Stadt der bösen Tiere, Band 2: Die Rettung (actionreiche 2. Staffel der Bestseller-Reihe "Internat der bösen Tiere" ab 10 Jahren) - Gina Mayer - E-Book

Stadt der bösen Tiere, Band 2: Die Rettung (actionreiche 2. Staffel der Bestseller-Reihe "Internat der bösen Tiere" ab 10 Jahren) E-Book

Gina Mayer

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Beschreibung

In New Orleans ersinnt der mächtige Tiger Raj einen Racheplan, um Lizard in die Krallen zu bekommen. Sein Verbündeter: ein gerissener Alligator. Pirschkunde, Jagdtechnik und Kampfkunst – bei ihrer Ausbildung auf den Inseln der bösen Tiere muss Lizard viel lernen. Doch zum ersten Mal im Leben hat sie Freunde und fühlt sich zu Hause. Hier ist sie auch sicher vor dem Tiger Raj, der sich an ihr rächen will. Aber dann erhält sie einen Anruf aus New Orleans. Ihre Schwester Esmeralda sei in Gefahr und nur Lizard könne sie jetzt noch retten. Außer sich vor Angst um Esmeralda flieht Lizard heimlich in der Nacht und setzt damit alles aufs Spiel. Entdecke alle Abenteuer im "Internat der bösen Tiere": Band 1: Die Prüfung Band 2: Die Falle Band 3: Die Reise Band 4: Der Verrat Band 5: Die Schamanin Band 6: Die Entscheidung

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2024 Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag © 2024 Ravensburger Verlag Text: Gina Mayer Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin Cover- und Innenillustrationen: Clara Vath Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-51224-9

ravensburger.com

Teil 1: Der Anruf

1. Kapitel

Das Schönhörnchen lag auf dem Zweig einer Akazie und sonnte sich. Die Strahlen der Abendsonne fielen auf seinen dunklen Rücken und brachten sein weißes Bauchfell zum Leuchten. Das Nagetier hatte Lizard noch nicht bemerkt, obwohl sie keine zwei Meter von ihm entfernt war.

Sie hockte auf dem Nachbarbaum der Akazie, schräg über dem Hörnchen. Der Ast, auf dem sie kauerte, war breit und stark. Sie würde sich noch ein Stück nach außen schieben, ganz langsam und vorsichtig. Und dann springen. Wie eine Raubkatze würde sie das Hörnchen packen und festhalten.

Lizard nahm den kleinen Käfig aus Bambusstäben ab, den sie an ihrem Gürtel befestigt hatte und in dem sie ihre Beute transportieren würde. Sie hängte ihn über einen Zweig. Beim Sprung würde sie das Ding nur behindern.

Einen Moment lang stellte sie sich die Reaktion ihrer Klassenkameraden vor, wenn sie das Hörnchen morgen mit zum Unterricht brächte. Es wäre ein unvergleichlicher Triumph. Keiner der anderen traute ihr einen solchen Fang zu, da war sie sich sicher. Vermutlich rechneten ihre Mitschüler gar nicht damit, dass sie überhaupt irgendwas fing.

In Pirschkunde bei Mrs Pagan beschäftigten sie sich schon seit zwei Monaten damit, wie man sich an einen Gegner anschlich und ihn überwältigte. Lizard machte allerdings erst seit drei Wochen mit, so lange lebte sie schon auf den geheimen Inseln.

Als Hausaufgabe sollten sie bis zur nächsten Stunde ein anderes Wesen fangen.

Lizard hatte direkt beschlossen, sich eines der Schönhörnchen vorzunehmen, die jeden Morgen vor dem Fenster ihrer Baumhütte herumturnten. Es war alles andere als einfach, das war ihr klar.

In ihrer Heimatstadt Detroit gab es zwar keine Schönhörnchen wie hier im tropischen Regenwald, aber dafür Streifenhörnchen. Die Tiere lebten in Massen in den Parks und Industriebrachen der Stadt. Esmeralda war total vernarrt in die niedlichen flinken Nager, sie fand sie so süß. Und Lizard hatte schon damals immer wieder versucht, eines der Tiere für ihre kleine Schwester zu fangen. Leider vergeblich.

Esmeralda. Lizard spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust, wenn sie an sie dachte.

Noch vor ein paar Wochen hatten sie zumindest in derselben Stadt gewohnt – wenn auch in unterschiedlichen Vierteln. Lizard hatte allein gelebt und ihre Schwester bei ihrem leiblichen Vater. Inzwischen waren sie beide weg aus Detroit. Lizard ging ins Internat der bösen Tiere auf den geheimen Inseln und Esmeralda war nach Louisiana gezogen. Lizard hatte keine Ahnung, wie es ihrer Schwester ging.

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, sodass sich die Fingernägel schmerzhaft in ihre Handflächen bohrten. Sie durfte jetzt nicht an Esmeralda denken, sie musste sich ganz auf die Aufgabe konzentrieren, die vor ihr lag. Beziehungsweise unter ihr.

Das Schönhörnchen hatte begonnen, sich zu putzen. Bevor Lizard sich angeschlichen hatte, hatte sie im Fluss gebadet und sich danach mit den weißen Blütenblättern der Blumen eingerieben, die am Ufer wuchsen. Sie dufteten so stark nach Vanille, dass einem fast ein bisschen übel davon wurde. Aber das war schließlich der Plan – ihren Menschengeruch mit etwas zu überdecken, das die sensible Nase eines Schönhörnchens nicht in Alarm versetzen würde.

Lizard atmete tief durch und schob sich dann Zentimeter für Zentimeter nach vorn. Über ihr raschelte etwas in der Baumkrone. Das Schönhörnchen spitzte sofort die Ohren und richtete den Oberkörper auf.

Nicht abhauen, bitte nicht abhauen!, flehte Lizard.

Das Geraschel verstummte, jetzt war wieder alles ruhig. Die Ohren des Hörnchens zuckten noch ein paarmal, dann ließ es den Kopf sinken.

Lizard atmete lautlos aus, während sie sich noch ein Stück nach außen schob. Weiter konnte sie nicht, der Ast wurde zu dünn und würde ihr Gewicht nicht mehr tragen. Sie musste hier abspringen.

Mit der Rechten würde sie das Hörnchen packen, mit der Linken musste sie sich gleichzeitig an der Akazie festhalten. Abstürzen wäre schlecht, bis zum Boden waren es gut vier Meter.

Lizard spannte sämtliche Muskeln an.

„Vor dem Angriff verlässt der Angreifer seinen eigenen Körper und begibt sich in den Körper des Gegners.“ Das hatte Mrs Pagan ihnen in einer der letzten Stunden erklärt. „Fühlt euch in ihn hinein. Und dann schlagt ihr zu.“

Lizard richtete den Blick fest auf das Schönhörnchen. Sie spürte die Sonne, die auf den Pelz des kleinen Tieres schien, obwohl sie selbst sich im Schatten befand.

Jetzt!

Sie straffte die Schultern, zog die Beine an, stieß sich mit beiden Füßen vom Untergrund ab und hechtete mit einem gewaltigen Sprung nach unten. Ihre linke Hand umfing den Ast der Akazie. Die rechte griff ins Leere.

Das Hörnchen war weg.

Lizard stöhnte vor Frust laut auf. Den halben Nachmittag hatte sie für das Anschleichmanöver gebraucht und das Ganze hatte nichts, überhaupt nichts gebracht. Verdammt!

Und jetzt?, fragte sie sich.

Die nächste Pirschkundestunde war morgen. Und sie wollte nicht mit leeren Händen kommen. Sie brauchte eine Beute – und zwar etwas Ernsthaftes, sie konnte auf keinen Fall mit einer Ameise oder einem Käfer im Unterricht aufkreuzen. Dann würden die anderen noch mehr auf sie herabgucken. Lizard bildete ohnehin schon das Schlusslicht der Klasse.

„Es wird kein leichter Start für dich werden“, hatte Mrs Moa, die Direktorin der Schule, ihr bei ihrem ersten Gespräch prophezeit. „Deine Klassenkameraden sind alle schon eine ganze Weile im Internat und haben einen gewissen Vorsprung. Ich bin mir jedoch sicher, dass du rasch zu ihnen aufschließen wirst. Die anderen haben auch versprochen, dich in jeder Beziehung zu unterstützen.“

Lizard lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstamm und schloss einen Moment lang die Augen. Von der Unterstützung der anderen hatte sie bisher noch nichts gemerkt. Keiner ihrer Mitschüler zeigte auch nur das geringste Interesse an ihr.

Sie war immer eine Außenseiterin gewesen, auch in ihrer alten Schule in Detroit. Selbst im Boxklub hatte sie keine richtigen Freunde gehabt – nur Gegner, die sie im Ring nach Strich und Faden vermöbelte.

Warum sollte es hier also anders sein?

„Weil es eine andere Welt ist“, murmelte Lizard.

Ein Internat, in das Menschen und Tiere gemeinsam gingen. In dem eine Spezies von den Stärken und Fähigkeiten der anderen lernte und alle Wesen, ob groß oder klein, schwach oder kraftvoll, sich gegenseitig respektierten.

Es gab zwar auch noch andere Menschen auf den geheimen Inseln, aber die meisten der Lehrer und Schüler waren Tiere. Die Direktorin Mrs Moa war eine armdicke gelb-weiß gemusterte Riesenschlange und Lizards Klassenlehrerin Mrs Pagan war eine Wildkatze.

Wer auf diese Schule ging, war auserwählt. Denn man verständigte sich in einer Gedankensprache, die nur wenige Wesen verstanden.

Normalerweise musste man eine lebensgefährliche Prüfung bewältigen, bevor man hier zugelassen wurde. Die war Lizard allerdings erspart geblieben.

„Der geheime Rat hat den einstimmigen Beschluss gefasst, dass du ohne weitere Bedingungen in die Schule aufgenommen wirst.“ Auch das hatte Mrs Moa ihr bei ihrem Begrüßungsgespräch eröffnet. „Du sprichst die Gedankensprache und hast in Detroit bewiesen, dass du mutig, geistesgegenwärtig, widerstandsfähig und loyal gegenüber Schwächeren bist.“

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie die Aufnahmeprüfung trotzdem gemacht hätte, dachte Lizard. Früher hatte es sie nie gestört, anders zu sein als die anderen. Aber hier auf den geheimen Inseln spürte sie zum ersten Mal das Bedürfnis dazuzugehören. Sie wollte die Sonderrolle nicht, die man ihr zugewiesen hatte.

Und sie vermisste ihre Geschwister. Esmeralda und ihren Bruder Gabriel, mit denen sie über alles gesprochen hatte. Na ja, jedenfalls über vieles.

Ihre Mitbewohnerin Chhhr, mit der Lizard sich die kleine Holzhütte in der Krone eines riesigen Schnurbaums teilte, war jedenfalls kein Ersatz für sie. Chhhr war ein Dreifingerfaultier und döste eigentlich die ganze Zeit vor sich hin. Sie ernährte sich von Blättern, die in der unmittelbaren Umgebung des Baumes wuchsen. Einmal in der Woche kletterte sie mühsam aus dem Baumhaus zu Boden, um dort ihr Geschäft zu verrichten.

Zur Schule ging das Faultier nur zweimal in der Woche – oder vielmehr wurde es von Lizard zum Unterricht getragen. So unglaublich langsam, wie Chhhr sich bewegte, hätte sie zwei Tage gebraucht, um das Schulhaus zu erreichen.

Das einzige Tier in ihrer Klasse, mit dem Lizard sich auf Anhieb gut verstanden hatte, war eine Kreuzspinne. Carmen war kurz nach Lizard auf den geheimen Inseln angekommen. Drei Tage später hatte man sie allerdings auf die Insel der Künstler versetzt, bei ihrer Inselzuteilung war ein Fehler passiert.

Seitdem hoffte Lizard darauf, selbst noch einmal umgesiedelt zu werden. Die verschiedenen Bereiche der Schule verteilten sich auf sechs Inseln. Die Inseln der Heiler, Hüter, Jäger, Künstler und Späher umgaben die erste Insel, auf der sich das Direktorat befand, wie ein Ring.

Lizard war den Spähern zugeteilt worden, der geheimsten der geheimen Inseln. Kein anderer Schüler durfte hier ohne Erlaubnis an Land gehen.

Abends setzte sie sich oft ans Meer und schaute zur Nachbarinsel der Jäger hinüber, auf der sie am liebsten gewohnt hätte. Es gab dort drei hohe Türme, in denen die Schülerinnen und Schüler wohnten und die Schule untergebracht war. Lizards Blick war stets auf den niedrigsten von ihnen gerichtet. Oben unter dem Dach wohnte Taiyo, das hatte er ihr selbst erzählt.

Taiyo, der Lizard hierhergebracht hatte. Sie war fest davon ausgegangen, dass sie Freunde werden würden. Vielleicht sogar mehr.

Falsch gedacht.

Sie hatte ihn nach ihrer Ankunft kein einziges Mal wiedergesehen. Manchmal hatte sie fast das Gefühl, dass er sie in eine Sackgasse gelockt und dann im Stich gelassen hatte.

Ein kleiner bunter Kolibri flatterte aus der Baumkrone herab und blieb einige Zentimeter vor Lizards Gesicht in der Luft stehen. Der Vogel war kein Auserwählter, jedenfalls reagierte er nicht, als Lizard ihn in der Gedankensprache anredete. Er war ihr zum Greifen nah. Ob sie versuchen sollte, ihn zu schnappen? Ein Kolibri wäre auch keine schlechte Beute.

Lizards Hand hob sich und schnellte nach vorn. Aber wieder griffen ihre Finger ins Leere. Der kleine Vogel war spurlos verschwunden, Lizard hörte jedoch ganz in der Nähe sein spöttisches Zwitschern. Vielleicht war es doch ein Auserwählter, der von ihrer Hausaufgabe wusste und sich über sie lustig machte.

Wie spät es wohl war? Lizards Hand zuckte zu ihrer Hosentasche, wo früher ihr Handy gesteckt hatte. Dann schüttelte sie den Kopf über sich selbst. Ihr Smartphone lag in der Hütte und war schon lange tot. Auf den geheimen Inseln las man die Uhrzeit am Stand der Sonne oder der Sterne ab, doch das fiel ihr noch ziemlich schwer.

Ihrem Gefühl nach musste es auf sechs Uhr zugehen, die Sonne stand schon dicht über den Baumwipfeln. Um halb sieben würde sie untergehen und danach wäre es schnell stockdunkel.

Aufgrund ihrer Nähe zum Äquator waren die Sonnenuntergänge auf den Inseln sehr kurz. Es dauerte keine Stunde vom ersten Abendrot bis zur Dunkelheit.

Nach Sonnenuntergang musste Lizard in ihrer Hütte sein. Vorher gab es Abendessen in der Mensa, die nicht allzu weit von ihrem Baumhaus entfernt war. Aber dafür war es inzwischen vermutlich zu spät.

Egal, dachte Lizard. Sie hatte ohnehin keinen Appetit.

Lizard holte den Käfig und befestigte ihn wieder an ihrem Gürtel. Dann machte sie sich auf den Weg zur Baumstraße – einer Hängebrücke aus Holzplanken und Lianen –, die in der Nähe verlief und den ganzen Wald durchquerte. Die schwankenden Stege verbanden die Hütten und Wohnungen auf der Insel miteinander, man kam über die Baumstraße viel schneller voran als auf dem Boden, der mit Gestrüpp, Büschen und Farnen überwuchert war.

Lizard kletterte erst auf den Ast über ihr, dann sprang sie zum Nachbarbaum, auf dem sie vorhin gesessen hatte. Sie schob sich um den Stamm herum und griff nach einem dicken Zweig, um sich daran festzuhalten. Im letzten Moment sah sie die Schlange.

Sie war grün und nicht besonders groß und ringelte sich um den dicken Zweig. Lizard zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.

Das Maul der Schlange öffnete sich, eine gespaltene Zunge schoss daraus hervor und verschwand wieder. Die hellgrünen Augen mit den schmalen, senkrechten Pupillen starrten Lizard an.

Wenn sich die Schlange auf Lizard hinabfallen ließ, hätte sie keine Chance, sie abzuwehren. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. War das das Ende? Ein Schlangenbiss hier im Dschungel?

„Keine Angst, sie tut dir nichts“, erklang eine kratzige Gedankenstimme in ihrem Kopf. Und im selben Augenblick bemerkte Lizard das Mädchen und erschrak fast noch mehr als beim Anblick der Schlange.

2. Kapitel

Das Mädchen war Lizard so nah! Wenn sie ihre Hand ausgestreckt hätte, hätte sie sie berühren können. Und dennoch hatte Lizard selbst jetzt noch Mühe, die andere im grünen Zwielicht des Waldes zu erkennen. Obwohl sie wie alle Menschen die Schuluniform trug – eine kurze beige Hose, ein weißes T-Shirt und Ledersandalen. Aber ihre nackten Arme und Beine verschmolzen mit der dunklen Baumrinde, die helle Kleidung wirkte wie Sonnenflecken.

„Vor mir musst du auch keine Angst haben.“ Das Mädchen grinste. Ihr war offensichtlich nicht entgangen, dass Lizard zusammengezuckt war. „Ich bin Katókwe. Und das ist Corazón, mein Begleittier.“

Sie streckte elegant die Hand über den Kopf, fast wie eine Tänzerin. Die Schlange entrollte sich von ihrem Zweig und schlang sich um Katókwes Handgelenk. Ihr schuppiger grüner Leib glänzte, es sah aus, als trüge Katókwe ein kostbares Armband.

„Ich weiß, wer du bist“, erwiderte Lizard. „Wir haben uns kennengelernt, als ich angekommen bin.“

Außerdem kannte jeder im Internat Katókwe. Sie war in der Abschlussklasse und nahm bereits an Auslandseinsätzen teil, genau wie Taiyo. Und sie war eine begnadete Späherin, das hatte Lizard schon mehrmals gehört.

Hier auf der Insel hatte Lizard Katókwe nur ein einziges Mal gesehen. Lizards Mitschülerin Asentasana, eine Giraffe, hatte Lizard in der Mensa fast andächtig auf sie aufmerksam gemacht. Und Lizard hatte gehofft, dass Katókwe zu ihr rüberkommen würde, immerhin waren sie die einzigen Menschen im Raum. Aber die hatte sie gar nicht beachtet.

Warum hatte sie sie jetzt aufgesucht? Oder war ihre Begegnung nur zufällig? Ob Katókwe sich überhaupt noch an ihren Namen erinnerte?

„Ich heiße Lizard“, sagte sie vorsichtshalber.

Eigentlich war ihr Name Alizandra, aber auch in Detroit hatte sie niemand so genannt. Den Namen Lizard hatte sie sich ausgesucht, nachdem sie in der ersten Klasse im Fernsehen eine Doku über Eidechsen gesehen hatte. Die Tiere faszinierten sie. Sie waren schnell, konnten super klettern, versteckten sich in den kleinsten Ritzen und wenn sie in Gefahr waren, warfen sie einfach ihren Schwanz ab.

„Weiß ich auch“, sagte Katókwe. Ihre glänzenden dicken Haare waren zu schmalen Cornrows geflochten. Oben auf dem Kopf hatte Katókwe die Zöpfe zu einem dicken Dutt geschlungen. Es sah cool aus.

Lizard fuhr sich unbehaglich durch ihre eigenen grün gefärbten Haare. Eigentlich war nur noch der untere Teil grün, der Ansatz war in den letzten Wochen braun nachgewachsen und Lizard würde ihn nicht nachfärben. Womit auch?

„Deine Aktion vorhin war gar nicht so schlecht“, sagte Katókwe.

„Welche Aktion?“, fragte Lizard.

„Na, der Sprung, um das Hörnchen zu fangen. Du hättest es fast erwischt.“

„Das hast du gesehen?“ Lizard spürte, wie sie knallrot wurde. Passte bestimmt super zu den grünen Haaren.

Wie lange Katókwe sie wohl schon beobachtete? Wenn sie den Sprung gesehen hatte, dann war ihr auch nicht entgangen, wie Lizard vergeblich nach dem Kolibri geschnappt hatte. Ihr Gesicht wurde noch heißer. Es war unfassbar, dass sie Katókwe nicht bemerkt hatte. Aber die trug ihren Ruf als Meisterspäherin wohl nicht umsonst.

„Was wolltest du mit dem armen Ding machen?“, fragte Katókwe. „Schönhörnchenbraten?“

„Quatsch. Wir sollen als Hausaufgabe ein Tier fangen und es morgen mit in den Unterricht bringen.“ Lizard zog eine Grimasse. „Das kann ich jetzt wohl vergessen.“

„Wer hat euch das aufgegeben?“, fragte Katókwe.

„Mrs Pagan.“

Katókwe zog die Mundwinkel nach unten. „Ich glaub, da hast du was falsch verstanden.“

„Wie meinst du das?“

„Das hier ist keine Safari, das sind die geheimen Inseln“, sagte Katókwe. „Hier werden keine Tiere gefangen.“

„Natürlich geht es nicht um Auserwählte“, erklärte Lizard.

„Normale Tiere und Menschen sind nicht weniger wert als Auserwählte.“ Bei dem Wort normal malte Katókwe Anführungszeichen in die Luft. „Stell dir doch mal vor, was für ein Schock es für das Hörnchen gewesen wäre, wenn du es im Käfig in die Schule geschleppt hättest. Voll der Horror.“

„Das ist aber die Hausaufgabe“, verteidigte sich Lizard. „Ich wollte es auch nur kurz allen zeigen. Danach hätte ich es wieder freigelassen.“

Katókwe zog ihre langen Beine an und hockte sich im Schneidersitz auf den Ast. „Bei der Übung ging es darum, das Anschleichen zu üben. Und um den Überraschungsangriff. Kannst du mir glauben.“

Lizard dachte daran, mit welcher Hingabe sie den Käfig gebastelt hatte. Sie kam sich so was von bescheuert vor.

Corazón entrollte sich von Katókwes Handgelenk, kroch über ihren rechten Arm nach oben und schlang sich um Katókwes Hals.

„Wer ist dein Begleittier?“, zischelte die Schlange.

„Ich hab noch keins“, sagte Lizard.

Eigentlich war ein Makakenaffe für sie vorgesehen gewesen, aber der hatte sich die Pfote verletzt und lag nun schon seit Wochen auf der Krankenstation. Mrs Moa hatte Lizard versprochen, dass sie bald einen anderen Begleiter bekommen würde, aber bisher war nichts passiert. Vielleicht hatte die Direktorin die Sache vergessen.

„Das ist nicht in Ordnung.“ Die gespaltene Zunge schoss aus Corazóns Maul und verschwand wieder. „Du brauchst ein Begleittier, um dich hier zurechtzufinden.“

Lizard zuckte mit den Schultern. „Wenn es stimmt, was ihr sagt“, wechselte sie das Thema, „wie soll Mrs Pagan denn dann wissen, dass wir die Hausaufgabe auch wirklich erledigt haben? Ich meine, wenn niemand seine Beute mitbringt?“

„Mrs Pagan vertraut ihren Schülern“, sagte Katókwe. „Außerdem ist sie garantiert im Wald unterwegs und macht Stichproben.“

Lizard guckte sich unwillkürlich um. War ihre Lehrerin etwa ebenfalls in der Nähe und beobachtete sie?

Katókwe lachte schallend auf. „Vergiss es! Die könnte neben dir sitzen und du würdest sie nicht sehen. Mrs Pagan ist ein Vollprofi.“

Im Gegensatz zu dir, hieß das ja wohl.

Corazón hob den schmalen Kopf und blickte in die niedrig stehende Sonne. „Wir müssen los, Katókwe.“

„Okay“, sagte Katókwe. „Also, ich bin hier, um dich einzuladen“, wandte sie sich dann an Lizard.

„Du willst mich einladen? Wozu?“

„Wir feiern übermorgen ein kleines Fest am Strand. Drüben auf der vierten Insel, in der Bucht bei den Türmen. Die Band spielt und wir chillen. Taiyo hat gesagt, dass ich dir Bescheid geben soll.“

Taiyo. Der Name löste eine Explosion in Lizards Brust aus. Ihr Herz begann laut zu hämmern. Hoffentlich hörten Katókwe und Corazón das nicht.

„Er hat sich so lange nicht gemeldet“, sagte Lizard und bereute die Worte sofort. Wie hörte sich das denn an? Als ob sie die ganze Zeit auf Taiyo gewartet hätte – was sie ja auch wirklich getan hatte.

„Er war unterwegs“, sagte Katókwe. „Direkt nachdem er dich hierhergebracht hat, musste er wieder los.“

„Wo war er denn?“, fragte Lizard.

Katókwe ignorierte die Frage. „Du weißt jetzt Bescheid. Bis dann. Natürlich nur, wenn du Lust hast.“

„Um wie viel Uhr soll ich da sein?“, fragte Lizard.

Sie bekam jedoch keine Antwort. Der Ast, auf dem Katókwe gerade noch gesessen hatte, war leer. Eine Liane, die von einer Baumkrone herunterhing, schwang hin und her. Katókwe war verschwunden.

ÜbermorgeninderBuchtbeidenTürmen. Das konnte alles bedeuten. Der Tag war ein Samstag, da hatte sie keinen Unterricht. Vielleicht begann das Fest schon am Vormittag. Oder erst am Nachmittag oder Abend.

Wenn Lizard mehrere Stunden zu früh aufkreuzte, wäre es irgendwie peinlich. Und wenn sie erst kam, nachdem alles vorbei war, wäre es eine Katastrophe. Sie wollte Taiyo unbedingt wiedersehen.

Lizard fragte sich, wer sonst noch alles eingeladen war. Und was das für eine Band war, von der Katókwe gesprochen hatte.

„Wie soll ich überhaupt da rüberkommen?“, murmelte Lizard.

Sie würde morgen Mrs Pagan fragen, vielleicht brauchte man ja auch eine Erlaubnis, um die Insel verlassen zu können. Hoffentlich machte ihre Klassenlehrerin Lizard keinen Strich durch die Rechnung, weil sie ihre Hausaufgabe nicht geschafft hatte. Aber jetzt war es wirklich zu spät dafür. Der Himmel über den Baumkronen hatte sich in einem leuchtenden Pink verfärbt, die Sonne ging unter. Lizard musste nach Hause. Im Dunkeln würde sie den Weg von hier zum Baumhaus nicht finden. Und im Wald zu übernachten, war keine gute Idee.

3. Kapitel

Die Schule der Späher befand sich in einem großen Baumhaus, das im Blättergewirr eines Gelben Merantibaums versteckt war. Es gab vier Klassenzimmer, deren Böden mit weichem Moos und Gras bedeckt waren. Die Äste und Zweige des Baumes ragten quer durch die Räume, sie dienten als Sitzgelegenheiten für die kleineren Tiere.

Lizard war ein bisschen früher gekommen, weil sie noch vor Unterrichtsbeginn mit ihrer Lehrerin reden wollte. Als sie das Klassenzimmer betrat, kam auch die Wildkatze gerade an.

Mit einem eleganten Satz sprang sie auf einen toten Ast und blickte von oben auf Lizard herunter.

„Guten Morgen, meine Liebe“, maunzte Mrs Pagan. „Alles klar bei dir?“

„Alles bestens“, sagte Lizard. Dann räusperte sie sich. „Obwohl, nee, ich hab meine Hausaufgaben nicht gemacht. Ich hab’s versucht, aber es hat nicht geklappt.“

Mrs Pagan machte einen Buckel. „Schönhörnchen sind schwer zu fangen. Du hättest dir ein einfacheres Wesen aussuchen sollen. Eine Heuschrecke. Oder einen Schmetterling. Obwohl die auch nicht zu unterschätzen sind.“

Lizard starrte ihre Lehrerin mit offenem Mund an. Also hatte Katókwe recht gehabt, Mrs Pagan hatte sie gestern Nachmittag wirklich beobachtet! Lizard fragte sich, wer sonst noch alles im Wald gewesen war und ihr bei ihren lächerlichen Bemühungen zugesehen hatte. Die ganze Klasse?

Ihre Mitschüler trudelten gerade nach und nach ein, sie schnatterten, blökten, zwitscherten und bellten munter durcheinander. Keiner von ihnen beachtete Lizard.

Am Pirschkundeunterricht bei Mrs Pagan nahm nicht die gesamte Klasse teil. Für die afrikanische Riesenschnecke Tanisha, die Steinhummel Bombus oder Lizards Mitbewohnerin Chhhr wäre es unmöglich gewesen, sich an andere Wesen anzuschleichen. Diese Tiere hatten deshalb in der ersten Stunde Geschichtsunterricht. Also, mit Ausnahme von Chhhr, die zu Hause war und schlief.

„Du hast deine Sache gut gemacht“, fuhr Mrs Pagan fort, während sie ihre rechte Vorderpfote leckte. Es war ein klarer Vorteil der Gedankensprache, dass man sich problemlos putzen konnte, während man sich gleichzeitig unterhielt. Die Worte flogen schließlich unmittelbar von einem Kopf zum anderen. „Der Sprung von Baum zu Baum war beachtlich für einen Menschen, an dir ist eine Katze verloren gegangen.“

Lizard freute sich über das Lob. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass da noch was anderes kam. Und es trog sie nicht.

Die Katze ließ ihre Pfote sinken und musterte sie mit ernstem Blick. „Es wäre allerdings noch besser, wenn du deinen Ehrgeiz ein bisschen zügeln könntest.“

„Was?“ Lizard lachte überrascht auf. In ihrer alten Schule hatten sich die Lehrerinnen darüber beschwert, dass Lizard zu wenig Ehrgeiz an den Tag legte. Obwohl sie auch damals schon eine gute Schülerin gewesen war. Mit ein bisschen mehr Einsatz könntestdusovielmehrerreichen, hatte ihr früherer Klassenlehrer immer gesagt.

„Du willst die Beste sein, das ist gut.“ Mrs Pagan fixierte Lizard immer noch. „Aber so wird das nichts.“

„Warum denn nicht?“, fragte Lizard.

„Weil man nur in der Gemeinschaft wirklich stark ist.“ Mrs Pagan nahm sich nun ihre linke Vorderpfote vor. „Du brauchst die anderen und die anderen brauchen dich. Das ist die wichtigste und schwerste Lektion, die Wesen wie du lernen müssen. Das Problem ist mir übrigens vertraut. Wildkatzen sind geborene Einzelkämpferinnen.“

„Es liegt nicht nur an mir“, sagte Lizard. „Die anderen kennen sich schon so lange und ich bin neu. Und es gibt auch keine anderen Menschen hier auf der Insel.“ Einmal abgesehen von Katókwe, die sich nur sporadisch blicken ließ.

„Vergiss deine Artgenossen. Du bist ein Tier, wie alle anderen auch. Lerne deine Klassenkameraden kennen. Such Verbündete und Freunde.“ Die Katzenaugen waren nun wieder fest auf Lizard gerichtet.

Sie nickte ratlos. „Ich versuch’s.“

„Gut“, sagte Mrs Pagan. „Ich wollte auch noch etwas anderes mit dir besprechen.“ Sie strich sich mit der nassen Vorderpfote über die Ohren. „Heute beginnt dein Sprachunterricht. Ab sofort hast du zwei Wochen lang jeden Nachmittag zwei Einzelstunden bei unserem Sprachlehrer.“

„Mr Ezekweseli“, sagte Lizard.

Der Marabu unterrichtete das ganze Internat in Fremdsprachen, sowohl die Tag- als auch die Nachtschüler. Dadurch war er rund um die Uhr im Einsatz, keiner wusste, wann er schlief.

Lizard hatte den Sprachlehrer nach ihrer Ankunft auf den Inseln kurz getroffen, aber noch keinen Unterricht bei ihm gehabt. Jetzt sollte sie also eine Art Intensivkurs bei ihm bekommen. Nach allem, was sie über den Marabu gehört hatte, war das ein zweifelhaftes Vergnügen. Es gab keinen Lehrer im Internat der bösen Tiere, der unbeliebter war als Mr Ezekweseli. Er galt als streng und schrecklich langweilig.

Aber er war genial – auch das hatte Lizard gehört. Es gab kaum eine Tier- oder Menschensprache der Welt, die der Marabu nicht zumindest ansatzweise beherrschte.

„Der Sprachunterricht findet in der roten Grotte statt. Kennst du die?“

„Nein“, sagte Lizard.

„Dann werde ich dafür sorgen, dass du in der Mensa abgeholt wirst“, sagte Mrs Pagan. „Du kannst jetzt an deinen Platz gehen.“

„Ich hab noch eine Frage“, sagte Lizard. „Ich bin morgen zu einem Fest auf der vierten Insel eingeladen. Darf ich da hin?“

„Natürlich“, schnurrte Mrs Pagan. „Du sollst dich ja hier einleben. Du weißt sicher, wo die Ruderboote liegen. Ich nehme an, dass du damit umgehen kannst?“

„Klar.“ Lizard verschwieg, dass sie nicht schwimmen konnte. Sie würde schon nicht ins Wasser fallen.

„Wann findet das Fest statt? Nach Sonnenuntergang?“

„Ich glaube schon.“

„Du bist auf jeden Fall um zehn Uhr wieder in deiner Hütte. Ich werde den Wächtern Bescheid geben, dass sie dich begleiten.“ Die Wächter – das wusste Lizard – waren Haie, die die Insel tagsüber vor unbefugten Eindringlingen bewahrten. Nachts wurden sie von Leuchtquallen unterstützt und von Eulen, die auf den Inseln Patrouille flogen.

„Ich kann die Sterne noch nicht lesen“, sagte sie. „Und ich habe keine Uhr.“

„Dann musst du jemanden fragen, der dir hilft. Kann ich mich darauf verlassen?“

Lizard nickte.

Die Mensa war in einem zweistöckigen Gebäude untergebracht. Das Untergeschoss war offen, hier lagen Haufen Kartoffeln, Maiskolben, Getreide und Raufen voller Heu bereit. Lizard bekam ihre Menschenmahlzeit an einer Essensausgabe im ersten Stock. Heute gab es Gemüseeintopf.

Inzwischen hatte sie ihr Essen beendet und wartete auf das Wesen, das sie zur roten Grotte bringen sollte. Aber es kam niemand. Ob Mrs Pagan vergessen hatte, jemandem Bescheid zu geben?

Lizard überlegte gerade, ob sie den Weg auf eigene Faust suchen sollte, als ein großer weißer Vogel mit einem gelben Federkamm in den Raum flatterte. Er landete schwungvoll vor Lizard auf dem Tisch, rutschte ein ganzes Stück über die Tischplatte und plumpste fast in ihren Schoß.

„Hallihallo!“, krächzte er fröhlich.

„Vernon!“, rief Lizard erfreut. „Was machst du denn hier?“

„Ich soll dich zum Sprachunterricht beim Meister bringen“, krächzte der Kakadu. „Ich bin leider ein bisschen spät dran. Hab nach dem Mittagessen ein kleines Schläfchen gemacht. Polinesio wollte mich eigentlich wecken, aber das ist ihm leider entglitten. Wir sollten uns also ein bisschen beeilen. Mr Ezekweseli schätzt es gar nicht, wenn man ihn warten lässt. Komm schnell, meine Liebe!“

Bevor Lizard reagieren konnte, befand er sich wieder in der Luft und flog zum Ausgang der Mensa. Sie hastete ihm nach.

Lizard hatte Vernon Y. Sommerfield in Detroit kennengelernt, als sie in der Burg des Tigers Raj gelebt hatte. Der Kakadu hatte ihr die Gedankensprache beigebracht und am Ende war er gemeinsam mit Lizard aus der Burg geflohen und an Bord der U 111 zu den geheimen Inseln gefahren.

Jetzt lebte Vernon bei seinem Freund Polinesio, einem Brillenkakadu, auf der Insel der Heiler. Lizard hätte gerne ein bisschen mit ihm geredet, sie hatten sich seit ihrer Ankunft auf den Inseln nicht mehr gesehen, aber Vernon war wirklich in Eile.

Er flog so schnell, dass Lizard Mühe hatte, ihm zu folgen. Erst ging es ein Stück durch den Wald, dann die Küste entlang.

In den vergangenen drei Wochen hatte Lizard viel Zeit damit verbracht, ihre Umgebung zu erkunden. Sie war kreuz und quer über die fünfte Insel gewandert. Hinter dem Regenwald, in dem sie wohnte, lag ein riesiges Sumpfgebiet und dahinter begann eine Wüste, die sie allerdings noch nicht betreten hatte.

Lizards Orientierungsvermögen war eigentlich hervorragend, aber auf der Insel der Späher verirrte sie sich ständig. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass sich die Landschaft veränderte, sobald sie ihr den Rücken zudrehte.

Der Kakadu und Lizard hatten jetzt die weißen Kalkfelsen an der schroffen Nordküste der Insel erreicht. Vernon leitete sie durch ein Gewirr aus Felsbrocken und Steinen und steuerte dann auf eine Klippe zu, hinter der es steil nach unten ging.

„Voilà!“ Der Kakadu ließ sich auf der Felskante nieder, fächerte die gelbe Federhaube auf und blinzelte in die Sonne. Er war ziemlich außer Puste, genau wie Lizard. „Wir sind gar nicht mal so schlecht in der Zeit.“

Lizard starrte auf die Strickleiter, die neben ihm in die Tiefe führte. „Da soll ich runtersteigen?“

Zwanzig Meter unter ihr tobte und schäumte das Meer. Trotz der beträchtlichen Entfernung war das Brausen auch hier oben deutlich zu hören. Es klang ungeheuer wütend.

Die Strickleiter wirkte uralt und ziemlich morsch. Die Seile waren bestimmt seit einer Ewigkeit nicht mehr erneuert worden.

„Du musst nicht bis ganz nach unten.“ Vernon nickte ihr aufmunternd zu. „Nur bis zur Hälfte.“

Lizard trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Gab es wirklich keinen anderen Weg zu Mr Ezekweseli?