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Eine Familientragödie hinterließ tiefe Spuren im Herzen eines kleinen Mädchens. Ein Unheil der sie zu einem Waisenkind machte beschäftigte alle ihre Sinne. In der Natur auf sich allein gestellt, erlebte sie Dinge, die sie staunen ließen. Von einem Jungen im dunklen Wald gefunden und von einer fremden Familie liebevoll aufgenommen, wuchs sie zu einer wunderschönen, intelligenten Frau. Später fragte sie sich, ob die vielen ungewöhnlichen Vorkommnisse, die sie erlebte, ihrer Kinderfantasie entsprungen sind, oder ob es tatsächlich etwas zwischen Himmel und Erde gibt. Diese Fragen beschäftigten sie eine lange Zeit. Um es herauszufinden, entschied sie sich eines Tages sogar die Naturwissenschaften zu studieren. Stets höflich, fröhlich und vor allem liebenswert, wird sie von zwei Männerherzen gleichzeitig begehrt. Aber wer ist der richtige für sie? Wer kann ihr Geheimnis hüten und akzeptieren. Kann man zwei Männer genauso sehr und innig lieben? In der Natur suchte sie nach den richtigen Antworten. Einen langen Weg voller Abenteuer, Zauber, Herzklopfen und Entscheidungen hat Sofie Winter noch vor sich …
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Seitenzahl: 263
Veröffentlichungsjahr: 2021
Mila Clericus
Spuren im Moos
© 2021 Mila Clericus
Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-25389-6
Hardcover:
978-3-347-25390-2
e-Book:
978-3-347-25391-9
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die schwarze Fee
»Hör bitte auf herumzubrüllen«, sagte die Frau, als ihr Mann am Abend nach Hause kam und begann sie anzuschreien.
»Dann mach was mit dem kleinen Bastard, sonst drehe ich noch durch. Ständig das Geschreie. Warum soll ich mich um das Kind eines anderen kümmern?«
Die junge Frau, voller Sorgen und Ängste, wiegte das Kind im Arm, doch der kleine Bursche hörte nicht auf zu weinen. Ihr Mann holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Küchentisch.
»Für nichts mehr hast du Zeit, alles dreht sich nur noch um den Schreihals«, redete er sich in Rage.
»Vielleicht hat er Bauchweh, oder brütet irgendeine Krankheit aus«, verteidigte sie das Kind.
Aber das Weinen wurde immer lauter und die Stimmung immer trüber und angespannter.
Sofie, gerade mal sechs Jahre alt, versteckte sich in einer Ecke hinter dem Sessel und hielt sich die Ohren zu. Ihr blaues Kleidchen hatte sie weit über ihre Knie gezogen, als wollte sie sich vor dem Geschehen ganz in ihrer Kleidung verstecken. Sie kannte diesen ewigen Elternstreit und sie hasste es. Es machte ihr schon immer Angst. Solange nur sie das einzige Kind im Haus war, gab es solche Situationen nur sporadisch. Der Grund war meistens, der Alkoholkonsum des Vaters, oder seiner Wilderei, die ihre Mutter so verabscheute. Aber seitdem ihr kleiner Bruder da war, hatten sie nur gestritten. Und dann meinte noch der Papa, dass es gar nicht sein Kind sei. Wie kann denn ihr Bruder nicht Papas Kind sein? Das verstand sie überhaupt nicht. Sie selber liebte die kleine Brüllbacke, denn er konnte auch niedlich lachen und ganz lieb sein. Aber in solchen Momenten, wie heute hielt sie sich lieber zurück, auch wenn sie gerne an Mutters Seite stehen würde, um den Kleinen mit ihrem ganzen Körpereinsatz zu verteidigen. Einmal hatte sie es probiert und hatte nur harte Schläge des Vaters geerntet. Noch zwei Tage, nach der Ohrfeige, die ihr der Vater verpasst hat, hatte sie auf dem linken Ohr nichts mehr gehört und die Ohrläppchen glühten. Das war ihr eine Lehre und seitdem hielt sie sich lieber zurück. Aber jedes Mal, wenn der Vater zu brüllen anfing, wünschte sie sich zaubern zu können, ihn wegzuzaubern, ihn in etwas zu verwandeln, was klein und winzig ist, damit er keine Macht mehr über sie und ihre Mutter hatte.
»Der Mann wurde immer nervöser und aufgebrachter, das vierte Bier, das er gerade zu trinken begonnen hat, verlieh ihm den Mut noch lauter zu werden.
»Ich hasse dich, ich hasse den Bastard, ich hasse die Welt und die Ungerechtigkeit«, ließ er mit rauer Stimme verlauten.
»Und ich hasse dich und deiner Sauferei. Ich weiß genau, dass du dich schon wieder herumgetrieben hast, ich schäme mich schon ins Dorf zum Einkaufen zu gehen, weil mich alle anschauen, als wäre ich eine Verbrecherin«, warf sie ihm genauso lautstark zurück. » Ist dir überhaupt klar, dass unsere Sofie ab September in die Schule gehen wird und die ganzen Hänseleien der anderen Kinder dann ertragen muss …?«
»Wegen mir werden die sie bestimmt nicht auslachen, aber dass ihre Mutter eine Ehebrecherin ist, das werden sie ihr gleich verklickern.«
»Du und deine Gerechtigkeit, wärest du anders, als du bist, wäre ich nie fremd gegangen«, antwortete sie und lief weiter, das Kind im Arm schaukelnd, durch das Zimmer hin und her.
»Natürlich, ich bin an allem schuld, ich bin der schlechteste Mensch auf Erden. Weißt du überhaupt, warum ich wildere, weißt du überhaupt wovon wir leben?«, brüllte er aus voller Kraft, »ich wollte euch doch nur schützen, ich wollte dir keine Sorgen bereiten, deshalb habe ich dir nie gesagt, dass ich schon lange keine Arbeit mehr habe, dass ich einfach ungerecht behandelt und entlassen wurde. Ja wo bleibt denn die Gerechtigkeit, wenn man sie braucht? Und dann geht mir die Frau auch noch fremd und kommt noch schwanger nach Hause. Ist das vielleicht gerecht mir gegenüber? Die Wilderei ist das, was uns ernährt!« Seine Augen wirkten müde und gleichzeitig aggressiv. Stark wankend stand er auf und mit breit ausgestreckten Armen bahnte er sich den Weg durch die Küche in die Diele. Schmiss dabei einen Stuhl um auf den er sich aufstützen wollte und stolperte über die Türschwelle. Eine leere Bierflasche rollte an den Tischrand und fiel klirrend zu Boden, und zersprang in klitzekleine Scherben.
In seinem Kopf brummte es, der Kopfschmerz fühlte sich unerträglich an. Er konnte nicht mehr klar denken, er wollte dem Grauen ein Ende bereiten. So hatte er sich sein Leben nicht vorgestellt. Er hatte doch immer für alle Probleme irgendeine Lösung gefunden und jetzt befand er sich in so einem tiefen, schwarzen Loch, aus dem kein Weg mehr hinaus führte. Vor seinen Augen bildete sich ein grauer Schleier und er wollte handeln. Er musste was tun …
Nachdem sich der Kleine etwas beruhigt hatte und müde seine Äugelein schloss, legte ihn die Frau in die Wiege, die am Fenster stand. Die zartblauen Kissen mit Spitze, die sich da drin befanden, wirkten wollig warm, fast wie kleine Wölkchen. Überhaupt war alles in diesem alten, kleinen, aber schmucken Haus mit viel Liebe eingerichtet. Es war ihr Elternhaus, das ehemalige Forsthaus, in dem ihr Vater über viele Jahre seinen Dienst als Förster leistete. Nach dem Tod ihrer Eltern blieb sie dem Haus und den Erinnerungen an ihre schöne Kindheit treu.
Sie suchte nach ihrer Tochter. »Sofie, wo bist du?«, flüsterte sie leise.
Aber Sofie hielt sich die Ohren so fest zu, dass sie vom dem Flüstern ihrer Mutter nichts mitbekam. Die Augen hielt sie immer noch geschlossen und im dunklen Schutz des Sessels tauchte sie in ihre heile Welt, in den Wald, wo sie sich so gerne aufhielt. In die üppig grüne Natur, wo Stille und Harmonie herrschte, wo sie sich wohlbehütet fühlte. Sie hatte das Gefühl, die schöne, zarte Waldfee, die sie wie sie glaubte hören und manchmal auch sehen konnte, hielt sie fest in ihren Armen. Ihr fliederfarbenes, fast durchsichtiges Kleid bot ihr einen Schutz, den keiner zerstören kann.
Aus diesem Traum der heilen Welt riss sie die Berührung ihrer Mutter. Sofie zuckte vor Schreck so heftig zurück, dass sie mit dem Hinterkopf an die Wand schlug. Sie fing an leise zu wimmern.
»Komm wieder vor Sofie, es ist vorbei, es ist schon wieder gut«, sagte sie zu ihrer Tochter beruhigend.
»Wo ist der Papa?« wollte Sofie ängstlich wissen.
»Ist bestimmt schon schlafen gegangen.«
Gerade als Sofie tief durchatmen wollte, wurde die Küchentür mit einem lauten Knall aufgestoßen und ihr Vater stand breitbeinig da. In den zittrigen Händen hielt er eine Flinte und zielte auf die Mutter.
»Ich habe es so satt, ich kann nicht mehr«, sagte er leise, aber entschlossen.
»Frank, ich bitte dich, leg die Waffe weg, das ist gefährlich, was du da machst«, druckste die Frau mit vor Angst zugeschnürter Kehle.
»Ich mach dem ganzen Elend ein Ende Marie«, flüsterte er.
Sofie versteckte sich hinter ihrer Mutter und zitterte am ganzen Körper.
Liebe Fee, mach dass der Papa samt der Flinte verschwindet, betete sie leise.
Doch ihr Vater spannte die Waffe und mit einer feinen Bewegung des Daumens nach vorne entsicherte er den Abzug. Er bewegte sich in ihre Richtung.
Marie hob das Kind aus der Wiege heraus, packte Sofie bei der Hand und stellte sich voller Furcht vor den Doppellauf der Flinte.
»Dann schieß, wenn du meinst, dass es die Lösung für alle deine Probleme ist. Schieß einfach!«, forderte sie ihn auf.
Ihr Blick, mit dem sie ihm fest in die Augen sah, tat ihm im Herzen weh. Für einen Augenblick senkte er die Waffe mit dem Lauf zum Boden. Diesen Augenblick nutzte Marie aus und bewegte sich, die Kinder mitschleppend, an ihm vorbei in die Diele und raus aus der Haustür.
Draußen herrschte eine friedliche Abendstille. Die Dunkelheit umhüllte die drei Flüchtenden und schenkte ihnen ein wenig Sicherheit. Marie überlegte, ob sie sich einfach nur hinter dem Schuppen verstecken und abwarten sollte, bis sich ihr Mann etwas beruhigt hat, oder lieber ins Dorf laufen sollte. Sie könnte zu ihrer Tante gehen, dort wären sie in Sicherheit. Aber es wären immerhin gut zehn Kilometer zurückzulegen mit den zwei Kindern, und das traute sie sich dann doch nicht zu. Das Auto stand zwar in der Garage, aber der Schlüssel hing in der Diele und zurück ins Haus wagte sie sich nicht mehr. Sie wiegte das Kind in ihren Armen, um zu vermeiden, dass es wieder zu weinen anfängt und ihr Versteck verrät.
Sofie drückte sich an warmen, vor Angst angespannten Körper ihrer Mutter und suchte dabei nach ihrer Hand. Als sie diese in der Dunkelheit fand, krallte sie sich an ihr fest. Sie wünschte sich jetzt ganz weit weg. Auf der, in der Sonne strahlenden Blumenwiese entlang eines kleinen Weihers, auf dem kleine Frösche fröhlich umhersprangen und türkisblaue Libellen in alle Ruhe schwebten. Sie besuchte gerne diesen Weiher, den sie einen Himmelsteich nannte, weil sich die weißen Wolken auf der Wasseroberfläche so schön spiegelten. Sie selbst betrachtete sich oft in diesem Wasserspiegel und schimpfte mit den Fischen, die ab und zu mal hochsprangen und damit die glatte Wasseroberfläche durchschnitten. Aber sie meinte es nicht böse, wie sie es immer gleich den Fischen erklärte, denn sie wusste, dass der Weiher deren Reich ist. Es blieb ihr Zuhause, schön, ruhig und idyllisch. Genauso wie sie es sich auch für ihr Zuhause wünschte.
»Tue was, handle!«, hämmerte in Franks Schedel, der nach wie vor brummte und schmerzte. Er schüttelte den Kopf so heftig, dass er schon wieder das Gleichgewicht verlor. Aber die Stimme blieb hartnäckig und forderte ihn zu einer Tat auf. Auf wackeligen Beinen, aber entschlossen rannte er aus dem Haus hinaus.
»Wo seid ihr?«, brüllte er in die Dunkelheit, »ich werde euch finden, darauf könnt ihr wetten!«
Er tastete sich an der Hauswand entlang bis hin zu Garage und sah hinein. Das Auto noch stand da. Er riss die Autotür auf und zielte sofort in das Innere. Nichts. Keiner da. Schwerfällig ging er wieder nach draußen. Mit voller Kraft schlug er das Garagentor hinter sich zu. Verzweifelt stellte er sich mitten im Hof hin und fing an um sich herumzuballern. Trotz Betrunkenheit lud er immer wieder geschickt und schnell die Schrotpatronen nach, sodass die Schießerei fast ununterbrochen erschien. Kraftlos brüllte er wie ein verletzter Löwe in die pechschwarze Nacht.
Marie wartete auf nichts mehr. Das Geschrei ihres Mannes und das lauten Knallen der Flinte nutzte sie um sich leise und ungehört aus dem Schuppen zu schleichen. Sie flüchtete mit den Kindern in den Wald. Sie kannte den Wald seit ihrer Kindheit, sie wusste wo es gefährlich war und wo man sich ohne Bedenken aufhalten konnte. Sie fühlte sich sicher. Die Dunkelheit war jetzt ihr Vorteil. Nur aufpassen musste sie, dass der Kleine nicht zu weinen anfing. Dass könnte sie alle verraten. Sie drückte das Kind noch enger an sich und zog Sofie an der Hand hinter sich her. Sie bewegte sich vorsichtig, damit sie keine lauten Geräusche verursachte, aber es war fast unmöglich in diese Dunkelheit alle Äste und andere Hindernisse am Boden zu sehen. Der Mond stand zwar hoch am Himmel, war jedoch durch leichte Schleierwolken bedeckt, er war ihr in dieser Nacht keine große Hilfe. Sie strengte sich an, die Augen weit aufgerissen lief sie immer weiter. Wenn sie ihre Arme nach vorne strecken könnte, um die Umgebung auch abtasten zu können, wäre alles viel leichter, aber sie wollte Sofie nicht alleine laufen lassen. Das wär zu gefährlich.
»Mama, ich kann nicht mehr«, flüsterte Sofie außer Puste und blieb stehen. Der Arm, an dem ihrer Mutter die ganze Zeit kräftig zerrte tat ihr auch schon weh.
»Sofie, wir können jetzt nicht stehen bleiben, wir müssen ganz, ganz weit laufen und uns gut verstecken. Es ist wichtig. Oder willst du, dass uns der Papa findet?«
Sie ging in die Hocke, um ihre Tochter umarmen zu können. Sie drückte das zarte Mädchen fest an sich und spürte, wie ihr kleiner Körper zitterte und wie sich ihr Brustkorb schwerfällig hob und senkte.
»Du schaffst es, meine kleine Fee, du bist stark und du weißt, der Wald wird uns helfen«, flüsterte sie in Sofies Ohr mit fester Stimme.
Sie liefen noch eine Weile etwas langsamer. Wie weit könnten sie schon sein?, überlegte Marie. Einen halben Kilometer hatten sie bestimmt geschafft. Sie blieb stehen und suchte nach einem geeigneten Platz, wo sie sich etwas ausruhen können. An einer uralten Buche, die bis in den Himmel zu ragen schien und dort ihre majestätisch große, breite Krone zur Schau stellte, lässt sie sich nieder. Sie lehnte sich an die glatte Rinde des Baumes an und bettete ihre Tochter neben sich. Auch Marie fühlte sich jetzt müde. Die letzte Zeit konnte sie nur schlecht schlafen und auch der Kleine gab in der Nacht keine Ruh. Erst gegen Morgen schlief er wieder fest ein. Aber dann musste sie sich wieder ihrer Tochter widmen, den Haushalt bewältigen. Sie dachte nach. Es wäre alles nicht so schlimm, wenn es diese ewigen Konflikte mit ihrem Mann nicht gäbe. Die kosteten sie viel Kraft. Ja, vielleicht war auch sie schuld, vielleicht hätte sie es merken müssen, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmte. Seine Abwesenheit, seine schlechte Laune, die immer intensivere Wilderei … Aber wenn sie ihn nach seiner Arbeit fragte, erzählte er immer es sei alles in Ordnung . Und er hatte sie als Frau total vernachlässigt. Wie oft hatte sie sich im Bett an ihn angekuschelt, ihn zu einem Liebesakt aufgefordert, aber alles vergebens. Und dann kam der Tag, an dem sie bei ihrer Freundin Paul traf. Einen Freund, den sie schon aus der Schulzeit kannte und der sie schonseit ihrer Jugend begehrte. Er hätte sie auch gerne als seine Frau gehabt, aber sie entschied sich damals für Frank. Einen großen, gut aussehenden Mann, der witzig und scharmant war und der sie auch noch durch seinen Beruf als Steinmetz begeisterte. Seine Arme waren stark, seine Hände groß und rau und trotzdem konnten sie so zärtlich ihre Haut streicheln …
Ja, aber sie hatte sich nach ein paar gut gefüllten Gläsern Wein auf Paul eingelassen. Sie hatte es genossen, wieder begehrt zu werden und Paul gab sich alle Mühe. Er verwöhnte sie nach Strich und Faden. Unglaublich fand sie seine Liebeskünste und ihr Hunger nach Sex und Zärtlichkeit wurde endlich gestillt. Dass sie das mit einer Schwangerschaft bitter bezahlen muss, hätte sie sich damals im Traum nicht vorstellen können. Und doch ist es so gekommen. Das Kind abzutreiben kam für sie nicht infrage. Frank wollte sie aber auch nicht belügen. Und so musste sie schon während der neun Monate ihrer Schwangerschaft Streit und Demütigungen ertragen, was noch viel schlimmer wurde, als das Kind zur Welt kam.
Marie streichelte zart über die hellbraunen, langen Haare ihrer Tochter. Die Tränen, die Sofie vergoss und die wie ein Wasserfall über ihre Wangen herunter flossen, sah sie nicht. Sie wickelte ihren Sohn nochmal sorgfältig in die dünne Decke, die sie aus der Wiege mitgenommen hatte und lauschte den Geräuschen des Waldes zu. Ein leises Knacksen der Äste ließ sie aufhorchen. War das etwa nur ein Tier, oder waren das die Schritte eines Menschen? Marie gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Hatte sie sich für die richtige Richtung entschieden, oder sollte sie lieber dorthin fliehen, wo es zwar gefährlich war, aber wo ihr Mann sie niemals vermuten würde?
Es waren eindeutig menschliche Schritte, die sie hörte, das war ihr jetzt klar. Sie packte Sofie am Arm und forderte sie zum Aufstehen auf. Der Kleine begann leise zu wimmern und Marie verfiel in Panik. Ihr Mann wusste genau, wo er sie suchen sollte, auch er kannte den Wald, wie seine eigene Westentasche.. Darin war sie sich sicher.
»Sofie“, flüsterte sie, „halte dich an mir fest. Wir laufen jetzt in das schwarze, verzauberte Waldstück. Dorthin, wo die dunkle böse Fee wohnt, vor der ich dich immer gewarnt habe. Dort ist es ganz gefährlich, aber dort wird uns dein Vater bestimmt nicht suchen. Dort sind wir sicher.«
Sofie umklammerte fest die Hand ihrer Mutter und lief so schnell, wie sie nur konnte. Die schönen Zöpfe, die ihr ihre Mutter am Morgen geflochten hatte, hatten sich schon längst aus den Haargummis gelöst. Ihre Haare waren jetzt zerzaust und umwehten ihr Gesicht. Sie versperrten ihr teilweise die Sicht und blieben an den Sträuchern hängen. Es tat ihr weh. Eine große Angst stieg in ihr auf. Die böse Fee, die jeder fürchten musste, sollte ihnen jetzt helfen? Sie durfte nie, nicht mal in die Nähe des Waldstücks laufen, weil man erzählte, dass jeder, der dieses Waldstück betreten hatte, nie wieder zurück nach Hause kehrte. Aber sie hatte sich schon immer gefragt, wie diese böse Fee wohl aussehen mochte …
Die Schritte hinter ihnen wurden immer lauter. Marie verspürte, wie sie ihre Kräfte langsam verließen. Der Kleine begann laut zu weinen. Aus dem Hintergrund fielen zwei Schüsse. Sofie schrie auf, als ihre Mutter in sich zusammensackte.
»Habe keine Angst, Sofie«, flüsterte Marie, »ich bin nur gestolpert. Alles ist gut.«
Sie stützte sich an einem Baumstumpf ab und raffte sich langsam auf. Das Kind erschreckte ebenfalls. Marie deckte das Gesicht des Kindes leicht mit der Decke zu und drückte es fest an sich, damit das laute Weinen etwas leise wurde und nicht ihre Position verriet. Sie rannten weiter. Der Mond war nun ein guter Wegweiser. Schon damals, als sie selber noch ein Kind war, hatte ihr Vater ihr beigebracht, wie man sich am Tag nach der Sonne und in der Nacht nach dem Mond im Wald orientieren kann. Ja, sie waren auf dem richtigen Weg in das Moorgebiet. Wenn sie sich gleich am Rande des Gebiets in dem hohen Schilf verstecken, werden sie in Sicherheit sein. Dort war der Boden zwar schon nass, aber noch kein Moor. Erst weiter hinten, wo der Wald unheimlich dunkel war und aus dem Boden nur schwarze, verfaulte Holzstümpfe hinausragten, dort war es gefährlich.
Frank hörte den kleinen Schreihals weinen. Daraufhin hatte er zweimal geschossen und die Flinte wieder sofort geladen. Auch Sofies Aufschrei danach hatte er wahrgenommen. Er wollte die drei unbedingt finden. Er probierte sich lautlos fortzubewegen, so wie er das beim Anpirschen praktiziert, aber es gelang ihm keineswegs. Das machte ihn noch wütender. Der Alkohol hatte seine Reaktionen verlangsamt und das Treffen unwahrscheinlicher gemacht. Er blieb stehen und starrte in die Dunkelheit. Er konnte die feinen Geräusche der Flüchtenden hören und er gab sich Mühe, sie auch richtig zu orten. Bis jetzt liefen sie immer Richtung Norden, damit war er sich sicher, das war auch die Richtung, wo Marie probieren könnte, Hilfe für sie und die Kinder zu finden. Es waren zwar zehn Kilometer bis zu den ersten Häusern, aber Marie war stark, dass wusste er genau. Er drehte sich lautlos im Kreis und lauschte den Waldgeräuschen. Er schüttelte den Kopf. Es kann nicht sein, die Geräusche kamen jetzt von rechts und dort war Osten … dort könnte Marie keine Zuflucht finden, dort war nur das schwarze Moor.
Das Moorgebiet war nichtmehr weit. Marie spürte den weichen, feuchten Boden unter den Füßen, in dem ihre Schritte leise wurden. Auch das Gras wurde üppiger und höher, die ersten Halme des Schilfs breiteten sich vor ihnen aus. Sie suchte nach dem geeigneten Versteck. Als sie ein paar Schritte weiter eine Stelle fand, wo das Schilf dicht und hoch genug war, um sie zu schützen, kniete sie nieder und zwang auch Sofie, sich in das Nass zu setzen. Sofie hob ihr Kleidchen etwas höher, um es vor der Feuchtigkeit zu schützen und fing an zu schluchzen.
»Mama, ich sehe nichts. Hier ist es so dunkel, ich habe Angst.«
Aber Marie hörte ihr nicht zu. Sie sah zu dem Kleinen herab, der entspannt in ihren Armen lag und sich nicht mehr rührte. Dass er eingeschlafen sein konnte bei all den Strapazen, war unmöglich. Marie verfiel in Panik. Sie schüttelte das Kind ein wenig, dann etwas mehr. Nichts. Keine Reaktion. Sie küsste den Kleinen auf die Stirn, auf die kleine Stupsnase … nichts. Der Kleine atmete nicht mehr. Marie sprang auf, drehte sich im Kreis und suchte nach einer Stelle, wo der Mond etwas Licht spendete. Sie rannte kopflos, von Sinnen, aus dem Schilf heraus. Sofie folgte ihr.
»Mama, bleib stehen!«, rief sie leise.
Doch Marie blieb nicht stehen, sie sah in der Nähe einen lichten Platz und wollte unbedingt dorthin, um den Kleinen ansehen zu können. Hatte sie ihn zu fest an sich gedrückt, hatte sie die Decke zu dicht um ihn gewickelt, ging ihr durch den Kopf. Bald, bald wird sie die vom Mond erleuchtete Stelle erreichen und nachschauen können. Das vorankommen wurde immer schwieriger, ihre Füße fühlten sich auf einmal ganz schwer an, die Schritte wurden kürzer. Als sie den Kleinen in ihren Armen endlich mit genügend Licht erblicken konnte, stand sie schon knietief im Moor, unfähig sich zu bewegen. Ihr Kind lebte nicht mehr. Sie hob die Arme mit dem Kleinen gen Himmel und schrie: »Warum lieber Gott, warum?«
Sofie hatte sich bemüht, der Mutter zu folgen, aber in dem dichten, hohen Schilf und in der tiefen Dunkelheit sah sie nichts. Die Nässe unter den Füßen machte ihr Angst. Sie entschied sich dorthin zu laufen, wo sie die Kronen der großen Bäume sah. Als sie wieder im Trockenen stand, rief sie nach ihrer Mutter. Eigentlich wollte sie viel lauter rufen, aber es kamen nur zaghaft leise, kraftlose Töne aus ihrem Mund. Die Lippen waren trocken und rissig. Mit dem Ellbogen wischte sie ein Tropfen Blut von ihren Lippen ab. Sie ging in die Hocke und lauschte, ob sie vielleicht hören könnte, in welche Richtung ihre Mutter gelaufen war. Aber sie hörte nichts. Stille, nichts, als Stille. Sie fühlte sich unheimlich müde und erschöpft. Die Angst lähmte ihren zierlichen Körper und sie fiel auf die Knie.
Dann hörte sie den herzzerreißenden Aufschrei ihrer Mutter und Sofie wusste, dass es ganz schlimm um ihrer Mutter und ihren Bruder stand. Sie sprang auf und rannte los. Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihr Kleid blieb an einem Strauch hängen und riss sie zu Boden. Mit dem Knie schlug sie auf einen spitzen Stein und blieb liegen. Der Schmerz durchströmte ihren Körper wie ein Blitz. Sofie blieb liegen, mit beiden Händen hielt sie das verletzte Knie fest und starrte in den Himmel. Ein Schatten, der noch dunkler war, als die dunkle Nacht, bildete sich vor ihren Augen. Wie eine schwarze Schleierwolke oberhalb des Schilfs zeichnete sich eine grauenhafte Gestalt mit grimmigem Gesicht ab. Eine Gestalt in langem Kleid mit Schleppe, die ihre Hände einladend ausbreitete und dem Mond sein weißes Licht stahl. Sofie hatte sie erkannt. Die böse schwarze Fee. Sie hatte ihre Mutter und ihren Bruder in ihre Arme geschlossen und verschmolz mit ihnen im dunklen Nachthimmel. In weiter Ferne donnerte und grollte es.
Marie drückte ihren Sohn fest an ihre Brust und spürte, wie ihr das Moor die Luft nahm. Der Druck wurde immer stärker. Sie schloss die Augen und ergab sich ihrem Schicksal.
Franks Schritte wurden langsamer, der Alkohol machte ihm zu schaffen. Er fühlte sich unwohl. Sein Magen rebellierte und wie aus dem heiteren Himmel überkam ihn ein Schüttelfrost. Die Kräfte und der Zorn schienen ihn verlassen zu haben. Nur mit Mühe hob er die schwere Flinte und warf sie wieder über die Schulter. Er lehnte sich an einen Baum und spürte, wie sein Magen rumorte. Er musste sich übergeben. Schmerzliche Krämpfe durchzuckten seinen Körper. Auch die Kraft in den Knien verließ ihn und er sank zum Boden. Mit beiden Händen wischte er sich über sein Gesicht und schüttelte heftig mit dem Kopf um wieder klar denken zu können.
Marie, wo ist sie denn nur hingelaufen? Sie kannte doch die Gefahr des Moorgebiets, sie würde sich nie in der Nacht dorthin begeben, Franks Gedanken überschlugen sich. Hatte er sie dorthin getrieben, ihr keine andere Möglichkeit gelassen, als sich dorthin zu retten, sich zu verstecken? Was ist denn nur in ihn gefahren, so auszuflippen, zu schießen? … er liebte sie doch, er liebte die kleine Sofie, seine Prinzessin … und was war mit dem Schreihals? Mit etwas Mühe könnte er ihn auch schon mögen. Und wenn nicht gerade mögen, dann wenigstens akzeptieren. Schließlich konnte der kleine Mann nichts dafür wer ihn gezeugt hatte.
Nach ein paar Minuten, die er zum Nachdenken gebraucht hatte, stand er auf und machte sich auf wackeligen Beinen auf den Weg zum Moorgebiet. Er wusste nicht genau, ob er die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Eher intuitiv stolperte er über die Äste am Boden und bahnte sich den Weg durch den dunklen Wald. Als er in weite Ferne einen Aufschrei hörte, verstand er zwar die Worte nicht, aber in der Stimme erkannte er die tiefe Verzweiflung seiner Frau. Er lief jetzt blindlings der Stimme nach. Sein Hemd wurde von den abstehenden, trockenen Ästen zerrissen, die kleine Verletzungen, die dabei entstanden, brannten auf seiner Haut. Er wollte nach ihr rufen, aber dann entschied er sich dagegen. Er würde ihr damit noch mehr Angst einjagen, sie weiter in die Tiefe des Moorgebiets treiben. Er lief und lief und erwartete jeden Moment, den feuchten Boden am Rande des Moorgebiets zu erreichen. Er muss doch schon in der Nähe sein. Das Seitenstechen zwang ihn zum Stehenbleiben. Er drehte sich im Kreis, sah zum Mond hinauf und erstarrte, als der Himmel von einer schwarzen Wolke, die dunkler war als die dunkle Nacht, bedeckt wurde. Der Mond verschwand für ein paar Sekunden, als hätte diese Wolke sein Licht erlöscht. Frank wartete eine Weile und setzte dann seinen Weg fort.
Als es ihm gelang, das Moorgebiet zu erreichen, das hohe Schilf zu sehen, atmete er tief durch. Nicht weit von ihm sah er einen hellen Fleck und rannte sofort hin. Es war die kleine hellblaue Decke aus der Wiege. Langsam hob er die verschmutzte Kinderdecke auf. Panik stieg in ihm auf. Er ließ die Flinte fallen und rannte kopflos weiter.
»Marie!«, schallte es in die Nacht, »Marie!«
Aber es kam keine Antwort zurück. Nur leise Geräusche der hochsteigenden Luftblasen, das leise Blubbern des Moores, vernahm er. Frank bahnte sich den Weg in das pechschwarze Schicksal seiner kleinen Familie und versank immer tiefer und immer tiefe im Moor.
Sofie hörte die schweren Schritte ihres Vaters und auch das Rufen nach ihrer Mutter. Sie stand auf und versteckte sich in einem tiefen Loch, das am Fuße eines riesigen Baums ausgebuddelt war. Sie konnte zwar nicht vollständig hineinkriechen, aber schon die Mulde, die da entstanden ist, war tief genug, um sie im Erdboden verschwinden zu lassen. Hier fühlte sie sich sicher. Ihre Augen brannten, das Knie tat ihr weh. Zahlreiche Schürfwunden auf ihrem zarten Körper machten sich bemerkbar. Die Müdigkeit übermannte sie. Sie bettete sich so bequem, es nur ging in dieser Mulde ein und schloss die Augen. Das weiche Moos auf der Baumwurzel bot ihr eine weiche Stelle für ihre Wange.
In der Nacht kühlte die ansonsten warme, sommerliche Luft ab und Sofie fing an zu zittern. Ein Windhauch umspielte ihren Körper, wirbelte die seit dem letzten Herbst liegenden trockenen Blätter hoch und deckte sie damit sanft zu. Wie ein Igel, der sich zum Überwintern sein Quartier gemacht hatte, lag das Mädchen im Waldbett. Eine leichte Berührung auf der Wange glaubte Sofie zu spüren und ein paar flüsternde Worte gehört zu haben …
»Habe keine Angst, Tochter des Waldes.«
Als der Morgen mit wolkenlosem, blauem Himmel den Tag begrüßte, schien die Natur aufzuwachen. Die Vöglein zwitscherten in den Bäumen, die Mäuse bahnten sich, auf der Suche nach etwas essbarem, ihren Weg im Moos und zwischen den Blättern hindurch und erzeugten dabei ein geheimnisvolles Rascheln. Wenn man nur lange genug Geduld bewies, konnte man ein paar Hasen auf der Wiese entdecken und auch die ersten Rehe, die sich aus ihren Einständen trauten, liefen zu der in Sonnenstrahlen getränkten Wiese.
Sofie wurde vom zarten Kitzeln auf ihren nackten Beinen geweckt. Sie streckte sich, gähnte müde und rieb sich die Augen. Habe ich das alles nur geträumt?, fragte sie sich in Gedanken.
»Mama?«, flüsterte sie. »Mama!«, rief sie laut … keine Antwort.
Etwas stupste sie unermüdlich an den Beinen. Sofie sah hinunter in das Loch, dass sie mit ihrem Körper fast vollständig abgedeckt hatte und sah eine kleine, schwarze Nase, die in der Sonne feucht glänzte. Blitzschnell sprang sie hoch und versteckte sich hinter dem Baum. Ein Fuchs lugte mit seinem Kopf aus der Öffnung und erstarrte in der Bewegung. Seine Augen bewegten sich von links nach rechts und sicherten die Umgebung des Fuchsbaus. Langsam schlich er sich aus dem Erdloch hinaus und witterte den unbekannten Duft.
Sofie fing an zu kichern. »Guten Morgen«, sagte sie leise. »Habe ich etwa in deinem Bettchen geschlafen?«
Der Fuchs stand eine ganze Weile nur da und beobachtete sie. Nach kurzer Zeit tapste er mit leisen Schritten auf sie zu. Immer näher, immer näher, bis er das Mädchen direkt vor sich hatte. Dann schmiegte er sich, wie eine Katze an ihre nackten Beine, sah zu ihr hoch und sprang ab. Sofie bekam Gänsehaut. In dem Moment, als sie sich nach dem Fuchs umdrehen wollte, vernahm sie ein leichtes, helles Bellen. Ein weitere Fuchs, viel kleiner als der erste, lugte aus dem Erdbau nach draußen. Hinter ihm drängte sich die nächste schwarze Nase ans Licht. Vier kleine Füchse verließen nacheinander die gemütliche Behausung und rannten der Fuchsmutter hinterher.
Sofie sah den Füchsen hinterher. Als sie sich wieder hinsetzen wollte, bemerkte sie unzählige Kratzer und Wunden an ihren Beinen und Armen. Sogar blaue Flecken hatte sie entdeckt. Sie beobachtete den Wald und überlegte, wie sie es nach Hause schaffen sollte. Es kam ihr alles so unbekannt vor. Hier war sie noch nie gewesen. Das wusste sie genau. Sie sah nach oben in die Baumkronen. Mit den Händen schützte sie die Augen vor der grellen Sonne. Als sie den Blick wieder senken wollte, huschte eine dunkle Wolke über den blauen Himmel und verschwand hinter dem schwarzen Wald. Sofie schloss ihre Augen und auf einmal sah sie es wieder deutlich vor sich … das ganze Geschehen der letzten Nacht.
Sie hörte den verzweifelten Schrei ihrer Mutter, das Rufen des Vaters, sie sah die schwarze Fee, die ihre Mutter und ihren Bruder in die Arme schloss und mit ihnen in der dunklen Nacht verschwand …
Sofie zitterte am ganzen Körper. Sie riss die Augen auf und atmete tief durch. Sie muss nach der Mutter suchen, sie muss den kleinen Schreihals finden. Hat sie sich vielleicht selber im Wald verlaufen? Vielleicht suchen ihre Eltern schon längst nach ihr. Angst und Verzweiflung breiteten sich in ihrer verletzlichen Kinderseele aus und nahmen ihr die Luft zum Atmen.
Geheimnisvoller Wald
Nach einer Weile entschied sich Sofie wieder aufzustehen und mit der Suche nach ihrer Familie zu beginnen. Sie lief zuerst im Kreis herum und beobachtete die Umgebung. Je mehr sie sich konzentrierte, umso mehr erkannte sie Unterschiede in der Natur. Vor ihr sah sie in der Ferne hohe Schilfhalme, hinter denen sich ein dunkler Wald erstreckte. Hinter ihr war alles viel üppiger. Alte Bäume mit breiten Kronen ragten gen Himmel, kleinere Laubbäume und Sträucher bildeten einen dichten Unterwuchs. Den Waldboden bedeckten Himbeer- und Brombeersträucher, die dem Boden viel Schatten spendeten und den kleinen Waldbewohner ein gutes Versteck boten. Weiches hellgrünes Moos bedeckte den Boden, wie ein weicher Teppich und lud regelrecht zum Barfußlaufen ein.