Stahlfront 2029 – Band 1: Terrorstaat - Lanz Martell - E-Book

Stahlfront 2029 – Band 1: Terrorstaat E-Book

Lanz Martell

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Beschreibung

Mythen kann man nicht verbieten Rückblick ins Jahr 2019: Die von vielen dem Zeitgeist erlegenen Narren als Heilige gefeierte Greta erreicht mit ihrer Yacht New York. Sie überschüttet sich vor der versammelten Presse am Kai mit Napalm – und entzündet sich als ultimativer Protest »gegen den Klimawandel«. In den USA und den allermeisten anderen Ländern stößt ihre Tat auf Unverständnis und schärfste Kritik, was in der real existierenden BRD natürlich völlig anders ist. Die Designer der veröffentlichten Meinung preisen Gretas Aktion als »heroische Tat«. 2029: Das Land hat sich deutlich verändert, eine offizielle Blockbildung der linksradikalen Parteien CDU/CSU/FDP/SPD/LINKE/GRÜNE steht unmittelbar bevor. In diesem Zeitenumbruch fragt sich ein Journalist, wie eine Minderjährige an Napalm gelangen kann, und beginnt zu recherchieren. Im Zuge seiner Erkenntnisse sieht er die Welt bald mit anderen Augen … Band 1 zum Sonderpreis! Die Autoren Lanz Martell, geboren irgendwann in den verwehten Sechzigern der BRD, geschlagen mit den täglichen Erfahrungen in einer Gesellschaft, in der die Normalität abgelöst wurde durch die organisierte Anomalie. Besonders angetan haben es ihm die Zeitgeisterscheinungen der Moderne, die er in seinen Büchern, lustvoll hinein- und respektlos nachtretend, all ihrer Lächerlichkeit preisgibt. Bereits im Jahr 2010 hat er mit dem dystopischen Roman »Die Epoche der Bestien« ein schockierendes Debüt hingelegt. Moritz Römstein ist seit vielen Jahren im Verlagsgeschäft tätig. Er schreibt routiniert unter Nutzung verschiedener Pseudonyme Spannungsromane in den Genres Science Fiction, Thriller und Krimi. Bereits 2012 erschien ein außergewöhnlicher Roman von ihm bei HJB: »Der Golem-Faktor«. Römstein und Martell haben sich nun zusammengefunden, um ein besonders heißes Eisen anzufassen – und hineinzuschleudern in die deutsche Lügenwelt.

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Ähnliche


STAHLFRONT

2029 / Buch 1

 

Terrorstaat

 

Polit-Thriller

von

Lanz Martell

Moritz Römstein

Inhalt

Titelseite

Mr. X

Epilog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Der »Club of Rome«

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Heute im Feuilleton • Helden der BRD – Anna-Lena aus Bonn

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Heute im Feuilleton • Buchtipp des Tages: »Dann sind wir Helden … an diesem Tag« von Annalena Linksgrün

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Zeitleiste 2018 – 2029

Glossar

Empfehlungen

Stahlgewitter – Welt in Flammen

Inferno – Europa in Flammen

Stahlzeit

Impressum

Mr. X kann sein Leben nur als verwirrend empfinden. Er kann eigentlich nur den Einklang vermissen zwischen dem, was er als seine Prinzipien ansieht, und der Gesellschaft, deren Teil er ist. Hat er einen forschenden Geist, muss sein Umgang mit politischen und sozialen Ideen hauptsächlich auf Bücher beschränkt sein. Er hält sich selbst für einen Freigeist, der sagen darf, was er denkt; dennoch gibt er sich der allgemeinen Vereinbarung hin, die Konsequenzen von dem, was passiert ist, nicht zu bemerken oder gar zu erkennen. Mr. X hat weder ein Vorbild noch eine Moral, die auf etwas Realem basiert.

 

Edmund Wilson

(»Mr. And Mrs. X«, The New Republic, October 1931)

 

entnommen dem »Mr. X«-Sammelband aus der Feder von Dean Motter, herausgegeben von schreiber&leser, Ausgabe 2013

Epilog

Greta wirft einen letzten Blick auf die Luxusjacht, mit der sie nach New York gereist ist. Sie muss schlucken, lächelt dann aber wieder freundlich in die Richtung der knapp 100 Journalisten, die vor allem aus dem europäischen Raum, und dort insbesondere aus Deutschland, angereist sind.

Das Mädchen aus Schweden weiß nichts von einer unlängst zerflossenen Zeit, in der Vernunft nicht nur nicht verpönt war, sondern die Voraussetzung zur Teilnahme an einer Diskussion. Davon hat ihr noch niemand etwas erzählt. Aber auch wenn dies nicht von allen Menschen, die sie umgeben, nachhaltig versäumt worden wäre, so würde sie es wegen ihres Asperger-Syndroms nicht verstehen. Das kann vielleicht nur jemand, der einen Menschen mit Asperger persönlich kennt – und dem deshalb klar ist, wie schlimm diese Störung tatsächlich ist. Aber heutzutage leidet Gretas Generation nicht mehr unter dieser vor 30 Jahren zutreffenderweise noch als Geisteskrankheit bezeichneten Problematik, vielmehr rühmen sich manche der damit Befallenen dieses Zeichens des Auserwähltseins.

»Was ist in dem Kanister?«, ruft eine ›Journalistin‹ der deutschen Systempresse.

Greta hört sie zwar, aber sie ignoriert alles, was um sie herum existiert. Sie steht in diesem Moment am Kai zu einer verheißungsvollen Stadt, äußerlich gefasst, innerlich von kosmischem Karma erfüllt. Sie weiß, sie wird die Welt für immer verändern. Jetzt.

Greta hebt den Kanister an, dreht die Verschlusskappe ab, sie sieht in weit aufgerissene Augenpaare, hört ein eruptiv anschwellendes Rufen, Schreien, Raunen, sie hält den Kanister über ihren Kopf und überschüttet sich mit dem Inhalt: Napalm.

Ihre Begleiter hatten den gefüllten Behälter natürlich schon vorher bemerkt, das konnte nicht anders sein, aber keiner hatte etwas unternommen. Befürchtete das Management, dass die Greta-Sause den Zenit ihrer Möglichkeiten überschritten hatte? Schließlich konnte sich keiner Illusionen über ihre Wirkung in den USA machen … Erinnerten sie sich an den spektakulären Abgang David Bowies?

Greta hält ein Feuerzeug in ihrer Hand, sie sagt mit lauter Stimme, die immer wieder von Wut und Hass und Verzweiflung verzerrt wird, dann wieder in ein Schluchzen übergeht, sie sagt, wimmert, klagt an, droht, schreit:

»Hier bin ich. Und meine Botschaft an die Welt ist:

Wir werden euch genau beobachten! Wir werden wissen, was ihr tut!

Ich sollte ein glückliches schwedisches Mädchen sein, und in die Schule gehen, auf der anderen Seite des Ozeans. Aber das geht nicht, weil die Mächtigen dieser Welt versagt haben. Und deswegen hat die Vorsehung mich dazu bestimmt, einzugreifen.

Und da seid ihr: Ihr, die ihr meine Kindheit gestohlen habt, mein Vertrauen in die Welt und die Menschen, und damit meine Chance, glücklich zu sein.

Wie könnt ihr das wagen?!

Voller Hoffnung haben wir zu euch aufgeschaut, aber es hat sich nichts geändert: Menschen leiden, Menschen sterben, unsere Ökosysteme sterben, wir stehen kurz vor der Ausrottung, und alles, worüber ihr reden könnt, ist so etwas Blödes wie ›ökonomische Vernunft‹ und wie ihr Rücksicht nehmen könnt darauf, dass die Konzerne noch mehr schnödes Geld verdienen.

Wie gemein ihr doch seid!

Seit mehr als dreißig Jahren ist der Wissenschaft bekannt, dass die Welt, unser ganzer Planet, an einem Scheideweg steht. Wie könnt ihr es wagen, das die ganze Zeit über zu ignorieren? Uns, die junge Generation dem sicheren Untergang preiszugeben?

Wie böse ihr seid!

Immer wieder habt ihr behauptet, genug zu tun zur Rettung der Welt. Politik der leeren Worte, der gebrochenen Versprechen, besinnungslos dem Ende von allem Irdischen entgegentaumelnd. Aber ich sage euch: Das alles lässt der Allmächtige nicht länger zu!

Ihr sagt, ihr hört die Jugend, ihr versteht, was wir sagen, was wir wollen, aber das stimmt nicht. Ich glaube euch nicht, wir glauben euch nicht, aber glaubt mir, wenn ich sage:

Wir werden euch beobachten. Ihr kommt nicht davon! Wir wissen alles über euch! Wir kriegen jeden einzelnen von euch Klimamördern! Jeder einzelne von euch wird zuerst auf einer zerstörten Erde und dann in der Hölle büßen! Und wir werden dabei zuschauen und kein Mitleid haben!

Ihr seid böse, verkommen, verloren – so wie es dieser Planet wäre, wenn es uns nicht gäbe. Aber wir sind da, und wir werden tun, was nötig ist, um noch eine Chance auf ein Überleben zu haben.

Also werden wir euch richten! Und wir werden euch niemals vergeben. Niemals!«

Dann entzündet sie sich.

Sie spürt keinen Schmerz.

Ein zufriedenes, beinahe seliges Lächeln schleicht sich ein in ihre von einem Impfschaden und von anderen, bislang nicht öffentlich diskutierten familiären Erbschäden gezeichneten Gesichtszüge. Dann lösen sich die Augen auf, die Haare streben funkensprühend davon, und das Fleisch zerfließt. Es formt sich innerhalb von Sekunden und unter 900 Grad eine Masse heiligen Erbarmens, einer Statue gleich, die, wenn die Welt doch nur gerecht wäre, tausend Jahre lang lodern würde, den Lebenden eine Mahnung, alles zu opfern, um zu retten, was noch zu retten ist, den ermordeten Arten und Spezies dieser Welt einen letzten Salut erbietend. Für eine letzte Chance auf eine friedvolle, glückliche Zukunft. Gegen Fluten, Flammen, und Wüstenei, gegen Gewalt und Tod und ewiges Vergessen sein. Es fühlt sich an wie der Moment, an dem zum ersten Mal kollektive Berühmtheit entsteht, hinreichend genährt durch Extravaganz und lebendiges Napalm-Design. Und es spricht zu uns, es sagt:

Wir waren da. Wir haben diese Welt bewohnt. Dies war einst ein blau-grüner Planet. Und sogar Heilige Jungfrauen haben sich geopfert und Zeichen gesetzt!

Solche kraftvollen, spektakulären Bilder sind es, meine Damen und Herren, und liebe Kinder, aus denen sehnsuchtsvolle Träume nach redlich verdienter Unsterblichkeit gewoben sind. Greta hätte als letzten Akt ihres ganz persönlichen Dramas auch eine ergreifende, wunderschöne Hassrede vor den Teilnehmern der zeitgleich in New York stattfindenden UN-Klimakonferenz halten können, aber irgendwie wäre dies selbst den Autoren dieses Romans zu unglaubwürdig erschienen – oder was meinen Sie?

Kapitel 1

Berlin, Januar 2029

 

Eine dünne Schicht aus schmuddeligem Eis und Schneeresten bedeckte die Greta-Statue am nördlichen Eingang des Hermannplatzes. Das verkrustete Gemisch, das sich trotz des milden Winters gebildet hatte, ruhte wie ein unansehnlicher Belag auf den mageren Schultern des Mädchens, ihrem Haupt und auf den wild lodernden Flammen des von Napalm gespeisten Feuers, das wie eingefroren die Gestalt umspielte. Um den Statuensockel herum bedeckten ausgebrannte Kerzen und matt vor sich hin flimmernde LED-Grablichter den Boden, Beigaben der Greta-Anhänger, zu denen sich jeder Bundesbürger zählte, der etwas auf sich hielt.

Im gesamten Bundesgebiet gab es keine Stadt, die nicht wenigstens eine Greta-Skulptur aufzuweisen hatte, und in Berlin gab es gleich dutzende davon in den verschiedensten Ausführungen. Dieses Standbild hier wurde aus Kunststoffabfällen hergestellt, die die Waste-Fishing-Boats aus dem Atlantik geborgen hatten. Jedenfalls behauptete dies der Text auf dem Hinweisschild am Statuensockel.

Obwohl Martin Falkenhayn jeglichen Informationen von vornherein mit Misstrauen begegnete, war er diesmal geneigt, der auf dem Schild erhobenen Behauptung Glauben zu schenken, denn bei genauerem Hinsehen konnte er im unteren Bereich deformierte Verpackungsteile ausmachen, aus denen die Greta-Figur gepresst worden war.

Falkenhayn ließ das Bildnis auf sich wirken. Die wie mahnend geöffneten Hände und der anklagende Ausdruck auf dem mongoloiden Antlitz des Mädchens ließen in ihm keinen Zweifel darüber aufkommen, welchem Zweck diese Statue diente. Nicht den grauenvollen Aspekt der Selbstverbrennung sollte das Bildnis hervorheben, sondern den Betrachter daran erinnern, Gretas Botschaft nicht zu vergessen: dass der Welt eine vernichtende Klimakatstrophe blühte, wenn die Herrschenden nicht zur Vernunft kämen und dem gewissenlosen Umgang mit Natur und Ressourcen nicht rigoros Einhalt geboten.

Falkenhayn schüttelte kaum merklich den Kopf. Er konnte sich noch genau an Gretas Gesicht erinnern, als die Flammen ihren Körper verzehrten. So wie hier dargestellt, hatte es ganz gewiss nicht ausgesehen.

Wenn der Künstler, der diese Statue gestaltet hatte, sich bei seiner Arbeit an die auf den Fotografien und Filmaufnahmen eingebrannte schreckliche Realität gehalten hätte, hätte sich jeder Betrachter der Plastik ob des grausamen Anblicks entsetzt abwenden müssen.

So aber entlockte die verklärte Darstellung, wie Martin argwöhnte, dem Betrachter nur diese wohlige Mischung aus Schuldgefühl, Furcht und Scham, in der die Klimakatastrophenfans so gerne badeten. Und Schuldgefühl und Scham waren etwas, was die deutsche Bourgeoisie fanatisch liebte und womit sie sich bestens auskannte. Ebenso mit der Furcht vor der als geradezu entsetzlich empfundenen Schaffenskraft des Europäers, war dies doch nach neodeutscher Lesart ein Zeichen von Rassismus gegen »weniger privilegierte« Völkerschaften.

In Wirklichkeit waren viele dieser geistig schwer gestörten, völlig kaputtgemachten, einer objektiven Wirklichkeitswahrnehmung beraubten und sich selbst beraubenden Bedenkenträger, Feiglinge, und gegenderten Neodeutschen besessen von einem Hass auf schlichtweg alles Weiße; absolut alles, was »der Weiße« erschaffen hatte oder typischerweise seinem anthropologischen Typ entsprach, hassten sie zutiefst: Technik, Technologie, Fortschritt, Wissenschaften, Intelligenz, logisches Denken, Objektivität, Handeln und Urteilen gemäß Wahrscheinlichkeiten.

Wenn eine solche bemitleidenswerte Kreatur dann von »Kampf gegen Rassismus« sprach, war fast immer gemeint: »Kampf gegen den Weißen«, was naturgemäß in Deutschland in den meisten Fällen identisch war mit einem Kampf gegen sich selbst! Es war dies das Phänomen des degenerierten Westens und Nordens, der seinen eigenen Untergang herbeisehnte.

Falkenhayn hatte mehr als einmal in seinem Leben erfahren, wie sich Vertreter des BRD-Staates – und dieselben von nicht niedrigem Rang! – in privaterem Rahmen hatten hinreißen lassen zu Äußerungen, die ihr wahres inneres Selbst wiedergaben: »Es ist doch gut so, dass immer weniger Deutsche existieren, es ist auch gut, wenn die Deutschen völlig von dem Planeten verschwinden, ist nicht schade drum«. Solcherart Äußerungen von führenden Beamten eines Landes wären zu vernünftigeren Zeiten und in einem vernünftigeren Staatswesen und einer nicht geisteskranken praktizierten Gesellschaftsordnung noch als Hochverrat behandelt worden – heute wurden sie, jedenfalls insbesondere in der BRD, als derart selbstverständlich gehandelt, dass man nicht umhinkommen konnte zu vermuten, dies wäre von irgendwo noch weiter oben ausdrücklich gewünscht … aber wer so etwas äußerte oder auch nur andeutete, wurde in den Medien »Nazi«, »Idiot«, »Rechter«, »Verschwörungstheoretiker« genannt, und als solcher wurde er auch behandelt: als ein »Feind des Volkes« …

Eine schneeweiße Taube, eine sogenannte paco kolombo, die die gewöhnliche graue Taube vor Jahren aus dem Stadtbild Berlins verdrängt hatte, landete auf einer der aus Plastikmüll bestehenden Flammen, hob den mit makellos weißen Steuerfedern gespickten Bürzel und verspritzte ihren aggressiven Kot über Greta.

Instinktiv nahm Martin eine lauernde Haltung an, darauf gefasst, dass die »Friedenstaube« nach ihm hacken würde. Doch der genmanipulierte Vogel schien gesättigt und war wohl zu träge, um Martin zu attackieren. Uninteressiert wandte sich die paco kolombo ab und begann gurrend vor sich hin zu dösen.

Falkenhayn verzog das Gesicht, während er die Taube angewidert betrachtete. Mit Grimm dachte er daran, wie er vor wenigen Monaten in der Nähe seiner Einsiedelei im Königswald eine dieser schneeweißen Bestien mit seinem Jagdgewehr erlegt hatte. Dass die »Friedenstauben« nun auch schon außerhalb der Bundeshauptstadt ihr Unwesen trieben, hatte ihn befürchten lassen, dass seine Zeit der Absonderung bald vorbei sein dürfte. Er betrachtete die paco kolombo als Vorbote dafür, dass er sich nicht mehr länger vor dem verstecken konnte, was in dem Land, in dem er lebte, um sich griff.

Eine Einschätzung, die sich zu seinem Bedauern leider bewahrheiten sollte, und so kam es, dass er seinen Bunker im Königswald schließlich versiegeln und sich in Berlin auf Wohnungssuche begeben musste.

Seit etwas mehr als einen Monat weilte er nun schon in der Bundeshauptstadt, und noch immer konnte er sich mit den Veränderungen nicht anfreunden, die sich während seiner Abwesenheit eingestellt hatten.

Angesäuert riss sich Martin vom Anblick der Greta-Statue los. Sein Blick wanderte zu den gutbesuchten Markständen hinüber, die den Hermannplatz zu beiden Seiten säumten.

Dass er sich an der Grenze zu Neukölln aufhielt, war unverkennbar. Die meisten der an den Zeltstoffbuden vorbeiflanierenden Gestalten waren nach den Kleiderregeln des Islam angezogen. Die Frauen trugen Kaftane oder Burkas und die Männer weite Hosen und Hemden. Wenn das Gesicht einer Frau einmal nicht komplett verhüllt war, so verbarg sie ihr Haar doch vollständig unter einem Kopftuch. Auch bei den lauthals ihre Waren anpreisenden Budenbetreibern handelte es sich der Kleidung nach zu urteilen um Muslime. Sie feilschten gesten- und wortreich mit ihren Kunden, schimpften über deren Dreistigkeit oder scherzten mit gutmütigen Mienen, wenn sie einen Handel abgeschlossen hatten.

Martin grinste, als er bemerkte, dass die etwas wohlhabenderen Damen, die sich von einem Eltromen begleiten ließen, diesen ebenfalls dem Islam entsprechend eingekleidet hatten. Die angekleideten und Einkaufskörbe tragenden Roboter wirkten auf ihn lächerlich. Die strenge Kleiderordnung ihrer Religion auch auf ihre humanoiden Dienstmaschinen zu übertragen, stellte allerdings nicht das einzige Extrem der in Neukölln lebenden Muslime dar. Sehr glaubwürdigen Gerüchten zufolge sollte in dem Stadtteil die Scharia längst einen wesentlich höheren Stellenwert besitzen als das Grundgesetz der Bundesrepublik – und rigoros durchgesetzt werden. Über Neukölln eine Kolumne zu schreiben und ins Internet zu stellen, gehörte zu den Aufgaben, die Martin sich fest vorgenommen hatte in absehbarer Zeit zu erledigen.

Falkenhayn wandte sich der Straße zu. Es war später Nachmittag und das Verkehrsaufkommen entsprechend groß. In gleichförmiger Geschwindigkeit schnurrten die selbstfahrenden E-Autos wie an einer Schnur gezogen die Verkehrsleitmarkierungen entlang. Als wollten die Fahrzeughalter die Eintönigkeit der zentral gesteuerten Verkehrsführung, die eine individuelle Fahrweise nahezu unmöglich machte, kompensieren, hatten sie ihre Autos mit zum Teil extrem schrillen Ergänzungen versehen, die jedes Fahrzeug wie ein Unikat erscheinen ließen, sodass man fast vergessen konnte, dass es sich doch nur um standardisierte Serienprodukte handelte, die den Befehlen der Verkehrsleitzentrale gehorchten.

Plötzlich geriet der monotone Strom surrender Fahrzeuge ins Stocken. Ein lärmender Benziner drängte sich in den Konvoi. Der Fahrer des alten Mercedes Benz mühte sich sichtlich, sein Relikt aus der Zeit der Verbrennungsmotoren in den gleichförmigen Verkehr einzupassen. Dabei trickste er geschickt die automatischen Abstandhalter und Geschwindigkeitsanpassungssysteme der E-Autos aus, indem er häufig die Fahrspur wechselte und auf diese Weise schneller vorankam als der Rest.

Etliche der Passanten bedachten den Mann hinter dem Lenkrad mit giftigen Blicken, einzelne schüttelten sogar ihre Fäuste und fluchten.

Einige Jugendliche, die vor dem Schaufenster eines Game-Shops herumlungerten, zogen demonstrativ die Atemschutzmasken, die sie lässig um den Hals getragen hatten, vor die Gesichter. Sie machten grimmige Mienen, während der Mercedes an ihnen vorbeifuhr. Dass aus dem Auspuff, dem den geltenden Vorschriften gemäß zahlreiche Filter vorgebaut waren, kaum noch Feinstaub und CO2 austraten, konnte ihren Zorn über die »Dreckschleuder« offensichtlich nicht mindern.

Martin beobachtete, wie einer der Jungen in die Tasche seines Anoraks griff und einen faustgroßen Stein hervorzog. Er holte aus und schleuderte das Wurfgeschoss dem Mercedes hinterher. Der Stein prallte hart aufs Dach, kullerte hinunter und fiel auf die Straße.

Der Schlag musste im Wageninneren deutlich zu hören gewesen sein, trotzdem machte der Fahrer keine Anstalten anzuhalten, um den Randalierer zur Räson zu bringen.

Vermutlich hatte sich der Mann an derartige Attacken gewöhnt; die zahlreichen Dellen und Kratzer in der Karosserie seines Wagens legten Falkenhayn diesen Verdacht nahe. Außerdem wusste er sicherlich, dass Passanten den Jugendlichen beigestanden hätten, für den Fall, dass er ausgestiegen wäre, um dem Asozialen die Leviten zu lesen.

Martin war schon einmal Zeuge eines solchen Vorfalls geworden. Die Frau, die den Fehler begangen hatte und aus ihrem Benziner gesprungen war, um einen Passanten anzuschreien, der gegen ihre Fahrertür getreten hatte, war von aufgebrachten Umweltschützern zu Boden gestoßen und mit Tritten bearbeitet worden …

In diesem Moment nahm Falkenhayn aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr und drehte sich um. Sein Blick fiel auf eine Frau, die mit dem Rücken lässig an der Wand eines nahegelegenen Toilettenhäuschens lehnte und kokett zu ihm herübersah.

Sie trug einen dicken grauen Mantel, dessen Schnitt ihre weiblichen Rundungen ebenso verbarg wie ihre zierliche Statur. Verlegen lächelnd entblößte sie ihre ein wenig zu großen Schneidezähne, und als wüsste sie um den unvorteilhaften Anblick, den ihr Gebiss darstellte, schloss sie die Lippen rasch wieder. Befangen fuhr sie sich mit den Fingern durch das kurze brünette Haar, doch ihre hinter den Gläsern einer dickrandigen Brille hervorglotzenden Augen sahen Martin unverwandt an.

Mit einer knappen Geste nickte er ihr zu, woraufhin sie sich von dem Toilettenhäuschen abstieß und auf ihn zuschlenderte.

Die Taube auf der Greta-Statue schreckte auf und flatterte davon, flog zur Fassade eines Kaufhauses hinüber und gesellte sich zu ihren genmanipulierten Artgenossen, die ungeachtet der stacheligen Taubenabwehrvorrichtungen dichtgedrängt auf den Simsen kauerten.

»Machen wir es kurz«, sprach die Frau Martin ohne Umschweife an. Sie deutete mit dem Daumen über ihre Schulter zum Toilettenhäuschen. »Lysander ist bestimmt einen Moment beschäftigt … aber man kann ja nie wissen. Ich will nicht, dass er uns schon wieder zusammen sieht.«

Gelassen guckte Martin zur Kabine hinüber. Diese war mit einer personalisierten Werbefläche ausgestattet, die auf die Kommunikationsgeräte der Menschen in ihrer unmittelbaren Nähe reagierte.

Die Videofläche zeigte ein riesiges Kreuzfahrtschiff, das durch einen von einem blauen Himmel überspannten, anheimelnd anmutenden Ozean pflügte. Die Szene wurde von einem weißen, mit Palmen bestandenen Sandstrand aus gefilmt, auf dem gut gebaute Männer verschiedener Hautfarbe, vorwiegend braun und schwarz, Strandvolleyball spielten.

Das Kreuzfahrtschiff wurde mit Biodiesel betrieben, verriet ein Text unter dem Schriftzug der Reederei, und verfügte über ein Sonar, welches Wale vertrieb, sodass diese von den Schiffsschrauben nicht verletzt werden konnten.

Die knappe Bekleidung der sporttreibenden Herren wiederum stammte von der Marke Aididai, die sich rühmte, genderneutrale Mode herzustellen.

»Zielt diese Werbung auf dich oder auf Lysander ab?«, erkundigte sich Martin spöttisch, während er zum Toilettenhäuschen hinüber nickte.

Die Frau verzog das Gesicht. »Was glaubst du denn?«

»Nun, wenn ich mir diese muskulösen Kerle so ansehe, bin ich mir nicht sicher.«

Sie boxte gegen Martins Brust. »Lys steht auf Frauen, das kannst du mir glauben.«

»Wenn du das sagst.« Falkenhayns Grinsen vertiefte sich noch. »Dann entsprechen diese sportlichen Adonisse also mehr deinem geheimen Männerideal? Du solltest hoffen, dass die Werbesequenz abbricht, sobald Lysander die Toilette verlässt; der Anblick dieser öligen Muskeltypen könnte ihn andernfalls verstören, fürchte ich.«

Sie legte den Kopf schief und musterte ihn genervt. »Warum bist du eigentlich nicht in deinem Bunker im Wald geblieben, Martin?«

Er sah sie scharf an. »Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon lautet, dass ich in Berlin etwas zu erledigen habe.«

Kurz blickte die Frau zur Greta-Statue hinüber. »Diese Sache mit der Thunberg lässt dir also noch immer keine Ruhe«, stellte sie fest.

Martin packte sie hart am Oberarm. »Hast du nun eine Information für mich, Maidie, oder nicht?«

Vergeblich versuchte sie sich von ihm loszumachen. »Ich hasse diesen Namen. Nenn mich bitte nicht mehr so!«

»Warum? Du hast mir mehr gefallen, als du ihn noch verwendet hast.« Er stieß sie von sich und musterte sie abschätzig von oben bis unten. »Jetzt sieht nur noch ein geübtes Auge, was für eine aufregende Person sich unter dieser öden Hülle verbirgt … Margarete.« Das letzte Wort sprach er aus, als müsste er erst seinen Abscheu überwinden.

Gekränkt griff sie in ihre Handtasche. »Die Zeiten haben sich geändert. Begreif das endlich!« Sie zog einen Zettel hervor und drückte ihn Martin in die Hand. »Dort wirst du einen Mann treffen, der dir vielleicht helfen kann, etwas über die Hintergründe von Gretas Selbstverbrennung herauszufinden.«

»Und die Zeiten haben dich verändert, Maidie. Wie konntest du das nur zulassen?« Ohne einen Blick auf die Notiz zu werfen, ließ er sie in der Jackentasche verschwinden. In Margaretes Augen schimmerte es feucht und ihre Lippen bebten, als kämpfte sie um ihre Beherrschung. Doch bevor sie auf Martins Frage antworten konnte, drang plötzlich ein Ruf zu ihnen herüber: Es war Lysander, der Maidie bei ihrem bürgerlichen Namen rief.

»Verdammt«, zischte sie und setzte eine freundlich-unverfängliche Miene auf, ehe sie sich zu Lysander umdrehte.

Falkenhayn verzog spöttisch den Mund, während der schlaksige, hochgewachsene Mann ärgerlich auf sie zuschritt.

Die weiten, bunten Klamotten aus gewalkter Wolle schienen Lysander eine Nummer zu groß zu sein und verliehen ihm einen femininen Hauch, der durch einen schwarzen Kajalstrich unter seinen Augen noch hervorgehoben wurde. Das lockige schwarze Haar wippte bei jedem seiner exaltiert-energischen Schritte.

»Sie schon wieder!«, rief er säuerlich aus, während er Martin mit einem geringschätzigen Blick bedachte. Sein Kopf ruckte zu Maidie herum. »Belästigt dich dieser … dieser Journalist etwa schon wieder, Schatzi?«

Martin bemerkte, dass Lysander seine Haartönung auffrischen musste, denn am Haaransatz schimmerte die ursprünglich blonde Farbe wieder durch. »Wir sind uns nur zufällig über den Weg gelaufen«, erklärte er unfreundlich.

Lysander stieß ein affektiertes Lachen aus. »Das können Sie ihrer Großmutter erzählen«, näselte er und stellte sich halb vor seine Lebensgefährtin. »Lassen Sie Margarete in Frieden. Ich möchte nicht, dass sie mit Ihren beleidigenden Kolumnen in Verbindung gebracht wird.«

Falkenhayn grinste schief; jedenfalls ein bisschen Männlichkeit schien Lysander sich noch bewahrt zu haben. »Ich würde nichts tun, was Maidie schaden könnte«, stellte er klar.

»Und warum belästigen Sie sie dann unentwegt?«

Margarete schob sich an Lysanders Seite. »Diese Begegnung hier geschah nur rein zufällig«, bekräftigte sie.

Lysander reckte das Kinn. »Und wie war das, als er vorigen Monat plötzlich vor unserer Wohnungstür stand … das war doch wohl kaum ein Zufall!«

»Ich konnte ja nicht ahnen, dass Maidie sich inzwischen einen Mitbewohner zugelegt hat«, gab Martin bissig zurück.

»Ich bin mehr als nur ihr Mitbewohner«, sagte Lysander.

Diese Tatsache hatte Falkenhayn bei seinem Besuch tatsächlich ein wenig aus dem Konzept gebracht, denn er hatte sich eigentlich ein wenig Zeit für Maidie nehmen, mit ihr an die alten Zeiten anknüpfen und ein Techtelmechtel beginnen wollen, bevor er mit dem wahren Grund seines Besuches herausrückte, wie er es früher oft getan hatte. Doch daraus wurde nichts. Er schaffte es gerade noch, Maidie heimlich zu stecken, dass er sie als Informantin benötigte und in welcher Hinsicht dies geschehen sollte, bevor er schließlich vor die Tür gesetzt wurde.

»Martin wollte doch nur seine alten Bekanntschaften wiederaufleben lassen«, sprang Margarete nun für Falkenhayn in die Bresche. »Er ist seit Jahren nicht mehr in Berlin gewesen und du weißt selbst, wie schnell sich hier alles verändert.« Sie lächelte hämisch. »Martin hat sich wohl ein bisschen entfremdet gefühlt. Außerdem war doch Vorweihnachtszeit.«

Lysander ließ sich nicht erweichen und sah Martin, der mit seinen ein Meter achtzig fast zehn Zentimeter kleiner war, von oben herab an. »Margarete hat mit ihrem alten Leben gebrochen, Herr Falkenhayn. Bitte respektieren Sie das. Sie steht Ihnen in keiner Weise mehr zur Verfügung.«

Martin tippte sich mit den Fingern in militärischer Gleichmütigkeit an die Stirn und überlegte, wie viel Maidie Lysander über ihr »altes Leben« tatsächlich erzählt hatte. Dass sie vor etlichen Jahren als Prostituierte gearbeitet hatte, war ihrem Partner bekannt, dies hatte Martin während seines Besuchs zumindest herausgefunden.

Doch wusste Lysander auch, dass er, Martin, damals nicht nur Margaretes Liebesdienste in Anspruch genommen hatte, sondern sie für ihn auch als Informantin tätig gewesen war – so wie jetzt auch wieder? Er hoffte inständig, dass es nicht so war und Maidie ihrem Gefährten auch sonst nichts von den heiklen Dingen erzählt hatte, die sie über ihn wusste.

Margarete hakte sich bei Lysander unter. »Lass uns gehen, Liebling«, drängte sie. »Wir wollten doch über den Markt schlendern und die aufregende orientalische Atmosphäre genießen, mit der die Muslime unsere Kultur bereichern.«

Lysander nickte und drückte ihren untergehakten Arm fest an seinen Körper. Offenbar war ihm der fein nuancierte, spöttische Unterton in der Stimme seiner Freundin nicht aufgefallen.

Die beiden wandten sich grußlos ab und marschierten davon.

»Macht’s gut!«, rief Martin dem Paar provozierend hinterher. »Vielleicht sieht man sich ja mal wieder!«

»Das will ich doch wohl nicht hoffen!«, gab Lysander zickig über seine Schulter hinweg zurück. »Margarete ist mit Ihnen fertig, Herr Falkenhayn!«

»Von wegen«, murmelte Martin, vergrub die Hände in den Jackentaschen und schloss die Finger um Maidies Zettel. Er wollte ihn erst hervorholen, wenn die beiden von der Menge der Marktbesucher verschluckt worden waren.

Falkenhayn beobachtete das Paar. Wie es schien, fühlte sich Lysander angesichts der Fremden, auf die sie zusteuerten, doch nicht so frohgemut, wie er sich gegeben hatte, denn er legte Maidie nun einen Arm um die Schultern, wobei Martin nicht ganz klar war, ob er dies tat, um sie zu beschützen oder vielmehr, um bei ihr Schutz zu suchen.

Wenig später konnte er sie im Gewimmel der Gläubigen nicht mehr ausmachen. Er drehte sich um und warf endlich einen Blick auf den Zettel. Darauf waren Koordinaten in Längen- und Breitengraden notiert, sowie ein Datum und eine Uhrzeit.

Falkenhayn furchte die Stirn. Das Datum entsprach dem heutigen Tag, und als Zeit war einundzwanzig Uhr angegeben. Mit den Koordinaten konnte er nichts anfangen, er hoffte jedoch, dass sie sich auf einen Ort bezogen, den er in den fünf Stunden, die ihm noch blieben, auch tatsächlich erreichen konnte.

 

LEBT DEIN NACHBAR UMWELTBEWUSST?INFO- UND MELDESTELLETelefon: 0123456789

Kapitel 2

Falkenhayn ging zu einer kleinen Baumgruppe hinüber, die den Platz zur Sonnenallee hin abgrenzte, und setzte sich auf die mit arabischen Graffiti besprühte Betoneinfassung. Er zog den linken Ärmel seiner Jacke zurück, bis das Gerät sichtbar wurde, das er um sein Handgelenk trug.

Bei diesem Apparat, der sich wie eine robuste schwarze Folie um das Handgelenk schmiegte, handelte es sich um das neuste Army-Modell der Firma Moholy-Nagy. Während seiner Zeit im Königswald hatte Martin jegliche Kommunikationsgeräte aus seinem Umfeld verbannt und bis auf einige Ausnahmen auch auf technische Geräte verzichtet. Und nun saß er hier auf dieser niedrigen Mauer und war auf dieses kleine Technikwunder angewiesen, das inzwischen zur Standardausstattung eines Normalbürgers zählte.

Das dünne Foliengerät war etwa so breit wie ein Daumen lang war und wurde von den Deutschen »Army« genannt, weil es am Arm getragen wurde, während der Rest der Welt es bloß »Smart-Connect« nannte, da es eine intelligente Schnittstelle zwischen seinem Nutzer und dem weltumspannenden Datennetzwerk darstellte.

Martin drückte den Mittelfinger auf die Kontaktfläche, woraufhin das Gerät aktiviert wurde. Der in die Folie integrierte Holografieprojektor ließ eine Tastatur aufleuchten, die wie eine Geistererscheinung über dem Armband in der Luft schwebte.

Erneut setzte Martin den von ihm im Umgang mit den von ihm so sehr verachteten Armys bevorzugten Mittelfinger ein, um die Tastatur zu bedienen, die verzögerungsfrei auf diesen Impuls reagierte.

Wenig später wusste er, auf welchen Ort sich die auf dem Zettel notierten Koordinaten bezogen: ein Containerumschlagplatz in der Nobelstraße, am südöstlichen Rand von Berlin-Neukölln gelegen und nicht mehr als sechs Kilometer von seinem momentanen Standort entfernt.

Ihm blieben folglich noch einige Stunden, um über den Markt zu schlendern und ein paar Eindrücke zu sammeln, die er später in einer seiner gehässigen Kolumnen würde einfließen lassen.

Die Leute liebten seine ins Netz gestellten bissigen Texte, obwohl keiner seiner Leser dies öffentlich zugegeben hätte. Doch das kümmerte Falkenhayn nur wenig. Für ihn zählte allein, dass die tausendfachen Aufrufe seiner Artikel ihm genug Geld einbrachten, um sich den Aufenthalt in Berlin so lange leisten zu können, bis seine Aufgabe hier erfüllt wäre … und der Hinweis, den er von Maidie soeben erhalten hatte, würde ihn, wie er hoffte, endlich ein Stück näher an dieses Ziel heranbringen.

Dass Maidie ihm diese Koordinaten nicht per Army mitgeteilt hatte, sondern ihm auf einen Zettel notiert hatte zukommen lassen, konnte Falkenhayns Einschätzung zufolge nur bedeuten, dass ihr diese Information zu heikel erschienen war, um sie auf elektronischem Weg zu versenden, der gespickt war von Ausspähprogrammen und Informationsfiltern.

Falkenhayn formte aus dem Notizzettel eine Kugel, warf sie sich in den geöffneten Mund und zerkaute sie. Während er den Brei aus hundert Prozent recyceltem Papier hinunterschluckte, starrte er die Greta-Statue verbissen an.

Bald, dachte er. Bald werde ich wissen, wer dir das Napalm B besorgt hat, damit du dein krankes Vorhaben in die Tat umsetzen konntest!

*

Gelangweilt schob sich Falkenhayn durch die Menge und betrachtete die Auslagen der Markbuden mit mäßigem Interesse. Nichts von dem, was die Händler hier anboten, sprach ihn an. Früher wurden auf dem Hermannplatz hauptsächlich Lebensmittel verkauft; der Markt diente dazu, die Anwohner mit frischem Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch zu versorgen. Bisher war Martin jedoch nur ein einziger Stand aufgefallen, der tatsächlich Lebensmittel verkaufte, ansonsten reihte sich ein Klamottenstand an den anderen. Die mit fahriger Hand bekritzelten Pappschilder versprachen Billigpreise, wiesen aber auch mit ungelenken Worten darauf hin, dass die Ware vom Umtausch ausgeschlossen war.

Neben Schuhen, Bekleidung für Kinder und selten auch etwas für den Herren, wurden hauptsächlich Textilien für die Frau angeboten. Diese Kleider bildeten mit ihren bunten Stoffen, den glitzernden Pailletten und Stickereien einen harten Kontrast zu dem, was die Weiber trugen, die sich auf dem Markt herumtrieben. Hier beherrschten schwarze Burkas und graue, bis auf den Boden reichende Kaftane das Bild; selbst die Kopftücher waren grau und farblos. Von den verhüllten Frauen konnte Martin oft nicht mehr als die Augenpartie sehen oder die Hände, wenn diese Stoffe befingerten oder zum Gestikulieren eingesetzt wurden. Ansonsten traf sein Blick nur auf Kleidung, deren gerade, konturenlose Schnitte kaum etwas von dem erahnen ließen, was sich unter ihnen verbarg.

In den meisten Fällen wäre Martin auch gar nicht erpicht darauf gewesen, die Frau unter der Burka ohne die ihr vorgeschriebene Tracht zu sehen, denn deren korpulente Erscheinung ließ ihn vermuten, dass es sich bei den Verhüllten kaum um eine Augenweide handeln konnte. Ihm begegneten aber auch schlanke Gestalten, die sich mit Anmut und jugendlicher Grazie bewegten. Dass diese Frauen seinen Blicken unterschlagen wurden, weckte in ihm den gehässigen Gedanken, dass Religion und Tradition von den Vormündern dieser Maiden nur als Grund zur Verschleierung vorgeschoben wurden, weil sie in Wahrheit die Vorstellung nicht ertragen konnten, dass sich ein Ungläubiger am Anblick dieser Grazien ergötzen könnte. Konnten manche dieser muslimischen Männer nicht einfach nur von Eifersucht zerfressene Kerle sein, die ihre Schutzbefohlenen lieber umbringen würden, als ihnen zu gestatten, sich in einer im Westen üblichen Art und Weise in der Öffentlichkeit zu zeigen? Handelte es sich bei diesen Männern um eine verschworene Gemeinschaft, die fest entschlossen war, den Deutschen die von ihnen so sehr herbeigesehnte Bereicherung ihrer Kultur zu verwehren, indem sie das unter grauem Tuch verbargen, was doch interessant und bestaunenswert hätte sein können: ihre Frauen?

Falkenhayn nahm sich vor, diesen Gedankengang in seiner Kolumne noch ein wenig zu vertiefen und mit einer Prise Provokation zu würzen.

Unverdrossen setzte er seine Beobachtung fort, musste letztlich aber feststellen, dass das graue Einerlei der Menge, durch die er sich quälen musste, für ihn auf Dauer schwer zu ertragen war. Diese triste Menschenansammlung wäre durchaus dazu geeignet, sogar einen Mann wie ihn, der über eine robuste seelische Verfassung verfügte, in tiefe Depression zu stürzen. Diese gleichgemachten farblosen Gestalten, die jedweder Individualität beraubt waren, kamen ihm vor wie Schatten oder Schemen, wie Gespenster von Toten, an die sich niemand mehr erinnern konnte. Die zum Kauf angebotenen, fantasievollen Kleider aber verrieten, dass diese Geister abseits des öffentlichen Lebens sehr wohl eine echte farbenfrohe Existenz führten.

Dass das Dasein der muslimischen Frauen in ihrem Privatbereich trotzdem nicht viel freier sein konnte, stand für Martin außer Frage. Die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts setzte sich dort unvermindert fort, nur dass die Frauen dann ansprechender gekleidet waren und das Haar offen trugen.

Missmutig vergrub Falkenhayn die Hände in den Jackentaschen. Er fühlte sich alles andere als kulturell bereichert, musste er feststellen. Er verstand ja nicht einmal, was die Menschen um ihn herum sagten, denn er beherrschte weder die arabische Sprache noch Türkisch oder einen anderen der fremden Idiome, die auf dem Hermannplatz verwendet wurden.

Mit ein bisschen gutem Willen hätte er dieser Situation vielleicht etwas Geheimnisvolles abgewinnen können und dieses prickelnde Fremdheitsgefühl in sich aufsteigen lassen können, das ihn manchmal beschlich, wenn er Urlaub in einem fernen Land machte und alles um ihn herum so fantastisch und verklärt erschien. Doch dazu war er momentan nicht in der Stimmung, zumal er das Wissen, dass er sich in Wahrheit in Deutschland aufhielt, nicht ausblenden konnte.