Steinbeil und Bronzeschwert - Johannes Dose - E-Book

Steinbeil und Bronzeschwert E-Book

Johannes Dose

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Beschreibung

Doses Roman spielt in der Steinzeit und im holsteinischen Fördeland. Er erzählt von Fred und Frod, zwei Zwillingsbrüdern, und ihren Abenteuern vor langer, langer Zeit.

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Steinbeil und Bronzeschwert

Johannes Dose

Inhalt:

Steinbeil und Bronzeschwert

l.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

Steinbeil und Bronzeschwert, J. Dose

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849628055

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Steinbeil und Bronzeschwert

l.

Die Prähistorie, d. i. die Geschichte der Menschen vor der von Menschenhand geschriebenen Geschichte, ist in Dänemark und Schleswig-Holstein älter, anschaulicher und reicher als in jedem anderen Lande Europas. Aus der Zeit, bevor noch ein Buchstabe von fleißiger Mönchsfeder auf Pergament gemalt, bevor noch eine Rune von harter Wikingerhand in Stein geritzt wurde, haben wir genaue Kunde von dem Werden und Wirken, von dem Leben und Sterben unserer Ururahnen. Die Gräber, die Stein-, Hügel- und Hünengräber, die wir zu Abertausenden in unserem Lande haben, und die Grabfunde, die zu Hunderttausenden sorgfältig gesammelt und gesichtet wurden, sind die ungeschriebene Geschichte unseres Volkes, die uns zuverlässig berichtet, wie unsere Urväter vor vier- und fünftausend Jahren lebten und litten, jagten und fischten, arbeiteten und ackerten, wie sie kämpften und starben und ehrenvoll bestattet wurden. In den Gräbern, die unsere Forscher durchwühlen, leben die Toten auf, die vor Jahrtausenden atmeten und längst Asche geworden sind. Erst neunhundert Jahre nach Christi Geburt sind die ersten Runen unserer schleswigschen Heimat in Stein gehauen worden und geben uns spärliche Nachricht von den Helden und Heldenkämpfen jener Tage, die vor Hethaby und am Dänenwall bei Schleswig tobten, viel reicher als aus diesen mühselig geritzten Runen ist die ungeschriebene Geschichte aus den Gräbern der Stein- und Bronzezeit zu schöpfen, die mehr als zweitausendfünfhundert Jahre vor Christi Geburt zurückreicht, von unseren Urahnen, die den Feuerstein schlugen und schärften, Steinhammer und Steinbeil schwangen und mit jauchzender Freude das erste Kupferschwert schmiedeten, wollen wir reden und reimen, singen und sagen. –

Aber noch weiter, mehr als fünf Jahrtausende, geht die Prähistorie Schleswigs zurück. An der ganzen Ostküste unserer cimbrischen Halbinsel vom Kattegat bis zur Kieler Förde, fand man rätselhafte, riesige Muschelhaufen, die der Naturforscher zuerst für seltsame, natürliche Strandbildungen hielt, in denen jedoch der Altertumsforscher die allerälteste Geschichte der nordischen Urzeit fand. Diese gewaltigen Anhäufungen von Schalen enthalten nicht nur Austern- und Schneckenschalen, Herz- und Miesmuscheln, Gräten von Scholle, Dorsch, Aal und Hering, Knochen vom Hirsch, Reh und Wildschwein, sondern auch – und da ist das Kostbare des Fundes – Menschengeräte von Feuerstein, Hirschhorn und Knochen. Hier, wo die Austernschalen und die Küchenabfälle Jahrhundert um Jahrhundert sich häuften, haben unsere Ururväter ihre gemeinsamen Mahlzeiten gehalten, und darum hat man diese Haufen, die oft zweihundert, ja bis zu eintausend Ellen lang und fünfzig bis hundert Ellen breit sind, die Küchenabfallhaufen genannt, die an allen unseren Förden und besonders zahlreich am Kattegat gefunden werden, warum sind sie so spärlich an unserer schleswigschen Küste? War unsere Heimat vor fünftausend Jahren wenig besiedelt? Mit nichten! Eines Tages beobachtete ich den Bagger, der das Fahrwasser der Haderslebener Förde bei der Ziegelei vertiefte. Zu meinem Erstaunen warfen die Eimer nicht Sand und Schlamm, sondern Schalen, nichts als Austernschalen in die Prähme. Tagelang wühlten sie aus der Förde Muschelschalen ans Tageslicht, denn sie waren auf einen Küchenabfallhaufen in der Förde gestoßen, und hier war des Rätsels Lösung. Auch an den stillen, waldumkränzten Förden Schleswig-Holsteins waren unermeßliche, unerschöpfliche Austernbänke. Hier fischten, hausten und schmausten unsere Urväter ein paar Jahrtausende, aber ihre Abfallhaufen liegen jetzt draußen im Wasser, weil die ganze Küste sich gesenkt hat und das Wasser der Ostsee hundert Meter ins Land hineingedrungen ist, was oben am unveränderten Kattegat nicht der Fall war. Unsere Bagger haben die Geräte jener Urschleswiger, die aus Knochen, Hirschhorn und Feuerstein waren, zu Tage gefördert und somit die allerälteste Geschichte unserer Heimat geschrieben.

Noch weiter in ferne Äonen zurück geht die Geschichte unseres Landes, die in den Schichten der Erde lapidarisch und ewig steht. Eine ungeheure, entsetzliche Katastrophe brach über das nördliche Europa, das eine Fauna von tropischer Fülle, eine Flora von tropischer Farbenpracht besaß, herein. Gewaltige Gletscher und Eismassen bedeckten alle skandinavischen Länder und brachen bis in das Herz von Deutschland hinein. Alles Leben erstarrte in einem ewigen Winter. Kein Wesen atmete mehr in der Todeskälte. Warum und woher kam dieses ungeheure Sterben über die nördlichen Länder unseres Planeten? Was ist die Ursache der schauerlichen Eiszeit? Hatte die Erdachse urplötzlich sich gedreht? Hatte eine Götterhand, unbekümmert um die ehernen Gesetze des Weltalls, unseren Planeten aus seiner ewigen Bahn geschleudert? Oder war eine alte Sonne, eine herrliche, heiße Sonne, die üppiges Leben erzeugt, am Himmel erloschen? Wir wissen es nicht, wir wissen nur, daß in den Jahrtausenden vor dem grauen Eistode Mammut und Nashorn und Afrikas Getier im Norden wohnte, daß Bäume und Blumen des Südens dort, wo jetzt Schnee und Eis starrt, glühten und blühten. Aber jene strahlende Sonne des Nordens erlosch, das warme Meer wurde zum Eismeer, der Wintertod lag über dem einstigen Tropenlande. Jedoch an einem neuen, herrlichen Schöpfungstage unserer Heimat leuchtete wieder ein Sonnenball am Himmel, der höher und höher gen Norden stieg. Die Eisberge zerschmolzen, die Gletscher vergingen und ließen mächtige Steine und Schmutzmoränen zurück. In der ausgetrockneten Schlammwüste bildete sich eine Vegetation, zunächst eine dürftige Flora, wie in Finnland und Lappland, mit dem matten Grün der Flechten und Moose, die das genügsame Renntier liebt. Gewaltige Renntierherden wanderten aus dem eisfreien Westen Europas ein und ergossen sich über das Moosland Cimbrien. Ihnen folgte der Urmensch, der nur Jäger war und, gleichwie der Löwe den Antilopen- und Zebraherden, den hochgeweihten Renntierscharen nachstellte. Der Hunger war sein stärkster Trieb, die Speise sein Gott, und die volle Sättigung sein höchstes Glück. Und hier war Fleisch die Fülle und das harmlose Tier mit seinem primitiven Jagdgerät leicht zu fangen und zu fällen. Die ersten Jagdgeräte jener Urmenschen, die wir gefunden haben, sind Beinharpunen und gespitzte Knochen für Wurfspeere und Fischstecher.

Als das Moosland allmählich, von der warmen Sonne geküßt, sich mit Gräsern und Bäumen bedeckte und zu dem gesegneten Cimbrien, das wir bewohnen, geworden war, hatte der Mensch sich gemehrt im Lande. Nicht mehr durchstreifte der Mann, mit der Steinkeule bewehrt, nur von seinem Weib und seinen Welpen begleitet, nach Wildmannsart die Weiten des Landes, nur auf Beute, auf Fleisch und Fraß bedacht. Jetzo, vor fünf Jahrtausenden, wohnten unsere Urahnen geselliger, gesitteter, in Sippen und kleinen Geschlechtern und Dörfern beieinander an einem still geschützten Orte der vielen ins Land schneidenden Förden. Anno dazumal träumte die Auster, dieser leckere Meerbewohner, in schier zahlloser Menge auf unabsehbaren, unerschöpflichen Bänken der Ostsee und besonders in den stillen Meerbusen mit ihrem untiefen, wenig bewegten Wasser. Hier auf der Waldhöhe über den Bänken war gut zu wohnen und viel zu essen, die leckere Speise war mühelos zu haben und wuchs den Menschen, die wenig Arbeit liebten, in den Mund hinein. An einer reichen Austernbank der Haderslebener Förde hauste unser Ururahn in einem Dorf von vierzig bis fünfzig Hütten, schmauste Austern schockweis und trank dazu aus dem kristallklaren Waldquell. Der Küchenabfallhaufen bei der Ziegelei zeugt von seiner wackeren Eßtätigkeit. Er und sein Nachbar fuhren nicht mehr mit der Steinkeule wie die wilden Tiere aufeinander los, wenn Mann dem Manne begegnete. Gewisse, ungeschriebene Gesetze galten in jeder Gemeinschaft und zwischen den benachbarten Geschlechtern, obgleich noch viel Fehde und Totschlag zwischen den einzelnen Sippen war, sei es um ein besseres Jagdgebiet, eine größere Austernbank oder ein schöneres Weib.

Rudel von Rehen, Hirschen, Elchen und Wildschweinen, aber auch Bären, Wölfe, Luchse waren eingewandert und hatten gesehen, daß in Cimbrien gut zu wohnen sei. Die Menschen im Lande waren Jäger und Fischer und hatten meist Nahrung in Hülle und Fülle. Dennoch kamen schwere Notzeiten, eine Scheuheit der Tiere, eine Seuche unter den Rudeln, oder ein langer, harter Winter, wo das Hungergeschrei der Welpen laut kreischte. In einer solchen Notzeit ging unser Urahn an der Haderslebener Förde aus, um Nahrung zu suchen, um alles, was nicht Stein oder Holz und kaubar war, zu kosten und zu verschlingen. Er watete ins Wasser, um mit dem Wurfspeer Fische zu stechen, aber die glatten Schwimmer entschlüpften ihm. Er fluchte und fand statt eines Fisches die erste Auster. Nachdem er aus purer Neugierde mit dem Feuerstein die harte Schale aufgebrochen, kostete er griesgrämig das schleimige Zeug. Ah! Ah! Schlürfend verdrehte er die Augen vor Wonne, als wenn es eine Götterspeise sei, und er sättigte sich an einem Schock der Schaltiere. Die erste Austernbank war gefunden worden. Alle Not des Urvolks schien nun zu Ende, denn zahllose Bänke dehnten sich im seichten Wasser. Hier war endloser Vorrat. –

Wohl tobten zwischen den Sippen wütende Kämpfe um die beste Bank, bis schließlich verständige Häuptlinge verhandelten und ein Abkommen trafen, wo jedes Geschlecht seine Bank habe. Wohl hörten die Fehden nicht auf, aber mondelang, jahrelang herrschte Jagd-, Fang- und Fischfriede an allen Förden. Das Volk mehrte sich und fing an, Werke des Friedens, Hammer, Meißel, Messer, Tongefäße und Götterbilder, zu schaffen. Viele Menschengeschlechter lebten und starben neben ihren Küchenabfallhaufen. Ein paar Jahrtausende hatten unsere Urahnen an der Austernbank der Haderslebener Förde gewohnt. In den Schalenhaufen, den der Bagger ans Tageslicht hob, lesen wir ihre Geschichte.

II.

Es war vor mehr als viertausend Jahren und Frühling an der schönen, blanken Förde, die wie ein Fluß sich schlängelte und in der Sonne wie flüssiges Silber glitzerte. Die Wellen kräuselten sich kaum. Windschutz gab der hohe Hain, der das Wasser umsäumte, und in dem die Fichten, die schwermütig blickenden Urbewohner des Waldes, bereits hart bedrängt wurden von der mächtigen Eiche, die ihr wuchtiges Geäst rücksichtslos breitete. Einzelne Birken, Eschen und Hasel lugten hier und da bescheiden zum Licht empor, und auch die Erlen am Sumpfrande wurden von der großmächtigen Eiche geduldet. Die Windröschen schaukelten sich im sanften Hauch und wiegten nachdenklich ihr Köpfchen hin und her. Ein lustig klarer Waldbach plätscherte den Abhang hinab, wurde unten am Fuß desselben durch einen Erd- und Steinwall eingefangen zum kleinen Weiher und lief durch den Sand in die Förde hinaus. Fünfzig Klafter vom Wasser entfernt lag der sehr lange und fast mannshohe Schalenhaufen der Siedlung. Nach seinem Ausmaß zu schätzen, hatten sechzig bis siebzig Menschengeschlechter hier gesessen und ihr Mahl gehalten und in der gleichen Weise zwei Jahrtausende gelebt. Langhaarige, zottige Hunde wühlten im Haufen, zernagten die Knochen und knurrten sich an. Ringsum waren vom Feuer geschwärzte Steine zu kleinen Herden geschichtet, und auf den Steinherden wurden die Fische gebraten und das Fleisch geschmort. Am sonnigen Abhang unter dem Walde lagen im Halbkreis mehr als fünfzig Hütten, halb in die Erde hineingegraben, mit einem niedrigen Eingang, der nur ein Hineinkriechen gestattete. Die Hütten, die außer dem Türloch ein Loch im Dache hatten, um den Rauch heraus- und Licht hereinzulassen, waren roh und kreisrund aus eingerammten Pfählen gebaut, und ihre Wände waren ein Geflecht von Zweigen, das handbreit mit Lehm beworfen war. Diese Menschenwohnungen ähnelten zwar Hundehütten, schützten aber gegen Regen, Wind und Frost und waren im Winter, wenn hell das Feuer lohte, voll von behaglicher Wärme, aber auch voll von beißendem Rauch.

Männer eines jeden Alters, Jünglinge und Knaben schoben mit viel Geschrei die Einbäume – durch Feuer ausgehöhlte, mit Beil und Schaber geglättete Baumstämme – ins Wasser, stießen sie mit den Stangen, die unten breit wie Schaufeln waren, ins Fahrwasser und trieben aufrechtstehend die Boote vorwärts, indem sie sehr geschickt das schwanke Fahrzeug in Gleichgewicht hielten. Alle trugen das gleiche Fellkleid. Ein Schurzfell reichte von den Hüften bis zu den Knien hinab, den Oberkörper bedeckte eine Felljacke mit kurzen Ärmeln, deren einzelne Stücke mit Tiersehnen zusammengenäht waren. Über den Hüften schnürte ein Gürtel die Jacke zusammen und hielt das Schurzfell fest. Vorn auf der Brust und am Halse hatte die Jacke kleine Löcher, durch die ein langer Dorn als Nadel, um sie zusammenzuhalten, gesteckt wurde, während die Knaben barfuß gingen, hatten die Männer die Füße bis über den Knöchel hinaus mit einem Fellstück bewickelt, das durch einen Fellstreifen festgeschnürt war. Felle von Reh, Hirsch und Elch, von Wolf, Otter, Luchs und Bär hatten den sehr haltbaren Stoff fürs Gewand geliefert. In der Sonne freilich wärmte es zu sehr. Darum warfen die Männer ihr Gewand, bis auf den Schurz, bei der Arbeit ab. Allen wallte das schwärzliche, struppige Haar so lang, wie es seit der Geburt gewachsen war, und der Vollbart, der das halbe Antlitz bedeckte, war nie von einem Schermesser berührt worden. –

Einige Einbäume fischten mit Netzen aus Bast und mit Körben aus Weidengeflecht, einige suchten mit Beinharpunen und Wurfspeeren, die einen Widerhaken hatten, die Beute zu erhaschen. Andere Boote lagen auf der Austernbank. Jünglinge stießen mit den Stangen die Schaltiere vom Grund los, und die Knaben tauchten und warfen mit vollen Händen die Austern in die Körbe. In dem fischreichen Gewässer und bei dem linden Wetter war der Fang mehr ein fröhliches Spiel als eine beschwerliche Arbeit. Nach zwei Stunden kehrten die Boote mit Lachen und Schwatzen und unter eintönigem Gesang der Ruderer zurück. Die Weiber liefen zum Strande, begrüßten die Fischer, lugten in die Körbe und lachten. In der Kleidung waren die Geschlechter kaum zu unterscheiden, nur das Gesicht der Frauen war glatt und weniger gebräunt, auch das Haar sorgfältig mit dem Beinkamm gestrählt und in viele kleine Flechten geflochten. Alle Männer und Frauen trugen Hals- und Armschmuck, der aus durchlochten Tierzähnen und Bernsteinstücken bestand. Besonders die Bärenzähne waren hoch bewertet und ein Zeichen des Wohlstandes.

Diese Urbewohner, nach der Eiszeit eingewandert, waren offenbar keine Germanen. Klein und gedrungen war ihre Gestalt, zu lang die Arme, zu kurz die Beine und die Knie nach vorn geknickt, auch die Backe zu breit und die Stirn zu niedrig, aber zäh war ihr Körper, stark ihre Knochen, straff die Muskeln, katzenartig der Schritt. Im Schwingen der Keule, im Steinschleudern und Speerwerfen leisteten sie Großes, als Schwimmer und Kletterer kam keiner ihnen gleich.

Die Sippe hier an der Förde mochte reichlich zweihundert Männer, Weiber und Kinder zählen, und ihre Krieger waren in vier Dutzende geteilt. Nach ihrem Häuptling hießen sie die Finleute. Fin, der Herr und Priester, das geistliche und weltliche Oberhaupt der Sippschaft, war kaum fünfzig Jahre alt, aber sein Haar von der Sonne gebleicht, seine Stirn von den Regierungssorgen tief verrunzelt und sein Auge verschlagen und voll Argwohn. Er traute keinem, und es ging im Dorf das Gerede, daß er wie der Hase mit halboffenen Lidern schlafe. Kein Mensch liebte ihn, aber alle hatten Furcht und Angst vor dem Herrn und gehorchten seinen Befehlen. Seiner Würde gemäß hatte er zwei Hütten, in der einen wohnte er mit Finna, seinem Weib und den drei Kindern aus dieser Ehe, davon zwei wenig ge- und beachtete Mädchen und der Jüngste ein siebenjähriger Knabe und des Vaters verzogener Liebling war. In der kleinen Nachbarhütte hausten Frod und Fred, Finnas erwachsene Söhne aus ihrer ersten Ehe mit dem Häuptling Han, der seit achtzehn Jahren tot und verschollen war. Das nächste Häuschen besaß Run, ein starker und angesehener Mann, der mit seinem Weib und seinen zwölf Welpen in der engen Wohnung kaum einen Schlafplatz für alle fand. Es war ein kinderreiches Völkchen, weniger als vier Bälge hatte kein Bürger des Dorfes. Die Austernbank war groß und gut, und die Fin-Sippe hatte seit achtzehn Jahren ihre reichliche Nahrung im Wald und Wasser gefunden. Der Häuptling rühmte es wie sein Verdienst, daß während seiner Regierung keine Hungerszeit im Dorfe gewesen.

Er hatte den Fang besichtigt und sich längelang in den warmen Sand geworfen, wo er ein Sonnenbad nahm und mit seinem Liebling, Klein-Fin, spielte. Der dralle Bursche kroch ihm auf der Brust herum, raufte sein Haar, seinen Bart, und stopfte ihm sogar Sand in die Ohren.

Fred und Frod, die Zwillingsbrüder, die einander an Gestalt und Gesicht sehr ähnlich waren, kamen mit ihren Wurfspeeren aus dem Walde. Aber sie unterschieden sich dennoch sehr, Fred lächelte gern und freundlich, hatte gute Augen und eine sanfte Stimme, Frods Miene war immer ernst, sein Blick unruhig und seine Sprache scharf und hart. Jetzt sah man ihm den Verdruß an, und sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr, als Fin den Kopf kehrte und die spöttische Frage hinwarf: »Was gab's? Ein mageres Rehlein? Und ein paar Ratten?«

»Nein, nichts, weder vom Baum noch in der Schlinge, nichts haben wir gefangen,« antwortete Fred. Fin, der ein Feinschmecker und Vielesser war und nach Wildbret sich sehnte, schimpfte über die ewigen Schleimtiere, die ihm zum Halse herauskämen. »Nichts habt ihr mitgebracht, ihr Faulen!«

Frod brummte: »Die Faulen liegen im Sande und lecken Sonnenschein.« Da fuhr der Häuptling empor und schrie ihn an: »Willst du geziemend mit deinem Vater reden?«

»Du bist mit nichten mein Vater...«

»Aber dein Herr, ein störrischer Hund muß Hiebe haben.« Er nahm seinen Eichenstab, der als Herrscher-Zepter nicht aus seiner Hand oder Nähe kam, langte aus und schlug. Frod duckte sich schnell, so daß der Hieb über ihn hinwegging, und rollte die Augen – aber sein Bruder zog ihn von dannen mit Hast.

In der Hütte hängten sie die Jagdgeräte an die Haken, und Frod zischte wütend: »Ich werde ihm im Schlafe das Gehirn zu Brei zerschmettern.«

»Schweig, hier hat jede Wand vier Ohren, alles wird ihm zugetragen. Zuvor würde er dich wie eine Fliege zerquetschen. Wo ist der starke Bor, der einmal im Zorn wider ihn aufstand, geblieben? Seit dem Laubfall verschwunden...«

»Ja, er hat ihn meuchlings umgebracht.«

»Hüte deine Zunge, damit nicht deine Spur verwischt werde!«

Frod erschrak. »Meinst du, daß er einen Zauber hat?«

»Er hat die Macht und den gänzlichen Gehorsam der Männer – einer muß Herr sein – und wäre ein anderer besser als er? Wer über die Menschen herrschen will, der wird voll Argwohn, und das Herz in seiner Brust wird hart wie Stein.«

»Jung-Bor wächst heran, wird ein baumstarker Bär und wird seinen Vater rächen. Auch ich werde alle Tage stärker, während seine Kraft von Tag zu Tag abnimmt...«

»Laß solche Rede nicht über deine Lippen kommen! Fin ist der Gatte unserer Mutter und unser Vater geworden nach dem Gesetz und darum gegen unsere Rache gefeit. Auch ist er ein schlauer Mann, der wie ein Hase schläft und wie ein Luchs schleicht.« –

Der eine Bruder warf sich in den Sand, blinzelte in den Himmel hinein und sann stundenlang. Fred, der einen Bienenfleiß und sehr geschickte Hände besaß, ging in seine Werkstatt. Das war eine Hütte, oben im Walddickicht versteckt, wo kein Müßiggänger ihn störte. Er nahm den Behaustein, in dem vier Vertiefungen waren, um dem Daumen und den drei Hauptfingern festeren Halt zu geben, in die Rechte und das fast fertige Steinbeil in die Linke, stützte es leicht und lose auf einen Stein und schlug nun mit erstaunlichem Geschick kleine und immer kleinere, zuletzt ganz winzige Splitter von der Fläche des Feuersteins ab, so daß die Schneide des Beils immer schmäler und schärfer wurde. Als sie fast messerscharf war, lächelte er beglückt. Dann hieb er den Nacken des Beils immer dünner, bis er ihn in das Loch des Holzschaftes hineinpressen konnte. Nach einigem Nachdenken schlug er rings um das Beil einige Fingerbreit unterhalb des Schaftes eine kleine Rinne in den Stein, und diese Rinne umwickelte er mit einem Fellseil, das er mehrfach mit dem Schaft verband und verknotete. Ach, die Schaftung war von jeher der große Mangel und der stete Verdruß beim Steinbeil gewesen, denn urplötzlich, beim friedlichen Holzfällen oder im furchtbaren Männerkampf und immer in dem Augenblick, wo es am verhängnisvollsten war, löste sich das Beil vom Schafte und flog nicht dem Feinde, sondern seinem Herrn oder einem Freunde an Leib oder Schädel. Fred zerrte kräftig am Beilschaft und an der Bindung, die sich nicht lockerte, und lachte fröhlich: »Eia, du wirst halten bei den härtesten Schlägen viele Winter, bis das Seil zerschleißt.« Fertig und vollendet war das vollkommenste Steinbeil, das man bisher an der Förde gehauen hatte. Vollendet? Nein, ach nein! Er, der größte Handwerker seiner Sippe, der nach der höchsten Vollkommenheit trachtete, war noch nicht zufrieden mit seinem Werk. Freilich, mit diesem einfachen Feuerstein-Gerät konnten die tüchtigen Männer des Dorfes Erstaunliches leisten und die stärksten Eichen fällen und behauen.

In der Werkstatt hingen und lagen viele Werkzeuge, Amboß, Hammer, Meißel, Schaber, Bohrer und Messer und sogar eine Säge, ein langer, schmaler, unten scharfer Stein, in dessen Schneide spitze Zähne hineingehauen waren, und der auf dem Rücken eine Handhabe von Holz hatte. Daneben Sand- und Grünsteine, Granit und Schiefer und eine große Menge von rohen Feuersteinen, die nach reiflicher Auslese am Strande sein Rohmaterial waren, vor der Hütte lag ein hoher Haufe, eine Schutthalde von Splittern und Abfällen.

Fred nahm einen glatten Sandstein in die Hand, um damit die kleinen Furchen, welche die ausgehauenen Splitter hinterließen, zu glätten und die Schneide zu schleifen. Stundenlang saß er bei der Arbeit mit Fleiß und Sorgfalt, und er sah den Erfolg. Die kleinen Vertiefungen verschwanden, und keine noch so winzige Scharte war an der Schneide zu sehen. Freilich, ein paar Wochen lang mußte er mit dem Sandstein an dem einen Beil schleifen und schleifen, aber er und alle Handwerker der Steinzeit besaßen eine unsagbare, unendliche Geduld, und diese Ausdauer im kleinen bei einem Stück war ihre Größe. Ein Beil war die Arbeit von Wochen.

Über Freds stilles Gesicht ging ein Leuchten, Er strich die langen Haare zurück, trat aus der Hütte und schrägte die Arme auf der Brust. Hineinblickend in die untergehende Sonne, dankte er dem lichten Gott, der auf der Sonne thront, der Wärme, Licht und Leben, Fisch und Fleisch, Fruchtbarkeit und Fröhlichkeit spendet. Mit einem andächtigen Erstaunen betrachtete er den goldigen Ball, der hinter den Wipfeln versank.

Unten am Abfallhaufen lohten viele kleine Feuer. Run, einer der Ältesten, hielt ein Instrument, einen ausgehöhlten Holzkloben, dessen Öffnung oben und unten mit einer dünnen Haut bekleidet war, und er schlug mit dem Holzschlägel auf die Haut, daß es weithin schallte. Die dröhnende Trommel rief alle Insassen zur gemeinsamen Mahlzeit, die zweimal, morgens und abends, gehalten wurde. Unter den kleinen Herden hatte das Feuer gebrannt und die Steine bis zur Rotglut erhitzt. Auf die Steine legten sie die ausgeweideten Fische, Butt und Dorsch, Aale und Makrele, die schnell geschmort wurden. Auch die Austern wurden schockweise auf die Steine geschüttet, öffneten in der Todeshitze die festgekniffenen Schalen und wurden bei lebendigem Leibe in ihrer Schale gebraten. Ringsum hockten Männer, Weiber und Kinder auf den untergeschlagenen Beinen. Die am heißhungrigsten waren, verschlangen ein Dutzend Austern roh, um die erste Gier zu stillen. Dann aßen alle, Jung und Alt, das Geschmorte mit unglaublicher Ausdauer. Nur zweimal am Tage wurde ein Mahl gehalten, aber dann wurde gegessen, ja gegessen, wie nur der Urmensch nach der Eiszeit zu schlingen und zu stopfen vermochte. Sie hatten weiße, kräftige Zähne, die das Kauen verstanden. Nur Gerda, die Alte mit dem gelben Runzelgesicht, hatte kein Gebiß mehr, krauste verdrießlich die lange, spitze Nase und hätte gern einen Fisch verspeist, aber sie kaute mit dem Gaumen und würgte an einem Bissen. Die Nachbarn verhöhnten sie: »Wer zu alt geworden, muß sich begraben lassen... vermache mir deine Haut, die eine gute Fußbinde gäbe!«

Die Alte krächzte zornig: »Ja, ich habe achtundachtzig Mittwinter gesehen und den ersten Herrn unseres Geschlechtes noch gekannt, den gewaltigen Jod, der schrecklich schlug und sein erstes und zweites Weib im Zorn tötete. Ja, das war ein Herr, vor dem keiner das Maul aufriß. Fin, du mußt besser schlagen, die Brut heute wird zu frech...«

Herr Fin nickte böse: »Ja, ich bin zu gut und zu gnädig... aber hauen werde ich, ja hauen, wenn ich kein Wildbret bekomme, mir wird übel von dem faden Fischzeug.« Trotzdem hatte er drei Dutzend Austern und vier Butt verzehrt.

Die Alte würgte an dem Bissen. Da nahm Fred einen fetten Makrel vom Herde und setzte sich neben Gerda, zerschnitt den Fisch, kaute die Stücke mit seinen Zähnen vor und schob die Bissen in den zahnlosen Mund des Weibleins, das sich wie ein Vogel atzen ließ: »Du Braver, der Finstre bleibe fern von dir, und der Lichte segne dich, mein Sohn!« murmelte sie.

»Sie flüstern zärtlich miteinander, er wird Gerda freien,« brüllte Frod. Ein schallendes Gelächter folgte. Unbekümmert darum fuhr Fred fort zu atzen, bis sie satt war. Hinter den Schmausenden standen wohl sechzig Hunde mit glühenden Lichtern und warteten auf die Gräten und Abfälle, die ihnen zugeworfen wurden. Der Hund war das einzige Haustier der Fördeleute, aber er war ein wachsamer, treuer und bei der Jagd unentbehrlicher Geselle. Darum sind im Abfallhaufen alle Wildknochen von Hunden abgenagt, aber keine Haustierknochen gefunden worden.

Die Stätte wurde leer. Die Menschen verkrochen sich in den Hütten. Dort warfen sie sich auf das Lager von trocknem Laub, darüber ein Hirschfell gebreitet war, ein zweites Fell diente als Decke und ein Stück Holz als Kopfpfühl. Aber jene Urmenschen schliefen in dem Bett gut und fest. Die Hunde wachten in der linden Nacht. Auch zwei Männer mit Beil und Speer hielten auf dem Abhang Wache und Auslug. Nie war man vor einem Überfall sicher in jener Zeit.

Obgleich an der Förde Wald- und Wasserfriede, Jagd- und Fangfriede war, bestand zwischen den fünf Sippen an dieser Bucht nur ein gelegentlicher und vorsichtiger Verkehr. Zwei Dörfer, die zu schwach an Zahl und Kriegerkräften, aber voll Argwohn und übler Erfahrung ihre jungen Weiber behüten wollten, schlossen sich schroff ab. Die beiden urewigen, allmächtigen Menschentriebe, der Hunger und die Liebe, waren die stärksten Triebe für alles Tun und Lassen jener Urbewohner und die Ursache all ihrer Fehden. Um die besten Bänke und Jagdgründe waren seit Jahren keine Kriege mehr geführt worden, weil das Abkommen die Grenze setzte, auch die geringe Volksmenge ihre Nahrung fand. Aber um ein junges Weib, von einem anderen Stamm geraubt, ist manchmal auf Tod und Leben gekämpft worden. Darum sperrten einige Sippen sich ab und luden die Nachbarn nicht zum Fest und Feuertanz. Die Gemeinde, die am nächsten ost- und meerwärts am Näs – der vorspringenden Landzunge – wohnte, die nach ihrem Häuptling die Nan-Leute, nach ihrem Wohnort auch die Näs-Leute hieß, hatte je und dann einen seltenen und förmlichen Verkehr gepflogen. Nur die Ältesten, die nicht mehr an Frauenreize dachten, hatten auf Ladung hin den Grenzstein überschritten und zu gemeinsamer Beratung des Dorfes Ring und Ting betreten. Seit kurzem aber hatten die Verhandlungen zu einem gegenseitigen Schutzbündnis geführt, und das war der diplomatische Erfolg des schlauen Fin.

Zwei ältere, ergraute Männer, aufrecht, gemessen, würdevoll schreitend, kamen ohne Waffen am Strande entlang, querten zum Gruß die Arme und blieben vor Fin stehen. Frod lag in der Nähe und lauschte, sprang empor, rannte zur Werkstatt und rief: »Die Nan-Leute haben uns zum Frühlingsfest geladen, hoioho.«

»Hm–hm, das kann Gutes – oder Böses bringen.« Fred nickte nachdenklich und geistesabwesend. Er war in allerlei Versuche vertieft und ließ sich ungern stören. Ihn ließ das Fest sehr kühl, aber sein Bruder war Feuer und Flamme, rannte zum Tingplatz und übte sich stundenlang mit anderen Jünglingen im Ringen und Schwingen, im Stein- und Speerwurf.

Fred saß bei seiner Arbeit, sinnend und suchend. Die Schäftung des Beils vermittelst des Fellseils, das Beil und Schaft fest verband, war unschön und unvollkommen und befriedigte ihn nicht mehr. Mehr als zwanzigmal hatte er versucht, in das Feuersteinbeil ein Schaftloch zu bohren. Mit dem Hammer und dem stärksten Steinbohrer hatte er unermüdlich gearbeitet und auch einen gewissen Fortgang, eine kleine Vertiefung erzielt, aber immer und urplötzlich war der allzu spröde Feuerstein zersprungen und seine Arbeit zerstört. Er seufzte aus tiefster Seele. Ach, es gab keine Lösung, es war schier unmöglich, den Feuerstein zu durchbohren, und der Granit war zu hart, der Sandstein zu weich. Kürzlich jedoch hatte er am Strande einen Feuerstein gefunden, der von Natur ein Loch besaß, das an der einen Seite die rechte Größe hatte, am Ausgang aber zu eng und eckig war. Hochrot vor Aufregung und mit äußerster Vorsicht schlug er kleine Stücke ab, um das Loch zu erweitern – und es gelang ihm. Eia, eia! Das erste Beil mit Schaftloch, das ein Mann der Steinzeit erfand, war fertiggestellt worden!

Freilich, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer; die große Frage war nicht gelöst. Ein solcher Fund war nämlich eine große Seltenheit – er hätte jahrelang suchen und scharren müssen, ohne einen ähnlichen Feuerstein zu finden.– – –

Die gemeinsame Morgenmahlzeit am Abfallhaufen war beendet und alle voll und satt bis zum Halse; denn gestern war ein Elchtier in der Grube gefangen worden und viel Fleisch im Dorfe. Fin ließ als Oberpriester die Trommel schlagen und seine Untertanen zum Gottesdienst rufen. Die höchstgelegene Hütte, durch eine Zwischenwand in zwei Teile getrennt, war der Tempel der Sippe. Zur Rechten stand der lichte, auf der Sonne thronende Gott, der Leben, Gesundheit, Wild, Fische und alles Gute spendete, zur Linken sein Gegner, der Finstre und Furchtbare, der in der Erdtiefe hauste, Hunger und Seuche, Unheil, Tod und Verderben sandte. Beide waren roh behauene Holzklötze, an denen im Halbdunkel nur der breite Mund und die unförmliche Nase zu erkennen war.

Jene Urmenschen beobachteten genau den Gang der Gestirne und den Lauf der Sonne, der großen Lebenspenderin. Fin stand auf der Höhe, beschirmte mit der Hand die Augen, sah nach dem leuchtenden Himmelslicht und sagte feierlich: »Die Sonne wirft ihren ersten Strahl über den Wipfel jener Fichten – der Lenz ist gekommen und der Sieg des Lichts ... heute ist Frühling und Frühlingsfest ... hoioho!«

Sie feierten kein Fest, ohne den Göttern zu danken. Einige Männer, wie Run, dessen Lieblingssohn die häßliche Hautflechte hatte, opferten dem Finstren, um ihn zu versöhnen und ein Unglück abzuwenden; die meisten legten ihre Gabe, eine Knochenharpune, eine Speerspitze, ein Bernsteinstück oder ein Tierfell, vor dem lichten Gott hin, dessen Gesicht nicht so grausig wie die Fratze des finstren Fetisch war.

Als das Opfer beendet, wandte Fin sich an seinen Stiefsohn Fred und schalt: »Du hast nichts geopfert ...«

»Ja, ein Stück Bernstein, ein blankes ...«

»Wertloses wirfst du dem Gott hin – opfre ihm das Beil mit dem Schaftloch!«

»Nein, nimmermehr! Denn es gibt nur das Eine und Einzige,« antwortete Fred.

Sein Bruder Frod raunte: »Oh, der Fuchs! Wo bleiben die Opfergaben, die des Nachts verschwinden? Gib nicht dem Gott, der Fin heißt, das feine Beil, sondern schenke es mir!«

»Nein, es ist mein Eigenes und Einziges.«– –

Die Sonne stand auf ihrer Mittagshöhe. Nur die Männer bestiegen die Einbäume, um nach dem Näs zu fahren und das Lenzfest zu feiern. Der Häuptling grinste: »Heute fehlt keiner, keiner, aber, wenn es zum Fang geht, drückt man sich gern.«

»Ja, einer, Fred, fehlt.«

»Ich weiß, wo er steckt,« rief Jung-Bor und lief zur Werkstatt, um ihn zu holen.

Der Meister des Dorfs war so völlig in sein Werk vertieft, daß er den Stand der Sonne vergessen hatte. Vor der Hütte brannte ein gelindes Feuer, vor dem er mit gespannter Aufmerksamkeit hockte. Seine Töpfe brannte er heute. Meistens benutzte man als Trinkgefäß die Hände, oder ein ausgehöhltes Stück Holz, doch hatte man in den Förde-Dörfern schon lange Töpfe und Schalen aus schwärzlichem Ton, die oft schief und unschön und immer plump und schmucklos waren, verfertigt. Fred machte aus dem Lehmteich lange Bänder, die er in Spiralen übereinander legte, mit einem flachen Holzstab zusammenpreßte und sorgfältig glättete. Mit peinlicher Genauigkeit, mit einem erstaunlichen Augenmaß vollendete er die äußere Form des Topfes, war diese nach seiner Meinung vollkommen – sonst stampfte er sie in die Breimasse hinein,– nahm er den zackigen Rand der Herzmuschel, den er rings um den Topf unter dem Rande in den weichen Ton hineindrückte, Reihe um Reihe. Zur Abwechslung ergriff er eine regelmäßig geflochtene Schnur, die er um den Topf legte und in die Masse hineinpreßte. Mit Herzmuschel und Schnur arbeitete er reihenweise. Zuletzt kam das Brennen des Topfes, eine schwierige Sache, denn das Feuer durfte nicht zu stark und nicht zu schwach sein, und der richtige Augenblick, wo man den Topf aus der Glut riß, mußte auf die Minute beachtet werden. Fred stand sprungbereit vor dem Feuer und hörte gar nicht Bors Ruf:

»Sie warten im Boot– – komm schnell, komm schnell!«

Aber auch Bor blieb staunend stehen. Der Töpfer, der ein Fellstück um Arm und Hand gewickelt hatte, griff zu und nahm den Topf aus dem Feuer. Lange, mit liebkosendem Blick betrachtete er sein Werk. Dort stand der Topf, ebenmäßig in gefälliger Rundung, blank und glänzend vom Brennen, und ringsum liefen regelmäßig die hübschen Verzierungen, die er mit den einfachsten Mitteln, einer Herzmuschel und einer Schnur, erreicht hatte. Es war ein schmucker Topf und der erste mit hübschen Ornamenten, der an diesen Förden gemacht worden war. Darum war die Wirkung auf Bor eine so große, daß er sofort die Zierate betasten wollte. Au, au, er hatte sich die Finger verbrannt.

Beide ergötzten sich an dem Anblick und vergaßen ganz die Zeit, und daß Herr Fin fluchte. Endlich brachen sie auf. Kein Mann verließ das Dorf, ohne sich zu bewaffnen. Fred hängte das Beil mit dem Schaftloch, das er geglättet und geschäftet hatte, über die Schulter und nahm den noch warmen Topf, den er in Fellstücke wickelte, unter den Arm. Bor blickte ihn verwundert an: »willst du mit dem prächtigen Ding vor den Näsleuten prunken, damit sie aus Neid und Gier uns überfallen und unsere Töpfe und Schätze rauben?«

»Kleine Geschenke machen große Freunde ... ich möchte Freundschaft und einen ewigen Frieden haben zwischen allen Sippen der Förde ... wie herrlich wäre es, wenn kein Totschlag mehr wäre auf Erden ...«

Bor war für sein Alter verständig und nüchtern. »Du hast seltsame Gedanken – verschlingt nicht ein Fisch den anderen? Frißt nicht der Wolf das Reh und jedes kleine Lebewesen das noch kleinere? Nie war und nie wird ein ewiger Friede sein.«

»Ja, Tier bleibt Tier tausend und zehntausend Jahre, aber der Mensch, ist ein höheres Wesen und Wandelt sich zum Besseren und wird, wie meine Töpfe, immer vollkommener werden, und dann wird Friede sein zwischen allen Sippen. Nur der Anfang ist schwer. Ich kann zwei Dutzend Töpfe in sechs Tagen machen, der Ton kostet nichts, ich verschenke sie an die Näsleute, damit wir Freunde an der Förde haben.«

Die Einbäume waren schon fortgerudert. Bor und Fred blieben aber nicht zu Hause, sondern liefen am Strande entlang und trabten eilig, um gleichzeitig mit den Genossen das Näs zu erreichen. Es wäre den Schnelläufern gelungen, wenn nicht ein Zwischenfall sie aufgehalten hätte. Als sie aus dem Walde traten und vor sich das sandige Näs und die Dorfhütten, die flach am Strande lagen, erblickten, blieben beide wie auf Befehl stehen, und ihre Ellbogen stießen sich an. Vor ihnen bildete die Förde eine kleine schilflose Bucht, und im klaren Wasser tummelten sich sechs bis sieben junge Mädchen des Dorfes in weithin schimmernder Weiße unter dem schwärzlichen Haar. Die lustigen Dirnen kicherten, tauchten, sprangen und bespritzten sich mit Wasser, ohne eine Ahnung von den stillen Beobachtern ihres Spiels zu haben.

Bor wisperte: »Laß uns zum Scherz ihre Kleider rauben und damit in den Wald laufen...ihr Gekreisch und Geflatter möchte ich sehen und hören.«