Eimer mit Hilfe eines Wasserschlauches zur Hälfte gefüllt hatte, drehte er den Wasserhahn an der Wand wieder zu. Doch bevor er das Wasser in die Blechwanne goss, ging er zur ruhenden Katze zurück. In Sorge, dass die Katze sehr durstig sei, wollte er ihr etwas Wasser geben. Doch wie groß war sein Erstaunen, als sie das gereichte frische Wasser nicht trinken wollte. Trotzig sprang sie von der Liege, worauf sie laut miauend hinter der am nächsten stehenden Statue verschwand.
Dr. Robin Brown folgte der Katze und ging zur Eingangstür. Als er sie öffnete, dauerte es auch nicht lange, bis die Katze zwischen den herumliegenden und stehenden Gegenständen auftauchte.
Schnurrend ging sie durch seine beiden Beine und streifte sie.
Beim Hindurchgehen spürte er ihren anschmiegsamen Körper, auch ihren nach oben gestreckten Schwanz.
Noch einmal schaute die Katze kurz zu ihm hoch, ehe sie gemächlichen Schrittes über den nun wieder hell erleuchteten Rasen weglief. Schließlich verschwand sie in Richtung des geöffneten Eisentores.
Dr. Robin Brown wurde aus dem gerade erlebten Vorfall überhaupt nicht schlau.
Wie konnte die Katze nur in das Atelier gelangen? Und an welchem Tag soll das gewesen sein?
Nachdem die Katze außer Sicht war, erlosch darauf wieder die Außenbeleuchtung. Danach ging er wieder in das Atelier zurück.
Und mit besonderer Aufmerksamkeit schloss er hinter sich die Eingangstür.
Dann schritt er zum halb gefüllten Wassereimer, den er neben der Liege abgestellt hatte. Beim Bücken, um den Henkel des Eimers zu ergreifen, streifte sein Blick den staubigen Boden neben der Liege. Dort wies eine Bodenfläche an einer Stelle viele, noch nicht ganz eingetrocknete Spritzer auf. Da diese Stelle auch noch einen eigenartigen süßlichen Geruch verbreitete, deutete er die vielen Spritzer als frisches Katzenurin. Da hätte sie auch draußen Pullern können, dachte er.
Aber ein weiterer Riecher machte ihn stutzig, ließ ihn die erste Deutung überdenken. Schließlich verwarf er die erste Deutung.
Nun ordnete er diese Spritzer eher als Katzensperma ein – weil sie eben mehr nach Sperma rochen.
Nicht weit von dieser sonderbaren Spritzerstelle bemerkte er auch noch ein braunes beutelartiges Damentäschchen. Bisher hatte er es nicht bemerkt. Es lag ganz nah am linken Holzfuß der Liege. Neugierig geworden, was wohl darin stecken möge, hob er es behutsam auf.
Beim Nachschauen der Pompadour sah er darin ein zusammengedrücktes Tuch stecken. Daran ziehend, erkannte er sofort, dass es ein Taschentuch war. Es war mit rosafarbenen, gelben, braunen und auch grünen Fäden durchzogen, welche nach einem entworfenen Muster eingenäht waren. Und wenn man das bestickte Taschentuch aus zarter Seide ausbreitete, gaben die darin abgestimmten farblichen Linien ein großes SF wieder. Es waren die Anfangsbuchstaben von Sarah Flämming.
Gerne trug Sarah das Damentäschchen bei sich.
Aber warum hatte sie es hier vergessen? Vielleicht durch die Aufregung vor ihrer Abfahrt zur Westküste!
Bevor er das herausgezogene Taschentuch wieder in das Innere des braunen Damentäschchen stopfte, berührte er es noch kurz mit seiner Nase.
Sofort roch er den ihn bekannten Duft eines erotischen Parfüms, was nur Sarah verwendete. Sogleich stöhnte er. Ach wäre er doch jetzt schon bei seiner lieben Frau.
Träumend schaute er auf seine lederne Armbanduhr. Da erschrak er, dass die Ziffern schon eine Stunde nach Mitternacht anzeigten. Nun wollte er keine weitere Zeit mehr verlieren. So stopfte er hastig das seidene wohlriechende Taschentuch wieder ins Pompadour zurück. Weil es Sarah mit Sicherheit irgendwann während der gemeinsamen Urlaubstage suchen würde, nahm er es mit.
Nun erledigte er hastig die restlichen Arbeiten, schüttete das Wasser des halbvollen Eimers in die Blechwanne. Und auf dem Weg zur Eingangstür stellte er den leeren Eimer am alten Standort ab.
Noch einmal überflogen seine kontrollierenden Augen den gesamten riesigen Raum des Ateliers. Alles schien in Ordnung zu sein.
Und so öffnete er die Eingangstür und schritt nach außen. Dort fuchtelte er sofort mit den Armen herum. Das tat er, um die unsichtbaren Bewegungsmelder für das Zuschalten der Außenbeleuchtung zu aktivieren – was auch klappte. Dann schritt er in der Helligkeit der Außenbeleuchtung durch die Eingangstür ins Atelier zurück, holte dort den am Boden abgestellten Plastikbeutel.
„Oh je, wenn ich den Fön vergessen hätte!“, murmelte er. „Da wären ein paar Urlaubstage verloren gegangen!“
In den aufgehobenen Plastikbeutel drückte er das gefundene Pompadour hinein.
Als nach dem Ausschalten die allerletzte Neonlampe erloschen war, verließ er das Atelier. Und die Eingangstür zum Atelier schloss er doppelt ab - zur Sicherheit.
Dann schritt er bei andauernder Außenbeleuchtung sehr zügig zum offenen Eingangstor hin. Dort schaute er noch einmal zurück. Da er alles in Ordnung fand, betätigte er mit seiner rechten Hand die Funktaste zum eisernen Tor.
Dröhnend rollte nun das fünf Meter lange Eingangstor wieder in die alte Ausgangslage zurück. Dort rastete es mit einem lauten Klick ein.
Genau in dem Moment erlosch auch die Außenbeleuchtung dieser Gebäudeseite.
Da ging Dr. Robin Brown ging schnell zu seinem silbrigen Cabriolet hin und betätigte hastig die beiden Scheinwerfer.
Sofort erhellte sich die nahe Umgebung wieder.
Nun entleerte er die Briefkastenanlage. Sie stand an der rechten Seite vom eisernen Eingangstor.
Kaum stand er davor, bemerkte er die überquellenden Kästen. Ein Briefkasten für die Künstlerin Sarah Flämming-Brown. Ein weiterer Briefkasten für seine Unitätigkeit mit Vermerk Professor Dr. Robin Brown. Des weiteren noch ein ein Briefkasten für beide mit der Beschriftung Fam. Brown. Und letztlich ein weiterer größerer Briefkasten. Darauf stand: Sammelkasten für alle Zeitungen und Zeitschriften.
Da in jedem Briefkasten viele Briefe steckten und selbst der Sammelkasten mit den Zeitungen und Zeitschriften überquoll, musste er den Weg zum Auto zweimal gehen. Dort warf er alles ohne Zuordnung auf dem Beifahrersitz. Jetzt wollte er die Post nicht mehr sortieren.
Noch einmal ging er zur Briefkastenanlage zurück und verschloss wieder alle Kästen.
Als alles abgearbeitet war, atmete Dr. Robin Brown sehr erleichtert auf.
Jetzt geht es endlich in den Urlaub! Das waren seine Gedanken.
Erwartungsvoll stieg er in sein Cabriolet und fuhr los.
Nachts war auf der gut asphaltierten Autobahn A4 kaum Verkehr.
Nur wenige Lichter bewegten sich durch die nebligen Schluchten des westlichen Nationalparks.
Mit müden, aber konzentrierten Augen schielte der Fahrer in den Rückspiegel seines geschlossenen Cabriolet. Er sah darin, das es hinter den letzten Bergspitzen zu dämmern begann. Bald würde das einsetzende sanfte Morgenlicht die vor ihm liegende flache Landschaft erhellen. Dann würde er die beiden Scheinwerfer abstellen. Und das Fahren würde leichter werden. Nun begann sich auch die umgebende bergige Landschaft immer mehr zu verflachen.
Dr. Robin Brown kannte genau diese Fahrstrecke. Schon oft hatte er sie alleine oder mit Sarah befahren. Jetzt würde auf der rechten Seite bald ein Binnensee auftauchen. Den musste er umfahren. Danach würde er nach weiteren 20 Kilometern die Stadt Queenstown erreichen. Dort musste er die Autobahn A4 verlassen und auf eine Hauptstraße in Richtung Strahan wechseln.
Diese 40 Kilometer lange Strecke war sehr kurvenreich. Aber dort würde es schon hell sein. Die Sichtweise wäre nicht mehr so anstrengend. Ja, und dann nach Strahan folgte nur noch eine Kürstrecke. Das war ein angenehmer flacher 20 Kilometer langer Fahrweg bis zum Standort ihres zweiten Zuhauses.
Das kleine, steinerne Haus lag an der Westküste von Tasmanien. Es stand genau am Ufer des Henty River, an seiner letzten Flussbiegung. Genau am Standort des Hauses schwenkte der Fluss in südwestliche Richtung ab. Anschließend floss er parallel zur Küste, bevor er dann sanft in den nahen, etwa 800 Meter entfernten Indischen Ozean mündete.
Die Autouhr zeigte 4.05 Uhr an. Es begann zu dämmern. Langsam wich die Nacht - es wurde immer heller. Dr. Robin Brown schien es, als hätte er die bisher dunstige Umgebung in den durchgefahrenen Schluchten zurückgelassen. Nichts mehr war davon übriggeblieben.
Nach weiteren Fahrkilometern auf der gut asphaltierten Hauptstrecke A4 wurde es flacher. Jetzt sah er auch in rechter Fahrrichtung die Wasserfläche des Binnensees auftauchen. Hier begann nun der letzte Fahrabschnitt zum kleinen steinernen Haus an der Westküste.
Sofort empfand er die Fahrt ab hier weniger anstrengend. Und so stimmte er sich auf die baldige Ankunft ein.
Das erworbene Haus lag an der tasmanischen Westküste, etwa 800 Meter hinter mächtigen Dünen. Der nahe Strand am Indischen Ozean bestand aus feinstem weißen Sand und das kristallklare Wasser des Meeres wirkte türkisblau.
Da schmunzelte der Fahrer. Es sind eben die von den Seeleuten gefürchteten Westwinde, welche Tasmanien zu reinem Wasser und auch zu sehr sauberer Luft verhelfen.
Ihr neu erworbenes Haus lag am kleinen Fluss Henty River, der in einer Entfernung von 50 Meter in einer Schleife an ihrem Haus vorbeifloss. Man hatte den Eindruck, dass sich das langsam fließende Flusswasser scheue, direkt in das saubere Meerwasser zu fließen. Denn genau vor dem Haus stoppte es seine gerade Richtung. Von da floss der Henty River dann parallel zur nahen Küste weiter.
Aber nach etwa einer halben Meile bog er doch nach rechts ins nahe Meerwasser ab.
Hier an der Westküste war die Landschaft ursprünglich. Und weil auch das kleine steinerne Haus sehr bescheiden war, schlugen sie am Standort schon nach wenigen Tagen Aufenthalt sofort Wurzeln.
Nein – Sarah und auch er wollten keinen zweiten Wohnsitz in Nähe von spiegelnden Asphaltstraßen, gepflegten Parks der großen Seebäder und dicht bevölkerten Kurpromenaden mit belebten Konzertplätzen.
Nein – das wollten sie nicht. Eher suchten sie die Begegnung mit einem Stück eigenwilliger Natur, auch Einsamkeit und Stille.
Hier spürten sie überall noch einen leisen Hauch von Abgeschiedenheit. Deshalb verbrachten sie, so oft wie es nur ging, hier ihre Wochenenden. Und wenn es sich einrichten ließ, sogar mehrere Urlaubswochen. Natürlich zu jeder Jahreszeit – selbst im Herbst oder Winter.
Man muss hier an der Westküste einen Sturm der Windstärke 10 oder 11 einmal erlebt haben, um zu spüren, welche Kräfte dann entfesselt sind. Wenn der harte Seesand ins Gesicht peitscht, dass man kaum die Augen öffnen kann, wenn es im Windschatten der hohen Dünen oder des zahlreichen Buschwerks gelingt, sich einigermaßen zügig vorwärts zu bewegen. Und wenn dazu die donnernde Brandung vom ohrenbetäubenden Gebrüll des Sturms noch übertönt wird. Ja, dann fühlt man, dass der küstennahe Streifen bedroht ist.
Ihr kleines steinernes Haus am Meer, massiv aus Steinen von früheren Erbauern errichtet und wetterfest mit Blechdach versehen, trotzte bisher allen Wetterunbilden. Es erwies sich als sehr standhaft.
Und innen, durch Sarahs künstlerische Hände wohnlich gestaltet, schenkte ihnen dieser sinnliche Ort immer wieder den inneren Frieden.
Deshalb schrieb Sarah eines Tages an die massive hölzerne Eingangstür: Haus SEELENFRIEDEN.
*
Als am Straßenrand das hinweisende Ortsschild Strahan auftauchte, drosselte Dr. Robin Brown die Geschwindigkeit seines PKW.
Obwohl es nun mittlerweile hell genug war, um weit schauen zu können, brannten hier in der Hafenstadt noch die Laternen. Ihr milchiges Licht verlieh der Uferstraße, einschließlich dem nahen Hafengelände, ein majestätisches Aussehen. Und dahinter auf der linken Fahrerseite überzog das fließende Morgenrot den Himmel, auch die Wasserflächen vom Macquane Harbour. Alles verschmolz ineinander.
Dr. Robin Brown warf beim Durchfahren des verträumten Hafengeländes einen kurzen Blick auf das stille Wasser in der Bucht. Zwei verspätete Fischerkutter von den Strahaner Fischern verließen gerade den Hafen, um noch Fischzügen aufzulauern.
Und ein größeres Schiff passierte in einiger Entfernung die Fahrrinne. Es wollte bald im Hafen anlegen. Auch auf ihm leuchteten noch die Lichter.
Das durch die Autoscheibe eingerahmte Bild der morgendlichen Momentaufnahme, empfand er als stummes, freundliches Wort oder helfende Hand zum neuen Tag. Jetzt hätte er am liebsten angehalten, wäre ausgestiegen, um in feierlichen Schweigen den kurzen Moment zu genießen. Nur um immer zu schauen - zu schauen. Aber schon wechselten die Bilder. Beim weiteren Fahren auf der kurvenreichen innerstädtischen Straße verlor er bald das romantische Hafengelände aus seinen Augen. Die Wegrichtung der nun wieder gerade verlaufenden Straße führte stadtauswärts.
Noch bevor das geschlossene, silbrige Cabriolet die letzten Häuser von Strahan hinter sich gelassen hatte, erloschen am Straßenrand schlagartig die milchigen Lichter der Laternen.
Das nun stärker ausbreitende, klare, morgendlich goldene Licht ließ den Fahrer erahnen, dass der heutige Tag erneut die andauernde erbarmungslose Sommerhitze nicht vertreiben wird.
Schon seit zwei Wochen lagerten die sommerlichen Hitzewerte über dem größten Teil von Tasmanien. Das war für die Insel schon außergewöhnlich. Denn hier lagen die durchschnittlichen Temperaturen im Sommer, von Dezember bis Februar, bei etwa + 22 Grad C. Und im Winter, von Juni bis August, bei +12 Grad C.
Am ehesten vergleichbar empfand er das Klima an der französischen Atlantikküste, als er einmal in Europa als Professor an verschiedenen Universitäten in Frankreich gastierte.
Die derzeitig andauernde Hitzewelle bot ihnen genügend Grund, um aus ihrem 350 Kilometer entfernten Haus in Midway Point zum zweiten Wohnsitz an die kühlende Westküste zu flüchten.
Weil eben am Indischen Ozean das westliche Meer ausgleichend auf die Temperaturen wirkt. Im Sommer ist es selten heiß, genauso wie die Winter selten extreme Kälte bringen.
Das kleine steinerne Haus an der Westküste hatte Dr. Robin Brown von der Universität von Tasmanien sehr baufällig zum Kauf übernommen. Es war eine ehemalige Beobachterstation am Rande des Südwest Nationalparks. Infolge notwendiger Kosteneinsparungen und neuer Strukturen musste das heruntergekommene Haus zur wissenschaftlichen Nutzung aufgegeben werden. Die mit der Station anstehenden Sanierungskosten konnte und wollte die Universität nicht mehr tragen. So kamen sie letztendlich zu diesem Haus.
*
Dr. Robin Brown lehnte seinem Kopf zurück. Dabei schaute er auf die Autouhr. Die Zeiger zeigten 4.45 Uhr an.
Wenn ich da sein werde, wird Sarah sicherlich noch tief schlafen - dachte er.
Nein, wecken würde er sie nicht. Er würde sich neben sie hinlegen und versuchen, noch etwas zu schlafen. Vielleicht für zwei bis drei Stunden. Das müsste ihm schon reichen.
Die umgebende Landschaft verlor nun gänzlich ihre flachen Hügel. Ein kleiner Fluss tauchte auf. Es war der Henty River.
Der Fluss führte nun wegen der andauernden Trockenheit wenig Wasser. Eine Brücke führte darüber.
Nun wusste der müde Fahrer, dass er nach der Brücke die asphaltierte Straße nach links verlassen musste. Von dort führte ein zwei Kilometer langer sandiger Weg direkt zum Zielort.