stern GESUND LEBEN eBook: Ratgeber Gesundheit E-Book

• Herausgeber: Gruner + Jahr
• Kategorie: Ratgeber
• Sprache: Deutsch

Seitenzahl: 189

Veröffentlichungsjahr: 2013

Beschreibung

Woran erkennt man, ob ein Arzt gut behandelt? Betrachtet er Körper und Psyche gleichermaßen? Wann sollte der Hausarzt, wann der Facharzt zu Rate gezogen werden? Und wie sollte die Zusammenarbeit dieser Mediziner aussehen? Der Ratgeber Gesundheit von stern GESUND LEBEN gibt ausführliche Antworten und bereitet Patienten bestmöglich auf die nächste Sprechstunde vor. Das eBook bietet Informationen zu 30 weit verbreiteten Krankheiten - von Rückenschmerzen und Sodbrennen über Asthma bis hin zum Herzinfarkt. Im verständlichen Diagnose- und Therapie-Kompass erfahren Sie zudem, wie Sie selbst zur Heilung beitragen können. Basis des Ratgebers sind die neusten Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften, die regelmäßig auf Basis von Studien überarbeitet werden. Der Ratgeber Gesundheit erklärt zudem das faszinierende Zusammenspiel von Psyche und Organen. Er gliedert sich in die Kapitel "Herz & Kreislauf", "Muskeln & Gelenke", "Magen", "Darm", "Haut" und "Lunge". Zu jedem Organ werden ausführliche Informationen zur Prävention geliefert und klassische Risikofaktoren erläutert. Denn oft passt die moderne Lebensweise nicht zur Biologie des Menschen. Das eBook zeigt daher auf, was gesund hält und heilt: Beispielsweise wirkt sich Joggen nicht nur positiv auf Muskeln und Gelenke aus, sondern stärkt auch das Immunsystem und fördert die Anpassungsfähigkeit des Gehirns. Dieses eBook ist die digitale Ausgabe des 140-seitigen Heftes stern GESUND LEBEN Spezial, das im Frühjahr 2013 erschienen ist.

Leseprobe

Editorial

Kompaktes Wissen für Ihre Gesundheit

Was hält uns gesund, was heilt? Die Experten des stern haben es in diesem Ratgeber für Sie zusammengetragen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Hierzulande werden die Menschen im Durchschnitt immer älter. Gewichtiger Grund dafür ist der Fortschritt in der Medizin, der dazu beiträgt, mehr Leben als früher retten zu können.

Zugleich aber nehmen chronische Erkrankungen zu - vor allem deshalb, weil die moderne Lebensweise nicht zu unserer Biologie passt. Wir bewegen uns zu wenig, essen zu viel, und nicht selten leidet die Seele. Wie groß und vielfältig der Einfluss von Lebensstil und Psyche auf die Organe ist, zeigen wir in diesem eBook von stern GESUND LEBEN anhand jüngster Forschungsergebnisse ausführlich auf.

Dieses medizinische Wissen verändert die Rolle des Arztes. Er muss den gesamten Menschen im Blick haben, sich Zeit nehmen für Gespräche, um das Vertrauen des Patienten zu gewinnen. Nur so kann er die Ursachen von Erkrankungen umfassend erkunden und alle Chancen nutzen, die Therapien heute bieten. Was einen guten Arzt ausmacht und welche Behandlung Erfolg verspricht – auch dazu bietet dieses eBook fundierten Rat.

Dieser umfangreiche Ratgeber ist eine digitale Ausgabe unseres 140-seitigen Sonderheftes stern GESUND LEBEN Spezial, das im Frühjahr 2013 erschienen ist. Damit steht den sechs regulären Heften von stern GESUND LEBEN, die jährlich erscheinen, nunmehr ein erstes eBook zur Seite. Wir hoffen, die Lektüre wird Ihnen helfen, gesund zu bleiben oder zu werden.

Holger Radloff   

Redaktionsleiter   

stern GESUND LEBEN   

Inhalt

HERZ & KREISLAUF

Im Takt bleiben, bitte!

Das Herz erscheint uns oft stark und unverwüstlich. Doch wenn die Seele leidet, gerät es in Gefahr

Für die innere Mitte

Regeln für ein Leben, das dem wichtigsten Muskel unseres Körpers guttut

VISITE

Stimmt der Druck?

Warum der Hausarzt der beste Ansprechpartner ist – und wann ein Kardiologe gebraucht wird

Therapiekompass

Schlaganfall, Infarkt, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Vorhofflimmern

Inhalt

MUSKELN & GELENKE

Kommunikation total

Die Muskeln stehen mit der Psyche und dem Immunsystem in engem Austausch. Wer sie stark und elastisch hält, wird vielfach belohnt

VISITE

Biegen und strecken

Ein guter Arzt schickt Patienten nur in besonderen Fällen zum Röntgen

Therapiekompass

Bandscheibenvorfall, Verspannungen im Rücken, Rheumatoide Arthritis, Arthrose, Bänderriss im Sprunggelenk

Inhalt

MAGEN

Einer für alles

Der Magen ist eine Chemiefabrik - die Psyche entscheidet mit, ob die Säure nur die Nahrung oder auch das Verdauungsorgan selbst angreift

VISITE

Öfter mal empfindlich

Betroffene brauchen einen Arzt, der nicht mehr unternimmt als nötig – aber auch nicht weniger

Therapiekompass

Gastritis, Refluxkrankheit, Magengeschwür, Reizmagen, Magenkrebs

Inhalt

DARM

Das Hirn im Bauch

Der Darm hat seinen eigenen Kopf – und nimmt damit großen Einfluss auf Körper und Geist

VISITE

Grummelt es im Bauch?

Darüber spricht man nicht? Doch, mit dem Arzt! Denn bei Darmerkrankungen ist Früherkennung wichtig

Therapiekompass

Reizdarm, Darmkrebs, Hämorrhoiden, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa

Inhalt

HAUT

Mehr als nur Verpackung

Die Haut ist das größte Organ des Menschen und gleichzeitig der Spiegel seiner Seele

Pflege ohne Creme

Zehn Tipps, wie Sie Ihre Haut möglichst lange attraktiv halten

VISITE

Unter die Lupe genommen

Bei Hautkrankheiten muss der Arzt genau hinsehen

Therapiekompass

Schuppenflechte, Hautkrebs, Neurodermitis, Pilzinfektionen von Haut und Nägeln, Akne

Inhalt

LUNGE

Filigrane Flügel

Die Lunge verschafft uns nicht nur Luft, sondern beeinflusst mit ihrem Rhythmus auch unsere Gefühle

VISITE

Bitte mal tief einatmen

Wenn Patienten über Husten und Luftnot klagen, sollte der Arzt nicht nur den Oberkörper untersuchen

Therapiekompass

Asthma, Schlafapnoe, Lungenkrebs, Lungenentzündung, COPD

Service, Adressen,Impressum

HERZ UND KREISLAUF

Zuverlässig und scheinbar unbeirrbar schlägt unser Lebensmuskel. Doch er ist sensibler, als viele ahnen. Leidet die Seele, gerät auch das Herz oft aus dem Takt

Von MICHAEL STOESSINGER und ASTRID VICIANO

ES GIBT SÄTZE, die wirken für immer nach. „Mama, musst du jetzt sterben?“, ist so ein Satz. Gesprochen von einem zehnjährigen Kind an einem feuchtkalten Dezembertag in Hamburg. Adressiert an die 42 Jahre alte Mutter. Eben noch scheinbar unverwundbar und jung, jetzt am Straßenrand zusammengesackt, das Gesicht so weiß. Das Blut gestaut, ein unterbrochener Fluss ins Herz. Nein, man muss nicht sterben am Verschluss eines Herzkranzgefäßes. Wenn schnell genug Hilfe da ist. Aber er muss Folgen haben, muss etwas ändern im Leben. Da hilft so ein Satz.

Ein anderer Satz, der heilsam sein kann: „Sie müssen jetzt mal im Buch Ihres Lebens zurückblättern und schauen, was Sie belastet, Sie müssen Ballast abwerfen.“ Das sagt der Kardiologe, einen Tag nach dem lebensrettenden Einsatz, nach der Weitung und Stabilisierung des verstopften Gefäßes. Auch dieser Satz bleibt unauslöschbar im Gedächtnis. Und das ist gut so.

Auch das Herz nämlich vergisst nicht schnell. Nicht die verrauchten Tage und Nächte, nicht den bewegungsarmen Trott, nicht die hochkalorischen Belohnungen für die Alltagsmühen. Genauso wenig wie all die familiären und beruflichen Belastungen, den Selbstoptimierungswahn und die Versagensängste. Die Feindseligkeit, die sich in einem anstauen kann, die Trauer nach einer gescheiterten Beziehung.

Oft genug kommen im Leben gleich mehrere Faktoren zusammen – und schaukeln sich verhängnisvoll hoch. Mehr als 40 Prozent aller Todesfälle gingen 2010 in Deutschland auf Herz-Kreislauf-Leiden zurück. Kein anderes Krankheitsbild kostet derart viele Leben. Rund 60 000 Menschen starben an einem Herzinfarkt, mehr als anderthalb Millionen leiden Schätzungen zufolge unter den Vorboten, der koronaren Herzkrankheit. Und noch viele mehr leben mit hohem Herz-Risiko, ohne es zu wissen.

Für einen großen Teil der noch Gesunden ist der Motor des Lebens nicht mehr als ein Hohlmuskel. Eine zentrale Betriebseinheit, die weitgehend wartungsfrei arbeitet, mit 60 bis 100 Schlägen pro Minute, mit drei Milliarden Schlägen insgesamt, wenn das Leben lang genug währt. Nichts als eine grobmotorische Pumpstation, die über das Gefäßsystem jeden Winkel des Körpers mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.

WER ABER NUR EINMAL auf dem Ultraschall den embryonalen Herzschlag gesehen hat, weiß, was das Lebendige für uns lebendig macht. Das aus sich selbst heraus bewegte Herz, es berührt unser Gefühl, so wie es seinerseits von Emotionen berührt wird. Bis heute spiegelt sich die Bedeutung des Herzens in unserer Sprache wider. Wir tragen das Herz auf der Zunge, oder wir schütten es aus. Wir verschenken es, verlieren es, oder es wird gebrochen. Und manchmal rutscht es uns auch in die Hose.

Die Medizin des 20. Jahrhunderts brachte revolutionären technischen Fortschritt, auch für die Behandlung des Herzens. Mit ihren Transplantationsrekorden und Kathetereingriffen, mit EKG-Präzision und Bypass-operationen retteten Ärzte unzähligen Menschen das Leben. Die Herz-Kreislauf-Erkrankungen auszurotten gelang jedoch nicht. Die Mediziner mussten erkennen, dass die technischen Fortschritte allein nicht reichten. Sie mussten und müssen lernen, dass die Therapie und auch die Vorbeugung nur Erfolg haben können, wenn das Verhalten und die Lebensgeschichte des Einzelnen im Mittelpunkt stehen.

DAS 21. JAHRHUNDERT BRINGT daher den aufgeklärten, den ganzheitlich denkenden Mediziner. Artikel eins des Lebensgesetzes – mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper – wird um einen zweiten Absatz ergänzt: Ein gesunder Geist ist die Voraussetzung für einen gesunden Körper. Nicht nur der Muskel in unserer Brust reagiert nämlich auf unser Gefühlsleben, sondern alle Organe des Menschen: Skelettmuskeln und Lunge, Haut und Magen und auch der schlecht beleumundete Nahrungsverwerter, der Darm.

Lange ist die Körper und Seele verbindende Psychosomatik belächelt worden, galt sie doch als Kontamination der reinen Lehre von den Funktionen des Organismus. Viktor von Weizsäcker, Onkel des ehemaligen Bundespräsidenten, war Arzt und Gelehrter und gilt als der Gründungsvater der psychosomatischen Medizin in Deutschland. Er plädierte schon vor 80 Jahren für eine methodisch strenge Erfassung dessen, was über die schlichte Funktion oder über Defekte einzelner Organe hinausgeht. Weizsäcker vermutete, was heutige Erkenntnisse aus Epigenetik, Psychoneuroendokrinologie und Psychoneuroimmunologie mittlerweile belegen: Die psychische Stabilität hat einen direkten Einfluss auf die körperliche Gesundheit.

Ein Menschenleben später haben die Kernideen der Psychosomatik endlich auch in der Herzheilkunde einen Platz erobert. Die noch junge Wissenschaft der Psychokardiologie ergründet, wie sich das Seelenleben auf Versorgung und Pumpleistung des Herzens auswirkt und umgekehrt. Bei Kardiologie- und Herzchirurgie-Kongressen gehören heute die psychosozialen Aspekte der Herzmedizin dazu.

Es war auch höchste Zeit. 2020 wird die koronare Herzkrankheit Prognosen zufolge den Spitzenplatz unter den chronischen Gebrechen einnehmen, unmittelbar gefolgt von der Depression. Und beide, das wird immer deutlicher, sind miteinander verwoben.

Die Daten der Epidemiologen sind eindeutig: Eine angegriffene Psyche kann die Entstehung oder den ungünstigen Verlauf einer Herzkrankheit zur Folge haben. Angst und Einsamkeit, Misstrauen, Feindseligkeit und Aggressionen gefährden das Herz. Genauso wie die Depression, die offen benannte und jene, die manchmal dahinterliegt, wenn einer von Burnout spricht.

BURNOUT, das klingt besser, und es signalisiert ein Versprechen: Heute habe ich mein schöpferisches Potenzial ausgebrannt, aber morgen wird das schon wieder. Nur: Wenn es weder morgen noch übermorgen noch in einem halben Jahr wieder da ist, dann manifestiert sich womöglich eine depressive Episode – und das bedeutet für den Organismus Stress in der ungesunden, der chronischen Variante. Während „normaler Stress“ die Alarmsysteme des Körpers nur für eine überschaubare Zeit hochfährt, gibt es bei Dauerbelastung für manche kein Zurück. Die Depression erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein ansonsten Gesunder Schaden an den Herzkranzgefäßen nimmt, um mindestens 60 Prozent. Sind die Koronararterien durch einen riskanten Lebenswandel bereits angegriffen, verdoppelt der pathologische Trübsinn das Sterberisiko. „Oft findet sich sechs Monate vor dem Herzinfarkt ein Knick in der Lebenslinie des Patienten“, hat der Epidemiologe Karl-Heinz Ladwig vom Helmholtz-Zentrum München beobachtet.

Aber auf welche Art hängen Schwermut und die Verengung der Kranzgefäße zusammen? Was genau passiert da im Körper, auf der Ebene der Moleküle? Einer, der das herausfinden will, ist der Arzt und Biochemiker Thomas Meyer von der Universitätsmedizin Göttingen. Im hellen Flachbau einer ehemaligen Kinderklinik forscht er gemeinsam mit der Chemikerin Julia Staab in der Arbeitsgruppe für Molekulare Psychokardiologie unter anderem an gentechnisch mutierten Mäusen.

Sein Ausgangspunkt: Viele Forscher haben beobachtet, dass es ein Zusammenspiel zwischen drei Prozessen gibt: zwischen der Arteriosklerose, der Depression und Entzündungen als einer Reaktion des Immunsystems.

Arteriosklerose ist der Fachbegriff für die Verengung und Verhärtung der Arterien. Dabei entstehen an den Innenseiten der Gefäße Ablagerungen: Feine Risse in der Gefäßwand lassen zunächst Fett-Transporter aus dem Blut in die innerste Schicht der Blutgefäße vordringen. Nun kommt ausgerechnet das Immunsystem ins Spiel, dessen Funktion es doch eigentlich ist, unseren Körper zu schützen: Seine Fresszellen folgen nach, um die Fremdkörper wieder zu entfernen, und verursachen auf diese Weise eine Entzündung. Es entsteht eine unheilvolle Plaque aus fetthaltigen Zellen, Bindegewebe und glatten Muskelzellen, die die Gefäßwand verdickt, den Blutfluss einschränkt – und sogar zum Infarkt führen kann, wenn sie aufreißt oder sich ein Thrombus bildet. Immunreaktionen, so viel ist also gewiss, spielen eine bedeutsame Rolle bei der Entstehung von Arteriosklerose.

DIE MÄUSEEXPERIMENTE in Thomas Meyers Labor sollen nun im Detail zeigen, wie zwei andere Faktoren miteinander zusammenhängen: Immunbotenstoffe, die beim Aufbau der Abwehrkräfte im Organismus eigentlich so segensreich wirken, und Depression. Mäuse nämlich, die bestimmten Immunbotenstoffen besonders stark ausgesetzt sind, zeigen Anzeichen von Depression. Kann es also sein, dass es die chemischen Prozesse der Immunreaktionen sind, die gleichermaßen Psyche und Gefäße schädigen? Und wie passt das zu der Erkenntnis, dass die Depression ihrerseits Entzündungen fördert, wie übrigens auch Fettleibigkeit? Der Epidemiologe Ladwig und seine Kollegen konnten jedenfalls beobachten, dass bei Übergewichtigen die Entzündungszeichen im Blut erhöht sind – bei solchen mit Depressionen aber noch viel mehr.

Noch besteht ein gewaltiger Forschungsbedarf, um die Details genau zu entschlüsseln. Sicher aber ist: Es finden sich mehr und mehr Fäden, die Psyche und Herz über Entzündungen und Immunreaktionen auf unheilvolle Weise verknüpfen. Und das nicht nur auf dem direkten Weg der Botenstoffe. Denn unsere Emotionen beeinflussen ebenfalls, wie wir mit unserem Körper umgehen. Menschen zum Beispiel, die langfristig großem Stress ausgesetzt sind und sich überfordert fühlen, gewöhnen sich häufig ein ungesundes Verhalten an, um mit der Situation zurechtzukommen. Wie einer, der in der Wüste viel schwitzt, um nicht zu überhitzen, und deshalb austrocknet. „Die Art und Weise, wie er sich schützen will, wird zum Teil des Problems“, sagt Epidemiologe Ladwig.

Um Stress abzubauen, rauchen viele Menschen, essen übermäßig, zu süß oder zu fett. Sie trinken zu viel, um „runterzukommen“. Diese Form des vermeintlichen Runterdimmens ersetzt die Bewegung. Metabolisches Syndrom nennen Mediziner die in ihrer Wirkung ineinandergreifenden Risiken, die aus dieser Lebensweise erwachsen – das klingt schon nach Teufelswerk und Teufelskreis, nach Mephisto und seinen Verlockungen. Gemeint ist das Quartett aus Fettleibigkeit, Insulinresistenz, Bluthochdruck und einem zu hohen Cholesterinspiegel – die klassischen Risikofaktoren für einen Herzinfarkt.

DAS WISSEN um ihr todbringendes Wirken ist weniger alt, als wir gemeinhin glauben: Wir verdanken es einem außergewöhnlichen Forschungsprojekt, das 1948 in der kleinen Stadt Framingham bei Boston begann. Zum ersten Mal überhaupt widmeten sich Wissenschaftler damals der Frage, warum manche Menschen einen Herzinfarkt erleiden und andere nicht. Gesunde Bürger der Stadt wurden rekrutiert und seither beobachtet, inzwischen sind es mehr als 15 000 in drei Generationen. Über zehn Jahre dauerte es, bis die Studie erste Ergebnisse lieferte. 1960 machte eine Auswertung das Rauchen als Risikofaktor für Herzerkrankungen aus, später kamen Bluthochdruck und ein hoher Cholesterinspiegel, Übergewicht, Diabetes mellitus und Herzerkrankungen in der Familie als Gefahren fürs Herz hinzu. Mehr als 200 Risikofaktoren kennen Mediziner heute. „Aber Framingham war die Studie aller Studien. Die damals ermittelten Risikofaktoren sind auch heute noch die wichtigsten“, sagt Stefan Blankenberg, Leiter der Klinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf.

Dass überflüssige Pfunde das Risiko für Herzerkrankungen steigern, ist inzwischen weit verbreitetes Wissen. Besonders gefährlich ist dabei das Fett, das sich im Bauch zwischen unseren Organen einnistet. Es entlässt bestimmte Botenstoffe und Fettsäuren in die Blutbahnen, die den Zucker- und Fettstoffwechsel mächtig durcheinanderbringen. So bewirken sie zum Beispiel, dass Körperzellen weniger empfindlich auf Insulin reagieren – jenes Hormon, das nach dem Essen den Zucker aus dem Blut in die Zellen schleust. Als Folge steigt der Blutzucker an, und mehr Insulin wird ausgeschüttet, um den Zuckertransport in die Zellen anzutreiben. Schlimmstenfalls entsteht in der Folge Diabetes mellitus.

Bleibt der Blutzucker dauerhaft erhöht, schadet das der Innenwand der Blutgefäße, treibt Immunreaktionen in den Ablagerungen voran und verdickt zudem das Blut. „Diabetes mellitus ist einer der bedeutendsten Risikofaktoren bei der Entstehung einer koronaren Herzkrankheit“, sagt Thomas Meinertz, Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

UND ER SCHADET NICHT NUR DIREKT, sondern auch auf Umwegen: Als Folge von Diabetes geraten mehr Fettsäuren in die Blutbahn. Vor allem aber schwimmen weniger nützliche und mehr schädliche Fett- Transporteure in den Adern. Übergewicht senkt die Konzentration des nützlichen HDL-Cholesterins, das normalerweise die schädlichen LDL-Partikel aus dem Blut zur Leber abtransportiert. Daher kann sich das LDL-Cholesterin fast ungestört in den Gefäßwänden ablagern und Plaques bilden. Bei Patienten mit Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Übergewicht kommt oft noch ein hoher Blutdruck hinzu. Dieser schädigt ebenfalls die Innenwand der Blutgefäße und beschleunigt das Fortschreiten der Arteriosklerose. Und stellt zusätzlich für das Herz-Kreislauf-System eine große Belastung dar: Das Herz muss stärker pumpen, bis es irgendwann überfordert ist und versagt. Diese Risiken sind umso größer, je höher der Druck dauerhaft liegt. Und der kann nicht nur durch achtlose Lebensführung steigen. In manchen Familien kommt die sogenannte Hypertonie einfach gehäuft vor, ebenso wie koronare Herzkrankheiten. „Bei diesen Patienten fällt besonders das Rauchen als Risikofaktor viel stärker ins Gewicht als bei anderen“, sagt der Kardiologe Blankenberg.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sterben weltweit in jedem Jahr rund vier Millionen Menschen an den Folgen des Zigarettenkonsums. In Deutschland sind es bis zu 140 000. Etwa 40 Prozent dieser Todesfälle gehen auf das Konto von Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Bereits nach einer Zigarette verengen sich die Blutgefäße, und der Blutdruck steigt an. Kohlenmonoxid, Benzpyrene und Glykoproteine schädigen die Innenwände der Gefäße. Weil mehr von dem Gerinnungsfaktor Fibrinogen gebildet wird, dickt das Blut ein, und die Gefahr steigt, dass Blutplättchen verkleben und ein Gefäß verstopfen.

Wenn die Ablagerungen in den Blutgefäßen aufreißen und ein Blutgerinnsel entsteht, kommt es zum Herzinfarkt. Schon winzige Muskelvernarbungen nach einem Infarkt können zu Rhythmusstörungen in den Vorhöfen des Herzens führen. Bei 350 Schlägen pro Minute sprechen Ärzte von Vorhofflattern, bei bis zu 600 von Vorhofflimmern. Das erhöht zwar das Risiko von Schlaganfällen, führt aber nicht zum Infarkt. Nur jeder Dritte merkt überhaupt, dass seine Vorhöfe hektisch pulsen, und beschreibt das dann meist als „Herzrasen“.

UM IHR LEBEN FÜRCHTEN MÜSSEN dagegen jene Patienten, die zum Beispiel als Folge ihres Herzinfarkts ein Kammerflimmern erleiden. Die Herzkammern schlagen dann mehr als 350-mal pro Minute. Der Herzmuskel kann kein Blut mehr in die Lunge oder den Körperkreislauf pumpen, weil sich das Herz zwischen zwei so rasch aufeinanderfolgenden Schlägen gar nicht mit Blut füllen kann. Es kommt unmittelbar zum Herzstillstand, der Patient verliert das Bewusstsein. Allein ein Elektroschock mit dem Defibrillator kann dann noch den normalen Herzrhythmus wiederherstellen.

Für viele Patienten bricht nach einem Infarkt die Welt zusammen. Vorher fühlten sie sich unverwundbar, nach dem Schock müssen sie oft mühsam lernen, für den Rest ihres Lebens mit einem angegriffenen Herzen auszukommen. Jeder fünfte Herzinfarkt-Patient erkrankt an einer Depression, und diese wiederum verschlechtert die Prognose der Herzerkrankung.

Deshalb ist es so wichtig, dass sich schon die Klinikärzte Zeit nehmen, mit ihren Patienten über deren Ängste zu sprechen. Manchmal geschieht das, manchmal nicht. „Das hängt auch davon ab, ob sich ein Kardiologe oder Herzchirurg als Techniker sieht oder als Arzt und Partner des Patienten“, sagt der Göttinger Internist und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Christoph Herrmann- Lingen. Oft fänden Gespräche nur „am Rande einer gigantischen technischen Inszenierung“ statt; psychosomatische Inhalte würden vielerorts noch bagatellisiert.

ABER ES BRICHT ETWAS AUF: In immer mehr Kliniken werden Psychologen oder Fachärzte für Psychosomatik zur Betreuung von Herzpatienten auf die Krankenstation gerufen. Und es entstehen mehr und mehr Kliniken oder Krankenhaus-Abteilungen, die auf Psychokardiologie spezialisiert sind. So etwa jene an der Universitätsmedizin Göttingen, die mitten im Gebäude des Herzzentrums liegt. Dort führen die Patienten Einzelgespräche mit Psychologen, nehmen aber vor allem auch an einer Gruppenpsychotherapie teil. „Dann merken die Patienten, dass sie nicht die Einzigen sind mit dieser Kombination aus krankem Herz und kranker Seele“, sagt Herrmann-Lingen.

Mit einer Verknüpfung von verhaltenstherapeutischen und tiefenpsychologischen Elementen soll es den herzkranken Menschen gelingen, ihren Lebensstil langfristig zu ändern. Psychisch stabil sollen sie werden und sich selbst sowie ihr eigenes Verhalten besser verstehen lernen. „Menschen rauchen gegen Stress, und sie essen gegen Stress“, sagt Herrmann-Lingen. „Wir zeigen ihnen andere Wege, sich zu entspannen.“

Manche lernen, sich mithilfe einer progressiven Muskelrelaxation zu entspannen. Andere finden durch eine Kunsttherapie Zugang zu ihren Gefühlen. „Vielen Patienten fällt es schwer, ihre Emotionen auszudrücken“, sagt Herrmann- Lingen. Ein Mann, der im Jahr zuvor noch ein helles Bild mit einer Sonne zeichnete, kam im nächsten Jahr wieder und malte einen Vulkan. „Das war ein großer Fortschritt“, sagt der Mediziner. Endlich habe der Patient ausdrücken können, wie sehr er unter Druck stehe.

DOCH TROTZ ALLER Fortschritte in der psychologischen Nachsorge gilt, was Thomas Meinertz festgestellt hat, der Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung: „Der Mensch kann sein Verhalten nur bedingt ändern.“ Darum lassen so viele kluge und erwachsene Menschen die kostbaren Leitungen zum Herzen enger werden, obwohl sie genau wissen, wie sich das verhindern ließe. Und darum ist es umso wichtiger, früh mit Prävention und Aufklärung zu beginnen.

Denn Kinder haben die Chance, sich den ungesunden Umgang mit sich selbst erst gar nicht anzugewöhnen. Sie sollten lernen, wie Herz und Gefäße funktionieren und wie man diese pfleglich behandelt – nicht im Frontalunterricht, sondern experimentell und spielerisch. An der Kinder-Akademie in Fulda steht das größte Herzmodell Europas: fünf Meter hoch, sechs Meter breit, begehbar auf 36 Quadratmetern. Wer hier durchkommt, versteht mehr von der treibenden Kraft des Lebens.

Und auch dabei geht es nicht nur darum, die eindrucksvolle Technik des Herzmuskels zu begreifen. „Das Gold eines neugeborenen Kindes“ verwandelt sich bei schwierigen Lebensumständen „in das Blei eines depressiven kranken Erwachsenen“, schrieb der Präventivmediziner Vincent Felitti. Darum gilt für das Zusammenspiel von Körper und Geist, was auch eine geglückte Beziehung zweier Menschen ausmacht: Ein Herz und eine Seele sollten sie sein.

MIT RECHERCHEN VON CHRISTINA ELMER, ANIKA GEISLER UND NICOLE SIMON

FÜR DIE INNERE MITTE

Prävention

Herzgesund zu leben ist keine hohe Kunst: Was Leib und Seele insgesamt guttut, ist auch gut fürs Pumporgan. Die Regeln für einen vernünftigen Umgang mit dem Körper kennen alle:

Viel Bewegung

Kräftigt das Herz und das Adersystem, senkt den Ruhepuls sowie den Blutdruck, baut überschüssige Fette im Kreislauf ab, mildert Ärger und andere Stresssymptome und macht gute Laune – auch die ist gut fürs Herz.

Besser essen

Mediterrane Ernährung gilt noch immer als wirksamer Herz-Kreislauf-Schutz.

Heißt: viel Obst und Gemüse, wenig Fleisch, eher Fisch, pflanzliche Öle statt Butter oder Schmalz. Und: mehr Vollkorn- statt Weißmehl.

Nicht rauchen

Zigaretten enthalten Gifte, die Gefäße verengen und ihnen auch anderweitig Schaden zufügen.

So klar, so schwer. Selbst eiserne Disziplin schützt die meisten aber leider nicht vor dem schleichenden Rückfall in alte Verhaltensmuster. Sie zu ändern widerspricht schlicht der menschlichen Natur. Die wichtigsten Voraussetzungen dafür, es dennoch zu schaffen, sind innere Gelassenheit und die sogenannte Achtsamkeit – eine Rückbesinnung auf das Ich und auf das, was wichtig ist und guttut. Eine solche Geisteshaltung zu entwickeln, lohnt sich gleich mehrfach. Einerseits schwächt innere Stabilität den Schweinehund: Je ausgeglichener man sich fühlt, desto leichter fällt es einem, auf Laster zu verzichten. Andererseits wirkt die entspannte Psyche auch direkt auf Herz und Gefäße. Mit weniger Stresshormonen im Blut verbessert sich der Fettstoffwechsel und beruhigen sich Herzschlag und Blutdruck, dadurch sinkt auch das Arteriosklerose-Risiko. Mehr Gelassenheit und Achtsamkeit kann man zum Beispiel in Stressbewältigungsprogrammen lernen, die oft auch von den Krankenkassen bezahlt werden. Die wichtigsten Inhalte:

Mehr Entspannung

Entspannungstrainings wie Meditation, Yoga, autogenes Training oder Muskel-Relaxation stärken die Fähigkeit zur Achtsamkeit, sie wirken aber auch direkt auf Herz und Kreislauf. Welche Methode die richtige ist, probiert man am besten einfach aus. Gesund ist, was entspannt. Für manche ist das eher Theater als autogenes Training oder eher Trommeln als Yoga.

Weniger Wut

Ärger ist eines der größten Herz-Kreislauf-Risiken. Im Stau zu stehen oder schon wieder die langsamste Kasse erwischt zu haben kann den Blutdruck hochjagen und zur Freisetzung von Stresshormonen führen.

Klüger und gesünder ist es, unangenehme Situationen nicht mit Ärger noch schlimmer zu machen – und die ungeplante Pause damit zu verbringen, sich auf den nächsten Urlaub zu freuen.

Mehr Nachsicht mit sich selbst

Stress kommt einerseits von außen, andererseits verstärken wir ihn selbst, beispielsweise mit überzogenen Ansprüchen. Darum gilt es, sich selbst zu hinterfragen – gerade wenn man unter Druck steht: Wie wichtig ist es wirklich, dass ich diese Aufgabe perfekt löse, dass kein Krümel auf dem Tisch liegt, dass ich mich auf diesem Nebenkriegsschauplatz auch noch durchsetze?

Viel Zeit für Familie, Freunde und Freude

Studien zeigen: Ein gepflegtes soziales Netz schützt Herz und Kreislauf. Gut aufgehoben zu sein beruhigt. Familie und Freunde bewahren außerdem davor, sich nur noch mit sich und seinen Problemen zu beschäftigen. Und sie können helfen, wenn es wirklich mal eng wird – und damit stark entlasten. Genau wie alles, was Spaß macht: Reisen, Ehrenämter, Kochabende. All das füllt den Alltag mit dem aus, was wirklich zählt, sorgt dafür, dass das Leben sich gut anfühlt – und außerdem lange währt.

Katharina Kluin

PERSÖNLICH

Gerettet, aber schwer verwundet

Der 40-jährigeMarkus Schulze (Name geändert) versank nach einem Herzinfarkt in Depressionen – wie jeder fünfte Überlebende