Bittersüß - Susan Cain - E-Book

Bittersüß E-Book

Susan Cain

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Beschreibung

Weshalb es sich lohnt, auch Kummer und Melancholie zuzulassen  Bestseller-Autorin Susan Cain zeigt in ihrem neuen psychologischen Ratgeber Bittersüß, weshalb vermeintlich negative Gefühle wie Trauer, Melancholie, Schmerz und Leid zu einem wirklich erfüllten Leben gehören und wie sie uns helfen, unser volles Potenzial zu entfalten. In ihrem Bestseller Still erforschte Susan Cain die verborgene Kraft der Introvertiertheit. In Bittersüß verwendet sie dieselbe Mischung aus Recherche, Geschichtenerzählen und Memoir, um zu zeigen, wie Bittersüße der Schlüssel zu einem erfüllten Leben ist. Anhand vieler anschaulicher Beispiele verdeutlicht sie, wie das Verständnis der Bittersüße es uns ermöglicht, die Übergänge des Lebens zu überstehen. Wir leben in einer Gesellschaft, die uns suggeriert, permanent fröhlich und glücklich sein zu müssen und die keinen Kummer erlaubt. Doch ohne Licht kein Schatten, ohne Tag keine Nacht – Melancholie, Traurigkeit, Sehnsucht und schwierige Emotionen gehören ganz natürlich zu unserem Leben. Nur indem wir die ganze Fülle des Lebens annehmen, entdecken wir Sinn und Verbindung, Liebe und Freude. Dichter und Komponisten wussten dies zu allen Zeiten und haben unvergängliche Meisterwerke von bittersüßer Schönheit erschaffen. In einer Zeit großer Einsamkeit und persönlicher Angst bringt uns Bittersüß auf tiefe und unerwartete Weise zusammen, indem wir unseren persönlichen und kollektiven Schmerz in Kreativität, Transzendenz und Verbindung verwandeln.

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Seitenzahl: 471

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Susan Cain

Bittersüß

Wie Sehnsucht und Melancholie uns Halt und Kraft geben

Aus dem amerikanischen Englisch von Elisabeth Liebl

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Die lebensverändernde Kraft der Melancholie

Die unermüdliche Suche nach Glück macht uns nicht glücklich. Nur indem wir auch leidvolle Emotionen wie Melancholie, Sehnsucht oder Schmerz zulassen und sie annehmen, entdecken wir wahre Sinnhaftigkeit. Denn in den bittersüßen Zuständen steckt ein enormes transformierendes Potenzial. In ihnen liegt eine stille Kraft, die uns hilft, unseren Schmerz in Kreativität, Mitgefühl und Verbundenheit zu verwandeln.

Berührend und sehr persönlich geschrieben, verbindet uns Bittersüß auf tiefgreifende Weise.

 

Wenn Sie sich jemals gefragt haben, weshalb Sie melancholische Musik mögen …

Wenn Sie in einem regnerischen Tag Trost und Inspiration finden …

Wenn Sie stark auf Kunst, Natur und Schönheit reagieren …

… dann ist dieses Buch für Sie.

Inhaltsübersicht

Im Gedenken an Leonard Cohen

Einführendes Zitat

Vorbemerkung der Autorin

Präludium – Der Cellist von Sarajevo

Einführung – Die Kraft des Bittersüßen

Teil 1: Kummer und Sehnsucht – Wie wir aus Leid Kreativität, Transzendenz und Liebe destillieren

1. Wofür ist Kummer gut?

2. Warum sehnen wir uns nach »vollkommener« und bedingungsloser Liebe? (Und was hat dies mit unserer Vorliebe für traurige Lieder, Regentage und das Göttliche zu tun?)

3. Was hat Kreativität mit Kummer, Sehnsucht und Transzendenz zu tun?

4. Wie gehen wir mit verlorener Liebe um?

Teil II: Gewinner und Verlierer – Wie können wir in der »Diktatur des Positiven« authentisch leben und arbeiten?

5. Wie aus einer Nation, die auf Schmerz gründet, ein Land des Dauerlächelns wurde

6. Wie können wir den Zwangsoptimismus, den man uns am Arbeitsplatz und andernorts verordnet, ablegen?

Teil III: Sterblichkeit, Vergänglichkeit und Trauer – Wie können wir leben mit dem Wissen, dass wir und alle Menschen, die wir lieben, einmal sterben werden?

7. Sollen wir versuchen, ewig zu leben?

8. Sollen wir versuchen, über Trauer und Vergänglichkeit »hinwegzukommen«?

9. Erben wir den Schmerz unserer Eltern und Großeltern? Und wenn ja, können wir ihn Generationen später noch stillen?

Coda – Wie wir nach Hause kommen

Dank

Im Gedenken an Leonard Cohen

 

 

There is a crack, a crack in everything.

That’s how the light gets in.

 

(Alles, wirklich alles hat einen Sprung.

So kann das Licht herein.)

 

L. C., »Anthem«

Gregor der Große (um 540–604) sprach über die »compunctio«, den heiligen Schmerz … das Ziehen im Herzen, das man verspürt, wenn man mit dem absolut Schönen konfrontiert ist … Diese bittersüße Erfahrung hat ihre Wurzeln in der menschlichen Unbehaustheit in einer unvollkommenen Welt und in deren klarem Gewahrsein, während uns gleichzeitig der Wunsch nach Vollkommenheit umtreibt. Diese innere spirituelle Leere wird schmerzlich real, wenn wir der Schönheit von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Hier, zwischen dem Verlorenen und dem Ersehnten, werden die heiligen Tränen geboren.

 

Owe Wikström, emeritierter Professor für Religionspsychologie an der Universität Uppsala

Vorbemerkung der Autorin

Offiziell arbeite ich seit 2016 an diesem Buch, inoffiziell allerdings (wie Sie bald merken werden) schon mein ganzes Leben. Ich habe mit Hunderten Menschen über dieses bittersüße Gefühl gesprochen, habe mich über es informiert und mich darüber ausgetauscht. Einige dieser Menschen zitiere ich ganz explizit. Andere haben mein Denken geprägt, und ich hätte sie zu gerne alle erwähnt, aber dann wäre das Buch unlesbar geworden. Daher tauchen einige Namen nur in den Fußnoten und in der Danksagung auf. Manche wiederum habe ich vergessen, und das ist allein meine Schuld. Ich bin ihnen allen dankbar.

Was die Lesbarkeit angeht: Ich habe nicht in jedem Zitat mit Auslassungszeichen gearbeitet, mich aber stets bemüht, die Intention der Autor*innen nicht zu verändern. Manchmal ließ ich einzelne Worte weg oder fügte welche hinzu. Wenn Sie die Quellen selbst überprüfen wollen, finden Sie die Angaben in den Fußnoten am Ende des Buchs.

Außerdem habe ich die Namen und persönlichen Daten einiger Menschen geändert, deren Geschichte ich hier wiedergebe. Diese Erzählungen habe ich nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft, allerdings nur jene gewählt, die mir wahr erschienen.

Sarajevo Requiem, Tom Stoddart (© Getty Images)

Präludium

Der Cellist von Sarajevo

Eines Nachts träumte ich, dass ich mich mit meiner Freundin Mariana traf, einer Dichterin aus Sarajevo, der Stadt der Liebe. Ich wachte einigermaßen verwirrt auf. Sarajevo, ein Sinnbild der Liebe? War Sarajevo nicht der Ort, an dem einer der blutigsten Bürgerkriege des 20. Jahrhunderts stattfand?

Dann fiel es mir wieder ein.

Vedran Smailović.

Der Cellist von Sarajevo.1

• • •

28. Mai 1992. Sarajevo wird belagert. Jahrhundertelang haben Muslime und Christen, Kroaten und Serben in dieser Stadt der Straßenbahnen und Bäckereien, der Parks mit ihren vielen Schwanenteichen, der osmanischen Moscheen und serbisch-orthodoxen sowie römisch-katholischen Kathedralen friedlich zusammengelebt. Eine Stadt für drei Religionen und drei Völkerschaften, ein Umstand, dem noch vor nicht allzu langer Zeit niemand groß Beachtung geschenkt hatte. Jedem war das bekannt, aber niemand fragte danach. Man sah den anderen lieber als Nachbarn, mit dem man sich auf einen Kaffee oder ein Kebab traf, Kurse an derselben Universität besuchte, ja, den man mitunter ehelichte und mit dem man Kinder zeugte.

Jetzt aber herrschte Bürgerkrieg in dieser Stadt. Die Männer auf den umliegenden Hügeln hatten Strom und Wasser abgestellt. Das Olympiastadion von 1984 hatte man niedergebrannt, Spielwiesen und Sportplätze waren zu improvisierten Gräberfeldern geworden. In den Mauern der Wohnhäuser klafften Narben von Granaten, die Ampeln funktionierten nicht mehr, in den Straßen war es still. Das Einzige, was man noch hörte, war das Knattern des Gewehrfeuers.

Bis zu dem Augenblick, als die Klänge von Tomaso Albinonis Adagio in g-Moll die Straßen rund um eine ausgebombte Bäckerei erfüllen.2

Kennen Sie dieses Musikstück? Wenn nicht, dann sollten Sie sich vielleicht kurz die Zeit nehmen, es anzuhören: https://www.youtube.com/watch?v=kn1gcjuhlhg. Es ist tief bewegend. Hervorragend. Unglaublich traurig. Vedran Smailović, Solo-Cellist im Philharmonischen Orchester und in der Oper von Sarajevo, spielt es für die zweiundzwanzig Menschen, die am Tag zuvor von einer Mörsergranate getötet wurden, als sie sich um Brot anstellten. Er war in der Nähe, als die Granate explodierte. Er half, die Verwundeten zu versorgen. Nun ist er an den Ort des Gemetzels zurückgekehrt, in weißem Hemd und schwarzem Frack, als würde er in der Oper spielen. Smailović sitzt mitten im Schutt auf einem weißen Plastikstuhl, das Cello zwischen den Beinen. Und die sehnsüchtigen Klänge des Adagios steigen auf zum Himmel.

Um ihn herum feuern Gewehre, schlagen Granaten ein, rattern Maschinengewehre. Er spielt weiter. Er wird dies zweiundzwanzig Tage lang tun, einen Tag für jeden einzelnen Menschen, der vor der Bäckerei sein Leben verlor. Irgendwie trifft ihn keine einzige Kugel.

Diese Stadt liegt in einem Tal, umschlossen von Hügeln, von denen aus die Heckenschützen Menschen ins Visier nehmen, die Brot brauchen. Manche harren stundenlang aus, ehe sie über die Straße gehen, und wenn sie es wagen, huschen sie auf die andere Seite wie gejagtes Wild. Und doch sitzt hier ein Mann auf einem offenen Platz, im Galaanzug, als hätte er alle Zeit der Welt.

»Sie fragen mich, ob ich verrückt bin, weil ich an einem Kriegsschauplatz Cello spiele?«, sagte er. »Warum fragen Sie nicht DIE DA, ob sie verrückt sind, weil sie Sarajevo bombardieren?«

Das Zeichen, welches Smailović setzt, ist bald in der ganzen Stadt bekannt, sein Spiel wird sogar im Radio übertragen. Später wird man über ihn einen Roman schreiben und einen Film drehen. Zuvor aber, während der finstersten Tage der Belagerung, inspiriert er mit seinem Spiel andere Musiker in der Stadt, es ihm gleichzutun. Sie gehen mit ihren Instrumenten auf die Straße. Sie spielen keine Marschmusik, um damit die Menschen gegen die Heckenschützen zu mobilisieren. Auch keine Popsongs, um die Moral zu heben. Sie spielen das Adagio von Albinoni. Die Zerstörer greifen an mit Gewehren und Bomben, und die Musiker erwidern das Feuer mit der bittersüßesten Musik, die sie kennen.

»Wir sind keine Kämpfer«, jubeln die Geigen. »Wir sind keine Opfer«, antworten die Bratschen. »Wir sind nur Menschen«, singen die Celli, »einfach nur Menschen: Voller Fehler und voller Schönheit sehnen wir uns alle nach Liebe.«

• • •

Einige Monate später. Der Bürgerkrieg tobt noch immer. Der britische Auslandskorrespondent Allan Little wird Zeuge, wie eine Prozession von 40000 Zivilisten aus einem Wald herauskommt. Die Leute waren seit achtundvierzig Stunden ohne Rast auf den Beinen, auf der Flucht vor einem Angriff.

Unter ihnen ein Mann von achtzig Jahren. Er scheint erschöpft und verzweifelt zu sein. Der Mann geht auf Little zu und fragt, ob er nicht zufällig seine Frau gesehen hätte. Sie seien auf dem langen Marsch getrennt worden, erzählt er.

Nein, Little hat sie nicht gesehen, aber als Journalist will er wissen, ob der Mann sich selbst als Moslem oder als Kroate bezeichnen würde. Die Antwort des Mannes, so berichtet Little später in einer großartigen BBC-Sendung, würde ihn noch heute, Jahrzehnte später, beschämen.

»Ich bin …«, sagte der alte Mann, »… Musiker.«3

Porträt einer jungen Frau,2021, Ukraine (© Tetiana Baranova, Instagram @artbytaqa)

Einführung

Die Kraft des Bittersüßen

Wir haben ewig Heimweh nach einer anderen, andersgearteten Welt.

Vita Sackville-West, Mein Garten4

Einmal, ich war so um die zweiundzwanzig und studierte Jura, holten mich Freunde auf ihrem Weg zum Seminar in meinem Schlafsaal an der Uni ab. Ich hatte gerade bittersüße Musik in Moll gehört. Nicht Albinoni, den ich damals noch nicht kannte. Eher meinen absoluten Lieblingsmusiker aller Zeiten, Leonard Cohen, den Poeta laureatus des Pessimismus.

Es ist schwer in Worte zu fassen, was ich empfinde, wenn ich diese Art Musik höre. Oberflächlich betrachtet ist es Trauer, in Wirklichkeit aber fühle ich Liebe: eine große Woge der Liebe, die mich überrollt. Eine tiefe Verbundenheit mit allen Seelen dieser Welt, die das Leid kennen, das aus diesen Klängen spricht. Ehrfurcht vor der Gabe des Künstlers, Schmerz in Schönheit zu verwandeln. Höre ich diese Musik allein, kann es mir passieren, dass ich spontan die Hände zum Gebet falte, obwohl ich durch und durch Agnostikerin bin und normalerweise nicht bete. Aber diese Musik öffnet mir das Herz: Ich kann dann spüren, wie meine Brustregion sich entspannt. Plötzlich finde ich es ganz in Ordnung, dass jeder Mensch, den ich liebe, mich eingeschlossen, eines Tages sterben wird. Dieses Gefühl von Gleichmut angesichts des Todes hält vielleicht drei Minuten vor, aber jedes Mal, wenn es sich einstellt, verändert es mich ein bisschen. Wenn Sie Transzendenz definieren als den Moment, in dem Ihr Selbst sich auflöst und Sie sich mit allem verbunden fühlen, so sind diese musikalisch bittersüßen Augenblicke das, was in meinem Leben dem am nächsten kommt. Nur dass dies wieder und wieder geschieht.

Ich habe nie verstanden, wieso.

Meine Freunde amüsierten sich über das Missverhältnis zwischen schwermütigen Songs und Studentenheim-Schlafsaal. Einer fragte mich, warum ich denn Beerdigungsmusik höre. Ich lachte, und wir zogen los. Ende der Diskussion.

Nur dass ich die nächsten fünfundzwanzig Jahre über dieses Erlebnis nachdachte. Warum hatte denn traurige Musik eine so unglaublich erhebende Wirkung auf mich? Und was war der Grund, der diese Vorliebe in unserer Kultur zum Gegenstand eines Witzes werden ließ? Und warum verspüre ich jetzt, da ich diese Sätze niederschreibe, das Bedürfnis, Ihnen zu versichern, dass ich auch Tanzmusik mag? (Ehrlich!)

Anfangs waren dies nur interessante Fragestellungen. Als ich aber nach Antworten suchte, merkte ich, dass dies die Fragen überhaupt waren, die ganz großen – und dass unsere Kultur uns zu unserem Schaden darauf getrimmt hat, sie nicht zu stellen.

• • •

Vor rund 2000 Jahren fragte sich Aristoteles, warum so viele große Dichter, Philosophen, Künstler und Staatsmänner häufig eine melancholische Persönlichkeit hätten.5 Hinter seiner Überlegung steht die antike Vorstellung, dass es im menschlichen Körper vier Säfte gibt, denen vier unterschiedliche Temperamente zugeordnet sind: Melancholiker (Trauer), Sanguiniker (Fröhlichkeit und Glück), Choleriker (Aggression) und Phlegmatiker (Ruhe). Das Mischungsverhältnis dieser Säfte, ihr jeweiliger Anteil, bestimmte angeblich den Charakter eines Menschen. Hippokrates, der berühmte antike griechische Arzt, glaubte, der ideale Mensch erfreue sich eines harmonischen Gleichgewichts dieser vier Säfte.6 Nun aber neigen die Menschen meist eher zu dem einem oder dem anderen Temperament.

In diesem Buch geht es um die Melancholie, die ich als »bittersüß« bezeichne7: eine Anlage zur Sehnsucht, zu Schmerz und Kummer; ein deutliches Gewahrsein der Vergänglichkeit der Zeit; und eine merkwürdig schmerzliche Freude an der Schönheit dieser Welt. Dieser bitteren Süße ist auch bewusst, dass Licht und Dunkel, Geburt und Tod – süß und bitter – auf ewig ineinander verwoben sind. »Tage voller Honig, Tage voller Zwiebeln«, so sagt es ein arabisches Sprichwort. Die Tragödie des Lebens ist unauflöslich verknüpft mit seiner Herrlichkeit. Und wenn Sie ganze Zivilisationen auslöschen und von Grund auf neu erstehen lassen könnten, würden diese Polaritäten neu mit ihnen erstehen. Sich voll und ganz auf diese Dualität einzulassen – auf das Dunkel ebenso wie auf das Licht –, ist paradoxerweise der einzige Weg, um über sie hinauszuwachsen. Und ebendas ist der Punkt, um den es letztlich geht. Das Bittersüße hat zu tun mit der Sehnsucht nach Verbundenheit, dem Wunsch nach Heimkehr.

Sich selbst als von bittersüßem Temperament zu beschreiben und dabei nicht eitel zu wirken, ist schwierig, hat man dabei die Feststellung des Aristoteles im Hinterkopf, dass Melancholie häufig ein Zeichen großer Geister sei. Doch seine Beobachtung sollte in den folgenden Jahrtausenden immer wieder Zustimmung finden. Im 15. Jahrhundert meinte der italienische Philosoph Marsilio Ficino, dass Saturn, der römische Gott der Melancholie, »den Alltag dem Jupiter überlässt, für sich selbst aber ein weltabgeschiedenes und göttliches Leben reklamiert«.8 Albrecht Dürer stellte im 16. Jahrhundert die Melancholie als schwermütigen Engel dar, der von Symbolen der Schöpferkraft, des Wissens und der Sehnsucht umgeben ist: ein Polyeder, ein Stundenglas und eine Himmelsleiter.9 Und im 19. Jahrhundert meinte der französische Schriftsteller Charles Baudelaire, er könne sich keine Art der Schönheit vorstellen, in die sich nicht ein Hauch Melancholie mische.10

Diese romantische Auffassung der Melancholie meldete sich im Laufe der Zeit wiederholt zu Wort, um danach wieder zu verstummen. Heute macht sie sich rar. In einem einflussreichen Essay aus dem Jahr 1918 bezeichnete der österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud die Melancholie als Narzissmus. Seitdem ist sie im Rachen der Psychopathologie verschwunden. Die Mainstream-Psychologie sieht sie gar als Synonym für eine klinische Depression.11

Aber die Frage des Aristoteles blieb trotz alledem aktuell. Es kann gar nicht anders sein. Denn der Melancholie wohnen geheimnisvolle Kräfte inne, die für uns ganz wesentlich sind. Plato besaß sie, Jalal ad-Din Rumi besaß sie und auch Charles Darwin, Abraham Lincoln, Maya Angelou, Nina Simone … und Leonard Cohen.

Aber was besaßen diese Leute nun eigentlich?

Ich habe Jahre damit zugebracht, dieser Frage nachzugehen. Ich bin der Brotkrumenspur von bildenden Künstlern, Dichtern, Meditierenden und Weisen aller Kulturen gefolgt. Die mich dann zu den Arbeiten von Psychologen, Wissenschaftlern, ja selbst Managementexperten unserer Tage führten (die tatsächlich die einzigartigen Stärken melancholischer Unternehmensführer und Kreativer erforschen und fragen, wie diese am besten nutzbar gemacht werden können). Und ich kam zu dem Schluss, dass die Bittersüße keineswegs, wie man gerne glaubt, ein Gefühl oder Erleben des Augenblicks ist. Sie ist vielmehr eine stille Kraft, eine Art des Seins, eine sagenumwobene Tradition – die sträflich übersehen wird, aber voll des menschlichen Potenzials steckt. Sie ist eine authentische und erhebende Reaktion auf das Problem, das wir in einer zutiefst mängelbehafteten, aber unverbrüchlich schönen Welt leben.

Vor allem aber zeigt die bittere Süße uns, wie wir auf Schmerz reagieren können: indem wir ihn annehmen und versuchen, ihn in Kunst zu verwandeln, wie Musiker das tun. Oder in Heilung, in Innovationen oder in andere Dinge, die die Seele nähren. Wenn wir unsere Nöte, unsere Sehnsucht nicht verwandeln, bürden wir sie vielleicht anderen auf – in Gestalt von Missbrauch, Herrschsucht oder Vernachlässigung. Ist uns hingegen bewusst, dass alle Menschen Verlust und Leid kennen – oder erfahren werden –, können wir uns einander wahrhaft zuwenden.12

Diese Vorstellung – Schmerz in Schöpferkraft, Transzendenz und Liebe zu verwandeln – ist das Leitmotiv dieses Buchs.

• • •

Die ideale Gemeinschaft weist, wie der ideale Mensch, alle vier hippokratischen Temperamente in einem harmonischen Verhältnis auf. Aber so, wie bei vielen Menschen die Züge eines bestimmten Typus überwiegen, so ist dies auch in unserer Gesellschaft der Fall. Und wir haben, wie wir in Kapitel 5 sehen werden, die westliche Kultur rund um den sanguinischen (fröhlichen) und den cholerischen (aggressiven) Typ orchestriert. Beides assoziieren wir mit Tatkraft und Stärke.

Der sanguinisch-cholerische Typ ist vorwärtsgewandt und kampfbereit. Er setzt im direkten Leben auf optimistische Zielorientiertheit und online auf den gerechten Zorn. Wir sollen durchsetzungsfähig, zuversichtlich und selbstbewusst sein. Wir sollten genug Selbstvertrauen haben, um immer unsere Meinung zu sagen. Und genügend zwischenmenschliches Geschick, um haufenweise Freunde zu finden und Menschen zu beeinflussen. Den US-Amerikaner*innen ist Glück so wichtig, dass sie das Recht darauf in einem ihrer Gründungsdokumente verankert haben. In diesem Land beschäftigen sich über 30000 Bücher mit diesem Thema, wie eine kürzlich durchgeführte Suche auf Amazon ergab. Wir lernen von Anfang an, unsere Tränen zu verachten (»Heulsuse!«) und für den Rest unseres Lebens unser Leid zu zensieren. In einer Studie an mehr als 70000 Menschen hat Dr. Susan David, Psychologin an der Harvard University, festgestellt, dass ein Drittel von uns sich selbst kritisiert, weil wir »negative« Gefühle wie Trauer und Leid empfinden. »Wir springen aber nicht nur mit uns selbst so harsch um«, meint David, »sondern auch mit den Menschen, die wir lieben, zum Beispiel mit unseren Kindern.«13

Natürlich bringt eine sanguinisch-cholerische Haltung viele Vorteile. Sie hilft uns, den Ball zur zweiten Base zu werfen, ein Gesetz durch den Kongress zu bekommen und für das Gute zu kämpfen. Aber all die Jubelrufe und all die sozial akzeptierte Wut verstellen den Blick auf die Wirklichkeit: dass nämlich alle Menschen – sogar Influencer mit tollen Tanz-Moves oder coolen Videos – zerbrechliche, vergängliche Wesen sind. Daher fehlt es uns an Mitgefühl für jene, die nicht auf unserer Wellenlänge sind. Und bekommen wir selbst Schwierigkeiten, erwischen sie uns kalt.

Der bittersüße-melancholische Typ hingegen kann rückwärtsgewandt wirken, unproduktiv und gefangen in seinen Sehnsüchten. Er sehnt sich stets nach dem, was hätte sein können oder was vielleicht noch sein wird.

Aber Sehnsucht ist immer auch verkappte Bewegung: Sie ist durchaus aktiv und nicht passiv. Sie ist getragen von Kreativität, Zartgefühl und dem Göttlichen. Wir sehnen uns nach etwas oder jemandem. Wir greifen danach und gehen darauf zu. Im englischen Wort longing steckt die altenglische Wurzel langian, was so viel bedeutet wie »lang werden«. Und im Deutschen ergibt sich aus dem Althochdeutschen langên (Verlangen haben) das Verb »langen«, also »nach etwas greifen«. Das Wort yearning, »Sehnen«, ist etymologisch mit Hunger und Durst verbunden, aber auch mit Lust. Im Hebräischen jedenfalls teilt es sich eine Wurzel mit dem Wort für »Leidenschaft«.

Der Ort des Leidens ist also – mit anderen Worten – der Ort, an dem Ihnen etwas wirklich am Herzen liegt. So sehr, dass Sie handeln wollen. Daher ist es bei Homer auch das Heimweh, das Odysseus zu seiner epischen Fahrt anspornt.14 In den ersten Zeilen der Odyssee finden wir ihn weinend am Strand, weil er sich nach seinem heimatlichen Ithaka sehnt. Aus diesem Grund ist fast in jedem Kinderbuch, das wir lieben, von Harry Potter bis Pippi Langstrumpf, der Held oder die Heldin ein Waisenkind. Erst nachdem die Eltern gestorben und so zum Gegenstand der Sehnsucht geworden sind, erlebt das Kind seine Abenteuer und fordert sein Geburtsrecht ein. Diese Geschichten sprechen uns an, weil wir alle Alter und Krankheit unterworfen sind, weil wir Trennungen und Trauer erleben, Pandemien und Kriege. Und die Botschaft, die hinter all diesen Geschichten steht, das Geheimnis, das unsere Dichter und Philosophen uns seit Jahrhunderten zu lehren versuchen, ist: dass unsere Sehnsucht das Tor zur Zugehörigkeit ist.15

Viele der Weltreligionen lehren die gleiche Lektion. »Dein ganzes Leben muss der Sehnsucht gewidmet sein«, schreibt der anonyme Autor der Wolke des Nichtwissens, eines mystischen Werks aus dem 14. Jahrhundert.16 »Nur wer sich ständig in inniger Sehnsucht ergeht, das wahre Angesicht des Herrn zu sehen, wird vollständige Aufnahme finden«, heißt es im Koran (92, 20–21).17 Und Meister Eckhart, der christliche Mystiker des Spätmittelalters, schreibt: »Gott ist der Seufzer der Seele.«18 »Unser Herz ist ruhelos, bis es Ruhe findet in dir.« Dieser Ausspruch gehört zu den meistzitierten von Augustinus.19

Diese Wahrheit spüren wir in jenen überzeitlichen Momenten, in denen wir Zeuge von etwas derart Erhabenem werden – einem legendären Gitarrenriff, einem überirdischen Salto –, dass es allem Anschein nach nur aus einer vollkommenen und wunderschönen Welt stammen kann. Daher verehren wir Rockstars und Olympioniken in dem Ausmaß, wie wir das tun – weil sie uns an diesem Hauch Magie aus einer anderen Welt teilhaben lassen. Doch diese Momente sind flüchtig, dabei würden wir doch so gerne für immer in dieser Welt leben. Wir sind überzeugt, dass wir eben dorthin gehören.

Im schlimmsten Fall verzweifeln bittersüße Menschen daran, dass diese vollkommene und schöne Welt für immer außerhalb ihrer Reichweite liegt. Im besten Fall aber versuchen sie, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Das Bittersüße ist die verborgene Quelle, aus der Mondflüge, Meisterwerke und Liebesgeschichten geboren werden. Diese Sehnsucht lässt uns Mondscheinsonaten spielen und Raketen bauen, die zum Mars fliegen. Bewegt von dieser Sehnsucht liebte Romeo seine Julia, schrieb Shakespeare ihre Geschichte auf, die wir noch Jahrhunderte später auf die Bühne bringen.20

Es ist nicht wichtig, ob wir diese Wahrheit erkennen, indem wir Pippi Langstrumpf lesen, Simone Biles zuschauen oder den heiligen Augustinus studieren – ob wir nun Atheisten oder Gläubige sind. Die Wahrheiten sind dieselben. Ob Sie sich nach dem Partner sehnen, der Sie verlassen hat, oder nach der Frau Ihrer Träume. Ob es Sie nach der glücklichen Kindheit verlangt, die Sie nie hatten, oder nach dem Göttlichen. Ob Sie sich ein kreatives Leben wünschen oder ein Leben in Ihrer ursprünglichen Heimat oder eine vollkommenere (persönliche oder politische) Gemeinschaft. Ob Sie davon träumen, die höchsten Gipfel zu erklimmen oder mit der Schönheit zu verschmelzen, die Sie bei Ihrem letzten Strandurlaub kennengelernt haben. Ob Sie nun den Schmerz Ihrer Ahnen lindern wollen oder sich eine Welt ersehnen, in der Sie andere Lebensformen nicht vernichten. Ob Sie Sehnsucht haben nach einem Menschen, den Sie verloren haben, oder nach einem ungeborenen Kind, nach der Quelle der Jugend oder der bedingungslosen Liebe: All dies sind Manifestationen ein und desselben Schmerzes.

Ich nenne diesen Ort, diesen Zustand, nach dem wir uns sehnen, »die vollkommene, schöne Welt«. In der jüdisch-christlichen Tradition ist dies der Garten Eden beziehungsweise das Himmelreich. Und es gibt dafür unzählige Bezeichnungen: ob einfach »das Zuhause« oder »irgendwo jenseits des Regenbogens«. Der US-amerikanische Schriftsteller Mark Merlis nennt es »die Küste, von der man uns verbannt hat, bevor wir geboren wurden«.21 Der Ire C. S. Lewis beschreibt es als »den Ort, von dem alle Schönheit stammt«.22 Und letztlich geht es überall um dasselbe – das tiefinnerste Begehren jedes menschlichen Herzens. Das, was Vedran Smailović beschwor, als er in den Straßen einer vom Krieg verwüsteten Stadt sein Cello erklingen ließ.

In den letzten Jahrzehnten wurde Leonard Cohens »Hallelujah«, eine Ballade spiritueller Sehnsucht, zum – mitunter kitschigen – Markenzeichen von TV-Talentshows wie American Idol.23 Und doch trieb es den Zuschauern auch noch beim tausendsten Mal die Tränen in die Augen, wenn die Kandidaten es gemeinsam anstimmten. Es ist nicht wichtig, ob wir uns für »religiös« halten oder nicht: Auf eine sehr grundlegende Weise streben wir alle nach dem Himmelreich.

• • •

Etwa um die gleiche Zeit, als meine Freunde mich im Schlafsaal des Studentenwohnheims abholten und ich anfing, über traurige Musik nachzudenken, stieß ich auf die buddhistische Vorstellung, dass – wie der US-amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell es formulierte – »wir freudig am Leiden der Welt teilhaben sollten«.24 Auch diese Idee ging mir nicht mehr aus dem Kopf: Was sollte das heißen? Wie sollte das möglich sein?

Mir war durchaus klar, dass man diesen Aufruf nicht wortwörtlich verstehen konnte. Es ging nicht darum, auf Gräbern zu tanzen oder im Angesicht des Bösen beziehungsweise der Tragödie untätig zu bleiben. Ganz im Gegenteil. Es ging um eine gewisse Sensibilität für Schmerz und Vergänglichkeit, darum, die Welt des Leidens anzunehmen (oder der Unzufriedenheit, je nachdem, wie man den Pali-Begriff in der ersten der Vier Edlen Wahrheiten übersetzt).

Doch die Frage begleitete mich weiterhin. Vermutlich hätte ich nach Indien oder Nepal reisen können, im Versuch, eine Antwort zu finden. Oder zumindest an der Uni Kurse in ostasiatischen Studien belegen. Aber das tat ich nicht. Ich zog einfach aus und lebte mein Leben, wobei mich diese und andere Fragen stets begleiteten: Warum hatte die Traurigkeit, die uns verdrießlich macht wie den Esel I-Aah, den Evolutionsdruck überstanden? Was steckt wirklich hinter unserer Sehnsucht nach »vollkommener«, bedingungsloser Liebe? (Und was hat das zu tun mit unserer Neigung zu schwermütigen Liedern, regnerischen Tagen und dem Göttlichen?) Warum scheint Kreativität eng verknüpft zu sein mit Sehnsucht, Leiden – und Transzendenz? Wie sollen wir mit einer verlorenen Liebe umgehen? Wie kann sich eine Nation, die auf so viel Leid gründet, zum Land des Lächelns entwickeln? Wie können wir den Zwangsoptimismus, den man uns am Arbeitsplatz und andernorts abverlangt, überwinden? Wie können wir leben mit dem Wissen, dass wir und alle Menschen, die wir lieben, eines Tages sterben werden? Erben wir den Schmerz unserer Eltern? Und wenn ja, wie können wir diesen in eine positive Kraft umwandeln?

Jahrzehnte später ist dieses Buch nun meine Antwort.

Es ist auch die Geschichte, wie aus einer Agnostikerin wie mir so etwas wurde wie …? Nun ja, nicht unbedingt eine Gläubige. Ich bin nicht mehr oder weniger agnostisch als zu Beginn dieser Reise. Vielmehr stellte sich bei mir die Einsicht ein, dass Sie nicht an eine bestimmte Form Gottes glauben müssen, um sich von spiritueller Sehnsucht verwandeln zu lassen. Es gibt eine chassidische Parabel: Ein Rabbi bemerkt, dass ein alter Mann aus seiner Gemeinde von seinen Worten über das Göttliche nicht berührt wird. Also stimmt der Rabbi ein Lied voller Sehnsucht an. »Jetzt verstehe ich, was Sie lehren wollen«, sagt daraufhin der alte Mann. »Ich verspüre die innige Sehnsucht, mit dem Herrn vereint zu sein.«25

Ich bin diesem alten Mann recht ähnlich. Ich fing an, dieses Buch zu schreiben, um das Rätsel zu lösen, weshalb so viele Menschen so stark auf traurige Musik reagieren. Oberflächlich betrachtet schien dies ein nicht allzu umfangreiches Thema zu sein, um daraus ein jahrelanges Projekt werden zu lassen. Aber ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Ich hatte damals keine Ahnung, dass die Musik nur das Tor zu einem tieferen Reich ist, das uns spüren lässt, dass die Welt heilig, geheimnisvoll, ja verzaubert ist. Manche Menschen tauchen in dieses Reich ein durch Gebet oder Meditation oder Waldspaziergänge. Die Moll-Tonart war es, was mich anlockte. Aber diese Pforten können sich überall auftun und unzählige Formen annehmen. Eines der Ziele dieses Buchs ist es, Sie auf diese Pforten hinzuweisen – damit Sie hindurchgehen können.

Bittersüß – der Fragebogen

Manche Menschen tauchen ganz instinktiv in diesen bittersüßen Geisteszustand ein, weil sie ihn seit jeher kennen. Andere gehen ihm aus dem Weg, so gut sie nur können. Wieder andere lernen ihn kennen, wenn sie ein bestimmtes Alter erreichen oder Niederlagen beziehungsweise Triumphe erleben. Wenn Sie sich fragen, wo Sie in diesem Spektrum stehen, können Sie das mithilfe des folgenden Fragebogens herausfinden. Ich habe ihn zusammen mit David Yaden entwickelt, der Professor an der Johns Hopkins University School of Medicine ist. Und mit dem Kognitionswissenschaftler Scott Barry Kaufman, Leiter des Center for the Science of Human Potential.26 Um herauszufinden, wie bittersüß Sie sich im Moment fühlen, beantworten Sie die folgenden Fragen, indem Sie ihnen einen Wert von 0 bis 10 zuweisen, wobei 0 heißt: »trifft überhaupt nicht zu«, und 10: »trifft absolut zu«.

Bringt emotionale Fernsehwerbung Sie schon mal zum Weinen?

Rühren alte Fotografien Sie an?

Reagieren Sie intensiv auf Musik, Kunst und die Natur?

Haben andere Menschen Sie je als »alte Seele« bezeichnet?

Sind Regentage für Sie beruhigend und inspirierend?

Wissen Sie, was der Schriftsteller C. S. Lewis meinte, als er »Freude« als »scharfen, wunderbaren Stich der Sehnsucht« bezeichnete?

Ziehen Sie Dichtung dem Sport vor (oder sehen Sie vielleicht sogar Poesie im Sport)?

Bekommen Sie oft mehrmals am Tag Gänsehaut?

Sehen Sie »die Tränen der Dinge«? (Der Ausdruck stammt aus Vergils Aeneis.)

Empfinden Sie traurige Musik als erhebend?

Sehen Sie gleichzeitig Glück und Traurigkeit in den Dingen?

Streben Sie auch im Alltag nach Schönheit?

Sagt Ihnen der Begriff »ergreifend« etwas?

Wenn Sie sich mit engen Freunden unterhalten, reden Sie dann oft über frühere oder aktuelle Sorgen?

Und vor allem: Hatten Sie je das Gefühl, dass die Ekstase immer ganz nah ist?

 

Die letzte Frage mag Ihnen im Zusammenhang mit dem Gefühl des Bittersüßen vielleicht merkwürdig vorkommen. Aber ich beziehe mich hier nicht auf ein optimistisches Lebensgefühl oder ein jederzeit verfügbares Lächeln. Ich meine dieses merkwürdige Hochgefühl, das mit der Sehnsucht einhergehen kann. Jüngste Forschungsarbeiten von Professor Yaden zeigen, dass Selbst-Transzendenz (und ihre kleineren Verwandten wie Dankbarkeit und Flow-Zustände) sich verstärkt, wenn wir Phasen von Wandlung, Abschied und Tod erleben – also in den bittersüßen Zeiten des Lebens.27

Tatsächlich kann man sagen, dass es das erhöhte Gewahrsein von Vergänglichkeit ist, das die Menschen zum Bittersüßen bringt. Kinder, die fröhlich durch Pfützen stapfen, bringen ihre Großeltern zum Weinen, weil diese nur allzu gut wissen, dass die Kinder eines Tages erwachsen und alt werden (und sie dies nicht mehr miterleben werden). Aber das sind letztlich keine Tränen des Leids, sondern im Grunde Tränen der Liebe.

 

Um den Fragebogen anschließend auszuwerten, zählen Sie die Punkte zusammen, die Sie vergeben haben, und teilen das Ergebnis durch 15.

Liegt Ihr Wert unter 3,8, gehören Sie zum Sanguiniker-Typus.

Zwischen 3,8 und 5,7 bedeutet, dass Sie zwischen dem sanguinischen und dem bittersüßen Temperament hin- und herschwanken.

Alle Werte über 5,7 signalisieren, dass Sie diesen Geisteszustand, in dem Licht und Schatten sich treffen, sehr gut kennen.

 

Die Leser*innen meines Buchs Still. Die Kraft der Introvertierten werden sich für die Forschungen von Yaden und Kaufman sicher interessieren, denn sie belegen, dass zwischen einem hohen Wert beim Bittersüß-Fragebogen und dem, was die US-amerikanische Psychologin und Autorin Elaine Aron als »hochsensibel« bezeichnet, eine starke Korrelation besteht.28 Yaden und Kaufman stellten ebenfalls eine solche mit der Tendenz zur »Versunkenheit« fest (die gewöhnlich kreativen Momenten vorausgeht). Und eine mittelgradige Korrelation mit Gefühlen der Ehrfurcht, Selbst-Transzendenz und Spiritualität. Darüber hinaus ließ sich eine schwache Korrelation mit Angststörungen und Depressionen feststellen – was allerdings wenig überraschend ist. Ein Übermaß an Melancholie führt zu dem, was Aristoteles als Krankheiten der schwarzen Galle betrachtete: melaina kole – woraus sich der Begriff der »Melancholie« entwickelte.29

 

Hier aber geht es nicht um Depression, die eine sehr reale und schlimme Störung ist. Ich will sie auch keineswegs schönfärben. Wenn Sie glauben, eine Depression oder eine Angststörung zu haben, möglicherweise auch eine posttraumatische Belastungsstörung, sollten Sie eines wissen: Es gibt Hilfe für Sie. Bitte nehmen Sie sie für sich in Anspruch!

Wichtig sind mir die Schätze der bittersüßen Tradition und darum, wie wir sie heben können. Denn dies kann die Art und Weise verändern, wie wir uns schöpferisch ausdrücken, wie wir unsere Kinder erziehen, wie wir führen, lieben und sterben. Ich hoffe sehr, dass uns diese Einsichten helfen, einander und uns selbst besser zu verstehen.

Maya Angelou (© Craig Herndon/The Washington Post)

Teil I

Kummer und Sehnsucht

Wie wir aus Leid Kreativität, Transzendenz und Liebe destillieren

1Wofür ist Kummer gut?

Bevor du Güte als tiefste Schicht deiner selbst erfährst, musst du die Trauer kennen, die gleich neben ihr wohnt.

Naomi Shihab Nye30

Im Jahr 2010 beschloss der gefeierte US-amerikanische Pixar-Regisseur Pete Docter31, einen Animationsfilm über die wilden, krausen Emotionen eines elfjährigen Mädchens namens Riley zu machen. Er wusste ungefähr, welche Geschichte er erzählen wollte. Beginnen sollte es mit der kleinen Riley, die aus ihrer Heimatstadt im tiefsten Minnesota herausgerissen und in San Francisco in ein neues Heim und eine neue Schule gesteckt wird. All das mitten im wilden Sturm der beginnenden Pubertät.

So weit, so gut. Aber Docter stand kreativ vor einer harten Nuss. Er wollte Rileys Gefühle als liebenswerte Zeichentrickfiguren darstellen, die das Kommando über das Kontrollzentrum in ihrem Gehirn hatten und so ihre Erinnerungen und ihren Alltag bestimmten. Aber welche Gefühle sollten das sein? Von Psychologen erfuhr er, dass wir bis zu siebenundzwanzig verschiedene Emotionen haben.32 Aber mit so vielen Charakteren lässt sich keine gute Geschichte mehr erzählen. Docter musste das Ganze also eingrenzen und ein Gefühl für die Starrolle auswählen.

Für dieses »Casting« nahm er einige Emotionen näher unter die Lupe. Schließlich beschloss er, neben Freude die Angst in den Mittelpunkt des Films zu stellen. Er meinte, Angst könne recht komisch sein.33 Er überlegte auch, ob er nicht die Traurigkeit zur Hauptfigur machen sollte, aber das erschien ihm doch zu wenig attraktiv. Docter selbst war in Minnesota aufgewachsen, und da herrscht der sanguinische (fröhliche) Charakter vor: »Die Idee, dass man vor anderen Leuten zu weinen anfängt, gilt als mega-uncool.«34

Drei Jahre später (die Dialoge waren geschrieben, die Sequenzen teilweise animiert, die Gags mit der Angst – einige »echt inspiriert« – an der richtigen Stelle eingebaut) merkte Docter, dass etwas nicht stimmte. Er sollte die Rohfassung des Films dem Vorstand von Pixar präsentieren. Und er war sicher, dass es ein Flop werden würde. Der dritte Akt funktionierte einfach nicht. Der Spannungsbogen war so angelegt, dass die Freude eine wichtige Lektion zu lernen hatte. Das Problem dabei war nur, dass ihr Konterpart, die Angst, ihr nichts beizubringen hatte.

Docter hatte bislang zwei Riesenerfolge eingefahren: mit Oben und Die Monster AG. Aber er hatte immer mehr das Gefühl, dass das nur Zufallstreffer waren.

Ich weiß nicht, was ich hier treibe, dachte er. Ich sollte einfach aufhören.

Gedanklich spulte er finstere Tagträume ab, in denen er nicht mehr bei Pixar war, ja nicht nur seinen Job, sondern auch seine Karriere an die Wand gefahren hatte. Er trauerte sozusagen präventiv. Bei dem Gedanken, nicht mehr Teil dieser unschätzbaren Community aus Kreativen und mutigen Geschäftsleuten zu sein, hatte er ein Gefühl, als würde er ertrinken – in Kummer. Und je verzweifelter er wurde, desto mehr liebte er seine Kollegen und Kolleginnen.

Was zu einer bahnbrechenden Erkenntnis führte: Der eigentliche Daseinsgrund für unsere Emotionen – für all unsere Emotionen – ist es, uns mit anderen Menschen zu verbinden. Und der Kummer ist von allen Gefühlen das, welches die stärksten Bande schafft.

»Plötzlich hatte ich die Idee«, erinnerte er sich, »dass wir die Angst rausstreichen und die Freude mit dem Leid verbinden sollten.«35 Das einzige Problem war nun, wie er John Lasseter, der damals Pixar leitete, davon überzeugen sollte, den Kummer in den Mittelpunkt des Films zu stellen. Und er fürchtete, dass es schwierig würde, diese Idee zu verkaufen.

Docter erzählt mir seine Geschichte im luftigen, lichtdurchfluteten Atrium, das Steve Jobs für Pixars Campus im kalifornischen Emeryville designt hat. Wir sind umgeben von überlebensgroßen Figuren der Pixar-Charaktere – der Familie Parr aus Die Unglaublichen oder Buzz aus der Toy Story, die vor den hohen Fenstern spannende Posen einnehmen. Docter genießt bei Pixar Kultstatus. Ich hatte dort am Vormittag ein Seminar gehalten, wie sich das Talent introvertierter Filmemacher am besten herauskitzeln lässt. Kurz nach Beginn des Seminars war Docter in den Konferenzraum gekommen und hatte ihn sofort mit seiner Wärme erfüllt.

Docter, ein Schlaks von fast zwei Metern, gleicht selbst einer aus Rechtecken gebauten Zeichentrickfigur. Die Hälfte seines ausgesprochen langen Gesichts wird von der Stirn eingenommen. Selbst seine Zähne sind lang und rechteckig, Bohnenstangen der dentalen Welt. Doch sein hervorstechendstes Merkmal ist seine unglaublich lebhafte Mimik. Sein Lächeln, seine Grimassen offenbaren eine kluge, gewinnende Sensibilität. Als er ein Kind war, zog seine Familie nach Kopenhagen, damit sein Vater seine Doktorarbeit über dänische Choräle fertigstellen konnte. Pete sprach kein Dänisch und hatte die meiste Zeit keine Ahnung, was die anderen Kinder sagten. Diese leidvolle Erfahrung brachte ihn zum Trickfilm. Es war einfacher, Menschen zu zeichnen, statt mit ihnen zu reden. Selbst jetzt erfindet er Charaktere, die in Baumhäusern leben und in wortlose Traumwelten entschweben.

Docter machte sich dann Sorgen, dass die Führungsebene von Pixar den Kummer als Hauptdarsteller als zu bedrückend, zu düster finden würde. Die Zeichner hatten die Trauer unansehnlich, dicklich und blau dargestellt. Warum sollte man so eine Figur in den Mittelpunkt des Films stellen? Wer würde sich mit der da identifizieren wollen?

Bei all diesen Überlegungen hatte Pete Docter einen eher ungewöhnlichen Verbündeten: Dacher Keltner, einen einflussreichen Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley. Docter hatte Keltner kontaktiert, damit dieser ihn und sein Team in die Wissenschaft von den Gefühlen einführte. Die beiden wurden enge Freunde. Keltners wie auch Docters Tochter litten zur selben Zeit am »Pfeil und Schleudern« der Adoleszenz, was die beiden Männer in einer Art Stellvertreter-Angst verband. Keltner erläuterte Docter und seinen Mitarbeiter*innen, welche Funktionen die wichtigsten Gefühle haben: Angst sorgt für deine Sicherheit. Wut schützt dich davor, ausgenutzt zu werden. Und Kummer – wofür ist der Kummer gut?

Keltner erklärte, dass Kummer Mitgefühl entstehen lässt. Er führt die Menschen zusammen. Er verhilft dir zu der Erkenntnis, wie wichtig dir deine Community von verschrobenen Pixar-Filmemachern und Filmemacherinnen ist.

Der Vorstand akzeptierte die Idee. Docter und sein Team schrieben den Film um – und Alles steht Kopf gewann den Oscar für den besten animierten Film und machte an den Kinokassen den höchsten Umsatz, den Pixar je eingefahren hatte36 – mit dem Kummer in der Starrolle.37

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Wenn Sie Dacher Keltner kennenlernen, mit seinen langen blonden Haaren, dem breiten Lächeln und der entspannt athletischen Surfer-Aura, denken Sie nicht unbedingt an »Kummer«. Sein Grundzustand scheint eher der der Freude zu sein. Er strahlt Wärme und Fürsorglichkeit aus, wie ein ernsthafter Politiker, der andere Menschen sehen und schätzen kann. Keltner leitet das Berkeley Social Interaction Lab und das Greater Good Science Center, zwei der einflussreichsten Forschungszentren zur positiven Psychologie. Seine Aufgabe ist es, die emotionalen Sahnehäubchen des menschlichen Lebens zu studieren: Staunen, Ehrfurcht und Glück.

Wenn Sie aber ein wenig mehr Zeit mit Keltner verbringen, fällt auf, dass sich die Fältchen in seinen Augenwinkeln nach unten ziehen wie bei einem Basset. Außerdem beschreibt er selbst sich als ängstlichen und melancholischen Menschen – vom bittersüßen Typ. »Der Kummer ist mein Wesenskern«, erzählt er mir.38 In meinem Buch Still habe ich die Arbeit der beiden US-amerikanischen Psychologen Jerome Kagan und Elaine Aron vorgestellt. Die beiden haben herausgefunden, dass 15 bis 20 Prozent der Kinder mit einem Temperament zur Welt kommen, das sie für die Ungewissheiten, aber auch für den Zauber des Lebens empfänglicher macht als den Rest. Keltner betrachtet sich selbst als einen Menschen, den Kagan als »hochreaktiv« bezeichnen würde und Aron als »hochsensibel«.

Keltner wurde in den Siebzigern in einem wilden, weltentrückten Haushalt groß. Sein Vater war Feuerwehrmann und Maler, der ihn in Kunstmuseen mitnahm und ihm etwas über den Taoismus erzählte. Seine Mutter war Professorin für Literatur, die ihm Gedichte der Romantiker vorlas und D.H. Lawrence liebte. Keltner und sein jüngerer Bruder Rolf, dem er sehr nahestand, durchstreiften zu jeder Tages- und Nachtzeit die Natur. Ihre Eltern ermutigten die beiden, ihren wesentlichen Leidenschaften nachzugehen und ihr Leben um diese herum aufzubauen.

Doch das Streben der Keltners, das Dasein in seiner ganzen Intensität zu erfahren, ließ sie das Leben mit Siebenmeilenstiefeln durcheilen: von einer Kleinstadt in Mexiko, wo Keltner in einem winzigen Säuglingsheim zur Welt kam, nach Laurel Canyon, einer alternativen Gemeinde in den Hollywood Hills von Kalifornien, wo sie gleich neben dem Keyboarder des Rockmusikers Jackson Browne wohnten und Keltner die zweite Klasse in einer Schule namens »Wonderland« besuchte. Weiter ging es dann auf eine ländliche Farm in den Sierra Foothills, wo nur wenige seiner Klassenkameraden aus der Fünften es an eine höhere Schule schafften. Als die Familie im englischen Nottingham ankam, wo Keltner das Gymnasium besuchte, ging die Ehe seiner Eltern auseinander. Sein Vater verliebte sich in die Frau eines Freundes der Familie und seine Mutter war ständig in Paris, wo sie experimentelles Theater ausprobierte. Keltner und sein Bruder Rolf, ganz sich selbst überlassen, fingen an zu trinken und wilde Partys zu schmeißen. Sie sollten nie wieder zu viert zusammenleben.

Äußerlich wirkte – und wirkt – Keltner wie ein Glückskind. Doch das unvermittelte Auseinanderbrechen der Familie hatte auf ihn und den Rest der Familie, nach seinen Worten, »eine lange und anhaltend traurige Wirkung«. Sein Vater verschwand aus dem Blickfeld, seine Mutter entwickelte klinische Depressionen. Keltner litt drei Jahre lang unter Panikattacken. Rolf, ein hingebungsvoller Ehemann und Vater sowie engagierter Sprachtherapeut in einer verarmten Gemeinde, kämpfte mit etwas, was die Psychotherapie heute als bipolare Störung bezeichnet: Schlaflosigkeit, Essattacken und regelmäßiger Konsum von Bier und Marihuana, um seine Nerven zu beruhigen.

Von all diesen Belastungen waren es Rolfs Probleme, die Keltner am meisten erschütterten. Teils weil sein Bruder seine feste Burg war, auf die er schon in Kindheitstagen baute: In jedem Umfeld, in dem sie aufschlugen, waren sie buchstäblich »zwei wie Pech und Schwefel«: Sie erkundeten das neue Terrain gemeinsam und verloren im Tennis-Doppel nicht ein einziges Spiel. Als die Familie auseinanderbrach, kämpften sie gemeinsam füreinander.

Aber Rolf war Keltner auch ein Beispiel. Er war nur ein Jahr jünger, aber in Keltners Augen immer größer, mutiger, gütiger: der »ethisch schönste« Mensch, den er je gekannt hatte. Er war bescheiden und genügsam, ganz im Gegensatz zu Keltners Getriebenheit und Konkurrenzbetontheit. Rolf lernte nie einen Underdog kennen, den er nicht geliebt hätte. In einem ihrer vielen Heimatorte lebte ein Mädchen namens Elena in einem völlig verfallenen Haus. Der vordere Garten sah aus wie eine Müllkippe. Elena war unterernährt, ihr Haar strähnig und ungewaschen, was sie zur bevorzugten Zielscheibe der Rowdys am Ort machte. Und Rolf, der weder der Größte noch der Stärkste in seiner Klasse war, verteidigte sie standhaft gegen ihre Widersacher. Es ist das Mitgefühl, das ihm diesen Mut verleiht, dachte Keltner. Ich möchte so sein wie er.

Als Keltner die Pubertät hinter sich hatte und auf die Scherben seines Familienlebens zurückblickte, kam er zu dem Schluss, dass es das elterliche Streben nach Aufregung gewesen war, das so viel Leid über seine Familie gebracht hatte. Und obwohl er ein künstlerisches, romantisches Temperament hatte, war er auch Wissenschaftler durch und durch – und so beschloss er, die menschlichen Gefühle zu studieren. Und zwar Gefühle wie Staunen, Ehrfurcht und Glück, die für ihn, Rolf und seine Eltern so zentral gewesen waren. Aber ebenso Emotionen wie den Kummer, den Keltner und seine Familie durchlebten wie so viele von uns.

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Einer der Eckpfeiler von Keltners Forschung, die er in seinem Buch Born to Be Good zusammenfasst,39 ist das, was er den »Instinkt des Mitgefühls« nennt – die Vorstellung, dass es uns Menschen angeboren ist, auf den Kummer anderer mit fürsorglicher Zuwendung zu reagieren. Unser Nervensystem unterscheidet kaum zwischen dem eigenen Schmerz und dem anderer. Es reagiert auf beides ähnlich. Und dieser Instinkt ist Teil unserer Natur, so wie das Bedürfnis zu atmen und zu essen.

Dieser Instinkt des Mitgefühls ist darüber hinaus ein grundlegendes Element der menschlichen Erfolgsgeschichte – das die Macht des Bittersüßen unterstreicht. Denn der Begriff »Mitgefühl« stammt vom kirchenlateinischen Begriff der compassio ab, was wörtlich »gemeinsam leiden« heißt.40 Keltner betrachtet es als eine unserer besten und heilsamsten Eigenschaften. Der Kummer, aus dem das Mitgefühl hervorgeht, ist eine prosoziale Emotion, die zu Verbundenheit und Liebe führt. Oder wie der Musiker Nick Cave meint: »die universelle einende Kraft«.41 Kummer und Leid gehören zu den stärksten Bindungsmechanismen, die wir haben.

Der Instinkt des Mitgefühls ist so tief in unserem Nervensystem verankert, dass er sich zu unseren frühesten evolutionären Erfahrungen zurückverfolgen lässt.42 Wenn jemand Sie zwickt oder Ihre Haut verbrennt, wird der anteriore cinguläre Cortex (ACC) aktiv. Dieser gehört zu den entwicklungsgeschichtlich jüngsten und damit nur beim Menschen vorhandenen Gehirnarealen, die uns erlauben, Planungsaufgaben zu erledigen, Steuern zahlen oder eine große Party zu veranstalten.43 Der ACC aber springt auch an, wenn wir sehen, wie sich ein anderer in einer Klemme befindet oder ihm Unrecht getan wird. Keltner aber konnte Mitgefühl auch in den evolutionär älteren Teilen unseres Nervensystems lokalisieren, die generell für unsere Instinkte verantwortlich sind: im periaquäduktalen Grau (PAG), das im Mittelhirn liegt und dafür verantwortlich ist, dass Mütter sich um ihren Nachwuchs kümmern. Und in einer noch älteren Struktur unseres Nervensystems, die wir als den Vagusnerv kennen.44 Er verbindet das Stammhirn mit Hals und Rumpf und ist der größte Nerv überhaupt und daher eine der wichtigsten Nervenbahnen.

Man weiß seit Langem, dass der Vagusnerv Verdauung, Sexualität und Atmung regelt – also die mechanischen Aspekte des Lebens. Aber in Studien, die bereits mehrfach repliziert wurden, gelang Keltner der Nachweis einer weiteren Funktion: Wenn wir Zeugen von Leid werden, bewirkt der Vagusnerv, dass wir uns um die Betroffenen kümmern.45 Wenn Sie ein Foto von einem Menschen betrachten, der Schmerz erleidet, oder von einem Kind, das um seine tote Großmutter weint, wird der Vagusnerv aktiv.46 Keltner fand auch heraus, dass Menschen mit einem hochaktiven Vagusnerv – die er »Vagus-Superstars« nennt – besser mit anderen Menschen zusammenarbeiten können und starke Freundschaften haben. Sie mischen sich (wie Rolf) eher ein, wenn jemand schikaniert wird, oder verzichten auf die Schulpause, um einem Schulkameraden oder einer Schulkameradin Nachhilfe in Mathe zu geben.

Und Keltners Forschungsarbeiten sind keineswegs die einzigen, die dieses Band zwischen Kummer und dem Gefühl Verbundenheit belegen. Joshua Greene, Professor für Psychologie an der Harvard University, und Jonathan Cohen, Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der Princeton University, haben entdeckt, dass bei Menschen, die Bilder von Gewaltopfern betrachten, die gleichen Gehirnregionen aktiv werden wie bei Müttern, die hingerissen Fotos von ihren Babys ansehen.47 James Rilling und Gregory Berns, Professoren für Neurowissenschaften an der Emory University, fanden heraus, dass die gleichen Gehirnregionen feuern, wenn wir Menschen helfen, einen Preis gewinnen oder ein köstliches Mahl verzehren.48 Wir wissen auch, dass depressive (oder früher depressive) Menschen die Welt eher vom Standpunkt anderer Menschen betrachten und sich besser einfühlen können als andere.49 Und Menschen, die einen hohen Grad an Empathie aufweisen, hören auch eher traurige Musik.50 »Depressionen verstärken unsere natürliche Empathie«, sagt Nassir Ghaemi, Professor für Psychiatrie an der Tufts University in Boston. »Sie macht den Betroffenen zu einem Menschen, für den das unentrinnbare Netz wechselseitiger Abhängigkeit … persönliche Realität ist und nicht nur Wunschdenken.«51

Diese Resultate sind von enormer Tragweite. Sie sagen uns, dass der Impuls, der uns auf das Leid anderer reagieren lässt, im gleichen Teil des Gehirns angesiedelt ist wie Atmung, Verdauung und der Instinkt, uns fortzupflanzen und unsere Kinder zu beschützen. In derselben Region wie unser Wunsch nach Belohnung oder Genuss. Sie sagen uns, wie Keltner mir erklärt hat, dass »Fürsorge das Herzstück des menschlichen Daseins ist und dass es beim Kummer um diese Fürsorge geht. Und die Mutter des Kummers ist unser Mitgefühl.«

Wenn Sie Keltners Resultate live erklärt haben wollen, dann sehen Sie sich im Internet dieses brillante vierminütige Video an, das erstaunlich großes Interesse hervorrief:52https://www.youtube.com/watch?v=cDDWvj_q-o8. Es wurde von der Cleveland Clinic produziert, um das Pflegepersonal in Mitgefühl zu schulen. Es nimmt Sie mit durch die Flure der Klinik, wo die Kamera immer wieder auf das Gesicht der Vorübergehenden zoomt. Menschen, an die wir normalerweise keinen Gedanken verschwenden würden – im Video aber werden Untertitel eingeblendet, die uns über das Leid der Betroffenen informieren, das man nicht sehen kann (gelegentlich auch über deren Triumphe): »Tumor stellt sich als bösartig heraus.« Oder: »Der Ehemann hat eine tödliche Erkrankung.« Und: »Der letzte Besuch beim Vater.« Oder: »Kürzlich geschieden.« Und: »Hat eben erfahren, dass er Vater wird.«

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So. Was ist nun passiert? Auch ohne die Bilder zu sehen: Sind Ihnen vielleicht Tränen in die Augen getreten? Hatten Sie einen Kloß im Hals oder vielleicht gar das Gefühl, dass Ihnen das Herz aufgeht, als Sie sich die Menschen hinter diesen Aussagen vorstellten? Vielleicht empfinden Sie jetzt eine tiefe Liebe für diese zufällige Auswahl aus der Spezies Homo sapiens, gefolgt von dem Vorsatz, künftig den Menschen, die Ihnen tagtäglich über den Weg laufen, mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ob es sich nun um den Mann an der Tankstelle oder um Ihre geschwätzige Kollegin handelt? Reaktionen wie diese sind vermutlich beeinflusst von Ihrem Vagusnerv, Ihrem anterioren cingulären Cortex und Ihrem periaquäduktalen Grau: Sie verarbeiten die Informationen von Menschen, welche Sie noch nie getroffen haben, so als wäre deren Schmerz Ihr ureigenster. Was er ja letztlich auch ist.

Viele von uns wissen längst, dass der Kummer die Gabe besitzt, uns zu vereinen, auch wenn sie das so nie gesagt beziehungsweise nie versucht haben, diese Erfahrung in neurowissenschaftliche Begriffe zu fassen. Vor vielen Jahren, als dieses Buch noch nicht mehr war als ein flüchtiger Gedanke, habe ich der US-amerikanischen Autorin Gretchen Rubin ein Blog-Interview über das gegeben, was ich damals »das Glück der Melancholie« nannte.53 Darauf antwortete eine junge Frau mit einem eigenen Posting über die Beerdigung ihres Großvaters und die »Verbundenheit der Seelen«, die sie dabei empfand:

Der Chor der Männer aus dem Herrenfriseurladen meines Großvaters sang ihm ein Ständchen, und ich sah zum ersten Mal in meinen vierzehn Lebensjahren, wie Tränen über die Wangen meines Vaters liefen. Dieser Augenblick – die tragenden Männerstimmen, das schweigende Publikum und die Trauer meines Vaters – hat sich für immer in mein Herz eingegraben. Und als wir als Familie zum ersten Mal ein Haustier einschläfern lassen mussten, benahm mir die Liebe im Raum – von meinem Vater, meinem Bruder und mir – fast den Atem. Aber wenn ich an diese Ereignisse zurückdenke, dann ist es nicht die Trauer, die mir im Gedächtnis geblieben ist. Es ist vielmehr die Verbundenheit der Seelen. Wenn wir Trauer erleben, teilen wir ein gemeinsames Leid. Dies ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen die Menschen sich wahrhaftig verwundbar zeigen. Eine Zeit, in der unsere Kultur uns erlaubt, in puncto Gefühle ganz ehrlich zu sein. (Die Hervorhebung stammt von mir.)

Da sie das Gefühl hatte, diese Einsichten im Alltag nicht leben zu können, wandte sie sich der Kunst zu.

Meine Vorliebe für ernsthafte Filme und nachdenklich stimmende Romane ist ein Versuch, die Schönheit dieser zutiefst ehrlichen Momente in meinem Leben wiederherzustellen. Mir ist durchaus klar, dass wir, um in unserer Gesellschaft zu funktionieren, nicht ständig mit überfließendem Herzen herumlaufen können. Also suche ich diese Augenblicke im Geist, erlebe sie neu in der Kunst und weiß zu schätzen, wenn sich neue, tief verwundbare Momente einstellen.54

Aber vielleicht müssten wir diese Momente in unseren Alltag integrieren – und ihre evolutionären Untertöne besser verstehen lernen. Wir leben bekanntermaßen in einer Zeit, in der wir Schwierigkeiten haben, Kontakt zu anderen Menschen herzustellen, vor allem, wenn diese nicht zu unserem »Stamm« gehören. Keltners Arbeit zeigt, dass – ausgerechnet! – der Kummer die Kraft besitzt, diese »Verbundenheit der Seelen« herzustellen, nach der wir uns so sehr sehnen.

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Wollen wir jedoch die Kraft des Kummers wirklich verstehen, müssen wir uns mit einem weiteren Legat unseres Primatenerbes auseinandersetzen. Haben Sie sich je gefragt, warum wir so heftig reagieren, wenn wir in den Medien Bilder von hungernden oder verwaisten Kindern sehen? Warum löst die Vorstellung von Kindern, die von ihren Eltern getrennt werden, bei uns eine so tiefe und universelle Erschütterung aus?

Die Antwort liegt tief in unserer Evolution verborgen. Unser Instinkt des Mitgefühls hat seinen Ursprung nicht in jeder zwischenmenschlichen Bindung, sondern speziell in der Bindung zwischen Mutter und Kind – im überwältigenden Drang der Mutter, auf die Schreie ihres Kindes zu reagieren. Von dort strahlt er aus, bis er alle Menschen einschließt, die Fürsorge brauchen.

Menschenbabys sind, wie Keltner es ausdrückt, »der verletzlichste Nachwuchs auf der ganzen Welt«.55 Ohne die Fürsorge wohlwollender Erwachsener können sie nicht überleben. Dass wir so vulnerabel zur Welt kommen, liegt an unserem enormen Gehirn. Dieses wäre viel zu groß, um den Geburtskanal zu passieren, würden wir bereits mit der voll ausgebildeten Version geboren. Doch unsere »Frühgeburt« ist eine der hoffnungsträchtigen Eigenschaften unserer Art. Denn dies bedeutet: Je intelligenter wir wurden, desto mitfühlender mussten wir auch werden, um uns um unsere hoffnungslos abhängigen Sprösslinge zu kümmern. Wir mussten lernen, ihr rätselhaftes Weinen zu entziffern. Wir mussten sie füttern, wir mussten sie lieben.

Das allein wäre vielleicht noch nicht so bedeutsam, würde sich dieses Gefühl nur auf unseren Nachwuchs erstrecken. Aber weil wir quasi per Voreinstellung darauf programmiert sind, uns um kleine und verwundbare Kinder zu kümmern, meint Keltner, hätten wir auch die Fähigkeit entwickelt, fürsorgliche Gefühle für alles zu entwickeln, was kindähnlich ist – von der Zimmerpflanze bis zum Fremden in Not. Und wir sind keineswegs die einzigen Säugetiere, auf die das zutrifft. Orcas, auch Schwertwale genannt, scharen sich eng um jede Walmutter, die ihr Kleines verloren hat.56 Elefanten trösten einander, indem sie mit dem Rüssel das Gesicht des anderen Tieres berühren.57 Menschen aber, so Keltner, »haben das Mitgefühl auf eine ganz neue Ebene gehoben. Nichts kommt der Fähigkeit unserer Art gleich, sich um Wesen oder Dinge zu kümmern, die verloren sind oder in Not.«

Unser Entsetzen angesichts leidender Kinder am anderen Ende der Welt rührt letztlich aus diesem Impuls, den Nachwuchs zu beschützen. Wenn wir nicht fähig sind, Kinder zu hegen und zu pflegen, können wir uns um niemanden kümmern.

Doch dieser Kümmerer-Instinkt sollte uns nicht zu stolz machen. Denn das Weinen unserer eigenen Kinder klingt uns immer noch am stärksten in den Ohren. Für die Kinder anderer Leute, für andere Erwachsene, ja selbst für unsere misslaunigen Teenager-Kinder hegen wir weit weniger Sympathie. Die Tatsache, dass unser Mitgefühl stets stärker abnimmt, je weiter wir uns von der Wiege unserer Kleinsten entfernen – vom Appetit unserer Art auf Grausamkeit mal ganz abgesehen –, ist so frustrierend, wie Keltners Resultate ermutigend sind.

Keltner allerdings sieht das anders. Und das liegt teils auch an seinem Bruder Rolf, der ihn lehrte, sich den Verletzlichen zuzuwenden. Aber auch, weil er selbst die Liebende-Güte-Meditation praktiziert, die (wie wir in Kapitel 4 sehen werden) uns lehrt, andere so wertzuschätzen wie unsere eigenen Kinder. (»Und ich glaube, dass wir dem durchaus nahekommen können«, meint Keltner.) Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Charles Darwin.

Nach landläufiger Meinung gilt Darwin ja stets als Verfechter blutiger Nullsummen-Wettbewerbe – aufgrund der ihm fälschlich zugeschriebenen Vorstellung vom »Überleben des Stärkeren« (oder wie der britische Dichter Alfred Tennyson schreibt: von der »Natur mit blutroten Zähnen und Klauen«).58 Aber Darwin sprach nie vom »Überleben des Stärkeren oder Bestangepassten«. Der ominöse Begriff stammt von einem englischen Philosophen und Soziologen namens Herbert Spencer und seinen »sozialdarwinistischen« Kollegen, die für die Vorherrschaft der weißen Oberschicht eintraten.59

Was Darwin angeht, so Keltner, wäre der Begriff »Überleben der Gütigsten« viel zutreffender.60 Darwin war eine sanfte, melancholische Seele, ein liebevoller Ehemann und hingebungsvoller Vater von zehn Kindern, der von Kindesbeinen an die Natur liebte.61 Sein Vater wollte, dass er Arzt wird, aber als er mit sechzehn Jahren an seiner ersten Operation teilnahm, die zu jener Zeit ohne jede Betäubung vorgenommen wurde, war er so geschockt, dass er für den Rest seines Lebens kein Blut mehr sehen konnte.62 Er zog sich in die Wälder zurück und studierte stattdessen Käfer. Später beschrieb er seine Begegnung mit dem brasilianischen Urwald als »Chaos voller Entzücken, aus dem eine künftige Welt und ein ruhigeres Vergnügen entstand«.63

Zu Beginn seiner Karriere verlor er aufgrund einer Scharlacherkrankung seine geliebte zehnjährige Tochter Annie – eine Erfahrung, die, seinen Biografen Deborah Heiligman und Adam Gopnik zufolge, sein Weltbild entscheidend prägte.64 Seine Trauer ging so tief, dass er es nicht über sich brachte, an ihrer Beerdigung teilzunehmen. Annie war ein fröhliches Kind gewesen, das am liebsten mit der Mutter kuschelte und Stunden damit zubringen konnte, ihren Vater zu frisieren, wie Darwin zärtlich in seinem Tagebuch beschrieb. »Ach, Mamma, was sollen wir nur tun, wenn du sterben solltest!«, hatte Annie laut geweint, als sie sich einmal von ihrer Mutter trennen musste.65 Aber es waren ihre Mutter und ihr Vater, Emma und Charles Darwin, die diese Tragödie erleben mussten. »Wir haben den Sonnenschein unseres Haushalts verloren«, schrieb Darwin nach Annies Tod in seinem Tagebuch. »Und den Trost unseres Alters.«66

In einem seiner besten Bücher – Die Abstammung des Menschen –, das er zwei Jahrzehnte später schrieb, stellte Darwin die Theorie auf, dass das Mitgefühl unser stärkster Instinkt ist:

Denn erstens lassen die sozialen Instinkte beim Tier Vergnügen an der Gesellschaft seiner Genossen empfinden, einen gewissen Grad von Sympathie mit ihnen fühlen und verschiedene Dienste für sie verrichten … Solche Handlungen scheinen die einfache Folge davon zu sein, dass der soziale oder mütterliche Instinkt stärker ist als jedes andere Motiv; denn, um eine Folge der Überlegung momentanen Schmerzes oder Freude zu sein, müssten sie weniger plötzlich ausgeführt werden.67 (Hervorhebung von mir)

Darwin führt Beispiel um Beispiel auf, wie nahe uns das Leid anderer Wesen geht: Den Hund in seinem Haushalt, der jedes Mal die kranke Katze ableckte, wenn er an ihr vorbeiging.68 Die Krähen, die einen älteren und blinden Gefährten geduldig fütterten. Den Affen, der sein Leben riskierte, um seinen Freund, den Zoowärter, vor einem feindseligen Pavian zu retten. Natürlich hatte Darwin keine Ahnung vom Vagusnerv, vom anterioren cingulären Cortex oder vom periaquäduktalen Grau. Aber er erfasste deren Funktion intuitiv, gut 150