Sternenwolf  II - Victor L. Pax - E-Book

Sternenwolf II E-Book

Victor L. Pax

3,8

Beschreibung

Der Beutezug der fünf Weltraumpiraten, die ihrem halb bionischen Kapitän Wolf Morgan (»Sternenwolf«) die Treue geschworen haben, geht fulminant weiter. Der wahnsinnige Poet Francis Blake, der pyromanische Bordingenieur Pyro Jack, der reizbare und gefährliche Chainmaster, der berüchtigte Arzt Dr. H.R. Strauss und Merlin, seines Zeichens Navigator und Nahkampfexperte – sie alle haben eine neue Mission: Die Kaperung der MS Silverstar, dem größten und luxuriösesten Kreuzfahrtschiff der Galaxis; Symbol einer dekadenten und kranken Gesellschaft, das für die Boten der Freiheit und Verfechter der alten Welt die perfekte Gelegenheit bietet, ein Exempel zu statuieren.

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Seitenzahl: 484

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Ähnliche


„Die Revolution schreitet auf den Schwingen des Schicksals voran. Mit den Klängen unserer Musik.“

Francis Blake

Inhaltsverzeichnis

MS Silverstar

Therapie

Ein Plan

Die Reise

Ärger

Ermittlungen

Götter

Mörder

Die Mission

Uranus

Starköche

Lycia'A

Epilog

MS Silverstar

Sonnensystem der Erde, Saturn. Das Kreuzfahrschiff MS Silverstar

Die Kuppel war fast so beeindruckend wie jene auf dem Basar-Schiff der Zineopher, für das es in fast allen Welten der Galaxis berühmt war. Ein fast perfekter Nachbau, der sich lediglich in Bezug auf die etwas dickeren, goldfarbenen Verstrebungen zwischen den Glaselementen vom immer noch unerreichten Original des Händlervolkes unterschied. Mit Sicherheit hatte man deren Wissen zu Hilfe nehmen müssen, um ein derartig gigantisches Meisterwerk an Schiffsarchitektur zu erschaffen. Zuweilen konnte man in dem gekrümmten dicken Glas ein blaues Flackern wahrnehmen, welches unregelmäßig über die Oberfläche zu huschen schien und sich mit den schimmernden Reflexionen des Ballsaales vermengte. Es stammte von der leuchtenden Plasmakugel, die einen großen Teil des vorderen Schiffsrumpfes ausmachte. Da sich die Kuppel ganz oben, achtern auf dem Schiff befand, konnte man von dort aus einen kompletten Blick auf das Deck und den Rumpf dieses mächtigen Raumtitanen werfen, der weiß wie Elfenbein zwischen den Gestirnen strahlte. Nach der spitz zulaufenden Kommandosektion, die sich vor dem Plasmaball des Malstrom-Antriebes befand, hatte das Schiff insgesamt sechs Decks, die schräg übereinander angeordnet waren; fast rundherum ausgestattet mit dem gleichen Panzerglas, wie die Kuppel des Ballsaales, so daß man beinahe von jeder für Passagiere zugänglichen Stelle des Kreuzers einen Blick auf die zuweilen recht aufregenden Spektakel werfen konnte, die das All, meistens aber die fliegenden Animateure lieferten. Die Backbord- und Steuerbord-Flanken waren jeweils mit einer weiteren kreisförmigen Sektion ausgestattet, von denen jede ihrerseits mit drei Decks versehen war, die einen atemberaubenden Panoramablick ins All boten. Die schnittigen Heckflügel waren mit zwei mächtigen Ionentriebwerken ausgestattet. Die MS Silverstar war das einzige malstromfähige Passagierschiff in dieser Größenordnung, mit Ausmaßen, die nur den gigantischen Frachtern der Saturn-Klasse vorbehalten blieben. Es stammte aus der reichen Reeder-Familie Korjals, der offenbar niemals müde geworden war, den Architekten dieser Luxusfestung nahezulegen, Hinweise auf ihren generösen Besitzer einbauen zu lassen. Neben dem außerordentlich prunkvollen Kuppeldach, das den Heckbereich des Luxuskreuzers zierte, war der Raum darunter erfüllt von majestätisch prangenden Marmorsäulen, von denen einige das Konterfei ihres Erbauers als Relief tragen durften. Eine Marmortreppe führte zu den großen Flügeltüren des Einganges, von dem aus man wieder über das nicht weniger prachtvolle Atrium zu den den unteren Decks gelangen konnte. Rechts vom Eingang, in der Mitte des Saales stand eine große Bühne, die zur Zeit leer war; darauf befand sich eine ausfahrbare Rampe. Der großen Bühne stand auf der anderen Seite des Raumes eine kleinere gegenüber, reserviert für musikalische Darbietungen. Die Wände des runden Ballsaales waren relativ niedrig, vielleicht anderthalb Meter hoch, um den Ausblick zu den Sternen nicht zu versperren. Auch sie waren von beigefarbenem Marmor.

Mit der Zeit waren die Passagiere der Reise von der Treppe aus den unteren Decks nach oben in die sagenhafte Kuppel geströmt. Die Teilnehmer dieser Luxuskreuzfahrt besaßen eine Menge an Reichtümern, die sie offen und freudig zur Schau stellten, denn auf dieser Fahrt sollten derlei niedrige Beweggründe keinen Tadel seitens der Vertreter der Befreiungsethik verursachen. Der riesige, fast kreisförmige Ballsaal war inzwischen beinahe brechend voll; Menschen und zahlreiche Humanoide anderer Spezies, Angehörige der größten Föderationsgebiete, standen zusammen, um Zeugen des traditionellen Auftritts zu werden, der vor jeder Fahrt vom Kapitän und seinem Koch abgehalten wurde.

Eine leise Musik erfüllte den Saal, die stetig lauter wurde, während zugleich das Licht langsam dimmend die Umgebung in ein geheimnisvollen Schummern tauchte. Nach und nach beruhigten sich die unzähligen Stimmen, denn jeder war auf die Begrüßung durch den Kapitän Lear Lektors gespannt, der in wenigen Augenblicken auf der Hauptbühne erscheinen sollte. Am ihrem hinteren Ende befand sich ein Tor, durch das eine Person schritt, die ein Mikrophon in der Hand hielt. Es war ein kleinwüchsiger Mensch, durchschnittlich im Gesicht und gekleidet mit der blauen Uniform eines Stewards.

»Sehr geehrte Gäste!« ließ er verlauten, »Willkommen auf der MS Silverstar. Sie warten bestimmt sehnsüchtig auf den Kapitän, oder?«

Die Menge raunte etwas.

»Das geht doch noch viel besser!« rief der Zwerg. »Der Kapitän wird nicht kommen, wenn er nicht mit gebührenden Ehren empfangen wird.«

Es wurde immer lauter im Publikum; schließlich sollten sie Lear Lektors zu Gesicht bekommen: Aus dem verheißungsvollen Tor, nach langem tosenden Applaus, begleitet von tanzenden Lichtkegeln, die sich schließlich alle auf den Durchgang gerichtet hatten, trat endlich eine Gestalt hervor, die der Kapitän sein mußte. Souverän schritt er nach vorne. Er trug eine weiße Uniform mit zahlreichen Abzeichen auf der Brust, sowie drei goldene Ringe an den Ärmeln. Auf seiner weißen Mütze prangte das Logo der Korjal-Reederei. Die Gäste johlten und klatschten vor Begeisterung, als die gutaussehende, hochgewachsene Erscheinung ins Licht getreten war. Viele von ihnen schwenkten ihre Fahnen oder nutzten diverse Tröten, während andere Luftschlangen und Konfetti warfen. Sie alle waren so ausgelassen wie schon lange nicht mehr, da die Gebühr für das öffentliche Zurschaustellen von Freude und Erregung im Preis für die Fahrt mit der MS Silverstar, neben zahlreichen weiteren Sondergenehmigungen, inbegriffen war. Als er den Bühnenrand erreicht hatte, nahm er strahlend seine Mütze ab und verneigte sich vor der frenetisch johlenden Masse. Sein dunkler Teint wurde durch seine schwarzen Haare, die er zu einem feschen Scheitel gekämmt hatte, sehr zur Freude der anwesenden Frauen (und zum Leidwesen der Männer) auf das deutlichste untermalt. Es galt als schicklich für die Menschen, die Haare dunkel zu haben, da Blond und Rot in ihrer Signalwirkung oftmals die Ursache für störende Gefühlswallungen waren und auch den dunkleren Teints gegenüber durch den Aufmerksamkeits-Vorteil eine Ungerechtigkeit darstellten. Aber derlei Vorsicht gegenüber den Normen den Befreiungsethik war an diesem Tag absolut unangebracht, da es der Ethik-Orden selbst war, der in Kooperation mit der Korjal-Reederei diese Veranstaltung organisiert hatte. Mit Kapitän Lear Lektors hätten sie keinen Besseren finden können; er war prominent und beliebt in der ganzen Galaxis und ein absoluter Publikumsmagnet. Da der Applaus kein Ende nehmen wollte, machte der Kapitän eine beschwichtigende Geste, während er auf das Mikrophon deutete, das an seiner Wange befestigt war.

»Sehr verehrte Gäste!« sagte er laut. Schon wurde es etwas ruhiger. »Ich weiß, einige von ihnen haben noch nicht gemerkt, daß ich sprechen möchte.« Er deutete mit einem ironisch-vorwurfsvollen Blick auf den kleinen Moderator.

»Aber im Gegensatz zu dem Herren hier benutze ich keinerlei Hilfsmittel, die an phallische Unterdrückung erinnern.« Er zeigte dabei auf das große Handmikrophon, welches der sichtlich beschämte Moderator nun elegant zu verstecken versuchte.

Die Menge kicherte und gackerte, da dieses Konzept der Fortpflanzung recht weit in der Galaxis verbreitet war. Lediglich ein Kastigater befand sich unter den Anwesenden, dessen Spezies ihre Geschlechtsorgane auf dem Kopf trugen. Bei den Männern war diese Stelle für gewöhnlich mit drei Hörnern gekennzeichnet. In dreiecksförmiger Anordnung umringten sie das Genital. In diesem Falle jedoch waren die Hörner gestutzt, an den Stümpfen mit Druckverschlüssen ausgestattet, um das Geschlechtsteil mit einem Tuch in der Öffentlichkeit bedecken zu können. Der Kapitän hatte ihn entdeckt.

»Ein seltener und weitgereister Besuch aus dem Kastigater-System, als Vorbild für uns alle. Seien sie gegrüßt.«

Dann wandte er sich wieder der Menge zu.

»Genug davon, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Lear Lektors, ich bin der Kapitän der MS Silverstar, des ersten Malstrom-fähigen Kreuzfahrtschiffes unserer Galaxis.«

Dies wurde mit tosendem Applaus bedacht, noch bevor er weitersprechen konnte.

»Danke verehrte Gäste, danke!« Nachdem es leiser geworden war, ließ Lear Lektors mit einem Wink eine Holographie über den Köpfen der Reisenden entfalten. Es war eine Animation des Sonnensystems, die mit einer fulminanten Kamerafahrt bis hin zum Saturn den Gästen den Atem raubte. Schließlich war auch das Modell des Kreuzfahrtschiffes zu sehen.

»Wir werden in Kürze ablegen und mit unserem Hochleistungs-Ionenantrieb zwei Tage bis zum Uranus fliegen, wo wir seine Ringe passieren werden. Glauben sie mir, ein unvergessliches Schauspiel erwartet sie dort. Danach werden wir die nahe gelegenen Navigationsbojen ansteuern, von denen aus wir mit Hilfe des Malstrom-Antriebes in das Fodscha-System springen werden. Dort werden wir hohen Besuch erhalten von einer prominenten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.«

Ein Raunen huschte durch den Saal, aber der Kapitän schien nicht näher auf die Identität des angekündigten Gastes eingehen zu wollen.

»Da wir bis zum Ziel maximal mit einem Sechzehntel Licht Höchstgeschwindigkeit reisen werden, erinnere ich sie an dieser Stelle daran, die Zeitverzögerung bei ihren Uhren zu berücksichtigen.«

Einige lachten, andere klatschten. Lear Lektors schien die Menge gut im Griff zu haben. Man sah sich bestätigend gegenseitig an, begleitet von anerkennendem Kopfnicken.

»Aber, liebe Gäste!« Er hob den Zeigefinger.

»Was ist das wichtigste auf solch einer Kreuzfahrt? Genau, sie sagen es. Die wichtigste Person auf solch einem Schiff ist nicht der Kapitän, sondern der Koch!«

Er deutete auf die Tür. »Daher können sie sagen, daß wir das große Glück haben, Jusmet zu bekommen, denn normalerweise kocht er exklusiv für das Sonderfreudenzentrum auf dem Mars.«

Sonderfreudenzentrum. Dieser Begriff ließ einige aufhorchen, und fast immer die Augen jener leuchten, die ihn zu hören bekamen. Es handelte sich um ein Vergnügungszentrum, das es den Besuchern ermöglichte, für einen kurzen und von dem Ethik-Orden streng kontrollierten Zeitraum Dinge zu tun, die den Richtlinien der Befreiungsethik nicht ganz entsprachen. Dies betraf hauptsächlich kulinarische Genüsse, weshalb man wie gebannt auf den Koch wartete.

Der trat schließlich ebenfalls durch das Tor, wonach er von den Anwesenden mit einem frenetischen Applaus begrüßt worden war, der sogar die Huldigung des Kapitäns übertraf. Aber Lear Lektors trug es nicht nur mit Fassung, daß das krötenähnliche Wesen, welches soeben die Tribüne betrat, offenbar einen enorm hohen Stellenwert hatte, er schien sich ganz im Gegenteil wohl darin bestätigt und animierte die Menge zu weiteren Kundgebungen.

»Jusmet, das ist dein Applaus!« rief Lear in die Menge. Der Koch mit der glitschige Haut hatte seinen korpulenten Körper mit einem weißen Anzug in Form gepresst. Kleine Schläuche auf der ganzen Kleidung sorgten dafür, daß seine reichlich abgesonderten Körperflüssigkeiten bei ihm blieben. Seine Haut war dunkelgrün, mit einigen noch dunkleren faustgroßen Flecken versehen. Der Kopf war recht breit, so wie der Mund, über den manchmal blitzschnell seine Zunge leckte.

»Liebe Gäste, es wird uns eine Freude sein, sie mit meinen Künsten zu verköstigen! Schon heute Abend wird es etwas Leckeres geben, aber was sie wahrscheinlich mehr interessieren wird, ist dieses hier.«

Jusmet nahm eine Flasche mit blauer Flüssigkeit aus seiner Tasche. Alleine schon diese Geste sorgte für viele erfreute »Aahs« bei den Gästen.

»Tor-Gin-Tee«, fuhr der Koch fort, »von bösen EXADs auch Blaues Zeug genannt. Wir haben einige Kästen hier an Bord und heute Abend kann sich jeder von Ihnen ein Gläschen holen.« Noch bevor die Masse abermals applaudieren konnte, wurde sie von einem lauten Donnern aufgeschreckt. Das Geräusch kam von der Treppe; langsam stieg dort der Rauch einer Explosion empor.

»Warum nicht gleich ein ganzer Kasten?« hallte es durch den Saal. Die Stimme war laut und fest, es schwang etwas Wahnsinn in ihr; sie schien aus dem Qualm zu kommen. Schließlich war ein rothaariger Mann mit Flammenwerfer zu sehen. Es war der berüchtigte Pyro Jack. Alle kannten ihn. Einige schrien hysterisch durcheinander. Ein Pirat an Bord! Und er war nicht alleine. Schon die leuchtenden Augen und das Glühen der Energiekette kündigten den gefürchteten Chainmaster an, der sich neben ihn gesellte. Das mußte die Besatzung der legendären Ghost sein, dem Piratenschiff der Boten des Sternenwolfes. Die beiden traten nach vorne und teilten sich so auf, daß eine Flucht für die Gäste unmöglich war. Der Hüne sorgte mit seiner Kette dafür, daß niemand aus der Reihe trat. Schließlich kamen der glatzköpfige Dr. Strauss und Merlin über die Treppe nach oben. Letzterer war barfuß, trug nur eine zerfledderte Hose und lief auf den Händen die Treppe hinauf, wo er am Ende mit einem Satz wieder auf beiden Beinen stand. Stolz schwellte er seine Brust mit der Oktopus-Tätowierung. Der Doktor hingegen fixierte einige der Passagiere und rieb sich die Hände. Zu viert wurden nun die Passagiere in Schach gehalten.

»Bewahren sie die Ruhe!« rief der Kapitän. Er war immer noch auf der Bühne und schien sichtlich nervös zu sein. Jusmet war längst geflohen.

»Ja, genau. Bewahren sie die Ruhe! Die Piraten werden ihnen nichts tun.« Ein weiterer Kerl war die Treppe hochgestiegen. Er trug einen Gehstock und einen Totenschädel. »Wir wollen nur ein paar Wertsachen und dies und jenes.«

»O nein. Francis Blake!« stammelte der Kapitän. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand im Dunkel der Hinterbühne.

»Der Kapitän ist geflohen!« brüllte jemand voller Panik.

Alle schrien durcheinander, aber nur für eine kurze Zeit, denn sie wurden unterbrochen.

»Beugt euch nun der Macht des Sternenwolfes« Das dunkle Hallen dieser Stimme erfüllte den gesamten Saal; ruhig war es mit einem Male, angstvoll raunte es leise in manchen Stellen des bunten Gemisches an Lebewesen. Schließlich hatten sie die Quelle dieser unheimlichen Stimme entdeckt. Eine riesige Gestalt mit rotem Auge schwebte über der Menge; seine klobigen Arme waren tödliche Waffen, die plötzlich schier ununterbrochen gräßliche Salven in Luft verschossen, während seine Beine mit zwei pulsierenden Antigravitationsmagneten den titanenhaften Körper in der Schwebe hielten.

Der schwarzgekleidete Freibeuter ergriff wieder das Wort, nachdem das unerträgliche Donnern beendet war.

»Na, wo ist denn euer Kapitän, ihr armen Wichte?«

Blake jonglierte singend und tanzend mit seinem Stab und dem Totenschädel. »Er hat euch alleingelassen, er hat euch alleingelassen«

Die Gäste waren verängstigt und wußten nicht, wohin sie sollten. Was würden diese Wahnsinnigen mit ihnen anstellen?

»Einige von ihnen kennen mich bestimmt, ich bin Francis Blake, meines Zeichens berühmter Schriftsteller und Poet.« Er warf einen auffordernden Blick in die Menge, aber keine Reaktion. Francis rollte die Augen, deutete auf seinen rothaarigen Kollegen. Er hatte eine große Flasche auf dem Rücken und in den Händen hielt er einen Flammenwerfer.

»Ja ja, ist schon klar, keinen Verstand für Poesie. Aber vielleicht könnt ihr euch für diesen Mann hier erwärmen.«

Pyro Jack fackelte lachend mit einen kompletten Tisch samt Stühlen ab. Das blanke Entsetzten stand den Gästen im Gesicht, auch wenn niemand dort gesessen hatte.

Francis begab sich indes zu einer hübschen Frau, die zitternd in der Nähe stand. Er ergriff ihren Arm und zerrte sie nach vorne. Dann riß er ihr Hemd in Fetzen und präsentierte sie der Menge wie ein Stück Fleisch.

»Wenn ihr uns schon die Gensklaven weggenommen habt, dann nehmen wir halt euch!«

Dann ergriff er sein Opfer und zwang ihr einen Kuß auf. Angewidert versuchte sie, sich von ihm zu lösen.

Blake lachte verächtlich.

»Ah, der Herr Doktor hat auch seinen Gefallen gefunden?« Er deutete auf Dr. Strauss.

»Vielleicht ist sie eine Art neues Experiment?«

Abermals zwang der Wahnsinnige seinem Opfer einen Kuß auf und leckte danach über die spiegelglatte Glatze des Arztes, der sich zu ihnen gesellt hatte.

»Doktor Hans-Reinhardt Strauss«, rief Francis in die Menge, »ehemaliger Bioniker, jetzt gefürchteter Arzt und Freibeuter!«

Strauss machte eine Verbeugung. Dann tastete er den Arm von Blakes Opfer ab, schließlich betatschte er ihre Brüste und zwang sie am Ende den Mund zu öffnen, den er begutachtete.

»Sie wird eine Menge wert sein auf dem Markt. Aber nur unberührt, mein lieber Blake!«

Die junge Frau schrie um Hilfe.

»Wer soll dich denn retten, Zuckerprinzessin?« sagte Francis laut. Er richtete seinen Blick auf die verstörten Gäste. »Der Kapitän ist sofort geflohen, so viel seid ihr also wert! Er hat auch allein...«

Weiter kam der Freibeuter nicht. Eine Harpune hatte seine Brust durchbohrt. Er taumelte nach hinten und stürzte schließlich stumm zu Boden, die Verwunderung im Gesicht.

»Ich lasse niemanden alleine, du Piratenabschaum!« Die Stimme kam aus den Lautsprechern des Ballsaales. Verdutzt blickten sich sowohl Piraten als auch die Passagiere um. Da sahen sie mit einem Male den Kapitän Lektors durch den Saal schießen, jedoch weder auf dem Boden noch in der Luft, sondern mit Rollschuhen und Raketenantrieb auf dem Rücken innerhalb der Kuppel waghalsige Manöver über den Köpfen der anderen fahrend. In einer Hand hielt er eine weitere Harpune, die andere war inzwischen mit einer Strahlenpistole bewaffnet. Gerade lieferte er sich mit Dr. Strauss ein Feuergefecht, der vergeblich versuchte, den blitzschnell rollenden Kapitän mit seiner Pistole zu erwischen. Chainmaster wollte ihm zur Hilfe eilen, aber ein dumpfer Aufprall von hinten hinderte ihn daran. Er stürzte zu Boden.

»Und auch der Koch steht euch bei!« tönte es durch den Saal. Jusmet war mit einem kleinen, runden Gleiter durch den Raum geflogen und hatte dabei den furchterregenden Piraten samt Energiekette überfahren. Inzwischen war der Doktor durch ein Projektil getroffen. Er fiel auf die Knie und hielt sich keuchend seine Brust fest. Sein Mantel war durchtränkt von seinem Blut. Merlin sprang wie ein Akrobat durch die Luft, aber auch das nützte ihm nichts, denn Jusmet hatte aus seinem Gleiter ein Netz geworfen, in das sich der blonde Kampfkunstmeister verwickelt hatte.

»Spüre nun die Rache des Wolfes!« brüllte Morgan und zielte mit zahlreichen Salven aus seiner Beschleunigerkanone auf Lear Lektors. Dieser war aber nicht zu treffen. Geschickt wich der Kapitän den Projektilen des berüchtigten Sternenwolfes aus. Surrend hinterließen sie weiße Streifen in der Luft und donnerten krachend in die Wand oder das Panzerglas der gigantischen Kuppel, die wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war.

»Nimm DAS, du kleines Wölfchen!«

Mit diesem Ruf, der über die Lautsprecher des Saales übertragen wurde, beschoß er die massive Panzerung des Sternenwolfes mit kleinen Haftmagneten, von denen die größere Zahl auch tatsächlich ihr Ziel nicht verfehlten. Hastig versuchte dieser, sich den Objekten zu entledigen, jedoch ohne Erfolg. Lear Lektors betätigte die Fernbedienung und die Panzerung Morgans war über und über mit zuckenden Blitzen bedeckt; der Wolf brüllte vor Schmerzen, bis schließlich sein Panzer versagte und er ohne Antrieb zu Boden krachte. Die schwere Rüstung donnerte auf den selben Tisch, den Jack zuvor angezündet hatte. Wie Papier brach dieser unter der gigantischen Last zusammen. Die nebenstehenden Passagiere liefen schreiend davon, gesellten sich zu den anderen in der Mitte, um erschrocken abzuwarten, was wohl als nächstes passieren würde. Indes hatte der rothaarige Wahnsinnige versucht, den amphibischen Koch mit seinem Flammenwerfer zu grillen. Geschickt war dieser mit seinem schwebenden Untersatz ausgewichen, konnte sich aber der letzten Flamme nicht entziehen, die den Antrieb lahmlegte. Es gelang ihm gerade noch so, eine halbe Bruchlandung hinzulegen und einige Meter vor einer Gruppe verschreckt kreischender Passagiere zu landen. Er wuchtete keuchend seinen massigen Körper unter dem dampfenden Gefährt hervor.

»Keine Sorge, liebe Freunde!« rief Jusmet, der sich den Staub von der Kleidung klopfte. Rasch drehte er sich um, damit er für den sich nähernden Pyro Jack gewappnet war.

»Deine letzte Stunde hat geschlagen, du ekelhaftes Krötenvieh!« brüllte Pyro wütend, als er mit gezückter Mündung auf Jusmet zulief. Doch der fette Koch stellte sich nur breitbeinig mit dem Rücken zu den Passagieren vor den wahnsinnigen Rothaarigen.

»Komm doch her, elender Pirat!«

»Und ob ich komme, Schleimbeutel« Pyro bediente den Abzug seines Flammenwerfers, doch dieser wurde ihm plötzlich aus der Hand gerissen. Jusmet hatte ihn blitzschnell mit seiner großen roten Zunge geschnappt und in die Ecke gespien. Ungläubig - wie die raunenden Gäste - starrte der gesuchte Freibeuter auf seine inzwischen leeren Hände.

»Was...«

»Das!« rief Jusmet triumphierend und spie dem Verdutzten Pirat einen riesigen Klumpen Schleim ins Gesicht. Jack schrie wütend und versuchte, sein Gesicht von dem ekligen Zeug zu befreien. Indes hatte der gewiefte Koch ein kleines Messer aus dem Gürtel genommen, das er gezielt auf Pyros Brust geschleudert hatte. Der rothaarige stöhnte, umfasste den Griff mit beiden Händen und kippte anschließend wie ein nasser Sack nach hinten.

Man konnte es kaum glauben. Die Piraten waren besiegt. War die Gefahr tatsächlich gebannt? Eine ewige Minute lang sagte niemand auch nur ein einziges Wort.

Plötzlich erhob sich der aufgespießte Dichter vom Boden, und warf die Harpune weg, die er inzwischen irgendwie entfernt haben mußte. Er trat vor die Menge, die in einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen immer mehr zusammenrücken mußte. Stumm lächelnd blieb er stehen. Sein vormaliges Opfer, das neben ihm stand, hatte er an die Hand genommen. Dr. Strauss gesellte sich zu ihm, trotz seiner blutenden Wunde in der Brust. Schließlich kamen noch Chainmaster, Pyro Jack und Merlin dazu. Sie standen alle in einer Reihe, mit dem gleichen Lächeln im Gesicht. Ein starkes Rumpeln ließ die Menge aufhorchen; der verwüstete Tisch wackelte und auch der vorhin abgestürzte Sternenwolf stieg aus den Trümmern, um sich staksend hinter seine Leute zu stellen. Ein eisiges Schweigen herrschte nun im Ballsaal, das schließlich durchbrochen wurde durch die Geräusche des Raketenanzuges von Lear Lektors, der inzwischen wieder auf dem Boden zu den Piraten rollte und dem Surren von Jusmets fliegendem Mini-Gleiter. Der Kapitän des Kreuzfahrtschiffes und sein Koch positionierten sich geschickt vor die Piratenbande und stimmten in das gemeinschaftliche Grinsen ein.

»Sehr verehrte Gäste«, sprach der Kapitän, während er geschickt rückwärts an den Piraten vorbei fuhr, »dies war eine gelungene Darbietung unserer hauseigenen Schauspieltruppe. Exklusiv für den heutigen Abend, mit freundlicher Genehmigung des Egalitätsbüros, der Kulturkammer und natürlich der Korjal-Reederei, durfte sie ihnen eine Kostprobe ihrer Kunst geben.«

Lektors machte schließlich vor ihnen durch eine Pirouette wieder halt.

Das ungläubige Staunen wich mehr und mehr langsam ansteigenden freudigen Kundgebungen und tosendem Applaus. Die Piraten-Darsteller fassten ihre Hände und verneigten sich mehrmals tief vor dem frenetisch applaudierenden, anfangs unfreiwilligen Publikum. Vereinzelt skandierten kleinere Gruppen Lear Lektors-Sprechchöre. Der Kapitän war in Heldenpose vor der Schauspieltruppe und hatte sich auch verneigt, ebenso hatte es Jusmet ihm gleichgetan. Die Menge verhielt sich in ihrer Begeisterung derart, als ob sie ihrem Kapitän und dem Koch tatsächlich ihr Leben zu verdanken gehabt hätte. Lear Lektors schien diesen Auftritt samt Applaus regelrecht genossen zu haben. Schnaufend, mit zufriedenem Gesicht stand er, leicht nickend vor der tobenden Masse, solange, bis er wieder etwas sagen konnte.

»Und selbstverständlich müssen sie alle hier an Bord keine Angst vor echten Piraten haben, denn dies ist der sicherste Ort, den man sich vorstellen kann.«

Der Kapitän richtete sein Wort weiter an die Reisegäste: »Die wüsten Piraten und scheußlichen EXADs werden sich jetzt unter das Volk mischen. Sie alle sind herzlichst dazu eingeladen, mit ihnen am Buffet teilzunehmen, das mein Freund hier mit seiner zwanzigköpfigen Gruppe heute Morgen zusammengestellt hat. Wir werden uns nun zurückziehen und mit dem Stab die Reise in Angriff nehmen. Das Kapitänsdinner ist heute Abend um Punkt sieben in der Empore oben; diejenigen von Ihnen, die ausgewählt wurden, können in einer Stunde eine Markierung auf ihren Reisetickets sehen, zusammen mit weiteren Instruktionen.«

Er salutierte. »Eine gute Reise und weiterhin viel Freude auf der MS Silverstar, dem ersten Malstrom-fähigen Kreuzfahrtschiff der Galaxis.«

Zusammen mit Jusmet schritt er kurz darauf, unter tosendem Applaus, winkend in die Richtung des Tors, aus dem beide zuvor gekommen waren. Beide verschwanden schließlich im Dunkel des Bühnenhintergrundes.

»Und das wird wirklich keine Konsequenzen haben?« wunderte sich der Koch »ist das nicht ein Verstoß gegen diese neumodischen Prinzipien des gefühlsneutralen Handelns?«

Der Kapitän hatte seinen gepanzerten Harnisch mit auffälligen und anachronistischen Flügeln, die mit einem Raketenantrieb ausgestattet waren, wieder abgelegt. Seine Brust war immer noch von einem Heldensymbol geziert. Er lächelte siegessicher.

»Keine Sorge«, meinte er, während er sich unbeirrt dem Rest seiner Heldenausrüstung entledigte. »Diese Veranstaltung ist Emo-neutral.« Er streckte dem Koch seinen gepanzerten Arm hin, darauf war ein Schild angebracht mit einer Taube vor blauem Hintergrund. »Hier ist das Siegel dazu.«

»Emo-neutral?« Der Koch begutachtete diese Darstellung mit Skepsis. Er war durch seine Anstellung im Sonderfreudenzentrum über die gesellschaftlichen Veränderungen im Namen der Befreiungs-Ethik überhaupt nicht im Bilde.

»Ja, das ist eine neue Bestimmung des Ordens, der zusammen mit der Reederei dieses Programm ins Leben gerufen hat. Die Menschen sollen sich erholen und unterhalten werden. Für solche Zwecke kann man neuerdings eine Ausgleichszahlung leisten.«

Der Koch war verblüfft und rückte sich die weiße Mütze zurecht. »Eine was?«

»Eine Emo-neutrale Ausgleichszahlung. Wir haben schließlich mit unserer Darbietung die Gefühle aufgewiegelt, dafür wird das Geld dieser Zahlung an anderer Stelle für Soziale Projekte im Rahmen der Gefühlskalmierung verwendet.«

Der Koch schüttelte seinen Kopf. Solche Momente erinnerten ihn immer wieder daran, daß er dankbar über sein Privileg sein konnte, außerhalb dieser Veränderungen stehen zu dürfen. »Verrückte Welt« ließ er leise verlauten.

»Wie soll ich das verstehen, bitte?«

»Ach, nichts. Laß uns einfach die Gruppenbesprechung hinter uns bringen und die Leute feiern...«

»Das will ich auch gemeint haben, mein Lieber!«

Der tosende Applaus für Lear Lektors und Jusmet wollte kein Ende nehmen; abermals zeugten neben den ekstatischen Rufen Konfetti, Luftschlangen und diverse andere in die Luft geworfene Gegenstände von der enthusiastischen Stimmung an Bord der Silverstar; eine sicherlich große Herausforderung für die Vertreter der Befreiungsethik, denn das Ziel, gänzlich auf schadhafte Triebe zu verzichten war unmittelbar davon abhängig, Alternativen zu deren Abfuhr zu schaffen. Da steckte die Bewegung noch in den Kinderschuhen und wäre ohne ihre eigene Inquisition nicht in dieser Verbreitung und Stärke denkbar gewesen. Die Zuversicht, die dieser Kapitän ausstrahlte, mußte kritisch denkenden Geistern inmitten dieser ausgelassenen Gesellschaft, die wohl bald in eine Orgie kumulieren würde, stark zu denken geben. Einige Menschen nahmen blonde Perücken hervor, andere begossen sich mit echtem Alkohol und brüllten nach dem Fleisch toter Tiere, was normalerweise streng verboten war. Schließlich legte sich die Euphorie und machte konkreteren Plänen zum feiern Platz. Ein Komplettes Instrumentenset wurde per Hydraulik auf die Bühne gefahren. Dort begann eine Musikgruppe in weißen Anzügen, zu dem inzwischen schummrig gewordenen Licht eine sanfte Melodie zu spielen. Die Musiker, die zuvor viertel-tonale Klänge mit wechselnden Rhythmus-Mustern gespielt hatten, waren zu einem traditionellen irdischen Jazz-Stück gewechselt, um alle Anwesenden zum Tanze zu bewegen. Der barokesische Jung-Sänger klang plötzlich erstaunlich menschlich als er mit seiner variablen, tiefen Stimme. »Night and Day« intonierte. Zahlreiche Paare tanzten nun aneinander geschmiegt in den Wogen der einschmeichelnden Klänge; die helle Beleuchtung wurde langsam gedämpft und der Ballsaal in ein schummriges Licht getaucht, mit wechselnden Farbtönen. Angepasst an den Klang der Musik waberte das Farbenspiel inmitten von unzähligen Lichtkegeln und Reflexionen vor sich hin, als ob es nicht so recht wüßte, was nun passieren würde.

Die Pilger des Ethik-Ordens, nahmen an diesen Ausschweifungen nicht teil, sondern beobachteten sie nur stumm. Sie waren unter den Passagieren aufgeteilt und schienen generell keine größeren Regungen zu zeigen. Zwei der Pilger standen nicht inmitten des Szenarios, sondern hatten das gesamte Spektakel aus der Ecke heraus betrachtet. Ihre Köpfe waren mit Kapuzen bedeckt, sie trugen die bunte, aber nichtssagende Kleidung, wie sie bei jenen Gleichheitspilgern üblich war.

»Was für eine lächerliche Darbietung.« raunte der eine dem anderen zu.

»Ich weiß, Blake.«

»Gut, mein lieber Tintenfisch, dann werden wir denen mal in Bälde unsere Version des Spektakels zu Gemüte führen.«

»Das werden wir.«

»Merlin?«

»Was?«

»Sehe ich wirklich so dämlich aus wie dieser minderbemittelte Möchtegern-Schauspieler da vorne?«

Therapie

Tarkassidischer Cluster, New Port Royal, zwei Tage zuvor. Station von Dr. H.R.Strauss auf der Ghost.

Die Krankenstation hatte nur wenige Schäden von der letzten Schlacht abbekommen. Dr. Strauss war von Bildschirmen, Klaviertastaturen und Kabeln umringt, die sich prächtigster Funktionalität erfreuten. Ein dickes Bündel führte an der blinkende Leuchtburg vorbei zu drei Coconförmigen Objekten, welche etwa die Größe eines Menschen hatten. Unter dem sterilen Licht der Laborlampen glänzten sie wie Obsidian. In dem mittleren Cocon war Jeanny eingeschlossen, umspielt von sanften Lichtimpulsen, die über die Oberfläche tanzten. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Die neuen Akkumulatoren würden bestimmt prächtig funktionieren, denn sie waren nicht nur kleiner sondern darüber hinaus auch noch wesentlich effizienter.

»Du wirst Teil eines sehr großen und wichtigen Experimentes sein.« Strauss betätigte einige Tasten am Klavier, mit dem Blick auf die Messwerte.

»Ja«, murmelte er, »das sieht wirklich sehr, sehr gut aus.« Er schaltete schließlich seine Anzeigen aus, ging zu Jeanny und tätschelte seinem bewußtlosen Experiment auf den Kopf. »Aber nicht jetzt, denn ich habe einen wichtigen Termin.« Dann deaktivierte er die Beleuchtung, so daß die gesamte Versuchsanordnung langsam in Schwarz getaucht wurde bis nur noch die Umrisse zu sehen waren. Dafür erhellten die Deckenstrahler ein anderes Objekt: ein medizinischer Stuhl, an dessen Kopfende ein justierbarer Strahler befestigt war. Es summte. Das war der Signalgeber. Sein Lieblingspatient stand vor der Station.

»Ausgezeichnet. Genau zur rechten Zeit.«

Strauss griff nach der Fernbedienung in seinem Mantel, um das große Schleusentor zu seinem Labor zu öffnen. Blake stand in der Öffnung, in voller Montur, mit Gehstock samt Schädel in den Händen. Seine langen schwarzen Haare trug er offen, als ob er zu einem besonderen Empfang eingeladen worden wäre.

»Mein Lieber Blake, so vornehm heute? Treten sie ein, edler Lord.«

Dieser quittierte die Begrüßung mit einer leichten Verbeugung, bevor er die Schwelle übertrat. Zu Straussens Beunruhigung humpelte er immer noch leicht.

»Sie müssen verstehen, werter Herr Doktor, das ist heute mein letzter Tag als anständig gekleideter Mensch, bevor ich mit Merlin zusammen als Robenträger auf das Kreuzfahrtschiff geschickt werde.«

»Als Ethik-Pilger, richtig?« Er klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Alter Freund«, sagte er schließlich.

»Erinnere mich bloß nicht daran«, entgegnete Blake salopp, »laß uns lieber mit der neuen Therapie anfangen. Ich freue mich schon auf ein Leben ohne lästige Medikamente.«

»Bevor wir mit der Psychotherapie beginnen, sollten wir noch einen Blick auf dein Bein werfen.«

Strauss wußte, daß er nicht mehr viel Zeit hatte, bis sich der Wolf in dieses Thema einschalten würde. Blake war schon lange Zeit am humpeln, aber es war unbedingt erforderlich, die Wirkungsweise der Nanotherapie an einem lebendigen Objekt zu testen, das nicht von selbst reden würde. Er hatte mit Blake ausgemacht, daß dies unter ihnen bleiben müsste. Wenn Morgan davon erfahren würde, wäre das Experiment beendet und das Bein wieder heil. Er wollte den Sternenwolf wahrhaftig nicht hintergehen. Aber manche Experimente erforderten nun einmal ein gesondertes Maß an Risikobereitschaft und Pionierwillen. Er wies seinen Patienten an, auf dem neu beleuchteten Stuhl Platz zu nehmen und sein Bein frei zu machen, während er im Lazarett sein Tablett nahm.

»Dann wollen wir uns die Knirpse mal ansehen«, murmelte der Doktor, als er mit dem durchsichtigen Bildschirm die Wunde untersuchte. Die Ausbreitung der Nanobots wurde seit dem Senden der letzten Steuerungsbefehle vermindert, aber die Rekonstruktion des Gewebes waren sie immer noch nicht angegangen. Der Knochen des Unterschenkels blitzte immer noch durch die zehn Zentimeter große Wunde hindurch. Er wischte die Statistiken vom Schirm, der sodann die optische Vergrößerung des Bereiches anzeigte. Durch die Arbeit der Bots waren die Bereiche von Fleisch und Knochen fein säuberlich getrennt, so daß sie innerhalb dieses Ausschnittes unwirklich anmuteten wie ein anatomisches Modell oder ein Plastinat. Warum weigern sich diese verdammten Dinger bloß, diesen Bereich zu rekonstruieren? Nach der Mission würde er sie entfernen und einen neuen Stamm züchten.

»Ist alles in Ordnung, Doktor? Ich glaube, es ist etwas besser geworden seit letztem Mal, oder nicht?«

Strauss durfte sich nichts anmerken lassen. Schließlich war er für die eigentlich zu diesem Zeitpunkt geplante Therapie auf das vollste Vertrauen seines Patienten angewiesen.

»Natürlich«, log er, »das wäre auch sehr bedenklich, wenn du nichts merken würdest. Wir sind auf einem sehr guten Weg.«

Er deaktivierte das Tablett und klopfte Francis auf die Schulter.

»Sehr gut, und immer etwas kühl halten, das ist gut für die kleinen Freunde. Und jetzt lege dich etwas zurück, wir können mit der eigentlichen Therapie beginnen.«

»Na endlich, ich bin schon sehr gespannt.«

Sie rekapitulierten zunächst das Vorgespräch des letzten Tages. Nach einigen Minuten Entspannung war Francis schließlich bereit, dem Doktor alles zu erzählen.

»Dein Vater war also Historiker und wie viele andere auch ein großer Verehrer der griechischen Antike. Das ist doch richtig, oder?«

»In der Tat, in meiner Familie war es so. Alle aufgeklärten Kreise, die was auf sich hielten sahen in der antiken Gesellschaftsordnung ein Vorbild, die Zukunft zu formen. Zum ersten Mal in der Geschichte mit freiwilliger Sklaverei. War es bei dir nicht ähnlich?«

Strauss hob seine Augenklappe, nachdem er seinen Patienten mit ein paar beiläufig ausgeführten Handgriffen korrekt in der Liege fixiert hatte.

»Lieber Herr Blake, wir hatten doch ausgemacht, nur über Euch zu sprechen, wenn ich mich recht entsinne.« Ohne die Antwort abzuwarten, klappte er sie wieder zu. Damit war das Thema beendet.

»Ja, natürlich Herr Doktor.«

»Wichtig ist jetzt, daß du mir alle Fragen ohne Zögern beantwortest. Sobald die zeitliche Differenz zwischen Frage und Antwort auf einen Verdrängungsmechanismus hindeutet, werden wir deinen Cortex mit diesem Gerät bestrahlen.«

»Ist das deine Theorie der physischen Widerstandslösung?«

Strauss justierte schweigend die konischen geformte, silberfarbene Kanone, so daß die Mündung auf die Stirn seines Patienten zeigte.

»Ja, ich verstehe. Es geht nur um mich.«

»Also gut, was bedeutet der Name Polybios, den du laut Schlafaufzeichnung gerufen hast?«

»Es ist… ich…«

»Verstehe.«

Der Doktor betätigte den Strahler, dessen Wirkung mit zuckenden Augen und einem leichten Stöhnen bestätigt wurde.

»Ist er ein Freund gewesen?«

»Mein bester Freund, seit meiner Kindheit.«

»Ja?«

»Ich muß von vorne beginnen, es ist verwirrend.«

»Wir haben Zeit, Blake. Viel Zeit.«

»Zeit… Pol...«

»Polybios?«

»Ja.«

»Wie war denn die Kindheit? An was erinnerst du dich als erstes?«

»Die Felder. Das Grün. Es war alles wunderbar, die Rebstöcke, Obstbäume, dann eine Mühle an einem Bach, dort hatte ich fast meine ganze Kindheit verbracht. Jeden Tag arbeiteten die Sklaven freudig und singend, abends feierten sie am Lagerfeuer ihre Feste. Manchmal haben wir mit meinen Eltern mitgemacht und getanzt. Einmal im Monat kam ein riesiger Transporter vom Himmel herab, in den die ganzen produzierten Waren gepackt wurden. Dann ist er wieder nach oben geschwebt.«

»Wohin wurden die Waren geliefert?«

»Mein Vater sagte mir, es würde in die ganze Galaxis geliefert, vor allen Dingen aber in die neuen Kolonien. Dort hätten es die Menschen sehr schwer.«

»Waren es nur Waren?«

Blake schwieg.

»Das haben wir gleich.«

Strauss drehte wieder an dem Strahler, während er mit Interesse den Schirm betrachtete.

Der Patient ächzte wieder, langsam bildeten sich auch kleine Schweißtröpfchen auf der Stirn.

»Nein, manchmal haben sie auch einen älteren Sklaven mitgeschickt, der wurde dann von seinen Freunden mit einem Fest verabschiedet. Die waren immer fröhlich und neuen Abenteuern aufgeschlossen. Und ich wollte immer mit. In diese Frachtschiffe. Am liebsten wäre ich hinein geklettert und mitgeflogen. Aber das habe ich natürlich nie getan.«

»Warum nicht?«

»Das hätte meine Eltern traurig gemacht. Und Polybios.«

»Ein Sklave?«

»Ja, einer der älteren, der aber bleiben wollte. Er hatte meine Eltern darum gebeten, weil wir so gute Freunde waren. Er trug einen griechischen Namen, so wie die anderen auch. Seine Intelligenz war jedoch etwas höher, man konnte gut mit ihm über alles mögliche reden.«

Strauss war fasziniert. Er kam auch aus einer Familie mit Sklaven, aber sie hatten nur ein paar gehabt. Blake mußte es mit mehreren Dutzend zu tun gehabt haben. Von diesem Phänomen der partikulären Hochindividualisierung hatte er bereits vorher gehört. Leider war es ihm nicht allzuoft vergönnt gewesen, solchen Individuen zu begegnen, auch nicht unter Freibeutern. Er beschloß, seinen Eigennutz über die Erfordernisse der Therapie zu stellen. Ausnahmsweise, das verstand sich für ihn von selbst.

»Was war mit diesen intelligenten Klonsklaven? Kanntest du viele?«

»Ein paar, aber die haben sich letztendlich für eine andere Arbeit versetzen lassen.«

»Diese Intelligenz… tat sie der Tätigkeit einen Abbruch? Hatte sie negative Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Sklaven?«

Blake lächelte.

»Nein, niemals. Das hatte man immer angenommen, auch inspiriert durch die dystopische Darstellung bei Huxley. Es gab aber in Wirklichkeit niemals jemanden, der etwas getan hätte, um seine Lage zu ändern. Niemals konnte man auch nur den leisesten Ruf nach einem Spartacus vernehmen. Niemand von ihnen war jemals aufgestanden, um für ein paar obskure Pseudo-Rechte zu kämpfen. Nein, sie alle waren glücklich. Was diese Intelligenten hingegen immer gefordert hatten, war eine bessere Aufteilung der Arbeit. Die Klügeren wurden also nicht zu Anführern eines Aufstandes zur Befreiung aus dem Joch oder ähnlichen fortschrittsfeindlichen Quatsch, nein ganz im Gegenteil. Sie wurden nicht Spartacus, sondern Vorarbeiter. Polybios hatte Vater davon überzeugt, die Klügeren woanders hinzuschicken. Er war darüber hinaus auch dazu fähig, Aufgaben in der Koordination übernommen oder das Verladen der Waren organisiert. Er war stolz darauf, ein Sklave zu sein. Er wußte, daß man ihn nur zu diesem Zwecke erschaffen hatte und daß sein Glück nun einmal in der Arbeit war. Er war manchmal traurig, wenn es nichts zu tun gab.«

»Hattet ihr auch Lustsklaven auf dem Hof?«

»Nein, das hatten meine Eltern wohl nicht nötig. Polybios sagte immer…«

»Moment, war das bei deiner Familie nur eine Ausnahme oder haben andere auch nicht derlei Sklaven benötigt?«

»Aber Doktor, ich dachte, wir sprechen über mich und Polybios?«

Strauss schüttelte den Kopf. Er hielt inne.

»Oha.«

»Was ist?«

»Das war ein starker Widerstand, der sich in Gestalt einer Projektion gegen den Therapeuten richtet. Du hast mir gerade eigennütziges Interesse unterstellt.«

»Oh, das tut mir leid, das wollte ich nicht.«

»Da gibt es nichts zu entschuldigen. Es ist ganz normal, daß innerhalb einer Therapie die Kompetenz des Analytikers angezweifelt wird. Das ist eines der vielen Gesichter des Widerstandes.«

»Aber ich würde doch niemals die Kompetenz des besten Arztes der Galaxis anzweifeln.«

»Ich weiß. Aber auch dieses Kompliment gehört dazu, quasi als Reaktionsbildung.«

»Reaktionsbildung?«

»Ja, du verehrst mich, obwohl es eine unbewußte Ablehnung gibt. Aber keine Sorge, das haben wir gleich.«

»Aber ich…«

Strauss betätigte abermals den Strahler, dessen Wirken so stark eingestellt war, daß sich vor der Stirn des Patienten bereits kleinere Verzerrungen in der Luft abzeichneten. Blake versuchte vergeblich, den fixierten Kopf hin-und her zu winden. Seine Augen verdrehten sich nach oben und er zitterte am ganzen Körper. Schließlich endete der Strahl. Blake lag keuchend auf der Liege, ringend um Luft.

»So, lieber Francis Blake, können wir weitermachen?«

»Na… natürlich... und ohne Widerstand, versprochen.«

»So mag das der Doktor. Also, was war mit diesem Polybios?«

*

Morgan stand vor der Brüstung und warf einen Blick über das gigantische Innere des Asteroiden, der auf unzähligen Ebenen Raumhäfen, Startrampen, Werkstätte, Siedlungen und andere Wirtschaftsbereiche enthielt. Es war eine fast autarke Welt, abseits von den Schrecken einer degenerierten Föderation, die verseucht von dem Walten der Befreiungs-Ethik und ihrer Inquisition nur noch einen blassen Schatten ihrer selbst darstellte. Der gigantische Felsbrocken war der größte in dem Cluster, den sie seinerzeit vorgefunden hatten. Er schien bereits vor Ewigkeiten ausgehöhlt worden zu sein, jedoch war es seit jeher unbekannt, wer sich für diese Meisterleistung verantwortlich zu zeichnen hatte und zu welchem Zwecke dies geschah; alle Geflohenen, Dissidenten und Streuner wußten jedoch umso mehr um die Qualitäten eines solchen Zufluchtsortes. Morgan war bereits länger daran gebunden als er es jemals in seinem Leben woanders gewesen wäre. Die Erinnerungen an sein altes Leben, seine Heimat, Familie, Freunde – alles wurde von dem großen Föderationskrieg verschlungen, sie wurden nicht nur unwiederbringlich vernichtet, sondern stellten auch durch die gesellschaftliche Isolation lediglich ein langsam verblassendes Zerrbild aus der Vergangenheit dar. Manchmal wußte er nicht mehr, wofür sie alle kämpfen sollten.

»Herr, können wir mit den Schweißarbeiten beginnen?«

Es war Alexander, ein ehemaliger Arbeitersklave. Er gehörte zu der Mannschaft auf der Ghost, die für die Instandhaltung des Schiffs zuständig waren. Sie waren alle sehr tüchtig, jedoch nicht sehr intelligent. Alexander hingegen war der klügste von ihnen, der auch zuweilen auf Geheiß für kurze Zeit das Kommando über die Brücke zu übernehmen vermochte. Auch konnten sie nur dann am besten arbeiten, wenn man ihnen klare und konkrete Anweisungen gab. Morgan drehte sich um. Da stand der etwas ältere Freibeuter mit muskulöser Statur und leichtem grauen Haaransatz. An Kleidung trug er nichts außer schweren Stiefeln und einer Latzhose, die seine starken Oberarme zeigte. Auf dem rechten war das Zeichen des Sternenwolfes eintätowiert. Den Schweißerhelm hatte er unter den linken Arm geklemmt. Hinter Alexander prangte die Ghost im Hangar. Es herrschte ein reges Treiben auf der äußeren Hülle, man hörte Hammer-und Nietgeräusche, vereinzelte Rufe drangen als Wortfetzen zu ihnen herüber. Morgan ging einige Schritte nach vorne. Er schien die Arbeiten an seinem Schiff zu begutachten. Die Bug-Klinge war ebenfalls ausgefahren.

»Aber erst, wenn die Klinge auf Mikrorisse getestet wurde«, antwortete er streng.

Alexander verneigte sich. »Ja, Herr. Das haben wir bereits getan. Aber ich werde es nochmal überprüfen.«

Morgan nickte. »Also gut, dann an die Arbeit!«

Der Sternenwolf blickte seinem Mannschaftsmitglied nach. Selbstverständlich war die Klinge in Ordnung und das Anschweißen der Piratensymbole auf der Hülle nicht unbedingt von großer Dringlichkeit. Aber sie fühlten sich einfach besser, wenn sie Arbeit hatten. Die Freiheit bekam den ehemaligen Sklaven nicht gut, weil es gegen ihre Natur verstieß. Auch die klügsten unter ihnen wollten dienen und konnten sich kein anderes Leben darüber hinaus vorstellen.

Alexander war schließlich an der Ghost angelangt. Sie hatte die Stützschienen ausgefahren, dennoch berührte die Bug-Klinge fast den Boden des Hangars. Sie mutete an wie ein Raubtier, das nur darauf wartete, wieder ins Wasser geworfen zu werden. Die Freibeuter hatten großen Respekt vor diesem umgebauten Bergbau-Schiff. Man hatte es seinerzeit dazu verwendet, Asteroiden zwecks Abbau auszuhöhlen oder kleinere Körper aus Sicherheitsgründen zu beseitigen. Es war bereits von Hause aus dick gepanzert. Aber das genügte Morgan nicht, die gesamte Hülle war doppelt und dreifach mit dicken Stahlplatten ausgestattet, der Antrieb wurde verstärkt und ergänzt durch Sonnensegel und Ionenschub für den Unterlicht-Bereich. Die Bewaffnung wurde ebenfalls aufgestockt mit Strahlenkanonen und Raketen, als Ergänzung zu dem mächtigen Bergbau-Laser und der Bug-Klinge, die durch alle festen Materialien schneiden konnte wie durch Papier. In weiten Freibeuterkreisen wurde sein Schiff auch ehrfurchtsvoll Das Schwert der Sterne genannt.

Der Sternenwolf wurde aus seinen Gedanken gerissen. Ein Arm legte sich plötzlich um seiner Schulter. Es war Ramira.

»Du scheinst besorgt zu sein, mein Guter.«

Morgan blieb regungslos stehen. Behutsam legte er seine Hand auf ihren Arm. Sie war als Reptiloide stärker als jeder Mann, den er kannte und er war sich nicht sicher, ob er es ohne seine bionischen Glieder mit ihr jemals hätte aufnehmen können. Serrakiz waren im Übrigen auch sehr zäh. Ramira, die sich durch zahlreiche Operationen und Tätowierungen dem menschlichen Aussehen angeglichen hatte, war bei allen mindestens genau so gefürchtet wie er selbst. Aber auch sie schien Momente zu haben, in denen der Wunsch nach Geborgenheit dem Zeigen von äußerer Stärke überwog. Er war der einzige Mann war, an den sie sich anlehnen konnte, ohne vor Ihresgleichen das Gesicht zu verlieren. Das war der Preis, den man zahlen mußte, wenn man führte.

»Wir stehen vor wichtigen Entscheidungen.«

»Die Mission?«

»Nicht nur die Mission. Ich spüre, daß es bald große Veränderungen geben wird. Und ich mache mir Sorgen um meine Mannschaft.«

Ramira lachte.

»Du meinst bestimmt den Blake und Dr. Strauss.«

»Unter anderem.«

»Mach dir nichts daraus, Wölfchen. Der Doc wird ihn schon nicht umbringen. Ich mag die beiden. Sie sind Raubtiere, jeder auf seine ganz eigene Art.«

»Das ist es, was mir Sorge bereitet.«

Ramira streichelte die gesunde Hälfte seines Gesichtes.

»Menschliche Gefühle bei dem Wolf der Sterne?« Sie lächelte, dann küssten sie sich leidenschaftlich.

*

Die Dosis der Strahlung war eindeutig zu hoch. Blake warf seinen Kopf hin-und her, Schaum trat vor seinem Mund.

»Francis!«, rief Dr. Strauss laut, »beruhige dich, es ist alles gut!«

Er schien keine Notiz von ihm zu nehmen. Wie ein rasendes, tollwütiges Tier erbebte der Gefesselte auf dem gefährlich wankenden Sessel. Das schlimme war, daß sie später auf die Einsatzbesprechung mußten. Es war unbedingt erforderlich, den Kommunikationsoffizier der Ghost wieder einsatzbereit zu bekommen, koste es, was es wolle. Also gut, dann eine kleine Applikation davon, dachte er sich, als er rasch, mit großem Geschick, eine Spritze in die Vene seines fixierten Armes jagte. Es dauerte nicht lange, bis sein Patient zur Ruhe kam. Die Anzeigen auf seinem Tablett schienen sich wieder auf normale Werte einzupendeln, alles in allem hatte es den Anschein, daß Strauss keinen Schaden an seinem Freund angerichtet hatte. Lediglich das verlorene Wissen bereitete dem Doktor ein schlechtes Gefühl, durch welches er schließlich zu der Schlußfolgerung gelangte, die Therapie dürfe so kurz vor dem wissenschaftlichen Durchbruch nicht aufgegeben werden.

»Francis?«

»Ja?«

Er klang sehr angestrengt.

»Alles in Ordnung? Wie fühlst du dich?«

»Ich habe geglaubt, ich würde verbrennen… so wie… ich weiß nicht… ich schmecke Blut im Mund… meine Zunge…«

»Es ist nichts schlimmes passiert, du hast dich wohl nur verhaspelt beim Sprechen.« Blake hatte gegen die Erinnerung an Polybios solch einen starken Widerstand aufgebaut, daß er nicht mit der regulären Einstellung seines Strahlers behandelt werden konnte. Etwas länger und er hätte bleibende Schäden verursacht. Aber Strauss konnte sich weder mit den bisher erlangten Informationen zufrieden geben geschweige denn wenigstens von einem Teilerfolg in der Therapie sprechen. Genau genommen erschien es ihm zweifelhaft, über die vergangenen Stunden überhaupt als Therapie sprechen zu können.

»Doktor, auf der anderen Seite fühle ich mich irgendwie auch wie neu. Es scheint tatsächlich gewirkt zu haben.«

»Tatsächlich?«

Diese Äußerung machte Dr. Strauss Angst, denn er befürchtete, daß er gezwungen war, Zugeständnisse einzugehen, um seine Glaubwürdigkeit in Augen seines Patienten nicht zu gefährden. Und so war es dann auch.

»Ja«, sagte Blake mit aufgeregter Stimme, »ich fühle mich so gut wie selten zuvor. Ich glaube auch, daß ich keine Medikamente mehr brauche, es sei denn...«

Er betrachtete seine strapazierten Handgelenke, schließlich richtete er seinen Blick auf den Doktor.

»Es sei denn was?« wollte dieser wissen. Er mußte sich anstrengen, daß Blake seine Unsicherheit nicht mitbekommen würde, sonst hätte er irgendwann keine Macht mehr über seinen Patienten.

»Es sei denn,« fuhr Blake fort, »die Videoaufzeichnungen zeigen etwas anderes. Zum Beispiel daß ich irgendwie am toben gewesen wäre. Aber das wäre ja ein ziemlicher Rückschlag für die Therapie, oder?«

Strauss fuhr ein Zucken durch sein Herz. Dieser Kerl war sehr geschickt im Manipulieren. Ob er ihn gerade absichtlich in die Enge gedrängt hatte? Oder war dies einfach Teil seines mörderischen Instinktes? Er war sich seiner Freundschaft immer sicher gewesen und hatte niemals die Naivität in Frage gestellt, die bei Francis ausschließlich in ihrem Verhältnis zu tragen kam, nirgendwo aber sonst. Er befürchtete, daß Blake mißtrauisch geworden war, es sich selbst aber nicht zugestehen konnte und daher nun sein inneres Monster vorschickte. Strauss war sich sicher, gerade mit diesem Bekanntschaft gemacht zu haben. Er war nicht achtsam genug gewesen und somit zum Spielball seiner Launen geworden. Um sich selbst vor ihm zu schützen, glaubte er, gezwungen zu sein, einen absoluten Erfolg vorzuspielen. Es war Blakes perfide Methode, sich selbst eine Heilung einzureden und dabei unangreifbar zu bleiben. Der Widerstand schien einen Endsieg errungen zu haben.

»Wie ist es, Doktor?«, hakte Blake nach. »Wäre das ein Rückschlag?«

Strauss schreckte auf, da er in Gedanken versunken gewesen war. »Ähm... Verzeihung, natürlich wäre es das, aber du kannst unbesorgt sein. Alles verläuft nach Plan.«

»Das heißt aber dann wohl auch, daß ich es mal einige Zeit ohne meine Tabletten probieren kann, oder?«

Das war ja so klar, dachte sich der Doktor.

»Mein Freund, das ist nicht ausgeschlossen. Aber dafür muß ich zur Sicherheit noch ein paar Fragen stellen und einige Dinge erörtern, die in dir noch ganz tief versteckt schlummern.«

»In Ordnung.«

»Also, was war nun mit Polybios?«

Auf einmal sprudelte alles aus Francis heraus. Damit hatte Strauss auf keinen Fall gerechnet.

»Es war der Tag, an dem die Inquisitoren gelandet sind. Sie haben die Felder in Brand gesteckt, das ganze Anwesen. Viele Sklaven sind gestorben dabei, meine Eltern kamen aufgrund ihrer Löschversuche in den Flammen ums Leben. Ich war draußen mit Polybios, der hatte mich davon abgehalten, nach Hause zu gehen. Er sperrte mich in die unterirdische Kanalisation, damit ich vor den Flammen sicher war. Ich wollte immer ausbrechen, aber er hatte sich auf die Luke gesetzt. Bis er selbst verbrannt wurde Von einem Inquisitor persönlich. Er hatte sie abgelenkt…«

Strauss kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sollte die Therapie etwa doch angeschlagen haben? Oder gab der gerissene Blake absichtlich so viel von sich preis, um einen Heilungsprozess vorzutäuschen?

»Schließlich fand ich ihn… Nun ja, er hat mich niemals verlassen. Und er spricht mit mir.« Er deutete auf die Ablage an der Wand des Zimmers, auf der sich Mr. Pollybones befand.

»Da ist Polybios?« wunderte sich Strauss.

»Ja, ich hatte ihm später diesen Namen gegeben.«

Das faszinierte Dr. Strauss so sehr, daß er beinahe vergessen hatte, sich um das Wohl seines Patienten zu kümmern.

»Lieber Herr Doktor Strauss, wollen sie mich nicht von diesen Fesseln lösen? Ich schlage vor, wir verzichten heute mal auf die Tabletten. Schließlich ist das ja eine funktionierende Therapie.«

*

Morgan spazierte um die Holographie herum, während Ramira wie gebannt darauf starrte. Es schien so, als ob sich der Sternenwolf noch nicht an die Leichtigkeit seiner neuen Extremitäten gewöhnt hätte, was die Schwere seiner stapfenden Schritte erklären würde. Als ob er noch die klobigen Prothesen von Dr. Strauss tragen würde. Er hinkte auch genau so, wie man es von ihm kannte.

»Ich glaube, dir ist es ganz recht, daß das Treffen mir der Königin ausfallen muß.«

»Tja Ramira,« sagte Morgan, »das tut mir auch leid. Aber mit dem Kurswechsel und dem unvorhergesehenen Sprung dieses Schiffes konnte niemand rechnen.«

»Interessant, wie du plötzlich lächeln kannst.« feixte sie.

»Die Mission ist enorm wichtig. Wir müssen improvisieren.«

»Es darf jetzt aber nichts mehr schief laufen, sonst riskieren wir zuviel.«

»Wichtig ist nur, daß wir vor dem Entern sondieren. Wir müssen mindestens zwei Männer auf das Schiff schmuggeln.«

Morgan begutachtete die Holographie, die aus dem kleinen schwarzen Tisch in der Mitte des ansonsten völlig leeren Raumes projiziert wurde. Er war froh, daß der Einsatzraum wieder funktionierte. Froh war er aber nicht darüber, daß sie gleich wieder John die Schlange treffen würden, dem er vor einigen Tagen erst gedroht hatte. Er schien das einfach so weggesteckt zu haben, weil er glaubte, bei dem Rest der Freibeuter immer noch genügend Rückhalt zu haben, was aber eine Illusion gewesen war. Wenigstens würde er ohne seine Offiziere kommen, darauf hatte auch Ramira bestanden, die Dorrzzik nicht leiden konnte. Der Hafenmeister Ilias hatte allerdings hierfür sein ganzes diplomatisches Geschick bemühen müssen. Aber auf Morgans Schiff galten nun einmal Morgans Regeln. Er lächelte seine Gefährtin wieder an. Sie war unbeschreiblich schön, andere Worte konnte er nicht finden, schließlich war er nicht dafür bekannt, Poet zu sein. Diese Mischung aus Menschlichkeit und fremdartigem Aussehen verleih ihrer Erscheinung etwas surreales. Sie entgegnete mit einem leichten Grinsen, das über ihr Gesicht huschte, gepaart mit einem Blick, der eine Mischung aus Skepsis und Neckerei beinhaltete. Morgan war sich dessen absolut bewußt, daß Ramira sich denken konnte, was ihre Königin von ihm wollte. Und er war es auch. Auf Serrakiz hatte sich die seit langer Zeit repräsentative Monarchie wieder in eine konstitutionelle umgewandelt. Das war der erste Schritt zum Austritt aus der Föderation, was auch die allererste Amtshandlung erklärte, die Handelsbeziehungen beinahe komplett gekappt zu haben.

»Mir ist schon klar, was sie will«, sagte Morgan. »Eine Piratenflotte will sie. Mit offiziellem Kaperbrief im Namen ihrer königlichen Hoheit Xoralya von Serrakiz.«

»Und du hast deine Zweifel darüber? Das ist eine große Ehre.«

»Du kannst ja das Angebot wahrnehmen. Es wird unserer Freundschaft keinen Abbruch tun, wenn du offiziell zu Lasten der Föderation kaperst.« Er grinste wieder. »Das tun wir schließlich alle den ganzen Tag. Es wurde nur von keinem König abgesegnet.«

Seine Gefährtin hatte sich vor ihm aufgebaut. Mit den Fäusten in die Hüfte gestemmt versuchte sie Eindruck zu schinden. ein der Form halber, vielleicht mit der winzigen Hoffnung

»Und welcher Zacken bräche dir aus der Krone, würdest du bei uns mitwirken?«

Morgan wußte, daß sie seine Beweggründe kannte. Daher war ihre Frage wohl der geringen Hoffnung geschuldet, den Sternenwolf dennoch umstimmen zu können. Aber ihr aufgesetztes menschliches Verhalten zeigte immer, daß sie es nicht besonders ernst meinte oder Ironie im Spiel war.

»Das weißt du ganz genau. Ich werde weder den Idioten von der Liga dienen noch den ehernen Zielen deiner Königin. Ich habe meine eigene Ziele. Tarkassidia ist ein Symbol dafür. Ein Symbol für die Freiheit, nicht Unterordung.«

»Du wirst noch sehen, Tarkassidia wird nicht ewig Bestand haben, wenn diese weichgekochten Säugetierhirne die Oberhand gewinnen.«

»Die Liga wird keinen Bestand haben. Das sind einfach nur Schwachköpfe, die wir nach dieser Mission abhaken werden.«

»Was ist mit der Liga?« tönte es plötzlich aus Richtung der Tür. Es war der blinde Ilias. Mit seinem Gehstock betrat er klackend den Besprechungsraum, um sich schließlich genau zwischen Morgan und Ramira zu platzieren.

»Ihr sollt aufpassen«, sagte er, »wie ihr über gewisse Menschen hier redet. Gewisse Menschen haben einen großen Einfluss und sind immer noch nicht überzeugt von eurem Idealismus. Auch wenn die Darbietung letztens mit diesem Synthesizer von Dr. Strauss… nun ja, recht einmalig und außergewöhnlich war. Ich wußte gar nicht, daß deine Leute so gut spielen können.«

»Auch ich muß manchmal staunen über meine Männer.«

Nach und nach füllte sich der Besprechungsraum mit den Freibeutern. Chainmaster war als erstes da, dann kamen Merlin hinzu, Pyro Jack und schließlich Dr. Strauss und Francis Blake. John die Schlange erschien als letzter. Seine Anwesenheit war augenscheinlich von allen unerwünscht.

»Also gut«, sprach Morgan, »dann fangen wir mit der Besprechung an.« Er änderte das Hologramm, welches schließlich das Kreuzfahrtschiff zeigte, das über den Ringen des Jupiters schwebte.

»Francis und Merlin, ihr werdet in Kürze eine Reise zum Jupiter unternehmen und euch dort auf die MS Silverstar schmuggeln. Wir brauchen euch zum sondieren der Lage. Das ist auch der Ort, an dem die meisten Teilnehmer zusteigen werden, so daß es am unauffälligsten ist.«

Blakes Augen leuchteten vor Freude. »Danke, Kapitän. Das werde ich mit Vergnügen tun.«

»Aber wie kommen wir da rein? Unsere Gesichter sind zu bekannt dafür«, fragte Merlin.

Ilias übernahm das Wort und grinste, während er einen Beutel hervor nahm.

»Da drin«, sprach er, »sind die Hypernetz-tauglichen Roben von zwei Befreiungs-Pilgern. Natürlich ist diese Netz-Funktion zerstört, sonst würde man euch sofort enttarnen, sobald ihr mit dem Kollektiv verbunden seid. Zu den Kontrollen: sie werden euch als ungefährlich betrachten, wenn ihr sie anzieht. Und natürlich haben wir noch andere Vorkehrungen getroffen. Wartet nur ab.« Er fuhr nach einer kurzen Pause fort: »wie wir alle wissen ist das Schiff wieder in das Erd-Sonnensystem gesprungen, weil es dort die Passagiere auf der Jupiter-Station in Empfang nehmen wird. Unseren Recherchen zufolge gab es eine nicht öffentliche Werbekampagne innerhalb der höchsten Gesellschaftskreise vor allen Dingen auf der Erde. Daher war uns der Plan zu Beginn nicht ganz klar und die Entdeckung dieses Schiffes eine ziemliche Überraschung. Dort werden sich also in zwei Tagen die einflussreichsten und vermögendsten Föderationsbürger, aber auch Politiker und Prominente einfinden, um im Namen der Befreiungsethik eine vergnügliche Kreuzfahrt zu machen.«

Blake hakte ein: »wie kann es sein, daß im Namen der asketischen, alles gleich-machen-wollenden Ethik-Bewegung dieser komplett irren Zwitterschnecken aus dem Fodscha-System jetzt plötzlich eine Vergnügungsreise stattfindet?«

»Das wissen wir nicht«, entgegnete Ilias. »Vielleicht ist es eine Art Lockangebot. Besagte irre Zwitterschnecke wird nämlich aus als Sondergast anwesend sein.«

Die Schlange rieb sich das Kinn. »Sicher, auf dem Kreuzer gibt eine Menge zu holen für uns, aber lohnt sich dieses Risiko wirklich?«

»Hast du etwa die Hosen voll, Johnny-Boy?«, meinte Pyro. »Du hast doch die großen Töne gespuckt von wegen Liga und Beute teilen. Wir sind bereits an der Sache dran und was hast du getan?«

»Wir werden wenigstens nicht unseren Bord-Psychopathen als Vorhut senden, zusammen mit dem Spezialisten für Ausdruckstanz und natürliche Fußmassage.«

»Francis Blake«, entrüstete sich der Doktor, »ist der denkbar beste Mann für diese Aufgabe. Er weiß sich in allen Schichten der Gesellschaft zu bewegen und Merlin ist so gut wie unsichtbar, wenn es sein muß.«

»Laß ihn doch«, sagte Blake, »ich finde ihn ziemlich amüsant. Er weiß ja nicht, daß ich geheilt bin.«

Strauss sah ihn entgeistert an.

»Ja… natürlich…«

John regte sich weiter auf: »Blake ist ein wahnsinniger. Den kann man doch nicht auf solch eine Mission schicken. Wer soll den denn überwachen? Der Tintenfisch?«

Chainmaster hakte ein: »das muß gerade jemand sagen, der sich eine Tastatur in die Brust hat implantieren lassen. Wahrscheinlich, damit er seine Mami anrufen kann, wenn er wieder am heulen ist.«

»Treib es nicht zu weit, Leuchtauge.«

»Sonst was? Willst du dir etwas Glück spritzen, bevor man dir wieder die Fresse poliert?«

»Der Chainy in Höchstform!« lachte Pyro Jack.

»Ach, dem Großmaul habt ihr auch die Leviten gelesen?« feixte Dr. Strauss.

»Wer nicht«, kommentierte Blake mit betonter Sachlichkeit.

»Jetzt reicht es!« schrie John, der Anstalten machte, sich zum Kampfe bereit zu machen.

Chainmaster baute sich auf. »Ja, und wahrscheinlich kennt er von jedem auf Tarkassidia bereits die Faust-und Schuhgröße.«

»Meine Herren, bewahren sie doch die Fassung!« Ilias hob seinen Stock. »Johns Gruppe hat einen guten Beitrag geleistet, denn sie hat zwei Pilgerroben aufgetrieben, mit denen wir schon einmal die beiden einschleusen können. Blake und Merlin konnten auch nur deshalb als Passagiere, genauer gesagt als Freiheitspilger an Bord kommen, weil wir durch einen Kontaktmann die Daten von zwei Karteileichen mit der Biometrik unserer Leute überschreiben konnten. Gen-Scanner werden zum Glück nicht eingesetzt, weil die offizielle Politik der Reederei unbedingt das Wohlfühlen der Geäste an erster Stelle haben wollte.«

Jack musterte John eindringlich. Er traute ihm nicht.

»Wie kann ein Versager wie der da so eine ausgeklügelte Taktik fahren?«

»Nenn mich noch einmal Versager!«

Jack ignorierte die Schlange und fuhr fort: »Aber es ist strategisch unmöglich, dieses Schiff zu entern, ohne eine große Flotte im Hintergrund oder mindestens zwanzig Mann von uns an Bord«, sagte Pyro Jack.

»Wir haben einen wichtigen Hinweis bekommen, wie wir auch als große Gruppe in das Schiff kommen können, nachdem Francis und Merlin die Lage sondiert haben. Solch eine Gelegenheit bekommen wir nicht so schnell wieder.«

»Und wie sollte das klappen?«

»Wir haben einen Kontakt, der uns hineinschmuggeln kann. Mindestens zehn Mann gleichzeitig. Diesen Kontakt werden Morgan, Chainmaster und meine Wenigkeit auf der Dorian VI-Station treffen.«

»Ein kleiner Abstecher zur wilden Dolly?« Chainmasters Augen leuchteten hell auf.

»Richtig«, fuhr Ilias fort. »Und John sollten wir dankbar sein, daß wir vorher zwei Mann an Bord haben werden. Seine Offiziere können das nicht machen, aber dafür werden sie bei der Enter-Gruppe sein. Wie genau das vonstatten gehen soll, werden wir mit unserem Kontakt auf Dorian VI klären.« Mit traumwandlerischer Sicherheit legte der Blinde eine Hand auf die Schulter des Doktors. »Auf jeden Fall sollte der geniale Herr Doktor Strauss schon einmal sein neues Spielzeug scharf machen, denn denn den Gästen auf dem Schiff dürstet es nach Hochkultur.« Alle lachten. Außer John.

»Werde ich sofort machen.«

Morgan hob die Hand, woraufhin alle still waren.