Sternenspringer - Johannes Seitz - E-Book

Sternenspringer E-Book

Johannes Seitz

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Beschreibung

In der Fabula-Galaxie, wo moderne Technik selbstverständlich und Magie zum Alltag gehört, begibt sich der einfallsreiche Geheimagent John Rasbury auf eine abenteuerliche Reise, um eine mysteriöse Technologie zu bergen. Begleitet von seinem alten Kampfgefährten, dem Werwolf Arnulf, durchquert er auf seiner Reise zum abgeschiedenen Perlmond das Atlantische Imperium und dringt in die rechtsfreien Weiten des Niemandslands ein. Auf ihrem abenteuerlichen Weg bewältigen die Freunde gefährliche Dimensionssprünge und treffen auf hinterlistige Füchse, Cyborg-Piraten und gottgleiche Wesen.

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Ähnliche


Inhalt

Der Stein der Weisen

Teestunde mit Yamato

Rendezvous mit einem Werwolf

Dunkle Geschäfte

Professor Cornelius’ Mannschaft

Zwergengold

Sirenengesang

Die Sternenräuber der Leere

Nāmakas Schatz

Die Schatztaucher

Die Azurne Prärie

Der goldene Affe

Traumwandern

Das Geheimnis des Perlmonds

Die Jagd beginnt

Mehr Infos zum Sternenspringer und dem Autor auf Sternenspringer.net

Der Stein der Weisen

Als John Rasbury die breite, schmucklose Frontfassade der Zentrale des Nachtdienst, dem atlantischen Geheimdienst, vor sich sah, stutzte er kurz und hielt inne. Ganz allein stand er auf der Straße im Sicherheitsdistrikt von Atlantis, während am Himmel still die beiden Monde Triton und Argon ihre Bahnen zogen. Als Schattenmann war John diesen Weg schon öfters gegangen und es war auch nichts ungewöhnliches dabei, das ein Agent des Nachtdienst eben jener Zentrale einen Besuch abstattete. Jedoch nicht wegen eines Missionsbriefings beim Chef des Nachtdienst, da er zurzeit in der Zentralverwaltung eingeteilt war und keine Missionen übernahm. Allerdings auch nicht weil seine Schicht jetzt begonnen hätte, da er nur tagsüber arbeitete. Sein außerberuflicher Besuch beim Nachtdienst hatte einen besonderen, ja ungewöhnlichen Grund. Und das machte ihn noch nervöser, als er für gewöhnlich schon war.

Wie vor dem Absprung von einer tiefen Klippe stand er mitten auf der dunklen, leblosen Straße. Bereit seine geheimen Absichten zu verfolgen. Ein paar Sekunden lang verharrte er so, bis er sich umentschied und in den nächsten dunklen Winkel einer Seitenstraße bog. Der Absprung war missglückt.

Mehrmals atmete John tief ein und aus und versuchte sich zu beruhigen. Was ihm aber kaum gelang. Daraufhin fingerte er unruhig an seinem Handgelenk herum, wo er seinen Portabile an einem Armband trug. Hastig flog sein Zeigefinger über den sich langsam aufbauenden holografischen Menübildschirm. Nach einigen Eingaben veränderte sich das Bildfeld und zeigte das Gesicht einer gefiederten, jungen Frau, die John neugierig in die Augen blickte.

„Hallo Felicia“, sagte John.

„Was ist?“, fragte die Frau. „Warum meldest du dich so früh? Hast du schon die Daten geholt?“

John kratzte sich am Hals und strich über sein glattes Kinn.

„Nein. Ich habe die Daten noch nicht“, antwortete er.

„Und warum rufst du mich dann an? Wo bist du?“

John schluckte.

„Ich glaube, ich kann das nicht.“

Im Gesicht der Frau zeigte sich ein Anflug von Argwohn, wobei ihre Federn sich leicht reckten.

„Was ist das Problem?“, hakte sie nach. „Sowas hast du doch schon mal gemacht?“

„Ja, natürlich. Aber es ist etwas anderes, sich bei Piraten oder Kriminellen einzuschleichen“, erwiderte er.

„Was meinst du damit?“

John räusperte sich und wurde leiser, als er antwortete.

„Ich breche in meine eigene Arbeitsstelle ein. Beim Nachtdienst! Einem der sichersten Orte im Imperium, wenn nicht der ganzen Galaxie. Wenn man mich erwischt, dann …“

Weiter kam er nicht, da der Gedanke ihm die Sprache verschlug. Stattdessen beendete seine Gesprächspartnerin den Satz für ihn.

„Wenn man dich erwischt, wird dir nichts geschehen, weil du ein Schattenmann bist. Du machst nur deine Arbeit und gehst ins Archiv. Daran ist nichts verboten.“

„Aber ich gehe ja nicht bloß in irgendein Archiv, sondern ins ‚Geheime Archiv‘. Dafür habe ich keine Zugangsberechtigung“, rief John. „Dort befinden sich Staatsgeheimnisse, die Geheime Geschichte von Atlantis und noch andere Dinge, deren reine Existenz schon eine Gefahr für das Fortbestehen des Imperiums ist.“

„Außerdem auch ein Stein der Weisen. Und deswegen willst du da ja rein“, entgegnete Felicia ruhig.

„Ja“, sagte John.

„Du hast mich um die Zugangscodes für das Archiv gebeten und um DNA-Proben von meinem Vater. Was beides nicht ganz einfach zu beschaffen war.“

„Ja, ich weiß.“

„Und du weißt auch, dass sie den Stein bald wegbringen werden. Wir haben also nur kurze Zeit die Chance, an die Informationen über die Sternenspringer zu kommen.“

John überlegte, während Felicia ihn weiter zu ermutigen versuchte.

„Außerdem, wie sollte man dich erwischen? Du gehst nur ins Archiv, wo sich um diese Zeit wahrscheinlich sowieso keiner aufhält. Du wirfst einen kurzen Blick auf den Stein, transferierst seine Daten und weg bist du. Keiner wird merken, dass du da warst“, sagte sie.

Noch immer zweifelnd, wiegte John seinen Kopf hin und her.

„Denk an den Plan und deine Abmachung mit Arnulf“, fügte Felicia hinzu. „Du hast dem Werwolf versprochen, mit den Informationen nach ehemaligen Standorten der Sternenspringer zu suchen, um dort Artefakte zu bergen. Und mir hast du immer gesagt, wie wertvoll und begehrt Gegenstände von der untergangenen Zivilisation der Sternenspringer sind. Ohne den Stein der Weisen geht es nicht. Und zudem erhoffst du dir doch auch etwas über ihre Technologie zu erfahren.“

„Ja, du hast Recht“, gab er kopfnickend zu.

„Du schaffst das“, sagte sie und beendete die Verbindung.

John schaltete seinen Portabile ab und verweilte noch ein paar Sekunden, wo er war, um sich zu sammeln. Endlich hatte er sich gefasst und war bereit den Plan auszuführen.

Die Zentrale des Nachtdienst war ein niedriges, bunkerähnliches Gebäude, ohne hervorstechende architektonische Merkmale, wie sie häufig von der atlantischen Bürokratie verwendet wurden. Seine glatte, graue Außenfassade war ohne Zier und Schmuck. Mit nur wenigen Fenstern ausgestattet, wirkte die Zentrale fast wie eine Festung. Verstärkt wurde dieser abweisende Eindruck noch dadurch, dass alle Fensteröffnungen so schmal wie Schießscharten waren. Obwohl aus fast allen Öffnungen helles Licht schien, wirkte die Zentrale verlassen.

Am Eingang durchlief John wie immer die automatische Sicherheitskontrolle. Er zuckte auch jetzt wieder kurz zusammen, als das bestätigende Signal seines Check-ups ertönte und der Computer seine Personaldaten runterratterte.

„John Rasbury; Schattenmann; Heimat: Planet Albion; Ethnie: Walla“

Dass John kein typischer Stadtbewohner war, konnte man schon an seinem natürlichen, grünen Haar und seiner bräunlichen Haut erkennen. Doch was ihn als einen Stammesangehörigen der Wallas auswies, waren die drei auf seine Stirn tätowierten grünen Striche.

Das Archiv befand sich im dritten Untergeschoss und war nur durch die Aufzüge zu erreichen. Normalerweise waren tagsüber immer eine Handvoll Archivare anwesend, welche den Zugang zum Archiv überwachten. Doch um diese Tageszeit war nur der Faun Sonas, die Assistenz des Archivleiters, zugegen. Allein saß er an seinem Arbeitsplatz, einem großen Schreibtisch mit breitem Armaturenfeld und zahlreichen Holo-Bildschirmen. Direkt vor einer Gittertür platziert, versperrte Sonas den Eingang zum Archiv und jeder, der dorthin wollte, musste erst an ihm vorbei.

Während sich die Zentrale außen in Dunkelheit hüllte und somit vor neugierigen Augen versteckt hielt, waren alle Innenräume hell ausgeleuchtet. Selbst im dritten Untergeschoss wurde flimmerndes Licht von den weißen Wänden verstärkt zurückgeworfen. Es war so grell, dass John sich erst an diesen anstrengenden Wechsel der Lichtverhältnisse gewöhnen musste. Als der Schattenmann fast schon den Schreibtisch erreicht hatte, hatten sich seine Augen endlich an das Licht angepasst.

Tief versunken in irgendwelche Dokumente schien der Faun Rasbury zuerst nicht zu bemerken. Als John sich jedoch räusperte, begrüßte er diesen mit einem süffisanten Grinsen, wobei er seine Lektüre unterbrach.

„Ah, Grünling. Du noch hier? Machst du Überstunden?“, fragte Sonas mit einem neckenden Unterton.

„Ich brauche nur ein paar Dokumente für eine Datenanalyse zum Niemandsland“, erwiderte John so harmlos wie möglich.

„Meinetwegen. Geh und bediene dich, falls du fündig wirst.“

Mit diesen Worten betätigte der Faun einen Schalter an seinem Schreibtisch, woraufhin sich die Gittertür zum Archiv öffnete.

„Normalerweise arbeitest du doch nur tags und nicht nachts. Ich an deiner Stelle würde ja gehen, wenn ich könnte, und mich in einer Bar entspannen“, bemerkte Sonas noch beiläufig, als er sich wieder seinem Lesestoff zuwandte.

John bemühte sich um ein einfaches Lächeln.

„Tja, was soll man machen, wenn die Arbeit ruft“, sagte er achselzuckend und ging durch die Tür.

Das Archiv, gemeinhin auch ‚Unendliches Archiv‘ genannt, enthielt zahllose geheime und der Öffentlichkeit unbekannte Aufzeichnungen, die niemandem als den obersten Beamten des Imperiums zugänglich waren. Es teilte sich in drei Bereiche auf. Im vorderen Teil befanden sich gedruckte Dokumente jeglicher Form. Teils Originale, teils Kopien. Jeden Raum zu durchlaufen war eine Herausforderung und für jemanden, der wie John unter Zeitdruck stand, unmöglich. Dementsprechend standen am Eingang jedes Abteils und Regals kleine Schwebegleiter, auch Sliders genannt, zur Verfügung, die es einem ermöglichten, schneller die Weiten der Räumlichkeiten zu durchqueren. Schnell flog John an den zahllosen Regalen vorbei, ohne diese auch nur eines Blickes zu würdigen. Im mittleren Abschnitt durcheilte er die Datenbanken, wo die gesamten Sicherungskopien des Nachtdienst gespeichert waren. Auch hier verschwendete er keine Zeit, um so schnell wie möglich diesen Bereich des Archivs hinter sich zu lassen. Gewaltig hoch türmten sich die Speichertürme, wie kleine Wolkenkratzer. Die Sliders waren auch dabei als Hilfe gedacht, höherliegende Akten oder Datenspeicher zu erreichen. Jedenfalls schien es unabdingbar für einen Archivar, der hier arbeiten wollte, schwindelfrei zu sein.

Erst als John den dritten und letzten Abschnitt erreicht hatte, und damit sein eigentliches Ziel, drosselte er sein Tempo. Im ,Geheimen Archiv‘, welches eigentlich ein großer Tresorraum war und zu dem nur ausgewählte Schattenmänner Zugang hatten, wurden allerlei wichtige Gegenstände und besondere Artefakte aufbewahrt. Langsamen Schrittes näherte sich John dem Sicherheitsschloss, wobei er sich noch einmal umdrehte, um sich zu vergewissern, dass er allein war.

Dieser Teil des Archivs war nur für wenige Mitarbeiter des Nachtdienst zugänglich. Das John sich nur hier aufhielt, konnte ihn eine Menge Ärger bereiten, weswegen er sich gut für diesen Augenblick vorbereitet hatte. Schnell betätigte er auf seinem Portabile ein paar Knöpfe, so dass eine holografische Abbildung vom Chef des Nachtdienst auf ihn projiziert wurde. Das Hologramm zu erstellen war keine leichte Aufgabe gewesen. John hatte sich dafür in die persönliche Datenbank seines Chefs gehackt. Der Portabile erstellte auch ein DNA-Muster für den Scan. Mit dieser Tarnung konnte John nun das Terminal bedienen, während der DNA-Scanner ihn überprüfte. Als Erstes wurde nach dem Code gefragt, den Felicia für John besorgt hatte. Äußerst konzentriert tippte er jede Ziffer behutsam ein. Nach erfolgreicher Bestätigung öffnete sich eine Vorrichtung zur Blutabnahme von einem Finger. Auch hier hatte Felicia ihm wieder das Gefragte verschafft. Allerdings rätselte John immer noch, wie sie es geschafft hatte, Blut von ihrem Vater abzuzapfen. Leicht zittrig legte er die Ampulle mit dem Blut seines Chefs in die Vorrichtung. Sofort fuhr eine kleine Nadel nach vorne und nahm eine Probe von dem Behältnis. Tief atmete John ein, während die Deckenkameras ihn surrend ins Visier nahmen. Dann kam das bestätigende Signal. Das Schloss öffnete sich und John huschte eilig durch die Türe, wobei die Kameras ihn noch im Blick behielten.

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, war er endlich an seinem Ziel angekommen. Der Tresorraum war genauso hell ausgeleuchtet wie das restliche Archiv. Verchromte Spinde zogen sich in verschiedenen Größen in mehreren Reihen gegliedert durch den Raum, wobei jeder dieser Schränke einen Schatz von unermesslichem Wert in sich barg.

Zu Fuß ging John langsam die Spindreihen entlang, wobei er immer wieder zu den Kameras hochblickte. Das Gefühl ständig beobachtet zu werden beunruhigte ihn noch einige Zeit lang, da die Kameras immerhin durch seine holografische Tarnung schauen konnten. Aber diese Technik käme nur zum Einsatz, falls etwas aus dem Archiv gestohlen würde. Bei oberflächlicher Betrachtung würde der Sicherheitsdienst nur den Chef des Nachtdienst sehen. John hoffte, dass dies reichen würde, während er auf der Suche nach dem Stein der Weisen zum Gang S-3 lief. In diesem Bereich musste sich, nach seinen und Felicias Recherchen, der Stein befinden. Immer wieder hielt er vor einem Schrank und las die Inhaltsbeschreibung, bis er schließlich den gesuchten Spind am Ende des Gangs fand. John zögerte und dachte daran, dass er seit Jahrzehnten vermutlich das erste Wesen war, das diesen legendären Stein zu sehen bekam. Dann öffnete er die Schranktür und erblickte darin ein kleines, metallenes Kästchen. Behutsam holte er es hervor und hob den Deckel. So groß war Johns Anspannung, dass ihn der Anblick des Inhalts umso mehr verdutzte. Auch wenn dies der erste Stein der Weisen war, den er leibhaftig zu Gesicht bekam, so hatte er doch schon einige Geschichten über das Aussehen jenes Sternenspringer-Artefakts gehört und zumindest eine gewisse Vorstellung von ihm gehabt. Er hatte erwartet einen kristallförmigen Gegenstand in dem Kästchen vorzufinden. Jedoch befand sich darin ein einfacher silberner Ring mit einem blauen Edelstein. Um sich zu vergewissern, dass er sich nicht irrte, schaute er nochmals auf die Beschreibung an der Schranktür. Klar und deutlich stand dort in gut lesbaren Buchstaben „Stein der Weisen“. Unsicher nahm er den Ring in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Waren Felicias Informationen falsch? Oder ist dies eine Falle?

Vorsichtig spähte er zur Tresortür, die verschlossen war. Er kratzte sich am Kopf und blickte wieder auf den Ring, begutachtete den blauen Stein, der glatt poliert in einer ovalen Fassung lag. Kein Glanz oder Funkeln ging vom ihm aus. Es war scheinbar nur ein einfacher Edelstein. Doch warum sollte ein solch gewöhnlicher Ring im Archiv des Nachtdienst aufbewahrt werden? Und warum wurde er als Stein der Weisen betitelt? Er musste herausfinden, ob es irgendeine Bewandtnis mit dem Schmuckstück hatte. Zögernd und vorsichtig steckte er den Ring an einen Finger seiner rechten Hand. Er rührte sich nicht, atmete kaum und wartete auf eine Reaktion. Auf was genau, wusste er selber nicht. Er hoffte zumindest auf ein Zeichen, auf einen Hinweis, der ihm das Geheimnis des Rings offenbaren würde. Doch nichts passierte. Es schien ein gewöhnlicher Ring zu sein.

John stieß einen tiefen Seufzer aus. Als er jedoch den Ring wieder zurücklegen wollte, merkte er, dass dieser feststeckte. Mit aller Kraft zehrte er an dem Schmuckstück. Doch weder vor noch zurück ließ er sich schieben. Eng umschloss er seinen Finger und verursachte bei seinem Träger ein unangenehmes Kribbeln, das Johns gesamten Körper durchfuhr. Der Schattenmann drehte sich schnell in alle Richtungen und sah sich nach Hilfe um. Nach ein paar weiteren vergeblichen gewaltsamen Versuchen, sich des Rings zu entledigen, probierte er auf andere Weise eine Reaktion zu erzwingen. Zuerst suchte er nach versteckten Knöpfen und Schaltern am Ring, welche ihm vielleicht helfen könnten. Aber als John nichts dergleichen fand, ging er anders vor. Den Stein küssend, anhauchend und zuletzt wie eine Wunderlampe reibend, erhoffte er sich irgendeinen Effekt auslösen zu können. Jedoch blieb alles vergebens. Schon spielte John mit dem Gedanken, sich an Sonas zu wenden und sich somit dem Nachtdienst zu stellen.

„Öffne dich!“, dachte er nur. „Öffne dich, du verdammter Ring!“

Währenddessen wurde das Kribbeln immer unangenehmer und hatte schon seinen Kopf erreicht, wo es sich nun zu konzentrieren schien.

John setzte sich auf den kühlen Boden und drückte seinen mittlerweile rasenden Schädel gegen die Spinde. Langsam begann sich der Raum und alles darin um ihn zu drehen. Er nahm sich selbst nur noch als Zentrum eines Wirbelsturms wahr, der von ihm ausging und allein um ihn kreiste. Was nun geschah, war jenseits jeder Vorstellung und aller Geschichten, die der Schattenmann über die Sternenspringer und ihre Technologien gehört hatte. Ein zitterndes Funkeln ging von dem leblosen, blauen Edelstein aus und erfasste den gesamten Ring, welcher nun hell glitzerte. Dann zogen sich vom Stein ausgehend blaue Äderchen an Johns Finger entlang. Eine kalte, unsichtbare Linie führte von seiner Hand den Arm entlang bis in seinen Kopf. Und dann begann es.

Sein Gehirn schien sich in einen gewaltigen Ballon zu verwandeln, der bis zum Anschlag mit abertausend Informationen geradezu vollgepumpt wurde. Zahlreiche Bilder von fernen Orten, Ornamenten, Symbolen, die er nur schwer einordnen konnte, zogen an seinem inneren Auge in einer schier endlosen Parade vorbei. Krämpfe durchfuhren seinen Körper während dieser Prozedur. Sich an den Schädel fassend, glaubte er, dieser würde ihm bald noch unter dieser Behandlung zerspringen. Wie lange das andauerte, konnte Rasbury kaum einschätzen. Als er den Druck kaum noch aushalten konnte, hörte es plötzlich auf.

Im selben Augenblick öffnete sich vor ihm ein tiefes Loch, in welches der ganze Tresorraum geschluckt wurde. Jenseits von Raum und Zeit schwebte John in einer dunklen Leere. Vor ihm blinkte erst schwach ein kleiner Punkt auf, der mit großer Schnelligkeit anzuwachsen schien oder sich ihm annäherte. Statt des Punkts breitete sich vor Rasbury gleich darauf die Fabula-Galaxie in ihrer gesamten Größe aus. Was um ihn herum passierte, konnte Rasbury sich nicht erklären, während die unterschiedlichsten Welten in hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeizogen. Das bunte Rauschen, welches seine Sinne zu betäuben drohte, kam dann aber plötzlich zum Stehen. Um ihn herum schwebten die Sterne und einige Planeten in ihren vorgegebenen Umlaufbahnen. Doch ein großer rotscheinender Planet mit einem breiten Ring flog direkt auf ihn zu. Unter seinen fünf Monden, die ruhig und beständig um den Gasriesen kreisten, brach einer aus seiner Bahn heraus. Dicht vor Johns Gesicht hing der Himmelskörper frei in der Luft. So nah war John dem schwebenden Objekt, dass er die Meere und fruchtbaren Landschaften darauf erkennen konnte. Fast glaubte er sogar einige Tiere durch die weiten Ebenen streifen zu sehen. Wie von selbst zog es seine rechte Hand mit dem Ring dorthin. Als er die Mondoberfläche jedoch berührte, zog sich alles wie in einer Implosion zusammen. Der Planet mit seinen Monden entzog sich dem Blickfeld des Schattenmanns. Genauso verschwanden alle Sterne und die gesamte Fabula-Galaxie vor seinem inneren Auge.

Ausgelaugt und schwitzend lag John am Boden. Er befand sich zu seiner Erleichterung wieder im Tresorraum. Die Vision war vorüber. Seine Atmung wurde wieder ruhig und die Anspannung ließ in ihm nach.

Behutsam richtete sich Rasbury auf, wobei er sich an den Spinden abstützte. Während er sich tief einatmend den Schweiß von der Stirn wischte, schaute er sich um. Die Tür war noch verschlossen. Ob ihn wohl jemand gesehen hatte, fragte sich John. Doch sofort richteten sich seine Gedanken wieder auf den Ring. Noch immer ging ein vibrierendes Funkeln von dem Stein aus, er schien noch aktiviert zu sein. Alles Wissen, dass der Ring ihm übermittelt hatte, war nun in ihm präsent. Es lag frei und zugänglich vor seinem inneren Auge ausgebreitet. Als wäre eine Datenbank in seinem Kopf, wo er auf alles direkt zugreifen konnte. Eine solche Klarheit und Ruhe hatte John noch nie verspürt. Alles, was er je über die Sternenspringer wissen wollte, und noch vieles mehr trug er nun in sich. Jederzeit abrufbar, dank dem Ring. Es würde einige Jahre dauern, da war sich John sicher, bis er alle Daten durchgesehen hätte. Allerdings würde es sich lohnen, davon war John ebenso überzeugt. Was jedoch dieser Ring war, blieb ihm ein Rätsel. War es ein Stein der Weisen? Oder etwas völlig anderes?

Als hätte das Schmuckstück seine Gedanken erraten, schoss ihm auch schon die Antwort durch den Kopf. Kurz zuckte John durch den stechenden Druck zusammen. Doch so plötzlich, wie er gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. Die gewünschte Information jedoch blieb.

„Aber natürlich!“, rief John. „Ein Schlüssel!“

Ein Schlüssel aber für was? Sofort wurde auch diese Frage beantwortet.

„Für die Universalschmiede? Was ist das?“

Eine Flut an Informationen überschüttete ihn und brachte ihn ins Taumeln. Wild wedelte er mit seinen Händen vor seinem Gesicht, in der Hoffnung, sich somit vor der Datenmasse zu schützen. Langsam ließ der Strom nach und Rasbury konnte seine Gedanken wieder ordnen.

Es war nun Zeit zu verschwinden. Ein Blick auf seinen Portabile zeigte ihm, dass er schon viel zu lange im Archiv gewesen war. Über eine Stunde war vergangen, seitdem er den Tresorraum betreten hatte. Doch was sollte er mit dem Ring machen? Er ließ sich immer noch nicht von seinem Finger lösen. Unschlüssig betrachtete John den Ring. Jedoch gab sich Rasbury dieses Mal selbst die Antwort für sein Problem.

„Ich brauche wohl professionelle Hilfe. Am besten einen Experten über Sternenspringer-Technologie.“, murmelte er, während er mit unruhigem Blick auf den Ausgang aus dem Archiv zuging.

Der Nachtdienst würde zwar schnell das Verschwinden des Ringes bemerken und noch schneller ihn als den Verantwortlichen dafür ausmachen. Allerdings, und das war der springende Punkt, konnte er sich anders des Rings nicht entledigen, ohne verhaftet zu werden. Und zudem bot sich ihm dadurch eine Gelegenheit, an die er nie gedacht, von der er nicht einmal geträumt hatte.

Doch fürs Erste galt es unterzutauchen und das weitere Vorgehen mit Arnulf und Felicia abzusprechen. John hatte auch schon eine Idee, bei wem er Unterschlupf finden könnte. Für diese Situation kam nur sein alter Freund Yamato in Frage und dahin führte ihn nun auch sein Weg.

Teestunde mit Yamato

Jack Swift war gerade dabei, einen Platz von den Hinterlassenschaften eines Minotaurus zu befreien. Krümeln von Algenkeksen und einem Stück Nussbaumkuchen waren über den ganzen Tisch verteilt und hatten sich mit kleinen Quhwa-Pfützen zu einer pampigen Masse vermischt. Während sich draußen auf der Terrasse das halbe Imperium versammelte, waren im Teeraum nur ein junger Walla, der fleißig auf seinem Metica, einem faltbaren Bildschirm, herumtippte, und ein alter Kobold, der mit steifen und zähen Bewegungen seine Tasse an die Lippen führte.

Es war ein warmer Sommernachmittag und die meisten Gäste hatten es sich auf der breiten Terrasse, die in den Wald hineinragte, bequem gemacht. Die bunte Gesellschaft bildete einen kleinen Querschnitt der Völkerschaften, die das Imperium beherbergte. Von einer stillen Gorgone bis zu einer Gruppe feixender Zentauren war alles vertreten.

Hier, am nordöstlichen Rand des Hains, arbeitete Jack Swift, ein junger Ase, als Kellner im „Teekessel“. Der „Teekessel“ war als Adresse des guten Geschmacks und der feinen Kultur in Miris sehr bekannt. Ganz im Stile eines klassischen Teehauses von Yoshima, bedurfte es keiner weiteren technischen Spielereien, wie sie die meisten solcher Etablissements nötig hatten.

Jack Swift war erst vor kurzem mit einem Schiff von Atlantis gekommen und deshalb noch nicht lange Angestellter im „Teekessel“. So plötzlich, wie er damals vor knapp einem Monat eingetroffen war, so undurchsichtig waren auch seine Beweggründe. Für seine Kollegen war es jedenfalls ein Rätsel, warum er, ohne große Prüfung seitens des Besitzers des Teehauses, eingestellt wurde.

Die Hafenstadt Miris auf dem Planeten Albion gehörte zu den schönsten Städten im gesamten Engelbezirk, dem Sternengebiet, das alle Planetensysteme des ehemaligen Stammesverbands der Ghal umfasste. Erst vor einhundert Jahren war die Stadt von den Atlanten gegründet worden, kurz nachdem sie in einem langjährigen Feldzug das gesamte Gebiet erobert hatten. Albion war damals als Heimatwelt der Wallas Teil des Ghalischen Bunds gewesen, der dann von Atlantis vernichtet worden war. Die Ghal bildeten dabei eine Konföderation verschiedenster Stämme und Völker.

Zu den vielen Sehenswürdigkeiten in der Stadt gehörte auch der Hain. Einen solchen Wald gab es in jeder Ortschaft auf Albion. Mit seinen gewaltigen Baumriesen war der Hain von jedem Viertel aus zu erkennen. Er lag im Zentrum, leicht erhöht zum restlichen Stadtgebiet, und wirkte wie ein vorgelagerter Ausläufer der Bergkette, welche Miris eingrenzte.

Vorsichtig räumte Jack das Geschirr ab und wischte den Tisch mit einem feuchten Lappen, wobei seine dunklen Adern durch die schneeweiße Haut hervortraten. Als er mit seiner Arbeit fertig war, ging er in die Küche, wo er das schmutzige Porzellan in das Waschbecken tat. Bevor er mit dem Abwasch begann, wischte er sich mit dem Handrücken seiner Rechten durchs Gesicht und band sein weißes Haar zu einem Knoten nach Art der Asen.

Ganz in seine Arbeit vertieft bemerkte Jack die junge Kellnerin nicht, die vorsichtig von hinten an ihn herantrat. Um den jungen Asen auf sich aufmerksam zu machen, tippte sie ihm auf die Schulter. Mit einem kurzen Seitenblick nahm Jack von der Kellnerin Notiz, die ihn freundlich und erwartungsvoll mit ihren braunen Augen ansah, unter denen jeweils ein blaues Dreieck auf die Wangen eintätowiert war.

„Hey Jack, was machst du da?“, fragte sie und spielte dabei mit einer ihrer grünbraunen Locken.

„Nichts, Gwen. Nur Abwasch“, erwiderte Jack monoton.

Schon seit seinem ersten Tag im „Teekessel“ hatte die junge Walla-Frau ihr Interesse an dem exotischen Asen gezeigt. Immer wieder suchte sie nach Möglichkeiten, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch Jack hatte bis dahin keine der Annäherungsversuche seitens Gwen erwidert. Auch gegenüber seinen anderen Arbeitskollegen zeigte er sich desinteressiert.

„Weißt du was, Jack?“, versuchte es Gwen erneut.

„Hm?“, brummte der Ase, ohne sie dabei anzusehen.

„Yamato will, dass du einen Gast im Teehaus bedienst.“

„Ich wusste nicht, dass das Teehaus für heute reserviert ist“, sagte Jack und unterbrach für einen Augenblick seine Tätigkeit.

„Du sollst ihm die Teezeremonie machen“, rief Gwen mit aufgerissenen Augen und begann zu kichern.

Jack ließ eine Tasse zurück ins Becken fallen, wo sie mit einem lauten Glucksen wieder im Wasser versank. Entgeistert blickte er zu Gwen, die sich sichtlich über seinen Schock amüsierte.

„Aber ich habe noch nie die Teezeremonie selber gemacht“, sagte er und hantierte fahrig mit dem Geschirr. „Nur einmal assistiert.“

„Befehl vom Chef“, entgegnete Gwen und kehrte ihm aufreizend den Rücken zu. „Du solltest den Gast besser nicht warten lassen.“

Direkt neben dem Teeraum, für die Gäste durch einen separaten Eingang erreichbar, befand sich ein Garten, der durch hohe Bambuszäune von der restlichen Welt abgeschirmt war. Vom Eingang dieses kleinen Idylls führte ein schmaler, gewundener Kiesweg zu einem Häuschen im hinteren Teil des Areals. Fremdartige Schmetterlinge, wie der Bunte Regenfalter und die Sonnengöttin, flogen friedlich ihre Bahnen und landeten scheinbar willkürlich für eine kurze Rast auf Steinen und vielfältigen Pflanzen, deren Blätter und Blüten wie kleine Monde und Sterne aufblühten. Die niedrigen roten Zypressen entlang des Zauns waren besonders eindrucksvoll anzusehen. Hier war mit viel Hingabe ein kleines Abbild einer Traumlandschaft entworfen worden, um den Besucher des Gartens von seinen alltäglichen Sorgen zu befreien.

Jack folgte still dem Weg durch dieses botanische Paradies. Es ging zwischen hohem Bambus hindurch, über einen kleinen Bach und an zierlichen Sträuchern vorbei. Schließlich stand er vor einem steinernen Wasserbecken. Jack ließ seine Hände kurz in das Wasser gleiten und wusch sich.

Den Eingang in das kleine Teehaus bildete eine rechteckige Holztür, kaum größer als eine Hundeklappe. Der Ase musste sich vorsichtig durchzwängen, um in den Innenraum zu gelangen. Das Zimmer war sehr schlicht gehalten und enthielt nur einen Schrank und eine Tuschezeichnung an der Wand sowie einen einfachen Feuerherd in der Mitte des Raumes. Die für die Teezeremonie notwendigen Utensilien lagen schon neben der Herdstelle bereit, wo die Flammen eines Feuerchens den Wasserkessel berührten.

Das energische Fingerschnipsen des Gastes, einen hochgewachsenen, breitschultrigen Mann, erinnerte Jack an die förmliche Begrüßung in Form von drei kurzen Verbeugungen. Drei schwarze Fuchsschwänze wedelten hinten aus seinem Anzug hervor und seine Augen waren zu langen dunklen Schlitzen verzogen, als er mit einem breiten Lächeln auf Jack schaute.

„Sind Sie Jack Swift?“, fragte er langsam und betonte jede einzelne Silbe.

Mit verschränkten Beinen saß der Gast auf einem Sitzkissen, welches unter seiner gewaltigen Statur komplett verschwand.

„Bitte! Fangen Sie doch an!“, forderte er Jack freundlich auf.

Direkt neben der Tür lagen weitere Sitzkissen, von denen der Ase nun eines nahm. Mit dem Kissen in der Hand suchte Jack nach einem geeigneten Platz, von wo aus er die Teezeremonie abhalten sollte. Neugierig beäugte ihn der fremde Mann dabei, während er mit seiner rechten Hand auf die Tischplatte trommelte. Schließlich wählte sich der Ase eine Stelle direkt am Feuer, was der Gast mit einem Lächeln kommentierte. Das ungleiche Paar saß sich nun am Feuer gegenüber, wo Jack damit begann, langsam mit präzisen Handgriffen den Tee zuzubereiten. Der Gast beobachtete ihn bei seinen gleichmäßigen Bewegungen, wie er das Wasser in den Kessel füllte und eine kleine Menge Tee in die Teekanne gab. Wie ein Zeremonienmeister, der ein heiliges Ritual vollführte, zelebrierte der Ase das Teekochen förmlich. Nicht jede Handlung von Jack quittierte der Gast mit Wohlwollen und mehrmals war dieser kurz davor, den Kellner mit einer Frage zu unterbrechen. Doch bevor er sein erstes Wort aussprechen konnte, schien er sein Vorhaben jeweils noch einmal zu bedenken und gab es schließlich unter einem abwägenden Kopfnicken wieder auf.

Nachdem der großgewachsene Mann einige weitere unausgesprochene Fragen zur altehrwürdigen Teezubereitung für sich behalten hatte, reichte Jack ihm eine Tasse mit frisch gebrühtem Schwarzblatt-Tee. Schweigend nippte der Gast kurz, bevor er vorsichtig einen kleinen Schluck nahm.

„Ah, sehr gut“, sagte er, während er seine Tasse absetzte.

„Das freut mich aber“, erwiderte Jack das Lob. „Ich kenne Yamato nur als einen äußerst sparsamen Fuchs bei Komplimenten.“

„Was meinen Sie?“, fragte der Gast ungerührt.

„Eigentlich dachte ich, dass mein Freund seine Verwandlungen besser beherrscht“, erwiderte der Kellner.

Der breite Mund seines Gegenübers öffnete sich zu einem tiefen Lachen, wodurch ein paar spitze Zähne sichtbar wurden. Sichtlich amüsiert über den Gast, trieb Jack das Spiel weiter.

„Aber wahrscheinlich ist er doch nicht so gut, wie ich immer dachte“, fuhr er spöttisch fort.

Nach diesen Worten verfinsterte sich augenblicklich die Miene des Mannes. Er ignorierte Jack und widmete sich wieder schlürfend seiner Tasse. Abwartend beobachtete der Kellner den Gast, der sich den Anschein gab, seine Aufmerksamkeit nun gänzlich anderen Dingen zuzuwenden. Ohne eine Regung oder weiteren Bemerkung verharrte Jack still auf seinem Platz. Des Versteckspiels nach einer Weile überdrüssig und jegliche Vorsicht vermissend, gab Rasbury nun seine Tarnung auf und schaltete die Funktion seines Portabile ab, so dass der junge Ase sich in Luft auflöste und seine wahre Walla-Gestalt zum Vorschein kam.

„Hör auf mit dem Theater, Yoyo. Ich weiß, dass du es bist“, sagte John.

„Das war äußerst unklug von dir, jetzt schon deine Verhüllung aufzugeben“, tadelte ihn Yamato. „Was, wenn ich ein Schattenmann gewesen wäre?“

„Ich wusste, dass du es bist. Immerhin waren deine drei Schwänze zu sehen“, erwiderte John.

Sofort langte der Mann mit beiden Händen hinter sich.

„Ach, nicht doch!“, murmelte er. „So ein dummer Leichtsinnsfehler.“

„Sei nicht so streng mit dir“, tröstete ihn John, „ich hätte es dir fast abgekauft.“

„Wirklich?“, fragte Yamato und ein erfreutes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Aber ja! Und jetzt verwandele dich bitte zurück.“

„Wieso? Gefalle ich dir so nicht?“

Er streichelte langsam seine schmale Oberlippe, wo sogleich rasch und kräftig ein feines Bärtchen wuchs. Überall sprossen nun dunkle Härchen hervor. Seine Gestalt zog sich zusammen und sein Gesicht formte sich spitz nach vorne. Am Ende seiner Transformation saß ein kleiner, schwarzer Fuchs auf dem Kissen, der John mit goldenen Augen anblitzte. Seine drei Fuchsschwänze wedelten lebhaft hin und her, während er sich vorsichtig das Gesicht rieb.

„Du hast keine Ahnung, wie sehr solche Verwandlungen im Gesicht schmerzen“, klagte Yamato.

„Auch wenn du ein Kitsune bist, musst du dich doch nicht verwandeln“, meinte John.

„Da du ja nun schon einen Monat bei uns bist, wollte ich dich mal testen, um zu sehen, was du in dieser Zeit gelernt hast“, erklärte Yamato.

„Sehr witzig. Als ob ich die Teezeremonie jemals außerhalb von diesem Teehaus brauchen würde.“

„Das vielleicht nicht“, erwiderte der Fuchs. „Aber jeder meiner Angestellten muss die Grundzüge der Teezeremonie beherrschen.“

Yamato fächerte sich den Dampf des Schwarzblatt-Tees zu und sog dabei den Duft ein.

„Ah, himmlisch“, sagte er. „Sich in einen Menschen zu verwandeln ist nicht leicht, musst du wissen.“

Der Kitsune schnippte mit den Fingern.

„In so einer Verkleidung hättest du mich sicherlich nicht erkannt.“

Sofort wurde sein Fell dichter, während sein Körper wuchs und er sich in einen kräftigen Minotaurus verwandelte. Schnaubend schüttelte er seinen mächtigen Kopf, wobei er mit seinen Hörnern der Deckenlampe gefährlich nahekam.

„Oder wie gefällt dir das?“, brummte Yamato und klatschte in die Hände.

An der Stelle, wo noch vor einer Sekunde ein gewaltiger Minotaurus gesessen hatte, stand nun ein eleganter Zentaur, der unruhig mit seinen Hufen scharrte.

„Aber ich glaube, so magst du mich am meisten!“, sagte Yamato und verwandelte sich in eine schlanke, junge Nymphe mit langen, schwarzen Haaren, die John Rasbury lockend zuzwinkerte.

„Wirklich beeindruckend! Dagegen wirkt sogar mein Portabile veraltet. Aber jetzt muss ich mit dir reden, Yoyo“, erklärte John.

Ungelenke Verrenkungen vollführend, wechselte Yamato wieder zu seiner wahren Gestalt zurück. Er gab ein gequältes Stöhnen von sich, schnaubte schwer und fasste sich an den schmerzenden Kopf.

„Ah! Ich habe dir schon oft genug gesagt, du sollst mich nicht Yoyo nennen?“, jammerte der Fuchs und massierte sich die Schläfen. „Ich habe es wohl etwas übertrieben. Mein Schädel fühlt sich an, als wäre ich zwischen zwei Riesen in einer Prügelei geraten. Was gibt es? Hast du für deine Reise alles erledigt?“

„Ja, alles ist vorbereitet“, antwortete John. „Aber ich treffe mich vorher noch mit einem Freund im Hain.“

Misstrauisch beäugte ihn Yamato, während er seine Kopfmassage unterbrach. John saß etwas schräg auf seinem Kissen und suchte nach einer bequemen Position.

„Kommt dieser Freund mit auf die Reise? Und kenne ich ihn vielleicht?“, fragte der Fuchs.

„Ich denke nicht. Es ist ein Werwolf“, erklärte Rasbury, während er sich eine Tasse Tee eingoss.

„Ein Werwolf? Was für ein Werwolf?“, fragte der Fuchs, wobei er seine Ohren spitzte.

„Sein Name ist Arnulf. Ich habe mich mit ihm beim Tempel verabredet.“

„Sollte ich diesen Arnulf kennen?“

„Nein. Er ist ein alter Freund von mir.“

„Werwölfe sind äußerst gefährlich. Auch wenn sie deine Freunde sind“, sagte Yamato.

„Das mag zwar stimmen. Aber ich brauche ihn“, sagte John.

Die Augen des Kitsune wurden nach dieser Bemerkung ganz schmal. Mit stechendem Blick fixierte er die Augen seines Gastes.

„Und für was genau brauchst du einen Werwolf?“

John zuckte mit den Achseln und spielte mit dem Ring an seinem Finger. Aufmerksam beobachtete ihn sein Freund dabei.

„Jetzt lass mich nicht betteln. Erzähl etwas von deinen Plänen“, drängte der Fuchs. „Hier sind wir absolut sicher.“

Er entfernte eine lockere Holzdiele neben seinem Sitzplatz, unter der sich das Bedienfeld seines Überwachungssystems befand. Ein paar Schalter und Knöpfe betätigend, blickte er breit grinsend zu Rasbury.

„Das Neueste vom Neuen!“, meinte er, als er die Diele wieder an ihren Platz legte. „Es kommt keiner in die Nähe dieses Häuschens. Weder mit thermooptischer Camouflage noch mit Magie. Selbst Nano-Bots werden sofort erkannt.“

„Ich kann dir trotzdem nichts dazu sagen, aber du wirst auf jeden Fall noch davon hören. Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, dann brauche ich den Nachtdienst nicht mehr zu fürchten - und vielleicht komme ich dann auch endlich hinter das Geheimnis unserer

Galaxie ...“, sagte John.

Ein kurzes Zucken ging durch den kleinen Fuchskörper. Argwöhnisch schaute Yamato zu Rasbury, wobei sich seine Augen wieder zu schmalen Schlitzen verengten.

„Ja, du hast Recht. Man kann nicht vorsichtig genug sein“, erwiderte der Fuchs. „Als du vor ungefähr einem Monat, mitten in der Nacht, an meiner Tür geklopft hast, glaubte ich zuerst an einen Überraschungsbesuch. Doch als du mir dann erzähltest, dass du auf der Flucht bist und der Nachtdienst dich sucht, musste ich wirklich erst mal überlegen, ob ich dir helfen oder doch lieber den Behörden übergeben sollte.“

„Aber du hast mir geholfen“, unterbrach ihn John.

„Weil wir Freunde sind“, sagte Yamato mit leiser Stimme und blickte Rasbury tief in die Augen. „Und außerdem können sich Freunde doch alles anvertrauen. Es muss schon was verdammt Wichtiges sein, dass der Nachtdienst hinter dir her ist. Bist du damals aus einem bestimmten Grund ausgerechnet zu mir gekommen?“

In einem kurzen Moment der Stille war nichts außer dem leisen Plätschern des Bachs zu hören. Die letzten Rauchschwaden des niedergebrannten Herdfeuers zogen in dünnen Fäden zur Decke empor, wo sie als feine Spiralen kringelnd ins Freie gelangten. Während Yamato reglos auf Johns Antwort wartete, nahm dieser einen weiteren Schluck von seinem Tee.

„Ich wusste einfach niemanden, an den ich mich sonst hätte wenden können. Du warst zu diesem Zeitpunkt meine letzte Rettung“, erwiderte John.

„Ach, wie nett von dir“, meinte der Fuchs. „Ich hoffe, du revanchierst dich irgendwann mal dafür.“

John drehte langsam seine Tasse herum und setzte sie schwer schluckend erneut an seine Lippen. Mit ernster Miene strich er über den Ring, wo der blaue Edelstein kurz aufleuchtete.

„Also gut“, sagte John. „Zumindest kann ich dir sagen, dass ich ins Niemandsland muss. Mehr erzähle ich dir, wenn ich wieder zurück bin.“

„Das Niemandsland?“, staunte Yamato. „Da hast du ja eine weite Reise vor dir. Na, dann hoffe ich, dass alles gut für dich laufen wird. Deine Reisetasche habe ich persönlich gepackt. Du kannst also jederzeit aufbrechen.“

„Danke, ich hoffe, ich war dir in der Zeit keine allzu große Last“, sagte John.

„Nicht mehr als jeder andere Grünling an deiner Stelle“, sagte der Fuchs und lachte.

Das ein Walla und ein Kitsune miteinander befreundet waren, war keine Alltäglichkeit und das trotz ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Kennengelernt hatten sich die beiden bei Rasburys erstem Undercover-Einsatz. John war schon einige Jahre beim Nachtdienst gewesen, aber er hatte bis dahin nur einfache Aufklärungsmissionen übernommen. Diesmal war es jedoch anders. John sollte sich in eine Piratenbande einschleusen. Sich eine falsche Identität zuzulegen, fiel ihm nicht schwer, und natürlich unterstützte der Nachtdienst ihn tatkräftig. Allerdings war es eine kleine Herausforderung, in der Unterwelt herauszufinden, welche Gruppe hinter den regelmäßigen Überfällen auf die Kemet-Straße, eine wichtige Handelsroute des Imperiums, steckte.

Am schwierigsten gestaltete es sich jedoch, der Piratenmannschaft beizutreten. Yamato war damals der Erste Offizier auf der „Blutsauger“, dem Schiff der Piratenbande. Der Kitsune hatte John, trotz der Bedenken des Kapitäns, als Schiffsjunge angeheuert. Ohne Yamatos Eingreifen wäre die Mission vermutlich gescheitert und John hätte nie wieder eine Chance zu solch einer Mission bekommen.

Als der Geheimagent diese Hürde überwunden hatte und in das Piratenschiff aufgenommen worden war, war er auf sich allein gestellt. Weder der Nachtdienst noch sonst eine atlantische Behörde konnten ihm nun helfen. Ganze drei Monate war er auf der „Blutsauger“, die irgendwo durch die Galaxie trieb. Es gab keine Möglichkeit, mit seinen Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen.

Piratenschiffe waren meistens einsame, abgeschlossene kleine Welten. Wenn die Sternenräuber keine Versorgungsstationen oder Verstecke hatten, wo sie ihre Vorräte auffüllen konnten, wurde alles Lebensnotwendige an Bord erzeugt. Die „Blutsauger“ war so ein Selbstversorgerschiff. Dadurch besaß sie eine hohe Flexibilität, die ihre Angriffe so unbestimmbar machten. Doch alleine hätte sie niemals über ein ausreichendes Drohpotential verfügt, um große Handelsschiffe zu kapern. Deswegen schloss der Kapitän der „Blutsauger“ immer wieder lockere, kurzfristige Allianzen mit anderen Sternenräubern, wobei die „Blutsauger“ die Führungsrolle übernahm.

Der Piratenalltag war trist und brutal. Der Kapitän und sein Erster Offizier hatten mit den Dolor-Chips ein wichtiges Kontrollinstrument über die gesamte Mannschaft. Jeden Tag wurde jedem Sternenräuber durch dieses Implantat mindestens einmal ein schmerzhafter Schock verpasst, und sei es nur, um die Disziplin aufrechtzuerhalten. Harte, eintönige Arbeit bestimmte die Tage an Bord. Die wenigen Überfälle waren eine erfreuliche Ausnahme vom Arbeitsalltag, weshalb die gesamte Piratencrew ihnen entgegenfieberte.

Während seiner Zeit auf dem Piratenschiff war John der persönliche Untergebene von Yamato. Dieser pflanzte ihm keinen Dolor-Chip ein, denn er hatte auch so immer ein Auge auf ihn. In der langweiligen Abgeschiedenheit von jeglicher Zivilisation entstand so ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden.

Bei einem dieser Überfälle, für den die „Blutsauger“ mit drei weiteren Piratenschiffen zusammenarbeitete, gelang es John, sich Zugang zur Kajüte von Yamato zu verschaffen und von dort ein Funksignal an die imperiale Flotte zu senden. Als persönlicher Handlanger des Ersten Offiziers war es für ihn nicht schwer, sich unauffällig in dessen Kabine zu begeben. Noch während das atlantische Handelsschiff gekapert wurde, überraschte der eintreffende Flottenverband die unvorbereiteten Sternenräuber. Kaum einer konnte entkommen. Wer nicht in dem nun einsetzenden Beschuss durch die imperialen Kriegsschiffe umkam, wurde als Gefangener in eine der entlegenen Gefängniskolonien verfrachtet. Einzig John und Yamato schafften es in jeweils eine Rettungskapsel – und mit Yamato der Piratenschatz. Erst Monate später fand der Geheimagent seinen ehemaligen Vorgesetzten nach langem Suchen auf Miris, wo er mit Hilfe der erbeuteten Talente sein eigenes Teehaus eröffnet hatte.

John jedenfalls hatte den Fuchs nie an die Behörden verraten, als Wiedergutmachung für seinen Verrat an ihm. Die Mission jedenfalls war ein voller Erfolg gewesen und die Piratenangriffe auf die Kemet-Straße hatten nahezu gänzlich aufgehört. John wurde damals endgültig in den Rang eines Schattenmanns erhoben.

Seitdem hatte John hin und wieder Yamato in Miris besucht. Dabei hatte jeder andere Gründe für die Kontaktpflege. Dem Schattenmann schien es ratsam außerhalb des Nachtdienst über verlässliche Freunde zu verfügen. Während für Yamato die Vorstellung, eines Kontaktmann beim Nachtdienst, reizvoll war. Die Zeit auf dem Piratenschiff hatte sie zwar zusammengebracht. Doch erst danach konnten sie, unabhängig ihrer Lebensweise, Freunde werden.

Der Nachmittag zog so dahin. Yamato wurde nicht müde Rasbury eine Geschichte nach der anderen zu erzählen. Der Tee in Johns Tasse war schon lange kalt. Trotzdem führte er sie immer wieder zu seinem Mund, um einen kleinen Schluck zu nehmen.

John gab sich Mühe, den Erzählungen von Yamato weiter zu folgen, doch in Gedanken war er schon auf dem Weg zu Arnulf.

„Kennst du das, John?“, fragte Yamato.

„Hm?“

Aus seinen Überlegungen gerissen, schaute John den Fuchs fragend an.

„Ich fragte, ob du auch schon das Gefühl hattest, du wärst die einzige vernünftige Person in der Galaxie“, wiederholte Yamato seine Frage.

„Äh, ja. Manchmal“, antwortete John knapp und versank sogleich wieder ins Grübeln.

„Du wirkst etwas unkonzentriert. Geht dir etwas durch den Kopf?“

„Ach, nur unbedeutende Kleinigkeiten“, winkte Rasbury ab.

„Willst du noch etwas Tee?“, fragte Yamato. „Der in deiner Tasse ist doch schon ganz kalt.“

„Mach dir keine Umstände, ich werde jetzt sowieso aufbrechen.“

John stand auf und streckte seine Beine durch, die vom langen Knien eingeschlafen waren.

„Schon? Nun, dann will ich dich nicht aufhalten. Aber wenn du mich je wieder besuchen solltest, kündige dich bitte beim nächsten Mal vorher an.“

Draußen vor dem „Teekessel“ erhob Yamato seine rechte Hand zum Abschied. Der Abend brachte gerade eine frische Brise vom Meer mit sich, welche im Blätterdach des Hains ein sanftes Rauschen auslöste. Ohne große Worte trennten sie sich voneinander, weder John noch Yamato brauchten eine weitere Geste als Ausdruck ihrer Verbundenheit.

Auf seinem Weg zum Tempel schlenderte Rasbury durch die dämmrigen Gefilde des Hains. Mittlerweile hatte er wieder seine Tarnung als junger Ase aktiviert. Yamatos Vorsicht gemahnte ihn dazu. Sicher konnte er sich nie sein, darin musste er dem Kitsune Recht geben. Dem Nachtdienst war nämlich alles zuzutrauen und jede noch so unscheinbar wirkende Person konnte ein Schattenmann in Verkleidung sein.

Um das Waldstück fügten sich dicht an dicht allerlei Geschäfte, und neben dem „Teekessel“ besaß noch so manches andere Café am Waldrand eine breite Terrasse in den Hain hinein. Die hohen, breiten Stämme der Bäume wuchsen weit in den Himmel und überragten dabei die meisten Gebäude der Stadt. Fast alle Häuser in der näheren Umgebung lagen im Schatten der großen Gewächse. Gleich einem vielstimmigen Chor schallte das Gezwitscher der Vögel den Vorübergehenden nach und verkündete aus dem Innern des Hains eine andere Welt. Doch man musste sich hineinwagen, um diese zu entdecken. Einladend waren die Wege nicht, sie erinnerten mehr an ausgetretene Trampelpfade als an bewusst angelegte Steige. Und selbst die Gewissheit, dass sich im Herzen des Waldes ein Tempel befand, wo abgeschieden ein paar Druiden lebten, war keine große Ermutigung, den ersten Schritt ins Grüne zu wagen. Aber gerade wegen all dieser Umstände war der Hain ein idealer Ort für das Treffen mit Arnulf. Der Weg vor John war kaum noch zu erkennen. Schon zu lange lagen die Besuche von Erkenntnishungrigen zurück, so dass die Pflanzen die letzten Spuren eines Pfads bereits fast verdeckten.

Die Reisetasche geschultert drang er in die grüne Welt ein, die ihn sogleich von der lärmenden Stadt abschnitt. Schon nach wenigen Metern war nichts mehr von der pulsierenden Metropole zu hören. Verwundert drehte sich John noch einmal um, wie um sich zu vergewissern, dass er sich noch in Miris befand. Hell schien die Sonne bis zum Waldrand. Doch ihre Lichtstrahlen prallten an dem dichten Blattwerk ab, so dass sich ihr Licht vor dem Hain zu stauen schien. Jenseits der Bäume war nur gleißende Helle und John wandte sich geblendet ab, dem augenfreundlicheren Dämmerlicht des Waldes zu.

Nach einem leichten Drücken auf sein Armband erschien mit funkelnden Lichtern das Menüfeld seines Portabile. Eilig tippte der Geheimagent auf den holografischen Bildschirm, bis eine kleine Karte von Miris darauf zu sehen war. Eine weitere Eingabe, und ein roter Pfeil erschien vor ihm. Zufrieden folgte John der vorgegebenen Richtung und marschierte immer tiefer ins Dickicht.

Der Weg, der durch den Hain führte, war stellenweise nicht mehr vorhanden, und ohne seinen Portabile hätte sich Rasbury wahrscheinlich schon nach kurzer Zeit verlaufen. Ohne sich weiter nach dem Pfad umzusehen, folgte er dem vor ihm schwebenden Richtungspfeil, während er von herumstreunenden Tieren neugierig beäugt wurde. Vorbei ging es an hohen Bäumen und dichtem Gebüsch.

Hinter ihm war auf einmal das auffällige Knacken eines Astes zu hören, was John kurz aufhorchen ließ. Durch das grüne Dickicht konnte er nicht erkennen, ob ihm wirklich jemand gefolgt war. All die Zeit im Teehaus hatte ihn schon ganz paranoid werden lassen und so war er sich sicher, von einem Schattenmann verfolgt zu werden. Wenn er sich jedoch schnell in die Büsche schlug und dabei eine kleine Abkürzung nahm, würde der Verfolger wahrscheinlich seine Spur verlieren.

Nachdem er ein paar Haken geschlagen und hinter dem nächsten Baum eine scharfe Linkskurve in die Sträucher genommen hatte, tat sich plötzlich unter ihm der Boden auf.

John stürzte einen kleinen Abhang hinunter und landete hart auf dem graslosen Boden. Er stand auf und rieb sich die schmerzenden Gelenke, während er sich gegen das abfallende Geröll lehnte und leise den Wald und seinen Portabile verfluchte. Über ihm war nichts zu hören. Der Schattenmann war nur eine Einbildung gewesen, was ihn erleichtert aufatmen ließ.

Vor ihm rieselte ein Wasserfall von einem Felsen herab. Sein klares Wasser sammelte sich in einem kleinen Teich. Den Staub und Dreck aus seiner Kleidung klopfend, ging John darauf zu. Während er sich etwas Wasser ins Gesicht spritzte, bemerkte er, wie von den hohen Baumkronen sich ein kleiner Funkenregen löste. Still beobachtete John ihren schwebenden Fall, während dem sich die Lichter zu kleinen Kugeln verbanden, die kurz darauf leuchtend auf der Wasseroberfläche tanzten.

„Sidhe“, sagte Rasbury spöttisch und machte sich unbekümmert wieder auf den Weg.

Kichernd folgten ihm einige der schwebenden Kugeln und umschwirrten verspielt den einsamen Wanderer. Mit wedelnden Handbewegungen versuchte John, sich der funkelnden Plage zu entledigen, wobei er eine Lichtkugel mit der Rechten traf. Diese zersprang sofort in glitzernde Funken, begleitet von einem lauten Gekicher.

Rasbury beachtete die Sidhe nicht weiter und folgte dem roten Pfeil immer tiefer in den Hain hinein. Diesmal schaute er jedoch besser darauf, wohin er trat. Seinen Verfolger, eingebildet oder nicht, schien er jedenfalls losgeworden zu sein.

Auf seinem Weg durch den Wald hatte John für einen Moment lang tatsächlich den Grund seiner Reise vergessen. Unbewusst folgte er zwar noch dem Richtungspfeil, doch seine Gedanken widmeten sich eher den äußeren Eindrücken.

Auf seiner Wanderung durch die Flora sah er, wie rotbraune Holzhörnchen zwischen den Bäumen von Ast zu Ast sprangen und mit einem leisen Rascheln im Blätterdach verschwanden. Vielstimmige Rufe von Variavögeln hallten von den Bäumen, doch kein einziger von ihnen war mit seinem bunten Federkleid zu sehen. Seinen Kopf in die Höhe gereckt, suchte John die Baumkronen erfolglos nach den gefiederten Sängern ab. Dabei lief er in einen Busch, aus dem mit lautem Gezwitscher ein Schwarm Vögel hervorbrach und in Richtung der Baumwipfel verschwand.

Nur an wenigen Stellen drangen ein paar Sonnenstrahlen durch das dichte Geäst. Doch statt die Umgebung zu erhellen oder dem Hainbesucher Übersicht zu verschaffen, verstärkte das goldene Licht, um das sich tanzend einige Sidhe tummelten, die unwirkliche Atmosphäre.

Fest auf seinen Portabile vertrauend, ging John weiter geradeaus, bis er endlich auf einen frisch ausgetretenen Pfad stieß. Er folgte mit aufmerksamen Augen dem Waldweg, der ihn in ein dichtes Gebüsch führte. Vorsichtig drückte er die Zweige und Äste beiseite, als ihn eine tiefe, sonore Stimme innehalten ließ.

„Vorsichtig. Vorsichtig.“

Inmitten des Strauchs, zwischen Zweigen und Blättern, saß ein alter Druide, der mit einer goldenen Sichel behutsam ein paar Blumen abschnitt. Streng funkelten seine dunklen Augen unter den buschigen, weißen Brauen hervor.

„Wollen Sie zum Tempel?“, fragte er und strich sich durch seinen schneeweißen Bart.