Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation -  - E-Book

Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation E-Book

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Beschreibung

Der Band widmet sich der Funktionenvielfalt von Stilwechseln in Textsorten und Kommunikationsformen der schriftlichen Fach- bzw. Wissenschaftskommunikation zwischen Experten, zwischen Experten und Semiexperten sowie zwischen Experten und Laien. In ihren korpusbasierten Untersuchungen beleuchten die Autorinnen und Autoren das Thema von verschiedenen Seiten: Stilwechsel wird aufgefasst als stilistischer Sinntyp, als Normverletzung oder als Ergebnis von Medienwechsel. Behandelt werden Textsorten und öffentliche Kommunikationsformen aus unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen, in erster Linie in synchroner Sicht. Die Vielfalt der Untersuchungsansätze führt zu einem Erkenntnisgewinn, der weit über die Beschreibung einzelner Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation hinausreicht und Schlussfolgerungen über wissenschaftliche Handlungsfelder, wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung und Denkstile erlaubt.

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Seitenzahl: 619

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Kirsten Adamzik / Mikaela Petkova-Kessanlis

Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-8233-8223-2 (Print)

ISBN 978-3-8233-0096-0 (ePub)

Inhalt

Zur Einleitung in den BandStilistische Unterschiede und Stilwechsel in der Grammatikschreibung0 Vorbemerkungen1 Theoretische Grundlagen1.1 Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz1.2 Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster1.3 Stil und Stilwechsel in Wissenschaftstexten1.4 Textmuster‑ und Stilwandel2 Stilwechsel im synchronen Vergleich von Grammatik-Darstellungen2.1 Zielgruppenidentische Grammatik-Darstellungen2.2 Zielgruppendifferente Grammatik-Darstellungen3 Stilwandel im diachronen Vergleich zielgruppengleicher Grammatik-Darstellungen4 Kursorischer Blick auf Stilphänomene in Grammatikforen4.1 Allgemeines zur Beziehungsgestaltung4.2 Beleidigen4.3 Ironisieren5 FazitLiteraturQuellenForschungsliteraturStilwechsel von der Erkenntnis zur Wissenschafts-PR1 Einleitung2 Technikentwicklung und Begriffswelt – Alles smart, oder …?3 Online-Texte, ihre Makrostruktur und Stilmerkmale4 FazitLiteraturDer Wandel von Denk- und Sprachstilen in der Sprachwissenschaft1 Vorhaben2 Ludwik Fleck: Denkstil, Denkkollektiv, denksoziale Formen2.1 Zum Denkstil2.2 Zum Denkkollektiv2.3 Zu den denksozialen Formen3 Textsorte ‚wissenschaftlicher Aufsatz‘4 Diskurslinguistisches Vorgehen: EIN-Text-Diskursanalyse5 Kommunikationsbereich / Funktionalstil6 Charakterisierung der Denkkollektive und Denkstile6.1 Neoidealismus: Immanente Werkanalyse und Stilistik6.2 Strukturalismus: Der Text als strukturelle Einheit6.3 Pragmalinguistik: Der Text als kommunikative Einheit7 Textanalyse7.1 Spitzer: Matthias Claudius’ Abendlied7.2 Fucks / Lauter: Mathematische Analyse des literarischen Stils7.3 Sandig: Stil ist relational! Versuch eines kognitiven Zugangs8 FazitLiteraturQuellenSekundärliteraturFeld und Stil1 Theoretische Vorbemerkungen: Wissenschaft ohne Stil?1.1 Korrespondenzen zwischen Feld, Diskurs und Stil1.2 In and Out: In welchen Feldern spricht die Populärwissenschaft?2 Die Erfindung einer Fachsprache für die Life Sciences: Ein Fallbeispiel aus dem 20. Jahrhundert2.1 Von der Biologie zu den Life Sciences: Die Erfindung eines neuen Begriffs2.2 ‚good science‘ vs. ‚bad science‘: Stilwechsel und Kapitalsorten-Transfer in der biologischen Verhaltensforschung3 Für eine Komparatistik des Stilwechsels in nationalspezifischen WissenschaftskontextenLiteraturDie Präsenz der Person und die Unpersönlichkeit des Wissens0 Ausgangspunkt1 Ein Beispiel (I)2 Kommunikationsformenspektrum interner Wissenschaftskommunikation3 Wissenschaftskommunikative Normen, Zwecke und ihr Geltungsbereich4 Person, Rolle und professionsgebundene Beziehungsarbeit5 Diskursive Kommunikationsformen und die Präsenz der Person6 Ein Beispiel (II)7 Ausblick: textuelle Kommunikationsformen und die Präsenz der Person8 FazitLiteraturUnterhaltsames INFORMIEREN in sprachwissenschaftlichen Einführungen1 Einleitung2 Die Relation INFORMIEREN – UNTERHALTEN3 Ein Beispiel zum Auftakt: Kapitelbetitelung4 Unterhaltsames INFORMIEREN4.1 Stilwechsel mittels Textsorten-Wechsel4.2 Stilwechsel durch das Verwenden eines Mottos bzw. eines Zitats4.3 Stilwechsel durch Wechsel des Realitätsbezugs: FIKTIONALISIEREN – ENTFIKTIONALISIEREN4.4 Stilwechsel mittels AUFFORDERN zum IMAGINIEREN: ein Szenario entwerfen4.5 Stilwechsel durch Wechsel der Kommunikationsmodalität: ernsthaft – scherzhaft4.6 Stilwechsel mittels Wechsels des Handlungsmusters: persönliche Erlebnisse bzw. Erfahrungen ERZÄHLEN4.7 Stilwechsel mittels Emotionalisieren4.8 Stilwechsel durch Wechsel der Stilebene4.9 Stilwechsel durch abweichendes, originelles, kreatives Formulieren4.10 Stilwechsel durch Modalitätenwechsel5 UNTERHALTEN statt INFORMIEREN6 SchlussLiteraturPrimärliteraturSekundärliteraturWissenschaftskommunikation ohne und mit Stil: die Internetplattform der Wissenschaftsjahre1 Ausgangssituation: Die Wissenschaftsjahre (WJ)2 Stil und Stilbildung3 Wissenschaftskommunikation im „stillosen Stil“?4 ‚Semantisches Jonglieren‘ als Stilmittel der Popularisierung (oder Zukunft passt immer)5 ResümeeQuellenLiteratur„Da haben wir ihn, den Schachtelsatz!“1 Fragestellung2 Mögliche Wege, wissenschaftliche Normen (und ihre Veränderungen) zu eruieren3 Was in der Literatur zu finden ist3.1 Was in sprachwissenschaftlichen Befragungsuntersuchungen zu finden ist3.2 Was in Ratgebern zu finden ist4 Ergebnisse und Probleme einer Test-Befragung von Dozenten4.1 Ablauf des Seminars „Wissenschaftliches Schreiben bewerten“4.2 Ergebnisse der Befragung5 Was ist zu tun?LiteraturStilwechsel an der Schnittstelle von sachbezogener zu emotionaler alltäglicher Fachkommunikation – am Beispiel der Online-Textsorte Forumsbeitrag1 Einleitende Bemerkungen2 Alltags-Fachsprachlichkeit3 Ausprägungen und Funktionen alltags-fachsprachlichen Stilwechsels3.1 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Gemeinsprache3.2 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Fachsprache3.3 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Gemeinsprache ⇨ Fachsprache3.4 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Fachsprache ⇨ Gemeinsprache3.5 Stilwechsel Fachsprache ⇨ Gemeinsprache3.6 Stilwechsel Fachsprache ⇨ Gemeinsprache ⇨ Fachsprache4 Funktionen emotional bedingten Stilwechsels im Rahmen der Alltags-Fachsprachlichkeit4.1 Sachorientierte Funktionen4.2 Kommunikationsorientierte Funktionen5 Abschließende BemerkungenLiteraturGrenzüberschreitende Mehrsprachigkeit im Wissenschaftsdiskurs1 Die Universität der Großregion als spezifischer „Wissenschaftsraum“2 Vergleichende Studien zur mehrsprachigen Hochschulkommunikation: Desiderate aus Sicht der interkulturellen Textlinguistik3 Texthandlungen und Stilmuster in wissenschaftlichen Texten: Fortführen oder Imitieren?4 Schreibanforderungen im Studium in L1 und L25 Stilistische Besonderheiten von Lernertexten französischer Studierender in Deutsch als fremder Wissenschaftssprache6 FazitLiteraturStilwandel wissenschaftlichen Schreibens am Beispiel der Entwicklung von Zitationskonventionen in medizinischen Originalarbeiten1 Einleitung2 Zitationskonventionen aus formaler und forschungsethischer Sicht3 Material und Methoden4 Ergebnisse4.1 Entwicklung des Gebrauchs eindeutiger, einheitlicher und nachvollziehbarer Quellenverweise4.2 Umfang und Sprachen von Quellenverweisen5 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse im Licht redaktioneller EntscheidungenLiteraturNachwortBereits erschienenDie Autorinnen und AutorenAbstracts

Zur Einleitung in den Band

Stil ist ein heterogenes Phänomen, das sich durch eine funktionale Vielfalt auszeichnet, die sich erst in und mit der Realisierung in konkreten Texten entfaltet und entsprechend fassbar wird. Aufgrund unseres stilistischen Wissens haben wir an Texte aus verschiedenen Handlungsbereichen bestimmte stilistische Erwartungen. Konkrete Texte, denen wir in unserer Kommunikationspraxis begegnen, können diesen stilistischen Erwartungen mehr oder weniger entsprechen oder mehr oder weniger stark davon abweichen.

Fach- bzw. Wissenschaftsstil gelten als relativ standardisiert. Konstitutiv für den wissenschaftlichen Stil sind Stilprinzipien wie Unpersönlichkeit, Abstraktheit, Neutralität, Sachlichkeit, Folgerichtigkeit, Klarheit, Genauigkeit, Ökonomie. Bei Veränderung des Handlungstyps, z.B. wenn wissenschaftliche Inhalte einer anderen Adressatengruppe (Studierenden, Laien etc.) vermittelt werden sollen, also für sog. fachexterne Texte, gelten teilweise andere Stilprinzipien. So wird in der Fachsprachenforschung häufig zwischen dem theoretisch-wissenschaftlichen, dem populärwissenschaftlichen und dem didaktischen Fachstil unterschieden.

Stilwechsel kommen freilich auch innerhalb von (Fach-)Texten vor. Erwartbar ist dies etwa zwischen verschiedenen Teiltexten (Behandlung eines Beispiels) oder bei Intertextualität (Zitate). Als weniger erwartbar und eher individuell gelten dagegen z.B. der Wechsel der Kommunikationsmodalität (ernst versus scherzhaft), der Stilebene (hochsprachlich versus umgangssprachlich) usw. Stilkonventionen und -erwartungen unterliegen allerdings selbstverständlich historischen Veränderungen, und gerade heutzutage vermutet man zunehmende Nähesprachlichkeit auch in fachlichen Kontexten.

Dazu tragen die technischen Entwicklungen erheblich bei, nicht zuletzt mit den Möglichkeiten, die sich auch ‚Laien‘ bieten, in den öffentlichen Diskurs einzugreifen. Damit wächst zugleich der Druck auf Wissenschaft und Bildungswesen, Politik, Verwaltung und Medien, nicht nur die Zugänglichkeit von Informationen zu erleichtern, sondern auch Partizipation und Dialog zu ermöglichen.

Den damit nur grob angedeuteten verschiedenen Facetten des Phänomens Stilwechsel unter ausgewählten Fragestellungen nachzugehen, war das Anliegen dieses Bandes. Die Beiträge decken eine große Bandbreite von Produzenten-/Rezipienten-Instanzen, Kommunikationsformen, Themen und Ausdrucksmitteln ab:

Der Schwerpunkt liegt auf der Kommunikation im deutschsprachigen Bereich, in zwei Beiträgen kommen aber auch kontrastive Aspekte in den Blick: Während Elisabeth Venohr ein Projekt für grenzüberschreitende Mehrsprachigkeit unter Studierenden im deutsch-französischen Grenzraum vorstellt, geht Patricia A. Gwozdz am Beispiel der Life Sciences, speziell des prominenten Evolutionsbiologen Richard Dawkins, nationalspezifischen Ausprägungen populärer Wissenschaftskommunikation nach. In einem breit angelegten textsoziologischen Zugriff erläutert sie die Bedeutung der historischen Genese von Denkkollektiven in der Auseinandersetzung mit ‚externen‘ Akteuren wie etwa dem Verlagswesen und dem Buchmarkt. Dabei greift sie auf Bourdieus Konzept sozialer Felder zurück und geht speziell auf den Transfer zwischen verschiedenen Kapitalsorten ein. Während wissenschaftsintern der institutionelle Status zählt, verleiht die gleichzeitige Rezeption außerhalb dieses Feldes intellektuelles Prestige. Dies geht mit der Ausbildung bzw. Umwandlung typisch fachinterner Textsorten, insbesondere dem wissenschaftlichen Artikel, zu neuen Formen einher. An solchen neuen Formen hat man den book-length scholarly essay und die interdisciplinary inspirational monograph identifiziert, die Gwozdz näher vorstellt.

Wenn ein renommierter Wissenschaftler zugleich als Popularisierer auftritt und dabei geradezu neue Textsorten kreiert, widerspricht dies natürlich überkommenen Erwartungen. Dies stellt zwar in diversen sprach- und nationalspezifischen Konstellationen gleichermaßen ein relevantes Faktum dar, wirkt sich allerdings nicht in allen Kontexten auf die gleiche Weise aus. Denn in jedem Fall treffen auch neuere Entwicklungen auf die zweite relevante Schnittstelle zwischen fachinterner und -externer Kommunikation, die Weitergabe des Wissens an den Nachwuchs, d.h. das didaktische Feld. Wie weit hier die Gewohnheiten und Erwartungen selbst in benachbarten Regionen divergieren können, zeigen – gerade im Vergleich zur Untersuchung von Gwozdz – die Ausführungen von Venohr. Auch den Unterrichtenden sind die Unterschiede nicht einmal unbedingt bewusst. Vor allem aber fragt es sich, inwieweit die Anpassung an ‚fremde‘ Üblichkeiten in der ‚eigenen‘ Gemeinschaft überhaupt akzeptiert wird. Diesen Sachverhalt aufgreifend plädiert Venohr im Hinblick auf das Studium in mehrsprachigen Studiengängen für einen Perspektivenwechsel, bei dem sowohl die Textsorten- und Stilkompetenz in der L1-Sprache (unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den Wissenschaftskulturen) als auch Cross-cultural-Schreiberfahrungen produktiv genutzt werden. Problematisch erscheint damit die Praxis der präskriptiven zielsprachlichen Produktorientierung, die u.a. Stilwechsel sanktioniert. Diese Umorientierung soll die Entstehung und Entwicklung von mehrsprachigen sowie Cross-cultural-Diskursgemeinschaften begünstigen.

Der Frage, wie man in mehrsprachigen und multikulturellen Kontexten auf Spuren divergenter Konventionen reagiert, noch vorgelagert ist das Problem, wie sich normative Einstellungen zum wissenschaftlichen Stil (und eventuelle Verschiebungen in diesem Bereich) überhaupt eruieren lassen. Diesem Problemkomplex widmen sich Christiane Thim-Mabrey und Maria Thurmair, die ein Projekt-Seminar „Wissenschaftliches Schreiben bewerten“ durchgeführt haben. Nach der Musterung von Stilratgebern und Resultaten vorliegender Befragungen entwickelten die Studierenden selbst einen Fragebogen für Lehrkräfte aus verschiedenen Fächern. Insgesamt lassen die Ergebnisse zwar darauf schließen, dass es gewisse verbreitete Stereotype über Gütemerkmale (Sachlichkeit, Klarheit usw.) und Mängel wissenschaftlichen Stils gibt – nicht zufällig nennen die Autorinnen den Schachtelsatz schon im Titel. Befragungen dieser Art und ihre Auswertung erweisen sich aber methodisch als sehr schwierig. Unverkennbar ist immerhin, dass ein und dasselbe Phänomen zu gegensätzlichen Bewertungen Anlass geben kann.

Zu dieser Einschätzung kommt auch Mikaela Petkova-Kessanlis, die Einführungen in die Linguistik bzw. linguistische Teildisziplinen auf unterhaltsame ‚Attraktivmacher‘ untersucht und damit der These von zunehmender Nähesprachlichkeit im didaktischen Feld nachgeht. Angesichts der Divergenzen in Einstellungen zu stilistischen Charakteristika und Stilwechseln bleibt noch offen, inwieweit der Trend zur Aufweichung rigider stilistischer Normen sich als längerfristige historische Entwicklung durchsetzen wird.

Unabhängig davon, ob sich dieser Trend etablieren wird oder nicht, stellt sich die Frage, in welche Richtung dieser Trend geht. Einen Eindruck davon vermitteln neben Petkova-Kessanlis auch Andrea Bachmann-Stein/Stephan Stein. Der erstgenannte Beitrag zeigt, dass in didaktisch aufbereiteten wissenschaftlichen Texten Unterhaltsamkeit zum Zwecke der Erkenntniserleichterung und Rezipientenbeeinflussung erzeugt wird und dem übergeordneten Ziel dient, diese Texte für die Adressatengruppe der Studierenden attraktiv zu machen. Unterhaltsamkeit ist jedoch ein Gestaltungsmerkmal, das für den populärwissenschaftlichen Stil charakteristisch ist und für genuin wissenschaftliche Texte atypisch. Dies hat verschiedene auffällige Stilwechsel zur Folge, die entweder dem unterhaltenden Informieren dienen oder lediglich dem Unterhalten, d.h. die die Vermittlung fachlicher Inhalte nicht unterstützen. Bachmann-Stein/Stein stellen auch in Grammatik-Einführungen eine Reihe von Stilwechseln fest, die die Funktion erfüllen, die Texte für Studienanfänger attraktiv und somit verständlich zu machen. Sie gehen allerdings nicht von einem Trend aus, sondern von einer Randerscheinung und betonen die Notwendigkeit detaillierterer Untersuchungen, um auszuschließen, dass diese Stilwechsel auf Individualstile zurückzuführen sind.

Im Unterschied zu derartigen Entwicklungstrends von ungewisser Dauer und somit mit offenem Ausgang sind historische Veränderungen, die auf technische Entwicklungen zurückgehen und die in mehreren Beiträgen zur Sprache kommen, unverkennbar: Multikodalität, d.h. neben sprachlichen Ausdrucksmitteln der Einsatz diverser Arten von Abbildungen und Farbe sowie aufwendiges Seitenlayout, hat sich auch in Druckmedien durchgesetzt (vgl. Bachmann-Stein/Stein, Kap. 3; Petkova-Kessanlis, Kap. 4.10). Ungleich einschneidender ist jedoch das Aufkommen von Webauftritten, Blogs und Foren.

Wie sehr mit diesen Kommunikationsformen auch der Anspruch verbunden wird, die Kluft zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu überwinden, zeigt Annely Rothkegel mit ihrer Analyse der Internet-Plattform zu den Wissenschaftsjahren (im Zeitraum 2010–2018). Eingerichtet vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung, verfolgt dieses Projekt das Ziel, zu einem „Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern“ zu kommen, der ein konstruktives Miteinander von Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen soll. Auf der Makroebene diagnostiziert Rothkegel einen „stillosen Stil“: Ein einheitliches modisches Webdesign gewährleistet eine gewisse Konsistenz, diese kann den Mangel an inhaltlicher Kohärenz aber kaum kompensieren. Auf der Mikroebene, d.h. innerhalb einer einzelnen, einem bestimmten Thema gewidmeten Website, werden die differenten Perspektiven dagegen weniger überwunden als durch „semantisches Jonglieren“ verdeckt, das die Unterschiede zwischen fachlichen, nicht-fachlichen und alltagssprachlichen Ausdrücken verschwimmen lässt.

Mit dem engeren Feld der Popularisierung, in dem als Produzenten in der Regel weniger Wissenschaftler, sondern Journalisten als Mittler beteiligt sind, beschäftigt sich Ines-A. Busch-Lauer. Ausgehend von der These, dass das Internet als interaktive Plattform für den Wissensaustausch die Distanz zwischen Wissenschaft als Theoriegebäude mit Spezialwissen und Gesellschaft als Praxisraum verringert, leitet Busch-Lauer stilistische Tendenzen ab, die auf den Einfluss des Mediums Internet zurückzuführen sind. Sie weist sie nach anhand einer exemplarischen Analyse von Texten aus Online-Wissenschaftsmagazinen und Blogtexten, die wissenschaftlich-technische Neuerungen zum Gegenstand haben. Eine dieser Tendenzen ist der Wechsel von schriftsprachlichem zum mündlichen Stil, der Merkmale des publizistischen Stils aufweist. Diese Gestaltungstendenz entspricht der von der Autorin konstatierten Multifunktionalität: Die von ihr untersuchten Texte erfüllen gleichzeitig eine informative, eine popularisierende und eine werbende Funktion.

Bei Busch-Lauer kommt auch ein Stilmerkmal popularisierender Texte zur Sprache, das unabhängig vom Medium ist, nämlich die Personalisierung. Sie kann Betroffene, die Interaktanten oder auch die Wissenschaftler betreffen, von denen die Rede ist. Sie steht in besonders starkem Kontrast zum Stil in Wissenschaftstexten, da dort eben Unpersönlichkeit die Norm ist. Das bedeutet freilich nicht, dass der Beziehungsaspekt in der Wissenschaftskommunikation gar keine Rolle spielte. Hier ist das Medium insofern von Bedeutung, als in diskursiven Kommunikationsformen, insbesondere bei Kopräsenz, die Bearbeitung des Beziehungsaspekts explizit realisiert wird, und zwar vor allem an den Rändern kommunikativer Episoden (im Sinne einer Rahmung), während sie in textuellen Kommunikationsformen eher implizit erfolgt. Diesem Fragenkomplex ist der Beitrag von Matthias Meiler gewidmet. Da in wissenschaftlichen Texten der primäre kommunikative Zweck in der Bearbeitung des wissenschaftlichen Wissens besteht, kommt es durch die kommunikative Bearbeitung der domänenspezifischen professionellen Kontaktnahme und Beziehungspflege zu Stilwechseln. Ausgehend von einem Beispiel aus einem Wissenschaftsblog präsentiert Meiler den Forschungstand zum Thema und kommt zu dem Schluss, dass die relevanten Stilwechsel im wissenschaftsinternen Diskurs das Prinzip der Unpersönlichkeit nicht außer Kraft setzen bzw. im Sinne einer historischen Entwicklung schwächen, sondern im Gegenteil dazu dienen, die Gültigkeit der Konventionen interner Wissenschaftskommunikation zu bestätigen.

Die Bandbreite von interaktiver Internetkommunikation ist sowohl hinsichtlich der situativen Faktoren als auch der stilistischen Ausprägungen sehr groß. Während Meiler fachinterne Diskurse behandelt, die die geltenden Normen (weitgehend) respektieren und reproduzieren, behandelt Thomas Tinnefeld den entgegengesetzten Pol, nämlich (vor allem am Beispiel des bekannten Portals Gute Frage) Forumsbeiträge, die von Rat suchenden Laien initiiert und daher erwartbar von „alltags-fachsprachlichen Stilwechseln“ geprägt sind. Ausgewählt wurden Fragen zu juristischen Problemen, die in der Regel ohne Anspruch auf sprachliche (oder gar fachliche) Korrektheit formuliert sind. Als Antwortende treten ‚Experten‘ auf, die sich selbst einen Wissensvorsprung zuschreiben und charakteristischerweise versuchen, das Anliegen mit fachlichen Begriffen zu reformulieren, oder auch Versatzstücke aus dem Fachdiskurs (wie etwa Gesetze) zitieren, um sie dann ggf. wieder in laientaugliche Sprache zu übersetzen. Auf diese Weise kommt es zu (teilweise sehr komplexen) Stilwechseln auch innerhalb eines Beitrags. Diese Stilwechsel haben nach Tinnefeld teilweise eine sachorientierte Funktion (Streben nach inhaltlicher Exaktheit oder – bei direkter Übernahme von fachlichen Formulierungen – nach Enkodierungsökonomie). Im Vordergrund seiner Ausführungen stehen jedoch Stilwechsel, die sich aus emotionaler Beteiligung ergeben, so etwa wenn der ‚Experte‘ diese Rolle aufgibt und, gewissermaßen als Privatperson, das Verhalten des Fragestellers (moralisch) wertet, ihm praktische Ratschläge gibt oder sich mit ihm solidarisiert.

Einen Umschlag von der sachlichen auf die emotional-persönliche Ebene stellen auch Bachmann-Stein/Stein fest, und zwar in Internetforen zu Grammatikfragen (Kap. 4). Sich selbst eine Expertenrolle zuzuschreiben ist hier insofern einerseits einfacher, andererseits heikler als bei juristischen Fragen, als sich weit mehr Personen als kompetent in Bezug auf die eigene Sprache betrachten und nicht davor zurückschrecken, eine solche Kompetenz anderen Personen abzusprechen. Dies ist aus dem laienlinguistischen Diskurs gut bekannt, nimmt aber bei Beteiligung von Personen ohne jeden auch nur halb-offiziellen Expertenstatus (wie er z.B. Bastian Sick zukommt) leicht besonders krasse Züge an, die die Forenbetreiber mitunter dazu veranlassen, explizit die Einhaltung der Netiquette-Regeln einzufordern.

Auf Internetforen gehen Bachmann-Stein/Stein nur kursorisch ein, der Vergleich mit Stilwechseln, die in didaktisch konzipierten Grammatikdarstellungen (Kap. 2) vorkommen, und schließlich mit solchen, die sich in den verschiedenen Auflagen der (Wissenschaftlichkeit beanspruchenden) Duden-Grammatik (Kap. 3) beobachten lassen, zeigt aber besonders gut, mit welcher Vielfalt an Gestaltungsmitteln und Funktionen bei ‚derselben‘ kommunikativen Aufgabe zu rechnen ist. In überwiegend an Studierende gerichteten Darstellungen dienen Stilwechsel (weg vom Sachlich-Neutralen) vor allem der Aufmerksamkeitssteigerung und Rezeptionsförderung. Je breiter das Publikum (Schüler und eine disperse Gruppe von Sprachinteressierten), desto unterschiedlicher (aber tendenziell geringer) werden Vorwissen und Lernbereitschaft eingeschätzt, was zum Einsatz typisch popularisierender Mittel führt: Die Textproduzenten zeigen Verständnis für Probleme angesichts der notorisch unbeliebten Grammatik, verzichten gänzlich auf konkrete Verweise auf den Fachdiskurs, treten als Mittler zur nur abstrakt genannten (Sprach-)Wissenschaft auf, sprechen Leser direkt an und erteilen konkrete Ratschläge. Angezielt wird damit die zeitweise Aufhebung der Wissens-Asymmetrie und somit die Verringerung der Distanz zu den Rezipienten.

Dass sich in den Auflagen der Duden-Grammatik sehr markant die Gestaltungsveränderungen niederschlagen, die durch die technischen Entwicklungen verursacht sind, wurde schon oben bemerkt. Die Ausweitung des Einsatzes von grafisch-visuellen Mitteln dient der Lese- und Zugriffsfreundlichkeit. Daneben registrieren die Autoren eine Verdoppelung des Umfangs, was in bemerkenswertem Gegensatz zur angezielten Erweiterung des Adressatenkreises steht (auch Rezipienten mit niedrigeren Wissensvoraussetzungen werden als Nutzer in Betracht gezogen); denn die vergleichend behandelten ‚popularisierenden‘ Darstellungen zeichnen sich gerade durch massive Umfangsreduktion und Simplifizierungstendenzen aus.

Einer sehr viel tiefer gehenden Änderung entspricht der Wandel der Duden-Grammatik von einer eher präskriptiven zu deskriptiver Haltung sowie der Stilwechsel beim Exemplifizieren: Er besteht in dem zunehmenden Verzicht auf literarische Belege und der Aufnahme von Beispielen, die der authentischen mündlichen Kommunikation entstammen. Hier haben wir es weit eher mit dem Wandel von Denkstilen zu tun. Dies führt einerseits zurück auf die Ausführungen von Gwozdz und unterstützt deren Forderung, Stilwandel auch im textsoziologischen Kontext zu untersuchen und externe Akteure zu berücksichtigen. Die exponierte Stellung des Duden(-Verlags) im deutschsprachigen Raum verdient dabei besondere Beachtung und Bachmann-Stein/Stein zeigen überzeugend, wie sehr auch die in der Stilanalyse selten berücksichtigten Grammatik-Darstellungen Aufmerksamkeit verdienen.

Ein besonders enger Anknüpfungspunkt besteht andererseits zu dem Beitrag von Ulla Fix, die den Wandel von Denkstilen in den Mittelpunkt stellt. Sie behandelt denselben zeitlichen Ausschnitt (nämlich grob die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts), wählt aber als Textsorte den auch sonst besonders oft untersuchten (sprach-)wissenschaftlichen Aufsatz. Fix stellt das Kategorieninventar von Ludwik Fleck vor und versucht den Denkstil je eines Denkkollektivs aus den Perioden des Neoidealismus, des Strukturalismus und der Pragmalinguistik zu charakterisieren. Für eine Übersicht über Stilzüge und typische Stilelemente wissenschaftlicher Aufsätze greift sie auf die Funktionalstilistik zurück. Ihre empirische Analyse gilt – im Sinne einer exemplarischen Untersuchung – je einem Aufsatz der jeweiligen Periode. Während die letzten beiden Richtungen, wenn auch in charakteristisch verschiedener Ausprägung, die erwarteten Stilzüge klar erkennen lassen, weicht der Vertreter des Neoidealismus, Leo Spitzer, davon stark ab, insofern bei ihm Bestimmtheit (statt vorsichtiger Differenzierung und Vorläufigkeit) sowie Subjektivität dominante Stilzüge darstellen. Gerade dies entspreche allerdings dem Denkstil seines Denkkollektivs, trage also bei aller individualstilistischen Spezifik durchaus überindividuelle Züge.

Ebenfalls essentiell historisch ausgerichtet ist der Beitrag von Sabine Ylönen, die sich gleichermaßen mit Aufsätzen beschäftigt, allerdings solchen aus der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Ihre Untersuchung deckt den umfangreichsten Zeitraum ab (1884 bis 1999) und arbeitet mit einem umfangreichen Korpus. Außerdem nimmt sie eine besonders enge Phänomeneingrenzung vor, geht nämlich in diesem Aufsatz nur auf Zitationskonventionen ein. Angesichts des verbreiteten Topos von den Charakteristika der (Natur-)Wissenschaften ist besonders bemerkenswert, wie spät (nämlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) sich hier ein standardisiertes Verfahren etabliert hat. Trotz der auf den ersten Blick auf rein Formales gerichteten Analyse von Phänomenen, die sich auch besonders gut auszählen lassen, kann Ylönen aufzeigen, dass damit doch paradigmatische Änderungen des Wissenschaftsverständnisses – anders gesagt: Denkstilwechsel – verbunden sind.

Insgesamt lässt sich festhalten: Stilwechsel sind ein facettenreiches, gesellschaftlich und kommunikationsgemeinschaftlich relevantes Phänomen, das sowohl in synchroner als auch in diachroner Hinsicht temporäre und/oder bereits etablierte Stilveränderungen innerhalb von Textsorten, Kommunikationsformen, Texttypen und Diskursen indiziert. Die Beiträge des Bandes zeigen, dass die Erforschung der Funktionenvielfalt der Stilwechsel – gerade im Bereich der als eher wandelresistent geltenden Wissenschaftskommunikation – ein lohnenswertes Unterfangen darstellt, deuten aber gleichzeitig auf weiteren Forschungsbedarf hin.

***

 

Als Herausgeberinnen danken wir herzlich allen Beiträgerinnen und Beiträgern für ihr Interesse am Thema, für ihre Mitwirkung an diesem Band und insbesondere für die Geduld, die sie bis zum Abschluss der Veröffentlichung aufgebracht haben.

 

Genf/Athen, im September 2020    Die Herausgeberinnen

Stilistische Unterschiede und Stilwechsel in der Grammatikschreibung

Ein exemplarischer Vergleich von wissenschaftlicher Grammatik, Grammatik-Lehrbüchern für das Studium und Grammatikhilfen für die Schule und den Alltag

Andrea Bachmann-Stein/Stephan Stein
Gliederung
0

Vorbemerkungen

1

Theoretische Grundlagen

1.1

Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz

1.2

Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster

1.3

Stil und Stilwechsel in Wissenschaftstexten

1.4

Textmuster- und Stilwandel

2

Stilwechsel im synchronen Vergleich von Grammatik-Darstellungen

2.1

Zielgruppenidentische Grammatik-Darstellungen

2.2

Zielgruppendifferente Grammatik-Darstellungen

3

Stilwandel im diachronen Vergleich zielgruppengleicher Grammatik-Darstellungen

4

Kursorischer Blick auf Stilphänomene in Grammatikforen

4.1

Allgemeines zur Beziehungsgestaltung

4.2

Beleidigen

4.3

Ironisieren

5

Fazit

0Vorbemerkungen

Man weiß es ja: Allein schon die Bezeichnung „Grammatik“ ruft bei vielen Menschen Abwehrhaltungen und ‑reaktionen hervor. Und man darf annehmen, dass Grammatiken oder auch generell Texte, die grammatische Themen behandeln, nicht zur bevorzugten Lektüre des durchschnittlichen Sprachteilhabers gehören, sondern nur dann konsultiert werden, wenn bestimmte Umstände es sinnvoll oder unumgänglich erscheinen lassen (z.B. Behandlung grammatischer Themen in Schule und Studium, Klärung grammatischer Probleme und Zweifelsfälle im Alltag).1 An diesem weit verbreiteten Negativimage dürfte auch das mittlerweile beträchtliche Angebot an Grammatikdarstellungen und ‑hilfen, die für bestimmte Adressaten‑ und Zielgruppen konzipiert sind und einen spezifischen Nutzerzuschnitt aufweisen, wenig ändern. Umso lohnenswerter erscheint es, einmal unter die Lupe zu nehmen, inwiefern versucht wird, die Attraktivität von Texten mit grammatischen Themen (im Weiteren kurz: Grammatik-Darstellungen bzw. ‑Texte) durch bestimmte Weisen des Gestaltens zu steigern.

1Theoretische Grundlagen

1.1Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz

Für die hier verfolgte Fragestellung bietet es sich an, von einem (text)pragmatischen und einem interaktionalen Stilverständnis und Stilkonzept auszugehen, wie es maßgeblich durch Arbeiten von Sandig (vgl. insbesondere Sandig 1986 und 2006) und Selting (vgl. z.B. 2001) geprägt worden ist. Diesem Begriffsverständnis zufolge ist Stil als sozial relevante Art der Handlungsdurchführung (vgl. Sandig 2006: 9) zu fassen, ist Äußerungen und Texten stilistischer Sinn zuzuschreiben und können Typen stilistischen Sinns (ebd.: 17) ermittelt und unterschieden werden:

„Stil ist also die sozial bedeutsame Art der Durchführung einer kommunikativen Handlung, wobei diese Art der Handlungsdurchführung und die Handlung selbst und/oder das Thema als solches indizieren kann, wobei weiter die Handlungsdurchführung erkennbar bezogen sein kann auf die Art der an der Handlung Beteiligten und ihre Beziehung und/oder auf verschiedenartige Handlungsvoraussetzungen wie Kanal, Textträger, Medium, Institution, umfassendere Handlungsbereiche … Durch die Art der Handlungsdurchführung können außerdem Einstellungen/Haltungen zu den verschiedenen Aspekten des Handelns mit ausgedrückt werden. Stile sind bezogen auf ihre historische Zeit und eingebunden in bzw. Ausdruck von (Sub)Kulturen.“ (Sandig 2006: 17)

Auf dieser Grundlage ist im Blick auf Grammatik-Texte zu fragen, inwiefern das Thema bzw. der Gegenstand (Grammatik) eine bestimmte Art der Handlungsdurchführung nahelegt und erwartbar macht, inwiefern sich aber im Blick auf die an der Handlung Beteiligten auch Unterschiede in der Art der Handlungsdurchführung erkennen lassen und inwiefern sich dadurch für die Rezipienten bzw. Nutzer sowohl erwart‑ bzw. generalisierbare als auch individuelle Stilwirkungen ergeben. Solche Stilwirkungen sind maßgeblich durch stilistisches Wissen geprägt, d.h. durch die Kenntnis der Konventionen darüber, wie typischerweise in bestimmten Handlungsbereichen Stilgestalten hergestellt werden.

1.2Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster

Vor diesem hier nur äußerst knapp skizzierten Hintergrund textstilistischer Grundannahmen gewinnen die Fragen an Bedeutung, auf welche Weise die Handlungsdurchführung in Grammatik-Texten erfolgen kann, inwieweit stilistische Einheitlichkeit erwartbar und gegeben ist sowie ob und gegebenenfalls welche Arten von Stilwechsel(n) erkennbar sind. Diese Fragen können bezogen auf eine bestimmte konkrete Darstellung gestellt werden, sie gewinnen aber an Relevanz, wenn verschiedene zielgruppenorientierte Darstellungen einander gegenübergestellt oder wenn in diachroner Perspektive verschiedene zielgruppengleiche Darstellungen verglichen werden.

Im Mittelpunkt stehen dafür „textstilistische Handlungsmuster“, d.h. „stilrelevante Teilhandlungstypen für Texte“ (Sandig 2006: 147), die für die Produktion und Rezeption von Stilelementen zur Verfügung stehen.

Für das Durchführen einer (komplexen) Handlung können als allgemeine stilistische Handlungstypen nach Sandig (ebd.: 150) das Gestalten und das Relationieren angesetzt werden. Das Gestalten – Püschel (1987: 143) zufolge das „zentrale Stilmuster“ schlechthin: „Die Form, das Aussehen, die Gestalt einer Sprachhandlung/eines Textes ist ihr/sein Stil“ (ebd.)1 – ist in erster Linie ein auf Einheitlichkeit ausgerichtetes sprachliches Handeln (vgl. Fix 1996: 318). Dass Texte ein und desselben Themen‑ und Gegenstandsbereichs wie auch einzelne Texte und Textpassagen unterschiedlich gestaltet werden können und dass die Einheitlichkeit des Stils in der Sprachwirklichkeit nicht aufrechterhalten werden muss, sondern intentional oder auch unbedacht durchbrochen oder dass gar das Aufgeben von Einheitlichkeit selbst zu einem stilbildenden Prinzip werden kann (vgl. ebd.: 318), gehört zu den Alltagserfahrungen im Umgang mit literarischen Texten wie auch mit zweckorientierten Gebrauchstexten; gegebenenfalls erkennbare Unterschiede sind vor allem auf die jeweilige Art des Formulierens, die jeweilige Präferenz für bestimmte Sprachhandlungen, den Rückgriff auf andere als sprachliche Zeichen und das Maß der Typisierung der Handlungsdurchführung zurückzuführen. Voraussetzung ist dabei, wie bereits angedeutet, eine auf Geltung bestimmter Konventionen beruhende Interpretationsgrundlage für alle Kommunikationsbeteiligten (Textproduzent und Textrezipient): „Wichtig ist, daß […] die für die Beteiligten in der Situation per Konvention erwartbaren Handlungen, Handlungsinhalte und Durchführungsarten angenommen werden; stilistischer Sinn und Stilwirkung des Textes […] entstehen in Relation dazu“ (Sandig 1986: 124).

Das Einheitlichmachen und das Wechseln von Stilelementen zählen – neben z.B. Abweichen, Verdichten und Mustermischen – zu den grundlegenden stilistischen Handlungsmustern:2 „Einheitlichkeit entsteht durch FORTFÜHREN stilistisch gestaltbildender Mittel, so dass dieses FORTFÜHREN zur Interpretation des stilistischen Sinns beitragen kann“ (Sandig 2006: 174; Hervorhebungen im Orig.). Die Konstanz des stilistischen Sinns als Folge gleichbleibender und insofern redundanter Stilelemente (wie gleiche oder ähnliche Stilebenen, propositionale Gehalte und/oder Teilhandlungen) kann im Anschluss an ethnomethodologisch geprägte Konzepte der Interaktionsanalyse als Kontextualisierungsverfahren bzw. ‑hinweis interpretiert werden (vgl. dazu etwa Auer 1986 und 1992; Selting 1989): Dem Rezipienten wird zu verstehen gegeben bzw. „mitgeteilt: Es ist noch dieselbe Handlung (im Unterschied zu anderen möglichen), noch dasselbe Thema (im Unterschied zu anderen möglichen), noch dieselbe Beziehung zwischen den Interagierenden (in Relation zu anderen …), noch dieselbe Situationsinterpretation […]“ (Sandig 1986: 118). Das Einheitlichmachen und die Einheitlichkeit des Stils sind funktional also darauf angelegt, Änderungen in der Handlungsdurchführung (z.B. Themenwechsel, Wechsel der Handlungstypen usw.) durch Stilwechsel zu kontextualisieren:

„Eine Konsequenz der Funktion der Einheitlichkeit des Stils ist es, daß bei Übergängen zu anderen Handlungen, auch Teilhandlungen, der Stil gewechselt wird, auch bei Übergängen zu anderen Themen, bei einem Wechsel der Interagierenden, bei einer Änderung der Beziehung, der Situationsdefinition usw. […] So zeigen die Stilwechsel mit ihren Funktionen die Verflechtung von stilistischer Textstruktur einerseits und den Handlungsvoraussetzungen, auf die die Handlungsdurchführung bezogen ist, andererseits“ (Sandig 1986: 119).

Versteht man Einheitlichkeit des Stils als „generelles Postulat“ (ebd.: 122) bei konstanter Sprachgestaltung, konstanter Handlungsart und konstantem Thema, liegt es nahe, in Stilwechseln aufgrund ihrer Leistung als Kontextualisierungsverfahren Indikatoren für Veränderungen in der Art der Handlungsdurchführung zu sehen und ihnen Stilwirkung(en) zuzusprechen: Sie lassen sich als Instrument dafür deuten, die Textrezeption attraktiv(er) – z.B. abwechslungsreich(er) oder lebendig(er) – zu machen, und können als Mittel der Aufmerksamkeitssteigerung interpretiert werden (vgl. ebd.: 122). Denn grundsätzlich lassen sich Wechsel, wie sie beispielsweise durch auffällige Veränderungen in der lexikalischen und/oder syntaktischen Gestaltung oder in der thematischen Struktur fassbar werden, mithilfe der Figur-(Hinter‑)Grund-Relation erfassen: „Bei Stilwechsel wird der bisherige Stil zu Grund, der neue Stil zu Figur […]“ (Sandig 2006: 73; vgl. auch ebd.: 202–205), wodurch er sich vom bisherigen Grund abhebt. Man kann darin durchaus auch eine Ausprägung eines anderen allgemeinen textstilistischen Handlungstyps, nämlich des Abweichens, sehen (vgl. dazu ebd.: 153–157), wodurch der Zusammenhang zwischen Existenz (und Kenntnis) von Gestaltungskonventionen und dem Verstoßen dagegen deutlicher hervortritt:

„[D]ie Mitglieder von Kommunikationsgemeinschaften [bilden] im Laufe ihrer kommunikativen Sozialisation Erwartungen aus über die Erwartbarkeit bestimmter Stile in bestimmten Kommunikationskontexten. Diese fungieren als Normalformerwartung, von der jedoch zum Zwecke der Nahelegung bestimmten [!] Bedeutungen und Interpretationen jederzeit abgewichen werden kann“ (Selting 2001: 5).

Darauf, dass damit auch Gefahren verbunden sein können, wird üblicherweise meist aus einer eher normativ-ästhetischen Sicht auf Stil und Stilphänomene aufmerksam gemacht; Fleischer u.a. (1993: 66) etwa verweisen im Blick auf Stilwechsel, die sie primär im Zusammenhang mit thematischen Veränderungen sehen, auf „Akzeptanzgrenzen“ und damit auf die Erfahrung, dass auffällige Veränderungen in der Verwendung insbesondere phonetischer, graphematischer, lexikalischer und morphosyntaktischer Elemente (vgl. ebd.: 21) zu stilistischen Fehlleistungen führen können, die rezipientenabhängig u.U. als Stilbrüche oder Stilblüten wahrgenommen werden.

1.3Stil und Stilwechsel in Wissenschaftstexten

Auch wenn natürlich nicht alle Grammatik-Texte ohne Weiteres dem Kommunikationsbereich und Funktionalstil der Wissenschaft zugerechnet werden können und sich die globale Charakterisierung von Texten als „wissenschaftlich“ als viel zu grob erweist, gehen wir in starker Vereinfachung der im Sprachgebrauch vorhandenen sprachlichen und textsortenbezogenen Differenzierung in der Behandlung wissenschaftlicher Themen von einem durch die „Dominanz der Erkenntnisvermittlung“ (Fix u.a. 2001: 34) geprägten Anspruch in Verbindung mit adressatengerechter Textgestaltung aus. Das entsprechende Spektrum an Texten bedarf aufgrund seiner Heterogenität einer differenzierten Betrachtung der dominierenden Stilelemente und Stilzüge, die – im Zusammenspiel mit textlinguistischen Analysemodellen – als Textsorten‑ oder Textmusterstile erfasst werden können. Aus funktionalstilistisch-textsortenlinguistischer Perspektive ist davon auszugehen, dass verschiedene Stilelemente auf bestimmte Weise kombiniert werden und in ihrem Zusammenspiel im Hinblick auf die wesentliche Wirkungsabsicht funktionalisiert sind.1 Wenn z.B. der Funktionalstil der Wissenschaft durch Stilzüge wie „sachlich, folgerichtig, klar/fasslich, abstrakt, dicht/gedrängt, genau, unpersönlich“ (ebd.: 35, vgl. auch ebd., 75–78) charakterisiert werden kann, besteht die Aufgabe der Textanalyse darin zu überprüfen, in welchem Maße und mit welchen sprachlichen Mitteln solche Stilzüge jeweils realisiert sind: „Die Bestimmung von Stilelementen und Stilzügen bezieht sich immer auf ein ‚Stilganzes‘. Damit ist die Bedingung und Einheitlichkeit des stilbildenden Handelns gemeint“ (ebd.: 35).

Für die konkrete textstilistische Analyse konkurrieren zwar unterschiedliche Modelle und Konzepte mit teilweise unterschiedlichen Auffassungen darüber, welche Texteigenschaften und welche Merkmale der Kommunikationssituation für die Analyse berücksichtigt werden sollen (vgl. für einen Überblick ebd.: 52–56), in der grundlegenden Auffassung herrscht jedoch Einigkeit:

„Die bei der Analyse eines Textes ermittelten Stilzüge konstituieren den Stil des Textes, also die Art und Weise (das WIE), mit der das Mitzuteilende (das WAS) im Hinblick auf einen Mitteilungszweck (das WOZU) [und, so muss man ergänzen: im Hinblick auf die Adressatengruppe (das FÜR WEN)] – gestaltet wird“ (Fix u.a. 2001: 52; Hervorhebungen im Orig.).

Dass die Ausrichtung auf die jeweilige Adressatengruppe – bei mehr oder weniger konstanter Wirkungsabsicht – einen wichtigen Faktor für die gestalterischen Entscheidungen des/der Textproduzenten darstellt, liegt auf der Hand (vgl. dazu z.B. Biere 1996; Becker-Mrotzek u.a. 2014) und ist empirisch ohne großen Aufwand zu belegen (vgl. z.B. Eroms’ [2008: 119–121] kurzen Vergleich von Texten, die zum einen für Angehörige der Fachgemeinschaft bzw. Experten, zum anderen für ein breiteres Publikum bzw. Laien konzipiert sind und die jeweils typische, aber einheitlich eingesetzte stilistische Mittel aufweisen).

Vor diesem Hintergrund sind intendierte Stilwechsel in Wissenschaftstexten, die für einen breiteren und eventuell fachlich (noch) nicht versierten Adressatenkreis konzipiert sind (populäre Fachtexte und Sachprosa), eher bzw. in anderer Weise erwartbar als in Wissenschaftstexten, die sich dezidiert an ein Fachpublikum richten (Fachtexte). Diesen an sich naheliegenden Zusammenhang bestätigen die Analyseergebnisse von Petkova-Kessanlis (2017) zur wissenschaftlichen Textsorte „Einführung“ (in ein bestimmtes linguistisches Gebiet): Der Einsatz von Stilwechseln dient der sozialen Differenzierung, da der Textproduzent von Einführungen nicht in erster Linie als Teil der Wissenschaftlergemeinschaft agiert, sondern darum bemüht ist, eine „Nähe-Beziehung“ (ebd.: 179) zur Adressatengruppe der Studierenden herzustellen, d.h. den Wissenstransfer den Rezeptionsmöglichkeiten einer Zielgruppe mit geringerem Wissensstand anzupassen (vgl. ebd.). Man kann darüber streiten, ob solche Stilwechsel wirklich zum Textmuster(wissen) linguistischer Einführungen gehören, wenn sie aber auftreten, weichen die Texte spürbar vom üblichen Wissenschaftsstil (mit dort beobachtbaren konventionellen Stilwechseln wie z.B. auf bestimmte Art und Weise Zitieren oder Exemplifizieren) ab; anhand ausgewählter Beispiele stellt Petkova-Kessanlis (ebd.: 181–186) als einführungs-typische Stilwechsel das Zitieren (auch aus nicht-wissenschaftlichen Texten), das Markieren von Übergängen und von Wechseln zwischen Alltagssprache und Fach‑/Wissenschaftssprache (z.B. bei der Einführung neuer Termini) als Realisierung des Musters Akademischmachen, das Simplifizieren (Reduktion von Fachsprachlichkeit durch geringere semantische und syntaktische Komplexität), das Dialogisieren, das Wechseln der Interaktionsmodalität und das Wechseln der Stilebene (insbesondere zugunsten umgangssprachlicher Ausdrücke) heraus.2 Generell kann man in solchen – meist allerdings nur sporadisch verwendeten und dadurch umso auffälligeren – Stilwechseln aufmerksamkeitssteigernde und durch das Anschaulich‑ und Lebendigmachen von Inhalten rezeptionsfördernde und verständniserleichternde Strategien sehen und sie als Phänomene des Übergangs von einem fachwissenschaftlichen zu einem fachdidaktischen Stil verstehen.

1.4Textmuster‑ und Stilwandel

Fasst man wissenschaftliche Darstellungsformen wie Einführung bzw., allgemeiner, Monographie als Textsorten auf, lässt sich aus den Anforderungsprofilen mehrdimensionaler bzw. holistischer Modelle für die Untersuchung von Textsorten ableiten, dass auf der Ebene der Formulierung bzw. Formulierungsadäquatheit u.a. auch die stilistischen Handlungsmuster relevant sind, soweit sie für den Handlungstyp charakteristisch sind (vgl. etwa Sandig 2006: 489); sie gehören zum Textmuster(wissen) und zeichnen – bei konventioneller Textgestaltung – die Exemplare der jeweiligen Textsorte insofern als prototypisch aus, als sich auf der Ebene der Formulierung Musterhaftes zeigt: Dazu zählen neben typischen lexikalischen Mitteln und syntaktischen Strukturen auch Formulierungsmuster und Gestaltungsweisen, kurz: alle für die Textsorte charakteristischen sprachlichen Mittel und Strukturen, „die zusammen den charakteristischen Stil eines Textmusters ausmachen“ (ebd.: 499). Die damit bei Sandig (ebd.: 481 u. ö.) als „Textmusterstil“, in sonstiger textlinguistischer Tradition meist als „Textsortenstil“ bezeichnete Ebene meint den „charakteristische[n] Zusammenhang von Handlungsbereich, Sprecher/Rezipient(‑Beziehung), Kanal, evtl. Medium, Handlungsqualitäten und Sequenzpositionen einerseits mit Formulierungseigenschaften andererseits“ (Sandig 1996: 363). Dieser Zusammenhang stellt deswegen eine wesentliche Facette der Beschreibung von Textsorten dar (vgl. dazu z.B. Krieg-Holz 2017), weil (nur) dabei der Spielraum für die zwischen Typisieren und Unikalisieren changierende Gestaltung einzelner Textexemplare fassbar wird und weil er eine geeignete Angriffsfläche für die Beschreibung und Erklärung des Wandels (sprich: der Historizität) von Textmustern bzw. Textsorten bietet. Insofern kann auch im Hinblick auf die Ebene der Formulierungsadäquatheit von „Stilwandel“ gesprochen werden, d.h. von einem „Textmusterwandel mit der je konventionellen Variationsbreite bei der Musterrealisierung“ (Sandig 1996: 370) infolge veränderter soziokultureller Bedingungen.

2Stilwechsel im synchronen Vergleich von Grammatik-Darstellungen

2.1Zielgruppenidentische Grammatik-Darstellungen

Auffällige Unterschiede in der Art der Handlungsdurchführung lassen sich auf der Grundlage eines exemplarischen Blicks auf Grammatik-Darstellungen, die sich an ein breites und unter Umständen grammatisch nicht oder nur in Teilen versiertes Publikum richten, nicht ohne Weiteres ausmachen, d.h. bei Stilwechselphänomenen scheint es sich eher um eine Randerscheinung zu handeln. Anders ausgedrückt: Grammatik-Texte erscheinen und wirken stilistisch – mehr oder weniger – einheitlich und homogen. Umso mehr allerdings springen (Teile von) Darstellungen ins Auge, in denen Stilwechsel vergleichsweise häufig als Gestaltungsmittel genutzt werden; wir verdeutlichen diese Form stilistischer Heterogenität an ausgewählten Belegen aus Musan (2009), Heringer (2013) und Habermann u.a. (2015), d.h. an drei für den Einsatz in der Hochschullehre konzipierten und speziell an Studienanfänger gerichteten Grammatik-Einführungen:1

(1)

Wir müssen also höllisch aufpassen. (Musan 2009: 14)

(2)

Die Grundidee klingt glasklar. (Musan 2009: 15)

(3)

Eine rein flexivische Basierung müsste vieles in einen Topf werfen, […]. […] Man muss nicht gerade böswillig sein, […]. (Heringer 2013: 15)

(4)

Häufiger als Modalverben […] ist in Lehrplänen Modalität auf dem Tapet. (Heringer 2013: 47)

(5)

Aber über die Frage, ob es die Nutella oder das Nutella heißt, sollen schon ganze Beziehungen zu Bruch gegangen sein. (Musan 2009: 15)

(6)

Die Bausteine zwischen Wort und Satz, zwischen Himmel und Erde sozusagen, heißen Satzglieder. (Habermann u.a. 2015: 53)

(7)

Das wäre so, als würde man jemandem, der zu einer Party Chili con carne mitbringt, nach dem ersten Löffel sagen, das sei aber eine grottenschlechte Pizza. (Musan 2009: 37)

(8)

Wenn Sie meinen, dies sei immer der Fall, dann irren Sie sich. (Habermann u.a. 2015: 112)

(9)

Es ist sehr wichtig, dass Sie sich spätestens an dieser Stelle noch einmal klar machen, […]. (Musan 2009: 24)

(10)

Angesichts der Daten oben haben Sie sich sicher schon gefragt, […]. (Musan 2009: 29)

In diesen und ähnlichen Fällen liegen unterschiedliche Arten von Stilwechseln vor: Wechsel der Stilebene durch Verwendung umgangs‑­ bzw. alltagssprachlicher Ausdrücke und Wendungen (Beispiele 1–4), Illustration an alltagsnahen Vergleichen (Beispiele 5–7) und direkte Rezipientenansprache (Beispiele 8–10). Man kann solchen Darstellungsweisen, zumal sie sich bei der Lektüre längerer Textpassagen in der Regel spürbar vom jeweiligen Kotext und vom konventionellen Grammatikwissenschaftsstil abheben und dadurch auffallen, zweifellos vergleichbare Stilwirkungen und Funktionen zuschreiben, wie sie von Petkova-Kessanlis (2017) an Beispielen auch aus anderen linguistischen Einführungen diagnostiziert worden sind: das Bemühen darum, die Texte für die Zielgruppe attraktiver zu machen, anschaulich und verständlich zu sein (und zu bleiben), die Informationsmenge den Wissensbeständen und ‑voraussetzungen der Leser anzupassen und so eventuell auch auf eine Reduzierung kommunikativer Distanz hinzuwirken, kurz: die Aufmerksamkeit zu steigern und die Rezeptionsbereitschaft zu fördern.

So sehr es – im Sinne der knappen Vorbemerkungen – einleuchtet, dass Grammatik-Texte in besonderem Maße auf attraktivitätsförderndes Gestalten angelegt sein müssten, und so sehr sich dieser Eindruck auch im Blick auf die Häufigkeit und Intensität, mit der Stilwechsel in den drei genannten Darstellungen auszumachen sind, unweigerlich aufdrängt, so sehr bedarf es doch detaillierter Untersuchungen auf breiterer Materialbasis, um auszuschließen, dass es sich um individualstilistische Gestaltungsweisen und ‑vorlieben handelt, und um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass an einzelnen Darstellungen beobachtbare Phänomene charakteristisch für Darstellungen im gesamten Sachverhaltsbereich „Grundwissen über deutsche Grammatik“ sein könnten (vgl. dazu Abschnitt 2.2). Vergleicht man etwa die Grammatikdarstellungen von Heringer (1989a, 1989b und 2013), fällt oft auf, dass als autortypische Gestaltungsstrategien die direkte Adressatenansprache und/oder ein Wechsel des Sprachhandlungstyps erfolgt, wenn aus darstellenden und erklärenden Ausführungen Ratschläge abgeleitet werden, wenn auf ‚Fallen‘ und Probleme bei der grammatischen Analyse aufmerksam gemacht und wenn ein Perspektivwechsel von der Vermittlung des Wissens an angehende Deutschlehrkräfte hin zur Weitergabe des Wissens an (z.B. schulische) Lernende vorgenommen wird:

(11)

Ratschläge für Lerner: Das finite Verb ist ein erster Zugang zum Satz. […] Darum: Bestimme das finite Verb! […]. (Heringer 1989a: 70)

(12)

Relativsätze kannst du anhängen und ausklammern. Aber aufgepaßt: Der Bezug muß deutlich bleiben. (Heringer 1989b: 333)

In der jüngsten Darstellung wird dabei außerdem das Dialogisieren als stilistisches Handlungsmuster genutzt:

(13)

Dass ein Numerale sogar aus zwei Wörtern bestehen kann, ist doch misslich. Oder? Und wieso sind kein und niemand indefinit? (Heringer 2013: 16)

(14)

Allerdings bringt auch das gewisse Probleme. Haben sie ein festes Genus? Welches denn? (Heringer 2013: 17)

Auch ohne unbedingt immer gleich Antworten zu liefern, nimmt Heringer auf diese Weise die Leserperspektive ein und legt dem Leser gleichsam Fragen in den Mund, die sich bei der Lektüre und der Reflexion wie auch der Anwendung erläuterter Sachverhalte stellen können. Dem Leser mag auf diese Weise das Gefühl vermittelt werden, als Adressat ernst genommen und mit potenziellen Schwierigkeiten nicht allein gelassen zu werden. Sandig schreibt dem Dialogisieren in monologischen Handlungen ein noch weiterreichendes Funktionspotenzial zu: „authentisch MACHEN, EMOTIONALISIEREN, Reflexion ANZEIGEN, lebendig MACHEN, GESTALTEN einer Nähebeziehung“ (2006: 215; Hervorhebungen im Orig.).

Ins Auge springt auch das gelegentliche Wechseln der Interaktionsmodalität:

(15)

Es taucht [in Lehrplänen] Modalität als pures Stichwort auf, wohl in dem Glauben, damit sei alles gesagt. […] Das trifft sich mit einem Kuriosum des Schülerduden 2010, wo übers Register auf […] verwiesen wird und deren Überschrift auch tatsächlich verspricht, es gehe um Modalsätze und Modalität. Tatsächlich kommt Modalität in dem ganzen Abschnitt nicht vor. Netterweise folgt aber eine Übung, in der Sätze unterstrichen werden sollen, die Modalität ausdrücken. (Heringer 2013: 47)

Es kann jedoch auch vermutet werden, dass Heringer gelegentlich der Versuchung nicht widerstehen kann, den neutralen Duktus kurzzeitig aufzugeben, wenn er nämlich, wie in Beispiel (15), Schwachpunkte in anderen Grammatik-Texten nicht nur erwähnt, sondern ironisierend moniert.

2.2Zielgruppendifferente Grammatik-Darstellungen

Vergleicht man die für Studierende und Lehrende gedachten einführenden Grammatik-Darstellungen mit solchen, die sich jeweils an ein mehr oder weniger bestimmtes, zum Teil auch wesentlich breiteres Publikum wenden, stehen die Autoren u.a. vor dem Problem, eine heterogen zusammengesetzte Zielgruppe erreichen zu wollen, deren Wissensstand kaum adäquat eingeschätzt werden kann und sich, so darf man vermuten, nicht unerheblich unterscheiden wird. Eine gute entsprechende Vergleichsgrundlage bietet eine Reihe von im Duden-Verlag erschienenen Grammatik-Texten, die sich wie die unter 2.1 herangezogenen Darstellungen an die Zielgruppe der Germanistik‑/Deutschstudierenden richten (Habermann u.a. 2015), die im Unterschied dazu jedoch auch gezielt für Schüler(innen) gedacht sind (Dudenredaktion 2017) oder ein disperses Publikum adressieren, sprich: die Masse an Sprachverwendern, die sich entweder für Grammatik interessieren oder aber sich mit ihr beschäftigen müssen (Steinhauer 2015 und Hoberg/Hoberg 2016).

Grammatik-Texte für diese zumindest partiell unterschiedlichen Adressatengruppen unterscheiden sich nicht nur in der Breite und Tiefe der behandelten grammatischen Gegenstände – was zu vertiefen durchaus lohnenswert wäre, hier aber ausgeblendet werden muss –, sondern sie zeigen untereinander, vor allem aber im Vergleich mit Grammatik-Darstellungen, die dezidiert einen wissenschaftlichen Anspruch erheben wie die ‚eigentliche‘ Duden-Grammatik (vgl. dazu Abschnitt 3), Unterschiede im Gestalten. Gemeinsam ist den genannten Darstellungen zunächst, dass sie auf die mit dem Zitieren verbundene Art von Stilwechsel gänzlich verzichten, jedenfalls soweit es um Zitate aus (anderen) wissenschaftlichen Arbeiten geht; zitiert wird dagegen aus literarischen Texten und aus Gebrauchstexten wie Pressetexten, Studienordnungen usw., was ebenfalls dazu dient, Sachverhalte anschaulich zu machen, Interesse zu wecken und geeignete Anknüpfungsmöglichkeiten für die Adressatengruppe zu bieten. Mehr noch aber lassen sich andere Erscheinungsformen von Stilwechseln als Indikatoren dafür deuten, dass die Autoren nicht als Angehörige der Wissenschaftlergemeinschaft, soweit sie sich mit grammatischen Themen beschäftigt, agieren. Vielmehr betätigen sie sich als Mittler zwischen dieser Wissenschaftlergemeinschaft und spezifischen Nutzergruppen, auch wenn diese teilweise (wie Studierende) an Wissenschaftskommunikation teilhaben, überwiegend aber das Ziel verfolgen, sich auf die Vermittlung grammatischen Wissens in Bildungsinstitutionen oder seine Anwendung im Berufsleben, in der Alltagskommunikation usw. vorzubereiten. Zuweilen werden daher direkte Handlungsanweisungen gegeben, die für den (Berufs-)Alltag der Rezipienten gedacht sind:

(16)

In Vorträgen, Protokollen oder Arbeitsberichten sollten Sie einen zu starken Nominalstil vermeiden, weil dies die Lesbarkeit und Verständlichkeit beeinträchtigt. (Steinhauer 2015: 35)

Dass auf diese Weise mehr oder weniger stark ausgeprägte Gestaltungsweisen des Didaktisierens fachwissenschaftlicher Gegenstände entstehen, ist bekannt und liegt auf der Hand; bereits die hier zugrunde gelegte schmale Vergleichsgrundlage lässt erkennen, dass es naheliegend ist, nicht nur von einem „Übergang […] vom theoretisch wissenschaftlichen zum didaktischen Fachstil“ (Petkova-Kessanlis 2017: 186) zu sprechen, sondern im Bereich didaktischen Fachstils von einem Kontinuum auszugehen und zielgruppenorientiert verschiedene Grade der Didaktisierung anzusetzen. Sie schlagen sich nicht nur in didaktisch motivierter Reduktion von Komplexität der Substanz nieder, sondern manifestieren sich auch in der quantitativ und qualitativ unterschiedlichen Nutzung von Stilwechseln und verdeutlichen, wie der Gegenstand „Grammatik“ den Rezeptionsbedürfnissen und ‑fähigkeiten von Zielgruppen mit heterogenen Wissensvoraussetzungen angepasst werden kann; dazu trägt zunächst das bereits erwähnte Dialogisieren und der damit bezweckte Abbau sozialer Distanz bei:

(17)

Vielleicht haben Sie unter den Interrogativsätzen auch Sätze wie Sie reist heute ab? vermisst? (Habermann u.a. 2015: 105)

(18)

Wir wollen in diesem Kapitel zeigen, dass dies eine sehr betrübliche Fehleinschätzung ist, und bitten Sie, uns durch die folgenden Überlegungen zu begleiten. (Habermann u.a. 2015: 143)

(19)

Wie gesprochene Sprache mehr ist als ein Strom von Lauten, so ist geschriebene Sprache mehr als eine Aneinanderreihung von Buchstaben. Was gibt es noch für Elemente in der Schrift? Auf die folgenden Elemente soll hier kurz eingegangen werden: […]. (Dudenredaktion 2017: 26)

Ähnliches bewirkt das Bemühen, vom ‚harten‘ Wissenschaftsstil dadurch abzuweichen, dass als Handlungen Wissen-Zuschreiben und Loben vollzogen werden. Mit diesen Handlungen bemühen sich die Textproduzenten ebenfalls um eine persönlichere Kommunikationsebene und um Distanzabbau, da zumindest kurzzeitig die Asymmetrie, die durch die unterschiedlichen Wissensbestände gegeben ist, verringert erscheint:

(20)

Sie wissen zum Beispiel, dass Nebensätze von Hauptsätzen abhängig sind und nicht umgekehrt. Ein solches Wissen ist wichtig! (Habermann u.a. 2015: 112)

(21)

Dieser Test umfasst alle Bereiche der Grammatik, die in diesem Übungsbuch behandelt wurden, sodass Sie nun Ihr Wissen zu allen Themen komprimiert überprüfen können. (Steinhauer 2015: 105)

Der bereits genannte Verzicht auf Zitate aus wissenschaftlichen Arbeiten zieht Formulierungsweisen nach sich mit Verbalausdrücken wie nennt man, heißen, werden bezeichnet usw.:

(22)

Wörter haben nicht nur eine „objektive“ Bedeutung (Wörterbuchbedeutung), sondern gleichsam auch einen „Beigeschmack“. In der Sprachwissenschaft spricht man hier von Konnotationen. (Dudenredaktion 2017: 458)

(23)

Ein Wort ist also eine Einheit aus Ausdruck und Inhalt, eine Verbindung von Lauten bzw. Buchstaben und einer Bedeutung (die Lehre von den Bedeutungen heißtSemantik). (Hoberg/Hoberg 2016: 69)

Vordergründig entsprechen sie dem sachlichen und unpersönlichen Duktus von Wissenschaftstexten, in Textsorten des didaktischen Fachstils dienen sie aber in erster Linie dazu, sich auf eine nicht genannte fachwissenschaftliche Autorität und Tradition zu berufen (in der Sprachwissenschaft) und in Fragen der gewählten grammatischen Terminologie eine wie auch immer geartete Verbreitung und Akzeptanz zu suggerieren. Gleichzeitig drücken sie im Blick auf die favorisierte Weise des Gestaltens aus, dass entsprechende Belege und Nachweise für die Sachverhaltsdarstellung als verzichtbar anzusehen sind und womöglich von den Rezipienten aufgrund des nicht erkennbaren Nutzens als ‚Störung‘ empfunden werden könnten. Das Akademischmachen (z.B. durch Verweis auf Grammatik-Darstellungen bestimmter Autoren) ist daher allenfalls indirekt zu beobachten.

(24)

Auch hier wird praktisch niemals – außer von Linguisten – hinterfragt, ob es die Einheit Satz überhaupt gibt. (Habermann u.a. 2015: 51)

(25)

Allgemeinsprachlich versteht man unter einem Satz eine eigenständige, in sich geschlossene Redeeinheit […]. In der grammatischen Fachsprache wird hier differenziert. (Hoberg/Hoberg 2016: 338)

(26)

In vielen Grammatiken wird nicht zwischen Präpositionalobjekt und prädikativer Präpositionalgruppe unterschieden; beide werden dann als Präpositionalobjekt bezeichnet. (Dudenredaktion 2017: 378)

Das Stilganze, das sich in der Art der Handlungsdurchführung ergibt, zeichnet sich also gerade durch einen gering(er)en Fachsprachlichkeitsgrad aus. Auf Stilwechsel in Form des Rückgriffs auf Ausdrücke der unterneutralen Stilebene (Umgangs‑, Alltagssprache) wird weitgehend verzichtet, stilistisch markiert ist allerdings der kurzfristige Wechsel von der neutralen und um Objektivität bemühten Sachverhaltsdarstellung zu einer Bewertung. Zu beobachten ist das, wenn bestimmte grammatische Phänomene verbal, zum Teil auch durch graphische Mittel wie Smileys als (in)adäquat gekennzeichnet werden:

(27)

Der Teilsatz 4-1 wird in der Alltagssprache allenfalls von Mitarbeitern in Behörden gebraucht. Wir können ihn „in normales Deutsch“ übersetzen: […] Sie sehen also, wie einfach man es sich machen kann! (Habermann u.a. 2015: 189)

(28)

Nicht zu viel Passiv verwenden! Sätze im Passiv sind typisch für einen bürokratischen Stil und wirken meist nicht sehr ansprechend. Versuchen Sie, sie zu vermeiden: […]. (Steinhauer 2015: 24)

(29)

Es ist unnötig und stilistisch unschön, derselbe anstelle eines Personal- oder Possessivpronomens zu gebrauchen:

Als er das Auto gewaschen hatte, fuhr er dasselbe in die Garage.

 

…, fuhr er es in die Garage.

(Hoberg/Hoberg 2016: 248f.)

Auffällig ist dabei, dass Geschmacksurteile weder durch Argumente gestützt noch durch den Verweis auf Normautoritäten und normsetzende Instanzen begründet werden.

Ein weiteres Kennzeichen zunehmender Didaktisierung von Fachstilen ist ein Frequenzanstieg in der Nutzung des Handlungsmusters Simplifizieren. Auch dabei könnte man geneigt sein, Vereinfachungsstrategien hauptsächlich auf die Qualität der vermittelten grammatischen Substanz zu beziehen, gemeint ist aber das Bemühen um eine der Rezipientengruppe entsprechende Formulierungsweise (z.B. im Sinne grammatischer und semantischer Komplexität) mit angemessenem Grad an Fachsprachlichkeit. Die folgenden Beispiele zur grammatischen Kategorie „Modus“ (Indikativ) zeigen, dass im Vergleich der zugrunde gelegten Grammatik-Texte erkennbar Komplexitätsreduktion erfolgt: Die an Erwachsene adressierte kleine Duden-Grammatik (vgl. Hoberg/Hoberg 2016: 6 [Vorwort]) weist, wie zu erwarten, komplexere grammatische Strukturen auf als beispielsweise der Schülerduden. Dort finden sich wesentlich mehr Beispielsätze zur Illustration, die dazu dienen sollen, die Verstehbarkeit der abstrakten Ausführungen zu gewährleisten, für die Erwachsenen-Zielgruppe dagegen wird der Bedarf an Beispielsätzen geringer eingeschätzt, wie die folgenden längeren Belege verdeutlichen:

(30)

Der Indikativ (die Wirklichkeitsform) ist der neutrale Modus, die Normalform sprachlicher Äußerungen, von der sich die spezifischen Modi Konjunktiv und Imperativ abheben.

Der Indikativ stellt einen Sachverhalt als gegeben dar. Das muss nicht bedeuten, dass es sich um ein reales, tatsächliches Geschehen handelt. Auch „unwirkliche“ Begebenheiten (etwa in Träumen oder Märchen) werden im Indikativ formuliert, wenn sie für den Sprecher Geltung haben, z.B.:

Ich stürzte in ein tiefes schwarzes Loch (– und wachte auf). (Hoberg/Hoberg 2016: 128)

(31)

Der Indikativ ist der neutrale Modus des Verbs. Von ihm heben sich die anderen Modi ab. Man gebraucht ihn vor allem, um etwas ohne irgendwelche zusätzliche Schattierungen darzustellen:

Stockholm ist die Hauptstadt von Schweden. Gestern hat es den ganzen Tag geregnet. He, du stehst auf meinem Fuß!

Der Indikativ kann nicht nur in Aussagen, die sich auf Wirkliches beziehen, gebraucht werden. Man kann mit ihm auch Pläne oder Fantasievorstellungen möglichst neutral darstellen: [zwei Beispielsätze zur Illustration]

Der Indikativ kann aber auch zum Ausdruck von (eher unfreundlich gemeinten) Aufforderungen verwendet werden […]. (Dudenredaktion 2017: 78)

(32)

Indikativ (du kommst) ist der neutrale Modus des Verbs, der am häufigsten anzutreffen ist. (Habermann u.a. 2015: 16)

(33)

Der Indikativ ist die Normalform sprachlicher Äußerungen. Er drückt aus, dass ein Sachverhalt gegeben ist.

Ein Tag hat 24 Stunden.

Rom ist die Hauptstadt Italiens.

(Steinhauer 2015: 7)

Wie erkennbar, ist neben geringerer grammatischer und semantischer Komplexität mit geringerem Grad an Fachsprachlichkeit das Exemplifizieren eine wesentliche Realisierungsmöglichkeit für das Simplifizieren: die Illustration und das Erläutern von Sachverhalten an nachvollziehbaren Beispielen, die für den Nutzer Erkenntnisgewinn und Souveränitätszuwachs ermöglichen und ihm die Übertragung auf andere sprachliche Äußerungen erleichtern sollen. Dabei fällt auf, dass sich die Textproduzenten auch bei der Auswahl und Gestaltung der Beispiele in Teilen an der Lebenswelt und am Alter der Rezipienten orientieren: So beziehen sich etwa die Beispielsätze für den Crashkurs Grammatik (Steinhauer 2015) häufig auf die Bereiche „Beruf“ und gelegentlich „Freizeit“:

(34)

Substantivierte Verben sind als Substantiv gebrauchte Verben. Auch zusammengesetzte Verben können substantiviert werden.

Das tägliche Arbeiten nervt mich sehr.

Ich genieße das Zugfahren sehr.

Das Sichgehenlassen im Urlaub ist nicht mein Ding.

(Steinhauer 2015: 28)

In ähnlicher Art der Rezipientenorientierung finden sich im Schülerduden oft Beispiele aus der Lebenswelt von Schülern –

(35)

Es gibt auch zusammengezogene Teilsätze. Im folgenden Beispiel ist der Hauptsatz (a) zusammengezogen:

(a)

Thomas rudert im Klub und hat trotzdem Zeugnisnoten,

(b)

die weit über dem Durchschnitt liegen. (Dudenredaktion 2017: 320)

– und es ist sicher kein Zufall, dass die Autoren bzw. der Verlag im Interesse des Attraktivmachens auch auf Beispiele aus „moderner Lyrik und Rap“ (Vermerk auf der ersten Umschlagseite) zurückgreifen.

3Stilwandel im diachronen Vergleich zielgruppengleicher Grammatik-Darstellungen

Im Folgenden wird ein kursorischer Blick auf Stilwandelphänomene in der Grammatikschreibung bzw. Grammatikographie geworfen. Die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, die als Duden-Grammatik erstmals 1959 erschienen ist und mittlerweile in 9. Auflage vorliegt, bietet dafür u. E. einen geeigneten Anknüpfungspunkt.1 Vergleicht man die bisher vorliegenden neun Auflagen, springen zunächst Veränderungen ins Auge, die den Umfang und das Layout betreffen: So hat sich der Umfang der Duden-Grammatik von ursprünglich knapp 700 Seiten auf aktuell 1.340 Seiten fast verdoppelt. In der Auflagenhistorie fällt außerdem insbesondere das Bemühen um Verbesserung der Übersichtlichkeit auf; dazu gehört, dass Gliederungs‑ und Aufzählungsverfahren leserfreundlicher gestaltet werden, dass – erkennbar schon seit der 3. (1973), verstärkt aber seit der 4. Auflage (1984) – Inhalte zunehmend mit Tabellen aufbereitet und dass typographische Hervorhebungen eingesetzt werden, dass ferner mit der 7. Auflage (2005) zweifarbiger Druck eingeführt worden ist und dass seit der 8. Auflage (2009) an zentraler Stelle, den Umschlaginnenseiten, Benutzungshinweise aufgenommen worden sind. Und auch die Modernisierung der Schriftart ist im Zusammenhang mit Gestaltungsstrategien zu sehen, die die Übersichtlichkeit und die schnelle Orientierung fördern und in Typographie und Layout einen rezipientenfreundlichen Eindruck hervorrufen sollen.

Dass erstmals mit der 4. Auflage ein Literaturverzeichnis Teil der Duden-Grammatik ist, kann als (vordergründiges) Zeichen des Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit als Stilmerkmal interpretiert werden. Dieser Anspruch wird dadurch etwas relativiert, dass die angegebene Sekundärliteratur seit der 6. Auflage (1998) als „Auswahl“ bezeichnet wird, wenn auch – als Folge vermutlich auch der ‚Flut‘ an Forschungsliteratur zur deutschen Grammatik – die Zahl aufgeführter Referenzwerke stark angewachsen ist (von z.B. 157 Titeln in der 4. Auflage von 1984 und 159 Titeln in der 5. Auflage von 1995 auf 431 Titel in der 9. Auflage von 2016). Mag ein (anwachsendes) Literaturverzeichnis möglicherweise Wissenschaftlichkeit suggerieren, so verdeckt das allerdings etwas den Umstand, dass das für eine wissenschaftliche Arbeitsweise charakteristische und für das damit verbundene Erfüllen von Lesererwartungen vermutlich bedeutsamere Einarbeiten von und das Verweisen auf einschlägige Forschungsliteratur im Laufe der Zeit erkennbar reduziert worden ist. Auch darin allerdings kann man eine weitere Konsequenz aus dem Bemühen um rezipientenfreundliche Gestaltung für einen sehr breiten und nicht notwendigerweise mit Konventionen der Gestaltung von Wissenschaftstexten vertrauten Adressatenkreis erkennen.

Zu diesen ersten recht augenfälligen Befunden – Stärkung von Übersichtlichkeit als Stilmerkmal und quantitativ zwar zunehmendes (Literaturmenge), qualitativ aber abnehmendes (Zitate, Verweise usw.) Wissenschaftlichmachen in der textlichen Darstellung – kommt die mit dem Anspruch und zugleich Ausweis von Expertenschaft verbundene Angabe der jeweiligen Autorenteams, die in den Anfängen hinter der Angabe des leitenden Bearbeiters, später dann des verantwortlichen Dudenredakteurs bzw. der Dudenredaktion als Herausgeberin sichtbar werden:2

Auflage

Bearbeiter / Herausgeber

Autorinnen und Autoren

Zuständigkeit

1 (1959)

2 (1966)

Paul Grebe

Max Mangold

Der Laut

Dieter Berger

Das Wort: Die Wortbildung

Helmut Gipper

Der Inhalt des Wortes und die Gliederung des Wortschatzes

Rudolf Köster

Das Wort: Wortarten

Paul Grebe

Der Satz

Christian Winkler

Die Klanggestalt des Satzes

3 (1973)

Paul Grebe

Max Mangold

Der Laut

Helmut Gipper

Der Inhalt des Wortes und die Gliederung des Wortschatzes

Wolfgang Mentrup

Das Wort: Die Wortarten (in Teilen)

Paul Grebe

Der Satz

Christian Winkler

Die Klanggestalt des Satzes

4 (1984)

Günther Drosdowski

Max Mangold

Der Laut

Gerhard Augst

Der Buchstabe

Hermann Gelhaus

Die Wortarten

Hans Wellmann

Die Wortbildung

Helmut Gipper

Der Inhalt des Wortes und die Gliederung der Sprache

Horst Sitta

Der Satz

Christian Winkler

Die Klanggestalt des Satzes

5 (1995)

 

6 (1998)

Günther Drosdowski

bzw. Dudenredaktion

Peter Eisenberg

Der Laut und die Lautstruktur des Wortes, Der Buchstabe und die Schriftstruktur des Wortes

Hermann Gelhaus

Die Wortarten

Hans Wellmann

Die Wortbildung

Helmut Henne

Wort und Wortschatz

Horst Sitta

Der Satz

7 (2005)

8 (2009)

9 (2016)

Dudenredaktion

bzw.

Angelika Wöllstein / Dudenredaktion

 

Peter Eisenberg

Phonem und Graphem

Jörg Peters

Intonation

Peter Gallmann

Was ist ein Wort?, Grammatische Proben, Die flektierbaren Wortarten (außer: Das Verb), Der Satz

Cathrine Fabricius-​Hansen

Das Verb

Damaris Nübling

Die nicht flektierbaren Wortarten

Irmhild Barz

Die Wortbildung

Thomas A. Fritz

Der Text

Reinhard Fiehler

Gesprochene Sprache

Die Übersicht macht die jeweilige (unterschiedlich umfangreiche) Zusammensetzung der Autorenteams und die Verteilung der Zuständigkeiten deutlich, außerdem ist erkennbar, wie sich die Struktur der Grammatik und der Zuschnitt einzelner Teile im Laufe der Zeit gewandelt hat. Abgesehen von in der Natur der Sache liegenden Veränderungen in der Zusammensetzung und Verantwortlichkeit (stellvertretend sei auf die konzeptionellen und darstellerischen Veränderungen des Wortbildungs-Kapitels im Übergang der Zuständigkeit von Hans Wellmann [4.–6. Auflage] zu Irmhild Barz [seit der 7. Auflage] verwiesen) ist hier vor allem das Bemühen um Kontinuität, aber auch die Erweiterung der Autorenteams bemerkenswert, da durch die damit verbundene Arbeitsteilung der Anspruch auf Expertenschaft zusätzlich bekräftigt wird.

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen ist nun weitergehend nach Veränderungen des anvisierten Adressatenkreises und nach den Zielsetzungen der Duden-Grammatik zu fragen. Dabei darf man davon ausgehen, dass eine im Selbstverständnis und mit dem Anspruch einer wissenschaftlichen Darstellung konzipierte Grammatik in stilistischer Einheitlichkeit durch die für Wissenschaftstexte üblichen und erwartbaren Gestaltungsmerkmale geprägt ist und nicht auf attraktivitätssteigernde und die Rezeptionsbereitschaft fördernde Strategien angewiesen sein müsste. Dennoch nach Stilwechseln und nach Veränderungen bei ihrer Verwendung im Laufe der 60-jährigen Bestehenszeit zu fragen, gründet sich darauf, dass die Duden-Grammatik bereits seit der 3. Auflage (1973) mit dem Anspruch auftritt, „[u]nentbehrlich für richtiges Deutsch“ zu sein. Ohnehin ist ein Vergleich der Buchtitel und Titelseiten sehr aufschlussreich:

Auflage

Titel

Untertitel bzw. Werbezusatz

Zusatztext (vordere Umschlagseite)

1 (1959)

Duden – Grammatik der deutschen Gegenwartssprache

braucht jeder, um Wortformen und Satzbau zu beherrschen

Die Hauptkapitel des Buches: Der Laut, die Wortarten, die Wortbildung, der Inhalt des Wortes und die Gliederung des Wortschatzes, der Satz. Zahlreiche praktische Beispiele und ein Sach‑ und Wortregister mit ca. 10000 Stichwörtern.

2 (1966)

Duden – Grammatik der deutschen Gegenwartssprache

Die Hauptkapitel des Buches: Der Laut, die Wortarten, die Wortbildung, der Inhalt des Wortes und die Gliederung des Wortschatzes, der Satz. Zahlreiche praktische Beispiele und ein Sach‑ und Wortregister mit ca. 10000 Stichwörtern.

3 (1973)

Duden – Grammatik der deutschen Gegenwartssprache

Unentbehrlich für richtiges Deutsch (vordere Umschlagseite)

Ausführliche Darstellung des Aufbaus unserer Sprache • Vom Laut über das Wort zum Satz • Zahlreiche Beispiele für Wortbildung, Konjugation, Deklination und alle anderen Bereiche der Sprache

4 (1984)

Duden – Grammatik der deutschen Gegenwartssprache

Umfassende Darstellung des Aufbaus der deutschen Sprache vom Laut über das Wort zum Satz. Mit zahlreichen Beispielen, übersichtlichen Tabellen und Registern.

5 (1995)

Duden – Grammatik der deutschen Gegenwartssprache

Umfassende Darstellung des Aufbaus der deutschen Sprache vom Laut über das Wort zum Satz. Mit zahlreichen Beispielen, übersichtlichen Tabellen und ausführlichem Register.

6 (1998)

Duden – Grammatik der deutschen Gegenwartssprache

Das unentbehrliche Standardwerk für richtiges Deutsch

(vordere Umschlagseite)

Der Aufbau der deutschen Sprache in umfassender Darstellung mit zahlreichen Beispielen, anschaulichen Tabellen und einem ausführlichen Register

7 (2005)

Duden – Die Grammatik

Unentbehrlich für richtiges Deutsch (vordere Umschlag‑ und innere Titelseite)

Umfassende Darstellung des Aufbaus der deutschen Sprache vom Laut über das Wort und den Satz bis hin zum Text und zu den Merkmalen der gesprochenen Sprache

Mit zahlreichen Beispielen, übersichtlichen Tabellen und Grafiken sowie ausführlichem Register

8 (2009)

Duden – Die Grammatik

9 (2016)

Duden – Die Grammatik

Der Aufbau der deutschen Sprache vom Laut über das Wort und den Satz bis hin zum Text und zu den Merkmalen der gesprochenen Sprache

Besonders fällt auf, dass die Duden-Grammatik mit Erscheinen der 7. Auflage auf die spezifizierende und womöglich als einschränkend rezipierbare Angabe des Geltungsbereichs („Grammatik der deutschen Gegenwartssprache“) verzichtet und mit dem Titel „Die Grammatik“ einen allgemeineren und umfassenderen Geltungsanspruch erhebt, der sich zudem in zwei grundverschiedenen Weisen auffassen lässt: Auf der einen Seite spiegelt sich darin, wie es auch in der Veränderung der Zusatztexte zum Ausdruck kommt, die – in Anpassung an und Reaktion auf die jeweiligen wissenschaftsgeschichtlichen Neuerungen vollzogene – Ausweitung der Beschreibungsgegenstände nicht nur um ein Text-Kapitel (seit der 5. Auflage), sondern vor allem um ein Kapitel zur „Gesprochene[n] Sprache“ (seit der 7. Auflage) in Verbindung mit einem zunehmenden Verzicht auf literarische Belege zugunsten von authentischen Beispielen aus geschriebenen Gebrauchstexten, vor allem aber auch aus dem Bereich der Mündlichkeit. Betont wird so die Legitimation des Anspruchs, eine grammatische Darstellung der geschriebenen wie auch der gesprochenen (Standard‑)Sprache zu liefern und alle relevanten Beschreibungsebenen zu berücksichtigen.

Auf der anderen Seite kann man die Titelverkürzung und die Verallgemeinerung des Gegenstands auch als eine den Untertitel bzw. den Werbezusatz „Unentbehrlich für richtiges Deutsch“ verstärkende Nutz‑ und Zuständigkeitsbehauptung deuten, wie sie etwa auf der hinteren Umschlagseite der 9. Auflage explizit angegeben ist, wenn die typischen Groß-Verwendungsbereiche („Das bekannte Standardwerk für Schule, Universität und Beruf“) genannt werden. Dass solche recht markigen Ansprüche dem Bemühen um Absatzförderung geschuldet sind, liegt zwar auf der Hand, sie verdeutlichen aber, dass die Grammatik nicht allein ein fachwissenschaftliches, sondern ein wesentlich weiter gefasstes Publikum von Sprachinteressierten ansprechen und erreichen möchte: So

„[…] wird der heutige Stand des Wissens über Formen und Funktionen der deutschen Standardsprache in einheitlicher und verständlicher Terminologie gebündelt und beschrieben.