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Peter Stojan, Kriminalkommissar im Ruhestand, wird immer noch von dem Mordfall an einer jungen Frau gequält, den er während seiner Dienstzeit nicht aufklären konnte. Als er privat neue Ermittlungen aufnimmt, gerät ein vermeintlich stabiles Gebäude aus Lug und Trug ins Wanken. Was ist Wahrheit, was Fälschung? Was ist Täuschung, was nur Missverständnis? Es fällt Stojan nicht leicht, den Überblick zu bewahren, zumal die Grenzen zwischen Täter und Opfer zu verschwimmen scheinen. Immer größere Kreise um das heimische Sauerland muss er ziehen, um seinen Blick für Missstände und Missbräuche zu schärfen. Erst spät bemerkt er, dass er nicht der Einzige ist, der offene Rechnungen zu begleichen hat. Sprache und deren Verstehen spielen immer wieder eine entscheidende Rolle.
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Seitenzahl: 367
Veröffentlichungsjahr: 2020
Norbert Möllers
Stojan findetkeine Ruhe
© 2020 Norbert Möllers
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-00062-9
Hardcover:
978-3-347-00063-6
e-Book:
978-3-347-00064-3
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Prolog
Er hatte das Bild noch vor seinen Augen. Wie er dagestanden hatte, auf die große Bahnhofsuhr geblickt, seinen Gedanken nachgehangen. Wenn der Zug Verspätung hätte, die Türen nicht rechtzeitig schlössen, ein Rollstuhlfahrer oder ein Kinderwagen im Weg wären: das sei alles sein Pech, hatten sie ihm klargemacht. War gar nicht nötig gewesen, blöd war er ja nun mal nicht, nicht umsonst hatten sie ihn aufs Internat geschickt. Richtig die Sprache lernen, Benehmen lernen, Umgang mit den Wichtigen und den Richtigen. So wie Dejan, hatte er gedacht, das würde er schon schaffen. Und die Alte, natürlich, unwillkürlich musste er lachen, als er sich daran erinnerte. Was hatte er sich erschrocken, als sie ihn plötzlich ansprach: "Junger Mann, können Sie mir mal helfen? Ich muss da rein!" Er konnte sie gut imitieren, die Alte mit ihrem Rollator, er hatte schon so einiges mitgekriegt am Theater. Das war so komisch gewesen und die war so krumm und verbogen, und er hatte es niemandem erzählen können, dass er, Yasha, den Tag mit einer guten Tat begonnen hatte, bloß weil weit und breit kein anderer junger Mann zu finden war, der gemeint sein konnte. Er hatte noch oft daran gedacht, irgendwann musste er das mal jemandem erzählen. Überhaupt die ganze Geschichte.
An Dejan hatte er gedacht, der hatte schon sein Viertel in Dortmund. Wo würde er mal der Boss sein? Und an Carlotta hatte er gedacht und den Spider, den er noch abzahlen musste, den sie sich verdient hatte. An Afrim hatte er nicht gedacht, Afrim war der Älteste von ihnen dreien. Vor Afrim hatte er Angst, früher nur Respekt vor dem großen Bruder, jetzt Angst.
Er hatte nach der kleinen Kühltasche in seiner Jacke gefühlt, dem Insulinfläschchen auch, der Spritze, noch gedacht: „Warum nimmst du das Zeug eigentlich mit?“ Carlotta hatte nichts gemerkt, ihr Opa sowieso nicht. Er hatte sich einfach sicherer gefühlt so. Mit der Spritze. Wer weiß, wofür sie gut war. Sonst hätte er nur seine Hände gehabt.
Der Zug war voller gewesen als die Woche zuvor, lauter Loser in Loserklamotten. Trotzdem war das easy gewesen, keiner hatte ihn richtig angesehen, höchstens die krumme Alte auf dem Bahnsteig. Wieder musste er lachen bei dem Gedanken, die hätte gegen ihn ausgesagt. Aber trotzdem easy, das Pferd auf dem Arm, hübsches Foto, er hätte es gerne behalten. Aber er hatte es in seinem Schädel eingebrannt, das komische Pferd. Was dann kam, hatte er nicht mehr so präsent, sicher, die Sporttasche, er glaubte, er hätte schließlich noch gute Reise gesagt, aber ja, doch, auch das wusste er wieder, das konnte er nicht vergessen, dass das gar keine Loserlady war, längst noch nicht.
„Ich bin ein Losergirl“ hatte er gedacht, dass sie das hätte sagen können, ganz zum Schluss, wenn sie dann noch etwas hätte sagen können.
Immer noch muss er warten. Immer noch im zweiten Glied. Das Losergirl reichte denen nicht. Die wollten auch die Loserlady. War ein bisschen dumm, die Gute. Und jetzt war er ihr bereits ziemlich nahe. Diesen Sommer, okay, den brauchte er noch. Dann aber ganzes Viertel, nicht nur halbe Straße. Hallo Loserlady, zeig mir dein Pferd, du hast doch auch eins? Lass es uns reiten. Im Theater vielleicht? Was darf ich dir mitbringen?
1
Samstag, 30.1.16
Stojan hatte wieder eine Spur. Beim Stöbern gefunden. Nicht gesucht. Bestimmt nicht. Höchstens ein bisschen. Denn etwas in ihm war immer auf der Suche, nachts im Halbschlaf, tags beim Dösen oder während der Spaziergänge mit Fido, seinem Hund. Er las etwas und plötzlich hatte er eine Assoziation. Oder er rührte sich gerade etwas zusammen, eine Vinaigrette oder Hollandaise, und seine Gedanken wurden mitgerührt, wurden losgelassen, gingen auf die Reise, schlugen irgendwo an. Dabei ging schon mal etwas verloren, Pfeffer oder Kräuter in der Sauce, der rote Faden im Roman. Egal, da war er Fido ähnlich: Wenn sein Boxerrüde eine Spur verfolgte, wurde auch gerne ein Kommando ignoriert.
Drei Fälle gab es, die ihn quälen konnten, ihn, der eigentlich seit fast zwei Jahren pensioniert war, außer Dienst, Kriminalhauptkommissar aD, wie es auf der Vorderseite der Visitenkarten stand, die ihm die Kollegen zum Abschied hatten drucken lassen. Diese Fälle konnten ihn quälen wie sich nie richtig schließende Wunden, die vielleicht mal etwas verschorft und überhäutet sind, aber nie so verheilt, dass der Arzt gesagt hätte: Jetzt brauchen Sie nicht mehr zu kommen, die Behandlung ist beendet.
Es hatte auch längere Phasen in den letzten zwei Jahren gegeben, in denen er ganz entspannt war, keinen Kontakt zu seinem alten Team oder den alten Fällen suchte. Phasen, in denen er dicke Bücher las oder sein neues Digitalklavier mit kleinen Melodien nach uralten Noten, die er im Regal gefunden hatte, fütterte. Das war ihm dann wichtiger als wer wo seine DNA nicht hatte bei sich lassen können, wer warum gelogen hatte oder wessen Alibi plötzlich geplatzt war. Gerne erinnerte er sich an den Sprach- und Kochkurs in einer alten Villa in der Toskana, den er sich bald nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst gegönnt hatte, auch an die nette frisch und anscheinend glücklich geschiedene Lehrerin aus Lübeck. Wie hieß sie nochmal gerade, irgendetwas mit S, Sabine? Stefanie? Eigentlich schade, dass sie sich damals nicht nähergekommen waren; vielleicht könnte er einfach mal Signale aussenden? Ach ja, Jessica hieß sie. Sogar zwei S.
Ein bisschen Langeweile bei eisiger Kälte im Hochsauerland, ein bisschen Nostalgie und, wie immer, ein bisschen Hoffnung, längst gewesene Zeit etwas umschreiben zu können, um damit eine der alten Wunden zu befrieden, hatten dazu geführt, dass er sich eines Samstagnachmittags mal wieder ins interne Polizeinetz eingeschmuggelt hatte, um durch ältere und frischere Nachrichten aus der Region zu surfen. Zwei Wochen war das jetzt her, seitdem versuchte er, seine Gedanken zu ordnen.
Legal war das nicht, dieses unbefugte Eindringen, das war ihm ziemlich klar und ziemlich egal gewesen. Doch wenn Sonja jetzt Ärger oder ernste Probleme mit der Dienststelle bekäme, wollte er das nicht so gerne verantworten.
Sonja war seine ehemalige Assistentin, die seine letzten acht Berufsjahre relativ angenehm gestaltet hatte, nicht nur wegen ihrer raschen Auffassung von Wesentlichem und Zusammenhängen, wegen ihrer Verlässlichkeit und Loyalität, sondern auch wegen ihrer ganzen Art, herzlich, freundlich, witzig, manchmal etwas frech, manchmal reichlich burschikos. Gelegentlich etwas weiblicher, hin und wieder mal chic angezogen, und natürlich nicht so ein grässlicher Musikgeschmack, mit dem sie seine Ohren regelmäßig quälte, wenn sie ihn in ihrem Wagen mitgenommen hatte nach Hagen oder Dortmund, ja, dann wäre sie sicher öfter in seinen Träumen aufgetaucht. Es war ihm schon lieber gewesen, wenn sie die aktuellen Bundesligaspiele kommentierte. Da konnte er zwar auch nicht richtig mitreden, aber sie tat das auf eine so herzerfrischend leidenschaftliche und witzige Art, dass Stojan sich bestens informiert und unterhalten fühlte. Dazu kam meistens noch ein bisschen aufgeschäumte, auf nette Art kokette Wut auf angebliche Fehlentscheidungen der Schiedsrichter und auf unglaubliches Pech mit Pfosten und Latte bei ihren Lieblingsvereinen. Da ihr Herz sowieso grundsätzlich für Underdogs und Außenseiter schlug, war entsprechend oft Ärger über verlorene Spiele Antrieb und Gewürz ihres Redens und Plapperns bis hin zur Unflätigkeit, sehr zum Amüsement ihres Zuhörers. „Mann, Chef, das hättest sogar du gemerkt, der Schiri war so blind, echt. Und das schönste: Der ist im richtigen Leben Zahnarzt. Ist das zu fassen? Ein blinder Zahnarzt, kannst du dir das vorstellen, würdest du zu einem blinden Zahnarzt gehen? Sag schon, Chef! Dir von dem einen Zahn ziehen lassen? Also. Ich habe nichts gegen Blinde, können die meisten ja nichts zu, aber blinde Zahnärzte, blinde Schiris, nee, Mann. Und blinde Autofahrer: Guck mal da vorne, der Cayenne, wenn Blinde auch noch Auto fahren, das ist ja fast so eine Katastrophe wie wenn sie Spiele pfeifen, bei denen es um etwas geht. Schert der einfach so ein, denkt in so ´nem Schlitten passiert einem schon nichts! Vielleicht ist das sogar unser Schiri-Zahnarzt!“
Stojan hatte sich sogar zur Gewohnheit gemacht, montags mal kurz die Ergebnisse der Aufsteiger anzusehen, um je nach Bedarf und Lust und Laune öfter ein bisschen Öl ins Feuer gießen oder, seltener, Wogen glätten zu können, wenn Dienstfahrten ins Ruhrgebiet anstanden.
Mit Sonja gab es immer wieder mal etwas auszutauschen, auch weil sie, seit ihrer Scheidung freiwillig und gerne Single, nicht wusste, wo oder bei wem sonst sie meist beruflich angestauten Ärger am besten abladen konnte. Wie bei einer nicht ganz so ordentlichen Mülltrennung gesellte sich manchmal ein bisschen privater Stress dazu, etwa mit dem trotz seiner mittlerweile zwanzig Jahre offenbar immer noch pubertierenden Junior oder mit dem einen oder anderen etwas verschämt eingestandenen Wochenendlover, der seine Rolle nicht richtig verstanden hatte und lästig wurde. Richtig war zum Beispiel: Tschüss, und nee, nicht telefonieren! Wenn sie ihn wie früher mit „Chef“ ansprach, wusste Stojan, welche Richtung das Gespräch nahm, und er war eitel genug, sich das gute Gefühl gefallen zu lassen, von der klugen und doch in ihren Entscheidungen nicht immer klaren Frau gebraucht zu werden. Damit man tatsächlich von einem Austausch sprechen konnte, brachte sie ihm dann ein paar abgelegte Akten mit, die er, wie er es nannte, „gerne nochmal überfliegen“ wolle. Insidern wäre aufgefallen, dass es sich dabei nur um solche Fälle handelte, die gar nicht oder nur unbefriedigend und mit offenen Fragen, „mit Gewalt“, hatte er früher dann gesagt, gelöst worden waren, so als hätte man die beiden letzten Schrauben, die nicht ganz richtig passten, an denen Drehkraft und Schraubenzieher verzweifelt waren, schließlich mit dem Hammer ins fast aufgebaute Möbel geschlagen, um sich wenigstens kurzfristig der Illusion eines stabilen Schranks hinzugeben. Fido mochte Sonja genauso wie sein Herrchen, auch weil an deren Treffen oft ein Spaziergang angehängt wurde, manchmal noch ein Kaffee bei ihm in seiner Datsche, wie er seinen Bungalow am Waldrand gerne und ironisch verniedlichte. Ganz selten wurde es dann auch mal ein ganzer Abend, und zweimal war es am Ende sogar eine ganze Nacht, in der genug Rotwein im Spiel war, um einen noch führerschein-verträglichen Abschied zu verhindern, aber nicht genug, um den platonischen Status ihrer Beziehung zu gefährden. Und weil beiden dieser Status unausgesprochen wertvoll war, dem väterlichen Freund und der verlässlichen Kumpanin, jonglierten sie seit seinem Ausscheiden aus dem Team virtuos mit der Anrede, wechselten zwischen Vor- und Nachnamen und hatten ihren Spaß daran und ein gutes Gefühl dabei, den anderen mal fest an sich zu drücken.
Auch diesmal hatte sie übers Wochenende ihren USB- Stick bei Stojan gelassen, mit dem sie sich und zwar, das hatte sie hoch und heilig unterschreiben müssen, nur sich selbst und sonst niemanden ins interne Netzwerk der Kripo einloggen durfte mitsamt Zugangscode und persönlichen Kennwörtern. Nicht dass ihn jetzt ein richtig schlechtes Gewissen lähmen würde, aber doch zehrte ein latent ungutes Gefühl an ihm, das er erst überwinden musste, bevor er noch einmal in den nicht offiziellen Polizeinachrichten stöberte. Ohne Spuren zu hinterlassen, hoffte er, weshalb er sich auch mit diesen Aktionen aufs Wochenende beschränken wollte. Er wusste nicht, wonach er suchen sollte, es gab kein Register, kein Inhaltsverzeichnis, das sortierte, ungeklärte Todesfälle von solchen durch Gift oder äußere Gewalteinwirkung unterschied oder Opfer mit auffälligen Tätowierungen auseinanderhielt. Nirgendwo hatte er sich lange aufgehalten, am längsten noch bei ungenauen und offenbar nicht weiter untersuchten Vorfällen in Westfalen und Nordhessen. Dahin hatte er seinen Fokus ausgerichtet, denn immerhin lagen dort die sieben letzten Haltestellen des Zugs, in dem man die Leiche der Irene Altmann kurz vor elf Uhr in Hamm gefunden hatte. Gut, sie hätte auch schon in Leipzig eingestiegen sein können, in Weimar oder Erfurt, wie ihn ein Blick in den Fahrplan der Deutschen Bundesbahn lehrte, aber zunächst erschien ihm das unwahrscheinlich. Irene Altmann war eine seiner offenen Wunden.
Ein Verkehrsunfall mit einem tödlich verletzten Fahrradfahrer und Fahrerflucht in Habichtswald interessierte ihn nicht, ein Totschlagsverdacht gegen den Ehemann einer krebskranken Frau in Korbach, der für sich Tötung auf Verlangen reklamieren wollte, ebenfalls nicht, eine Serie von KFZ-Diebstählen im Paderborner Umland, ein Einbruch in eine Modeboutique in Lohfelden, bei dem offenbar keine Beute gemacht wurde: Das alles rauschte an Augen und Kopf vorbei, ohne allzu viel Speicherkapazität in seinem Gehirn zu belegen. Hin und wieder hatte er sich ein paar Namen, Aktenzeichen oder Webseiten notiert, um sich später darum zu kümmern, ohne möglicherweise Sonja oder andere zu kompromittieren. Das konnte warten, das hatte ihn alles lange nicht so angesprungen wie eine andere Meldung, auf die er vor zwei Wochen mehr oder weniger zufällig gestoßen war und die sich seitdem in seinem Hirn festgebrannt hatte. Und mittlerweile da eine Menge Raum forderte und die er sich deshalb jetzt noch einmal ganz genau angucken wollte. Unter der Rubrik "Mögliche Straftaten" stand am Donnerstag, dem 17. 12.2015 folgende Notiz:
„Am 14.12. 2015 meldete sich auf dem Polizeirevier in Bad Zwesten im Schwalm-Eder-Kreis der nigerianische Staatsbürger Opako K. und gab zu Protokoll, er habe in einer Gaststätte in der Altstadt einem ihm unbekannten Mann ein gebrauchtes Handy abgekauft. In einem Mix aus Deutsch und Englisch hatte der Mann mit ihm gesprochen. Auf der sich noch im Gerät befindlichen Speicherkarte habe sich eine Art Tagebuch befunden, das ihm ein Kollege im Wohnheim übersetzt habe, da er nicht alles habe verstehen können. Der Mann habe auch nicht alles verstanden, ihm aber geraten, damit zur Polizei zu gehen, weil es sich nach dem Geständnis einer Straftat angehört habe und er, K., unter Beobachtung der Behörden stehe. Speziell handele es sich wohl um die Ankündigung oder Planung oder Durchführung oder Geständnis eines Tötungsdelikts. Die Speicherkarte wurde gesichert. Es ist zu bemerken, dass der Opako K. bereits im Vorjahr versucht habe, eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu erschleichen durch eine angeblich notwendige Operation, die nur in Deutschland erfolgreich durchgeführt werden könne. Zurzeit werde zum wiederholten Male geprüft, ob bei einer Rückführung ins Heimatland Foltergefährdung bestehe.“
Aus dreierlei Gründen hatte sich Peter Stojan über diese Notiz aufgeregt: Erstens das in seinen Augen miserable Beamtendeutsch –„Beamtenanwärterdeutsch", korrigierte er laut für Fido, der kurz ein Auge und ein Ohr für sein Herrchen öffnete, um dann, leicht seufzend und offenbar der gleichen Meinung, weiterzuschlafen. Auch grammatikalisch klang das nicht ganz sauber, fand Stojan, investierte da nun aber keine Zeit für eine intensive Prüfung. Zweitens die kaum verhohlene Abqualifizierung einer Aussage nur aufgrund des Status des Zeugen, hier der des Asyl suchenden Migranten. Stojan hatte im Gespür, dass der Beamte nur mit Mühe - oder vielleicht fremder Hilfe, wer weiß? – einen Hinweis auf die Hautfarbe vermieden hatte. Drittens stand nirgends, ob man dem Verdacht nachgegangen war und ermittelt hatte. Auch ob die Speicherkarte als Asservat gewertet und dann der Staatsanwaltschaft zugeleitet wurde, ging nicht aus den Aufzeichnungen hervor. Gesichert konnte auch abgenommen und vernichtet heißen. Stojan seufzte, fuhr sich mit der Rechten durch die Haare und lehnte sich dann einen Moment zurück. Jetzt war er ungeduldig. Die Meldung konnte tatsächlich zum Namen auf einem der Ordner auf seinem Schreibtisch passen: Altmann, Irene. So stand es da in großen Druckbuchstaben geschrieben.
Aber einfach und vor allen Dingen schnell kam er an diese Speicherkarte nicht dran. Wenn überhaupt. Auch oder gerade ein pensionierter Kriminalbeamter musste sich hier an den Dienstweg halten.
Und Dienstweg hieß Formulare, Stempel, Geduld und Zeit. Stojan hatte davon nur noch letzteres. Mal eben anrufen und die Kollegen strammstehen lassen, ihnen Bescheid sagen, sie hätten gefälligst mal, wahlweise ob sie eventuell bereit wären, freundlicherweise bitte sehr irgendwelche Daten online rüberzuschicken: Dass das so kaum funktionierte, war ihm klar.
Also Sonja. Sonja hatte auch nicht immer Zeit, ja, sah er ein, klar, tat er, natürlich. Und selbst hinzufahren, wäre zwecklos, er hatte seit zwei Jahren keinerlei Befugnisse mehr. Zuständig musste Kassel sein. Er könnte telefonisch ein bisschen recherchieren, wenigstens eine Dienststelle, eine Asservatenkammer. Erstmal an die frische Luft. Und dann zu Tasso. Da war er verabredet. Am Donnerstag. Nicht heute. Heute würde er ein Bier trinken. Auf die Spur. Prosit!
2
Donnerstag, 4.2.16
„Nenn mich nicht Stasi, verdammter Nazi!“
Endlich, dachte Stojan. Die Ruhe des kleinen griechischen Gastwirts hatte er bewundert, gleichzeitig hatte sie ihn geschmerzt. Er hatte schon befürchtet, Anastasios Charipidis, Tasso genannt von Freunden und Stammgästen, würde sich das plumpe Spiel mit seinem Vornamen gefallen lassen, aus Rücksicht auf andere Gäste und das Geschäft, herunterschlucken wie so viele andere hässliche Provokationen und billige Lacher auf seine Kosten, stumm, freundlich, gar noch mitlachend. Wortspiele mit Namen, die man ererbt oder andere einem gegeben hatten, gar in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und Bedeutung, hatte Stojan immer unfair gefunden, wenn sie offensichtlich abwertend und verletzend gemeint waren. Vielleicht war er da etwas zu empfindlich oder er erinnerte sich zu deutlich an eigene Schulkindserfahrungen. Bestimmt viermal hatte Stojan, seitdem er die nicht sehr geräumige Kneipe zusammen mit Fido betreten hatte, diese „Stasi“-Rufe gehört. Irgendwo von einem der Stehtische hinter seinem Rücken mussten sie gekommen sein, junge laute Stimmen, um Beifall buhlend. Er hatte keine Lust gehabt, sich umzudrehen, Neugierde zu zeigen, sich irgendwie gemein zu machen mit solchen Leuten. Lieber malte er in seiner Fantasie hässliche Fratzen zu den lauten Stimmen, mit debilem Ausdruck vom Typ Schule abgebrochen und danach nichts mehr gelernt, und überlegte, ob und wie er eine solche Szene in seinem neuen Kinderroman für die beiden Enkel unterbringen könnte. Da gab er gerne den Pädagogen.
Zweimal hatte Anastasios noch mürrisch schweigend ein Bier für die Rufer gezapft, deutlich liebloser als gewöhnlich, einmal zwei Ouzo abgefüllt in farbige Schnapsgläser, die er, darauf hätte Stojan wetten mögen, den Hygieneinspektoren des Gesundheitsamtes nicht angeboten hätte. Jetzt machte er nichts.
„Endlich“, sagte Stojan halblaut und setzte sein leeres Bierglas etwas fester als notwendig auf den Tresen. „Gut so! Mach mir lieber noch eins! Bin mir nur nicht sicher, ob du die Typen überhaupt triffst mit „Nazi“. Das ist längst nicht mehr ein Schimpfwort für alle. “
Tasso seufzte. „Egal. Wofür mache ich ein großes Schild vor die Tür, schreibe drauf: Bei Tasso, lasse es sogar beleuchten? Hier überm Tresen steht’s nochmal. Die Herrschaften kriegen jetzt die Rechnung und dann den Weg nach draußen gezeigt. Notfalls leihst du mir mal deinen Hund aus. Du hast doch bestimmt noch nicht genug Bewegung gehabt heute, oder, Fido?“ Fido und Tasso waren dicke Freunde, seit der damals wenige Monate alte Boxerwelpe das erste Mal zusammen mit seinem Herrchen den Durst der streunenden Wanderer in der etwas schäbigen Taverne am Ortsrand, der nichtsdestotrotz ein gewisser Charme eigen war, gestillt hatten. Schon bei ihrem zweiten Besuch hatte Tasso einen Napf aus einem der vergilbten Wandschränke gezaubert, die mit Sicherheit aus Zeiten stammten, in denen noch lange kein Gesetz lebendes oder totes Kneipeninterieur vor Tabaksqualm geschützt hatte, und mit stillem Wasser gefüllt. „Ist Fachinger recht?“, hatte er grinsend gefragt und Stojan hatte nicht richtig verstanden. Wollte er das Wasser berechnen, wollte er ihn auf den Arm nehmen aus irgendwelchen Gründen? Statt einer schnellen Antwort murmelte Stojan nur undeutlich vor sich hin. Beim nächsten Mal war die kleine Nische am rechten Ende des Tresens von allerlei Plunder freigeräumt und neben dem Emaillenapf hatte ein auf den ersten Blick nagelneues Lammfell gelegen, das für Fido in den mittlerweile zwei Jahren regelmäßiger Besuche etwas klein geworden war, nicht nur, weil der Hund inzwischen doppelt so groß war, sondern auch, weil er in Phasen von Langeweile oder Ungeduld die Ränder des Fells zerfleddert hatte.
Ungeduld vor allem dann, wenn Stojan sich bei Tasso verabredet und dann verquatscht hatte. Mit Sonja zum Beispiel.
Heute war er nicht mit Sonja verabredet gewesen, sondern mit Jon, der angeblich für die Tattoos der halben isländischen Fußballnationalmannschaft verantwortlich zeichnete, aber er schien ihn versetzt zu haben. „Vielleicht hat er sich verletzt“, kam ihm in den Sinn, als er an die rustikale Spielweise der Inselkicker bei der überraschend erfolgreichen Qualifikation zur Europameisterschaft zurückdachte, fand diese Vorstellung aber sofort so komisch, dass er herzhaft vor sich hin lachte, bis Tassos Stirnrunzeln ihn wieder in die Gegenwart zurückholte.
„Was macht Günther und seine Bande?“, fragte Tasso.
Stojan schaute auf. „Ich überlege noch, ob ich ihm den Hals umdrehen, ihn mit meiner Dienstwaffe erschießen oder bei niedriger Temperatur auf deinem drehbaren Rost grillen soll.“
Mit Günther und seiner Bande hatte Stojan nie beruflich zu tun gehabt. Günther war ein Schaf, wahrscheinlich nicht irgendein Schaf, sondern so eine Art Oberschaf. Oder Leitschaf. Jedenfalls trug es als einziges der Herde großer und kleiner Schafe und Lämmer auf der Wiese neben seinem Häuschen eine Glocke um den Hals und war damit auch dann zu hören, wenn ausnahmsweise mal die anderen nicht gerade blökten, grunzten, meckerten oder sonst irgendwie Stojans und Fidos Nacht-, Morgen- oder Mittagsruhe störten.
„Aber wir beiden werden uns jetzt mal auf den neuesten Stand bringen, sprich uns auf den Weg nach Hause machen.“
Fido schien nicht mehr gebraucht zu werden, daher gab es keinen Grund mehr, den Aufbruch hinauszuzögern. „Und wenn nach mir gefragt wird, bitte ruf kurz durch, okay?“
Das hätte er sich auch sparen können, auf Tasso war Verlass und er dachte mit. Peter Stojan legte eine Handvoll nicht abgezählter Münzen auf den Tresen, wie er es meistens machte. Das Fachinger, oder was auch immer Fido da eingeschenkt bekam, und sein Bier würde damit ausreichend abgegolten sein. Tasso hatte die drei Störenfriede längst ohne viel Federlesens zur Tür hinauskomplimentiert. Stojan sah noch, wie sie den alten Golf vor dem Gasthaus bestiegen. Er schätzte die beiden Kerle auf Mitte zwanzig, ihren weiblichen Fan auf höchstens achtzehn Jahre. Immerhin schien sie einen Führerschein zu besitzen, jedenfalls schwang sie sich auf den Fahrersitz. Instinktiv lenkte er seinen Blick auf das Kennzeichen, SO, Kreis Soest, der fängt in fünfzig Kilometern an, schätzte Stojan. Wie Schulabbrecher hatten sie eigentlich nicht ausgesehen, fand er. Sondern wie ganz normale Bürger, keine Fratzen, kein dumpfer Gesichtsausdruck, mit großer Wahrscheinlichkeit stimm- und wahlberechtigt wie er selbst, und das fand er erst recht erschreckend. Doch sofort meldete sich seine innere Stimme: „Hey, Schulabbrecher sind auch wahlberechtigt, und das ist auch gut so!“ „Jaja, ist ja okay“, murmelte er halblaut und fasste Fidos Leine etwas kürzer, als er in den bereits dunklen Weg am Waldrand entlang abbog. Der Mond war am Horizont aufgetaucht. Günther schien sich nicht zu regen, jedenfalls konnte Stojan kein Glockengebimmel ausmachen, so angestrengt er auch lauschte. War seine Drohung schon bei Günther angekommen und das Schaf ausreichend eingeschüchtert? Dass er keine Dienstwaffe mehr besaß, musste es ja nicht unbedingt wissen.
Das Schaf nicht und auch sonst niemand.
Von irgendwoher rief ein Käuzchen. Aberglaube lag Stojan fern, das Ableben eines lieben Menschen fürchtete er deshalb nicht.
Warum war Jon nicht gekommen? Hatte er beim Bilderstechen an einem der Wikinger versehentlich ein Stück Haut übersehen? Und das ging vor? Bei einem der Ersatztorhüter vielleicht? Dafür hatte Stojan natürlich Verständnis.
Oder war ihm sonst etwas dazwischengekommen? So etwas machte ihm Sorge, nicht ein Käuzchen.
3
Sie war jetzt 43; der schräge Schnitt, den sie ihrer Frisur verpasst hatte, stand ihr gut, fand sie, sah aus wie gewollt, keck, flott, nicht wie hingezittert mit stumpfer Schere bei schlechtem Licht und nicht fahrig und trübe wie das Innenleben ihres Kopfes. Der Hals, ein paar Falten, auch nicht ganz gerade; der Pulli, etwas ausgeleiert, ein paar Pfund mehr auf den Rippen könnte er bequem beherbergen. Mehr von ihrem Körper zeigte ihr der Spiegel mit den fast blinden Ecken nicht. Der letzte Auftrag, mit dem sie wenigstens ein paar Wochen ganz gut über die Runden gekommen war, lag schon über ein Jahr zurück. Es fiel ihr zwar nicht schwer, sich einzuschränken: Möbel, Klamotten, Bücher sowieso, das konnte alles gebraucht sein, Lebensmittel vom Discounter, Auto und elektronischer Kram billig und eben so, dass es seinen Zweck erfüllte. Auch ihr Smartphone hatte keinen Kultstatus mehr, seitdem sie sich ihr letztes Edelgerät hatte klauen lassen. Es war besser so, sie hatte gerade alles gelöscht, altes Leben und altes Handy, ziemlich zugedröhnt von diesem Fläschchen. Das kleine No-Name-Handy tat' s auch, und mit solchen Dingen angeben brauchte sie auch nicht mehr. Schade, dass es kein kyrillisches Alphabet kannte. Aber ein bisschen Koks und Alkohol, um wenigstens zweimal die Woche etwas über dem Boden zu schweben, das brauchte sie. Und das gab's nicht umsonst, für sie nicht mehr. Die Schulden, die sich im Lauf der Zeit angehäuft hatten, wurden auch immer mehr und immer teurer. Sie war sich nicht zu schade für andere Arbeiten, aber das war alles so schrecklich mühsam. Das Modeversandhaus hatte ihr ziemlich deutlich gesagt, weitere Aufträge nur dann an sie vergeben zu können, wenn sie etwas an ihren Zähnen machen ließe. Dabei hätte man nur bei extremer Vergrößerung am Bildschirm sehen können, dass die oberen Schneidezähne etwas abbekommen hatten. Das blöde Modehaus hätte sich ja an den Zahnarztkosten beteiligen können, schließlich machten die Kohle ohne Ende mit ihren dämlichen Billigpullovern aus Viskose und schlechten Kunstfasern. Die sollte man erst mal unter die Lupe nehmen! Ihr lief jetzt noch ein Schauer über den Rücken, wenn sie daran dachte, wie unangenehm sich das auf der Haut anfühlte. Normalerweise wäre das schon ein Grund gewesen für finster verschlossene Lippen statt eines strahlenden, Zähne zeigenden Lächelns. Mittlerweile genügte allerdings schon halbwegs genaues Hinsehen, um zu merken, dass die Vergangenheit nicht spurlos an ihren Zähnen, ihrer Haut, ihren Haaren, ihrem ganzen Körper vorbeigerauscht war, das musste sie zugeben. Auch die einzig verbliebene Vierzig-Watt-Birne an ihrem Kosmetikspiegel reichte dafür. Hätte sie die anderen drei irgendwann durchgebrannten Birnen ersetzt, sie hätte auch den schmutzig-gelben Schimmer um das Blau in ihren Augen sehen können.
Es war gemein, je mehr zu flicken war, desto weniger konnte sie sich das leisten. „Das letzte Jahr hat dich ruiniert“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Das letzte Jahr war schlimmer als das vorletzte. Und das vorletzte war schlimmer als das davor. „Sorry, Onkel Igor, bin ein bisschen verrückt, verrutscht, abgerutscht, genau wie die Schere. Gut, dass ich mir nicht noch die Finger abgeschnitten habe!“ Die Kolleginnen von damals, was machten die? Mit gutem Grund gab es keine Kontakte mehr, alle verstreut auf der ganzen Welt. Die meisten ließen sich von irgendeinem Kerl aushalten, immer dieselbe Leier, irgendwo hatte sie es gehört, das wär ja das allerletzte für sie. Als Aushilfe im Café und ein bisschen nett sein zu den Leuten, stundenweise in einer Boutique und zeigen, dass man mal gut war, was gekonnt hatte, immer noch konnte. Das würde schon hinhauen, sie musste nur dranbleiben, etwas mehr Disziplin an den Tag legen. Dann war das mit Alf auch noch nicht vorbei, hatte er versprochen, sie erinnerte sich daran. Gut, dass sie wieder Tagebuch schrieb, wie früher, jetzt auf Deutsch, das tat ihr gut, das erleichterte sie. Sie hatte immer Angst, eine gute Idee zu vergessen. Davon hatte sie nämlich nicht so viele. Und so konnte sie die, die sie hatte, einfach ablegen, auf Wiedervorlage sozusagen, und all die Dinge, die immer so einen schlechten Geschmack verursachten, wenn man dran denkt, die konnte sie ja auch da ablegen, auf Niemehrwiedervorlage. Und wenn dann die Gedanken doch wiederkamen, nachts zum Beispiel, oder wenn das Telefon klingelte und sie nicht wusste, wessen Nummer das war, dann konnte sie sagen: „Schert euch zum Teufel, Gedanken, ich weiß nicht, worum es geht, fragt meine Memos.“ Sie war nicht mehr zuständig.
„Und dann wird das nächste Jahr wieder besser“, dachte sie, „ich durchschreite eine Sohle, ein Sohlental. Und dann wird die Funzel wieder aufgerüstet. Talsohle muss das heißen? Echt? Auch gut. Aber Funzel aufrüsten gefällt mir.“
Gut, dass sie nicht nur keinen Kerl, sondern auch kein Balg am Hals hatte, keinen Paul und keine Paula und wie die kleinen Nervenräuber alle hießen. Wieso war ihr Igor eingefallen? Hatte sie ihn Onkel genannt? Ach ja, wegen der Finger.
Aber sie hatte noch einen Piccolo, übriggeblieben, hinten im Küchenschrank. Ihre Hand prüfte die Temperatur. „Kälter muss der gar nicht sein“, dachte sie und zog das grüne Fläschchen hervor. „Der kommt gerade richtig.“ Ein Glas herauszuholen, lohnte sich nicht, nicht für den Schluck, den Abwasch könnte sie sich sparen, befand sie. Sie schraubte den kleinen Verschluss ab. Sie mochte dieses feine Klicken, wenn das Aluminium-Gewinde aufbrach, diesen kleinen Sieg, diese kleine Niederlage.
4
Samstag, 6.2.16
Kalt und grau hatte der nächste Tag begonnen. Dichter Nebel hing über den Fichten, geregnet hatte es auch etwas. Ein paar Schnee- und Eisflecken lagen noch auf dem Weg. Sie waren in der Nacht wieder gefährlich glatt geworden und flößten Stojan Respekt ein. Er achtete bei seinen Spaziergängen mit Fido zwar auf den Witterungsverhältnissen angepasstes Schuhwerk, allein schon, weil er immer mal mit einem plötzlichen Ausreißversuch des Hundes rechnen musste. Wenn also ein Reh meinte, den Weg kreuzen zu müssen, half nur schnelle Reaktion, festes Zupacken und eben Standsicherheit. Sonst hatte er keine Chance. Auch ohne Fidos Dazutun war er im sich langsam verabschiedenden Winter auf einsamem und unwegsamem Gelände öfter mal mit einem Fuß weggerutscht und hatte nur mit Glück einen Sturz vermeiden können. Gerade sein linkes Knie meldete sich in letzter Zeit öfter ungefragt mit unangenehmem Reiben und Ziehen und ließ ihn seine Strategie des konsequenten Ignorierens manchmal hinterfragen. Die verschiedensten Szenarien mit ihm selbst als hilfloser Hauptdarsteller wegen eines Wirbel- oder Beinbruchs war er schon durchgegangen, keines konnte ihm gefallen. Immerhin versuchte er seitdem daran zu denken, sein Handy mitzunehmen. Vorzugsweise aufgeladen. Und wen hätte er dann angerufen, vorausgesetzt, er wäre weder hilflose Person im Funkloch noch sonst körperlich oder geistig außerstande, ein paar Knöpfe zu drücken? Die Tochter? In Hamburg? Gut, die könnte den Notarzt bestellen, doch das hätte er dann auch selbst gekonnt. Seinen Bruder, fast genauso weit weg? Der ihm dann erst mal einen Vortrag gehalten hätte, er solle endlich mal etwas Sport treiben, nicht so viele gesättigte Fettsäuren zu sich nehmen, Alkohol und Gewicht reduzieren und ähnliche Dinge, die man im Notfall auch gerade brauchen konnte und gerne hörte und die noch nicht einmal gut gemeint waren. Nein, Andreas konnte ihm gestohlen bleiben, fast siebzig, aber immer noch der große Bruder, mischt immer noch in seiner alten Hausarztpraxis in der Nähe von Buxtehude mit, obwohl er längst einen Nachfolger hat. Kann einfach nicht loslassen, redet sich ein, er werde noch gebraucht. Sei unverzichtbar. Okay, so richtig losgelassen hatte der kleine Bruder Peter ja, strenggenommen, auch noch nicht. Und seinen Blutdruck könnte er mal wieder messen, der kleine Bruder, kann nicht schaden.
Dann der halbtaube frühpensionierte Hauptfeldwebel, der mit seiner immer seltsamer werdenden Schwester als einziger Nachbar weit und breit in dem heruntergekommenen Fachwerkhaus mit dem merkwürdigen Antennenwald auf dem Dach wohnte? Der ging sowieso nie ans Telefon und schien wie seine Schwester auch intellektuell und logistisch damit überfordert, galt es, irgendjemanden am Verrecken zu hindern. War sich Stojan jedenfalls ziemlich sicher, unbeschadet dessen anzunehmender militärischen Ausbildung. Außerdem hassten sie Fido und unterstellten ihm wiederholt Grenzverletzungen bei der Erledigung wichtiger Geschäfte. Angeblich machten sie jetzt in Seher und Heiler mit eigener Homepage, alles sehr merkwürdig. Dass die beiden ein inzestuöses Verhältnis pflegten, hatte Stojan aber unter böswilliges Geschwätz eingeordnet und sich jedwede Beteiligung daran konsequent verkniffen. Größeren Wahrheitsgehalt wollte er dann schon anderen Gerüchten zubilligen, etwa dass Madame Goro, wie des Unteroffiziers Schwester jetzt zumindest auf dem Holzpfeil an der Auffahrt zu ihrem Schuppen hieß, die vor einem halben Jahr im Dorf vermissten und erst auf ihren Tipp hin wiedergefundenen Kühe selbst versteckt hatte. Das interessierte Stojan ähnlich wenig wie die Homepage.
Von seinen Schachfreunden fiel ihm auf Anhieb auch keiner mit hervorragender Qualifikation in Berg- und Katastrophenrettung ein. Sonja? Klar, die wüsste natürlich, was zu tun ist. Oder besser noch Jankowski, der packte zu, auch wenn er nicht immer wusste, was er tat und vor allem, warum. Und für jede Lebenslage noch einen mal mehr mal weniger passenden Zweizeiler parat hatte, einen kleinen Kalenderspruch, eine Bauernregel; doch, es gab Leute, die mochten so etwas. Ob er sich selbst dazu zählen sollte, zumal außer Gefecht in einer ziemlich extremen Situation, naja, da kamen ihm Zweifel. Aber Jankowskis direkte Art hatte er immer geschätzt und ihn um manch einen schrägen Kommentar oder eine schlagfertige Antwort beneidet. Auch wenn der manchmal geradezu auf Stichwortgeber wartete. „Wo hast du denn den blauen Fleck her?“, durfte man Jankowski beispielsweise nicht fragen, es sei denn, man hatte nichts zu tun und Lust auf Geschichten.
„Sei froh, dass ich überhaupt noch lebe!", so könnte dann der Einstieg in die folgende Story gehen, oder besser „Seid froh!“, und deutlich lauter als für nur ein Paar Ohren notwendig, so dass alle anderen im Raum und bei offenen Türen auch nebenan zum Zuhören oder Lauschen eingeladen waren. Und das musste man ihm lassen, erzählen konnte er. Banale Erlebnisse oder Nachrichten wurden gewürzt, vermengt, ausgerollt und breitgewalzt, bis große Dramen entstanden, die dann auch noch spannend und witzig vorgetragen wurden. Dass der Wahrheitsgehalt dieser Storys nicht immer jeder Überprüfung standhalten konnte, tat ihnen keinen Abbruch. Dafür und dass so jemand den oft grauen und ernüchternden Arbeitsalltag mit etwas Farbe und Ablenkung ausstattete, wurde er in der Abteilung nahezu geliebt. „Einer muss ja zuständig sein für Jubel, Trubel, Heiserkeit“, hatte Sonja gesagt, ohne Neid auf diese Rolle. Das klang dann eher froh, dass sie sich nicht auch noch darum kümmern musste.
Zwar gab es auch Kollegen, die ihn für etwas einfältig hielten, wenn er manchmal noch etwas stutzte, während bei anderen offensichtlich der Groschen schon gefallen war, aber das konnte auch gespielt sein. Gelegentlich war er Stojan mit seiner fast fanatischen Schnäppchenjagd auf den Geist gegangen. Auf jeden Fall war er glänzend vernetzt, allein schon durch seine regen Vereinstätigkeiten. Gegenüber Jankowskis potenziellen Informationsquellen stand Stojan mit den paar Leuten, die ihm einen Gefallen schuldeten, da wie ein Waisenknabe. Trotzdem: Zusammen mit Sonja waren sie schon ein gutes Team gewesen. Dass auf der Rückseite der geschenkten Visitenkarten groß Kommissar aRuB stand und klein darunter: außer Rand und Band, war natürlich auch Jankowskis Idee gewesen. Stojan wollte auf jeden Fall mal seine Mobilnummer einspeisen. Wie hieß er bloß noch mit Vornamen? Richtig, Marek. Für ihn war er immer nur Jankowski gewesen und das war auch überall so akzeptiert worden. Von anderen hatte er es auch nicht anders gehört.
Tasso fiel ihm noch ein, ja, Tasso würde ihm helfen, der war patent, praktisch veranlagt, lange schon das, was Stojan als Freund empfand. „Hey, weißt du, dass wir die gesündeste Küche in der Welt betreiben? Komm öfter zum Essen und du brauchst keinen Arzt mehr! Und keinen großen Bruder!“, hatte er ihm neulich erst zusammen mit einem Klaps auf die Rippen mit auf den Weg gegeben. Ja, gut, dass Tasso da war, sehr gut. Da und nah.
Und halt, Marek hieß er gar nicht, Jankowski hieß Marik, wusste er doch, irgendwie ungewöhnlicher Name. Jetzt basta mit den Schreckensszenarien.
Wenn er noch auf die Idee verfallen wäre, den Kontaktspeicher seines Smartphones zu befragen, um noch weitere Kandidaten für die Rettung aus seiner imaginären Notlage ausfindig zu machen, hätte er sich rasch die Sinnlosigkeit solcher Gedankenspiele eingestehen müssen, auch, weil sich der große Teil der restlichen Nummern wegen einer im Laufe der Zeit immer obskurer gewordenen Verschlüsselung mit Kürzeln oder Pseudonymen nicht mehr richtig zuordnen lassen würde. Das war schlicht dem Status ihrer früheren Besitzer geschuldet, ehemalige V-Männer und Informanten aus den verschiedensten Milieus, die sich nach aller Erfahrung nicht lange unter ein und derselben Nummer erreichen ließen. Und die Milieus waren Rotlicht, Mafia, Drogen, Waffen. Auch Sozialarbeit kam vor, aber sicher nicht Feuerwehr, Sanitäter, Ambulanz. Mangels Pflege, dafür hatte Stojan nie Zeit aufgebracht, war es um die Aktualität der Daten sowieso nicht zum Besten bestellt. Und die kleinen Kärtchen, die so enorm viele Dinge einfach schluckten, keine Namen und keine Vornamen vergaßen, die fragten nicht erst, die übernahmen einfach vom alten aufs neue Handy. Uwe stand auch noch drin, hätte er festgestellt, unter U, einer der wenigen, der nur mit Vornamen dastand. Und Jens, klar, den hatte er auch noch nicht gelöscht, warum auch, Stojans Telefonkontakte würden niemals auch kleinster Karten Speicherkapazität in Verlegenheit bringen. Wie lange war das jetzt her mit Jens? Auf dessen Beerdigung hatte Stojan seine letzte Zigarette geraucht, noch am offenen Grab, zum Missfallen der übrigen Trauergemeinde. Nur Erika, mit der er sich so oft gestritten hatte wegen ihrer kleinen und mittleren Gemeinheiten, die sie sich dem schon Schwerkranken gegenüber nicht verkneifen konnte, hatte die Geste verstanden. Die nächste Festnetznummer hatte auch nur noch nostalgisch-historischen Wert: „Birgit und Peter Stojan sind im Moment nicht zuhause. Wer will, kann eine Nachricht hinterlassen.“ Weder damals noch heute hätte er das gewollt. Selbst wenn sie noch funktioniert hätte, selbst wenn Birgit inzwischen ihren Selbstfindungsprozess beendet hätte und zuhause angelangt wäre, auch dann nicht. Weder beim Selbstfinden noch beim zuhause Anlangen wollte er noch einmal gestört haben.
Vordergründig wäre das ganze Unterfangen Lebensrettung via Handy aber sowieso zum Scheitern verurteilt gewesen, hätte er doch feststellen müssen, dass sich das entsprechende Gerät weder in der rechten noch in der linken Hosentasche, nicht in seiner Weste, nicht in seinem Anorak mit den vielen Taschen und auch sonst nirgendwo in der Nähe befand, sondern vielleicht im Auto oder zuhause auf dem Nachttisch oder sonst wo. Und anrufen, wen auch immer, also ausfiel. Mangels Hardware.
„Hey, Fido, solange ich dich habe, kann mir doch nichts passieren, du passt doch auf mich auf. Auf dich kann ich mich verlassen, da brauch' ich keine Menschen mehr, oder?“ Gerade in diesem Moment hatte Fido allerdings keine Zeit, weil er intensiv und mit dem halben Kopf in einer angetauten Schlammpfütze Umweltforschung betreiben musste.
Dass sein Handy zuhause auf Fidos Schlafdecke lag, stellte Stojan erst nachmittags fest, dass der Akku leer war und das Ladegerät mal wieder unterwegs, auch. Und da er gerade dabei war, Ordnung zu schaffen, fiel ihm noch ein, dass Marik nicht Marik hieß, sondern Maris, jetzt hatte er ´s. Ungewöhnlicher Name, wusste er doch. War ja noch prima, das Gedächtnis. Geradezu phänomenal, wenn man die anderen so hörte! Zur Belohnung verordnete er sich ein bisschen Sofa.
Er hatte in der letzten Nacht wenig und schlecht geschlafen, zunächst sich noch ein paar Notizen machen wollen, wie er die Gasthausszene in seinem Kinderroman, der bisher nur aus einer Sammlung loser Ideenfäden bestand, unterbringen könnte, ohne den erhobenen Zeigefinger allzu penetrant zu zeigen. Aber dann drehten sich seine Gedanken immer wieder um den Tattoostecher. Es ärgerte ihn, dass er ihn nicht einfach irgendwo abholen lassen konnte wie früher alle die, die nicht freiwillig erschienen, Termine vergaßen, keine Lust, keine Zeit oder ein schlechtes Gewissen hatten oder möglicherweise Dreck am Stecken, den sie nicht gerne zeigen wollten.
5
Sonntag, 7.2.16
Irene Altmann war tot in einer Behindertentoilette im Regionalzug von Kassel nach Dortmund aufgefunden worden.
Ihr Tattoo war ihm die ganze Zeit einigermaßen präsent gewesen. Nicht dass er es hätte nachzeichnen können, da fehlte ihm das fotografische Gedächtnis ebenso wie das handwerkliche Geschick, aber dem Kriminalisten hatte es sich als besonderes Kennzeichen eingeprägt. Über Herkunft und, falls vorhanden, Bedeutung hatte er immer wieder mal gerätselt, in letzter Zeit wieder häufiger, zumal in den Medien junge Menschen mit entsprechendem Hautschmuck ja mittlerweile die Regel und nicht die Ausnahme waren. Stojan hatte langsam begonnen, sich für Tattoos zu interessieren. Eine fremde Welt, aber immerhin hatte er gewusst, dass Jankowski jemanden kannte, der jemanden kannte, der ein ganz Großer war in dieser Branche. Und er kannte Jankowski. Der hatte ihn ganz schön aufgebaut, regelrecht geschwärmt, wie gut er war, sympathisch, großartige Ausstrahlung und überhaupt. Das, und womöglich wie der Kerl aussah, wahrscheinlich komplett tätowiert von oben bis unten und von vorne bis hinten, war nicht das, was ihn für Stojan interessant machte. Er wollte den Experten, er wollte ihm trauen können, hoffte auf seinen Verstand und sein Gedächtnis. Das war genug, das war auch eigentlich schon ziemlich viel, fand er. Erfahrung macht eben bescheiden.
Aber, er war nicht gekommen, der Experte. Stojan wollte ihm nur das Tattoo zeigen, mehr wollte er nicht. Fragen, ob es ein besonderes sei, ob das jeder kann in der Branche, ob er Spezialisten kennt für so etwas, ob ihm das Tattoo etwas erzählen kann. Das Motiv gefiel ihm vom ästhetischen Standpunkt, er hatte auch das Gefühl, dass es von besonderer Qualität war, vielleicht auch nur, weil es das einzige an dem toten Körper war.
Da konnte tatsächlich etwas dran sein. Irgendeine Glocke klingelte Alarm. Kopf oder Bauch, wo genau wusste er noch nicht. Hoffentlich konnte er Sonja noch einmal motivieren, ein bisschen herumzutelefonieren. Zumindest gab es Schlampigkeiten, und er hasste Schlampigkeiten, weil Schlampigkeiten im schlimmsten Fall Leben kosten konnten. „Du dramatisiert mal wieder", nein, das war nicht Fido, der schlief immer noch, das war seine innere Stimme. „Nein!" Das war nicht seine innere Stimme, das war seine äußere, laute. „Stimmt doch, Boxer, oder?"
Fido hatte sich aufgerichtet, das hieß: „Du hast Recht, Alter, aber jetzt sollten wir mal ein Spielchen machen, gucken, wer von uns beiden stärker ist zum Beispiel, oder wenigstens mal einen längeren Spaziergang machen, und zwar sofort!" Eigentlich wollte Stojan seine Recherchen noch auf den Hochsauerlandkreis ausweiten, aber hier sah er weniger Potenzial für neue Hinweise und Denkanstubser und außerdem war er jetzt zu sehr angestachelt für einen objektiven und klaren Blick. Er schloss sämtliche Fenster am PC, meldete die nicht anwesende Sonja ab, stand auf und streckte seine Glieder von sich. Das hieß: "Du hast Recht, Boxer, los, raus hier!". Sonja würde ihm bestimmt nochmal eine Gelegenheit verschaffen, ein bisschen unter fremder Flagge herumzuschnüffeln. Er hatte schon ein paar Mal in dem Ordner geblättert, aber jetzt war er entschlossen, Irene Altmans Mörder zu finden.
6
Dienstag, 9.2.16
Er hatte seinen großen Schreibtisch so vor das Fenster geschoben, dass er von seinem bequemen Sessel aus durch eine kleine Kopfbewegung nach links den Blick vom Computermonitor aufs Rothaargebirge lenken konnte. Für seine Gedanken und seine Fantasie hieß das: Los, schweift umher, oder: Erinnert euch, was fällt euch ein, was fällt euch auf? Oder umgekehrt nach rechts: Wo steht das nochmal? Ein Grund, die Maus wieder in die Hand zu nehmen, hin- und herzuschieben, auf die Tasten zu drücken. Der Blick nach unten richtete sich dann auf den aufgeschlagenen Ordner. Seitdem er und seine Gleitsichtbrille nach schwieriger Erprobungsphase sich an ihre jeweiligen Eigenheiten gewöhnt hatten, funktionierte das erstaunlich gut. Diese drei Akten, die Wundkrater in seinem Leben, seinem Berufsleben allemal: Er wollte, dass sie sich endlich schlossen, sich beerdigen und ihn in Frieden ließen. Drei Kriminalfälle, staatsanwaltlich abgeschlossen, ohne dass eine Täterermittlung gelungen war, drei in vierzehn Jahren, in denen er die Mordkommission geleitet hatte. Keine schlechte Bilanz, aber eben auch keine perfekte. Eigentlich gehörten die Ordner ins Polizeiarchiv der Stadt Schmallenberg, aber da vermisste sie im Moment niemand, wie ihm Sonja versichert hatte. Sie hatte sie ihm schon vor Weihnachten besorgt und seitdem war kaum mal eine Woche vergangen, in der er nicht wenigstens einmal in einer der schweren Kladden irgendetwas nachgeschlagen oder auch nur ziellos geblättert hatte. Und jetzt hatte er etwas entdeckt, vielleicht ein Puzzleteilchen, eine Schlüsselkarte, ein Heilpulver für alte Wunden. Jedenfalls für die Wunde Altmann.
Die Ermittlungsakte S 6744013, Altmann, Irene, wurde am 27. Februar 2014 geschlossen. Für Jankowski war es Weiberfastnacht oder Wiewerfastelovend; an Karneval pflegte er gerne seine rheinischen Wurzeln, die die Kollegen ihm aber nicht so ohne weiteres abnehmen wollten. Sie vermuteten, dass er sich lediglich einen Anlass zunutze machte, um seine chronische Feierlaune zu bedienen. Jedenfalls ein Tag, an dem alles egal und erlaubt war. „Es gibt sonst kein Wort in keiner Sprache in keinem Land, in dem wie und wer steckt, Ende und Liebe und schnell und immer“! Damit konnte er zwar nur noch diejenigen verblüffen, die entweder neu in seiner Umgebung waren oder bereits an fortgeschrittener Demenz litten. Die anderen unterstellten ihm selbst gerne dasselbe, packte er doch trotz der anfangs noch wohlgemeinten Hinweise auf den falschen Buchstaben immer noch „ever“ mit in das Zauberwort, das längst nicht alle im Sauerland kennen, geschweige denn richtig aussprechen können.