Erinnerungen und Erfahrungen mit meinem wunderbaren Gott - Johannes Seitz - E-Book

Erinnerungen und Erfahrungen mit meinem wunderbaren Gott E-Book

Johannes Seitz

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Beschreibung

Der Bauernjunge aus dem Schwarzwald wurde eine der prägenden Gestalten der Erweckungsbewegung zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Johannes Seitz gründete die Karmelmission und der Württembergische Brüderbund geht auf seine evangelistische Arbeit zurück. In der spannenden Autobiographie berichtet er von Gottes Wirken in der Erweckungszeit, von Gebetserfahrungen, von Heilungen und Befreiungen aus okkulten Bindungen, die er in seinen Gästehäusern erlebt hat. Seine Erfahrungen mit verschiedenen religiösen Irrwegen sind für unsere Zeit mit all ihren geistlichen Strömungen und aller Beliebigkeit nach wie vor wegweisend und erstaunlich aktuell.

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Johannes Seitz

Erinnerungen und Erfahrungen

mit meinem wunderbaren Gott

Überarbeitete Neuauflage

Verlag Linea Bad Wildbad 2023

© 2023 Verlag Linea, Bad WildbadE-Book-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-939075-76-9

Weise mir,Herr, Deinen Weg, dass ich wandle in Deiner Wahrheit, erhalte mein Herz bei dem einen, dass ich Deinen Namen fürchte. (Psalm 86, 11)

Inhalt

Vorwort

Erster Teil – Erinnerungen

Mein Elternhaus und die Möttlinger Bewegung

Meine Großmutter

Mein Vater

Wunderbare Erfahrungen im Elternhaus

Kämpfe mit dem bösen Herzen

Die Entscheidung

Die Berufung zum Dienst

Meine Versetzung nach Stuttgart

Innere Kämpfe und Siege

Die Tempelgesellschaft

Meine erste Palästinareise

Wieder in Deutschland

Der Evangelische Reichsbrüderbund

Die Karmelmission

Die Entstehung unserer Erholungsheime

Meine Frau

Zweiter Teil – Erfahrungen

Erste Glaubenserfahrungen bei Krankheiten

Segen und Notwendigkeit anhaltenden Gebets

Stockmayers Lehren, eine Quelle der Freude und Kraft

Das Gebet des Glaubens für die Kranken

Ein kurzes Wort über Nervenkrankheiten

Dritter Teil – Anhang

Die Bekehrung des Gastwirts von Bühlertann

Von der rechten Benutzung gottgesandter Gelegenheiten

Rechte Buße und rechter Glaube

Segen der Verkündigung des vollen Evangeliums

Über Krankenheilungen

Über die Entstehung der vielen Erholungshäuser

Eine große Gefahr bei Erweckungen

Vom Wachstum in der Gnade

Nachwort zur dritten Auflage 1922

Vorwort

Vor 101 Jahren – am 4. Juli 1922 – war das ereignisreiche Leben dieses Mannes, den heute fast niemand mehr kennt, mit 83 Jahren an sein Ziel gekommen.

Johannes Seitz wurde am 6. Februar 1839 in dem Schwarzwalddörfchen Neuweiler geboren, das damals um die 500 Einwohner zählte.

Als ältester Sohn eines Bauern hätte er wie damals üblich den Hof übernehmen sollen – sein Weg schien vorgezeichnet. So hätte er wohl sein ganzes Leben an diesem idyllischen Fleckchen Erde zwischen grünen Wiesen und Schwarzwaldtannen verbracht. Und bestimmt hätte er es auch als Bauer zu etwas gebracht und wäre zu einem einflussreichen Mann im Dorf und in der näheren Umgebung geworden. Aber es kam ganz anders und sein Weg führte ihn durchs ganze Land, nach Palästina und schließlich nach Sachsen, Ostpreußen und Thüringen.

Der bekannte Evangelist Ernst Modersohn schrieb über ihn: “Unter den vielen Menschen, durch die Gott mich segnete, ragt eine hohe Gestalt empor, eine apostolische Persönlichkeit, der langjährige Hausvater des Erholungsheims in Teichwolframsdorf, Johannes Seitz.”

Eine “apostolische Persönlichkeit”, ja eine solche hatte Johannes Seitz in seiner Jugendzeit in Möttlingen in Pfarrer Blumhardt erlebt. Der hatte seine Familie und Jugendzeit geprägt – und danach hat sich auch Johannes Seitz zeit seines Lebens ausgestreckt. Er wollte auch ein solches Leben in der Gegenwart Gottes führen. Er wollte wie Blumhardt Gott dienen und großes von seinem Gott erwarten. Und offensichtlich ist er dabei selbst auch ein solch apostolischer Mensch geworden.

Man kann nur staunen, wenn man seine Lebensgeschichte liest, was er mit Gott erlebt hat – und was Gott durch ihn gewirkt hat. So ist er dann später in Ostdeutschland ein Bahnbrecher der Evangelisation geworden, wie Elias Schrenk im Westen.

Mit der Gründung des “Reichsbrüderbundes”, einem Gemeinschaftsverband, an der er maßgeblich beteiligt war, wurden die zum Glauben gekommenen gesammelt und dauerhaft begleitet. Dieser Verband hat Evangelisten angestellt und die Arbeit im Osten Deutschlands und in Württemberg ausgeweitet. Auch in unserem Teil-Ort von Bad Wildbad waren von 1910 bis 1930 Evangelisten des Reichsbrüderbundes stationiert und haben eine segensreiche Arbeit getan. In Württemberg besteht noch heute der “Württembergische Christusbund e.V.”, der auf den Reichsbrüderbund zurückgeht und derzeit Gemeinschaften an über 40 Orten umfasst.

Ein weiteres Werk, das heute noch besteht und auf Johannes Seitz und Martin Blaich zurückgeht ist die Evangelische Karmelmission. Von den wundersamen Anfängen dieser Missionsarbeit in Palästina berichtet Johannes Seitz in diesem Buch. Seither ist sicher noch vieles geschehen, worüber man staunen könnte. Heute arbeiten in über 20 islamischen Ländern mehr als 200 einheimische Mitarbeiter für die Evangelische Karmelmission.

Später, als Johannes Seitz mit etwa 50 Jahren sein erstes Erholungs- und Seelsorgeheim in Preußisch-Bahnau gründete, hatte er wieder Blumhardt und Bad Boll vor Augen – und wollte auch im Osten Deutschlands die Möglichkeit eines solchen Ortes der Seelsorge und des Gebets schaffen. Weitere solche Seelsorgehäuser entstanden in Limbach (Sachsen) und schließlich in Teichwolframsdorf (Thüringen), da immer mehr Platz nötig wurde. Hier hat der Glaube offenbar großes von Gott erwartet und wunderbare Gebetserhörungen erlebt.

Eine apostolische Persönlichkeit – bei aller Schlichtheit und Nüchternheit. Es ging Johannes Seitz nie darum, groß zu werden und in irgendeiner Form Macht zu haben. Er war ein Diener, der seinem Gott dienen wollte. Er war ein Beter, der alles von seinem Herrn erwartete. Er war ein Bruder unter Brüdern, nicht der Leiter, der nach eigenem Ermessen bestimmen wollte.

Und er war einer, der damit gerungen hat, den richtigen Weg – Gottes Weg – zu gehen. So musste er auch erkennen, dass er auf Irrwegen war und andere Wege einschlagen. Dies bewog ihn, als ihm klar wurde, dass die “Tempelgesellschaft” eine nicht mehr tragbare Entwicklung nahm, diese zu verlassen. Und das obwohl er als einer der künftigen Leiter für die “Tempelgesellschaft” vorgesehen war. Zusammen mit Martin Blaich, der ihn in die Tempelgesellschaft gerufen hatte, trennte er sich nach etwa 15 Jahren von ihr. Später als die Vorgänge um die Pfingstbewegung die Gemeinschaftsarbeit in Deutschland erschütterten, erkannte er einen Irrweg und wurde zu einem Mahner gegen die Unnüchternheit, Schwärmerei, geistliche Anmaßung und Überheblichkeit.

Seine Erfahrungen mit verschiedenen religiösen Irrwegen sind für unsere Zeit mit all ihren geistlichen Strömungen und aller Beliebigkeit nach wie vor wegweisend und erstaunlich aktuell.

Die “Erinnerungen und Erfahrungen” veröffentlichte Johannes Seitz 1919, als er mit 80 Jahren auf ein langes Leben im Dienst seines Gottes zurückblicken konnte. Die dritte erweiterte Auflage war kurz vor seinem Tod im Juni 1922 fertig.

Diese dritte Auflage legen wir nun in sprachlich leicht überarbeiteter Form neu auf und hoffen, dass auch unsere Zeit von dieser apostolischen und doch schlichten Persönlichkeit lernen kann und gesegnet wird.

Im Herbst 2023, Verlag Linea

Erster Teil – Erinnerungen

Mein Elternhaus und die Möttlinger Bewegung

In Neuweiler, einem der Dörfer des nördlichen Schwarzwaldes, etwa 20 km südöstlich von dem bekannten Bad Wildbad, wurde ich am 7. Februar 1839 geboren. Meine frühesten Erinnerungen reichen bis in die ersten Tage meiner Schulzeit zurück. Damals herrschte noch, sowohl im Haus meiner Eltern, als auch im ganzen Dorf, tiefe Finsternis und Todesnacht. Ich erinnere mich, welchen Eindruck es auf mein kindliches Gemüt gemacht hat, als ich einige Monate lang die Schule besucht hatte und der Lehrer uns sehr ernst über die schwere Sünde des Fluchens aufklärte. Da kam eine so große Angst über mich um meine Eltern, die ich doch sehr liebte, dass ich in der Angst auf die Schulbank hinaufsprang und laut in das Klassenzimmer hineinschrie: „Herr Schulmeister, wie geht es dann meinem Vater und meiner Mutter? Die haben ja auch schon geflucht.” Die ganze Klasse brach in lautes Gelächter über meine Einfalt aus. Meine Mutter schalt mich, dass ich meine Eltern so bloßgestellt hatte.

Wie man mir später von vielen Seiten erzählte, war fast das ganze Dorf, besonders durch das Wirtshausleben und den Alkohol, wirtschaftlich heruntergekommen und ein Teil der Familien verarmt. Der Ortsgeistliche selbst war ein Trinker. Ebenso die meisten Vorstände des Dorfes. Aber nur noch wenige Jahre sollte es in diesem traurigen Zustand weitergehen. Dann nämlich kamen die Liebe und das Erbarmen Gottes mit einer großen Gnadenheimsuchung über den ganzen Ort. Auch über mein Elternhaus. Dieses große Kommen der göttlichen Gnade erfüllt mich noch heute, sooft ich mich an diese Zeit erinnere, mit tiefster Bewegung und Anbetung. Die Veränderung ging von Pfarrer Blumhardt in Möttlingen aus. Vater und Mutter und alle meine acht Geschwister wurden von dem Feuer, das Gott angezündet hatte, ergriffen und alle wurden für den Herrn gewonnen. Sowohl über dem Dorf als über meinem Elternhaus erfüllte sich das Wort der Schrift: „Gott sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten” (2. Korinther 4, 6). Unser Haus wurde eine Zeit lang ein Feuerherd geistlichen Lebens. Es entstand bei uns eine Versammlung oder Gemeinschaft von Gotteskindern. Diese hat sich – dem Herrn sei Dank! – viele Jahrzehnte, wenn auch durch mancherlei Krisen und Veränderungen erhalten. Die Bewegung hat später auch verschiedene andere Häuser ergriffen. Wie groß der Umschwung war, kann vielleicht eine Begegnung etwas beleuchten, die ich einmal im Eisenbahnwagen mit einem Lehrer hatte. Damals war ich schon mehrere Jahre als Evangelist in Württemberg hin und her auf Reisen. Dieser alte Lehrer fragte mich: „Sagen sie mir nur eins: Wie ist diese große, wunderbare Veränderung in ihrem Dorf zustande gekommen? Ich wurde, als ich aus dem Seminar entlassen wurde, als Hilfslehrer in ihrem Dorf angestellt. Dort waren so traurige Zustände, dass sie sich kaum beschreiben lassen. Es war auch niemand im Dorf, der Leid darüber getragen hätte, außer einem alten Bauern namens Kraft. Der jammerte ganz verzweifelt. Der sagte zu mir: ‚Oh, Herr Provisor, alles böse, alles böse, und Sie sind auch so geworden seit Sie hier sind.’ Und ich konnte es nicht leugnen, auch ich wurde von dem Geist, der das ganze Dorf beherrschte, fortgerissen.” – Und nun sollte ich ihm doch sagen, wie es gekommen ist, dass dieses Dorf ein solcher Feuerherd Gottes geworden ist, von dem man so viel Herrliches hört. Das durfte ich nun diesem alten Lehrer erzählen und will es zur Ehre Gottes auch hier in aller Kürze wiedergeben.

Das Werkzeug, durch welches das alles zustande kam, war der schon zu jener Zeit weitberühmte Pfarrer Blumhardt, damals noch Pfarrer in Möttlingen. Obwohl unser Dorf Neuweiler fünf Stunden Fußweg von Möttlingen entfernt liegt, übte alles, was durch diesen Mann in Möttlingen geschah, bald auch seine Segenswirkung auf unser Dorf und auf viele andere Dörfer des Schwarzwaldes aus. Es geschahen wunderbare Gottestaten an Kranken, Besessenen, Geistesgestörten aller Art und an Erweckung geistlich toter Sünder durch die machtvollen Predigten dieses Mannes. Eine Zeit lang kamen fast jeden Sonntag ganze Scharen auch aus meinem Geburtsort nach Möttlingen. Und fast alle, die dorthin pilgerten, wurden durch das, was sie dort sahen, und durch die geistesgewaltigen und geistesmächtigen Predigten, die sie dort hörten, so ergriffen und umgewandelt, dass sie als andere, als ganz veränderte, neue Menschen in ihre Dörfer und Häuser zurückkehrten. Es war zuerst nur Neugierde, die auch meinen Vater bewog, sich in aller Stille, so geheim wie nur möglich, hinzuschleichen. Dazu wurde er durch eine wunderbare Heilung bewogen, die an einer Gastwirtin unseres Dorfes geschehen war, in deren Gastwirtschaft mein Vater hin und wieder einkehrte. Diese Gastwirtin, Frau Veil, wurde durch Pfarrer Blumhardt von einem unheilbaren Gesichtskrebs völlig geheilt. Sie kam als ein ganz anderer Mensch mit einem neuen Leben und Sinn nach Hause. Ihr Mann, der geisteskrank war, wurde infolge davon auch zu Pfarrer Blumhardt nach Möttlingen gebracht. Auch er kam von seiner Geisteskrankheit völlig geheilt zurück. Das war für meinen Vater so wunderbar, dass er diesen Wundermann doch auch einmal sehen und hören wollte. Mein Vater war berüchtigt als ein rechter Witzbold und Spötter. Aber schon durch die erste Predigt, die er von Pfarrer Blumhardt hörte, wurde er so zerschmettert und zermalmt und in eine so gründliche Buße und Beugung geführt, dass er nun auch meiner Mutter und uns, seinen Kindern, mit großem Ernst und mit Inbrunst erklärte: „Wir alle sind auf dem Weg zur Hölle. Wir alle müssen Buße tun, alles muss anders werden, wenn wir nicht alle miteinander in die Hölle fahren, sondern in den Himmel kommen wollen.” Meine Mutter meinte zuerst, mein Vater sei verrückt geworden, was sich auch weiterverbreitete. Aber bald wurden auch meine Mutter und wir Kinder alle von dem Geist, den heißen Gebeten und dem neuen Leben meines Vaters so ergriffen und mitgerissen, dass wir alle den Weg einschlugen, den unser Vater vorausgegangen war. Wir gingen, wenigstens wir älteren Geschwister, auch mit dem Vater nach Möttlingen und ebenso unsere liebe Mutter. Dadurch wurde unser Haus so umgewandelt, dass es eine Zeit lang eine Hütte Gottes wurde.

Was in Möttlingen im Großen geschah, das geschah nun im Kleinen in meinem Elternhaus und in der vorher erwähnten Gemeinschaft, die sich in unserem Haus gebildet hatte. Mein Vater wurde ein mächtiger Glaubensmann durch dessen Glauben und Gebete in jener Zeit Dinge an verschiedenen Kranken geschehen sind, die mitunter fast an Wunder grenzten. Man hatte sowohl im Elternhaus als auch in der Gemeinschaft ein solch kindliches Glaubens- und Gebetsleben gewonnen, dass dem einfältigen Glaubensgebet nichts mehr unmöglich erschien. Man durfte damals etwas davon sehen und erfahren: „Ehe sie rufen, will ich antworten, und wenn sie noch reden, will ich hören” (Jesaja 65, 24).

Es war eine herrliche Wunderzeit, in welcher ich meine frühe Jugend verbringen durfte. Außer Pfarrer Blumhardt übte in etwas späterer Zeit auch noch die Jungfrau Trudel, ähnlich wie Pfarrer Blumhardt, bis zu ihrem Tod einen tief gehenden Einfluss auf meine Heimat aus. Ich hörte wie ein Gottesknecht unserer Tage von ihr bezeugte, dass von den Kindern und Knechten Gottes unserer Zeit niemand so tief in das apostolische Geistesleben eingedrungen sei wie sie. Sie hatte die Feindesliebe in hohem Grad. Auch eine solche Glaubens- und Gebetskraft, bei Kranken, Gebundenen, Geisteskranken und Besessenen aller Art, dass in der kurzen Zeit ihrer Wirksamkeit über vierzigtausend Kranke und Besessene zu ihr kamen und viele von ihnen Hilfe und Befreiung fanden. Es sei hier nur ein Fall aus meinem Heimatdorf erwähnt, der mir besonders nahe ging, weil er einen meiner Schulkameraden betrifft. Dieser, namens Keller, war ein hochbegabter Mensch, aber bis zu seiner Militärzeit ein wilder, ausgelassener Weltmensch. Da bekam er Krebs an den Lippen. In solchen Lagen eilten die Leute zu der Jungfrau Trudel, um Heilung zu finden – so auch dieser Jüngling. Er hat mir später selbst erzählt, wie erstaunt man in unserem Dorf darüber war und wie die Leute sagten: „Was will dieses leichtsinnige Lumpenmännle bei der heiligen Trudel? Da muss man sich ja bekehren, aber der bekehrt sich doch nicht.” Er war kaum einige Wochen dort, da schrieb er an seine Mutter einen Brief voll glühender Heilandsliebe. Nach einiger Zeit kam er als ein ganz neuer Mensch und auch von seinem Krebs geheilt in unser Dorf zurück. Wenig später waren wir zusammen in einer Missionsschule, um uns zum Dienst als Arbeiter an Gottes Reich vorzubereiten. Er half später, am Fuß des Karmels die deutsche Kolonie Haifa zu gründen und war jahrelang als deutscher Konsul dort tätig. Wie ich dort mit ihm zusammenkam und wie ihn Gott benutzte, die Karmelmission mitbegründen zu helfen, will ich in einem späteren Abschnitt erzählen.

Meine Großmutter

Ich fürchte, etwas zu versäumen, wenn ich nicht einiges nachhole, was meine Großmutter betrifft. Wir Kinder und auch andere waren davon überzeugt, dass sie den ersten Grund zur Bekehrung meiner Eltern und der ganzen Familie gelegt hat.

Sie war in der Zeit, in welcher es im Ort so traurig aussah, bereits gründlich bekehrt worden. Dies war ohne Einwirkung von Menschen geschehen – nur durch schwere Schickungen und Ereignisse, durch welche Gott sie niedergeworfen und zu sich gezogen hatte. Vor ihrer Bekehrung war sie eine recht stolze Bäuerin gewesen. Zwei Hauptsünden hatten sie gebunden gehalten: Stolz und Zorn. Aber Gott hatte sie in eine harte Schule genommen. Diese in Einzelheiten zu schildern würde zu weit führen. Durch diese göttlichen Schickungen wurde sie in eine Geistestiefe und in ein verborgenes Leben sowie in einen innigen Umgang mit Gott gebracht. In diesem blieb sie bis zum Ende ihres Lebens. Niemand ihrer Verwandten und Kinder konnte sie damals verstehen – denn alle waren noch ganz versunken in das weltliche Treiben, welches das ganze Dorf beherrschte.

Die letzten Jahre ihres Lebens wurde es für ihre Umgebung auffallend, dass sie eine ganz unbegreifliche Freude und Heiterkeit bewies. Wenn man sie fragte, woher dies komme, gab sie zur Antwort: „Ach, wenn ihr nur wüsstet, wie glücklich der Mensch ist, welcher glauben kann!” Sehr oft hörte man sie in den verschiedensten Winkeln des Hauses laut beten. Hinter ihrem Haus war ein Baum. Um diesen Baum hatte sie ein dichtes Gebüsch gepflanzt. Dort betete sie auch viel bei Nacht. Mehrere Male hatte sie zu meiner Mutter gesagt: „So gewiss ein bestimmtes Zeichen, das mir Gott unter diesem Baum gegeben hat, eintreten wird, so gewiss wird das, was ich unter ihm erfleht und Gott abgerungen habe, seine Erhörung finden. Und es wird noch einmal ein Segen von meinen Kindern und Kindeskindern ausgehen.” Sie war vollkommen freudig und gewiss, dass ihre Kinder sich bekehren würden, die damals doch noch ganz in die Welt versunken waren.

Alles dieses hat sich genau erfüllt. Aber sehen durfte die Beterin selbst nichts davon. Dennoch ist sie in der freudigen Gewissheit gestorben, dass ihre Kinder und Kindeskinder sich noch bekehren würden. Ihr letztes Wort war die Frage an die Umstehenden: „Seht ihr diese Krone da?” Und weil niemand die Krone sah, fuhr sie fort: „Ihr werdet sie nicht sehen, aber ich kann sie gleich anfassen.”

Merkwürdig war uns Kindern, was unsere Mutter oft von dem Sterben der Großmutter erzählte. Sie wurde an der Kirchweih begraben. In Württemberg werden für eine solche Kirchweih eine Woche lang Vorbereitungen zum Essen und Schmausen getroffen. Für jene Kirchweih jedoch ließ die damals noch völlig gesunde Großmutter nichts dergleichen vorbereiten. Stattdessen ordnete sie an, dass für ihre Kinder auf diese Kirchweih schwarze Kleider angefertigt würden. Über beides waren die Kinder fast außer sich und befragten sie darüber. Darauf gab sie kurz und bestimmt die Erklärung ab: sie feiere diesmal Kirchweih an einem anderen Ort – denn an der Kirchweih werde man sie begraben. Deshalb brauchten ihre Kinder schwarze Kleider. Und wenn sie gestorben sei, würde das Haus verbrennen. Sie habe gesehen, dass man mit weißen Feuereimern laufe, und ein schneeweißer Feuereimer sei vor ihr zu Boden gefallen.

Beides hat sich dann genau erfüllt. An der Kirchweih hat man sie begraben. Und das große Haus, welches zwei Familien in sich fasste, ist noch im gleichen Jahr abgebrannt. Wir Kinder aber lernten den Plan Gottes bewundern: denn dieser Brand wurde der Anfang für die Erhörung der Gebete der Heimgegangenen. Durch diesen Brand trennte Gott die beiden Familien, welche in dem Haus gewohnt hatten. Und das war wohl notwendig. Denn die andere Familie hätte dem Werk im Weg gestanden, welches Gott mit den Nachkommen der Großmutter im neuen Haus vorhatte.

So musste nun jede der beiden Familien ein neues Haus bauen. Und in dem neuen Haus, das dann auf meine Mutter überging, entstand der Feuerherd, von welchem aus Gott meine Eltern und uns acht Kinder sowie viele Leute im Dorf bekehrte.

Mein Vater

Das Werkzeug, durch welches unser ganzes Haus zu Gott gezogen wurde, war mein Vater. Die Art und Weise, wie mein Vater nach Neuweiler kam und bekehrt wurde, wirkte auf uns Kinder immer sehr wunderbar.

Meine Mutter erzählte, dass die Wirkung der Gebete ihrer Mutter erst als sie heiraten und das Gut übernehmen sollte sichtbar und spürbar wurde. Und zwar zunächst in der Weise, dass jedes Mal eine unbegreifliche Angst über sie kam, sooft sie einem Mann näher kam. Sie konnte sich nicht erklären woher diese Angst kam. Aber eben infolge dieser Angst habe sie, nachdem sie einen Mann abgewiesen hatte, in der folgenden Nacht zum ersten Mal auf den Knien gelegen und beten müssen. Sie bat, Gott möge sie doch bewahren, dass sie nicht die Frau eines Mannes werde, mit dem sie zur Hölle fahre, sondern Gott möge ihr einen Mann schicken, mit dem sie in den Himmel komme.

Gott hat das Gebet erhört. Aber auf einem Weg, dass sich erfüllt hat, was Oetinger einmal sagt: „Gott führt oft auf Wegen, die uns Menschen lächerlich erscheinen, seine wunderbarsten Absichten durch.”

Es war zu der Zeit, als sie den erwähnten Mann abgewiesen hatte, als unser Haus an der Reihe war, dem Gemeindehirten die täglichen Mahlzeiten zu geben. Dieser lachte, als er hörte, dass auch dieser Freier wieder abgewiesen sei und sagte zu meiner Mutter im Scherz: „Ich weiß schon, was ihr für einen wollt: Es soll ein schöner Mensch sein, ein recht schneidiger, der auch Soldat gewesen ist, es soll aber auch ein rechter Feger und ein Geldstengel1 sein. So einen hättet ihr gern.” Meine Mutter gab lachend zurück: „Da habt ihr ganz recht, wenn er nicht so ist, darf er nicht herkommen.” „So einen weiß ich”, sagte der Hirt, „wenn wir den herbringen könnten! Das ist einer, ein schöner Mensch und schneidig, auch Soldat gewesen, oh, das ist ein Feger und ein Geldstengel ist er auch.” Die Mutter ging auf den Scherz ein. „Ja, ja”, sagte sie, „da seht nur zu, dass ihr den herschafft, das wäre der Rechte.” Auf diese scherzhafte Unterredung hin ging der Hirte aber einmal nach Fünfbronn, dem Dorf meines Vaters, und wusste meinen Vater zu beschwatzen, einmal bei den Eltern meiner Mutter vorzusprechen. So wurde der Hirt, ohne es zu ahnen, von Gott indirekt als Werkzeug benutzt, diese Ehe, die so segensreich für uns Kinder und die Umgebung werden sollte, zustande zu bringen.

Mein Vater war eine äußerst begabte, originelle und kraftvolle Natur. Aber in seiner Jugendzeit voll verrückter Witze und Jugendstreiche. Aus seiner Jugendzeit hörte ich in seinem Geburtsdorf immer nur von verrückten Streichen und Ausgelassenheiten erzählen. Im Haus meiner Mutter fühlte er sich bis zu seiner späteren Bekehrung aber dann unglücklich. Die Verhältnisse waren ihm doch zu armselig – so hatte er sich alles nicht vorgestellt. Nach seiner Bekehrung aber erwies er sich als das Werkzeug, durch welches die Gebete der Großmutter erhört wurden. Seine natürlichen Gaben wurden nun geheiligt, sodass die ganze Familie, Mutter und Kinder, und ein schöner Teil des Dorfes durch ihn für den Herrn gewonnen wurden. Durch ihn wurden wir auch aus den dürftigen wirtschaftlichen Verhältnissen herausgezogen. Durch seinen kindlich starken Glauben wurden wir in einer Inflation vor dem Bankrott bewahrt, was ich an anderer Stelle noch ausführlicher erzählen will.

Ein Beispiel seines kindlichen Glaubens soll noch besonders erzählt werden. Es war während der Heuernte. Meine Mutter wollte nicht nach Hause gehen und das Abendbrot vorbereiten, obwohl es schon sehr spät am Abend geworden war. Mein Vater fragte: „Warum gehst du nicht nach Hause?” Da fing sie an zu weinen und sagte: „Lieber Mann, es ist gar nichts mehr im Haus: Kein Brot, kein Mehl, kein Schmalz und kein Salz. Ich kann kein Abendbrot machen.” Da hat mein Vater sie in aller Liebe über ihren Unglauben gescholten. Er sagte: „Du machst mir solche Angst, dass es mit uns noch geht wie mit den Kindern Israel in der Wüste. Gott ließ sie kein einziges Mal stecken, sondern vollbrachte Wunder über Wunder an ihnen. Und dennoch fielen sie bei jeder neuen Glaubensprobe wieder durch.” Mein Vater zählte nun der Mutter eine ganze Reihe wunderbarer Durchhilfen auf, die Gott in den letzten Jahren an uns bewiesen hatte. Und sagte: „Gott hat nach solchen Wundern wohl das Recht, uns auch einmal vor eine solche Glaubensprobe zu stellen. Es ist nur eine Glaubensprobe. Wollen wir es auch machen wie die Kinder Israel und verzweifeln? Jetzt geh nur heim und beuge dich über dein Weinen und mache es gut, indem du jetzt felsenfest glaubst, dass wenn du heimkommst, etwas im Haus sein wird!” Da wurde das Gesicht der Mutter heiter. Sie fing an freudig zu lachen und erwiderte: „Ja, ja, du hast recht. Ich glaube”, und ging fröhlich und getrost nach Hause. Als sie heimkam lagen ungefähr fünfundneunzig Mark auf dem Tisch und ein Zettel dabei: „Von einem Ungenannten, der den unwiderstehlichen Antrieb hatte, das Geld herzutragen.” Dazu die Bibelsprüche: „Gott hat noch nicht lassen die Nachkommen der Gerechten um Brot betteln;” (Psalm 37, 25) und: „Ihr sollt Brot die Fülle haben” (3. Mose 26, 5).

Wunderbare Erfahrungen im Elternhaus

Es konnte nicht anders sein, als dass eine solche Fülle der vielfältigsten Offenbarungen Gottes, an Gebetserhörungen und Gebetssiegen der Einzelnen und der Gemeinschaft einen unauslöschlichen Eindruck auf mein jugendliches Gemüt machten. Auch die Predigtweise des Pfarrers Blumhardt ist mir unvergesslich geblieben. Besonders, wenn es wie ein Alarmruf von seiner Kanzel erscholl, indem er alles aufforderte zum Gebet und Flehen, dass wir wieder apostolische Zeiten bekämen und apostolisches Leben und apostolische Geisteskräfte und Taten. Und wenn man immer wieder sehen durfte, dass Gott darauf antwortete. Wenn Pfarrer Zündel in der Lebensbeschreibung von Pfarrer Blumhardt erzählt, man habe sich eine Zeit lang in eine fast apostolische Wunderzeit versetzt gesehen, so können wir, die wir Augenzeugen von dem allen waren, das nur bestätigen. Das ist mir heute noch aus jener Zeit so wunderbar, dass einem Christus so groß, so herrlich, so gewaltig erschien, dass man es fast für kein Wunder mehr ansah, wenn so Gewaltiges geschah. Denn man konnte von diesem großen Jesus nichts anderes erwarten.

Es brach sich der kindliche Glaube in den Gemütern Bahn, dass man auf einfältig gläubiges Gebet hin beim Heiland alles haben könne. Durch diesen Geist wurden aber auch die Gewissen so aufgeweckt und geschärft, dass einem die Sünde wirklich zur Sünde wurde. Wenn einem Menschen die Sünde in ihrer ganzen Abscheulichkeit vorgehalten wurde, so trat demselben zugleich der große Heiland vor die Seele, der alle Sünde vergibt und wirklich von der Sünde befreit. Man konnte fast nach allen Seiten hin wieder den Sieg Jesu sehen und sich an seinen Siegen freuen.

Unter solchen wunderbaren Durchhilfen und Gebetserhörungen, die in meinem Elternhaus geschehen sind, möchte ich noch eine hervorheben. Obwohl ich einige Bedenken zu überwinden habe, gerade diese zu veröffentlichen, möchte ich es doch tun, weil sie einen überwältigenden Eindruck auf mich und alle meine Geschwister gemacht hat. Sie trug dazu bei, dass ich mich schon damals ganz für Gott entscheiden wollte. Es ist die schon oben angedeutete wunderbare Bewahrung vor einem drohenden Bankrott.

In meinem fünfzehnten Lebensjahr starb meine Mutter. Wie es in solchen Fällen geht, wurde Inventur aufgenommen. Dabei wollte man auf eine menschliche Art meinem Vater helfen von seinen Schulden wegzukommen, indem man alles unter dem wirklichen Wert schätzte. So sollte eine Überschuldung herauskommen. Die Schulden sollten durch einen Bankrott erleichtert werden. Als mein Vater dieses windige Vorgehen durchschaute, lehnte er diese Art von Hilfe mit aller Entschiedenheit ab. Er nahm seine alte Zuflucht zum Gebet des Glaubens und rang mit Gott und sprach: „O Gott, ich vertraue dir. Du kannst verhüten, dass es zum Bankrott kommt!” Gott hat ihn auch in diesem Stück Erhörung finden lassen. Der Gläubiger nahm Haus und Hof an sich, ließ uns aber in der freundlichsten Weise darauf wohnen. Es war ein Hofbeamter in Stuttgart. Nun begab es sich aber, dass dessen Frau starb, und dass er sich infolgedessen veranlasst sah, alle seine Güter und Gelder in die Verwaltung eines Staatsbeamten zu geben, dessen Bruder ein württembergischer Staatsminister war. Wir hatten zu jener bestimmten Zeit eine bange Ahnung, die wir uns nicht erklären konnten. Und mein Vater sah sich zu dem Gebet getrieben, Gott möchte doch eine etwa vorhandene Gefahr gnädig abwenden. So ging diese bange Ahnung bei uns allen wieder vorüber.

Als nun der Termin erschien, an dem mein Vater die Pachtzinsen bezahlen musste, reiste er zu diesem Gutsverwalter. Er wollte auch den Mann persönlich kennenlernen, in dessen Hand wir uns nun befanden. Wenn es ihm unterwegs bange zumute war, diesen Herrn kennenzulernen, so verging diese Bangigkeit sofort bei der ersten Begegnung mit ihm und seiner Frau. Denn beide nahmen meinen Vater so freundlich auf und behandelten ihn wie einen Engel Gottes, dass er es gar nicht begreifen konnte. Er musste sogar bei ihnen übernachten. Sie fragten nach allem, auch nach den kleinsten Dingen, die in seinem Haus vorgingen. Dabei erfuhren sie auch, dass im Haus eine Versammlung gehalten wurde.

Als mein Vater am nächsten Tag wieder abreisen wollte und voll Dank und Anbetung war, dass er wieder in eine so freundliche, liebe Hand gekommen war, sagten ihm die beiden: „Lieber Herr Seitz, wir haben ihnen jetzt noch etwas sehr Wichtiges mitzuteilen. Gott hat für sie so Wunderbares getan, dass wir fast nicht wagen, ihnen alles zu sagen, aus Furcht, sie könnten etwas hochmütig werden. Ihr Hof war so gut wie verkauft und sie wären mit ihren Kindern von ihrem Haus und Hof vertrieben worden. Aber Gott hat für sie gestritten und durch Eingreifen der Engel dieses Äußerste verhütet. Es waren drei Bauern aus ihrem Dorf bei uns, die den Hof kaufen wollten. Diese Männer gaben ihnen ein schlechtes Zeugnis. Sie sagten, sie wären deshalb verarmt, weil sie dem Bettelvolk immer so viel Brot gaben und immerfort Bettelvolk beherbergt hätten. Der Kaufvertrag war bereits fertig. Aber wenn ich unterschreiben wollte, kam Furcht und Zittern über mich, sodass es mir nicht möglich war, meinen Namen darunter zu setzen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als den drei Männern zu sagen, sie sollten in Stuttgart übernachten und am nächsten Tag wieder kommen. Danach ging ich heim und erzählte meiner Frau von meiner großen Angst. Bevor wir schlafen gingen, beteten wir zusammen, Gott möge doch die Angst wegnehmen und deutlich machen, was er von uns wolle. Als ich im Bett war, trat ein Engel vor mein Bett und legte über sie ein ganz anderes Zeugnis ab, als die drei Bauern. Dieser gab mir den deutlichen Wink, dass ich die Aufgabe hätte, sie zu retten. Ich stand auf, dies meiner Frau zu sagen. Meine Frau aber hatte gleichzeitig dieselbe Erscheinung gehabt und dieselbe Weisung bekommen. Das war uns beiden so wunderbar, dass wir uns noch in derselben Nacht entschlossen haben, sie zu retten. Denn wir sagten uns: Diese Leute, für welche Gott einen Engel schickt, sie zu retten, müssen Gottes Kinder sein. Noch in dieser Nacht entschieden wir uns, das Gut für sie zu kaufen und ihnen mitzuteilen, dass dies geschehen sei. Wir haben das Gut für sie erworben und sogar 800 Mark billiger, als jene Männer es erhalten hätten.” – So war das Gut wieder unser Eigentum geworden.

Wir Kinder waren gerade mit dem Einfahren von Hafergarben beschäftigt, als unser Vater von seiner Reise zurückkehrte. Da setzte er sich auf eine Hafergarbe und rief: „Kinder, kommt her, ich muss euch etwas erzählen!” Als er alles berichtet hatte, verstanden wir auch, was jene bangen Ahnungen zu bedeuten hatten. Unser Vater aber sagte: „Seht, Kinder, was Gott wieder an euch getan hat! Ihr wärt ohne Heim und Obdach, wenn er sich nicht so über euch erbarmt hätte.” Das machte auf mich einen so tiefen Eindruck, dass ich nach dem Aufladen der Garben in ein nahes Wäldchen eilte, mich mit dem Gesicht zur Erde legte und meinen Dank ausweinte und sagte: „Lieber Gott, wenn du dich der Deinen so annimmst, dann will ich mein ganzes Leben dir geben und dir danken und für dich leben!”

Kämpfe mit dem bösen Herzens

Wie ist es nur möglich, dass nach so vielfältigen Erfahrungen der Güte und der Wunder Gottes noch von Widerständen des bösen Herzens die Rede sein kann? So mag vielleicht der eine oder andere, der dies liest, fragen. Jawohl, die großen und vielen Offenbarungen, Gnaden- und Machterweisungen Gottes wurden für mein jugendliches Gemüt immer überwältigender. Ich war bis ins Innerste hingerissen und entschlossen, mit allem, was ich hatte, mich diesem Gott hinzugeben. Aber gerade bei all diesen überwältigenden Gnadenoffenbarungen musste ich auch eine Kehrseite meines Inneren kennenlernen. Ich musste recht erfahren, dass ich ein Herz hatte, das trotz aller Wunder der Güte Gottes immer den Irrweg wollte. Mein Inneres war noch einige Jahre lang ein Kampfplatz, auf welchem Gott und die Welt in heftigen Kämpfen lagen. Es war nicht mehr die äußere, grobe Welt, die mich versuchen konnte. Weltliche Vergnügungen aller Art hatten nach so vielen Erfahrungen der Herrlichkeit Gottes ihre Macht verloren. Dafür war es die innere Welt, die mich jetzt verstricken und irreführen wollte. Ich musste schon in meiner Jugendzeit erfahren, wie wahr es ist, was Stilling einmal schreibt, dass der Schwarmgeist niemals die Unbekehrten oder die Weltmenschen versucht. Er trete aber fast an alle einmal heran, sobald sie Ernst damit machen, sich ganz auf Gottes Seite zu stellen. Wenn sie sich Gott ganz ausliefern. Es würde zu weit führen, das näher und eingehender zu beschreiben, in welcher Weise mich die innere Welt, die schwarmgeistige Welt, die Finsterniswelt in Lichtsgestalt verführen und verderben wollte. Wie gefährlich nicht nur grobe Schwärmerei, sondern auch feineres schwärmerisches Wesen ist, und wie strafbar das in den Augen Gottes sein muss, habe ich dadurch erfahren müssen. Gott hat die schärfsten Züchtigungen, ja ernste Gnadengerichte gebraucht, mich davon zu befreien. Es ist hier nicht der Ort, die verschiedenen Zucht- und Strafmittel zu erwähnen, durch die Gott die innere Welt, wenn sie sich in ein Lichtskleid verhüllte, in mir auszubrennen wusste, ja unerbittlich ausbrannte. Weil es aber die Wirkung auf mich hatte, dass ich für die ganze Zeit meines Lebens Furcht und Abscheu vor allem Schwarmgeistigen bekam, so möchte ich doch zwei Vorgänge aus dieser Zeit erwähnen. Diese hat Gott besonders gebraucht, um alles Unnüchterne auszubrennen. Ich glaube aber hier nicht übergehen zu dürfen, dass das Schwarmgeistige, das mich in dieser Zeit von Gott wegzurücken suchte, nicht nur eine innere, geistige, sondern auch eine äußere Seite hatte. Ich hatte nämlich ein leidenschaftliches Verlangen danach, einseitig nur die Abschnitte der Weltgeschichte zu lesen, die von den großen und kleineren Kriegen von Anfang an bis in unsere Zeit handelten. Ich wurde ganz versessen darauf und träumte nur von Kriegen, Schlachten, Zweikämpfen, Belagerungen und ähnlichen Dingen. Wie wenn mich ein Kriegsteufel besessen hätte. Ich war so gebunden, dass mich diese Sache wie ein böser Geist in meinem Umgang mit Gott, in meinem Gebetsleben, lahm legte. Ich konnte auch eine Zeit lang nicht mehr zum heiligen Abendmahl gehen. Ich fühlte, dass ich mit diesem Geist nicht zum Tisch des Herrn gehen konnte, sondern mich von diesem Kriegsschwarmgeist loslösen musste. Aber irgendwie konnte ich das nicht und ein Stück weit wollte ich es nicht. Ich war ganz an diesen Geist gebunden. Als unser Pfarrer einmal ankündigte, dass am nächsten Sonntag das heilige Abendmahl stattfinden werde, da erschrak ich. Denn ich glaubte, wenn ich wieder nicht zum Tisch des Herrn gehen würde, dann würde ich ein ganzer Heide. Ich ging zur Beichte, aber ich hatte die ganze Woche vor der Abendmahlsfeier einen großen inneren Kampf. Wohl hatte ich so viel Erkenntnis, dass man sich das Gericht essen und trinken kann, wenn man mit einer Gebundenheit zum Tisch des Herrn geht. Aber es gelang mir nicht, bevor ich das heilige Mahl genoss, mich von dieser Gebundenheit zu befreien. Und das obwohl ich betete, flehte und rang, davon frei zu werden. Trotz alles Betens und Flehens wurde ich nicht von dieser Gebundenheit frei und bekam weder vor dem Abendmahl noch nachher Vergebung, Friede und Freude. Die Folge war für mich, dass ich mich während der Abendmahlsfeier und nachher wie in der Hölle fühlte, wie auf dem Richtplatz. Anstatt Vergebung und Frieden kam noch an diesem Abend etwas über mich, dass ich glaubte, das Gericht Gottes sei über mich hereingebrochen. Es war, als ob Gott mich der Hölle und den höllischen Geistern übergeben hätte. Ich legte mich vor dem Angesicht Gottes nieder und schrie um Gnade und Vergebung, dass sich ein Stein hätte erbarmen mögen. Es war eine Zeit lang, als ob Gott nicht hören, keine Gnade erzeigen und mich nicht retten wollte. Aber endlich hörte Gott und wandte sein Gnadenangesicht so zu mir, dass ich völlige Vergebung und Rettung erfahren durfte. Diese finsteren, mich aufs Tiefste ängstigenden Mächte waren gänzlich gewichen. Nun fühlte ich die Gnade und die Nähe Gottes in der Weise wieder, dass ich einen Teil der Nacht anbeten, loben und preisen musste. Es war ein Neues geworden. Ich war durch diese Art Zuchtrute, die Gott bei mir gebrauchte, von dieser Schwärmerei frei geworden. Der Strick war zerrissen, und ich hatte wieder die Gemeinschaft mit meinem Gott und war namenlos glücklich, die Nähe meines Gottes und Heilandes zu genießen.

Die Entscheidung