Still und Stark - Susan Cain - E-Book

Still und Stark E-Book

Susan Cain

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Beschreibung

Als Susan Cain ein Teenager war, wurde sie oft gefragt, warum sie so still ist. Daraufhin zwang sie sich jahrelang, im Unterricht das Wort zu ergreifen und auf Partys zu gehen, auch wenn sie ihre freie Zeit lieber mit einer guten Freundin verbracht hätte. Im Laufe der Jahre erkannte Susan, dass ihre Introvertiertheit keine Schwäche, sondern eine Stärke war. Sie nahm sich Zeit zum Nachdenken, war ausgeglichen und eine gute Zuhörerin. Ihr erstes Buch »Still« wurde ein weltweiter Erfolg und ermutigte viele Introvertierte, zu sich selbst zu stehen. In ihrem zweiten Buch dreht sich alles um die Welt von Kindern und Jugendlichen. Sie „sind oft talentiert, einzigartig und liebevoll. Und trotzdem denken sie, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Das muss sich ändern“, beschreibt Susan Cain ihr Anliegen, das hinter diesem wichtigen Buch steckt.

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Seitenzahl: 368

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Susan Cain

mit Gregory Mone und Erica Moroz

Still und Stark

Die Kraft introvertierter Kinder und Jugendlicher

Illustrationen von Grant Snider

Aus dem Englischen von Christa Trautner-Suder

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Quiet Power. The Secret Strengths of Introverts« bei Dial Books for Young Readers, an imprint of Penguin Random House LLC.

Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2017

Copyright © 2017 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München,

unter Verwendung eines Motivs von plainpicture/Anja Weber-Decker

Copyright der Originalausgabe © Susan Cain 2016

Copyright der Illustrationen im Innenteil und auf den Umschlagseiten © Grant Snider

Susan Cain mit Gregory Mone und Erica Moroz

Lektorat: Doreen Fröhlich

DF · Herstellung: kw

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN 978-3-641-20713-7V002www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz:

Für Gonzo, Sam und Eli mit all meiner LiebeS.C.

MANIFEST FÜR INTROVERTIERTE

Ein ruhiges Temperament ist eine verborgene starke Kraft.Es gibt einen Begriff für »Menschen, die zu sehr in sich vertieft sind«: Denker.Die meisten großartigen Ideen entstehen in der Einsamkeit.Du bist dehnbar wie ein Gummiband. Du kannst alles machen, was Extrovierte machen, sogar ins Scheinwerferlicht treten. Für Stille ist später immer noch Zeit.Aber obgleich du dich gelegentlich wie ein Gummiband wirst dehnen müssen, solltest du anschließend wieder zu deinem wahren Selbst zurückkehren.Zwei oder drei enge Freunde bedeuten mehr als hundert Bekanntschaften (obwohl Bekanntschaften auch toll sind).Introvertierte und Extrovertierte sind wie Yin und Yang – sie lieben und brauchen einander.Es ist in Ordnung, die Straßenseite zu wechseln, um Small Talk zu umgehen.Du musst kein Cheerleader sein, um andere zu führen. Lies einmal bei Mahatma Gandhi nach.Wo wir schon bei Gandhi sind, er hat einmal gesagt: »Du kannst die Welt mit Sanftmut erschüttern.«

Still und stark

Einleitung

»Warum bist du immer so still?«

Freunde, Lehrer, Bekannte, sogar Leute, die ich kaum kenne, haben mich das schon gefragt. Die meisten meinen es ja gut. Sie wollen wissen, ob bei mir alles in Ordnung ist oder ob es einen Grund dafür gibt, dass ich so zurückhaltend bin. Manche fragen dies in einer Art, die vermuten lässt, dass sie es etwas seltsam finden, dass ich eine Weile nichts gesagt habe.

Ich habe nicht immer eine eindeutige Antwort auf diese Frage. Manchmal bin ich still, weil ich mitten in einem Gedanken oder einer Beobachtung bin. Manchmal konzentriere ich mich stärker auf das Zuhören als auf das Reden. Oft jedoch bin ich still, weil ich einfach so bin. Still.

In der Schule schien es immer das größte Kompliment zu sein, das man bekommen konnte, wenn es hieß, man könne »aus sich herausgehen«. Meine Lehrer forderten mich im Unterricht häufig auf, ich solle mich öfter melden. Bei Tanzveranstaltungen in der Schule ging ich mit meinen Freundinnen auf die Tanzfläche, aber wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir nur bei einer von uns zu Hause gechillt. Während des Studiums besuchte ich laute Partys mit vielen Leuten, konnte jedoch nie das Gefühl abschütteln, es gefiele mir eigentlich besser, mit ein oder zwei Freunden irgendwo zu essen und ins Kino zu gehen. Ich habe mich aber nie darüber beklagt. Ich dachte, es würde von mir erwartet, diese Dinge zu tun, um als »normal« zu gelten.

Während all dieser Zeit hatte ich ein kleines, aber inniges Netzwerk enger Freunde und Kollegen aufgebaut. Ich habe mich nie darum gekümmert, ob jemand beliebt war oder nicht, daher waren einige meiner Freunde »cool« und andere überhaupt nicht. Dank meiner Vorliebe für vertraute Gespräche waren meine Freundschaften aufgebaut auf gegenseitigem Vertrauen, Freude daran, jeweils in Gesellschaft des anderen zu sein, und Zuneigung. Sie hatten wenig mit Cliquenbildung oder Wettstreit um besondere Beliebtheit zu tun. Die Leute fingen an, mich für meine einfühlsamen Fragen zu loben, für meine Fähigkeit, selbstständig zu denken, und für mein ruhiges Herangehen an angespannte Situationen. Sie machten mir Komplimente dafür, tiefsinnig nachzudenken und eine großartige Zuhörerin zu sein. Sie fingen auch an, mir zuzuhören. Sie stellten fest, dass, wenn ich etwas sagte, dies gut durchdacht war. Und als ich in die Arbeitswelt eintrat, boten mir die draufgängerischen unverblümten Typen, die mich früher eingeschüchtert hatten, Jobs an!

Mit der Zeit merkte ich, dass meine stille Art, ans Leben heranzugehen, die ganze Zeit über eine große Kraft gewesen war. Sie war ein Werkzeug, dessen Gebrauch ich nur erst hatte lernen müssen. Ich schaute mich um und sah, dass die Welt viele großartige Beiträge – vom Apple-Computer bis zu Der Kater mit Hut – von Introvertierten erhalten hatte, und zwar wegen, nicht trotz deren stillem Temperament. Ich sammelte meine Gedanken in einem Buch für Erwachsene und nannte es Still. Die Kraft der Introvertierten. Das Buch schaffte es auf die Bestsellerliste der New York Times, hielt sich dort jahrelang und wurde in vierzig Sprachen übersetzt. Viele tausend Menschen erzählten mir, einfach nur dieser eine Gedanke – dass ihr stilles Herangehen bei richtiger Nutzung eine starke Kraft darstellt – habe ihr Leben tatsächlich verändert. Das berührte sie auf eine Weise, die ich mir nie hätte vorstellen können.

Schon bald fing ich an, Dinge zu tun, die mir unmöglich erschienen waren, als ich jünger war. Als ich beispielsweise in der Middle School war, versetzte es mich in Angst und Schrecken, wenn ich vor anderen sprechen sollte. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, wenn ich am nächsten Tag ein Buch vorstellen musste. Einmal war ich so eingeschüchtert, dass ich vor der Klasse wie gelähmt dastand und den Mund nicht aufbekam. Heute erscheine ich auf Bildschirmen in aller Welt als Fürsprecherin für introvertierte Menschen und halte Vorträge vor mehreren tausend Leuten. Ich habe Vorträge über Introvertiertheit gehalten, die mit vielen Millionen Aufrufen zu den am häufigsten gesehenen TED-Talks aller Zeiten wurden (TED steht für »Technology, Entertainment and Design« und ist der Name einer Organisation, die Konferenzen veranstaltet, bei denen die Leute wichtige Ideen teilen).

Von diesen Erfahrungen angeregt, wurde ich Mitbegründerin von Quiet Revolution, einem Unternehmen mit der klar definierten Mission, Introvertierte aller Altersstufen zu stärken. Ich möchte, dass wir Stillen das Gefühl haben, überall wir selbst sein zu können – in der Schule, bei der Arbeit und in der gesamten Gesellschaft. Quiet Revolution setzt sich für eine Veränderung ein und verschafft den Stimmen von uns Introvertierten mehr Gehör. Es ist eine inklusive Bewegung – jeder kann sich uns anschließen, egal wie still oder extrovertiert er ist. Ich ermuntere alle, sich unter Quietrev.com zu engagieren!

Ich werde häufig gefragt, ob ich mich in einen extrovertierten Menschen verwandelt habe, seit ich so ungezwungen in der Öffentlichkeit sprechen und Kommentare in den Medien abgeben kann. Ich habe mich jedoch über die Jahre hinweg nicht grundlegend verändert. Noch immer bin ich gelegentlich schüchtern. Und ich liebe mein stilles, nachdenkliches Selbst. Ich habe die Macht der Stille akzeptiert – und ihr könnt das auch.

Viele meiner Leser haben mir gesagt, sie wünschten, sie hätten schon als Kinder oder Jugendliche etwas über die Quiet Revolution gehört, oder als Eltern von introvertierten Kindern. Und ich habe auch von jungen Leuten gehört, dass sie sich eine Version von Still nur für sich wünschen.

So entstand dieses Buch.

Was ist überhaupt ein introvertierter Mensch?

Es gibt in der Psychologie einen Begriff für Menschen wie mich. Wir werden als Introvertierte bezeichnet – und es gibt nicht nur eine Definition, um uns zu beschreiben. Wir genießen die Gesellschaft anderer, haben aber auch gerne Zeit für uns alleine. Wir können sehr gute soziale Fähigkeiten haben, ziehen uns aber auch gerne zurück. Wir sind gute Beobachter. Wir hören lieber zu und reden weniger. Introvertiert zu sein bedeutet, ein Innenleben mit Tiefgang zu haben und dieses Innenleben auch wichtig zu nehmen.

Während ein Introvertierter jemand ist, der nach innen schaut, ist ein Extrovertierter genau das Gegenteil. Extrovertierte blühen in einer Gruppe auf und beziehen Energie aus dem Umgang mit anderen.

Auch wenn ihr selbst nicht introvertiert seid, gibt es vielleicht einige Introvertierte in eurer Familie oder eurem Freundeskreis.1 Introvertierte machen ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung aus – das ist jeder Zweite oder Dritte von den Leuten, die ihr kennt. Manchmal sind wir leicht zu erkennen. Wir sind diejenigen, die es sich mit einem Buch oder einem iPad auf dem Schoß auf dem Sofa bequem machen, anstatt von Leuten umgeben zu sein. Auf Partys mit vielen Leuten könnt ihr uns vielleicht im Gespräch mit wenigen Freunden finden – aber sicher nicht auf dem Tisch tanzend. Im Unterricht schauen wir manchmal woandershin, wenn der Lehrer Freiwillige aufruft. Wir passen schon auf – wir würden nur lieber allem still folgen und uns erst melden, wenn wir bereit dazu sind.

Bei anderen Gelegenheiten sind wir Introvertierten ziemlich gut darin, unsere wahre Natur zu verbergen. Wir können in Klassenzimmern und in der Schulkantine unentdeckt bleiben und im Lärm überleben, während wir es tief in unserem Inneren kaum erwarten können, der Menge zu entkommen und Zeit für uns selbst zu haben. Seit mein erstes Buch erschienen ist, habe ich mich immer wieder darüber gewundert, wie viele scheinbar extrovertierte Menschen – Schauspieler, Politiker, Unternehmer und Sportler – mir »gebeichtet« haben, dass auch sie introvertiert sind.

Introvertiert zu sein bedeutet nicht notwendigerweise, schüchtern zu sein. Es ist wichtig, zwischen beidem zu unterscheiden. Introvertierte können natürlich schüchtern sein, aber es gibt auch schüchterne Extrovertierte. Schüchternes Verhalten kann wie Introvertiertheit wirken – es lässt die Menschen still und reserviert werden. Das Gefühl von Schüchternheit ist genau wie die Introvertiertheit kompliziert und vielschichtig. Es kann von Nervosität oder der Unsicherheit herrühren, ob die anderen einen auch akzeptieren. Es kann in der Angst begründet sein, etwas falsch zu machen. Im Unterricht meldet sich ein schüchterner Schüler nicht, weil er Sorge hat, eine falsche Antwort zu geben und sich zu blamieren. Das introvertierte Mädchen neben ihm wird sich vielleicht ebenfalls nicht melden, aber aus anderen Gründen. Sie empfindet vielleicht einfach nicht das Bedürfnis, etwas beizutragen. Oder sie ist zu sehr damit beschäftigt, zuzuhören und das Gehörte zu verarbeiten, um reden zu wollen. Schüchternheit hat genau wie Introvertiertheit Vorteile. Studien zeigen, dass schüchterne Kinder eher loyale Freundschaften haben und gewissenhaft, empathisch und kreativ sind. Beide, Schüchterne wie Introvertierte, können sehr gut zuhören. Und durch Zuhören werden wir häufig gut im Beobachten, Lernen und Reifen.

Dieses Buch beschäftigt sich mit beidem, mit Introvertiertheit und Schüchternheit – und mit den Vorteilen, die ihr daraus jeweils ziehen könnt. Ich bin zufälligerweise introvertiert und von Natur aus schüchtern (auch wenn ich mit der Zeit dahin gekommen bin, mich weniger schüchtern zu fühlen). Ihr seid vielleicht nur das eine oder das andere. Lest die Teile des Buches, die auf euch zutreffen, und macht euch um den Rest keine Gedanken.

Bist du introvertiert, extrovertiert oder ambivertiert?

Psychologie ist das Studium des menschlichen Verhaltens und der menschlichen Psyche und ihrer Funktionen. Die Psyche jedes Menschen hat natürlich ihre individuellen Funktionskreise, aber jede folgt mehr oder weniger derselben Rahmenstruktur, und es gibt viele Überschneidungen zwischen uns. Carl Gustav Jung, ein berühmter Psychologe des 20. Jahrhunderts, führte die Begriffe »introvertiert« und »extrovertiert« zur Beschreibung verschiedener Persönlichkeitstypen ein.2 Jung war selbst introvertiert, und er war der Erste, der erklärte, dass Introvertierte von der inneren Welt der Gedanken und Gefühle angezogen werden, während sich ihre Gegenspieler, die Extrovertierten, nach der äußeren Welt der Menschen und Aktivitäten sehnen.

Natürlich sagte selbst Jung, kein Mensch sei komplett introvertiert oder komplett extrovertiert. Diese Persönlichkeitszüge bewegen sich auf einem so genannten Spektrum. Am besten wird ein Spektrum verständlich, wenn man sich ein langes Lineal vorstellt. Am einen Ende des Lineals befinden sich die extrem Extrovertierten und am anderen Ende die extrem Introvertierten. Es gibt Menschen, die ungefähr in der Mitte einzuordnen sind – Psychologen bezeichnen sie als »Ambivertierte« –, aber selbst die Menschen, die eher zu einer der beiden Seiten tendieren, weisen eine Mischung aus beidem auf. Viele Introvertierte erzählen, dass sie sich in Gesellschaft enger Freunde oder bei einem Gespräch über ein interessantes Thema eher wie Extrovertierte verhalten. Und so gerne Extrovertierte auch in Gesellschaft anderer sind, brauchen auch die meisten von ihnen manchmal etwas Zeit nur für sich.

Bevor wir weitergehen, habt ihr hier die Chance zu sehen, wo ihr auf dem Spektrum von introvertiert bis extrovertiert einzuordnen seid. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Entscheidet euch einfach für »trifft zu« oder »trifft nicht zu«, je nachdem, was am ehesten zu euch passt.

Ich verbringe lieber Zeit mit ein oder zwei Freunden als mit einer Gruppe.Ich äußere meine Gedanken lieber schriftlich.Ich bin gerne alleine.Ich ziehe ein ernsthaftes Gespräch dem Small Talk vor.Meine Freunde sagen, dass ich gut zuhören kann.Ich habe lieber kleine als große Klassen.Ich meide Konflikte.Ich möchte meine Arbeit anderen erst dann zeigen, wenn sie perfekt ist.Ich kann am besten für mich alleine arbeiten.Ich werde im Unterricht nicht gerne aufgerufen.Ich fühle mich erschöpft, wenn ich mit Freunden gechillt habe, auch wenn wir Spaß hatten.Ich würde meinen Geburtstag lieber mit ein paar Freunden und der Familie feiern, als eine große Party zu veranstalten.Große Projekte, die für die Schule selbstständig erledigt werden sollen, machen mir nichts aus.Ich verbringe viel Zeit in meinem Zimmer.Ich bin normalerweise nicht sehr risikofreudig.Ich kann mich stundenlang in ein Projekt vertiefen, sportlich trainieren, ein Musikinstrument üben oder mich kreativ beschäftigen, ohne mich zu langweilen.Ich überlege immer erst, bevor ich etwas sage.Ich würde eher eine SMS oder eine E-Mail schreiben, als jemanden anzurufen, den ich nicht sehr gut kenne.Ich fühle mich nicht sehr wohl, wenn ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe.Normalerweise stelle ich lieber Fragen, als welche zu beantworten.Die Leute beschreiben mich oft als leise sprechend oder schüchtern.Wenn ich wählen müsste, würde ich ein Wochenende ohne jegliches Programm einem Wochenende vorziehen, bei dem zu viel geplant ist.

Dies ist ein formloser Fragebogen, kein wissenschaftlich validierter Persönlichkeitstest. Die Fragen wurden auf der Grundlage der häufig von heutigen Forschern akzeptierten Merkmale der Introversion formuliert.

Je öfter du mit »trifft zu« geantwortet hast, desto introvertierter bist du wahrscheinlich. Hast du mehrheitlich mit »trifft nicht zu« geantwortet, neigst du eher zur Extrovertiertheit. Und wenn du ungefähr gleich häufig mit »trifft zu« und mit »trifft nicht zu« geantwortet hast, bist du wahrscheinlich ambivertiert.

Egal in welche Richtung du neigst, es ist in Ordnung. Der Schlüssel zu einem angenehmen Leben ist, dass du deine eigenen Vorlieben kennst. Manche Menschen sind wirklich »geborene Introvertierte« oder »geborene Extrovertierte«, denn Persönlichkeitszüge wie Introvertiertheit und Extrovertiertheit können von einer Generation an die nächste vererbt werden. Unsere Gene entscheiden jedoch nicht alles. Selbst wenn ihr euch als das eine oder andere seht, sind eure Persönlichkeit und eure Haltung nicht in Stein gemeißelt, sondern ihr habt viel Raum, um sie mit der Zeit zu formen und zu entwickeln. Jemand, der mit einem äußerst schüchternen und ruhigen Temperament geboren wurde, wird wahrscheinlich nicht zu einem Menschen heranwachsen, der wie Taylor Swift vor riesigen Menschenmengen auftritt, aber die meisten von uns können sich bis zu einem gewissen Grad ausdehnen, ähnlich wie sich ein Gummiband (bis zu einem gewissen Punkt) sehr flexibel dehnen kann.

Wenn ihr erkennt, welche Situationen ihr gut meistern könnt und in welchen ihr euch daher wohlfühlt, kann euch dies ein Gefühl von Kontrolle vermitteln. Dann könnt ihr auf der Grundlage dessen, was für euch gut funktioniert, auswählen. Ihr könnt die Aktivitäten weiterführen, bei denen ihr euch wohlfühlt – und könnt eure Komfortzone zugunsten eines Projekts oder einer Person, die euch wichtig sind, verlassen. Ich kann gar nicht genug betonen, wie viel Kraft es verleiht, so zu leben – daher werden wir in diesem Buch immer wieder auf diesen Punkt zurückkommen. Bestätigung aus eurer Umgebung – online oder persönlich – verschafft ein gutes Gefühl, aber die wichtigste Bestätigung kommt von euch selbst.

Auch Extrovertierte sind großartig

Die Gesellschaft übersieht uns Introvertierte oft. Sie umschwärmt die Vielredner und die, die gerne im Rampenlicht stehen, als wären sie die Vorbilder, denen jeder nacheifern sollte. Ich bezeichne dies als das extrovertierte Ideal. Damit meine ich die Überzeugung, dass wir alle schnell denkende, charismatische und risikofreudige Menschen sein sollten, die das Handeln dem Nachdenken vorziehen. Das extrovertierte Ideal kann dafür verantwortlich sein, dass ihr euch fühlt, als sei etwas nicht in Ordnung mit euch, weil ihr in einer größeren Gruppe nicht in Bestform seid. Es kommt in der Schule besonders stark zum Tragen, wo die lautesten Kinder, die am meisten reden, oft am beliebtesten sind, und wo die Lehrer die Schüler belohnen, die sich im Unterricht eifrig melden.

Dieses Buch stellt das extrovertierte Ideal infrage – aber das bedeutet nicht, dass es die Extrovertierten selbst in Frage stellen würde. Judith, meine beste Freundin, ist ein geselliger Mensch und steht seit der Grundschule immer im Mittelpunkt der »Beliebten«. Mein geliebter Ehemann Ken ist ein charmanter Typ, der gerne die Regie übernimmt und in größerer Gesellschaft immer interessante Geschichten zum Besten geben kann. Ich liebe Judith und Ken zum Teil deswegen, weil wir unterschiedlich sind und uns gegenseitig ergänzen. Sie sehen in mir Stärken, die sie selbst nicht haben (oder nicht so häufig, wie sie sie gerne hätten), und ich fühle ihnen gegenüber ganz genauso.

Ich kann tatsächlich gar nicht genug das Yin und Yang der beiden Persönlichkeitstypen betonen. Gemeinsam sind wir so viel besser, als es die Summe unserer beiden Teile wäre. Mein Mann und ich beschreiben dies gerne mit einem mexikanischen Ausdruck: »juntos somos más«, das bedeutet »gemeinsam sind wir mehr«.

Sosehr ich die Extrovertierten liebe, möchte ich doch die Scheinwerfer darauf richten, wie es sich anfühlt, still zu sein – möchte zeigen, wie stark diese Stille sein kann. Es ist kein Zufall, dass so viele der bedeutendsten Künstler, Erfinder, Wissenschaftler, Sportler und Wirtschaftsbosse introvertiert waren. Mahatma Gandhi war als Kind schüchtern und fürchtete sich vor allem, besonders vor anderen Menschen.3 Nach der Schule rannte er nach Hause, um sich nicht mit seinen Klassenkameraden beschäftigen zu müssen. Aber er wuchs heran und führte sein Land Indien zur Freiheit, ohne seine Natur grundlegend zu verändern. Er kämpfte seinen Kampf durch friedliche, gewaltlose Proteste.

Der beispiellose US-amerikanische Basketballwerfer Kareem Abdul-Jabbar zeigte seinen berühmten Hakenwurf jeden Abend vor zehntausenden von Leuten, hatte aber weder an den Menschenmengen noch an der Aufmerksamkeit Freude. Er las gerne Geschichtsbücher und beschrieb sich selbst als Nerd, der zufällig gut Basketball spielt. Seine Ruhezeiten nutzte er auch zum Schreiben und veröffentlichte sowohl Romane als auch seine Memoiren.4

Und was ist mit Beyoncé? Ihr kennt diese Ikone vielleicht von ihren weltweiten Shows in ausverkauften Stadien oder durch ihre Musikvideos, die zusammen über eine Milliarde YouTube-Aufrufe haben. Aber obwohl Beyoncé bereits frühzeitig auftrat, beschreibt sie sich selbst als introvertiertes Kind. Heute begeistert ihr Selbstvertrauen Fans in aller Welt – das heißt jedoch nicht, dass sie ihre stille, beobachtende Art aufgegeben hätte. »Ich bin eine gute Zuhörerin und beobachte gerne, und manchmal glauben die Leute, ich sei schüchtern«, sagt sie.5

Die begabte Schauspielerin Emma Watson ist ebenfalls eine schüchterne Introvertierte. »Tatsächlich bin ich eine gesellschaftlich ungeschickte, introvertierte Person«, sagt Watson. »Auf einer großen Party … gibt es zu viele Reize für mich, weswegen ich mich immer irgendwann auf die Toilette zurückziehe! Ich brauche Auszeiten … Im Small Talk bin ich eine Niete … Wenn ich neue Leute kennenlerne, fühle ich mich unter Druck, weil ich mir ihrer Erwartungen bewusst bin. Das heißt jedoch nicht, dass ich in einer kleinen Gruppe und mit meinen Freunden nicht gerne tanze und auch extrovertiert sein kann. Ich bin nur eben in der Öffentlichkeit extrem befangen.«6

Misty Copeland wurde als »nicht standesgemäße Ballerina« bezeichnet. Wie die meisten Athleten fing sie früh zu trainieren an – aber nicht so früh wie die meisten Ballerinas, die oft bereits mit vier Jahren beginnen! Als schüchterne Dreizehnjährige dachte sie, ihr Vortanzen für das Drill-Team der Schule sei eine Pleite gewesen. Aber obgleich sie still war, blieb sie nicht unbemerkt. Ihre Stärke und ihr Talent waren nicht zu leugnen, und ihre Fähigkeit, zu beobachten und sich auf eine komplizierte Choreografie zu konzentrieren, war für jemanden ihres Alters einzigartig. Sie wurde an diesem Tag zur Spielführerin der aus sechzig Mädchen bestehenden Truppe ernannt, was sie schließlich zum Ballett führte. 2015 wurde sie die erste schwarze Primaballerina in der Geschichte des American Ballet Theatre.7

Ein weiterer gut bekannter Introvertierter ist Albert Einstein. Als Kind geriet er durch seine Vorliebe für selbstständiges Lernen gelegentlich in Schwierigkeiten. Mit sechzehn fiel er bei einer Aufnahmeprüfung für die Schule durch und zwar zum Teil, weil er sich nicht die Zeit genommen hatte, für alle Fächer zu lernen, sondern sich nur auf das konzentriert hatte, was ihn interessierte. Später lernte er es jedoch, intensive Phasen, in denen er alleine arbeitete, mit kleinen gesellschaftlichen Treffen zu kombinieren. Als Twen gründete er die Akademie Olympia, eine Art Club, wo er sich mit ein paar engen Freunden traf, um über die Gedanken zu diskutieren, für deren Entwicklung er so viele Stunden in der Einsamkeit zugebracht hatte. Als Einstein sechsundzwanzig Jahre alt war, schrieb er die Gesetze der Physik komplett neu. Mit zweiundvierzig Jahren erhielt er den Nobelpreis.8

Auf den folgenden Seiten werdet ihr einigen stillen Kindern begegnen, die sich in traditionell introvertierten Aktivitäten wie Schreiben und Kunst hervortun. Ihr werdet auch Introvertierten begegnen, die Klassensprecher, meisterhafte öffentliche Redner, Sportler, Schauspieler und Sänger geworden sind. Diese Rollen mögen für stille Kinder unpassend erscheinen – und in vielen Fällen waren die Kinder, mit denen ich euch bekanntmachen werde, anfangs auch sehr zögerlich, sie zu übernehmen. Aber sie motivierten sich selbst, aus Leidenschaft für ihre Arbeit. Diese zielstrebige Leidenschaft ist ein gemeinsames Merkmal vieler Introvertierter – ich hoffe, dass auch ihr im Lauf der Zeit (das muss nicht sofort sein) eure persönliche Leidenschaft erkennen werdet!

Anhand der Geschichten und Erfahrungen anderer junger Leute, die so sind wie ihr, werde ich Fragen stellen, über die Introvertierte sich häufig Gedanken machen. Wie könnt ihr als stille Menschen euren Platz im Leben finden? Wie könnt ihr sicherstellen, dass ihr nicht unbeachtet bleibt? Und wie könnt ihr neue Freunde gewinnen, wo es euch so schwer erscheint, mit Selbstvertrauen gesprächig zu sein?

Wir werden in diesem Buch über die Beziehungen sprechen, die Introvertierte mit den Menschen in ihrer Umgebung haben – mit Freunden, der Familie und den Lehrern. Wir werden darüber sprechen, wie wir unsere Interessen und Hobbys verfolgen. Und darüber, welche Beziehung wir zu uns selbst haben. Ich hoffe, dass ihr durch dieses Buch lernen werdet, euch so zu akzeptieren und zu schätzen, wie ihr seid. Die Welt braucht euch, und es gibt viele Möglichkeiten, wie ihr mit eurer stillen Art Bände sprechen könnt.

Betrachtet dieses Buch als Anleitung. Ich will euch nicht beibringen, euch in einen anderen Menschen zu verwandeln. Vielmehr möchte ich euch zeigen, wie ihr die wunderbaren Qualitäten und Fähigkeiten, die ihr bereits habt, am besten nutzt. Und dann heißt es … nimm dich in Acht, Welt!

Erster Teil In der Schule

Kapitel 1 STILL IN DER KANTINE

Als ich neun Jahre alt war, überzeugte ich meine Eltern davon, mich im Sommer acht Wochen in ein Ferienlager gehen zu lassen. Meine Eltern waren skeptisch, aber ich konnte es kaum erwarten. Ich hatte viele Romane gelesen, die in Ferienlagern an bewaldeten Seen spielten, und es klang nach einem großen Vergnügen.

Bevor ich abreiste, half meine Mutter mir, einen Koffer mit kurzen Hosen, Sandalen, Badeanzügen, Handtüchern und … Büchern zu packen. Mit vielen, vielen Büchern. Wir hielten das für absolut sinnvoll. Lesen war in unserer Familie eine Gemeinschaftsaktivität. Abends und an den Wochenenden saßen meine Eltern, meine Geschwister und ich zusammen im Wohnzimmer und vertieften uns in unsere Romane. Es wurde nicht viel gesprochen. Jeder von uns folgte seinen eigenen erdichteten Abenteuern, aber auf unsere Art teilten wir diese gemeinsame Zeit. Als daher meine Mutter die vielen Bücher einpackte, malte ich mir dieselbe Art Erlebnis im Ferienlager aus, nur noch besser. Ich sah mich schon mit meinen neuen Freundinnen in unserer Blockhütte: zehn Mädchen, alle im Nachthemd, die glücklich zusammen lesen.

Mich erwartete jedoch eine große Überraschung. Das Sommerlager stellte sich als das genaue Gegenteil der stillen Zeit mit meiner Familie heraus. Es war eher wie eine lange, wilde Geburtstagsparty – und ich konnte nicht einmal meine Eltern anrufen und mich wieder abholen lassen.

Am ersten Tag rief uns unsere Betreuerin alle zusammen. Im Namen der Ferienlagergemeinschaft, sagte sie, würde sie uns nun ein lautstarkes Ferienmotto demonstrieren, das wir für den Rest des Sommers jeden Tag von uns geben sollten. Die Arme seitlich am Körper bewegend wie beim Joggen, sang sie:

»R-O-W-D-I-E,

SO SCHREIBEN WIR ROWDY,

ROWDIE! ROWDIE!

LASST UNS ROWDIE WERDEN!«

Am Schluss streckte sie mit einem breiten Lächeln im Gesicht beide Hände mit den Handflächen nach außen in die Luft.

Okay, das war nicht das, was ich erwartet hatte. Ich war schon aufgeregt genug, im Ferienlager zu sein – wozu dann dieses Bedürfnis, auch noch ein Rowdy zu sein? (Und warum sollten wir das Wort auch noch falsch buchstabieren?!) Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Tapfer führte ich den Anfeuerungsruf aus – und nahm mir anschließend eine Auszeit, um eines meiner Bücher auszupacken und anzufangen zu lesen.

Später in dieser Woche fragte mich jedoch das coolste Mädchen in der Hütte, warum ich immer las und warum ich so ein »Softie« sei – wobei Softie das Gegenteil von R-O-W-D-I-E war. Ich blickte auf mein Buch hinunter und warf dann einen Blick durch die Hütte. Niemand sonst saß alleine da und las. Sie lachten alle und spielten irgendwelche Handspiele oder liefen draußen mit Kindern aus anderen Hütten im Gras herum. Also klappte ich mein Buch zu und legte es zusammen mit den anderen in meinen Koffer. Ich fühlte mich schuldig, als ich die Bücher unter mein Bett schob, als bräuchten sie mich – und ich ließe sie im Stich.

Den Rest des Sommers gab ich das ROWDIE-Motto mit so viel Begeisterung von mir, wie ich nur aufbringen konnte. Jeden Tag bewegte ich meine Arme und lächelte breit, um mich, so gut ich konnte, einem lebhaften und geselligen Ferienlagerkind anzunähern. Und als das Ferienlager zu Ende und ich endlich wieder mit meinen Büchern vereint war, fühlte sich etwas anders an. Es fühlte sich so an, als wäre in der Schule und sogar mit meinen Freundinnen dieser Druck noch immer da, ein Rowdy sein zu müssen.

In der Grundschule kannte ich alle noch vom Kindergarten. Tief in meinem Inneren war ich noch immer schüchtern, aber ich fühlte mich sehr wohl und übernahm in einem Jahr sogar die Hauptrolle in einem Schulspiel. Das änderte sich jedoch alles, als ich in die Middle School kam und damit in ein neues Schulsystem wechselte, wo ich niemanden kannte. Ich war die Neue in einem Meer plappernder Fremder. Meine Mama brachte mich zur Schule, weil es mich überfordert hätte, mit Dutzenden Kindern im Bus zu fahren. Die Schultüren blieben bis zum ersten Läuten geschlossen, und wenn ich frühzeitig ankam, musste ich draußen auf dem Parkplatz warten, wo sich Grüppchen zusammendrängten. Sie schienen sich alle zu kennen und total ungezwungen zu fühlen. Für mich war dieser Parkplatz ein wirklicher Albtraum.

Irgendwann läutete endlich die Schulglocke, und wir drängten hinein. Die Gänge waren noch chaotischer als der Parkplatz. Kinder eilten in alle Richtungen. Sie trampelten über die Flure, als gehörte ihnen der Platz, und Gruppen von Mädchen und Jungen tauschten Geschichten aus und lachten heimlichtuerisch. Ich sah ein mir vertraut erscheinendes Gesicht, überlegte, ob ich Hallo sagen sollte, und ging dann doch wortlos weiter.

Im Vergleich zur Kantine zur Mittagszeit waren die Gänge jedoch geradezu ein Klacks! Die Stimmen von hunderten von Kindern wurden von den massiven Betonziegelwänden zurückgeworfen. Der Raum war mit Reihen langer schmaler Tische eingerichtet, und an jedem Tisch saß eine lachende, plappernde Clique. Alle verteilten sich auf unterschiedliche Gruppen: hier die hübschen und beliebten Mädchen, dort die sportlichen Jungen und an der Seite die nerdigen Typen. Ich konnte kaum klar denken, geschweige denn lächeln und so unbekümmert plappern, wie es hier jedem zu gelingen schien.

Kommt euch dieses Szenario bekannt vor? Es ist eine sehr häufige Erfahrung.

Ich möchte euch Davis vorstellen, einen nachdenklichen und schüchternen Jungen, der sich am ersten Tag in der 6. Klasse in einer ähnlichen Situation befand. Als einem der wenigen Amerikaner asiatischer Abstammung an einer überwiegend von Weißen besuchten Schule machten die Mitschüler ihm unangenehm bewusst, dass er irgendwie »anders« aussah. Er war so nervös, dass er beinahe die Luft anhielt, bis er im Klassenzimmer angekommen war, wo alle sich nach und nach setzten. Irgendwann konnte er nur noch sitzen und denken. Der Rest des Tages verlief ähnlich – er steuerte mit Mühe durch die überfüllte Kantine und empfand nur während einiger stiller Momente im Klassenzimmer eine gewisse Erleichterung. Als um 15:30 Uhr die Schulglocke läutete, war er erschöpft. Er hatte den ersten Tag in der 6. Klasse überlebt – auch wenn ihm jemand auf der Busfahrt nach Hause einen Kaugummi ins Haar klebte.

Soweit er dies beurteilen konnte, schienen sich alle wahnsinnig darauf zu freuen, am nächsten Morgen wiederzukommen. Alle außer ihm.

Introvertierte und die fünf Sinne

Die Dinge begannen sich dann jedoch in einer Art zu entwickeln, die Davis sich an diesem stressreichen ersten Tag niemals hätte vorstellen können. Ich werde euch den Rest seiner Geschichte bald erzählen. Inzwischen ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass wahrscheinlich nicht alle Kinder an meiner und an Davis’ Schule glücklich waren, dort zu sein, auch wenn sie noch so fröhlich wirkten. Die ersten Tage in einer neuen Schule oder sogar in einer Schule, die ihr seit Jahren besucht, können für jeden ein Kampf sein. Und bei uns Introvertierten bedeutet die starke Reaktion auf Reize, die man auch als Reaktivität auf Reize bezeichnet, dass Menschen wie Davis und ich tatsächlich besondere Anpassungen vornehmen müssen.

Was meine ich mit »Reaktivität auf Reize«? Die meisten Psychologen sind sich einig, dass Introvertiertheit und Extrovertiertheit zu den wichtigsten Persönlichkeitszügen des Menschen gehören – und dass dies auf Menschen in aller Welt zutrifft, unabhängig von ihrer Kultur oder ihrer Sprache. Die Introvertiertheit oder Introversion ist daher auch einer der am meisten erforschten Persönlichkeitszüge. Jeden Tag erfahren wir neue faszinierende Dinge darüber. Beispielsweise wissen wir inzwischen, dass Introvertierte und Extrovertierte in der Regel unterschiedliche Nervensysteme haben. Die Nervensysteme von Introvertierten reagieren stärker auf soziale Situationen und sensorische Reize als die der Extrovertierten. Die Nervensysteme der Extrovertierten reagieren also weniger stark, und das bedeutet, dass sie nach Reizen wie hellerem Licht und lauteren Geräuschen lechzen, um sich lebendig zu fühlen. Wenn sie nicht ausreichend stimuliert werden, langweilen sie sich bald und werden hibbelig. Sie ziehen von Natur aus einen geselligeren oder mitteilsameren Umgang vor. Sie brauchen die Gesellschaft anderer Menschen und blühen durch die Energie der Menschenmengen auf. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie Redner hervorbringen, auf der Suche nach Adrenalin Abenteuern hinterherjagen oder sich eifrig und freiwillig melden, um im Unterricht zuerst dranzukommen.

Wir Introvertierten auf der anderen Seite reagieren stärker – manchmal sehr viel stärker – auf Reize aus der Umgebung, wie beispielsweise den Geräuschpegel in einer Schulkantine. Das bedeutet, dass wir uns am entspanntesten fühlen und am meisten Energie haben, wenn wir in einer ruhigen Umgebung sind – nicht unbedingt alleine, aber oft mit einer kleineren Anzahl von Freunden oder mit Familienangehörigen, die wir gut kennen.

In einer Studie gab Hans Eysenck1, ein berühmter Psychologe, etwas Zitronensaft – ein Reizmittel – auf die Zungen erwachsener introvertierter und extrovertierter Versuchspersonen. Die natürliche Reaktion des menschlichen Mundes auf Zitronensaft ist, Speichel zu produzieren, der den sauren Zitrusgeschmack ausgleicht. Eysenck nahm daher an, er könne die Empfindlichkeit auf einen Reiz – in diesem Fall den Reiz durch einen Tropfen Zitronensaft – bestimmen, indem er maß, wie viel Speichel jede Versuchsperson als Reaktion auf die Flüssigkeit produzierte. Er vermutete, die Introvertierten würden auf den Zitronensaft empfindlicher reagieren und mehr Speichel produzieren. Und er hatte recht.

In einer ähnlichen Studie stellten Wissenschaftler fest, dass Kleinkinder, die empfindlicher auf den süßen Geschmack von Zuckerwasser reagieren, mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Teenagern heranwachsen, die auf den Lärm einer lauten Party empfindlicher reagieren. Wir empfinden die Auswirkungen von Geschmack, Geräusch und sozialem Leben einfach etwas intensiver als unsere extrovertierten Gegenspieler.

Andere Versuche haben ähnliche Ergebnisse erbracht. Der Psychologe Russell Geen ließ introvertierte und extrovertierte Studienteilnehmer mathematische Aufgaben lösen und setzte sie, während sie daran arbeiteten, Hintergrundgeräuschen wechselnder Lautstärke aus. Er stellte fest, dass die Introvertierten eine bessere Leistung brachten, wenn das Hintergrundgeräusch leiser war, während die Extrovertierten auch bei lauten Hintergrundgeräuschen gut arbeiten konnten.2

Das ist einer der Gründe, warum Introvertierte wie Davis es vorziehen, nur wenige Leute um sich zu haben, da viele Leute gleichzeitig sie schnell überfordern. Auf Partys beispielsweise können wir Introvertierten eine fantastische Zeit haben, aber manchmal ist unsere Energie schneller verbraucht, und wir würden gerne bald wieder gehen. Wenn Introvertierte etwas Zeit in einer ruhigen Umgebung verbringen können, laden sich ihre Batterien wieder auf. Daher genießen sie oft Aktivitäten alleine, vom Lesen über das Joggen bis zum Bergsteigen. Lasst euch von niemandem erzählen, Introvertierte seien antisozial – wir sind einfach nur anders sozial.

In der Schule oder bei anderen Aktivitäten zu glänzen fällt uns leichter, wenn unsere Umgebung es dem Nervensystem ermöglicht, bestmöglich zu funktionieren. Tatsache ist allerdings, dass die meisten Schulen keine passende Umgebung für das Nervensystem von Introvertierten sind. Sobald ihr jedoch anfangt, auf die Botschaften zu achten, die euer Körper euch sendet – beispielsweise das Gefühl, gestresst oder überfordert zu sein –, habt ihr es in der Hand, wie ihr weiter vorgeht. Ihr habt erkannt, dass sich etwas nicht mehr gut anfühlt und verändert werden muss. Ihr könnt aktiv werden, um euer Gleichgewicht zu finden – sogar noch bevor ihr an den Zufluchtsort in eurem Zimmer zu Hause zurückkehrt. Ihr könnt auf euren Körper hören und euch ein stilles Eck in eurer Schule suchen, um euch zu sammeln, beispielsweise die Bücherei oder einen Computerraum oder das leere Klassenzimmer eines freundlichen Lehrers. Ihr könnt euch sogar auf die Toilette zurückziehen, um einen Moment für euch alleine zu haben!

Davis verstand dies wahrscheinlich intuitiv. Daher fing er nach der Kaugummiattacke an, sich ganz nach vorne im Bus zu setzen, wo ihn niemand belästigte. Er versuchte, die verrückten Geräusche von Spielen und piependen Handys und den schreienden und lachenden Kindern auszublenden. Schon bald legte er sich ein Paar Ohrstöpsel zu und nutzte die Zeit im Bus zum Lesen. Er ackerte alle Bände von Harry Potter durch und wandte sich anschließend weiterbildenden Büchern zu wie Die sieben Wege zur Effektivität für Jugendliche von Sean Covey und Wie man Freunde gewinnt von Dale Carnegie. Seine Strategie bestand darin, Lärm auszuschalten, um Reize zu reduzieren und einen klaren Kopf zu behalten.

Solltest du?

Es gibt das gesamte Teenageralter hindurch vieles zu entdecken. Die körperlichen, emotionalen und sozialen Bedürfnisse entwickeln sich alle in neue Richtungen, und es kann sich anfühlen, als seien diese Bedürfnisse in einen Mixer geworfen und neu gemischt worden. Das ist zugleich unheimlich und aufregend. Während ihr durch die See der sozialen Herausforderungen steuert, vergesst nicht, dass auch eure extrovertierteren Freunde ihre sozialen Unsicherheiten durchleben. Die Unsicherheit der Teenagerzeit ist etwas, das alle durchmachen müssen – selbst Teenager, die ein älteres Geschwisterkind haben, das ihnen zeigt, wo es langgeht, oder die viele Filme über die Highschool gesehen haben oder seit Kindergartentagen zur Gruppe der Beliebten gehören.

Julian aus Brooklyn, New York, ein Zwölftklässler der Highschool mit gewinnender Ausstrahlung und ein begeisterter Fotograf, erinnert sich, dass er sich frustriert fühlte, weil still zu sein bedeutete, von Kindern in der Klasse weniger beachtet zu werden. »Ich war daran gewöhnt, mich ziemlich merkwürdig zu fühlen«, bemerkt er lachend. »In der Grundschule und nach dem Wechsel schämte ich mich dafür, so still zu sein, daher versuchte ich, auf andere Weise Aufmerksamkeit zu erringen, indem ich anderen irgendwelche Sachen ins T-Shirt steckte, ihnen Stifte klaute – so was eben. Wenn ich nach Hause kam, fühlte ich mich nicht sehr gut. Inzwischen habe ich mich abreagiert. Ich versuche, eine Verbindung zu anderen zu bekommen, anstatt sie zu ärgern. Ich errichte nicht mehr so viele Fassaden wie früher.«

Karinah, eine zurückhaltende Fünfzehnjährige, ebenfalls aus Brooklyn, fühlt sich oft gestresst, wenn sie sich in geselliger Umgebung aufhalten muss. Während Julian seine Introvertiertheit ausglich, indem er laut und lästig wurde, fühlte Karinah sich dann schon immer wie blockiert. »Wenn ich unter Leuten bin, sogar mit jemandem, den ich von der Schule kenne, empfinde ich immer den Wunsch, normal zu sein. Ich will nichts Falsches sagen, und ich sage nicht immer das, was mir durch den Kopf geht, ich finde oft nicht die richtigen Worte.«

Dr. Chelsea Grefe, eine Psychologin aus New York3, hat einige Gedanken formuliert, wie sich jemand auf solche Situationen vorbereiten kann, dem es ähnlich ergeht wie Karinah. Dr. Grefe erinnert sich daran, wie sie eine aufgeweckte und künstlerisch begabte Fünftklässlerin traf, die es nervös machte, wenn sie sich mit anderen Kindern unterhalten sollte. Das Mädchen wollte seinen sozialen Horizont aber gerne erweitern. Sie hatte zwei wirklich gute Schulfreundinnen, fühlte sich jedoch verlassen, wenn sie von diesen getrennt war. Dr. Grefe regte das Mädchen dazu an, Ideen zu sammeln, also Brainstorming zu betreiben, bevor sie in Situationen kam, von denen sie wusste, dass sie unangenehm für sie sein würden. »Es ging darum, sich einen Plan zurechtzulegen und im Rollenspiel zu üben, wie sie eine Unterhaltung anfangen könnte«, sagt Grefe. Zuerst suchte Karinah sich in anderen Gruppen Mädchen aus, bei denen sie sich vorstellen konnte, sie anzusprechen. Dann setzte sie sich selbst ein Ziel: Sie würde eine nach der anderen fragen, ob sie nebeneinander sitzen oder später zusammen chillen wollten. Durch diese Vorausplanung vermied sie es, sich in der Kantine einem voll besetzten Tisch zu nähern und keine Ahnung zu haben, was sie sagen könnte.

Dr. Grefe schlägt vor, dass ihr euch ein paar Anfangssätze für eine Unterhaltung überlegt, ganz einfache Dinge wie »Was hast du am Wochenende gemacht?« oder »Freust du dich auf unser nächstes Schulevent?« So seid ihr vorbereitet, wenn ihr in eine gesellige Situation kommt, und habt etwas, worauf ihr zurückgreifen könnt.

Maggie, eine College-Studentin aus Pennsylvania, hatte sich früher immer mit ihren Mitschülern verglichen – mit den temperamentvollen, den »natürlichen Anführern«. Oft überlegte sie, warum diese bevorzugten Kinder eigentlich so bevorzugt wurden. Einige waren nicht einmal sonderlich beliebt! Manche waren besonders attraktiv oder sportlich oder schlau, aber oft schien es eher damit zu tun zu haben, wie kontaktfreudig sie waren. Es waren die Kinder, die mit jedem ins Gespräch kamen oder sich im Unterricht lautstark zu Wort meldeten oder Partys gaben. Alles Eigenschaften, die sie nicht hatte, und manchmal fühlte sie sich deswegen ignoriert oder sonderbar.

»Wenn die lauten oder gefragten Kinder plapperten und lachten, kam in mir das Gefühl hoch ›Huch, warum kann ich mich diesen Unterhaltungen nicht einfach anschließen? Das ist doch keine große Sache! Was stimmt bloß nicht mit mir?‹« Im Grunde war Maggie lustig und nett. Sie hatte auch etwas zu sagen. Aber in der Schule konnte sie diese Qualitäten nicht zeigen, daher fühlte sie sich unbeachtet und unterschätzt.

Mit Freude kann ich berichten, dass sich Maggies Sichtweise mit der Zeit veränderte. Es war eine große Erleichterung für sie, als sie feststellte, dass sie nicht die einzige Introvertierte »im gesamten Universum« war. »Alles begann sich zusammenzufügen, als ich in der 7. Klasse Die Outsider von S. E. Hinton las«, erzählte Maggie. »Gleich die erste Seite dieses Buches fesselte mich. Die Hauptperson, Ponyboy, geht nach dem Kino alleine nach Hause und sagt, manchmal sei es ihm einfach lieber, ›im Alleingang zu handeln‹. Ich war so überrascht und glücklich, diese Worte zu lesen. Dadurch wurde mir klar, dass es auch andere gab, die genauso empfanden wie ich!«

Wie bereits weiter vorne gesagt, ist ein Drittel bis die Hälfte der menschlichen Bevölkerung introvertiert. Introvertiert zu sein ist nichts, dem man wieder entwächst, sondern es ist etwas, was man akzeptieren muss und in das man hineinwächst – und was man sogar wertschätzen sollte. Je mehr ihr bemerkt, wie besonders eure introvertierten Eigenschaften sind – und wie manches, was ihr an euch am liebsten mögt, wahrscheinlich mit eurer introvertierten Natur zu tun hat –, desto mehr wird euer Selbstvertrauen aufblühen und sich auf andere Lebensbereiche ausdehnen. Ihr müsst euch keine Aktivität aussuchen oder den Umgang mit bestimmten Leuten pflegen, nur weil ihr meint, ihr solltet das tun. Macht stattdessen das, was euch Freude bereitet, und sucht euch Freunde aus, deren Gesellschaft ihr wirklich schätzt.

Ein Mädchen namens Ruby erzählte mir, dass sie sich auf der Highschool total verbogen hatte bei dem Versuch, eine »gesellige Mentorin für die Freshmen« zu sein (so werden in den USA die Neuntklässler genannt), da dies an ihrer Schule eine angesehene Aufgabe war. Erst nachdem sie wegen zu geringer Kontaktfreudigkeit aus dem Programm geflogen war, erkannte sie, dass sie sich tatsächlich viel mehr für Wissenschaft interessierte. Sie begann, nach Unterrichtsende mit ihrer Biologielehrerin zu arbeiten, und veröffentlichte schließlich im Alter von siebzehn Jahren ihre erste wissenschaftliche Arbeit. Sie gewann sogar ein Universitätsstipendium für Biomedizintechnik!

Wie Rubys Geschichte zeigt, gibt es alle möglichen Dinge, die wir als gute Menschen wirklich tun sollten, also zum Beispiel freundlich und hilfsbereit zu unseren Freunden und unseren Familien sein. Aber es gibt ebenso viele Dinge, die wir angeblich tun sollten. In meinem ersten Jahr auf der Middle School strengte ich mich mächtig an, um die kontaktfreudige Version meiner selbst zu spielen, weil ich glaubte, so sein zu müssen: quirlig, cool und laut. Ich brauchte einige Zeit, um festzustellen, dass ich nur die Person sein konnte, die ich von Natur aus war. Im Grunde waren die Leute, zu denen ich aufschaute – meine Helden und Vorbilder –, Schriftsteller. Sie waren für mich authentisch und cool – und die meisten von ihnen waren ebenfalls introvertiert. Auch wenn ich damals noch nicht den Vorteil hatte, mein Nervensystem zu verstehen und noch nicht einmal ein passendes Wort für die Beschreibung meiner Persönlichkeit kannte, fing ich schließlich an, mein Sozialleben meinen Bedürfnissen anzupassen. Ich gewann ein paar großartige Freundinnen und stellte fest, dass ich mit ein oder zwei von ihnen rumhängen wollte, aber nicht in großen Gruppen. Mir wurde klar, dass ich keinen riesengroßen Freundeskreis haben würde, sehr wohl jedoch viele tiefgehende und wunderbare Freundschaften. Und so habe ich es mein Leben lang weitergemacht.

Erklärender Animations-Spot

Ich habe nicht nur erkannt, wie wichtig es ist, dass ich meinen Instinkten und Interessen folge, sondern auch, dass ich anderen gegenüber meine Gefühle äußere und mein Handeln erkläre. Hier ein Beispiel, das euch vielleicht bekannt vorkommt: Ihr geht von einem Klassenzimmer über den Flur in ein anderes Klassenzimmer, ihr seid tief in Gedanken oder werdet von dem Lärm und den vielen Menschen überfordert. Ihr kommt an einer Freundin oder Klassenkameradin vorbei und werft ihr einen kurzen Blick zu, seid gedanklich aber so abwesend, dass ihr nicht stehen bleibt und Hallo sagt oder mit ihr plaudert. Ihr hattet nicht die Absicht, unhöflich oder verletzend zu sein, aber eure Freundin/Klassenkameradin meint nun, dass ihr wegen irgendetwas böse seid.

Achtet auf solche oder ähnliche mögliche Missverständnisse und erklärt, so gut ihr könnt, was ihr gedacht und empfunden habt. Eine extrovertierte – und vielleicht sogar auch eine introvertierte – Freundin wird sich zunächst wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass ihr von euren Gedanken oder einem Übermaß an sensorischen Reizen so abgelenkt gewesen seid, folglich wird eure Erklärung für sie ein ganz anderes Bild ergeben.

Dennoch wird nicht jeder verstehen, wie ihr von Natur aus seid, auch nicht, wenn ihr versucht, es zu erklären. Als Robby, ein Teenager aus New Hampshire, erstmals etwas über Introvertiertheit erfuhr, empfand er eine große Erleichterung. Er wurde in großen Gruppen meist recht still, und obwohl er sich immer wohlfühlte, wenn er mit seinen engen Freunden sprach und scherzte, erlebte er auch dabei seine Grenzen. »Nach ein paar Stunden habe ich das Gefühl, ›Wow, ich kann nicht mehr.‹ Ich fühle mich wie ausgelaugt. Es ist, als würde sich eine Mauer vor mir aufbauen, und ich möchte mit niemandem mehr sprechen. Es ist keine körperliche Erschöpfung. Es ist eine mentale Erschöpfung.«