Star.X - Love my Seoul - Britta Wolters - E-Book

Star.X - Love my Seoul E-Book

Britta Wolters

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Beschreibung

Die 22jährige deutsche Studentin Emmy reist nach Seoul/ Südkorea, um dort ihre Arbeitsstelle als Praktikantin in der Künstleragentur Woon-Entertainment anzutreten. Star.X, die berühmte K-Pop Gruppe, steht hier unter Vertrag und Emmy wird einem der Bandmitglieder als Assistentin zugeteilt. Sie begleitet ihn zu den Dreharbeiten eines K-Drama, in dem der Star eine der Hauptrollen spielt. Das berühmte Idol und die naive Studentin finden anfangs nur schwer zueinander. Nach und nach wird jedoch aus Ablehnung Respekt und aus Respekt sogar Liebe. Als plötzlich Angriffe auf die junge Deutsche erfolgen, die sogar ihr Leben bedrohen, ist Emmy mehr als froh, ihren Star, seine Bandkollegen von Star.X und den CEO von Woon-Entertainment an ihrer Seite zu haben. Werden sie gemeinsam der Bedrohung entkommen und den Angreifer enttarnen? *** Dieses ist der 2. Teil der Star.X Reihe. Die Romane sind in sich abgeschlossen. Teil 1: Star.X - Feel my Seoul

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Der Brief

Kapitel 2 Die Ankunft

Kapitel 3 Star.X

Kapitel 4 “Immortality Love”

Kapitel 5 Am Set

Kapitel 6 Das Meeting

Kapitel 7 Das Apartment in den Bergen

Kapitel 8 Zurück am Set

Kapitel 9 In den Bergen

Kapitel 10 Gewitter

Kapitel 11 Taemins Bruder

Kapitel 12 Flaschendrehen

Kapitel 13 Verlieb dich nicht

Kapitel 14 Im Hotel

Kapitel 15 Horror Überraschung

Kapitel 16 Der Schatten

Kapitel 17 Ein Song für Emmy

Kapitel 18 Unter Frauen

Kapitel 19 Poolparty

Kapitel 20 Kein Zurück

Kapitel 21 Die Verleihung

Kapitel 22 Taemins Apartment

Kapitel 23 Bedrohung

Kapitel 24 Der Umzug

Kapitel 25 Geständnisse

Kapitel 26 Begegnung

Kapitel 27 Tanztraining

Kapitel 28 Anna

Kapitel 29 Zickenkrieg

Kapitel 30 Versöhnung

Kapitel 31 Das Statement

Kapitel 32 Schlimme Neuigkeiten

Kapitel 33 Tims Ankunft

Kapitel 34 Grenzüberschreitung

Kapitel 35 Spieleabend

Kapitel 36 Sightseeing

Kapitel 37 Ausgeknockt

Kapitel 38 Abschied

Kapitel 39 Im Dunkeln

Kapitel 40 Taemin

Kapitel 41 Wieder zurück

Kapitel 42 Verführung

Kapitel 43 Antrittsbesuch

Kapitel 44 In letzter Sekunde

Kapitel 45 Erkenntnis

Kapitel 46 Abschied von der Unschuld

Kapitel 47 Für immer und ewig

Kapitel 1 ~ Der Brief ~

Es war schon spät, als ich mich endlich auf dem Weg nach Hause machen konnte. Die letzte Vorlesung hatte mich den Rest meiner Konzentration gekostet und das ständige Gerede von meinem besten Freund und Mitkommilitonen Tim hatte ebenfalls an meinen Nerven gezerrt. Ich wollte endlich nach Hause und sehen, was in dem Brief stand, der dort ungeöffnet auf dem Küchentisch lag und auf mich wartete. Meine Mutter hatte mir ein Foto des Umschlages geschickt, den der Postbote bereits am Morgen gebracht hatte und ich hätte am liebsten alles stehen und liegen lassen, um nach Hause zu fahren und ihn sofort zu öffnen um die Antwort zu erfahren. Meine Ungeduld war am Telefon sicher deutlich zu spüren gewesen, denn meine Mutter hatte angeboten, für mich den Brief zu öffnen. Da ich mir aber nicht die Spannung nehmen wollte selbst den Umschlag zu öffnen, hatte ich ihr nicht die Erlaubnis gegeben den Brief schon für mich aufzureißen und mir das Ergebnis vorab mitzuteilen.

„Und?“ fragte Tim auf dem Weg zu unseren Fahrrädern, die wir vor der Uni angeschlossen hatten. „Wann würdest du uns denn verlassen, wenn es geklappt hat?“ Während er sein schon sehr mitgenommen aussehendes Rad von seinem Schloss befreite, warf er mir einen vorsichtigen Blick zu. Er wusste nur zu gut, wieviel es mir bedeutete, wenn meine Bewerbung angenommen werden würde und ich wusste, dass er mich lieber nicht gehen lassen wollte. Tim war seit der Grundschule mein bester Freund und für mich wie ein Bruder. Trotzdem hatte ich bemerkt, dass seit einiger Zeit etwas zwischen uns stand, was ich nicht benennen konnte. Es lag nicht an meiner Bewerbung, ein komplettes Jahr im Ausland zu verbringen, sondern es war etwas Anderes, das ich aber nicht richtig greifen konnte. Mal waren es Blicke von ihm, dann wieder locker dahin gesagte Sprüche, wo er meine Reaktion darauf genau beobachtete, und manchmal hatte ich das Gefühl, dass er einfach versuchte mich zu meiden. Immer dann, wenn Tim sich sicher war, dass ich es nicht bemerkte, warf er mir Hundeblicke zu, als würde er jetzt schon trauern, dass wir uns ein Jahr lang nicht sehen würden. Trotzdem war es heute das erste Mal, dass er mich konkret zu meiner Bewerbung ausfragte. Bislang hatte er mit keinem einzigen Wort erwähnt, dass wir uns vielleicht für ein gesamtes Jahr trennen würden und immer dann, wenn ich das Gespräch darauf lenken wollte, winkte er ab und sagte, dass ich erst darüber mit ihm reden sollte, wenn ich wirklich eine Zusage erhalten hatte. Ich seufzte und setzte mich auf mein Fahrrad, das ich in der Zwischenzeit ebenfalls aufgeschlossen hatte.

„Ich würde mit Ende des Semesters nach Korea umziehen.“ Das waren noch gut acht Wochen bis zu dem Zeitpunkt, aber hinsichtlich dem, was noch alles zu planen und zu organisieren wäre, waren zwei Monate eine sehr kurze Zeit. Tim nickte lediglich und fuhr, ohne ein weiteres Wort zu sagen, mit schnellem Tritt in die Pedale, los. Etwas langsamer folgte ich ihm und sah auf seinen breiten Rücken. Tim war genauso alt wie ich, 22 Jahre, und hatte nur zwei Monate vor mir Geburtstag. Lange Zeit war er immer einen halben Kopf kleiner als gewesen ich, aber irgendwann war er so schnell gewachsen, dass er mich mit seinen 1,85 m um fast einen ganzen Kopf überragte. Seine Beine waren damit auch um einiges länger als meine und es fiel ihm aus diesem Grund auch nicht schwer, mich mit wenigen Tritten in die Pedale auf dem Fahrrad abzuhängen.

„Hey, fahr nicht so schnell!“ rief ich ihm hinterher und legte mich nun mehr ins Zeug, um ihn noch einzuholen. Nach relativ kurzer Fahrt waren wir bei mir zuhause angekommen. Anders als sonst schien Tim nicht mit hineinkommen zu wollen, denn er winkte mir kurz zum Abschied zu und fuhr die zwei Straßen weiter zu sich nach Hause. Etwas enttäuscht, dass er den Inhalt des Briefes nicht zusammen mit mir sehen wollte, sah ich ihm achselzuckend hinterher und schob mein Fahrrad die Einfahrt zu unserem Haus hoch. Ich wohnte noch bei meinen Eltern zuhause, da wir praktischer Weise in der Nähe der Uni wohnten. Mein Vater war dort Professor und meine Mutter arbeitete hier als Sekretärin für den Dekan. Sie war es auch, die mich bereits in der Küche erwartete, denn sie hatte mich kommen hören und nach mir gerufen. Sie schien genauso aufgeregt zu sein, wie ich. Erwartungsfroh hielt sie den Umschlag mit der Antwort aus Seoul in den Händen.

„Emmy! Es wurde auch Zeit, dass du endlich kommst. Noch länger hätte ich das Warten nicht ertragen“ empfing sie mich mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Ich betrachtete das hübsche Gesicht meiner Mutter und sah auf den Umschlag in ihrer Hand. Für sie war es einerseits schlimm, dass ihre einzige Tochter vorhatte für ein ganzes Jahr das Nest zu verlassen, andererseits war sie der Meinung, dass man nur durch Reisen Erfahrungen aller Art sammeln konnte. Jetzt aber tatsächlich in Kürze zu erfahren, ob man die Tochter für ein Jahr in die Fremde verabschiedet, war auch für sie mit Sicherheit nicht einfach. Die Freundin meiner Mutter hatte ihr bei ihrem gemeinsamen Treffen erzählt, dass ihre Tochter Lisanne, die vor über einem halben Jahr nach Korea ausgewandert war, sich dort so gut eingelebt hatte und nun sogar einen Mann kennengelernt hatte, den sie in Kürze heiraten wollte. Da ich schon länger mit dem Gedanken gespielt hatte ein Jahr im Ausland zu verbringen, hatte meine Mutter mir sofort davon erzählt und mich mit ihrer Idee begeistert. Tatsächlich war mir selbst schon zuvor der Gedanke gekommen, ein asiatisches Land zu bereisen, da ich neben den Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch auch Koreanisch seit fünf Jahren gelernt hatte. Warum ich nicht selbst auf die Idee gekommen war, ein Auslandsjahr in Korea zu verbringen, lag wahrscheinlich daran, dass ich Angst hatte, Heimweh zu bekommen. Frankreich oder Groß Britannien waren deutlich näher an Deutschland und schneller zu erreichen als Korea und die Entfernung war für mich als Einzelkind, das immer eng mit ihren Eltern zusammengelebt hatte, schon etwas beängstigend. Aber letztendlich hatte die Neugierde gesiegt und ich hatte mich auch aufgrund eines kleinen Schupses meiner Eltern für ein Auslandspraktikum in Seoul beworben.

Vor über fünf Jahren hatte ich damals zusammen mit einer Freundin einen Koreanisch Kurs besucht. Meine Freundin war in dieser Zeit so begeistert von der bis dahin in Deutschland kaum bekannten koreanischen Popmusik gewesen, dass sie die Texte, die dort gesungen wurden, auch verstehen wollte. Sandy wollte nicht alleine an das koreanische Institut gehen um zu lernen und hat mich damals überredet und somit mitgezogen. Fremdsprachen lagen mir schon immer und ich hatte keine Schwierigkeiten, eine neue Sprache zu erlernen und so war tatsächlich ich diejenige gewesen, die auch noch nach einem Jahr am Ball geblieben war und weiterhin koreanisch gelernt hatte. Sandy hatte schnell wieder das Interesse verloren, da das Lernen auch nach dem Besuch des Unterrichts fortgesetzt werden musste und sie darauf keine Lust hatte. Vielmehr war sie an einem niedlichen Mitschüler interessiert gewesen, der ihr in einem ganz anderen Umfeld die Sprache noch sehr viel näherbringen konnte. Nach nunmehr fünf Jahren Unterricht beherrschte ich die Sprache mittlerweile recht gut und konnte mich schon sehr flüssig unterhalten. Nun wedelte meine Mutter mit dem Brief vor meinen Augen und holte mich aus meiner Träumerei.

„Na los, mach ihn endlich auf, ehe ich wirklich vor Neugierde platze!“ forderte sie mich auf. Ich nahm ihr mit leicht zitternden Fingern endlich den Brief aus der Hand und betrachtete den asiatischen Poststempel. Tief Luft holend riss ich den Umschlag auf und zog langsam den Brief heraus.

„Und?“ wollte meine Mum wissen, die wie ein kleiner Irrwisch von einem Bein auf das andere hin und her sprang. Ihre kurzen roten Locken flogen ihr um den Kopf und die grünen Augen leuchteten vor Aufregung. Wenn ich sie betrachtete, dann wusste ich, wie ich in etwas über 20 Jahren wohl aussehen würde. Meine dunkelroten Haare hatte ich, ebenso wie die helle Haut und die grünen Augen, von meiner Irisch stämmigen Mutter geerbt. Sie war lediglich ein ganzes Stück kleiner als ich und hatte jede Menge Sommersprossen, die sie mir nicht mitvererbt hatte. Meine Haut war sehr hell und ich hatte dafür die Grübchen von meinem Vater geerbt. Meine Augen flogen über das Schreiben von Woon-Entertainment aus Seoul und nachdem ich dieses gelesen hatte, fiel ich meiner Mutter vor Freude um den Hals. Sofort stimmte sie in den Jubelschrei mit ein und gemeinsam hüpften wir nun durch die Küche, ehe sie sich an der Ecke des Tisches ihre Hüfte stieß und sich mit einem lachenden Schmerzensschrei auf einen Stuhl niederfallen ließ.

„Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz. Ich wusste, dass du es schaffen wirst!“ Meine Mutter hatte nie Zweifel an meiner Bewerbung gehabt und nachdem ich mich ebenfalls gesetzt hatte, betrachtete ich das Schreiben noch einmal und konnte es nicht fassen. Mein Blick wurde jedoch von etwas abgelenkt, was auf unserem Küchenboden lag und wie ein weiteres Schreiben aussah. Stirnrunzelnd hob ich es auf und bemerkte, dass es sich um einen handschriftlichen Brief handelte.

„Schau mal, das war auch noch dabei.“ Ich zeigte das Schreiben kurz meiner Mutter, ehe ich es auseinanderfaltete und las.

„Liebe Emmy,

sicherlich erinnerst du dich nicht mehr daran, dass ich dich als Baby durch die Gegend getragen habe. Ich freue mich, dass ich bald wieder für dich da sein kann.

Mit Freude habe ich gehört, dass du zu uns nach Korea kommen möchtest, um ein Auslandspraktikum zu machen und dabei möchten mein Verlobter Jae und ich dich gerne unterstützen. Wie du sicherlich weißt, ist Jae der Vorsitzende von Woon-Entertainment und als ich ihm sagte, dass die Tochter der besten Freundin meiner Mutter nach Seoul kommen möchte, war er sofort begeistert. Deine Sprachkenntnisse sind natürlich auch ein großer Vorteil und daher freuen wir uns, dass du uns unterstützen wirst. Wir möchten dir ermöglichen, in jeden Bereich der Branche hinein zu schnuppern und Jae lässt gerade einen Plan für dich ausarbeiten. Außerdem haben wir uns überlegt, dass du am besten bei uns zuhause wohnen kannst. Selbstverständlich musst du für Kost und Logis nichts zahlen, lediglich musst du mir hin und wieder mal Gesellschaft leisten.

Am meisten freue ich mich, dass du auch zu unserer Hochzeit kommen kannst und ich somit einen lieben Gast aus Deutschland zusätzlich auf meine Einladungsliste setzten kann.

Liebe Emmy, ich freue mich wirklich, dass du hierherkommen wirst und hoffe, dass du Korea genauso lieben lernen wirst, wie ich.

Herzlichst Deine Lisanne“

Wortlos reichte ich meiner Mutter den Brief und sah ihr dabei zu, wie sie die Zeilen überflog und ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht erschien.

„Du wusstest, dass es mit Korea klappen wird, oder?“ fragt ich sie und war mir nicht sicher, ob ich böse oder froh sein sollte, dass sie durch ihre Beziehungen nachgeholfen hatte. Aber letztendlich zählte das Ergebnis und was Lisanne mir geschrieben hatte war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte. Sogar meine Unterbringung war gesichert. Ich hatte mir schon Gedanken darüber gemacht, wie und wo ich in Seoul wohnen würde und hierzu intensiv das Internet durchforstet, aber die Mietpreise waren der reinste Horror. Die Stadt war sehr dicht besiedelt und Wohnraum daher sehr teuer. Da ich jetzt bei Lisanne und ihrem Verlobten wohnen würde, war mir ein großer Ballast von der Seele genommen worden, dass ich mich um eine bezahlbare Unterkunft in der Millionenmetropole nicht mehr kümmern müsste.

„Emmy, du weißt, dass Papa und ich es begrüßen, dass du ein Auslandsjahr machen möchtest und daher haben wir natürlich versucht, dich so gut es geht zu unterstützen. Tante Inge war mehr als begeistert, dass du zu ihrer Lisanne fahren würdest. Sie hat nach wie vor ein großes Problem damit, ihre Tochter so weit weg im Ausland zu wissen, so ganz ohne die häusliche mütterliche Unterstützung. Es kostet mich jedes Mal etwas Kraft ihr zu erklären, dass Lisanne eine erwachsene Frau ist und auch nicht mehr alleine in Seoul, da sie ja ihren Jae hat.“ Verstehend nickte ich, denn ich wusste, dass Tante Inge etwas ängstlich war und es laut meiner Mutter furchtbar gefunden hat, dass ihre Tochter so weit weggereist war. Lisanne und ich kannten uns nicht besonders gut, obwohl unsere Mütter seit ihrer Schulzeit sehr eng befreundet waren. Allerdings lebten wir auch mehr als 100 km voneinander entfernt und unsere beiden Mütter trafen sich nur einige Male im Jahr und dann ohne ihre Familien. Ich hatte Lisanne bei den wenigen Familienfesten, auf denen alle Vertreter beider Familien anwesend waren, kennengelernt, konnte mich aber nicht mehr wirklich an die sieben Jahre ältere Tochter von Mutters Freundin erinnern. Obwohl unsere Mütter sich nicht so oft im Jahr sehen konnten, wie sie es vielleicht gerne gewollt hätten, telefonierten die beiden mehrmals in der Woche miteinander und ihre Gespräche waren dann selten kürzer als eine Stunde. Mein Dad und ich wussten, dass wir sie dann auch nicht stören durften, da meine Mutter bei Unterbrechungen überaus ungehalten werden konnte. Als kleines Mädchen hatte ich mir auch eine solche Freundschaft mit einem anderen Mädchen gewünscht, aber ich hatte kein Mädchen als enge Freundin gefunden, sondern Tim, meinen besten Freund.

„Mum, ich werde schnell Tim anrufen.“ Ich flitzte schon die Treppe hoch nach oben in mein Zimmer und hatte mein Handy bereits in der Hand. Direkt beim ersten Klingeln nahm mein Freund das Gespräch an und ehe er etwas sagen konnte, jubelte ich ins Smartphone.

„Es hat geklappt“ rief ich völlig außer Atem und meine Stimme überschlug sich fast, als ich ins Telefon brüllte.

„Herzlichen Glückwunsch“ hörte ich seine tiefe Stimme ruhig antworten und wartete darauf, dass er ebenfalls jubeln würde, was zu meiner größten Überraschung allerdings ausblieb. Irritiert sah ich aufs Handy, ob unsere Verbindung unterbrochen war, stellte ich fest, dass das jedoch nicht der Fall war.

„Tim? Was ist los? Freust du dich nicht für mich?“ Ich hörte, wie etwas scharrte und stellte mir vor, wie er seinen Stuhl vom Schreibtisch herauszog und sich setzte.

„Emmy, sei mir nicht böse, aber es passt gerade nicht so. Ich melde mich später bei dir.“ Ehe ich noch etwas erwidern konnte, hatte er bereits aufgelegt und mich sprachlos zurückgelassen. Was war denn das, bitte schön? Wieso würgte er mich so ab, obwohl sich für mich gerade die Welt schneller drehte? Erst wollte ich wütend auf ihn werden, aber dann siegte wieder meine Freude und meine Aufgeregtheit und ich lief zurück nach unten zu meiner Mum in die Küche, wo mittlerweile auch mein Vater eingetroffen war. Mein Vater war ein ruhiger und besonnener Mann und ein paar Jahre älter, als meine quirlige Mutter. Als ich die beiden zusammen in der Küche sitzen sah, musste ich ein wenig schlucken. Es würde für mich schon sehr merkwürdig werden, sie nicht jeden Tag zu sehen und sie um Rat fragen zu können, wenn ich vor einem Problem stehe. Ich würde über 8.000 km von ihnen entfernt leben und uns würden sieben Stunden Zeitverschiebung trennen. Wenn ich bereits arbeite, würden sie noch schlafen. Wäre ein Auslandsjahr in London nicht doch etwas einfacher? Nein, dachte ich im gleichen Moment. Ich wollte lernen auf eigenen Beinen zu stehen und ich würde das am besten erlernen, wenn ich möglichst weit wegziehen würde. Jungvögel wurden auch irgendwann von ihren Eltern aus dem Nest geworfen und lernten fliegen. Ich würde erst dann wieder zurück nach Hause kommen, wenn meine eigenen Flügel mich tragen würden. Mit einem zuversichtlichen Lächeln auf meinem Gesicht betrat ich wieder die Küche und setzte mich zu meinen Eltern an den Küchentisch. Gemeinsam besprachen wir, was ich in den nächsten Wochen noch alles erledigen musste, damit ich für ein Jahr nach Korea gehen konnte. Über die Beantragung eines Visums bis hin zum Einkauf von neuen Klamotten war alles dabei. Zum Glück wollten meine Eltern mich bei allem unterstützen und so wollte ich vorerst ein letztes Mal die heimische Sicherheit und den Rundumservice genießen, bevor ich lernen sollte, auf eigenen Beinen zu stehen.

Am nächsten Tag erwartete mich Tim vorm Haus auf dem Fahrrad, um mit mir gemeinsam zur Uni zu fahren. Er begrüßte mich zurückhaltender als sonst, was mir sofort auffiel. Sein Gesicht wirkte verschlossen und er hatte die Lippen ein wenig zu fest aufeinandergepresst. Er sah aus, als wollte er in jedem Moment anfangen mit mir zu schimpfen, tat dies aber nicht. Gerade wollte ich ihm weitere Details von meinem Brief erzählen, als ich merkte, dass er so tat, als würde er mich nicht hören und bereits losfuhr.

„Tim, warte doch mal“ rief ich ihm hinterher und strampelte so schnell ich konnte „Was ist denn los? Habe ich dir irgendwas getan?“ Schnaufend radelte ich hinter ihm her. Endlich wurde er etwas langsamer, so dass ich zu ihm aufschließen konnte und neben ihm fuhr.

„Nein, hast du nicht“ sagte er mit einem unwirschen Klang in der tiefen Stimme und blickte weiterhin starr geradeaus.

„Doch, scheinbar schon, denn du bist irgendwie böse auf mich“ erwiderte ich und sah ihn von der Seite an. Wie mir jetzt auffiel, hatte Tim dunkle Ringe unter den Augen, als ob er die ganze Nacht nicht geschlafen hätte. Sein Gesicht war etwas bleich und seine Haare hatte er scheinbar heute auch nicht gewaschen, denn sie standen ihm ein wenig vom Kopf ab und wirkten nicht besonders frisch.

„Bist du krank?“ fragte ich ihn und sah ihn weiterhin an.

„Guck lieber nach vorne, sonst fährst du gleich gegen den Laternenpfahl“ wies er mich an, ohne meine Frage zu beantworten. Schnell sah ich geradeaus und wich dem Pfahl im letzten Moment aus. Als ich wieder neben meinem Freund fuhr, griff ich zu ihm hinüber und zog an seinem Arm.

„Jetzt warte doch mal“ bat ich ihn und bremste überrascht ab, als er sein Fahrrad ohne Vorwarnung stoppte und abstieg. Ehe ich etwas sagen konnte, knallte er das Rad wütend auf den Weg. Es schepperte laut und ich sah, dass sich seine Klingel vom Lenkrad bei dem Aufprall verbogen hatte.

„Du ziehst das jetzt wirklich einfach durch, ja?“ Verständnislos sah ich ihn an. Er hatte seine braunen Haare gerauft, so dass sie ihm nun noch mehr vom Kopf in alle Richtungen abstanden. Damit sah er in meinen Augen wieder so niedlich aus, wie der kleine Tim aus dem Sandkasten. Aber er war nicht mehr der kleine Tim. Er war ein 22jähriger erwachsener junger Mann und war wirklich wütend – so wütend, wie ich ihn schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte.

„Was meinst du mit durchziehen?“ fragte ich vorsichtig, obwohl ich mir sicher war, dass er meinen Aufenthalt in Korea damit meinte. Aber ich wollte es von ihm selbst hören.

„Das weißt du doch ganz genau.“ Fauchte er und hob sein Fahrrad wieder auf, um die Fahrt fortzusetzen.

„Halt Tim, ich glaube, wir beide müssen uns wirklich mal in Ruhe unterhalten. Fahr nicht weiter, bitte. Lass uns die erste Vorlesung schwänzen und wir gehen zusammen ins Café. So geht es nicht weiter.“ Ich wusste, dass ich bei seinen seltenen emotionalen Ausbrüchen ruhig bleiben musste. Tim war eigentlich ein ausgesprochen ruhiger und bedachter Typ und das komplette Gegenteil von mir. Wie meine roten Haare vermuten ließen, konnte ich schnell explodieren und dann war er es meistens, der mich wieder erdete. Tim starrte an mir vorbei die Straße hinunter und hatte die Augenbrauen zusammengezogen. Er sah nicht wirklich so aus, als wollte er sich beruhigen, aber zum Glück war er mir nie lange böse und gab meistens nach. So auch jetzt, als er kurz nickte und sich wieder zurück auf sein Rad setzte und bereits losgefahren war, ehe ich überhaupt wieder aufgestiegen war.

Tim wartete vor unserem Lieblingscafé auf mich und hatte etwas trotzig seine Hände in die Jeanshose gesteckt. Er schien die Blicke der Mädchen, die interessiert auf ihm lagen, nicht zu bemerken, denn er sah immer noch mit einem unheilvollen Gesicht zu mir hinüber, als ich endlich angekommen war. Wortlos drehte er sich um und ging hinein ins Café. Nach wie vor beachtete er dabei keines der Mädchen, die ihn jetzt schmachtend ansahen und leise kicherten. Ich betrachtete Tim und stellte mir vor, wie ich ihn sehen würde, wenn wir nicht schon seit 20 Jahren beste Freunde wären: Er war wirklich sehr hübsch. Groß, schlank, muskulös mit breiten Schultern und einem modischen Kurzhaarschnitt, zu dem ich ihn überredet hatte. Seine Augen waren trotz seiner dunklen Haare strahlend blau und blickten, wenn sie nicht gerade böse auf mich waren, freundlich. Sein Charakter war gutmütig und er war meistens freundlich und ausgeglichen. Die Mädchen an der Uni hatten ihn einmal in einer geheimen Wahl als einen der schönsten Jungs des Campus gewählt.

Tim hatte darüber nur gelacht und sich nichts darauf eingebildet. Tatsächlich schien er nicht wirklich an den Mädchen interessiert zu sein, denn bislang hatte ich ihn noch mit keiner Freundin zusammen gesehen. Wahrscheinlich hatte er schon mal eine Affäre gehabt, vermutete ich, aber davon hatte er mir nie etwas erzählt. Eigentlich ging es mir ähnlich wie ihm. Mich interessierten die meisten Jungs nicht und ich musste feststellen, dass ich aber wohl auch nicht das Interesse des anderen Geschlechts auf mich zog. Bislang konnte ich die Männer, die sich kurz für mich begeistert hatten, an einer Hand abzählen. Vermutlich schreckte die meisten auch das enge Verhältnis ab, das ich zu einem anderen Jungen hatte, auch wenn dieser mein bester Freund seit dem Sandkasten war. Tim und ich waren uns genug und ich hatte tatsächlich bislang auch noch niemals einen festen Freund gehabt. Hin und wieder hatten wir beide auf Partys mal mit einem Partner des anderen Geschlechts geflirtet, aber etwas Ernstes hatte keiner von uns gehabt. Mir fehlte das auch nicht wirklich, da ich mit meinem Leben bislang auch immer sehr zufrieden gewesen war. Außerdem schreckte es den einen oder anderen schon ab, wenn Tim plötzlich neben mir auftauchte und mich eng in den Arm nahm oder auch mal einen Kuss auf die Wange gab. Manches Mal hatte ich auch seine Freundin gespielt, damit er von allzu hartnäckigen Mädchen in Ruhe gelassen wurde. In unserem Lieblingscafé hatte sich Tim einen ruhigen Tisch in einer Ecke ausgesucht und sich bereits gesetzt. Die Getränkekarte hatte er vom Tisch genommen und hielt sie vor sich in seinen Händen. Das war ganz offensichtlich ein Vorwand um noch nicht mit mir zu reden, da wir beide die Karte auswendig kannten, so oft wie wir hier einen Kaffee trinken kamen. Nachdem die Kellnerin unsere Bestellung aufgenommen hatte, legte er die Karte zur Seite und hatte somit keinen Grund mehr, unser Gespräch weiter zu vermeiden.

"Also, was ist los, Timmy?" Er zuckte über seinen Spitznamen, den er als Kind gehabt hatte, zusammen und als ich ihn breit angrinste, zuckte es bereits andeutungsweise in seinen Mundwinkeln. Lange konnte er mir zum Glück nicht böse sein.

"Ich will nicht, dass du fährst." sagte er trotzig und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er wollte nicht auf seine beste Freundin verzichten und das konnte ich verstehen. Auch mir grummelte es im Bauch, wenn ich daran dachte, dass ich ihn vielleicht ein ganzes Jahr lang nicht sehen würde.

"Ich weiß" sagte ich verstehend und nahm der Kellnerin meinen Cappuccino ab, den sie in der Zwischenzeit gebracht hatte. "Aber du weißt, dass ich nicht für immer gehe und wir uns auch zwischendurch sehen können. Du kommst mich besuchen und ich fliege mindestens einmal zurück nach Deutschland. Sonst sterbe ich bestimmt vor Heimweh" versuchte ich ihn zu beruhigen. Allerdings wusste ich, dass es nur ein kläglicher Versuch war, ihm sein Unwohlsein zu nehmen. Für mich würde sich in diesem Jahr vieles verändern und ich würde viel Neuem begegnen. Er würde hier in Deutschland weiterhin zur Uni gehen und seinen gewohnten Tagesablauf haben, nur dass er dieses Mal alles alleine machen musste.

"Ich finde es toll, dass du so mutig bist und ein Jahr lang ins Ausland gehen willst, aber ich finde es schlimm, dass wir uns so lange nicht sehen können." Seine Stimme hatte einen leicht vorwurfsvollen Ton und anklagend sah er mich mit seinen blauen Augen von unten herauf an und mir wurde schwer ums Herz.

"Hast du deswegen dunkle Ringe unter den Augen?" fragte ich ihn leise und griff über den Tisch nach seiner Hand, die ich leicht drückte. Er sah auf unsere beiden ineinander verschlungenen Hände hinab und ich bemerkte, dass sich Tränen in seinen Augen sammelten. Ich musste schlucken und hoffte, nicht ebenfalls zu weinen, doch ich riss mich zusammen und zog meine Hand wieder zurück, ehe wir noch trübseliger werden konnten.

"Was glaubst denn du?" antwortete er mit einer Gegenfrage und trank schnell einen Schluck von seinem Kaffee, ehe er mehr sagen musste. Ich sah ihn seufzend an und dachte daran, dass wir uns wirklich das erste Mal in unserem Leben für eine solch lange Zeit trennen würden. Tim war nicht wie ich ein Sprachtalent, aber er war nicht schlecht darin gewesen. Aus diesem Grund hatte er genau die gleichen Studienfächer gewählt wie ich und wir waren sogar nach unserem Abitur zusammen an die gleiche Uni gegangen. Natürlich hatte sich das angeboten, da wir praktisch in der Nachbarschaft der Uni wohnten. Dennoch hätte Tim die Wahl gehabt zu studieren, was auch immer er wollte. Er hatte als Jahrgangsbester das Abitur bestanden und ihm standen anschließend alle Türen offen. Dennoch hatte er sich dafür entschieden, genau die gleichen Studienfächer zu wählen wie ich. Jetzt würde alleine seinen Tagesablauf planen und umsetzen müssen - genauso wie ich. Ein Novum für uns beide. Aber, wenn ich ehrlich war, dann wurde es auch langsam mal Zeit, dass wir uns beide für etwas Neues öffneten. Mein Auslandsjahr war tatsächlich etwas, was ich ohne ihn geplant und umgesetzt hatte. Nicht zuletzt, weil meine Mutter mir das nahegelegt hatte. Sie war der Meinung, dass eine gute Freundschaft auch eine Trennung verkraften könnte und es wichtig sei auch zu lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Darin gab ich ihr absolut Recht und deshalb hatte ich Tim von meiner Bewerbung auch erst erzählt, als diese bereits im Postflieger nach Seoul unterwegs gewesen war. Wie vorherzusehen, war mein Freund alles andere als begeistert gewesen, als er von meinen Plänen erfahren hatte. Irgendwann hatte er sich aber damit getröstet, dass ich wahrscheinlich in einem solchen wichtigem und weltweit agierenden Unternehmen wie Woon-Entertainment nicht als ausländische Praktikantin angenommen werden würde. Überraschender Weise war es nun doch so, dass ich ihn bald alleine lassen würde und das machte ihm scheinbar mehr Probleme, als ich mir hatte vorstellen können.

"Außerdem können wir regelmäßig chatten oder einen Videoanruf machen" fügte ich noch abschließend hinzu. Ich sah auf den dunklen Kopf meines Freundes, den er über seine nunmehr leere Kaffeetasse gebeugt hatte. Er grummelte etwas für mich Unverständliches und ich hoffte, dass wir die letzten Wochen vor meinem Abflug uns nicht noch einmal streiten würden. Tim war nach wie vor nicht begeistert, aber ihm blieb keine andere Möglichkeit, als meine Entscheidung zu akzeptieren.

Kapitel 2 ~ Die Ankunft ~

Der Flug nach Seoul verlief reibungslos. Das Ticket hatte Woon-Entertainment für mich gebucht und bezahlt, so dass für mich dadurch keinerlei Kosten entstanden. Ich fand das überaus großzügig und hoffte, dass ich mich nicht komplett blamieren würde, wenn ich dort erst einmal in der Firma arbeite.

Am internationalen Flughafen in Incheon musste ich erst einmal versuchen mich zurechtzufinden. Bislang war ich noch nicht allzu oft geflogen und den Flug von fast 12 Stunden hatte ich zumeist schlafend verbracht. Nach meiner Ankunft passierte ich die Passkontrolle und nachdem ich meinen Koffer entgegengenommen hatte, begab ich mich zum Ausgangsbereich. Lisanne hatte mir per E-Mail geschrieben, dass ich dort von einem Mitarbeiter der Entertainmentfirma erwartet werden würde. So hoffte ich, dass dort jemand stand und ich die Person auch erkennen würde. Die automatische Tür öffnete sich und zusammen mit mir strömten sämtliche Fluggäste hinaus. Von dem Sog mitgezogen, versuchte ich eine Person hinter der Absperrung auszumachen, die wie versprochen meine Ankunft erwartete. Tatsächlich hielt ein junger Mann ein Schild in den Händen, auf dem ich meinen Namen lesen konnte. Erleichtert ging ich auf ihn zu und stellte mich auf Koreanisch vor.

"Hallo, ich bin Emmaline Schönbach aus Deutschland." Der junge Mann hatte ein zurückhaltendes Lächeln im freundlichen Gesicht und machte eine kurze höfliche Verbeugung.

"Guten Tag Frau Schönbach. Im Namen von Woon-Entertainment heiße ich Sie herzlich in Korea Willkommen. Bitte begleiten Sie mich zum Wagen." Ich zog meinen Koffer hinter der Absperrung entlang und folgte dem jungen Mann den weiteren Weg hinaus vor das Gebäude, wo er in einer Wartezone sein Fahrzeug geparkt hatte. Es handelte sich um einen riesigen schwarzen Van mit dunklen Fensterscheiben, der von außen schon so aussah, als müsste er wichtige Passagiere befördern. Unentschlossen was ich machen sollte, blieb ich vor dem Wagen stehen und wartete ab. Der junge Mann öffnete per Knopfdruck die lautlos aufschwebende Seitentür und deutete mir an, dass ich einsteigen sollte. Meinen Koffer nahm er mir höflich ab und schob ihn hinter das Auto, um ihn einzuladen. Etwas ungeschickt kletterte ich in den riesigen Van, der im Fond überaus nobel ausgestattet war. Die Inneneinrichtung war aus hellem Leder und die einzelnstehenden Sitze sahen so bequem wie Fernsehsessel aus. Ich zählte kurz durch und stellte fest, dass insgesamt 6 Sitze ohne die beiden Vordersitze in dem Fahrzeug vorhanden waren. Wow, dachte ich, was für ein Schlitten. Als ich Platz genommen hatte, kam der junge Mann wieder nach vorne an die noch offene Seitentür und sah in den Wagen hinein.

"Bitte entschuldigen Sie mich kurz. Ich muss noch einen weiteren Gast abholen, der soeben gelandet sein müsste. Wir werden in Kürze zusammen zurück sein." Ich nickte und als er die Tür wieder schloss, sah ich durch die getönten Scheiben, dass er eiligen Schrittes zurück in die Ankunftshalle ging. Während ich alleine im Auto saß, sah ich weiter hinaus und beobachtete die Menschen, die aus der Halle kamen und gingen. Es herrschte wie immer auf einem Flughafen reges Treiben und ich malte mir aus, dass manche hier genau wie ich mit bangem Herzen oder freudiger Erwartung gelandet waren, andere vielleicht voller Vorfreude auf das Land oder im gedanklichen Stress an ihre zu erledigenden Aufgaben. Der Flughafen war international, aber tatsächlich waren hauptsächlich Asiaten zu sehen und nur wenige europäisch aussehende Ausländer konnte ich in der Menge der Gäste entdecken.

Gerade als ich dachte, dass der Fahrer mich vielleicht vergessen haben könnte, kam er in Begleitung eines großen Mannes aus der Abflughalle heraus. Ich wunderte mich, dass trotz des warmen Wetters der andere Fluggast einen langen Mantel, einen Cowboyhut und eine Maske trug. Ich dachte mir nicht viel dabei, denn immerhin war Woon-Entertainment eine Agentur für Künstler und wahrscheinlich hatte mein Fahrer einen Mitarbeiter der Agentur abgeholt. Trotz des auffälligen Kleidungsstils um möglichst nichts von sich zu zeigen, konnte er die Aura eines Prominenten nicht verdecken. Ihm folgten bei jedem seiner Schritte sämtliche Augenpaare der anderen Passiere in der Nähe und ich konnte sehen, dass die anderen Besucher des Flughafens sich überlegten, welche bekannte Persönlichkeit gerade mit ihnen zusammen das Gebäude verließ.

Vor meinem Abflug hatte ich mich mit den unter Vertrag stehenden Künstlern der Agentur auseinandergesetzt. Woon-Entertainment hatte neben sogenannten K-Pop-Gruppen auch Schauspieler und Einzelkünstler unter Vertrag. Wie ich erfahren konnte, war die Entertainment-Gruppe eine der führenden des Landes und was mich aber am meisten freute war, dass sie als eine der fairsten Arbeitgeber in diesem Bereich galt. Das Privatleben der Künstler war Woon-Entertainment heilig. Das war ungewöhnlich in der Branche und hatte dem Unternehmen diesen perfekten Ruf eingebracht. Kein Künstler, der einmal unter Vertrag mit dieser Agentur stand, war gewillt, von sich aus zu kündigen. Ich fand das bemerkenswert, da ich doch von anderen Agenturen gehört hatte, die nicht so wohlwollend mit ihren Vertragspartnern umgingen. Selbstverständlich hatte ich mich vorab mit den Künstlern meines zukünftigen Arbeitgebers auseinandergesetzt und über sie im Internet recherchiert.

Besonders erfolgreich im Business war eine aus ausschließlich männlichen Mitgliedern bestehende Gruppe namens Star.X. Bereits lange vor ihrem Debut vor 6 Jahren standen sie bei Woon-Entertainment unter Vertrag. Sie waren auch sozusagen das Aushängeschild der Firma. Bei meiner Recherche hatte ich mir die Geschichte der Band angesehen und natürlich auch versucht, mir die einzelnen Mitglieder einzuprägen. Als Europäerin fiel es mir nicht so wirklich leicht, alle Idols sofort auseinander zu halten, da mein ungeübtes Auge und Gehirn die Verarbeitung der unbekannten Gesichtszugscharaktere nicht gewohnt waren. Aber nachdem ich mich intensiv mit ihnen auseinandergesetzt hatte, war es dann doch recht einfach, die Namen den Gesichtern zuzuordnen. Die Sänger, Rapper und Tänzer von Star.X hatten eine riesige Fan Base und waren seit ein paar Jahren auch weltweit sehr bekannt geworden. Ich hatte schon mal ein Lied von ihnen im Radio gehört, aber mein Sender spielte normaler Weise keine asiatische Musik. Schade eigentlich, denn das Lied hatte mir wirklich gut gefallen. Es war ein Gemisch aus koreanischer und englischer Sprache, sehr poppig und hatte einige gerappte Passagen. Eigentlich etwas, das man wirklich gut hören konnte und Spaß machte, aber scheinbar war der deutsche Markt außer für Eingeweihte noch nicht bereit, sich auch auf andere Musikstile einzulassen.

Die Mitglieder von Star.X waren seit etwa sechs Jahren im Geschäft und veröffentlichten regelmäßig neue Lieder, die sofort hoch in den Charts einstiegen und nicht selten in asiatischen und auch mittlerweile in Nicht-asiatischen Ländern Platz eins belegten. Aus diesem Grund stand auch viel über die Boyband im Internet, was ich recherchieren konnte. So wusste ich, dass sie aus fünf Mitgliedern bestanden.

Yeon war der Älteste und das Gesicht der Gruppte. Er hatte wirklich sehr hübsche, gleichmäßige Gesichtszüge und hatte sich laut eigener Aussage niemals einer Schönheits-OP unterzogen. Dieses war bei einigen anderen Idols ganz normal. So wurden den Trainees, also den Auszubildenden der Entertainmentfirmen für den Job des Idols, oftmals nahegelegt, vor ihrem Debut kleine, in ihren Augen vorhandene Schönheitsfehler korrigieren lassen. Um den Wahrheitsgehalt seiner Aussage zu bestätigen, hatte Yeon bei einer Gelegenheit Baby- und Kinderbilder von sich selbst für seine Fans veröffentlicht und man konnte darauf tatsächlich klar erkennen, dass zumindest sein Gesicht niemals ein Chirurgenmesser gesehen hatte. Yeon war bereits als Baby ein überaus süßes und hübsches Kind gewesen.

Sunny war Rapper und der Leader der Gruppe und trug als Markenzeichen seine Haare immer blond gefärbt. Er hatte auf sämtlichen Fotos ein strahlendes Lächeln und wirkte wirklich wie ein Sonnenschein. Er war der zweitälteste der Gruppe und von allen Bandmitgliedern noch vor dem Debut als Bandleader gewählt worden. Wie er in einem Interview gesagt hatte, konnte er auch durchaus ernst werden und dann gehorchten seine Freunde ihm besser. Er galt als Frauenheld, wenn er auch niemals öffentlich eine Freundin präsentiert hatte – wie übrigens niemand aus der Band Star.X.

Taemin war einer der Lead-Sänger und Haupttänzer der Band. Mit seinem attraktiven Äußeren und seiner tiefen Stimme galt er als Frauenschwarm bei Star.X und war bis vor Kurzem der Fan-Liebling mit den meisten Follower in den Social Media. Seit einigen Monaten allerdings war er bei öffentlichen Auftritten eher zurückhaltend und in sich gekehrt erschienen und hatte so viele Fans an seinen jüngsten Bandkollegen In-Ho abgetreten.

Ji-Mong, J.Mo war sein Stage-Name, war genau wie Sunny einer der Rapper von Star.X und galt als das stille Genie der Band. Er komponierte viele der Songs in Zusammenarbeit mit Sunny und war bekannt dafür, ständig an neuen Liedern zu arbeiten. Seine zurückgezogene und introvertierte Art machte ihn laut der Fans der Band zu einem geheimnisvollen Prinzen und auch wenn er das Rampenlicht nicht so sehr suchte wie die anderen Bandmitglieder, war er trotzdem ein Liebling der Fans.

Zum Schluss komplettierte noch der Jüngste der Gruppe, der sogenannte Maknae In-Ho die Mitglieder der Band. In-Ho galt unter den Fans und auch den Kritikern und Kennern der Branche als besonders talentiert. Er war trotz seines sehr jungen Alters von 17 Jahren beim Debut der Band vor 6 Jahren der Hauptsänger von Star.X geworden. In-Ho hatte eine für seine Fans göttliche Stimme und war unendlich musikalisch. Sein Stimmvolumen war gewaltig und umfasste mehrere Oktaven und das Timbre der Stimme war unverwechselbar. Außerdem war In-Ho noch besonders niedlich anzusehen und er erinnerte mich in gewisser Weise an Tim, da auch beide das gleiche Alter hatten. Sein Lächeln wirkte auf den Bildern strahlend und unschuldig. In seinen Augen blitzte gleichzeitig eine Spur von Naivität und Frechheit und er war selbst in der Band der Liebling aller Mitglieder. Die Berichte in der Presse äußerten sich ausschließlich positiv über sein Image und seine Freundlichkeit gegenüber Fans und Reportern. All das zusammen machte ihn mir besonders sympathisch und ich hoffte, dass ich ihn kennenlernen würde.

Ein paar sehr talentierte Schauspieler waren ebenfalls bei Woon-Entertainment unter Vertrag. Park Joon Ki war in Korea ein sehr bekannter junger Mann Ende zwanzig, der momentan genau wie ein Mitglied aus der Gruppe Star.X in einem koreanischen Drama mitspielte. Das fand ich ganz interessant, da meine Mutter kürzlich mit mir zusammen ein sogenanntes K-Drama mit Park Joon-Ki in der Hauptrolle gesehen hatte und sie von dem attraktiven Schauspieler geschwärmt hatte. Mir gefiel die Serie nach anfänglichen Zweifeln ebenfalls ganz gut. Die Probleme der zumeist schönen, auffällig makellosen Menschen in dem für mich ungewohnten asiatischen Umfeld, waren interessant zu verfolgen. Da ich mittlerweile gutes Koreanisch sprach, musste ich nicht auf die deutschen Untertitel achten und konnte ohne Ablenkung der seichten, aber romantischen Liebesgeschichte folgen. Tatsächlich sah der Schauspieler Park Joon Ki sehr gut aus und hatte seine Rolle auch ganz überzeugend gespielt. Ich konnte gut verstehen, dass er einer der wichtigsten und am höchsten ausgezeichneten Schauspieler Südkoreas war, denn seine Präsenz in dem Drama war wirklich bemerkenswert. Zurzeit drehte er ein historisches Drama, hatte mir meine Mutter erzählt und mich dazu gezwungen, ihr ein Autogramm von ihm zu besorgen, koste es was es wolle. Bei der Erinnerung an die ganzen Ermahnungen und Ratschläge meiner Mutter seufzte ich. Sie war zwar nicht ganz so überfürsorglich, wie ihre Freundin Tante Inge, deren Tochter Lisanne hier in Korea meine Ansprechpartnerin war, aber dennoch hatte ich mir einiges vor meiner Abreise anhören müssen. Erst nachdem ich ihr versprochen hatte, mich regelmäßig bei ihr in Deutschland zu melden, war sie beruhigt gewesen und hatte mich nur mit einem kleinen Heulanfall am Flughafen verabschiedet. Bei dem Gedanken an meine Mutter lächelte ich und wusste, dass sie sich für mich freute und insgeheim vielleicht sogar froh war, dass sie mal das Haus für sich und Papa alleine hatte.

Ich schaute jetzt aus dem Fenster des Vans und sah nun zum Glück, dass die beiden Männer mittlerweile am Fahrzeug angekommen waren. Unser Fahrer schob wieder einen Koffer, diesmal war er aber bedeutend kleiner als meiner, zum Heck des Autos und lud ihn ein. Der Mann im Mantel öffnete die Tür und wollte einsteigen. Als er mich dort sitzen sah, zögerte er und blieb unschlüssig vor dem Wagen stehen. Unter der Hutkrempe seines Cowboyhuts und mit der dunklen Gesichtsmaske, die Mund und Nase bis zu den Augen bedeckte, konnte ich nicht erkennen wer er war. Dieses war wohl auch der Zweck dieser Maskerade und so sah ich ihn freundlich an und grüßte ihn.

"Hallo, ich bin Emmy, die neue Praktikantin von Woon-Entertainment aus Deutschland" stellte ich mich auf Koreanisch vor. Immer noch stand der Mann regungslos draußen vor dem Wagen und sah mich unter seiner Hutkrempe an. Plötzlich ging ein Ruck durch ihn und etwas Unverständliches murmelnd, schoss er an mir vorbei und ließ sich auf einen der hinteren Sitze fallen. Überrascht drehte ich mich um. Er saß zwei Reihen hinter mir auf der Rückbank, seine langen Beine ausgestreckt vor sich und immer noch bedeckten Maske und Hut sein Gesicht. Seinen bohrenden Blick fühlte ich mehr, als dass ich ihn sehen konnte und da er meine Begrüßung wohl nicht erwidern wollte, drehte ich mich zurück und sah nach vorne aus dem Fenster. Na, denn eben nicht, dachte ich ein wenig verunsichert und vielleicht sogar etwas wütend. Was für eine unfreundliche Begrüßung. Ich merkte, wie ich durch sein ruppiges Verhalten und meinen Jetlag genervt wurde und musste mich zusammenreißen, dass ich keine unfreundlichen Worte sagte, die ich mit Sicherheit später bereuen würde. Ein beleidigtes Schnaufen konnte ich mir allerdings nicht verkneifen, was mir einen wissenden Blick des Fahrers über den Rückspiegel einbrachte.

"Ich fahre Sie zuerst direkt zu Frau Neumann und Herrn Kim nach Hause, Frau Emmaline. Dort erwartet man Sie bereits." Nachdem er das gesagt hatte, startete er den Motor und schlängelte sich in den fließenden Verkehr vor der Ankunft Halle ein. Schweigend setzten wir den Weg über die Schnellstraße nach Seoul fort und ich betrachtete durch das Fenster die vorbeifliegende Landschaft, oder viel mehr, was man davon erkennen konnte. Seoul war eine Metropole und es lebten fast 10 Millionen Menschen hier. Bereits von Weitem konnte man die Ausmaße der Stadt erkennen und ich fühlte mich plötzlich ganz klein und allein. Schnell holte ich mein Handy aus meiner Tasche und versuchte aus dem Auto heraus ein Paar Fotos zu schießen, die ich unbedingt Tim senden wollte. Wir hatten uns zum Glück zu meinem Abschied wieder vertragen und er war fast wieder der alte gewesen, als er mich am Flughafen verabschiedete. Unter Tränen hatten wir uns geschworen, dass wir so oft es gehen würde miteinander telefonierten und er mich so schnell wie möglich in den Semesterferien besuchen kommen würde. Kaum hatte ich das Bild von der vorbeirauschenden Stadt versendet, als das Handy auch schon wieder vibrierte und ich eine Antwort von ihm erhielt. Ich öffnete die App und sein Gesicht erschien auf meinem Bildschirm, wie er mir unter Tränen eine Kusshand zuwarf. Ich lächelte und sandte ihm schnell ein Foto mit Kussmund zurück. Als ich mein Telefon wieder wegsteckte, hörte ich von dem hinteren Sitz ein Schnaufen und drehte mich um. Beinahe hatte ich vergessen, dass ich nicht alleine im Wagen saß.

Dunkelbraune schräg stehende Augen, umrahmt von dichten Wimpern, eine schmale, gerade und hoch angesetzte Nase, dunkle Augenbrauen und ein Mund mit verführerisch vollen Lippen in einem makellosen Gesicht, starrten mich schon fast unfreundlich an. Die dunkelbraunen Haare waren von dem Cowboyhut, den er mittlerweile ebenso wie die Maske abgelegt hatte, etwas plattgedrückt und fielen ihm in einzelnen Strähnen lässig in die Stirn. Er war wohl der schönste Mann, den ich jemals gesehen hatte und er war sich dessen überaus bewusst.

"Willst du mir ein Loch ins Gesicht glotzen?" fragte er rüde und unhöflich und ließ keine Zweifel aufkommen, dass ich ihm absolut lästig war. Ich riss mich zusammen und stellte fest, dass ich mit dem Traum vieler Millionen Mädchen in einem Van zusammensaß und dachte mir nur: was für ein Blödmann. Es war einer der Jungs der Band Star.X und er war mir sofort auf den ersten Blick unsympathisch. Er strahlte aus jeder Pore Arroganz aus und gab mir auch ganz deutlich zu verstehen, dass ihm meine Anwesenheit lästig war. Eigentlich hatte ich nichts getan, was ihn hätte stören können und deshalb dachte ich mir, dass sein überhebliches Verhalten wohl auch nichts mit mir persönlich zu tun haben würde. Scheinbar war er einfach ein unangenehmer Zeitgenosse, oder einer, dem der Ruhm zu Kopf gestiegen war und so lächelte ich ihn einfach gezwungen unverbindlich an und zuckte die Schultern.

"Ich verstehe kein Koreanisch" sagte ich nur und lächelte weiter, als wenn mich sein Verhalten nicht stören würde, ehe ich mich umdrehte und den Rest der Fahrt schwieg. Was für ein toller Start in einem fremden Land, dachte ich nur und hoffte, dass alles weitere besser werden würde und ich freundlichere Menschen als ihn kennenlernen würde.

Nach etwas über einer Stunde Fahrt über vollbefahrene Straßen und tiefen Häuserschluchten mit zum Teil übergroßen digitalen Werbeplakaten an den Fronten, bog der Fahrer auf eine ruhige Seitenstraße ein. Je länger wir ihr folgten, desto weniger bebaut und umso grüner wurde die Straße. Wunderschöne Bäume, die in ihrer Blüte sicherlich eine Pracht waren, säumten die Allee. Die Grundstücke schienen auch wesentlich größer zu sein, als noch direkt in der Stadt und waren zum größten Teil durch hohe Mauern von neugierigen Blicken abgeschirmt. Hin und wieder erhaschte ich einen Blick durch ein eisernes Tor und sah große Villen und teure Autos in den Auffahrten stehen. Die Gegend war sehr hügelig und man bekam eine Ahnung davon, dass diese Halbinsel aus bestimmt 70 Prozent Bergen bestand. Fahrrad fahren wollte ich hier eher nicht, dachte ich nur und malte mir aus, wie man im Schweiße seines Angesichts den Berg à la Tour de France versuchte zu erklimmen. Schon die Vorstellung ließ mich vor Erschöpfung sterben.

Fast am Ende der Straße hielt unser Fahrer vor einem Tor und bediente eine Tastatur im Autocockpit. Nach wenigen Sekunden schwangen die wunderschön verzierten eisernen Flügel der Eingangstür auf und unsere Fahrt wurde auf einer mit Kies bestreuten Einfahrt im Schritttempo fortgesetzt. Zwei Wachleute in dunklen Uniformen hielten sich diskret im Hintergrund, aber ich hatte gesehen, wie unser Chauffeur einen kleinen Ausweis hochgehalten hatte und unsere Durchfahrt schriftlich dokumentiert wurde. Ich sah aus dem verdunkelten Fenster unseres Fahrzeugs und betrachtete mit großen Augen die gepflegten Blumenbeete und akkurat geschnittenen Bäume. Satter grüner und gepflegter Rasen säumte den Kiesweg. Es war ganz offensichtlich, dass die Personen, die hier lebten, Wert auf eine schöne und gepflegte Umgebung legten und sehr reich waren. Endlich fuhr der Wagen vor das Haus, in dem Lisanne und Jae wohnten. Es handelte sich hierbei aber vielmehr um eine riesige Villa, von der ich mehr als beeindruckt war.

Staunend stieg ich aus dem Van aus und stand mit offenem Mund vor dem prächtigen riesigen Gebäude und sah es mir an. Die Villa hatte mindestens 30 Zimmer, vermutete ich, denn ich konnte die Fenster im Erdgeschoss und ersten Stock nicht auf die Schnelle zählen, so viele waren es. Sie war recht modern, hatte aber durch Balkone und Säulen am Eingang gleichzeitig einen Touch von amerikanischen Südstaatenprachtbau. Ihre strahlend weißen Wände blendeten in der Sonne und ich kniff ein wenig die Augen zusammen, um besser sehen zu können. So vertieft in den Anblick des Hauses hatte ich nicht bemerkt, dass der unhöfliche Sänger oder Rapper oder was auch immer er war, von der Band ebenfalls ausgestiegen und abwartend hinter mir stehen geblieben war.

"Willst du hier Wurzeln schlagen" hörte ich ihn leicht ungehalten auf Englisch fragen. Sofort schoss mein Puls wieder in die Höhe und ich drehte mich mit einem aufgesetzten falschen Lächeln zu ihm um.

"Natürlich möchte ich das nicht. Dafür würde ich mir einen Platz in einem Beet aussuchen und nicht direkt in der Auffahrt" antwortete ich auf Koreanisch. Ganz offensichtlich überrascht von meiner fließenden Antwort in seiner Muttersprache ließ ich ihn sehr zu meiner Zufriedenheit mit offenem Mund stehen und ging ein paar Schritte näher zum Eingang. In diesem Moment war die Haustür aufgegangen und meine Gastgeberin für das kommende Jahr, Lisanne, stand mit einem breiten Lächeln dort und kam die wenigen Stufen zu uns herunter geeilte. Lisanne war 29 Jahre alt, blond, kurvig und sehr hübsch. Ihre blauen Augen blitzten fröhlich bei unserem Anblick und sie hatte ein breites freundliches Strahlen auf ihrem Gesicht. Mit ihrem Schlabberpulli und der Vintage Jeans mit Löchern an den Knien wirkte sie für diese luxuriöse Umgebung absolut underdressed. Sie sah mehr wie ein flippiger Teenager, als eine bald mit einem bedeutenden und einflussreichen CEO verheiratete Frau aus und das machte sie für mich auf den ersten Blick sofort mehr als sympathisch. Ehe ich mich versah, hatte sie mich in ihre Arme gezogen und mich herzlich zur Begrüßung an sich gedrückt. Ich spürte, wie meine Anspannung nachließ und legte meine Arme ebenfalls um die Ältere und erwiderte die Umarmung genauso herzlich.

Lisanne lachte und hielt mich weiterhin umfasst, als sie mit fröhlicher Stimme sagte "Herzlich Willkommen in Seoul. Mi casa es su casa! Fühl dich wie zuhause und ich freue mich, dass du gut gelandet bist." Jetzt sah sie über meine Schulter den Mann im Mantel stehen und strahlte ihn ebenso herzlich an, wie mich zuvor. Ich blickte zurück und bemerkte, wie sein Gesichtsausdruck von überheblich und arrogant zu charmant und bezaubernd änderte. Verblüfft fiel mir der Unterkiefer herunter, da ich von einem solchen Wechsel der Gefühlte auf seinem Gesicht mehr als überrascht war. Der zuvor arrogante und abweisend aussehende Mann hatte sich in genau das Gegenteil verwandelt – alleine durch sein Lächeln schaffte er es, dass man sein zuvor schlechtes Benehmen vergessen wollte.

"Taemin, wie schön, dass du nach deinem Dreh mit zu uns gekommen bist." begrüßte Lisanne nun ebenfalls sehr herzlich das Bandmitglied von Star.X. Der genannte Taemin lächelte nun noch etwas breiter und ging mit wenigen Schritten auf Lisanne zu. Ehe ich mich versah, schob er mich mehr oder minder vorsichtig zur Seite und nahm Lisanne innig in den Arm. Ob das Lisannes Verlobten gefallen würde, wenn er das sähe, fragte ich mich. Ganz offensichtlich schien dieser Taemin in meine Gastgeberin vernarrt zu sein, das konnte man mehr als deutlich erkennen. Seine Umarmung schien sehr vertraut und ich spürte, wie sich Neugierde in mir regte. Ist da mal was zwischen ihnen gelaufen? Lisanne befreite sich nach einer Minute lachend aus Taemins Umarmung und griff nach seinem und meinem Arm und zog uns beide mit sich hinein in das riesige Haus.

"Ich habe etwas zu Essen vorbereitet. Emmy, du hast bestimmt einen Jetlag nach dem langen Flug und willst dich nach dem Imbiss sicherlich gerne hinlegen. Ich weiß, wie es mir immer so geht, wenn ich stundenlang im Flugzeug gesessen habe" erklärte sie verständnisvoll und zog mich gleichzeitig mit dem Sänger weiter hinein in die kühle Villa. Im Haus ließ sie uns wieder los und ich meinte zu bemerken, dass der arrogante Kerl darüber nicht sehr erfreut zu sein schien. Sein Gesichtsausdruck war nicht mehr zu deuten, doch wenn ich hätte schätzen sollen, wäre ich der Meinung gewesen, dass er enttäuscht war. Tja, dachte ich gemein, Pech für dich mein Schönling. Lisanne hatte einen anderen Mann gewählt, auch wenn du von dir denkst, die Krönung der Schöpfung zu sein. Innerlich streckte ich Taemin meine Zunge heraus und fand mich im gleichen Moment kindisch und gemein. Aber ich genoss trotzdem meine kleine Schadenfreude ungemein.

Lisanne ließ mir keine Gelegenheit, mich im großen Foyer des Hauses umzusehen, sondern leitete mich einen elegant mit hellem Marmor gefliesten Flur entlang, an dessen Ende sie eine Tür zum Esszimmer aufstieß. Das Zimmer war erstaunlich groß und bot Platz für bestimmt 20 Personen. An dem riesigen Esstisch aus offensichtlich teurem Holz war für vier Personen gedeckt worden. Lisanne deutete auf die Stühle. Ehe ich jedoch ihrer Aufforderung nachkam, blieb ich in der Eingangstür stehen und hielt ich sie auf.

"Lisanne, ich würde mir gerne vor dem Essen noch einmal die Hände waschen, wenn das möglich ist." bat ich und ich sah, wie die blonde Frau vor mir leicht rot wurde.

"Oh, wo habe ich nur meine Manieren? Was bin ich für eine unaufmerksame Gastgeberin? Bitte entschuldige mich. Natürlich sollst du dich erst einmal frisch machen können. Warte," sie drehte sich um und lief schon wieder Richtung Flur "ich zeige dir, wo dein Zimmer ist. Tae, kommst du auch mit? Du bleibst doch heute über Nacht, oder?" Der junge Mann nickte und so folgten wir beide schweigend unserer agilen Gastgeberin zurück ins Foyer und dann eine breite Treppe hinauf in den ersten Stock. Es gab zwei Flügel, die von der Treppe abgingen und Lisanne bog nach links und schritt auf dem dicken Teppich eifrig voran.

"Tae, du hast das gleiche Zimmer wie immer und du Lisanne, du bekommst die Suite-Räume." Erstaunt riss ich die Augen auf. Suite Räume? War das ein Hotel, oder was? Taemin blieb vor einer Tür stehen und öffnete sie. Ehe er in dem Zimmer verschwand, konnte ich durch die offene Tür sehen, dass der Raum geschmackvoll und sehr maskulin mit dunklen Möbeln und hellen Teppichen eingerichtet war. Lisanne führte mich noch etwas weiter und öffnete eine Doppeltür am Ende des Flurs. Hier befand sich ein wunderschönes, elegantes, weibliches und mit sanften Rosa-, Beige- und hellen Brauntönen eingerichtetes Wohnzimmer. Vom hier aus ging jeweils eine Tür ins angrenzende Schlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank und zum Badezimmer ab. Im Wohnbereich, den wir zuerst betreten hatten, standen bequeme Sessel und ein Sofa, auf dem niedrigen Tisch war ein Strauß frischer Blumen arrangiert und ein riesiger Fernseher hing an der Wand. Die Suite hatte einen großen Balkon, der auf die Gartenseite hinausging und hinter einer hohen Hecke meinte ich das verführerische Blau eines Swimmingpools zu entdecken. Begeistert sah ich mich um und konnte mein Glück kaum fassen.

"Gefällt es dir?" fragte Lisanne vorsichtig und wartete gespannt auf meine Antwort.

"Oh ja, es ist einfach traumhaft" gab ich zu und drehte mich im Kreis, um alle Pracht wirklich aufnehmen zu können.

"Das freut mich sehr, denn wir wollen, dass du dich hier wohl fühlst" erklärte Lisanne und ich war so glücklich und dankbar, dass ich mich umdrehte und sie spontan in den Arm nahm. Dabei stellte ich fest, dass sie ein kleines bisschen größer war als ich. Lisanne schlang ihre Arme ebenfalls um mich und drückte mich an sich.

"Es kommt mir so vor, als wenn meine kleine Schwester zu Besuch ist." sagte sie und ich war tatsächlich etwas gerührt von ihrem Kommentar. Nachdem sie mir noch das wunderschöne Schlaf- und riesige Badezimmer gezeigt hatte, verließ sie mich und ich machte mich im Bad ein wenig frisch. Als ich fertig war, verließ ich genau im gleichen Moment mein Zimmer wie der arrogante Sänger. Taemin schloss seine Tür und drehte sich um, als hätte er mich nicht gesehen. Wortlos ging er vor mir die Treppe hinunter und ich folgte ihm mit nur wenigen Schritten Abstand und starrte auf seine breiten Schultern, während ich ihm am liebsten meine Hände von hinten um die Kehle gelegt hätte.

Sei es, weil ich unaufmerksam war oder weil ich in Gedanken dem jungen Mann vor mir ein Bein stellen wollte, aber wahrscheinlich war es einfach wegen meiner bösen Idee schlichtweg Karma. Kurz vor den letzten Stufen verpasste ich den Tritt und stolperte ohne Halt finden zu können ins gefühlte Endlose. Im allerletzten Moment drehte sich Taemin ein paar Stufen unter mir plötzlich um, als er meinen Entsetzensschrei hörte und sah in diesem Moment, dass ich fiel. Geistesgegenwärtig öffnete er seine Arme und fing meinen Sturz so gut es ging auf. Durch den Schwung verloren wir jedoch beide den Halt und fielen gemeinsam auf den harten Marmorboden.

"Uff" entwich uns beiden die Luft und ich starrte entsetzt in seine dunklen Augen, als ich bemerkte, dass ich in voller Länge auf ihm gelandet war. Er hatte mit seinem langen, spürbar muskulösen Körper das meiste von unserem Sturz aufgefangen. Verwirrt blieb ich auf ihm liegen und bemerkte erst, als Lisanne und ein mir unbekannter Mann plötzlich neben uns auftauchten, dass ich mich keinen Millimeter bewegt hatte und dem Blödmann, der mir vielleicht gerade mein Leben gerettet hatte, in die schönen Augen starrte. Er hatte seine Arme um mich geschlungen und als ihm bewusstwurde, dass wir immer noch ineinander verschlungen am Boden lagen, stieß er mich von sich weg und ich landete unsanft nun doch noch auf dem kalten Marmor. "Aua" stieß ich aus, als ich mir meinen Ellenbogen an der Treppenstufe stieß und diesen automatisch rieb, um die Schmerzen zu verteilen.

"Taemin" tadelte Lisanne den jungen Mann und lief auf mich zu. Sie kniete sich neben mich und half mir in eine sitzende Position. Peinlich berührt senkte ich den Blick und merkte erst, dass Taemin aufgestanden war, als ich einen Schatten über mir sah.

"Ist alles okay?" schien er sich zu quälen, indem er mich nach meinem Befinden fragte.

Ich nickte. "Und bei dir?" wollte ich wissen und sah, wie er sich vorsichtig seinen verlängerten Rücken rieb.

"Alles gut" antwortete er und drehte sich etwas steif zu einem plötzlich im Flur aufgetauchten Mann um und wandte uns Frauen den Rücken zu.

"Taemin, das nenne ich mal einen Auftritt" wurde er dann auch lachend begrüßt. Neugierig betrachtete ich den anderen Mann und war von seinem Äußeren mehr als angetan. Er sah fast genauso gut aus wie Taemin, war aber ein wenig älter und wirkte dadurch tatsächlich noch attraktiver. Genau wie Taemin war er muskulös und groß und hatte breite Schultern und einen schlanken, ganz offensichtlich gestählten Körperbau. Verträumt betrachtete ich den schönen Mann und war von ihm hin und weg, als er sich immer noch lachend durch seine dichten dunklen Haare strich. Als ich jedoch den Blick bemerkte, den dieser Mann plötzlich Lisanne zuwarf, wusste ich, dass ich hier ihren Verlobten Kim Jae-Woon, dem CEO von Woon-Entertainment und damit meinen zukünftigen Chef vor mir hatte. Peinlich berührt wegen meiner verträumten Schwärmerei und des Sturzes, versuchte ich mit Lisannes Hilfe einigermaßen elegant aufzustehen. Die Ältere zog mich am unverletzten Ellenbogen hoch und ich strich mir verlegen meine Kleidung glatt, als sie mich ihrem Verlobten vorstellte. Er betrachtete mich mit seinen wunderschönen dunklen Augen und ein freundliches sympathisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

"Und hier habe ich wohl meine Praktikantin, die meinen Star zu Fall gebracht hat." Besorgt zog ich die Stirn kraus, da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. War er mir böse, da sein Star sich meinetwegen hätte verletzen können? Vorsichtig lächelte ich ihn an.

"Guten Tag Herr Kim. Ich bin Emmaline Schönbach, Emmy, und ich danke Ihnen, dass Sie mich in Ihrer Firma und in Ihrem Haus aufnehmen. Für meinen Unfall möchte ich mich entschuldigen. Das war selbstverständlich keine Absicht." Ich sah auf den Rücken von Taemin, der weiterhin von mir abgewandt stand. „Auch bei Ihrem Star möchte ich mich entschuldigen und hoffe, dass meine Unachtsamkeit keine Folgen hat.“ Taemin warf einen kurzen Blick über seine Schulter und ich hörte ein leises Schnauben. Scheinbar war er mit meiner Entschuldigung nicht zufrieden. Kim Jae-Woon betrachtete mich kurz von Kopf bis Fuß und lächelte immer noch.

"Man hat mir mal gesagt, dass eine Frau mit roten Haaren viel Temperament hat. Das hast du heute mit deinem rasanten Auftritt schon bewiesen.“ Ehe ich vor Verlegenheit im Boden versinken konnte, stupste seine Verlobte ihn sanft in die Seite. „Übrigens möchte ich hier im Haus auf die höfliche Anrede gerne verzichten. Daher würde ich mich freuen, wenn du dich hier als Familienmitglied fühlen würdest. Auf der Arbeit werden wir uns nicht so oft sehen, da ich hauptsächlich von meinem Büro aus tätig bin, aber zuhause hoffe ich, dass wir auch einige Zeit miteinander verbringen werden." Erfreut über das Angebot nickte ich. "Außerdem wünsche ich dir hier einen schönen Aufenthalt und wenn du mit irgendetwas unzufrieden bist oder es Probleme gibt, dann wende dich bitte an Lisanne oder auch gerne an mich. Wir wollen, dass du eine schöne Zeit hier bei uns hast."