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Er war ihre schönste Erinnerung. Doch kann er auch ihre Zukunft sein?
Jasmina Delic hat Glück im Unglück. Gerade als die Studiengebühren ihrer kleinen Schwester unbezahlbar scheinen, erhält sie die Chance, als Make-up-Artistin bei START Entertainment anzufangen. Sie sagt sofort zu - ohne zu wissen, dass sie die weltberühmte Band Saving Winter auf ihrer Tournee begleiten muss. Der Schock sitzt tief, denn Leadsänger Julian Vaughn ist der Mann, mit dem Mina vor zwei Jahren den schönsten Sommer ihres Lebens verbracht hat. Eine Zeit, die auch Julian nie vergessen konnte, obwohl sie in einer schmerzhaften Trennung endete. Schnell flammen alte Gefühle auf, die nicht sein dürfen. Hat ihre Liebe noch eine Chance, oder wird sie für immer eine Erinnerung bleiben?
»Mina und Julian haben mein Herz zum Klopfen und meine Nerven zum Flattern gebracht. Ihre Geschichte ist der beste Beweis dafür, dass man der Liebe eine zweite Chance geben sollte.« breathtakingbookworld
Der Abschlussband der glamourösen STARTING-SOMETHING-Reihe
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Seitenzahl: 528
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
Playlist
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von April Dawson bei LYX
Impressum
APRIL DAWSON
Starting Something Great
Roman
Mit gleich mehreren Jobs versucht Jasmina Delic sich selbst, ihre Mutter und ihre kleine Schwester Elma finanziell über Wasser zu halten. Als die Studiengebühren Letzterer plötzlich in die Höhe schießen, weiß Mina nicht mehr weiter – bis sie Glück im Unglück hat: Ihr Freund Evan ist Produzent bei START Entertainment und erfährt genau zur richtigen Zeit, dass eine neue Make-up-Artistin gesucht wird. Mina ergreift die Chance, und es scheint die perfekte Lösung zu sein, bis sie an einem ihrer ersten Arbeitstage ihm gegenübersteht: Julian Vaughn, Leadsänger der weltberühmten Band Saving Winter und Minas unvergessliche Sommerromanze. Zwei Jahre ist ihre magische Zeit in Bosnien her, in der sie sich Hals über Kopf ineinander verliebten und sich schmerzhaft wieder voneinander trennen mussten. Doch das alles gehört der Vergangenheit an, schließlich müssen sie nun zusammenarbeiten. Dennoch lässt die gemeinsame Zeit auf der Welttournee von Saving Winter schnell alte Gefühle zwischen ihnen aufflammen, und Mina und Julian müssen sich fragen, ob ihre Liebe eine zweite Chance verdient hat – oder ob sie für immer eine Erinnerung bleiben wird …
Liebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle
das bestmögliche Leseerlebnis.
Eure April und euer LYX-Verlag
Für alle, die sich in Julian verlieben.
Etham – Safety Pin – Stripped
Stevie Howie – Smells Like Teen Spirit
Severina – Brad Pitt
No Angels – Still in Love with You
Emina Jahovic, Milica Todorovic – Limunada
Boyce Avenue – In Case You Didn’t Know
Kina Grannis – Valentine – Acoustic
Taylor Swift – champagne problems
India.Arie – I Am Light
Niall Horan, RTE Concert Orchestra – This Town – Live
One Direction – Little Things
Mitchel Dae – Shatter
Garrett Kato, Elina – Never Alone
Etham – Let You Down – Acoustic
Rosie Darling – I’m Different Now
Caleb Hearn – 1000 reasons
Lana Del Rey – Dark Paradise
Taylor Swift – Come In With The Rain (Taylor’s Version)
Lana Del Rey – Young And Beautiful
Etham – Somebody Else To Love
Es gibt schlimmere Dinge, als die älteste unverheiratete Frau auf einer Bachelorette-Party zu sein. Für meine Mutter wäre es der reinste Albtraum. Wäre sie hier, würde sie verächtlich schnauben und mir einmal mehr die Vorzüge eines Ehelebens aufzählen, die ich mit meinem Freund Evan längst haben könnte. Ich bin jedoch froh, dass mein fester Freund in absehbarer Zeit ebenfalls nicht beabsichtigt, die Hochzeitsglocken läuten zu lassen.
Für meine konservative Familie gelten gewisse Regeln. Diese beinhalten: Gut in der Schule abschneiden. Einen erfolgreichen beruflichen Weg einschlagen. Dating und dann jung heiraten, um daraufhin wieder weitere Familienmitglieder zur Welt zu bringen. Fast alle halten sich an diese Regeln, die so alt sind wie der Balkan selbst. Alle außer ich. Sehr zum Leidwesen meiner Mutter.
Aber heute Abend geht es nicht um mich, sondern um die Frau, die mir neben meiner Schwester Elma die Welt bedeutet. Meine Cousine Aldina, die in ihrem weißen Babydoll-Kleid vor Glück strahlt, feiert heute ihren Junggesellinnenabschied in ihrer luxuriösen Vierzimmerwohnung in SoHo, deren monatliche Miete vermutlich mein Jahresgehalt übersteigt.
Zwischen auf Hochglanz polierten Möbeln, hohen Decken und bodentiefen Fenstern befinden sich unsere engsten Freundinnen. Einige tanzen in der Mitte der Wohnküche zu einem Balkan-Song. Einige befinden sich in der Küche, wo eine Barkeeperin dabei ist, Cocktails zu mixen. Mein Weg führt mich weg von den pinken Ballons und hin zum Buffet, das auf dem Esstisch arrangiert wurde.
Dort schiebt sich Aldina gerade ein Mini-Sandwich in den Mund. Als ich mich neben sie stelle, legt sie mir einen Arm um die Schulter.
»Hey Bridezilla«, begrüße ich sie und zwinkere ihr frech zu. »Ich sehe Sandwiches, Fingerfood, Desserts und einen Schokobrunnen, aber keinen Börek. Wäre ich jetzt Tante Irma, würde ich spöttisch eine Braue heben.« Ich stupse sie mit der Hüfte an und kräusle die Nase, wie es meine Tante tut.
»Ich muss dich enttäuschen. Heute gibt es nur westliche Küche«, antwortet sie und wischt sich den Mund mit einer Serviette ab.
»Die du liebevoll gezaubert hast?« Der Sarkasmus in meiner Frage ist für alle klar zu hören und lässt Aldina losprusten. Dabei gleitet ihr Arm von meiner Schulter.
»Wirklich witzig. Du weißt, das Einzige, was ich hinbekomme, sind Rühreier. Und auch das nur unter Aufsicht.« An den Rauch sowie den Feuerwehreinsatz vor ein paar Jahren kann ich mich noch gut erinnern.
»Was deine Mom wohl dazu sagen würde?«
Sie verdreht die Augen und greift nach einem Würstchen in Blätterteig, als der Song wechselt und tiefe Bässe die Wohnung erfüllen.
»Glaub mir, sie würde mich am liebsten in ihrer Wohnung einsperren und mir beibringen, wie man Sarma und Bohnensuppe macht.«
Ich beuge mich etwas vor, um die Deko zu betrachten, denn inmitten des Essens wurden kleine Laternen mit LED-Kerzen und rosa Tüll darin platziert. Ich fahre mit dem Finger über die Blätter der Plastikpflanzen, die jeweils in den Farben Grün, Weiß und Pink gehalten sind.
»Die sind hübsch, oder?«
»Ja. Du bleibst deinem Farbschema treu. Überall Pink.« Ich deute mit dem Kinn auf die Luftballons, das Lametta und die Lichterketten, die überall verteilt sind.
»Wusste ich’s doch, dass es dir gefällt«, sagt sie und hält ihren Zeigefinger unter den tropfenden Schokobrunnen, um ihn sich anschließend in den Mund zu schieben.
»Hmm.« Sie seufzt genüsslich, was mich den Mundwinkel heben lässt. Aldina ist schon ihr ganzes Leben lang in die Farbe Pink vernarrt. Ihr Kinderzimmer, die Schulsachen, sogar die Partyoutfits, in denen sie die Clubs unsicher gemacht hat, waren immer zumindest zum Teil in ihrer Lieblingsfarbe gehalten. Vielleicht liegt es an ihrer Besessenheit, dass ich diesen Farbton nie gemocht habe. Dafür mag ich meine Cousine umso lieber, mit der ich mein ganzes Leben verbracht habe. Gegensätze ziehen sich an, dafür waren wir schon immer der beste Beweis.
Während sie hellbraunes, glattes Haar hat, ist meins tiefschwarz und gelockt. Um ihre sportliche, schlanke Figur habe ich sie stets beneidet, während ich Kurven ohne Ende besitze, die ich mit der Zeit zu lieben gelernt habe. Ich bin der Wirbelwind der Familie, und Aldina ist das Engelchen. Die Romantikerin unter den Delic-Frauen.
Mir wird schwer ums Herz, wenn ich daran denke, dass sie nun einen neuen Lebensweg einschlägt und ich sie womöglich weniger sehen werde als zuvor. Zu heiraten heißt nicht automatisch, dass ich sie seltener zu Gesicht bekommen werde, aber für mein närrisches Herz fühlt es sich wie ein Verlust an. Das Ende einer Ära. Womöglich übertreibe ich auch, aber ich kann nicht anders, als sie mit Tränen in den Augen anzusehen. Aldina, scharfsichtig wie sie ist, bemerkt meinen Gefühlsausbruch und schlingt ihre Arme um mich. Vergessen sind Deko, Essen und andere Dinge. Was nun zählt, sind wir.
»Es wird sich nichts verändern. Ich trage jetzt nur einen Ring am Finger und nehme einen neuen Nachnamen an. Sonst wird alles beim Alten bleiben«, flüstert sie in mein Haar, doch ich bringe nur ein Nicken zustande und sauge den Duft ihres Parfüms, Dolce&Gabbana Light Blue, das sie seit ihrer Jugend benutzt, tief in meine Lungen. Ich hasse es, dass ich so emotional werde, wenn ich mich doch für sie freuen sollte. Aber ich komme mit Veränderungen nicht immer zurecht, und das weiß sie auch.
»Du könntest deinen Nachnamen auch behalten«, sage ich und löse mich ein wenig von ihr, um ihr zuzuzwinkern.
»Und es riskieren, dass Mama einen Schwächeanfall bekommt? Nein, danke«, meint sie amüsiert, denn auch das ist Teil unserer konservativen Erziehung. Die Frau nimmt selbstverständlich den Nachnamen des Mannes an. Das wird erwartet, und ich merke automatisch, wie sich etwas in mir dagegen sträubt. Ich liebe meine Wurzeln, möchte mich jedoch nicht in eine Nische zwängen lassen, um Erwartungen zu erfüllen. Mein Dad hat das immer verstanden, Mom jedoch hält immer noch an alten Traditionen fest.
»Und ein Doppelname? Delic-Moretti klingt doch sexy«, schlage ich vor, und Aldina lacht.
»Sehr sexy, aber ich freue mich, einen italienischen Nachnamen annehmen zu dürfen.«
»Hast du etwa schon genug von der Delic-Familie?«
»Sei nicht albern«, meint sie amüsiert, löst ihre Arme von mir und stößt mich mit den Ellbogen an. Sie denkt, dass ich nur einen Scherz mache, doch tief in meinem Inneren stelle ich mir die Frage, wie ihre Ehe sich auf unsere Beziehung auswirken wird. Wird sie uns vergessen, wenn sie in die High Society von Manhattan einheiratet, in der sich ihr Bräutigam bewegt?
»Außerdem hast du unrecht. Es wird sich etwas ändern. Alessandro wird Teil unserer Familie, und ich kann nur hoffen, dass er dich weiterhin auf Händen tragen wird.«
»Das wird die Zeit zeigen.« Sie ist zuversichtlich, und erweckt in mir den Anschein, als würde sie vor Glück und Liebe glühen. Aldina zweifelt nicht an der Liebe ihres Verlobten oder an ihrem Entschluss, mit ihm den nächsten Schritt zu gehen. Ich bin hingegen Realistin und muss mir über viele Dinge im Klaren sein, um eine so große Entscheidung fällen zu können. Aldina fühlt mit ihrer ganzen Seele und ist Romantikerin durch und durch. Während meine Barbies früher Karriere gemacht haben und zum Mond geflogen sind, hatte die von Aldina drei Hochzeiten mit demselben Ken und dann noch eine Horde Babys dazu. Trotz der Unterschiede verstehen wir uns gut und vertrauen einander blind. Die Emotionen sind meiner Cousine anzusehen, und ihre leuchtenden Augen werfen in mir die Frage auf, was sie so sicher macht.
»Wann wusstest du es? Dass er der Richtige ist, um diesen Lebensabschnitt zu wagen?« Eigentlich wollte ich dieses Thema nicht anschneiden, aber meine Neugier ist stärker als meine Vorsätze.
Sie blinzelt und neigt leicht den Kopf zur Seite. Meine Frage scheint sie zu verwundern, und es wirkt, als müsste sie kurz in sich gehen, um mir korrekt antworten zu können. Dabei löst sich eine Strähne aus ihrer Hochsteckfrisur und umspielt ihr hübsches, herzförmiges Gesicht.
»Als mich die Influenza fest im Griff hatte«, sagt sie schließlich, greift nach meiner Hand und dirigiert mich zu dem grauen Stoffsofa, auf dem wir beide schließlich Platz nehmen. Der Duft von süßlichen Cocktails und würzigem Essen vermischt sich und umweht meine Nase, als ich mich ihr zuwende.
»Mir ging es zwei Wochen dreckig, und ich hatte das Gefühl, als würde ich mein Leben aushauchen. Dramatisch, oder?« Sie senkt den Blick und streicht sich den Rock ihres Kleides glatt.
»Ein klein wenig«, antworte ich schulterzuckend, bevor sie schließlich weiterspricht.
»Aber es hat sich für mich so angefühlt, als würde ich sterben. In dieser schlimmen Zeit ist mir Alessandro nicht von der Seite gewichen. Er hat mir die nassen Kleider ausgezogen, mich gewaschen und mir Medikamente besorgt. Er hat Suppe gekocht und mich mit dem Löffel gefüttert, als ich zu schwach war, um selbst zu essen. Mir war klar, dass er mich liebt, denn in den zwei Jahren unserer Beziehung hätte ich es gespürt, wenn es anders gewesen wäre – aber da wusste ich es. Dass er der Richtige ist. Und als er mich gefragt hat, ob ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen möchte, habe ich Ja gesagt.«
Das Leuchten in ihren tiefbraunen Augen nimmt zu, und ich glaube ihr jedes einzelne Wort. Sie hat die Art von Liebe gefunden, nach der sie sich schon als kleines Kind gesehnt hat. Ich bin nicht so romantisch veranlagt wie meine Cousine, doch auch ich strebe nach diesem allumfassenden Gefühl und der Sicherheit, dass ich die Person gefunden habe, die mein Gegenstück ist. Evan und ich sind erst seit einem Jahr zusammen, aber diese tiefen Gefühle, die Aldina beschreibt, habe ich noch nie für ihn empfunden. Und das versetzt mir einen Dämpfer, denn hätte ich sie nicht bis jetzt schon spüren müssen?
»Wieso fragst du?«, will sie wissen, da ich sonst nicht zu Gefühlsduselei neige. Ich verschweige ihr meinen inneren Konflikt und zwinge mich zu einem fröhlichen Gesichtsausdruck.
»Einfach so«, antworte ich und zucke mit den Schultern in der Hoffnung, dass sie nicht weiter nachbohrt, denn heute Abend soll es nur um sie gehen. Nicht um die plötzlichen Unsicherheiten hinsichtlich meiner eigenen romantischen Gefühle, die sich gerade in mir ausbreiten. Zu meinem Glück taucht in diesem Moment Aldinas Freundin Michelle auf und zieht sie zur provisorischen Tanzfläche, wo sich sonst der Esstisch befinden würde. Als ich mich erhebe, nehme ich mir vor, nicht mehr darüber nachzudenken, sondern diesen Abend zu genießen.
Meine andere Cousine Nermina hakt sich bei mir unter und zieht mich zur weißen Hochglanzküche, wo ein pinker Cocktail vor uns abgestellt wird. War klar, dass er diese Farbe hat. Ich bedanke mich bei unserer Barfrau, der grelle und unnatürliche Farbton des Cocktails lässt mich allerdings die Nase rümpfen. Trotzdem greife ich nach dem Drink, führe ihn an die Lippen und nehme einen Schluck. Er schmeckt, wie er aussieht. Klebrig süß.
Nermina neigt sich nah an mein Ohr, als ich das Glas wieder abstelle. Ihre Locken kitzeln meine Wange, als ich ihre Stimme vernehme. »Wann wird er hier sein?«, will sie wissen und spielt damit auf den professionellen Tänzer an, den wir für die Braut gebucht haben. Sie ist viel zu prüde, um selbst solch einen Vorschlag zu machen, aber ich finde, zu einer guten Bachelorette-Party gehört ein heißer Kerl, der die Hüllen fallen lässt. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr und hebe überrascht die Brauen. Es ist kurz nach zweiundzwanzig Uhr, und die Zeit ist rasend schnell vergangen.
»Eigentlich hätte er schon längst hier sein sollen.«
»Hast du eine Info bekommen? Hat sich das Zeitfenster geändert?«, will sie wissen, also greife ich in meine Louis-Vuitton-Handtasche, die nur Platz für mein Portemonnaie und mein Smartphone bietet. Da ich jedoch weder Mail noch Anruf von der Agentur bekommen habe, über die ich ihn gebucht habe, schüttle ich den Kopf.
»Nein. Keine Nachricht.« Mit gerunzelter Stirn lege ich mein Smartphone auf der Küchentheke ab und überlege, wie ich verfahren soll, wenn er nicht auftaucht. Meine Gedanken verflüchtigen sich jedoch, als ich die Türglocke vernehme. Da die Musik immer noch laut aus den Boxen dröhnt, hätte ich sie über den Lärm fast nicht gehört.
»It’s Showtime«, sage ich zu Nermina, wackle mit den Brauen und deute mit dem Kopf auf die Bride-to-Be. Mit einem strahlenden Lächeln öffne ich die Tür und hebe anerkennend eine Braue. Das Gesicht des Mannes, der eine Polizeiuniform trägt, ist glatt rasiert, sodass seine rasiermesserscharfe Kinnpartie und die hohen Wangenknochen perfekt zur Geltung kommen. Er blickt finster drein und hat die Böser-Cop-Nummer richtig gut drauf.
»Guten Abend, Miss. Uns wurde gemeldet, dass …« Ein Jubelschrei erklingt, als die Frauen in der Wohnung ihn erblicken, denn alle außer der Braut wussten von dem gebuchten Tänzer. Sie sind sichtlich zufrieden mit seinem Anblick, und ich bin es ebenfalls. Sein dunkles, kurzgeschnittenes Haar ist gestylt, und seine breiten Schultern und Muskeln überall lassen mich vermuten, dass uns ein herrliches Sixpack erwartet. Gepackt von der Euphorie, die uns alle durchflutet, greife ich nach seiner Hand und ziehe ihn in die Wohnung, was ihn erschrocken die Augen aufreißen lässt.
Kaum ist er im Flur, umkreisen wir ihn, ziehen ihn mit Blicken aus und sind mehr als bereit für seine Stripp-Nummer. Doch er ziert sich und lächelt nervös, ehe er sich schließlich räuspert. »Meine Damen, hier liegt ein …«
Ich verdrehe die Augen, weil ich nicht damit gerechnet habe, mich einer so prüden Person gegenüberzusehen. Mein Blick wandert zu seinem Bizeps, der sich unter der engen Uniform abzeichnet. Irritiert erwidert er meinen Blick, und mich beschleicht der Verdacht, dass das hier sein erster Tanzauftrag ist. Es wird Zeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und ihm die Sache zu erleichtern.
»Wir waren sehr böse, Officer. Lassen Sie uns zum freudigen Teil kommen, und bringen Sie uns mithilfe Ihrer Handschellen wieder zur Vernunft«, sage ich über das Kichern der Mädels hinweg, greife nach seinen Handschellen, nehme sie an mich und wirble sie lasziv herum. Er wirkt überrumpelt und ganz und gar nicht gewillt zu tanzen. Wieso tut er so als …
Plötzlich taucht ein weiterer attraktiver Mann im Türrahmen auf. Ich betrachte seine Polizeiuniform, die zwar sexy ist, aber ganz und gar nicht echt aussieht. Der Stoff wirkt billig fabriziert und hat keine so dunkle Farbe, wie man es ansonsten kennt. Ganz im Gegensatz zu der Uniform vor mir. Der Cop weicht von uns zurück und wirkt unentschlossen. Während mein Blick zwischen den zwei Männern hin und her gleitet, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Bei dem Mann vor mir handelt es sich um einen echten Cop, und ich habe ihm gerade die Handschellen geklaut. Um Himmels willen!
»Shit«, sage ich, doch mein Ausruf geht in einem allgemeinen Kreischen unter. Die anderen Frauen scheinen den Mann an der Tür noch nicht entdeckt zu haben, und bevor dieses Fiasko weiter ausarten kann, stelle ich mich vor den Polizisten und halte die Mädels auf, die versuchen ihn einzukreisen.
»Mädels, ich denke, hier liegt ein Missverständnis vor«, sage ich laut, um die Musik zu übertönen, und breite demonstrativ die Arme aus, um den Polizisten vor den hungrigen Blicken meiner Freundinnen zu verdecken. Ich schaue über die Schulter zu dem Mann, der mich mit erhobenen Brauen ansieht.
»Es tut mir schrecklich leid, Officer. Wir haben Sie für unseren gebuchten Tänzer gehalten«, sage ich reumütig, drehe mich schließlich um und spüre förmlich, wie mein Gesicht vor Scham glüht. Mit Sicherheit bin ich bis zum Dekolleté rot angelaufen, was für alle gut sichtbar sein muss. Der Cop könnte mich vor allen zusammenstauchen, mich anzeigen oder verhaften, weil ich ihn bestohlen habe. Mit einem Blick, den ich nicht deuten kann, nimmt er die Handschellen entgegen, die ich ihm reiche. Verdammt! Ich sitze echt in der Patsche.
»Ich habe voreilige Schlüsse gezogen. Bitten verzeihen Sie mir«, flehe ich und setze meinen besten Dackelblick auf, mit dem ich in der Vergangenheit stets durchgekommen bin. Die Musik ist immer noch laut, doch niemand sagt ein Wort, und alle Augen sind auf den Cop und mich gerichtet. Der Stripper taucht im Blickfeld des Officers auf und bekräftigt meine Worte von vorhin. Mein Puls rast in unmessbarer Geschwindigkeit, und ich befürchte schon, dass ich diese Nacht in einer Zelle verbringe, als der echte Cop plötzlich anfängt zu lachen.
Es ist ein schallendes, raues Lachen, doch es wirkt entwaffnend. All die Anspannung weicht aus meinem Körper, als die anderen im Raum mit einstimmen. Lachtränen blinzeln in seinen Augen, als er den Kopf schüttelt und seine Aufmerksamkeit wieder auf mich lenkt.
»Uns ist eine Beschwerde wegen Ruhestörung gemeldet worden. Also sollten Sie die Musik runterdrehen und sich vielleicht vorher noch einmal genau vergewissern, wer der echte Tänzer ist, bevor sie aktiv werden«, ermahnt er mich mit einem Schmunzeln und senkt den Blick auf die Handschellen, die er umklammert. Ich presse meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und brauche eine Weile, bis ich meine Stimme wiederfinde.
»Es tut mir wirklich schrecklich leid«, entschuldige ich mich erneut, doch er schüttelt nur den Kopf, ehe er einen Schritt zurückweicht. Aldina stellt sich neben mich und hakt sich unter, wohl um mir die Stütze zu sein, die ich in dieser peinlichen Situation dringend brauche.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Drehen sie die Musik leiser, dann werden wir kein Problem haben. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend und alles Gute für die anstehende Hochzeit«, meint er amüsiert, dreht sich um und geht kopfschüttelnd, aber lachend aus der Wohnung. Ich schließe die Tür hinter ihm und lehne mich erschöpft dagegen.
»Das war so verrückt«, meint Nermina amüsiert und zwinkert mir zu, auch wenn mir nach Heulen zumute ist. Sie hatte offensichtlich Spaß, während ich vor Schreck nicht wusste, was ich tun sollte. Noch immer zittern meine Finger unkontrolliert, sodass ich die Hände zu Fäusten ballen muss.
»Ja, es war herrlich, dass ich fast mit einem Fuß im Knast gestanden habe«, lasse ich sarkastisch verlauten und versuche meinen Herzschlag zu beruhigen, indem ich mir die Hand auf die Brust lege. Ich habe einen Officer der Vereinigten Staaten bedrängt, und wenn er es nicht mit Humor genommen hätte, wäre es nicht so glimpflich ausgegangen.
»Ach was. Er hat doch cool reagiert«, meint nun der echte Tänzer, und mir wird schlagartig klar, dass ich seine Anwesenheit völlig ausgeblendet hatte. Durch mein unbedachtes Vorgehen habe ich Aldinas Überraschung gründlich versaut.
»Sorry, das war jetzt etwas merkwürdig. Wir wollten dich überraschen«, sage ich an meine Cousine gewandt, die den hübschen Mann in unserer Runde neugierig mustert.
»Sie ist euch gelungen«, versichert sie mir und sieht mich aus warmen Augen an, die keinen Zweifel an ihren Worten zulassen. Doch das schlechte Gewissen nagt weiter an mir.
»Ich habe die Musik etwas leiser gemacht«, ruft Michelle, und ich stelle fest, dass sie immer noch Partylautstärke aufweist. Ich nicke ihr zum Dank zu, habe allerdings noch nicht die Kraft, mich in Bewegung zu setzen.
»Und sieh es mal so. Du hast dafür gesorgt, dass wir diese Nacht nie wieder vergessen werden«, meint Aldina nun kichernd, die mir diese Peinlichkeit vermutlich noch in dreißig Jahren auftischen und damit für Lacher sorgen wird.
»Drinks. Jetzt«, flötet Michelle fröhlich, hakt sich bei Aldina ein und zieht sie zur Küche, wo bereits weitere Getränke zur freien Entnahme bereitstehen. Und zu meinem Glück auch welche, die nicht pink sind. Ich wende mich jedoch dem Fake-Cop zu, der uns bis jetzt schweigend zugehört hat. Mittlerweile sind nur noch er und ich im Flurbereich, da die Mädels die Party in die Küche verlegt haben.
»Entschuldige bitte das Chaos. Hi, ich bin Mina.« Ich reiche ihm zur Begrüßung meine Hand, die er mit leichtem Druck schüttelt. Auch er ist attraktiv, hat brünettes Haar, das im Licht einen rötlichen Schimmer aufweist. Wie auch schon der echte Cop zuvor, hat er einen durchtrainierten Körper und ein charmantes, strahlend weißes Lächeln.
»Joey. Schön, dich kennenzulernen.« Zu meinem Glück erwähnt er das Fiasko von vorhin nicht, sodass sich meine verkrampften Schultern lockern.
»Soll ich ein paar Minuten später vorbeikommen? Dann versuchen wir es noch mal und tun einfach überrascht«, meint Joey und zwinkert mir keck zu.
»Das würdest du tun?«, frage ich verblüfft und neige den Kopf. Mit so einem verständnisvollen Angebot hätte ich nicht gerechnet. Er lehnt sich mit der Schulter an die Wand und hebt einen Mundwinkel an.
»Es ist alles etwas chaotisch gelaufen, und ich finde, die hübsche Braut und du habt einen Neustart verdient.« Ich presse die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, weil mir das Ganze so peinlich ist. Zum Glück ist meine kleine Schwester nicht hier, denn ich wäre ihr nach dieser Aktion mit Sicherheit kein gutes Vorbild. Schließlich seufze ich vor Erleichterung und strahle ihn freundlich an.
»Das wäre prima. Wir trinken uns noch etwas Mut an, ehe du dann unsere Braut zum Erröten bringen darfst.« Ich schüttle diese negativen Gefühle ab wie einen Mantel, den ich vom Körper gleiten lasse, und beschließe, diesen kleinen Vorfall schleunigst zu vergessen und mich wieder ganz auf das Positive an diesem Abend zu konzentrieren.
»Wird gemacht«, lautet seine Antwort, ehe er mir zuzwinkert und die Wohnung verlässt.
Als Joey das zweite Mal anklopft, sind wir bereit und scharf darauf, ihm beim Tanzen zuzusehen. Wie erwartet ist Aldina eine wandelnde rote Ampel, während Joey sich auf ihrem Schoß rekelt. Sie ist zwar anfangs noch etwas verhalten, doch der Alkohol lässt sie auftauen, und schließlich schlingt sie sogar die Arme um seinen Nacken, als er sie an sich zieht. Trotz des holprigen Starts beschert Joey Aldina schließlich ihren ersten und besten Lapdance.
Danach fahren wir mit einer Limousine ins Marriachi, unseren Lieblingsclub. Lange vor unserem einundzwanzigsten Geburtstag sind wir mit gefälschten Ausweisen ausgegangen und haben die Nacht zum Tag gemacht. Nächte, in denen wir Exfreunde zum Teufel gejagt haben und andere, wo wir so viel getanzt haben, dass wir uns irgendwann die Heels abstreifen mussten. Wir haben unvergessliche Stunden in diesem Lokal verbracht, deshalb war klar, dass das Ende von Aldinas Party hier stattfinden muss.
Der Geruch von Alkohol und Schweiß paart sich mit der Süße der Früchte, die den Cocktails beigefügt werden, als wir den abgesperrten Bereich betreten, den ich für uns gemietet habe. Wie erwartet wurde auch mit Luftballons und einer Girlande mit dem Aufdruck »Bride-to-Be« dekoriert. Bei unserer kleinen Nische handelt es sich um eine gepolsterte Sitzgruppe, auf der wir alle Platz finden. Der Tisch ist bereits mit einer Flasche Wodka, Fruchtsäften und Cocktails arrangiert. Es gibt außerdem noch einen Stehtisch in der Ecke des abgesperrten Bereichs, an dem wir stehend oder in unserem Fall tanzend unsere Drinks genießen können.
Alessandro hat uns seine Kreditkarte angeboten, damit wir für seine Partnerin die perfekte Party planen können, doch wir haben einstimmig abgelehnt und unser Geld zusammengelegt. Wir als Trauzeuginnen wollten, dass diese Party von uns geplant, umgesetzt und finanziert wird.
Nach unserer Ankunft bilden wir einen Kreis um den Stehtisch, und als alle ein Glas in der Hand halten, nutze ich die Gelegenheit, um das Wort an alle zu richten.
»Ich möchte einen Toast aussprechen.«
»Was?«, brüllt Carrie, eine Arbeitskollegin der Braut, die ich nur flüchtig kenne. Es war wohl doch nicht so klug, eine Rede halten zu wollen, während laute Musik und Bässe meine Stimme verschlucken, also beschränke ich mich darauf, einen Toast auszusprechen.
»Auf Aldina! Die schönste Braut der Welt!«, brülle ich mit aller Kraft, woraufhin die anderen zu jubeln beginnen. Ich möchte so viel mehr sagen, aber dafür wird es noch genug Möglichkeiten geben. Heute wird gefeiert. Und wie wir das tun. Der Alkohol fließt, doch ich bin froh, dass niemand aus unserer Runde es übertreibt und wir somit angeheitert weiterfeiern können. Nach Stunden des Tanzens greife ich in meine Clutch, hole mein Smartphone hervor und werfe einen Blick auf meine Benachrichtigungen. Ich habe eine Nachricht von meiner Schwester, die schmollt, weil sie krank im Bett liegt und somit heute nicht dabei sein kann. Außerdem hat mein Freund mir geschrieben.
Ich antworte meiner kleinen Schwester und verspreche ihr, dass wir zu dritt nachfeiern werden. Dann öffne ich Evans Nachricht.
Evan: Hey Babe. Habt ihr viel Spaß? Wir sind noch im Studio und werden vor morgen früh nicht fertig mit den Aufnahmen.
Mina: Ja, wenn man bedenkt, dass ich fast verhaftet worden wäre, ist es doch ein gelungener Abend geworden.
Evan: Sollte ich mir Sorgen machen? Oder eine Kaution stellen?
Mina: Keine Sorge, ich habe alles geregelt.
Evan: Okay, dann sehen wir uns morgen?
Mina: Wenn ich nicht in ein Cocktailkoma falle, mit Sicherheit. Ich melde mich bei dir, sobald ich mich wieder wie ein Mensch fühle.
Evan: Ist gut. Ich liebe dich.
Da sind sie wieder. Die drei Worte, die meinem Partner so locker über die Zunge gehen, während ich … sparsam mit dieser Liebesbekundung umgehe. Beim ersten Mal fühlte es sich befreiend an, diese Worte auszusprechen, als wäre eine Last von mir abgefallen, doch nun? Nun denke ich an Aldinas Worte und daran, wie ich mich vorhin dabei ertappt habe, mir zu wünschen, ebenfalls so zu empfinden. Evan hat es verdient, auf diese Weise geliebt zu werden.
Ich will gerade eine Antwort tippen, als ein Song an meine Ohren dringt, der mich erstarren lässt. Meine Finger, die gerade noch über die Tastatur geflogen sind, verharren über dem Display. Die Stimme des Sängers geht mir unter die Haut, trifft mich tief in meiner Seele und setzt ein Ziehen in meiner Brust frei, das sich in einen stechenden Schmerz verwandelt.
I’m diving into memories where you were mine
drowing down deep to see at last
knowing that I’m running out of time
because you’re gone and I am stuck in the past
Der Song trifft mich hart und unvermittelt. Ich öffne die Augen und blicke auf die Antwort, die ich an meinen Freund senden wollte.
Mina: Ich liebe dich auch.
Es ist die naheliegende Antwort, aber wieso fühlt es sich gerade so an, als wäre ich eine Heuchlerin, wenn ich sie versende? Es gibt da dieses dunkle Geheimnis meiner Vergangenheit, einen Mann, der mich glücklicher gemacht hat, als ich es jemals zuvor gewesen bin. Ich bilde mir ein, den Duft nach Meer und Zitrone wahrzunehmen und die Wärme seines Körpers zu spüren. Und diese Erinnerungen lassen mich zweifeln und mich in einen Strudel aus Emotionen versinken. Es sind die seltenen Momente, in denen ich versuche, die Erinnerungen an einen anderen Mann zu verdrängen. Egal, wie sehr ich mich anstrenge: In schwachen Momenten kann ich nicht anders, als mich nach ihm zu sehnen.
Meine Hände beginnen zu zittern. Ich umklammere mein Smartphone, und das Atmen fällt mir immer schwerer. Meine Freundinnen singen laut mit und bekommen nichts von meiner Panik mit, also bleibt mir nur die Flucht aus diesem stickigen Club.
Schwer keuchend trete ich einen Augenblick später ins Freie, gehe an der Menschenschlange am Eingang vorbei und setze mich auf eine Bank unweit des Clubs. Die Laterne, die auf mich herabscheint, ist beinahe zu grell, aber ich brauche den Kontrast. Eine Ablenkung von meinen Gedanken und Erinnerungen, die wild in meinem Kopf kreisen. Meine Hände zittern immer noch unkontrolliert, und ich hasse den Fakt, dass der Song immer noch gedämpft aus dem Gebäude zu hören ist.
Zwei Jahre lang habe ich einen Bogen um die erfolgreichste Band der Welt gemacht: Saving Winter. Aber jetzt überwältigen mich die Gefühle, und als ich die Augen schließe, sehe ich graublaue Augen vor mir. Erkenne darin goldene Sprenkel, die man nur wahrnehmen kann, wenn man dicht vor ihm steht oder, wie ich, in seinen Armen gelegen hat.
Für seine Stimme brauche ich keinerlei Fantasie heraufzubeschwören, denn sie erklingt in dem Gebäude, das ich gerade verlassen habe. Julian Vaughn, Leadsänger von Saving Winter. Der Mann, der mein Herz im Sturm erobert hat. Der Mann, mit dem ich den besten Sommer meines Lebens verbracht habe.
Wir hatten eine gemeinsame Woche, in der wir beide frei von den Sorgen und Lasten unseres Lebens waren. In diesen sieben Tagen war ich eine andere Mina, die sich erlaubt hat, die Verantwortung als älteste Tochter und große Schwester abzulegen und einfach sie selbst zu sein. Und in diese Person war nicht nur ich, sondern auch Julian vernarrt. Bis unsere Zeit abgelaufen war und sich unsere Wege getrennt haben. Ich weigere mich, daran zu glauben, dass ich einen Fehler gemacht habe, als ich ihn gehen ließ, aber sobald ich ihn sehe oder seine Stimme höre, bröckelt die Mauer, die ich um meine Gefühle für ihn errichtet habe.
Genau zum richtigen Zeitpunkt endet der Song und wird von heißen Reggaeton-Beats ersetzt. Ich atme tief ein, senke den Blick auf meine Hände, die aufgehört haben zu zittern. Als ich meinen Atem entweichen lasse, klären sich meine Gedanken, als hätte ich über einen beschlagenen Spiegel gewischt und würde mich wieder sehen können. Es war ein kleiner Moment der Schwäche, doch dieser ist nun vorbei, denn Julian ist und bleibt Vergangenheit.
Mein Gang ist leicht und mein Herz voller Liebe für meine Freundinnen und Cousinen, die ihre Arme in die Höhe recken, als ich später zu ihnen auf die Tanzfläche stoße. Meine überkochenden Emotionen sind vergessen, und nur der Moment zählt. Und ich gedenke ihn zu leben, als wäre er mein letzter.
Zwei Jahre zuvor
Die brütende Hitze Bosniens ist anders als in den Staaten. Die Luft ist trocken, und überall duftet es nach Gewürzen. Es ist, als sei man dauerhaft von Stimmen und Musik umgeben. Wer einen leichten Schlaf hat, wird früh wach – geweckt von einem Hahn aus der Nachbarschaft, dem Bellen der streunenden Hunde, oder von den Kindern, die viel zu früh viel zu aktiv in den Gärten spielen. Zum Glück habe ich einen so tiefen Schlaf, dass mich selbst ein Erdbeben nicht wecken würde.
Ich öffne die doppelflügeligen Fenster und lasse etwas frische Morgenluft in mein Zimmer, das ich mir mit Elma teile. Es ist nicht groß und mit zwei Betten, einem Schrank und einem einfachen Buchenholzschreibtisch eher spärlich eingerichtet, aber für uns hat es immer ausgereicht. Weil wir, außer um zu schlafen, kaum Zeit hier drin verbracht haben.
Es wird nicht mehr lange dauern, und die Hitze wird so drückend, dass man es draußen kaum aushält. Ich stütze meine Arme auf der Fensterbank ab und lege mein Kinn auf die Hände, beobachte das schwache Grün der Bäume und der Gärten um unser Haus herum. Die Dürre, die das Land befallen hat, kann man sehen, wohin man auch geht, und jeden Tag hofft man auf einen Regenschauer, der leider nach Wochen immer noch auf sich warten lässt.
Das Haus meiner Großeltern liegt nur zwölf Kilometer von der berühmten alten Brücke Mostar entfernt, die ein beliebtes Ausflugsziel ist. Menschen aus aller Welt strömen in die bekannte Altstadt und schlendern über die Brücke, stöbern bei den vielen Ständen oder essen in einem der Restaurants traditionelles Essen aus dem Balkan. Das dreistöckige Haus mit drei Wohneinheiten, in dem wir jedes Jahr unseren Urlaub verbringen, ist nach dem Tod meiner Großeltern in den Besitz meiner Mom und ihrer Schwester Sabina übergegangen.
Wir bewohnen das oberste Stockwerk, das aus zwei Zimmern, einer Wohnküche, Bad und Balkon besteht. Im Erdgeschoß wohnt meine quirlige Tante Sabina, die den mittleren Teil des Hauses bei Airbnb vermietet. Wir haben so viele wunderbare Momente in diesen Gemäuern verbracht, dass mich jedes Mal die Emotionen überwältigen, wenn wir hier ankommen. Da es im Zimmer immer wärmer wird, schließe ich die Fenster und ziehe die Vorhänge zu. Es sind immer noch die mit den Schmetterlingen drauf, die Dad und ich gemeinsam ausgesucht hatten.
Nach Dads Tod haben wir uns nach einem Tapetenwechsel gesehnt, nach einer Möglichkeit, mit der alltäglichen Trauer umzugehen. Mom ist in eine tiefe Krise gestürzt, aus der wir ihr nie raushelfen konnten. Elma war eine stets mürrische Teenagerin, und ich habe unwillkürlich Dads Rolle eingenommen.
Ich habe versucht, meine Familie am Auseinanderbrechen zu hindern, und ich habe das Gefühl, dass mir das nur bedingt gelungen ist. Denn es ist kaum möglich, die Lücke zu schließen, die er hinterlassen hat. In den letzten Monaten habe ich verschiedene Kurse im Bereich Kosmetik belegt und erfolgreich abgeschlossen. Zusätzlich habe ich Schichten bei Tante Irma übernommen, und nun denke ich darüber nach, mich im örtlichen Altenheim zu bewerben, um mir noch etwas dazuzuverdienen. Diese Stunden voller Arbeit sind die einzigen, die mich aufheitern konnten. Ich brauchte den Abstand von Mom und Elma, denn die Rolle, die ich innehabe, droht in sich zusammenzufallen.
Dieser Sommer soll uns helfen, uns von der harten Zeit zu erholen und neue Kraft zu schöpfen. Auch wenn ich kaum glaube, dass zwei Wochen ein Jahr aus Schmerz und Verlust ausgleichen können. Es braucht schon ein Wunder, das mich aus diesem Trott rausholen und die Zügel um mein Leben lockern könnte.
Elma und Mom, die meist früh aufstehen, haben mir eine Nachricht hinterlassen, in der sie mir mitteilen, dass sie zum Shoppen in die Stadt gefahren sind. Zwar haben sie mich eingeladen, dazuzustoßen, doch wenn ich in den wolkenlosen Himmel blicke, kann ich mir Besseres vorstellen, als bei dieser brütenden Hitze von Store zu Store zu gehen.
Da ich noch meine Schlafkombi aus Top und Shorts trage, wechsle ich in ein eng anliegendes Sommerkleid, das mir bis zu den Knien reicht. Es hat breite Träger und zaubert ein züchtiges Dekolleté. Es ist weiß mit hellblauen, filigranen Ornamenten, die sich über das gesamte Kleid erstrecken. Ich schnappe mir meine Tasche, ziehe Sandalen an und mache mich auf den Weg. Unser Dorf ist zu weit von den Tourigebieten von Mostar entfernt, sodass die Straße weder asphaltiert ist noch einen Gehweg hat.
Mein Ziel ist der Supermarkt eine Straße weiter, wo ich mir zur Abkühlung ein Eis holen möchte. Während meine Sandalen auf dem Kiesweg knirschen, vernimmt mein an die bosnische Sprache gewöhntes Ohr einige englische Wortfetzen. Da wir die einzige Familie im Dorf sind, die nach dem Krieg in ein englischsprachiges Land gezogen ist, werde ich neugierig. Schließlich entdecke ich an der Kreuzung Emir, den Besitzer des Cafés die Straße runter, der verwirrt die Stirn runzelt. Ihm gegenüber steht ein großer, brünetter Mann mit breiten Schultern, dessen Gesicht ich nicht sehen kann.
»Nix verstehen«, meint er auf Deutsch, weil sein Bruder nach Deutschland ausgewandert ist, und er diese Sprache ein wenig beherrscht. Der Fremde ihm gegenüber kann diese Sprache natürlich nicht einordnen. In wenigen Schritten befinde ich mich in unmittelbarer Nähe der beiden, bleibe aber wie angewurzelt stehen, als ich den Mann erkenne, mit dem sich der Dorfbewohner unterhält oder eben nicht unterhält.
Julian Vaughn.
An dem Sänger, der mit TikTok weltweit bekannt wurde, führte in den letzten Jahren kein Weg vorbei, denn egal welche Social-Media-Plattform man öffnet oder welchen Radiosender man einschaltet, Saving Winter ist überall präsent. Julian ist ein TikTok-Star, der mit seinem Gesang viele Millionen Menschen in seinen Bann gezogen hat. Mich eingeschlossen. Was zum Teufel tut ein Rockstar wie er in meinem Einhundert-Seelen-Dorf?
Wieder versucht Julian verzweifelt herauszufinden, wo er ein Mietauto und eine Unterkunft finden kann. Irgendwie erwarte ich, dass der Star aus der Haut fährt, weil er nicht bekommt, was er möchte. Doch auch als Julian eine Geste macht und mit den Händen ein Lenkrad in die Luft zeichnet, das er hin und her lenkt, oder andeutet zu beten und seine Wange auf dem Handrücken ablegt, versteht Emir ihn nicht.
Ich weiß nicht, ob es die süße, schlafende Geste ist oder die ruhige Art, die Julian an den Tag legt, doch irgendetwas bringt mich dazu, mich den beiden zu nähern. Vielleicht habe ich Vorurteile und erwarte, dass Julian herumschreit und die Geduld verliert, doch er scheint eher nach einer Lösung zu suchen, statt sich auf das Verständigungsproblem zu konzentrieren.
»Kann ich vielleicht helfen?«, frage ich auf Englisch und trete ins Sichtfeld der beiden, was die Männer aufatmen lässt. Das erleichterte Seufzen kommt aus den Tiefen von Julians Kehle, und seine Miene erhellt sich.
»Mina! Ich verstehe diesen Schönling nicht«, meint Emir auf Bosnisch und schüttelt frustriert den Kopf. Wenn er noch Haare auf dem Kopf hätte, würde er sie sich mit Sicherheit raufen, doch seine Glatze beginnt schon von der Sonne rot zu werden. Hier im Dorf haben wenige das Geld und die Lust, sich Sonnencreme zu kaufen und sie auch zu nutzen, weswegen viele einen Sonnenbrand in Kauf nehmen. Dass dies verheerende Folgen für ihre Gesundheit hat, habe ich meinen Verwandten und den Menschen aus der Nachbarschaft vergeblich versucht klarzumachen. Für sie jedoch ist es in diesen harten Zeiten, in denen die wenigsten ein geregeltes Einkommen haben, wichtiger, Essen auf dem Tisch zu haben, was teuer geworden ist, als sich um die Konsequenzen von Sonnenbränden zu sorgen.
Der Dorfbewohner, den ich seit meiner Kindheit kenne, könnte jederzeit gehen und Julian stehen lassen, weil sie sich offensichtlich nicht verständigen können, aber das würde unserer südländischen Mentalität widersprechen. Auch wenn es sich um eine unbekannte Person handelt, wird Hilfe angeboten, wenn es im Bereich des Möglichen liegt. Und Julian scheint dringend auf Hilfe angewiesen zu sein.
»Er benötigt ein Airbnb und einen Mietwagen.« Als ich Emir erläutere, um was es ging, muss er unweigerlich auflachen. Seine braunen Augen leuchten amüsiert, und er klopft Julian aufmunternd auf die Schulter. Auch mir entlockt Emirs offene Art ein kleines Lächeln.
»Lacht er mich gerade aus?«, fragt Julian etwas unsicher in meine Richtung. Seine Stirn ist tief in Falten gelegt, und ihm ist eine Strähne ins Gesicht gefallen. Ich will nicht oberflächlich sein und einen Menschen nur nach seinem Aussehen beurteilen, aber ich kann nicht aufhören, seine Schönheit zu bewundern. Dabei bin ich die Letzte, die jemanden nur wegen seines Ruhms ansprechen und um ein Autogramm bitten würde.
»Nun, da hätte ich auch selbst drauf kommen können«, meint Emir auf Bosnisch und schüttelt den Kopf. Seine Worte reißen mich aus meinen Gedanken.
»Nein, er findet es nur lustig, dass er aus deinen eindeutigen Gesten nicht schlau wurde«, erkläre ich dem immer noch verwirrt dreinsehenden Julian.
»Oh. Okay«, meint er belustigt, kratzt sich am Hinterkopf und schenkt Emir ein Lächeln, das mir bereits bekannt, beinahe schon vertraut ist. Es ist merkwürdig, dass ich das Gefühl habe, ihn zu kennen, auch wenn ich nur seinen Social-Media-Auftritt kenne. Und hierbei handelt es sich nicht um die Realität, sondern um ein Image, das er sich aufgebaut hat. Auf TikTok, Instagram und den ganzen anderen Plattformen ist vieles nicht echt. Und doch fühle ich mich ihm verbunden. Liegt es an seiner wohlklingenden Stimme und seinen Songs, die mich schon so viele Jahre begleiten?
»Ich kann hier übernehmen, wenn du magst«, teile ich Emir mit, dessen Lächeln jedoch verblasst.
»Bist du dir sicher? Er ist ein Fremder, und ich möchte dich ungern mit ihm allein lassen.« Seine Sorge rührt mich, denn auch wenn ich eine erwachsene Frau bin, haben die Dorfbewohnenden immer noch einen großen Beschützerinstinkt, wie schon damals, als ich ein kleines Kind war.
»Wir sind hier in unserem Dorf, wo mindestens zwei Großmütter aus ihren Fenstern blicken, um zu sehen, wieso wir hier Wurzeln schlagen.« Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es sich hierbei um eine Metapher handelt, aber das ist nicht der Fall. Wenn wir als Kinder Schabernack auf den Straßen getrieben haben, wurde das innerhalb kürzester Zeit an unsere Eltern weitergegeben, weil wachende Augen auf uns gerichtet waren.
»Stimmt«, meint Emir belustigt und wischt sich seine schwitzenden Hände an der Hose ab.
»Nun, dann viel Glück mit dem Schönling.« Er winkt dem Fremden an meiner Seite zum Abschied zu, während dieser mich abwartend ansieht. Natürlich hat er nichts von unserer kurzen Unterhaltung verstanden.
»Entschuldige, ich musste ihm erklären, weswegen du ihn angesprochen hast.« Trotz meiner Worte bleibt sein Blick skeptisch, als wäre er mit dem Ausgang der Situation unzufrieden.
»Und da geht er und lässt dich mit einem fremden Mann allein?«, fragt er verwirrt und blickt Emir nach, der längst nicht mehr zu sehen ist. In den Staaten ist man Fremden gegenüber oft skeptisch und würde ein solches Verhalten nicht erwarten.
»Keine Sorge, wir sind hier nicht allein«, sage ich und deute mit dem Kinn in eine Richtung. Während er hinter sich schaut, habe ich einen guten Blick auf sein Profil. Dass er attraktiv ist, wusste ich schon, doch ihm leibhaftig gegenüberzustehen ist etwas völlig anderes. Er trägt ein weißes Poloshirt, in dessen Ausschnitt er eine Sonnenbrille gesteckt hat und dessen Ärmel sich um seinen Bizeps spannen. Er ist nicht durchtrainiert, jedoch gut in Form. Sportlich schlank mit breiten Schultern. Dazu trägt er beigefarbene Shorts mit vielen Taschen und weiße Sneaker. Doch egal wohin ich blicke, ich kann keinen Koffer finden.
»Sind wir nicht?«, fragt er verwirrt und bekommt gar nicht mit, wie ich ihn mustere. Was auch gut ist. Julian sieht sich auf der menschenleeren Straße um, scheint dabei jedoch nicht die ältere Dame zu sehen, die ihre Vorhänge zur Seite gezogen hat und uns beobachtet. Die Häuser hier sind zum Großteil alt, mit verblassten Fassaden und alten Fenstern. Bei einigen sieht man sogar noch immer die Einschusslöcher vom Balkankrieg, Schäden, die aufgrund der finanziellen Situation des Landes nicht behoben werden konnten.
Nur wenige hatten es sich leisten können, die Spuren des Krieges reparieren zu lassen, die meisten sind wie ein Mahnmal erhalten geblieben. Für mich sind sie alltäglich, doch ich frage mich unweigerlich, wie sie auf Julian wirken, falls dies hier sein erster Besuch in Bosnien ist. Doch er versucht offensichtlich noch immer, aus meinem Spruch von vorhin schlau zu werden, sodass ich ihm auf die Sprünge helfe.
»Nichts nimmt die Umgebung besser auf als die Großmütter des Balkans.« Julian schirmt seine Augen gegen die Sonne ab und blickt hinter mich, woraufhin er eine Braue hebt. Ich schätze, er hat Nana Lolic entdeckt, die hier insgeheim als die beste Überwachungskamera bezeichnet wird.
»Endlich sehe ich, wovon du sprichst«, meint er amüsiert und hebt einen Mundwinkel an. Es handelt sich um dieses halbe Lächeln, das er der Welt schon sehr oft präsentiert hat. Dass es diesmal nur mir allein gilt, kann ich nur schwer realisieren, trotzdem bringt es mein Herz dazu, einen Schlag auszusetzen.
»Wie ich gehört habe, suchst du eine Unterkunft?« Konzentrier dich, Mina. Er braucht Hilfe.
»Genau. Ich bin spontan hierher gereist und brauche wohl mehr als nur ein Dach über dem Kopf«, meint er und präsentiert mir seine leeren Hände, was mir bestätigt, dass er tatsächlich ohne Gepäck angereist ist. Die Situation ist mehr als nur merkwürdig, denn für einen Superstar, der ständig Gefahr läuft, erkannt zu werden, ist es eher untypisch, allein zu verreisen.
»Hat dein Management nicht dafür gesorgt, dass dein Urlaub nach Plan verläuft? Und wo sind deine Bodyguards?«, frage ich, ohne mich umzusehen, denn wir sind die Einzigen, die bei über dreißig Grad mitten in der prallen Sonne stehen und sich unterhalten. Als Weltstar müsste er doch rund um die Uhr beschützt werden, oder? Seine fröhliche Miene gefriert für einen kurzen Augenblick. Es passiert so schnell, dass ich glaube, es mir eingebildet zu haben, ehe er schluckt und sich räuspert. Augenblicklich nimmt er eine steife Haltung an, als hätten meine Worte ihm den Wind aus den Segeln genommen.
»Du weißt, wer ich bin.« Es ist nicht als Frage formuliert, weshalb ich nur mit den Schultern zucke.
»Es ist auch schwer, das nicht zu wissen. Schließlich prangt dein Gesicht auf jedem Magazin.« Okay, das kam jetzt etwas schroff rüber. Diese verdammte Hitze macht mir zu schaffen.
»Da könntest du recht haben.« Er schluckt schwer und fährt sich frustriert durchs Haar. In seiner Stimme liegt eine Schwere, die nicht zu seinem Lächeln zu passen scheint.
»Ist das ein Problem?«, hake ich nach und neige fragend den Kopf.
»Was?«, fragt er. Immer noch schwingt Frust in seiner Stimme mit. Offensichtlich habe ich ihn mit meiner Frage aus dem Konzept gebracht. Er ist zwar freundlich, doch ich spüre seine Anspannung. Vermutlich wäre er gerade überall lieber als hier.
»Dass ich dich kenne. Mir scheint, als würde es dir nicht gefallen.«
»Es war auf jeden Fall erfrischend zu glauben, dass ich in ein Land gereist bin, in dem niemand weiß, wer ich bin.« Er klingt enttäuscht, und ich verliere kurz den Faden. Wieso ist er so brutal ehrlich zu mir?
»Kannst du mir nun helfen?« Wieder kommen ihm die Worte neutral über die Lippen, keine Spur von Starallüren, und genervt wirkt er auch nicht.
»Darf ich vorher wissen, wie du in unserem Einhundert-Seelen-Dorf gelandet bist? Es ist nicht gerade der Hotspot, wenn man nach Mostar kommt.« Ich frage aus reiner Neugier, denn mir will einfach kein plausibler Grund einfallen, wieso er hierhergekommen ist.
»Der Taxifahrer hat mich hier rausgelassen, weil er einen Platten hatte. Ich habe ihn bezahlt und bin weitergegangen, in der Hoffnung, mir ein anderes Taxi rufen zu können, doch ich wusste nicht, dass es sich bei diesem Ort um ein kleines Dorf handelt. Und da ich mich in dieser Gegend nicht auskenne, war ich auch überrascht, dass es hier nichts als Wohnhäuser gibt.« Er sieht sich um. Schweiß glänzt auf seiner Stirn, und ich schaffe es kaum, meinen Blick von seinem Gesicht abzuwenden. Dabei will ich kein Klischee sein und ihn anhimmeln, weil er attraktiv und berühmt ist, und doch tue ich es. Ich räuspere mich, ehe ich antworte.
»Verstehe. Also, du befindest dich ungefähr sieben Meilen von der alten Brücke Mostar entfernt, die die meisten Touris anzieht.« Julian schluckt und schüttelt vehement den Kopf.
»Okay, aber ich möchte in keinem belebten Ort unterkommen. Gibt es außerhalb der Stadt Unterkünfte?«, fragt er hoffnungsvoll, und ich frage mich unweigerlich, wie schlimm es sein muss, in der Öffentlichkeit zu stehen und auf Schritt und Tritt von Kameras und Presse verfolgt zu werden … Momente wie diese, wo er nicht von einer Horde Fans belagert wird, müssen für ihn eine Wohltat sein.
Ich fahre mir durch mein dichtes Haar, das an meinem Körper klebt, und ärgere mich, dass ich mir keinen Haargummi mitgenommen habe. Auf Julians Gesicht und Haut hat sich ein Schweißfilm gesammelt, während ich nur unter meinem BH Nässe spüre. Als Südländerin schwitze ich nicht so schnell.
»Die gibt es mit Sicherheit, aber da ich selbst aus den Staaten komme und nicht hier wohne, kann ich leider nicht mit mehr Informationen dienen. Aber wenn du die Straße runtergehst, kommst du zum Supermarkt. Wenn du dir ein Taxi rufst, brauchst du nur den Namen des Geschäfts zu nennen. Lass dich zum Rent-a-Car im Zentrum bringen. Dort findest du mit Sicherheit auch ein Hotel.«
Julian seufzt und wirkt plötzlich sehr müde. Unweigerlich frage ich mich, wie lange er wohl schon auf den Beinen ist. Er müsste nur nach Airbnbs in der Nähe googeln und würde das Haus finden, in dem auch ich wohne. Aber einen Rockstar als Nachbarn zu haben, ist das Letzte, was ich will. Dieser Sommerurlaub sollte mir etwas Abstand von meinen mir auferlegten Pflichten verschaffen und mir die Möglichkeit geben, durchzuatmen, ehe der Trott in New York weitergeht. Ablenkung in Form eines äußerst gut aussehenden Superstars kann ich nicht gebrauchen.
Enttäuschung macht sich auf seinem Gesicht breit und lässt mich stutzen. Hat er etwa gedacht, dass ich ihm persönlich helfen würde? Er mag eine Person des öffentlichen Lebens sein, doch er ist immer noch ein Fremder für mich. Mehr kann ich ihm nicht anbieten. Er nickt verständnisvoll.
»Vielen Dank für deine Hilfe.« Er reicht mir seine Hand, und als ich sie ergreife, breitet sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Oder?
»Gern geschehen«, antworte ich etwas atemlos. Entschlossen dreht er sich in die Richtung, die ich genannt habe, und setzt sich in Bewegung. Ich blicke ihm nach, damit er nicht falsch abbiegt, und ein flaues Gefühl bildet sich in meinem Magen. Die Lust auf ein Eis ist mir plötzlich gründlich vergangen, und ich sehne mich nach einer kühlen Dusche. Also gehe ich nicht in den Supermarkt, zu dem ich Julian geschickt habe, sondern wieder nach Hause. Selbst unter dem kühlen Wasser kann ich jedoch das Gefühl nicht abschütteln, nicht genug für den attraktiven Rockstar getan zu haben.
Absolut niemand kann mir weismachen, einen Hausputz mit Musik durchführen zu können, ohne eine kleine Show hinzulegen. Der Stiel meines Mops ist der Mikrofonständer, während ich aus vollem Halse den Balkan-Hit Brad Pitt von Severina mitsinge. Eine orientalische Melodie gepaart mit Reggaeton-Beats lässt meine Hüften kreisen und mich meine Lockenmähne über meine Schulter werfen.
Ich gebe alles, um meinem imaginären Publikum ein unglaubliches Konzert zu liefern. Mein südländisches Blut gerät in Wallungen, während ich den Stiel umkreise, den freien Arm in die Höhe recke und mich dabei greller anhöre als ein überkochender Teekessel. Denn ich kann vielleicht tanzen, aber wer mich singen hört, könnte mich wegen seelischer Grausamkeit verklagen.
So sehr ich mein Konzert auch genieße, wartet mein Holzboden immer noch darauf, gewischt zu werden, also schicke ich Luftküsse, bedanke mich bei meinem Geisterpublikum und mache mich weiter ans Werk. Da meine Arbeitswoche meist so voll ist wie eine Bloomingdales-Filiale am Black Friday, kann ich mich nur dann der Hausarbeit widmen, wenn ich freihabe.
Dabei regiert wie immer das Chaos. Ich beginne in der Küche, hänge zwischendurch die Hälfte der Wäsche auf, putze das Bad und trinke nebenbei schnell einen Kaffee, ehe ich das Bett neu beziehe und völlig vergesse, womit ich eigentlich weitermachen wollte. Also dauert es immer ein wenig länger, bis ich meinen Kram erledigt bekomme.
Erst zwei Stunden später, in denen ich nur bei drei Songs in die Vollen gegangen bin, ist alles blitzblank, die Wohnung gelüftet und die Wäsche gebügelt und weggeräumt. Mit einem erleichterten Seufzen lasse ich mich auf die Couch fallen und schnappe mir mein Smartphone. Ich scrolle ein wenig durch TikTok, als mir meine Schwester eine Nachricht schickt.
Elma: Hej Seko. Was gibt’s bei dir?
Seit ich denken kann, nennt sie mich Sestro oder benutzt die Verniedlichungsform Seko, was auf Bosnisch Schwester heißt.
Elma: Wirst du mir in den Hintern treten, wenn ich dir sage, dass ich das College vorzeitig abbreche und professionelle Clown-Darstellerin werde, die bei Partys Ballons aufbläst und sich zum Affen macht?
Mina: Wieso gerade Clown?
Elma: Ich habe mir schon einige Skills von den Möchtegern-Komikern aus meinen Vorlesungen angeeignet.
Mina: Wer macht dir Ärger? Soll ich in ein paar Ärsche treten?
Elma: Gott – nicht mal Chuck Norris hat so viele Roundhouse Kicks parat, um allen einen Tritt zu verpassen, die mich nerven.
Mina: Oje. Was ist los?
Meine kleine Schwester ist eine Meisterin darin, ihre Sorgen hinter Witzen zu verstecken, doch ich erkenne gleich, dass etwas im Busch ist.
Elma: Ich habe wohl nicht erwartet, dass das Semester mit solch einer Wucht einschlägt. Mein Kalender ist voller als die Einkaufstüten der Kardashians.
Mina: Tut mir leid, das zu hören. Kann ich dir irgendwie helfen?
Elma: I wish, aber damit muss ich wohl selbst zurechtkommen. Niemand hat gesagt, dass das College einfach ist.
Mina: Aber wenn jemand mit Bestnoten abschneidet, dann bist du das. Du bist der Stolz der Familie.
Elma: Ist das die Umschreibung für schwarzes Schaf?
Mina: Ach, Quatsch. Schwarz ist nicht deine Farbe, Sis, das ist eher mein Terrain.
Elma: Ich muss leider schon los. Es sind signierte Alben von Saving Winter bei Target rausgekommen, und vielleicht kann ich ein Exemplar ergattern. Bye Seko
Mina: Machs gut.
Mir entweicht ein schwerer Seufzer. Nach meinem kleinen unfreiwilligen Ausflug in die Vergangenheit vor einer Woche, habe ich das getan, was ich immer tue, wenn die Gedanken an Julian wieder lauter werden. Ich stürze mich in die Arbeit und tue alles, um mich zu beschäftigen und abzulenken. Und es gibt allerhand Bereiche, in denen ich tätig bin. Ich bin ausgebildete Make-up-Artistin in Teilzeit am Broadway, was ich als meine Hauptbeschäftigung sehe. Leider werde ich dort nicht so gut bezahlt, weswegen ich mehrere andere Jobs zusätzlich annehmen musste, um meine Schwester am College unterstützen zu können.
Ich gebe Nachhilfe in Englisch, helfe im bosnischen Restaurant meiner Tante aus und arbeite im örtlichen Altenheim. Wenn ich anderen erzähle, dass ich in vielen Bereichen tätig bin, bekommen die meisten große Augen.
Aber die vielen Jobs sind nötig, um meine Schwester und Mutter finanziell zu unterstützen. Mit Ach und Krach schaffe ich es so gerade, die jährlichen Studiengebühren von Elma zu bezahlen, zumindest die vierzigtausend Dollar, die das Stipendium nicht abdeckt. Als mein Vater vor drei Jahren starb, ist meine Mutter in eine schwere Depression gefallen. Nach unzähligen Therapiestunden kamen sie und ihr behandelnder Arzt zu dem Schluss, dass ein Tapetenwechsel klug wäre.
Also ist meine Mutter vor einem Jahr nach Mostar zu ihrer Schwester geflogen, und der Aufenthalt hat ihr so gutgetan, dass sie entschieden hat, dort zu bleiben. Alles in den Staaten erinnert sie an Dad und reißt Wunden auf, mit denen sie nicht umgehen kann. Da Elma und ich volljährig sind, hatten wir kein Problem damit, in der Wohnung zu bleiben, in der wir unser ganzes Leben verbracht haben.
Es handelt sich um eine mietpreisgebundene Wohnung, deren Miete unverändert geblieben ist. Zwar sind die Nebenkosten in den letzten Jahren gestiegen, trotzdem zahle ich nur einen Bruchteil dessen, was heutzutage für eine achtzig Quadratmeter große Wohnung in Manhattan verlangt wird. Während sich der Umzug in ein anderes Land für meine Mutter als die beste Entscheidung erwiesen hat, hat sich Elma voller Elan ins erste Collegesemester gestürzt, wo sie bis jetzt durch Bestnoten geglänzt hat.
Dad wäre stolz, wenn er uns jetzt sehen könnte. Mit einem traurigen Lächeln sehe ich beiläufig auf mein Smartphone. Als mir die Uhrzeit auffällt, muss ich laut nach Luft schnappen.
»Scheiße, ich komme zu spät!«, rufe ich aus und erhebe mich hastig, sodass die Decke, die ich auf dem Schoß hatte, zu Boden fällt. Mein freier Tag fällt ins Wasser, weil mein Cousin Aydin wegen eines Magen-Darm-Virus ausfällt und ich seine Schicht übernehmen werde. Als ich meine Wohnung verlasse, trage ich ein lavendelfarbenes Shirt, das einen Streifen Haut am Bauch freilässt. Der Luftzug auf meiner Haut ist frisch, weswegen ich froh bin, dass es halblange Ärmel hat und auch meine Boyfriend-Jeans mich nicht frieren lassen wird.
»Hey, Mina! Ich habe hier Post für dich«, höre ich unsere Postbotin Olive auf dem Gehweg rufen, die ich in der Eile gar nicht gesehen habe. Ich bin eiskalt an ihr vorbeigelaufen.
»Kann ich sie hier entgegennehmen?«, frage ich außer Atem und trete auf der Stelle.
»Sicher doch. Warte. Hier.« Sie reicht mir zwei Flyer von Lieferdiensten und einen Brief, den ich eilig in meine Tasche stopfe.
»Danke. Bis dann.« Ich winke ihr zum Abschied, haste weiter und erwische gerade noch die Metro. Mit einer Verspätung von zwanzig Minuten betrete ich das Restaurant meiner Tante Irma, die mich bereits erwartet. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt, sieht aber nicht so aus, als würde sie mir gleich den Kopf abreißen. »Sorry für die Verspätung. Ich habe die Wohnung geputzt und dabei völlig die Zeit vergessen.«
»Sagt die Frau, die vor einer halben Stunde fünf TikToks in die Familiengruppe geschickt hat«, erwidert sie und hebt anklagend eine Braue. Ups! Da hat sie mich doch glatt erwischt. Ihr kurzes, schneeweißes Haar hat sie mit einem lilafarbenen Haarband aufgepeppt, was ihrem hellen Teint und dem Haar einen Farbklecks verpasst.
»Sagen wir es mal so. Ich habe eine Weile auf der Couch abgehangen, ehe mir klar wurde, dass ich heute doch nicht freihabe.«
»Nun, ich bin froh, dass du dein altes Tantchen nicht vergessen hast.«
»Nie und nimmer«, sage ich fröhlich und komme langsam wieder zu Atem. Sie schenkt mir ein breites Lächeln, bevor sie sich umdreht und durch die Flügeltür die große Gastroküche betritt. Ich haste in den Aufenthaltsraum, greife mir aus dem Spind meine Schürze, die ich mir um die Hüfte binde, und sehe in den Spiegel, der an der Tür befestigt ist.
Auch wenn meine Wangen von meinem kleinen Sprint noch gerötet sind, hat sich mein Dutt nicht gelöst. In der Eile habe ich es nicht geschafft, Make-up aufzutragen, aber da ich jahrelang Skincare betrieben habe und täglich Sonnencreme nutze, ist mein Hautbild rein und glatt, sodass ich keine Foundation benötige. Normalerweise habe ich immer ein Reise-Make-up-Set in meiner Handtasche, doch da ich mich heute für eine kleinere als sonst entschieden habe, war schlichtweg kein Platz mehr.
Wieder im Restaurantbereich trete ich hinter den Tresen, schnappe mir das mir zugewiesene Portemonnaie und zähle in Windeseile das Wechselgeld. Ich hasse es, zu spät zu kommen, aber zum Glück nimmt meine Tante es mir nicht übel, und auch die anderen Servicekräfte, die mit mir die Kundschaft bedienen, zwinkern mir nur zu und scheinen nicht wütend zu sein. Meine Tante ist eine begnadete Köchin. Schon immer wurde sie für ihr Essen gelobt, sodass sich mein Onkel und sie vor über zehn Jahren dazu entschlossen haben, ein Restaurant zu eröffnen. Im Mostars Bridge, das nach der Brücke unserer Heimatstadt Mostar benannt wurde, werden Speisen und Desserts aus dem Balkan angeboten. Von Cevapcici, Böreks und Baklava bis hin zur traditionellen Bohnensuppe ist hier für jeden Geschmack etwas dabei. Aufgrund der vielen kulinarischen Angebote in der Straße hatte meine Tante zunächst Zweifel, ob ihr Restaurant gut ankommen würde, aber ihre Bedenken wurden schnell zerstreut. In Kombination mit den roten Backsteinen und der Tapete, auf der die Karte Bosniens abgebildet ist, schaffen die vielen Grünpflanzen und die dunklen Möbel ein rundes Gesamtbild in dem fensterreichen Raum. Die rustikale Inneneinrichtung vermittelt ein Gefühl, das ich mit meinem Heimatland verbinde.
Zwei Stunden später habe ich meine Schürze mit Ajvar bekleckert, bin mehr als fünftausend Schritte gegangen und habe mir den kleinen Finger am Kaffee verbrüht. Doch das tut meiner guten Laune keinen Abbruch. Ich liebe es, im Restaurant zu arbeiten und unter Leuten zu sein. Zwar gibt es den ein oder anderen schwierigen Restaurantbesuchenden, quengelnde Kleinkinder und stressige Stoßzeiten, aber ich habe mir mit den Jahren ein dickes Fell zugelegt und weiß, wie ich in fordernden Situationen einen kühlen Kopf bewahre.