Stadt der Verschwundenen - James Marrison - E-Book

Stadt der Verschwundenen E-Book

James Marrison

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Beschreibung

Würdest du jemanden retten, wenn du selbst dadurch in Gefahr gerätst?

Buenos Aires 1981. Der junge Guillermo Downes eilt einer jungen Frau zu Hilfe, die auf der Flucht vor der Militärpolizei ist - vergeblich. Ihr ungewisses Schicksal lässt ihn nicht los, und gemeinsam mit ihrer Schwester Pilar sucht er fieberhaft nach der Verschwundenen. Ihre Nachforschungen führen sie in eine Stadt, die hinter der friedlichen Fassade voller Gewalt ist - und zu Menschen, die das nicht länger hinnehmen wollen. Doch die Militärjunta hat die beiden bereits im Visier, und es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit ...

Das Prequel zur Krimireihe um Inspector Guillermo Downes. Erfahren Sie in dieser packenden und bewegenden Geschichte, warum der Ermittler als junger Mann von Argentinien in die Cotswolds fliehen musste.

Enthält eine Leseprobe aus James Marrisons "Ein finsterer Ort"

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



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Seitenzahl: 280

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

Leseprobe - Ein finsterer Ort

Über dieses Buch

Buenos Aires 1981. Der junge Guillermo Downes eilt einer jungen Frau zu Hilfe, die auf der Flucht vor der Militärpolizei ist – vergeblich. Ihr ungewisses Schicksal lässt ihn nicht los, und gemeinsam mit ihrer Schwester Pilar sucht er fieberhaft nach der Verschwundenen. Ihre Nachforschungen führen sie in eine Stadt, die hinter der friedlichen Fassade voller Gewalt ist – und zu Menschen, die das nicht länger hinnehmen wollen. Doch die Militärjunta hat die beiden bereits im Visier, und es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit …

Über den Autor

James Marrison absolvierte ein Geschichtsstudium an der Universität in Edinburgh, wo er sich vor allem mit den Ursprüngen des FBI befasste. 1996 zog er dann nach Buenos Aires, wo er bis heute lebt. Er arbeitet dort als freier Journalist für verschiedene Zeitungen und Magazine in Argentinien und England.

James Marrison

Stadt der Verschwundenen

Aus dem Englischen von Arno Hoven

beTHRILLED

Deutsche Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

© 2016 by James Marrison

Titel der englischen Originalausgabe: »Habeas Corpus«

Originalverlag: Penguin Books Ltd., London

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Ralf Reiter

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Chrissie Salz unter Verwendung von Motiven © iStock.com//Antagain, © iStock.com/ zhudifeng, © iStock.com/ francescoch, © shutterstock/Liderina, © shutterstock/Kichigin

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-4384-7

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Ein finsterer Ort« von James Marrison.

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2016 by James Marrison

Titel der englischen Originalausgabe: »The Sleepless Ones«

Originalverlag: Michael Joseph, an imprint of Penguin Books Ltd., London

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Übersetzung: Anke Kreutzer

Redaktion: Anita Hirtreiter, München

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © Trevillion Images/Roy Bishop, © shutterstock/STILLFX

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Als ich von der Arbeit nach Hause kam, wartete auf dem Tisch des Vorbaus ein Päckchen von meinem Bruder Carlos auf mich. Als ich es verschwommen durch das Fenster erblickte, erinnerte ich mich urplötzlich an den Tag, an dem ich dieses Haus zum ersten Mal gesehen hatte. Seit mehr als zwanzig Jahren schickt Carlos mir Päckchen, und natürlich bringen sie mich immer dazu, dass ich an meine Heimat denke. Doch diesmal war die Erinnerung klarer. Vielleicht lag das ja an der Abendsonne, deren leuchtende Strahlen von den gelben Cotswolds-Dachziegeln reflektiert wurden, und an der Tatsache, dass der Regen soeben aufgehört hatte.

Bei jenem ersten Mal, als das Taxi mich vor dem Tor abgesetzt hatte, war nach einem kurzen und sehr plötzlichen Regenfall ebenfalls heller Sonnenschein gewesen. Der Kies hatte in der Sonne geglänzt. Die Vorhänge waren alle zugezogen gewesen. Und nur ein paar Tage später war das erste Päckchen von Carlos eingetroffen. Damals war das Haus leer und dunkel und in meinen Augen ein klein wenig imposant gewesen. Ich hatte nicht annähernd ein so stattliches Anwesen erwartet, obgleich mein Vater mir etliche Jahre zuvor Bilder aus seiner Kindheit gezeigt hatte, auf denen zu erkennen war, wie er hinter dem Haus auf einer ausladenden, ebenen Rasenfläche gespielt hatte.

Ich schloss meine Faust um die Schlüssel, als ich ins Haus trat. Ich schaltete alle Lichter ein und ging auf die Küche zu. In Gedanken kehrte ich zurück zu jenem ersten Sommer, als es in dem Haus muffig gewesen war; es hatte unangenehm nach getrocknetem Katzenfutter und Feuchtigkeit gerochen, die vom Vorbau in die Diele drang.

Jene ersten Tage hatte ich damit zugebracht, sämtliche Zimmer auszuräumen. Ich bewahrte auf, was aufbewahrt werden musste, und schleppte das hinaus, was in die Container gehörte. Den gesamten persönlichen Besitz meiner Großmutter – ihren Schmuck und ihre Fotoalben, dazu ihre jahrelange Korrespondenz mit meinem Vater in Buenos Aires – schloss ich in einer sperrigen Kommode ganz oben im Haus ein. Doch bei dem Rest ihrer Habseligkeiten war ich konsequent und ziemlich rücksichtslos.

Es war eine Zeit, in der ich mich sehr stark bemüht hatte, an absolut überhaupt nichts zu denken. Meinen Geist hatte ich in einen Zustand der barmherzigen Leere fallen lassen. In dem Haus, das fest und beständig um mich herum stand, hatte ich eine Art von innerem Frieden gefunden. Die lange, hässliche Schnittwunde oben auf meinem Kopf war allmählich vernarbt. Und drei Wochen später - da ich absolut nicht gewollt hatte, dass meine Verletzung irgendwo dokumentiert wurde – hatte ich die Fäden, die Carlos mir verpasst hatte, selbst gezogen.

Das Päckchen ließ ich auf dem Tisch liegen und schlich dann durch die Küchentür nach draußen, die ich sehr leise hinter mir schloss. Ein Getränk nahm ich mit mir. Ich konnte spüren, wie die Vergangenheit nach mir griff, als ich einen kleinen Schluck nahm, und dachte an jenen Sommer vor all den vielen Jahren – damals zu Hause in Buenos Aires. Es ist stets die Hitze, an die ich mich zuerst erinnere, wenn ich daran denke. An Wasser, das von ratternden Klimaanlagen auf die Bürgersteige hinuntertropft. An die Sonne, die auf den brüchigen Asphalt hinabbrennt.

Ich atmete durch, fühlte die stechende, jedoch vertraute Leere in meiner Magengrube, als ich mich an Pilar erinnerte. Welchen Sinn hatte es, an sie zu denken? Es führte stets zu nichts. Die verpasste Chance, das vollkommen andere Leben, das sich in jenem Moment vor uns ausgebreitet hatte, bevor das Wir verschwunden war.

Ich stellte die leere Flasche vor mir hin, drehte sie in meinen Händen und schaute mich um. Der Dezember ist immer eine unruhige Zeit in Buenos Aires. Insbesondere jene zwei Wochen, bevor alle die Stadt verlassen und Menschenmassen an die Küste fliehen. Es ist eine Zeit, in der die Gemüter sich erhitzen und die Hupen all der Autos, die sich in dem beständigen einschüchternden Brummen der Stadt bemerkbar machen, unerträglich laut scheinen. Es ist der Monat, in dem alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Die kriechende, nicht enden wollende Hitze kann in jedem Moment genau dieses kleine bisschen zu viel werden. Zu viele Fahrzeuge. Zu viele Leute. Zu viel Beton.

Ich bemerke noch nicht einmal mehr die Ruhe hier draußen. Als ich jedoch das erste Mal hierher kam, war ich so sehr an den anhaltenden, stetigen, dröhnenden Lärm von Buenos Aires gewöhnt, dass die Stille des Landes irgendwie bedrückend für mich war. Es hatte lange gedauert, bis ich mich daran gewöhnte. Und im Augenblick, mehr als zwanzig Jahre später, fühlt sich plötzlich alles so an, als ob seitdem kein einziger Tag vergangen ist.

Buenos Aires, 1981

1. Kapitel

Es war die Hitze, die mich dazu trieb, aus dem Haus hinaus und in die kühle, gepolsterte Dunkelheit eines Kinos an der Calle Lavalle im Stadtzentrum zu huschen. Den ganzen Tag über war der Strom in meinem Wohnviertel ausgefallen, und so schwang ich mich auf mein altes Motorrad, brach dann von unserem Haus in Belgrano auf, an den Steinskulpturen im Botanischen Garten des Stadtteils Palermo vorbei, rollte die Avenida del Libertador entlang und fuhr schließlich geradewegs ins Zentrum der Stadt. Von dort schwirrte ich zwischen den Bussen und Taxen umher und schlängelte mich durch die Menschenmassen, die aus allen Richtungen in die Innenstadt hineinströmten, bevor ich unter dem hohen Schatten des Obelisken von Buenos Aires hindurchschlüpfte. Es war Donnerstagabend, und alle Kinos und Theater entlang der Straße waren brechend voll. Draußen saßen massenhaft Leute in gebeugter Haltung rund um die Tische in den Eck-Cafés oder ließen sich durch die Straßen treiben, als wären sie in einem Zustand verwirrter Benommenheit.

Jeder, der draußen war, machte einen feuchten, ausgelaugten Eindruck, und nach dem Film schlenderte ich eine Weile umher. Dann ging ich in ein Café und bestellte mir eine Coca-Cola. Es war der Kellner, der als Erster die Soldaten und den Ford Falcon erblickte. Er steckte die Rechnung unter einen Untersetzer und starrte nach draußen, plötzlich sehr still und angespannt.

Automatisch sog ich die Luft ein und prüfte nach, ob mein Ausweis noch in der Jeanstasche war. Dabei versuchte ich, nicht auf das makellos aussehende Auto zu starren, das am Ende der Straße stand. Ein mürrischer junger Mann, der neben mir an einem anderen Tisch saß und ungefähr in meinem Alter war, schaute kurz auf den Wagen, murmelte leise etwas vor sich hin, bezahlte seine Rechnung und machte sich davon. Ich verweilte ein wenig länger, während sich draußen die Menschenmassen in beide Richtungen bewegten. Die Leute redeten, lachten, gafften kurz in Fenster hinein und schlüpften in die kühlen marmornen Innenräume von kleinen Einkaufspassagen.

Ich starrte so lange auf den Ford Falcon, wie ich es zu wagen glaubte. Der Fahrer ließ das Fenster ein wenig herunter und blies Rauch in die Luft. Er öffnete die Tür, änderte dann aber seine Meinung und schloss sie wieder, bevor er seinen Hinterkopf an die Kopfstütze lehnte. Der Kellner redete nun mit einem seiner Kollegen und wies auf die andere Straßenseite. Ich reckte den Kopf, um über die Tische hinwegsehen zu können, und schaute in die angezeigte Richtung. Draußen vor einem Restaurant hatte ein einzelner Militärlastwagen feinsäuberlich geparkt, sodass er den Fußgängerweg auf der anderen Seite blockierte. Ein zum Wehrdienst verpflichteter Soldat, der mitten auf der Straße stand, winkte einen Transporter durch, während seine Kameraden auf zwei schmalen Bänken auf der Ladefläche saßen, warteten und miteinander plauderten.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war ein weiteres Kino, und eine kleine Menschenmenge begann, die Stufen hinunterzuströmen und sich durch die Glastüren zu drängen. Einige versammelten sich unter den grünen Markisen der Restaurants und Bars und gingen dort hinein, während andere weiter die Calle Florida entlangliefen und schnell verschwanden.

Ich bezahlte meine Rechnung und ging, bewegte mich durch die widerliche Hitze und die gezackten Schatten der Geschäfte. Ich war mir nicht sicher, ob ich jetzt schon nach Hause gehen wollte, doch ich wollte unbedingt von dieser Straße wegkommen. Ich schritt an den Kiosken vorbei, die Zigaretten und Bier verkauften, und fühlte bereits, wie die gewaltige Hitze das Zentrum in eine kochende, brodelnde Masse verwandelte. Unsere Füße bewegten sich beinahe im Einklang. Die Hitze setzte den Staub in der Luft in Bewegung und brachte die Zeitungsseiten sowie den Abfall in den Gossen zum Rascheln. Zusammen bewegten wir uns um goldfarben angestrichene Laternenpfähle und die grünen Wedel von Pflanzen in Betonkästen herum.

Mit der Hand wischte ich mir über den Nacken. Ich näherte mich dem Falcon. Trotz der Geräusche von all den Leuten schien das ständige Dröhnen des Motors immer lauter zu werden und sich gebieterisch über den Lärm zu erheben.

Die grüne, polierte Motorhaube glänzte und reflektierte die roten und gelben Anschlagstafeln oben, während das Fahrgestell sich ganz leicht schüttelte und ein flirrendes Lüftchen von ölbeschmutzter Hitze nach oben schickte. Der Falcon war makellos. Seine Stoßstangen waren so poliert, dass sie einen militärischen Glanz ausstrahlten. Mein eigenes ein wenig deformiertes und besorgt wirkendes Spiegelbild wurde mir entgegengeworfen, als ich näherkam und mit anderen an der Ampel wartete. Für einige Augenblicke standen wir alle dicht zusammengedrängt um die langen schnittigen Konturen des Wagens. Der Fahrer füllte seine Kalebasse mit Mate aus einer Thermosflasche und rührte die grünen Teeblätter mit einer Bombilla um, dem metallenen Trinkröhrchen, das zum Trinken dieses Tees benutzt wird. Er beäugte uns mit ungefähr dem gleichen Interesse, wie ein Bauer sich das Vieh anschaut. Die Ampel wechselte von Gelb auf Grün, und geschlossen eilten wir über die Straße und ließen ihn hinter uns.

Ich seufzte erleichtert, sobald ich vorbei war, und begann, schneller zu werden. Doch beinahe postwendend blieb ein kleiner, nervös aussehender Mann vor mir auf der Stelle stehen. Ich wartete ebenfalls und schaute dann wider besseres Wissen zurück. Der Fahrer hatte sich in seinem Sitz gerade aufgerichtet.

Jemand rannte durch die Menge auf den Wagen zu. Er hielt an, schlug hart gegen die Scheibe und trat an eine Seite. Der Fahrer kletterte aus dem Auto. Die Soldatenstiefel unter der gebügelten Jeans seiner Zivilkleidung sahen absurd aus. Er stand einen Moment lang da, als wäre er benommen, und seine Gesichtsmuskeln zuckten in der Hitze. Dann streckte er die Hand in den Wagen. Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, holte er eine Schrotflinte heraus und reichte sie dem anderen Mann. Der nahm sie wortlos entgegen und ließ sie an seiner Seite herabbaumeln. Gemeinsam marschierten die zwei ab.

Instinktiv begann die Menschenmenge sich zu teilen. Die Leute zerstreuten sich über die Straße und verschwanden. Jene, die zuschauten, scharten sich unter den schweren Markisen der Geschäfte in Gruppen zusammen und unterhielten sich murmelnd miteinander, als die beiden Männer sich durch die Menge drängelten …

Ich beobachtete sie von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. Die Männer wurden schneller. Ihre Schatten stiegen an den verhängten Schaufenstern eines Blumengeschäfts auf und huschten fort, und innerhalb von Sekunden hatten sich ihnen zwei andere Männer angeschlossen.

Ihr befehlshabender Offizier, der ebenfalls in Zivilkleidung war, stand in der Mitte der Straße und wartete auf sie. Sein Haar war blond, und er zündete sich eine Zigarette an und rauchte sie, während er seinen Männern zuhörte. Dann warf er sie angewidert auf den Boden, als er vernahm, was sie ihm zu sagen hatten. Der Fahrer zuckte zusammen und schaute auf seine Stiefel. Der andere Mann zeigte kurz mit dem Kopf weiter die Straße hoch, und im nächsten Moment gingen alle fünf los. Gemeinsam bahnten sie sich einen Weg durch die Menge und agierten im Gleichtakt und mit gut eingeübten, fließenden Bewegungen.

Die Nachricht von ihrer Anwesenheit schien sich inzwischen überall verbreitet zu haben, und im Fahrwasser der fünf Männer wogte die Menge hin und her und zerstreute sich. Paare duckten sich in Türeingänge hinein und starrten die fünf mit offenem Mund an, während sie an ihnen vorbeikamen, wohingegen andere Leute aus den Fenstern von Cafés und Geschäften spähten.

Die Männer kamen schließlich langsam zum Stehen. Ich beobachtete sie weiter und war nicht in der Lage, mich zu entfernen. Eine Frau mittleren Alters, die geräuschvoll ein Bonbon lutschte, war auf einmal neben mir, stieß mich leicht am Arm an und streckte den Finger aus. Ja, sie hatte recht. Die fünf waren draußen vor dem Kino stehen geblieben und drängten sich vor einer Kasse, einer Kabine mit goldfarbenem Gitter, die in die Straße hineinragte. Ich holte tief Luft und fragte mich, was sie dort wohl wollten. Der blonde Mann griff in seine Tasche und schob etwas unter dem Metallgitter durch, schnippte mit den Fingern und nahm es dann zurück. Der Kassierer schüttelte den Kopf, danach hob er abwehrend die Hand und bat sie zu warten. Er verschwand zur Hintertür hinaus und kehrte ein paar Augenblicke später mit einem der Platzanweiser zurück. Dieser führte die Männer durch die Glastüren, und sie verloren sich im Innern des Kinos.

Als die fünf verschwunden waren, schien die Menge tief Luft zu holen, während sie wartete. Der Platzanweiser kam zurück und stellte sich draußen vor dem Kino hin, und der Kassierer gesellte sich zu ihm. Von Zeit zu Zeit schauten die beiden sorgenvoll die Straße hinunter.

Der Kassierer wirkte schmächtig und verletzlich außerhalb seiner Kabine. Urplötzlich erstarrte er, runzelte die Stirn und trat einen Schritt nach vorn. Er kam zu einer Entscheidung und gestikulierte zur Straße hin. Der Platzanweiser blickte rasch auf, sagte etwas und packte ihn grob an der Schulter. Der Kassierer zuckte zusammen und nickte. Dann schaute er wieder hin. Diesmal war er sich sicher.

Sie sahen zu einem Mädchen. Die beiden standen nebeneinander und gafften die junge Frau an, als sie an ihnen vorbeischritt. Sie schlenderte die Straße entlang und trug eine kleine Handtasche. Dann umkurvte sie ein Paar, das sich stritt, und da sah ich zum ersten Mal ihr Gesicht. Ich holte tief Atem, als ich sie erblickte, und schaute sie mir genauer an, denn ich war mir nicht ganz sicher. Doch ich erkannte sie wieder. Oder zumindest glaubte ich das. Sie war in einem meiner Universitätskurse, allerdings hatte ich noch nie wirklich mit ihr gesprochen. War sie es tatsächlich? Ich richtete den Blick nach vorn. Nicht einmal ihren Namen kannte ich. Aber sie war es ganz bestimmt.

Der Kassierer drängte sich grob durch die Menschenmenge vorwärts und streckte erneut den Arm aus. Die junge Frau blieb stehen und spähte in ihre Tasche. Dann ging sie weiter. Cool, aber ein wenig steif sah sie in ihrem Sommerkleid aus. Die beiden Männer starrten sie an und sprachen jetzt eindringlich miteinander. Der Platzanweiser machte auf dem Absatz kehrt und marschierte geradewegs ins Kino zurück, während der andere Mann wartete, sich auf die Zehenspitzen stellte, um über die Köpfe der Menschenmenge hinwegspähen zu können, und ängstlich das Mädchen im Blick behielt. Sie schritt weiterhin auf den Ford Falcon und auf mich zu.

Der Platzanweiser kam mit zwei der Männer heraus und zeigte auf das Mädchen. Einer der beiden raste ins Kino zurück, während der andere geradewegs in Richtung Militärlastwagen lief. Ich duckte mich ein Stück weiter in den Eingang hinein, während die Frau neben mir gespannt hinauslugte. Wohin ging das Mädchen? Nach Hause vielleicht. Oder vielleicht irgendwohin zu einem Abendessen. Sie wollte womöglich mit Freundinnen ausgehen oder war aufgebrochen, um ihren Freund zu treffen.

Für einen Augenblick schloss ich die Augen. Wohin auch immer sie unterwegs war, sie würde ihr Ziel nicht erreichen. Ich versuchte, den Gedanken beiseitezuschieben. Es war sinnlos, über so etwas nachzudenken.

Eine Frau, die neben mir stand, nickte vor sich hin. Sie faltete ein Taschentuch ordentlich zusammen, legte es in ihre Handtasche und schloss sie mit einem lauten Schnappgeräusch. Danach schaute sie direkt zu dem Mädchen hin.

»Algo habra hecho«, sagte sie mit einem Gefühl zufriedener Endgültigkeit. Nun ja. Sie musste irgendetwas verbrochen haben.

Die Frau hatte ein Todesurteil geäußert, und wir beide wussten das. Es hing dort in der stickigen Luft, während von innen drin im Geschäft die Schaufensterpuppen auf uns hinausstarrten. Dieser kurze Satz erklärte alles und bedeutete nichts. Sie musste irgendetwas verbrochen haben. Es musste einen Grund geben, weshalb sie hinter ihr her waren, und das mit einer solchen Streitmacht. Oder vielleicht wollten sie bloß mit ihr reden. Meine Hände, die an den Seiten herabhingen, verkrampften sich. Als ich auf die Menschenmassen schaute, die das Mädchen anblickten, wusste ich mit absoluter Sicherheit, dass sie alle das Gleiche dachten. Jeder von ihnen hatte der jungen Frau bereits den Rücken zugekehrt.

Ich starrte nach vorn und trat einen weiteren Schritt nach draußen. In dem stark blendenden Licht der Straßenbeleuchtung musste ich blinzeln. Plötzlich war ich wutentbrannt und angewidert von diesem ganzen Menschenhaufen und von mir selbst. Ich schaute mich in der Menge um. Wir alle waren - ohne dass wir es überhaupt wussten – zu beinahe erwartungsvollen Zuschauern eines unmittelbar bevorstehenden Unglücks geworden. Weshalb hatte niemand die junge Frau gewarnt, dass sie jetzt sofort fliehen musste? Wir alle wussten doch, was sich gerade abspielte. Warum sagte ihr das keiner? Was stimmte mit uns allen nicht? Was war mit uns passiert in den vergangenen vier Jahren?

Ich bin mir nicht ganz sicher, was mich dazu brachte, aus dem Fenster jener Änderungsschneiderei hervorzukriechen, doch plötzlich konnte ich es nicht mehr länger ertragen, dort zu sein. Und anstatt die Calle Florida hinunterzumarschieren und zu meinem Motorrad zu gehen, stellte ich auf einmal fest, dass ich die Straße bereits überquert hatte. Die junge Frau verschwand in einer der kleinen Einkaufspassagen, die es in Abständen entlang der Straße gab, und innerhalb von Sekunden war ich ihr dort hinein gefolgt.

2. Kapitel

Die Einkaufsgalerie war beinahe menschenleer, schmutzig und wenig glanzvoll. Ich blickte hindurch zu einem Café und ging dann geradewegs nach oben. Es gab dort ein Antiquariat, das auch eine kleine Ausleihbibliothek hatte, die ihm angeschlossen und in einer hinteren Ecke versteckt war. Ich öffnete die Tür. Im Hintergrund erklang leise klassische Musik aus einem Radio. Das Mädchen war nach hinten verschwunden. Zögerlich ging ich zwischen den schmalen Metallregalen hindurch und blickte rasch zum Fenster hinaus.

Diese Männer mussten sich total geirrt haben. Als ich das Mädchen aus der Nähe sah, ergab die Sache für mich überhaupt keinen Sinn mehr. Dort war eine kleine Abteilung von Büchern in Englisch. Die junge Frau betrachtete ein altes Taschenbuch und runzelte die Stirn, als wäre sie verärgert über sich selbst, weil sie die Wörter nicht ganz verstehen konnte. Aus der Nähe betrachtet war sie hübscher, als ich anfangs gedacht hatte, mit einem elfenhaften Gesicht und sehr kurzem, glattem braunem Haar. Sie trug dunkles Augen-Make-up, was zu ihr passte. Im Profil wirkte ihr Gesicht offen und freundlich – selbst jetzt, wo sie konzentriert auf etwas schaute. Ihre Lippen hatte sie nach unten gezogen, während sie sich die Haare aus den Augen strich und eine Seite umblätterte. Dann bemerkte sie, dass ich sie anschaute, und drehte sich um.

»Oh, hallo«, sagte sie und ließ die Hand mit dem Buch an ihrer Seite herabhängen. »Ich kenne dich, nicht? Du sitzt in dem Kurs immer allein in einer Ecke, oder? Ich bin Soledad«, stellte sie sich vor und lächelte breit.

»Schau, Soledad«, sagte ich und blickte zum Fenster hinaus.

»Guillermo, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete ich überrascht. »Wie dem auch sei, schau … Soledad, hör zu, ich …«

»Geht es dir gut?«, fragte sie, schaute aufrichtig besorgt und hob eine Augenbraue. »Es ist die Hitze«, fuhr sie fort. »Mein Gott, wann wird es bloß mal regnen?«, merkte sie an und stellte das Buch ins Regal zurück. »Es ist unerträglich, was? In ein paar Wochen sind wir hier fort und an der Küste. Mein Gott, ich kann es kaum erwarten.« Sie nahm ein anderes Buch aus dem Regal und betrachtete es. »Ein wenig Ferienlektüre«, sagte sie und lächelte erneut. »Mein Englischlehrer meint, das ist die beste Methode.«

Ich versuchte, ihr Lächeln zu erwidern, stellte jedoch fest, dass ich es nicht ganz vermochte. »Hör mal, gibt es einen Weg hier heraus? Einen Hinterausgang oder so was? Hast du jemanden gesehen, als du hereingekommen bist? Kennst du dieses Gebäude überhaupt?«

Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht«, antwortete sie. »Wieso?«

»Nun, da hat es so eine Art Verwechslung gegeben. Weißt du, ich war …«

Hinter uns ging ratternd die Tür auf. Ich streckte die Hand aus und zeigte ihr an, dass sie sich nicht vom Fleck rühren sollte. Dann hastete ich rasch an ihr vorbei und spähte durch die Regale. Doch es war bloß ein weiterer Kunde.

»Dieser Kassierer vom Kino …«, sagte ich, als ich zu ihr zurückkam. »Er hat einen Fehler gemacht. Er hat dich mit jemand anderem verwechselt.«

»Was?« Sie lachte. »Was für ein Kassierer?«

Ich fuhr mir mit den Händen durch die Haare. »Da draußen sind militares. Hast du sie nicht gesehen? Ich glaube, sie sind hinter dir her.«

»Hinter mir?«

»Du warst doch zuerst in dem Kino. Du hast es vorzeitig verlassen und bist dann einkaufen gegangen. Das stimmt, oder?«

»Ja«, antwortete sie langsam.

»Gut«, sagte ich. »Nun, als du fortgegangen warst, kamen diese Männer zum Kino. Militares. Soldaten.« Ich hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Ein Falcon. Sie sind in einem Falcon gekommen.«

»Ein Falcon«, wiederholte sie rasch.

»Ja«, sagte ich. »Ein grüner Ford Falcon.«

Es dauerte einen Moment, bis die Information in ihr Bewusstsein eindrang. Soledad war sehr still geworden. Sie ließ den Arm sehr langsam an ihrer Seite herabsinken, sodass das Buch ganz schlaff in ihrer Hand lag. Ich nahm es ihr ab und stellte es ungefähr dort, wo es gewesen war, ins Regal zurück.

»Aber was hat das mit mir zu tun? Sie haben nach mir Ausschau gehalten, sagst du. Aber warum?«

»Ich habe keine Ahnung, aber du musst auf der Stelle hier raus!« Mit einem Ruck wies ich mit dem Kopf zur Tür. »Mein Motorrad ist bloß ein paar Blocks weiter. Lass uns jetzt hier rausgehen. Los. Wir können immer noch in die entgegengesetzte Richtung rauskommen.«

»Aber was, wenn sie sehen, dass ich wegrenne? Dadurch wird alles bloß noch schlimmer. Und wie kannst du dir so sicher sein?«, wollte sie wissen.

»Weshalb sollte man das Risiko eingehen?«, fragte ich.

Abermals wandte sie sich zu den Regalen um. »Hör mal, Guillermo. Ich glaube, es wäre am besten, wenn sie hierherkommen. Dann werde ich ihnen erklären, dass das alles ein Versehen ist.«

»O mein Gott«, erwiderte ich. »Nein. Ach, komm! El Falcon Verde«, sagte ich zischend durch die Zähne. »Diese Typen albern nicht herum. Du hast doch bestimmt diese Geschichten gehört. Es ist denen egal, ob sie sich irren.« Ich berührte sie leicht an der Schulter. »Bitte, Soledad. Bitte lass uns jetzt hier einfach rausgehen.«

Doch sie setzte sich nicht in Bewegung. Ich ging wieder zum Fenster und hoffte bei Gott, dass ich mich irrte. Aber da waren sie, ganz eindeutig. Sie hatten bereits im unteren Geschoss die Geschäfte durchsucht und gingen jetzt schnell nach oben. Ich packte Soledad und zog sie zum Fenster. Wir spähten beide nach draußen, entlang einer Seite der Einkaufsgalerie.

»Siehst du?«

»Militares«, sagte sie. Augenblicklich erkannte sie sie trotz der Zivilkleidung. Sie trat einen Schritt von mir weg, dann nahm sie ihre Handtasche auf und blieb ganz still neben den Regalen stehen.

»Ich bleibe«, entschied sie. »Das ist schon in Ordnung«, beruhigte sie mich, als ich meinen Mund öffnete, um etwas zu entgegnen. »Ich werde das alles jetzt sofort aufklären. Es besteht keine Notwendigkeit, dass du darin verwickelt wirst, Guillermo. Es tut mir leid, aber ich glaube, du wirst alles nur noch schlimmer machen.«

»Hör zu«, bat ich, »hör mir zu …«

»Bitte«, sagte sie.

Widerwillig ging ich zur anderen Seite, blieb bei einigen Regalen stehen und nahm ein Buch heraus. Genau in diesem Augenblick erschien der Fahrer, der auf der anderen Seite des Fensters vorbeirannte, und dann schwang die Tür mit solcher Wucht auf, dass sie in ihren Angeln ratterte. Der Besitzer des Buchladens sprang auf. Für einen Moment lehnte sich der Fahrer an den Tresen. Als er Soledad erblickte, leuchteten seine Augen auf, und er seufzte sowohl erleichtert als auch verärgert. Er nickte vor sich hin, anschließend hob er atemlos seinen Finger und zeigte auf sie. Mit nach vorn gebeugtem Oberkörper atmete er durch, dann drückte er die Tür auf und schrie seinem Kameraden etwas zu, der herbeigelaufen kam.

»Du«, sagte er und zeigte erneut auf Soledad. »DNI. Personalausweis.«

»Hören Sie«, antwortete sie und hob ihre Hände. »Ich denke, hier liegt irgendein Fehler vor. Ich …« Sie schaute sich hilflos um. »Ich begreife das nicht. Was –»

»Halt die Klappe!«, befahl er ihr außer Atem und wies mit seinen großen Händen auf ihre Handtasche.

»Okay, okay«, sagte sie. Mit zitternden Fingern durchstöberte sie die Tasche und streckte ihm dann den Ausweis entgegen. Mit einer Mischung aus gelangweilter Verärgerung und Hass schaute er sie an. Dann klappte er den Personalausweis auf.

Ich trat ein paar Schritte weg, nahm ein Buch von einem Regal und tat so, als würde ich darin lesen. Der Fahrer blickte mich an, brummte voller Verachtung, als ob etwas Unmännliches daran wäre, in einem Buchgeschäft zu sein, und dann schaute er wieder weg. Aus der Nähe konnte ich sehen, dass der Schweiß sein Hemd durchnässte. Entlang der Stirn war sein Haar ganz verfilzt. Draußen vor dem Laden hatte der andere Mann mit der Schrotflinte diese an das Metallgeländer gelehnt und sprach nun in sein Funkgerät. Ich drehte mich wieder dem Regal zu und schlenderte zu seinem anderen Ende. Vorsichtig tastete ich nach dem Metallgestänge zwischen den dort hineingestopften Büchern. Ich ließ es los und griff nach einem anderen Buch.

Der Fahrer schaute abermals auf den Personalausweis, klappte ihn anschließend zu und steckte ihn in seine Hosentasche.

»Könnten Sie ihn mir bitte zurückgeben?«, fragte Soledad und streckte wie ein Kind auf einem Spielplatz die Hand aus.

Der Fahrer beachtete sie nicht, drehte sich um und nickte seinem Kameraden zu. Ich packte das Regal mit festerem Griff. Als ich daran zog, gab es nach und wackelte; es schaukelte ein wenig auf seinem Sockel. Soledad wich zurück, die Augen weit aufgerissen vor Panik und Angst, als der Mann rasch einen Schritt nach vorne machte und dann versuchte, sie zu ergreifen. Doch Soledad drückte sich gegen die Bücherregale und schaute unwillkürlich zu mir.

Der Fahrer drehte sich um, und seine Augen verengten sich, als ihm plötzlich ein Verdacht kam. Meine Hand klammerte sich bereits fest um das Gestänge des Metallregals. Ich zog mit all meiner Kraft … Zuerst fielen die Bücher langsam zu Boden. Dann aber fiel das schwere Gestell in einem wahren Schauer von Büchern und hinabstürzendem Metall krachend um. Die scharfe obere Kante des Büchergestells knallte hart gegen die Stirn des Fahrers, und zwar direkt oberhalb des linken Auges. Er fiel um wie ein Stein, fluchte und ächzte vor Schmerzen, während das Bücherregal noch an Schwung gewann und ihn schließlich unter sich am Boden festhielt. Noch in derselben Sekunde stürzte Soledad am Tresen vorbei und floh zur Tür hinaus. Ich blickte rasch nach draußen. Der andere Mann streckte den Arm nach ihr aus, doch er kam zu spät. Sie war fort und eilte auf die Treppe zu. Der Fahrer fluchte, griff sich über dem linken Auge an die Stirn und spürte das Blut an der Innenseite seiner Hand, woraufhin er vor Wut aufheulte. Er versuchte, das Regal von sich wegzudrücken. Der Ladenbesitzer und sein Kunde standen fassungslos da, während ich vorwärtskletterte und über das Regal in Richtung der offenen Tür stieg.

Ich trampelte hart das Gestell nieder und hörte, wie es knirschend gegen das Schienbein des Fahrers drückte. Doch ich krabbelte weiter voran, stolperte halb entlang der metallenen Regalböden. Der andere Soldat griff nach der Flinte hinter sich. Ich machte einen großen Sprung auf die Tür zu. Der Fahrer schnaubte vor Wut und brüllte, versuchte, mich an den Fersen zu packen. Sein Partner wusste nicht, ob er ihm helfen oder das Mädchen erwischen sollte. Er gelangte urplötzlich zu einer Entscheidung, griff die Schrotflinte und hob sie an seine Schulter. Dabei drehte er sich und zielte mit der Waffe auf den Rücken von Soledad.

Ich rempelte so schnell gegen ihn, dass er eine Art halbe Pirouette drehte. Die Flinte flog durch das Metallgeländer und landete im Stockwerk unten auf dem Boden. Im Sprinttempo eilte ich hinter Soledad her.

Ich schaute nach unten. Sie war bereits auf halbem Wege durch das untere Geschoss nach draußen und in der Nähe des Ausgangs, der zur Calle Lavalle zurückführte. Aber dann blieb sie abrupt stehen, als sie Soldaten in Uniform erblickte, die auf den Eingang zueilten. Ich rief ihr zu, zeigte hektisch in die andere Richtung und sprang und hüpfte die Stufen hinunter. Dann packte ich sie am Arm und zerrte sie recht grob über den marmornen Fußboden, vorbei an dem Café im Erdgeschoss. Krachend bahnten wir uns einen Weg durch einige Plastiktische und -stühle und rasten durch einen kleinen Ausgang auf der anderen Seite der Mall.

Ich drückte und warf die Tür auf. Wir waren direkt von dem Lärm, der Hitze und der endlosen Zahl von Menschen umgeben und rannten geradewegs in die Calle Esmeralda hinein. Ein Bus sauste vorbei und verfehlte uns nur um wenige Zoll. Gleichwohl liefen wir über die Straße, und ein Kind hinten im Bus drehte sich um und glotzte uns durch die Scheibe an … Ich ließ Soledads Hand los, und wir spurteten zwischen den neugierigen, bestürzten Gesichtern der Menschenmenge hindurch. Dann drängten wir uns durch eine kleine Gruppe von Teenagern, die ihre Hälse reckten, um durch die offene Tür einer Bar ein Fußballspiel im Fernsehen zu schauen. Wir rannten, ohne nachzudenken, aber die ganze Zeit strebten wir auf den weiten, offenen Raum der großen Allee beim Obelisken zu.

Ich packte erneut Soledads Hand, und wir hasteten im Zickzack durch die Menschenmenge und liefen noch schneller. Wir spurteten durch eine weitere kleine Einkaufspassage und kamen auf der anderen Seite heraus, dann sprangen wir in den Autoverkehr und schafften es gerade noch so auf die andere Straßenseite. Die Motorhaube eines Taxis verpasste mich nur um ein paar Zoll, als es mit kreischenden Bremsen zum Stehen kam. Es gab ein lautes Gehupe, und ein anderes Fahrzeug krachte ins Heck des Taxis. Klirrendes Glas und Schreie waren zu hören. Plötzlich gab es Rauch. Und Chaos. Zerbrochenes Glas. Innerhalb einer Sekunde entstand ein Stau, und die Fahrbahnen waren blockiert. Am anderen Ende der Straße schwenkten plötzlich ein Ford Falcon und ein Lastwagen um die Ecke, und beide kamen mit kreischenden Bremsen zum Stehen. Türen öffneten sich, die Heckklappe des Lastwagens ratterte in ihren Angeln. Es gab noch mehr schreckliches Chaos, als überall der Verkehr um sie herum plötzlich zum Erliegen kam.

Der Taxifahrer riss wutentbrannt die Tür auf und brüllte hinter uns her. Ohne zurückzuschauen, rannten wir weiter und sausten über einen kleinen Platz. Mein Atem war nur noch ein abgehacktes, stoßartiges Keuchen.

Eine Beschreibung von uns beiden dürfte bereits im Umlauf sein. Und vermutlich telefonierten die Männer gerade, damit vor uns die Straßen gesperrt wurden, und vielleicht forderten sie sogar Verstärkung an.

Alle meine Sinne waren in Alarmbereitschaft versetzt. In meinen Ohren klingelte es. Einen Moment lang schien die Straße, die vor uns lag, vor meinen Augen zu verschwimmen, und ich war mir sicher, dass mir gleich übel würde. Es war die Hitze und die Erkenntnis, was ich getan hatte, ohne nachzudenken. Sie würden die umliegenden Blöcke abriegeln. Womöglich waren noch mehr Soldaten in Zivil hier zwischen den Leuten und weitere Lastwagen unterwegs.

Wir rannten weiter. Ich hatte die eine, einzige Regel gebrochen, die es gab, wenn bei einer Sache los militares