Story of the Fallen - Meira Rowan - E-Book
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Story of the Fallen E-Book

Meira Rowan

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Beschreibung

Seit Azrael und Abaddon zu Erzengeln aufgestiegen sind, ist der Himmel in großem Aufruhr. Die Himmlischen wollen die beiden von der Erde vertreiben, doch dank Azraels uralter Macht schaffen sie sich ein Heim, in dem sie und ihre Scharen sicher sind. Währenddessen wirft Akemi einen Blick auf den disziplinierten Yahriel, der schon seit Äonen als Azraels General dient. Noch nie zuvor hat er eine Vampirin gesehen, doch schon von Anfang an lässt er sich von ihrem Antlitz verzaubern.

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Seitenzahl: 678

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Story of the Fallen-Reihe:

Unheiliges Blut

Bund der Finsternis

Tanz der Gefallenen

Im Schutz der Schwingen

Finsternis und Goldfeuer

Fluch der Unsterblichkeit

Bis zu den Sternen

»Der Tod und die Zerstörung läuten eine neue Weltordnung ein.«

Eilmeldung unter den Himmlischen

STAMMBAUM DER SHIKI-FAMILIE

Inhaltsverzeichnis

Story of the Fallen-Reihe

STAMMBAUM DER SHIKI-FAMILIE

PROLOG

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHSZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

ACHTUNDZWANZIG

NEUNUNDZWANZIG

DREIßIG

EINUNDDREIßIG

ZWEIUNDDREIßIG

DREIUNDDREIßIG

VIERUNDDREIßIG

FÜNFUNDDREIßIG

SECHSUNDDREIßIG

SIEBENUNDDREIßIG

ACHTUNDDREIßIG

NEUNUNDDREIßIG

VIERZIG

EPILOG

CHARAKTERE IM ÜBERBLICK

PROLOG

Die Zeit des Friedens war vorüber. Nur ein paar Jahrzehnte hatte sie angedauert und die meisten Engel waren froh über diese Verschnaufpause gewesen, aber nun waren zwei Erzengel aneinandergeraten und schickten ihre himmlischen Heere in den Krieg, um ihren Standpunkt zu verdeutlichen.

Abaddon, der Engel der Zerstörung, diente dem Erzengel Gabriel schon, so lange er denken konnte, schon als Jüngling hatte er ihm die Treue geschworen und war noch am gleichen Tag als Rekrut in seinem Heer aufgenommen worden.

Das war lange her, ein Jüngling war er schon längst nicht mehr und den Titel des Rekruten hatte er auch schon lange abgelegt. Er war nun ein Oberst mit der besonderen Aufgabe, sich um das Training und die Ausbildung zu kümmern. Er mochte den Umgang mit den Jüngeren, konnte ihnen das beibringen, was er in seiner Existenz bereits erlernt hatte, aber die Ausbildung war nicht das, wofür sein Herz wahrlich schlug.

Es schlug einzig und allein für den Krieg, für die Zerstörung und für den unausweichlichen Tod, den er seinen Feinden brachte.

Die Zeit des Friedens war für ihn äußerst ereignislos verlaufen. Außer bei den Aufgaben, die Ariel, sein Mentor und General, ihm aufgetragen hatte, und der Tatsache, dass er ab und zu von den Menschen auf die Erde gerufen wurde, hatte er sich doch ziemlich gelangweilt.

Aber nun herrschte Krieg.

Und Abaddon liebte nichts mehr, als mit gezielten Schüssen die Herzen seiner Gegner mit Pfeilen zu durchbohren, oder sie mit seiner Klinge in Stücke zu reißen.

An diesem wunderschönen Tag im Himmel – jeder Tag war wunderschön, die Sonne ging niemals unter – trafen die Fronten der beiden Heere direkt aufeinander. Rekhodiah war der befehlshabende General, unter dessen Befehl Abaddon agierte und seine Truppe organisierte. Der General war zwar noch nicht so lange im Dienst wie Ariel, aber er hatte sich das Vertrauen seiner Kameraden – und das ihres Erzengels – verdient und somit hatte er den Posten schon so lange inne, dass Abaddon seinen Vorgänger schon gar nicht mehr kennengelernt hatte.

Rekhodiah war auf den Nahkampf spezialisiert, weswegen Abaddon eigentlich nur recht wenig mit ihm zu tun hatte, da er selbst ein Bogenschütze war, der Beste in Gabriels Heer. Nein, Bescheidenheit hatte er nie gelernt. Dennoch hatten sich die beiden Krieger immer gut verstanden und nun war es das erste Mal, dass sie gemeinsam Rücken an Rücken zusammen kämpften.

Michaels Heer galt als das größte und stärkste im gesamten Himmelreich. Dem Ersten konnte Abaddon zustimmen, dem Zweiten nicht so ganz, was sie heute unter Beweis stellen würden.

Es gab nicht viel, was einen Engel wahrhaftig schaden oder gar töten könnte. Die Engel nutzten spezielle Waffen aus einem Material, was Silber wohl am nächsten kam, nur dieses Metall konnte einen Engel verletzen und nur ein abgeschlagener Kopf war ihr endgültiges Todesurteil. Deswegen hatte Abaddon neben seinem Bogen immer ein Schwert dabei, auch wenn es eindeutig nicht seine liebste Waffe war. Wenn er in den Nahkampf wechselte, dann lieber ohne lästigen Ballast, nur mit seinem Körper als Waffe, aber das Leben war nun mal kein Wunschkonzert.

Die Schlacht zog sich weiter in die Länge, als sie zunächst angenommen hatten, Zeit spielte für sie nur eine untergeordnete Rolle, trotzdem wurden sie irgendwann müde und mussten sich ausruhen. Diesen Punkt hatte Abaddon gerade erreicht, als sich die Atmosphäre auf dem Schlachtfeld plötzlich veränderte.

Michaels Leute waren allesamt sehr stark, so viel musste er ihnen zugestehen, aber Rekhodiah war nicht umsonst General geworden. Die meisten hatten ihm nichts entgegenzusetzen, wenn er wirklich ernst machte. Deswegen zeigte sich nun jemand auf dem Schlachtfeld, den Abaddon bis jetzt nur aus der Ferne gesehen hatte und dabei niemals aktiv in einem Krieg.

Metatron.

Von dem es hieß, er sei der mächtigste Krieger, der kein Erzengel war, und auch unter den Seraphim sollte er der Stärkste sein. Abaddon schenkte Gerüchten grundsätzlich keinen Glauben, aber als er den Mann sah, der nur aus Muskeln zu bestehen schien, mit seinen geschorenen dunkelblonden Haaren und dem todbringenden Ausdruck in den blauen Augen, war Abaddon kurz davor, die Geschichten doch zu glauben.

Seine Flügel waren fast so hell wie Michaels, weiß, gleißend, ohne jeden Makel, und die Klinge seines Schwertes erglühte in dem gleichen Licht. Er trug die schneeweiße Uniform wie alle Krieger Michaels, doch seine war noch ein bisschen anders geschnitten, besonderer, extravaganter. Kaum war er aufgetaucht, zogen sich die Krieger – beider Seiten – zurück. Auch Abaddon war nicht so dumm und stellte sich ihm in den Weg. Er war vielleicht stolz, aber nicht lebensmüde. Metatron war mehr als doppelt so alt wie er und hatte so viele Kriege geschlagen, dass er sicher das Zählen längst aufgegeben hatte. Gegen so einen hätte er keine Chance.

Rekhodiah hingegen schon.

Zumindest war sein Blick so eisern wie der seines Gegners, als er in die Mitte des Ringes trat, den die Krieger ungewollt erschaffen hatten. Die Generäle wechselten nicht ein Wort miteinander, stattdessen erhoben sie ihre Waffen und gingen aufeinander los. Abaddon, so wie hunderte andere auch, schaute dem Kampf gebannt zu, schaute zu, wie zwei der gefährlichsten Wesen des Himmels direkt aufeinandertrafen und ohne Zurückhaltung gegeneinander kämpften.

Schnell wurde klar, wer die Oberhand hatte.

Der Seraph. Es war nicht überraschend, schließlich hatte er seinen Ruf nicht ohne Grund erlangt, doch was die Szenerie störte, war die Tatsache, dass er nicht aufhörte, als Rekhodiah eindeutig den Rückzug antreten wollte.

Es gab kein Gesetz, das von ihnen verlangte, die Kapitulation des anderen anzuerkennen, es war eine Sache der Ehre und des Stolzes.

Doch Metatron schien von diesem Ehrenkodex noch nie etwas gehört zu haben, so erbarmungslos schlug er weiter auf den bereits heftig blutenden Engel ein. Abaddons Finger zuckten, er wollte eingreifen, wollte seinem General zur Hilfe eilen, aber so wie alle anderen Krieger auch traute er sich nicht, auch nur einen Schritt vorzutreten.

Todesangst?

Nein, die Krieger waren dazu ausgebildet, bis zum blutigen Ende zu kämpfen.

Es war der Stolz. Rekhodiahs Stolz, den niemand von ihnen verletzen wollte, indem sie eingriffen und ihn so als schwach dastehen ließen.

Irgendwann verließen ihn die Kräfte, und Abaddon konnte nur noch den Blick abwenden, als Metatron das Schwert erhob und ihm den Kopf abschlug.

Der Krieg war vorbei und mit ihm das Leben eines sehr alten Engels, der wegen der Ignoranz zweier Erzengel in diesem sinnlosen Kampf gestorben war.

EINS

Azrael hatte geschlagene zehn Minuten mitangesehen, wie Abaddon, ihr Gefährte, sich in einem Albtraum wand. Nun beschied sie, dass es genug war, dass er genug gelitten hatte, denn sein Schmerz war auch ihr Schmerz, und dieser Schmerz zerriss ihr gerade das Herz.

»Liebster«, sprach sie, während sie ihn an den kräftigen Schultern packte, um ihn wachzurütteln. Sein schönes japanisches Gesicht war von Leid geplagt, die blonden Locken glänzten von Schweiß, und als er endlich die Augen aufschlug, war kein einziger Lichtpunkt in ihnen zu erkennen.

Normalerweise reflektierten seine Augen das Licht in vielen kleinen Splittern, das Blau war so tief wie ein Bergsee und erstrahlte wie der teuerste Diamant. Aber nun war nichts mehr von dieser Schönheit zu erkennen, da war nur noch Leid, nur noch Schmerz. Und Hass.

»Liebster«, sagte sie noch einmal, als er sich zwar aufgesetzt, aber immer noch kein Wort gesagt hatte. Er fuhr sich mit der Hand durch die Lockenpracht, die danach nur noch wilder von seinem Kopf abstand. Azrael liebte diese Locken und hätte ihre Finger am liebsten in ihnen vergraben, aber im Moment wusste sie nicht, ob ihr Liebster sie überhaupt wahrnahm. Zu sehr war er in seiner Vergangenheit gefangen.

In dem Teil seiner Vergangenheit, über die er bislang nicht mit ihr sprechen wollte.

»Ich habe nur schlecht geträumt«, erhob er nun endlich die Stimme, aber sie klang heiser und gebrochen, nichts wies mehr auf den stolzen Engel hin, der vor wenigen Monaten zum Erzengel aufgestiegen war. Als Allererster.

»Ich weiß«, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Sofort legte er seinen Arm um sie, zog sie an sich heran und küsste sie auf die Stirn. Sie selbst hatte auch nicht gut geschlafen, aber für sie war das normal. Für Abaddon nicht.

»Ich habe dich geweckt, tut mir leid.«

»Rede mit mir darüber«, verlangte sie von ihm, so wie er es auch stets von ihr verlangte, wenn sie kurz davorstand, an ihrer Wut zu ersticken. »Abaddon.« Sie glitt auf seinen Schoß, umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und zwang ihm ihren Blick auf.

Er zog eine Grimasse. »Hast du es nicht gesehen?«, blaffte er, aber sie wusste, dass diese Gefühle nicht ihr galten, sondern dem, was er in seinem Traum gesehen hatte.

»Ich war nicht in deinem Kopf«, erklärte sie, hielt ihre Besorgnis zurück, weil sie jetzt für sie beide stark sein musste. »Nur deinen Kummer habe ich gespürt.«

»Meinen Kummer«, wiederholte er ironisch, verzog die Lippen zu einem gequälten Lächeln. »Kummer beschreibt es nicht einmal ansatzweise, was ich gerade empfinde.«

»Dann erkläre es mir«, forderte sie, würde nicht nachgeben, nicht bei ihm. Viele Jahre lang war sie blind durchs Leben gegangen, hatte die Augen vor allem verschlossen, was sie selbst nicht unmittelbar betraf. Aber die Zeiten waren vorbei, Abaddon würde nicht dichtmachen. Nicht vor ihr.

»Das würdest du nicht verstehen.«

»Ach nein? Und warum nicht?«

»Weil du nicht so bist wie ich. Du bist keine Kriegerin!« Zischend atmete er die Luft aus, als er sich seines Ausbruchs bewusst wurde.

»Ich verstehe«, brummte sie und stand auf.

»Azrael, warte.« Eine Hand an ihrem Ärmel, die sie jedoch kommentarlos abschüttelte. »So habe ich das nicht gemeint.«

»Doch, hast du«, zischte sie, sammelte ihre Kleidung zusammen, die er ihr gestern Stück für Stück ausgezogen hatte, und verschwand im Bad. Sie hörte ihn knurren, widerstand dem Drang, zurück zu knurren, und schloss die Tür hinter sich ab.

Seit geraumer Zeit lebten sie nun in einem Haus, das in dem alten Dorf stand, in dem die Gefallenen sich temporär niedergelassen hatten. Ein Teil ihrer Schar wohnte zurzeit in Osaki in einem Hotel, das Abaddon gekauft hatte, die Gefallenen, die nun ihm unterstellt waren, mochten das Stadtleben allerdings nicht und waren in den Bergen geblieben.

Ihre Organisation war immer noch chaotisch, Ophaniel und Aristeia hatten sich um alles gekümmert, während Abaddon und Azrael mit ihrem Aufstieg beschäftigt waren, aber nun mussten sie sich über eine dauerhafte Lösung Gedanken machen. Das würden sie auch tun, wenn nicht ständig etwas dazwischenkommen würde. Und in letzter Zeit wurden Abaddons Albträume immer schlimmer, Azrael wusste langsam nicht mehr, wie sie noch mit ihm umgehen sollte. Egal, was sie sagte, es war verkehrt.

Nach einer sehr ausgiebigen Dusche kam sie zurück ins Schlafzimmer und fand einen Abaddon vor, der sich die letzte halbe Stunde über keinen Millimeter bewegt hatte. Sie beachtete ihn nicht weiter, warf die Schmutzwäsche in einen Korb und machte sich daran, die Kletten aus ihrem langen Haar zu kämmen. Meistens übernahm Abaddon diese Aufgabe, aber sie war auch sehr wohl in der Lage, sich selbst um ihre Körperpflege zu kümmern. Oft hatte sie einfach nur keine Lust dazu.

»Lass mich das machen«, brummte ihr Liebster, während sie mit einem Knoten kämpfte, der direkt zwischen ihren Schulterblättern war.

Eine sehr unpraktische Stelle, dennoch knurrte sie: »Ich kann das selbst.«

Er ignorierte sie und nahm ihr die Bürste aus der Hand, bevor sie es noch schlimmer machen konnte. Sie gab nach, aber nur, weil sie nicht den ganzen Tag mit ihren Haaren beschäftigt sein wollte. Ihre Haare waren unfassbar lang, fast bis zum Fußboden, dementsprechend aufwendig war die Pflege, die Abaddon stets sehr ernst nahm.

»Geh duschen«, murrte sie, nachdem er fertig war. »Deine Verabredung mit Aristeia ist in zwanzig Minuten.«

»Seit wann kennst du meinen Terminplan so gut?«

»Seit du angefangen hast, sie ständig zu vergessen.« Was ihm sonst nie passiert war. Er war die Organisation in Person. »Ich gehe jetzt frühstücken.«

Bevor er etwas erwidern konnte, war sie schon nach draußen geschlüpft. Die Sonne war gerade erst untergegangen, demnach war die Luft noch angenehm warm. Es war Hochsommer in den japanischen Bergen, ihr Aufstieg war nun etwa zwei Monate her. Zwei Monate, in denen ihre Brüder verdächtig ruhig gewesen waren.

Vier von ihnen lebten im Himmel, Michael, Gabriel, Raphael und Uriel, und einer, ihr ältester Bruder, herrschte über die Unterwelt. Letzterer war für seine Verhältnisse extrem ruhig gewesen, hatte sie nur ein oder zwei Mal im Traum besucht und versuchte, sie zu sich zu locken. Sie würde ihm in der Tat einen Besuch abstatten, aber nicht wegen ihm, sondern wegen der Engel, die nach ihr riefen.

Sie waren im Moment der Hauptgrund, warum sie so schlecht schlief. Die Engel, die ihr einst unterstellt gewesen waren, sich beim Höllensturz allerdings Lucifer angeschlossen hatten, riefen seit ihrem Aufstieg ununterbrochen nach ihr. Nicht einmal Lucifer konnte sie beruhigen, so sehr verlangten sie nach ihr, nach ihrer Herrin, nach ihrem wahren Erzengel.

Azrael hatte während der Rebellion im Himmel, genauso wie ihre vier anderen Brüder auch, sehr viele Verluste in den eigenen Reihen erlitten. Aber sie war denen, die gegangen waren, nicht böse gewesen. Den meisten zumindest nicht. Sie waren unsicher gewesen, hatten sich eine bessere Zukunft erhofft und Azrael würde niemals irgendwen zwingen, ihr zu dienen, wenn er es nicht wollte. Seitdem hatte sie nur noch wenig von ihren früheren Engeln gehört, aber nun … verlangten sie ganz eindeutig nach ihr.

Azrael ging ins alte Rathaus, das nun als Verwaltung diente, aber auch über einen großen Saal verfügte, den sie nun als Speisesaal nutzten. Engel brauchten nur ein sehr geringes Maß an Nahrung, hauptsächlich speisten sie sich aus ihrer eigenen göttlichen Energie, die ihnen innewohnte, aber das gemeinsame Essen galt nicht nur der Energieaufnahme, sondern auch der Stärkung von Kameradschaften und – bei Engeln eher selten, aber nicht unmöglich – Freundschaften.

Sobald sie den Saal betreten hatte, standen die Engel auf und verbeugten sich. Nur etwa zehn Gefallene waren Abaddon damals bei ihrer Rebellion gegen Lucifer gefolgt, aber nun waren schon viele weitere zu ihnen gestoßen. Manche hatten ihm damals schon in seiner Legion gedient, deswegen kannte Azrael viele Gesichter, wenn auch nicht die Namen dazu. Namen waren noch nie ihre Stärke gewesen.

»Setzt euch«, grummelte sie, weil sie es hasste, im Mittelpunkt zu stehen. Deswegen hatte sie die Zeit in ihrem Schloss so genossen, ihre Treusten behandelten sie zwar auch mit Respekt – sie war schließlich ein Erzengel –, aber sie waren nicht so fürchterlich steif und starrten sie nicht unentwegt an.

Mit leisem Rascheln setzten sich die Krieger wieder. Ja, es waren wirklich ausnahmslos Krieger, die sich Abaddon angeschlossen hatten. Sie konnte schon ungefähr erahnen, wie seine Schar später strukturiert sein würde. Er galt schließlich nicht umsonst als der Kriegsengel schlechthin.

Sie konnte die Blicke immer noch spüren, ging jedoch, ohne sie weiter zu beachten, zu dem Büfett und schnappte sich ein Croissant. Nicht, dass sie großartigen Hunger verspürt hätte, das Problem war lediglich, dass es ein paar hinterlistige Füchse unter ihnen gab, die Seraphiel ganz genau über ihr Essverhalten unterrichteten. Sera war die mütterlichste Person, die Azrael je kennengelernt hatte. Niemand, der noch ganz bei Sinnen war, würde sich ihrem, zugegeben, sanften Zorn ausliefern. Sie war auf ihre ganz eigene Art einfach nur zum Fürchten.

Also drehte sie sich nun um, präsentierte ihre Beute hoheitsvoll und biss hinein. Nun könnte ihr niemand nachsagen, sie würde nicht auf sich achten.

»Azrael.« Eine Frau, die Einzige, die sich eben nicht von ihrem Platz erhoben hatte, stand nun auf und neigte den Kopf zur Begrüßung.

Aristeia war ein Leviathan, Abaddons Rechte Hand und bald seine Generalin, sobald er sich endlich entschließen würde, etwas Struktur in seine Schar zu bringen. Die Dämonin hatte ihr graues Haar mit dem dunklen Ansatz zu einem strammen Zopf nach hinten geflochten und trug einen enganliegenden schwarzen Trainingsanzug, der gar nicht recht zu dieser sehr weiblichen Figur passen wollte. Sie war koreanischer Abstammung, hatte aber verhältnismäßig weite Kurven und große Brüste, die ihr nicht selten einen anerkennenden Blick der Männerwelt einfingen.

Azrael nickte knapp. »Abaddon müsste gleich hier sein, ich habe ihn aus dem Bett gescheucht.« Es war ein offenes Geheimnis, dass es ihm im Moment nicht sonderlich gut ging. Niemand erwartete von ihm irgendwelche Höchstleistungen, immerhin war er der erste Engel, der zu einem Erzengel geworden war, bis jetzt wusste niemand, wie sein Körper mit der ganzen zusätzlichen Energie umgehen würde. Aber anscheinend war es im Augenblick eher seine Psyche, die ihm zu schaffen machte. Dieses Detail hatte sie jedoch ausschließlich Aristeia anvertraut, da sie sozusagen seine Stellvertreterin war.

»Ist in Ordnung, ich habe erst später wieder einen Termin«, versicherte sie monoton, ihre violetten Augen hingegen funkelten besorgt auf, als sie Azraels Schmerz in der Stimme wahrgenommen hatte. Aristeia war zwar eine Dämonin, aber nicht gefühlskalt. Auch sie hatte eine Vergangenheit, die sie gezeichnet hatte. Sie war damals in der Unterwelt auf sie gestoßen und Abaddon hatte ihr Potenzial sofort erkannt.

»Sei nicht zu nett zu ihm, er hat keine Samthandschuhe verdient.« Mit diesen Worten verabschiedete Azrael sich und verließ das Rathaus.

Schweigend lief sie durch die Dunkelheit, die Reste des Croissants warf sie in einer unbewachten Ecke in einen Mülleimer, Appetit hatte sie wahrlich nicht mehr. Schnell ließ sie die Reihen mit den Wohnhäusern hinter sich und erreichte den ehemaligen Sportplatz, der nun als Trainingswiese umfunktioniert worden war. Und kaum war sie da, galt die Aufmerksamkeit wieder ihr.

Ihr General warf seinen Leuten einen strengen Blick zu, die sich daraufhin sofort wieder ihrer Aufgabe zuwendeten, erst dann kam er auf sie zu.

»Herrin.« Wieder ein leichtes respektvolles Nicken, immerhin keine Verbeugung.

»Yahriel.« Sie musterte ihn kritisch, schaute in diese blaugrauen Augen, in denen gerade ein Gewittersturm tobte. »Wann hast du das letzte Mal geschlafen?«

Sie standen weit genug von der Truppe entfernt, um ungestört miteinander sprechen zu können, Yahriel verzog keine Miene. »Vorletzte Nacht. Für zwei Stunden«, ergänzte er, als sie ihm mit einem strengen Blick strafte.

»Ich habe dir gesagt, du sollst dich ausruhen.« Der Uralte war gerade erst von den Sternen zurückgekehrt. Über fünfhunderttausend Jahre hatte er geschlafen und war erst in den Himmel zurückgekehrt, als Azrael ihn – wie auch alle anderen ihrer Engel, die erhört werden wollten – zu sich gerufen hatte. »Was nützen mir ein übermüdeter General und eine übermüdete Truppe?« Denn ihre anderen Krieger sahen nicht besser aus, sie alle waren sofort in den aktiven Dienst zurückgekehrt, obwohl Azrael ihnen ausdrücklich erlaubt hatte, sich auszuruhen und sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen.

»Wir trauen dieser Neuen Welt nicht«, erklärte ihr General nun, seine dunkle Haut glänzte im schwachen Mondlicht. Er trug die schwarze Uniform, die ihn als Azraels Krieger auswies. Sie besaß zwar kein Heer wie ihre Brüder, aber eine Leibgarde, die ebenso tödlich sein konnte.

»Ich weiß«, murmelte sie und legte eine Hand auf seine Wange.

Erzengel kamen ihren Untergebenen eigentlich nicht so nahe, aber Azrael hatte schon immer den Körperkontakt zu ihren Leuten gesucht, schon als Kind. Es erdete sie, zeigte ihr, dass sie real waren und nicht ein Hirngespinst ihres kaputten Verstandes. Der Vorfall, bei dem ihre Seele einen unwiderruflichen Schaden erlitten hatte, war zwar erst kurz nach dem Höllensturz passiert, doch auch schon davor war sie immer anders gewesen als ihre Brüder. Nicht nur auf ihr Geschlecht bezogen.

Yahriel versteifte sich, schüttelte ihre Hand aber auch nicht ab, nur den Blick senkte er verlegen. Wäre seine Haut nicht so dunkel gewesen, wären seine Wangen sicher rot angelaufen. Er war so schrecklich schüchtern im Umgang mit Frauen, soweit sie wusste, hatte er noch nie eine Partnerin gehabt.

»Ophaniel sagte mir gestern, du wolltest das Training hierhin versetzen, damit die anderen sich euch anschließen«, wechselte sie das Thema, damit er sich wieder entspannen konnte. »Dennoch sitzen sie im Speisesaal rum und tun gar nichts.«

»Sie sind träge«, erklärte er sachlich, ohne Ärger in der Stimme. Vermeintlich. Azrael kannte ihn schon ihr ganzes Leben, sie wusste um all seine Facetten. »Ich kann ihnen nichts befehlen, weil sie Abaddon unterstellt sind. Und auf Aristeia wollen sie anscheinend auch nicht hören.«

»Weil er sie nicht offiziell zur Generalin ernannt hat.« Azrael nickte. »Darüber wird sie gleich mit ihm sprechen, wir haben lange genug im Chaos gelebt.«

»Und Ihr?«, kam die vorsichtige Frage. »Habt Ihr Euch bereits Gedanken gemacht?«

»Das werde ich, sobald ich der Abscheulichkeit von Bruder einen Besuch abgestattet und meine Leute zurückgeholt habe«, murrte sie, unfähig, den Hass, den sie auf Lucifer empfand, zu unterdrücken.

Im Gesicht ihres Generals zuckte es. »Meint Ihr nicht, es könnte nur eine Falle sein?« Dieses Gespräch hatten sie in den letzten Wochen oft geführt, Azrael hatte natürlich mit ihm darüber gesprochen. Sie hatte warten wollen, bis Abaddon, aber auch sie selbst mehr zu sich zurückgefunden hatten, bevor sie in die Unterwelt reiste, aber sehr viel länger konnte sie nicht mehr warten. Oder sie würde nie wieder eine Nacht durchschlafen.

»Meinem Bruder ist alles zuzutrauen, aber die Unterwelt hat nicht die Kapazitäten, zwei Erzengel gefangen zu halten. Der Zauber gilt ihm, nicht mir. Da ich jetzt meine alten Kräfte zurückhabe, hat er keine Möglichkeit, mich einzusperren.« Er herrschte über die Hölle und konnte entscheiden, wer sie betreten und verlassen durfte. Aber sie war nun wieder ein Erzengel und somit mit ihm auf einer Stufe.

»Und ich bleibe bei der Entscheidung, nicht meine gesamte Garde mitzunehmen«, fügte sie hinzu, als er gerade etwas erwidern wollte. »Zwei Krieger, darauf hatten wir uns geeinigt. Dich brauche ich hier, ausgeruht. Bring mich nicht dazu, dich zum Schlafen zu zwingen.«

»Ich werde mich nach dieser Einheit hinlegen«, versprach er. Sie bedachte ihn kritisch, der Begriff Einheit war sehr weitläufig, aber sie wusste, wie stur Krieger waren, deswegen beließ sie es dabei.

»Die anderen auch. Abaddon hat einen Schichtplan ausgearbeitet, den solltet ihr endlich mal nutzen.« Azrael gab zu, nicht viel Ahnung von den Belangen der Krieger zu haben, ihr Liebster dagegen schon. Deswegen hatte sie kein Problem damit, ihm die Planung zu überlassen.

»Sehr wohl, mein Erzengel«, hauchte er und stahl sich davon, als jemand nach ihm rief.

Azrael unterdrückte ein Seufzen, Krieger waren und würden ihr immer ein Mysterium bleiben. Am liebsten wäre sie zurück ins Bett gekrochen, um ein bisschen Schlaf nachzuholen, aber dann hätte sie ununterbrochen an Abaddon denken müssen, deshalb ging sie zu einem Ort, an dem sich ihre Laune garantiert bessern würde.

»Tante Azrael!«, rief die kleine Shekinah ihr schon entgegen, als sie noch nicht einmal auf dem Hofplatz gelandet war. Das Anwesen von Shiki Daichi, ihrem reinblütigen Vater, wirkte so beeindruckend und angst einflößend wie immer, da passte der wilde Rotschopf gar nicht ins Bild, der nun mit ausgebreiteten Armen auf sie zustürmte.

Sofort ging sie in die Hocke und nahm ihre Nichte auf den Arm, von ihrem Schwung mitgerissen drehte sie sich einmal um die eigene Achse, dabei kicherte Shekinah überglücklich. Sie war ein Mischblut, zur Hälfte Engel, zur Hälfte Vampir und sah aus wie etwa sieben oder acht, war aber schon über dreißig Jahre alt. Für einen Engel dauerte die Kindheit um die zwei Jahrhunderte, aber selbst für diese Verhältnisse war sie noch recht klein. Aber da sie der einzig bekannte Engel-Vampir-Hybrid war, konnte man natürlich nicht sagen, ob ihre Entwicklung normal war oder nicht.

Ihr Verstand war ihrem Alter jedoch angemessen, ebenso ihre Kräfte, die noch sehr schwach ausgeprägt waren, und Flügel besaß sie auch noch keine. Aber daran störte sich niemand, auch ihre Eltern nicht, die ihrer kreischenden Tochter gefolgt waren.

»Ihr Gehör funktioniert schon ausgezeichnet«, lächelte Lavina, Shekinahs Mutter, als sie bei ihnen angekommen war. »Sie hat dich schon aus über einem Kilometer Entfernung gehört.« Diese Angabe konnte sie nur von Takeshi, ihrem Mann und Azraels Bruder, haben, oder einen der anderen Vampire, die im Anwesen lebten. Engel waren zwar zweifellos die gefürchtetste Gattung auf der Welt, ihr Gehör war allerdings nicht annähernd so gut wie das eines Vampirs.

»Flügel!« Shekinah hatte das Erscheinen ihrer Eltern gar nicht bemerkt, sondern richtete ihr Augenmerk auf Azraels sechs pechschwarze Schwingen, die sie hinter ihrem Rücken zusammengefaltet hatte. Als die Kleine ihre Hand nach ihnen ausstreckte, faltete Azrael einen auseinander und rekte ihn so nah an sie heran, dass sie über die Federn streicheln konnte.

»Du förderst ihr schlechtes Benehmen, Schwester«, schimpfte Takeshi halbherzig, seine mitternachtsblauen Augen, die seine Tochter von ihm geerbt hatte, ruhten fasziniert auf den kleinen Fingerchen.

Azrael ließ ihre Flügel verschwinden, worüber ihre Nichte sichtlich entsetzt war. »Als ich klein war, war ich genauso«, entgegnete sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und ging ins Haus. Auch wenn sie nicht gerne über ihre Brüder sprach, musste sie sich doch eingestehen, dass sie nicht nur schlechte Zeiten miteinander verbracht hatten.

Kaum war sie in der Eingangshalle angekommen, beäugten sie schon zwei durch und durch goldene Augen, die zu einem durch und durch gefährlichen Mann gehörten, der rein zufällig ihr Vater war. Mit einem »Hallo« begrüßte er sie.

Es war für sie immer noch ungewohnt, so vertraut mit ihm zu sein, wo sie sich doch eigentlich kaum kannten und ihr Anblick ihm nach wie vor Unbehagen bereitete. Lucifer war es gewesen, der Daichi damals in einen Vampir – einen Urahnen – verwandelt hatte, und leider teilten Lucifer und Azrael das gleiche nachtschwarze Haar und die schneeweißen Augen. Demnach waren sie die einzigen Erzengel, die tatsächlich wie Geschwister aussahen. Und dieses Aussehen riss offensichtlich alte Wunden in Daichi auf, der seine Gefühle sonst nie offen zeigte.

»Ich rieche Daifuku«, bemerkte Azrael, um die Aufmerksamkeit schnell auf etwas anderes zu lenken.

»Frisch zubereitet«, erklärte er nüchtern, doch seine Augen sprachen eine ganz andere Sprache. »Ich hatte so eine Ahnung, dass du heute vorbeikommst.«

»Weil sie jeden Tag zum Essen vorbeikommt«, lachte Takeshi und wollte ihr Shekinah abnehmen. Die damit ganz und gar nicht einverstanden war.

»Nein!«, schmollte sie und klammerte sich an Azraels Hals fest.

»Doch«, mahnte Takeshi.

»An deiner Stelle würde ich kapitulieren«, erhob Azrael die Stimme, »sonst schicke ich Shirei nicht mehr zum Spielen her.«

»Was?« Langgezogen und völlig fassungslos. Sie hatte einen Narren an Shirei gefressen, wahrscheinlich, weil er ebenso ein Nephilim war wie sie. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass er kein Vampir, sondern ein Yokai war. »Na schön«, murrte sie und ließ sich von ihrem Vater auf den Arm nehmen.

Sie gingen in den Salon, der Tisch war schon reichlich gedeckt mit all den Dingen, die Azrael gerne aß. Normalerweise. Heute hatte sie überhaupt keinen Hunger. Auf sie warteten bereits Akemi, Azraels ältere Schwester, und Kagemi, ihre Mutter, die eine Yokai war und auf die sie momentan nicht gut zu sprechen war. Okay, wahrscheinlich nicht nur im Moment, sondern niemals wieder, aber Shekinah war immer noch anwesend, darum zügelte sie ihren Unmut.

»Wo hast du Abaddon schon wieder gelassen?«, fragte Takeshi ganz unverhohlen, als sie alle am Tisch saßen.

Sie zuckte mit den Achseln. »Der trifft sich gerade mit Aristeia und danach will er eine Runde fliegen.«

»Warum fliegst du nicht mit ihm?« Sie wusste ganz genau, worauf er mit seiner Fragerei hinauswollte, aber sie würde nichts preisgeben. Nicht, solange sie nicht wusste, was genau mit ihrem Gefährten los war.

»Ich kann mit seiner Geschwindigkeit nicht mithalten.« Das war nicht gelogen, sie war nie eine schnelle Fliegerin gewesen. Wenn Abaddon richtig loslegte, war er nur noch ein goldener Streif am Horizont. »Außerdem muss ich meine Kräfte für morgen sparen.«

»Was ist morgen?«

»Du willst doch nicht etwa zu ihm?« Mit ihm meinte ihre Schwägerin Lucifer, Azrael hatte nie verstanden, warum es den meisten so schwerfiel, seinen Namen laut auszusprechen. »Du wolltest dir doch Zeit damit lassen.«

»Das habe ich. Acht Wochen, um genau zu sein. Ich muss mich mit ihm unterhalten, solange sich der Himmel noch ruhig verhält.«

»Denkst du denn, dass sich das bald ändern wird?«, wollte ihr Vater wissen, der den Arm um seine Frau geschlungen hatte. Kagemi sah aus, als würde sie gleich ohnmächtig werden. Azrael nahm das nicht persönlich, sie konnte in der Tat eine sehr einschüchternde Ausstrahlung haben. Vor allem für Leute, denen sie nicht wohlgesonnen war.

»Meine Brüder denken nach wie vor, ich würde zu ihnen zurückkehren«, knurrte sie, allein der Gedanke daran machte sie wütend. »Mit Lucifer kann man wenigstens noch normal reden.«

Bei dem Klang seines Namens zuckten fast alle Anwesenden zusammen, Kagemi am schlimmsten. »Mit dieser Ansicht stehst du wohl alleine da«, kam der trockene Kommentar von Daichi.

Azrael schaute zu ihm auf. »Gabriel sagte früher immer, er hätte einen Narren an mir gefressen. Damals habe ich nicht verstanden, was er damit meinte, aber langsam glaube ich, das zu meinem Vorteil nutzen zu können.«

»Du willst den Teufel manipulieren?«, fragte Lavina, die durch Shekinahs Locken strich, um sich selbst zu beruhigen.

»Das tue ich schon die letzten dreitausend Jahre, unwissentlich natürlich. Warum sonst hätte er Abaddon in der Unterwelt dulden sollen, wenn nicht mir zuliebe?« Sie ließ die Frage offen im Raum stehen, auf die wohl niemand eine Antwort hatte. Die Beziehung zwischen ihr und ihrem ältesten Bruder war schon immer sehr … merkwürdig gewesen, meistens warb er um sie, an anderen Tagen war er dann wieder der ganz normale große Bruder, der sich um seine Schwester kümmern wollte. Azrael würde niemals auf seine Avancen eingehen, obwohl sich ein Teil von ihr nach ihm sehnte, nach seiner Nähe, nach seinem Duft …

Nein!, schalte sie sich selbst. Diesen Gedanken würde sie nicht weiterverfolgen!

»Erzengel.« Shekinahs kindliche Stimme durchbrach die Stille, als sie unter dem Tisch entlang krabbelte und an Azraels Rüschenkleid zupfte.

Lavina seufzte. »Du ziehst sie an wie ein Magnet.«

»Ist das normal?« Takeshi zog die Stirn in Falten, als seine Tochter auf Azraels Schoß kletterte und ihr durch die glatten Haarsträhnen fuhr, die nach vorne gefallen waren.

»Ja, Engelskinder finden uns sehr faszinierend. Das ist der Grund, warum die Erzieher keine Erzengel in der Stillen Stadt dulden. Wir lenken sie zu sehr ab.«

»Und ihr hört darauf?« Nun war es Akemi, die die ganze Zeit verdächtig still gewesen war, die diese Frage in ihrer gewohnt zickigen Art stellte.

»Mit Erziehern legt sich niemand freiwillig an.« Azrael strich die Haare glatt, die Shekinah zerzaust hatte. »Oder würdest du Seraphiel jemals widersprechen?«

Akemi schüttelte leicht den Kopf. Ihre Familie hatte die meisten Engel zwar nur flüchtig kennengelernt, aber die Aura der Seraph, von der es hieß, sie sei der schönste Engel der Welt, würde niemand so schnell vergessen. Außerdem kam sie regelmäßig vorbei, um nach Shekinah zu sehen. Sera hatte vor ihrem Schlaf selbst viele Kinder bekommen und auch Azrael hatte einst zu ihren Schutzbefohlenen gezählt. Wenn es um Kindererziehung ging, machte Sera niemand etwas vor. Und Lavina schien erleichtert zu sein, mit jemandem ihre Sorgen teilen zu können.

Nun widmeten sie sich anderen Themen und Azraels Laune schlug um. Plötzlich, aber nicht unerwartet. Nicht für sie. Denn seit ihre Seele kaputtgegangen war, passierte das manchmal. Manchmal verhedderten sich ihre Gedankengänge, manchmal vergaß sie, wo sie war, aber am gefährlichsten war es, wenn sie vergaß, wann sie war. Sie konnte nichts dagegen tun und oftmals bemerkte sie die Veränderung in ihrem Kopf nicht einmal. Aber nun tat sie es. Und deswegen stand sie wortlos auf und verließ das Haus.

Kaum war sie draußen, fing sie fürchterlich an zu schreien.

ZWEI

Abaddon war gerade in sein Gespräch mit Aristeia vertieft gewesen, als ein Blitz durch seinen Körper zuckte. Metaphorisch gesprochen.

Sofort sprang er auf, seine treue Untergebene verstand ihn wortlos, jeder von ihnen wusste von Azraels Gefühlsausbrüchen. Er brauchte nur wenige Wimpernschläge, schon landete er vor dem Anwesen, das seinem Vater gehörte. Doch er war nicht der Erste, der auf dem Hofplatz eingetroffen war. Kyriel und Samael waren bereits dabei, ihren völlig verstörten Erzengel zu beruhigen. Kyriel gehörte schon seit ewiger Zeit ihrer Leibgarde an, Samael war erst vor Kurzem dazugestoßen, nahm die Verantwortung, die ihm bis jetzt übertragen worden war, dennoch sehr ernst.

Als sie Abaddon erblickten, wichen sie von Azrael zurück, damit er seine schluchzende Gefährtin in die Arme nehmen konnte. Ihr Schrei war sicher bis in die Stadt zu hören gewesen, das leichte Erdbeben, das damit einhergegangen war, hatte für Erdrutsche gesorgt. Doch soweit er das auf seinem schnellen Flug gesehen hatte, war niemand zu Schaden gekommen.

Was ist los?, fragte er sie telepathisch, als Antwort bekam er nur ein unverständliches Wimmern.

Außer ihnen und den beiden Kriegern war niemand zu sehen, dennoch konnte Abaddon die Anwesenheit ihrer Familie spüren, die im Haus geblieben waren und nun sicher durch die Fenster spähten. Er hatte ihnen deutlich gemacht, Azrael in solchen Phasen weitläufig aus dem Weg zu gehen, denn wenn sie verwirrt war, war sie unberechenbar. In ihrer Verwirrtheit erkannte sie sie meistens nicht, hielt sie für Fremde, für Feinde, die es auszulöschen galt.

Eine Magiewelle durchzog die Luft, die Fenster im ersten Stock bekamen Sprünge.

»Komm, lass uns spazieren gehen«, versuchte er, sie auf sanfte Art von diesem Ort fortzulocken.

Zwei verständnislose Augen schauten zu ihm auf. Sie war wunderschön, seine Geliebte, mit ihren schneeweißen Augen und dem schwarzen Haar, das leicht rundliche Gesicht und die hellen Wimpern, die mindestens genauso surreal wirkten wie ihre Augen.

Liebster? Eine schwache Stimme in seinem Kopf, unsicher und brüchig.

Ich bin hier, versicherte er ihr und legte seinen Arm um ihre Taille.

Mit wackligen Schritten setzte sie sich in Bewegung, Abaddon stützte sie und gab den beiden Kriegern mit einem Nicken zu verstehen, dass er die Situation nun unter Kontrolle hatte. Dann galt seine gesamte Aufmerksamkeit wieder ihr, seiner Frau, seiner Seelengefährtin, für die er die Welt ins Verderben stürzen würde, wenn sie es von ihm verlangte. Er würde alles für sie tun, alles für sie sein, Hauptsache, sie war glücklich und in Sicherheit.

Doch leider konnte er sie nicht vor sich selbst beschützen, vor ihrem Verstand, der ihr Leben so kompliziert machte. Schon bei ihrem Kennenlernen im Himmel vor über einer Dekade hatte er ihr gegenüber einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt entwickelt, dem er auch stets nachgekommen war. Außer in den letzten Wochen.

Die letzten Wochen über war er nämlich mit seinem eigenen Verstand beschäftigt gewesen, mit seinen Erinnerungen, die er zwar nie vergessen, sich aber auch nie sonderlich mit ihnen auseinandergesetzt hatte. Er war ein geborener Krieger, Leid und Tod gehörten zu seinem Alltag dazu, schon so lange er denken konnte, aber seit er zu einem Erzengel geworden war … wurde er sich erst richtig bewusst, was er damals eigentlich alles getan hatte.

Wie blind er den Befehlen von oben gefolgt war, wie gehorsam er gewesen war, obwohl er die Entscheidungen nicht immer moralisch vertreten konnte. Wie dumm er doch gewesen war, die Kämpfe eines anderen auszuführen. Denn die himmlischen Kriege gingen immer – immer – von den Erzengeln aus. Die Scharen waren zwar größtenteils zerstritten, genossen aber die Zeiten des Friedens. Genossen es, mit den anderen Engeln Handel zu betreiben, sich über ihre Aufgaben auszutauschen oder einen Partner zu suchen.

Aber das war meistens nicht möglich, weil die Erzengel sich stritten und ihre Leute den Krieg für sie ausführen ließen.

Abaddon war so naiv gewesen!

»Es tut mir leid«, murmelte er in Azraels dunkles Haar, als sie mitten im Wald stehengeblieben waren und er sie an sich gezogen hatte. »Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war.«

Sie hob den Kopf, an ihren Augen erkannte er, dass sie immer noch nicht zu ihm zurückgekehrt war. »Ich verstehe das nicht«, wimmerte sie, ihr Blick huschte panisch von links nach rechts, als würde sie hier etwas Schreckliches vermuten.

»Was verstehst du nicht?«, fragte er sie sanft, liebkoste sie mit Worten, denn seine Berührungen schien sie gar nicht zu bemerken.

»Warum sind wir auf der Erde? Warum bin ich nicht in meinem Schloss? Warum ist niemand hier?« Sie war immer lauter geworden, so laut, dass ein Vogelschwarm aus den Baumkronen aufgeschreckt davonflog. Azrael fuhr herum, gleichzeitig zog sie ihre Arme an den Körper, ihre Beine zitterten.

»Ich bin hier, ich bin bei dir, Azrael.« Für immer.

»Ich bin ganz alleine!«, schluchzte sie, als hätte sie seine Worte gar nicht gehört – als wäre er Luft für sie. Aber er nahm es nicht persönlich, das würde er nie. Denn in ihren uralten Erinnerungen tauchte er nicht auf, in der Zeit, in der sich ihre zerbrochene Seele gerade befand, war er noch gar nicht erschaffen worden.

»Schsch.« Er konnte nicht mehr tun, als sie in den Arm zu nehmen und zu warten, bis sie sich beruhigte. Sie wehrte ihn nicht ab, ging aber auch nicht auf die Umarmung ein. Azrael stand einfach nur da, am ganzen Leib zitternd, und verstand die Welt nicht mehr.

Minuten vergingen, Wolken zogen auf und verdeckten die Sicht auf die Sterne, eine kühle Abendbrise wirbelte um ihre Beine und dann … sah sie endlich zu ihm auf.

»Abaddon.«

»Ja.« Er wollte lächeln, wollte ihr zeigen, wie froh er war, sie zurückzuhaben, aber ihre traurige Miene hielt in davon ab.

»Abaddon«, hauchte sie wieder und umfing sein Gesicht mit beiden Händen. Gerne ließ er es geschehen, beugte sich sogar zu ihr herab, damit sie es leichter hatte. Seine Geliebte er nur einen Meter fünfzig groß, war zierlich gebaut mit so dünnen Handgelenken, dass er sie fast zweimal umfassen konnte.

Fremde hielten sie für ein Mädchen, da sie so jung aussah, aber auf Abaddon wirkte sie ganz und gar nicht wie ein Kind, dafür waren ihre Augen zu alt, ihr Blick zu wissend. Sie kam ihm manchmal eher wie eine Puppe vor, mit dem langen Haar, dem runden, makellosen Gesicht, der bleichen Haut und den schönen Rüschenkleidern, die sie so gerne trug. Es war zu seiner Lieblingsbeschäftigung geworden, ihr beim Einkleiden zu helfen – oder beim Entkleiden –, ihre Haare zu bürsten und ihr auch sonst in jeglicher Hinsicht die Welt zu Füßen zu legen.

Aber in letzter Zeit …

»Ich war verwirrt«, murmelte sie und strich mit ihren Fingern über seine Wangen, musste sich vergewissern, dass er wirklich da war, und kein Hirngespinst.

»Ja, warst du«, bestätigte er und legte nun ebenfalls eine Hand auf ihre zarte Wange. »Aber nun bist du wieder da.« Seine Mundwinkel zuckten, zu sehr freute er sich zu beobachten, wie ihr Blick sich langsam klärte und der uralte Erzengel wieder zum Vorschein kam.

»Es war eigenartig«, überlegte sie laut, er horchte auf. »Ich habe es gespürt. Die Veränderung, meine ich.«

»Du hast es gespürt?«

Sie nickte leicht. »Wie meine Gedanken verloren gingen. Als hätten sich zwei Zahnräder ineinander verkeilt und alles zum Stillstand gebracht … Macht das Sinn?«, fragte sie mit schiefgelegtem Kopf.

»Ja.« Er zupfte ihren Pony zurecht, der gerade über ihren Augen abgeschnitten war. »Du bist rausgerannt, um die anderen nicht zu gefährden, als du die Veränderung gespürt hast.«

Wieder ein Nicken. »Es war ein Reflex. Ich hatte keine Zeit, nach dir zu rufen.«

Abaddons Miene verfinsterte sich. »Ich hätte dich gar nicht erst alleine lassen sollen«, murrte er, sauer auf sich selbst, weil er sich so wenig um sie gekümmert hatte.

Auch ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde leidender, gequälter. »Ich hätte dich vorhin nicht so anfahren dürfen. Du bist in letzter Zeit so …«

»Verletzlich?«, half er ihr auf die Sprünge und konnte den sarkastischen Unterton dabei nicht vermeiden.

»Neben dir«, berichtigte sie ihn und legte eine Hand auf sein Herz, das wild in seiner Brust schlug. Nun, wo es ihr besserging, war sein Unterbewusstsein wieder dazu übergangen, die alten Erinnerungen hervorzukramen, von denen er nicht verstand, warum er damals so gehandelt hatte. »Ich weiß, dass ich kein Recht dazu habe, nach Antworten zu fordern. Ich mache mir nur Sorgen um dich.«

»Du hast jedes Recht dazu, Liebste. Du bist meine Gefährtin, meine Seelenverwandte«, erinnerte er sie und sich selbst. Es behagte ihm nicht, wie er jetzt im Nachhinein feststellte, wie sehr er sich von ihr abgekapselt hatte. Unbewusst, trotzdem nagte an ihm nun das schlechte Gewissen.

Er beugte sich vor und küsste sie. Es war ein zaghafter Kuss, er wollte sanft zu ihr sein, ihr zeigen, dass er sich noch immer unter Kontrolle hatte. Aber das hatte er nicht, denn kaum spürte er ihre Zunge auf seinen Lippen, ihren Atem auf seiner Haut, ihren Herzschlag unter seinen Händen …

Mit einer schnellen Bewegung hob er sie hoch und legte sie auf den Waldboden. Es war Sommer, die Erde ausgetrocknet, die Regenzeit war lange vorbei. Zu spät dachte er daran, wie hart der Untergrund war, Azrael stöhnte unter seinen Küssen auf, er konnte nicht sagen, ob vor Überraschung oder vor Schmerz.

Er konnte nicht aufhören.

Seine Hände wanderten über ihren Körper, lösten die Korsage und zogen sie so weit herunter, dass er ihre Brüste küssen konnte. Der Anblick seiner halb entkleideten Frau auf dem Waldboden, ihm komplett ausgeliefert, erregte ihn ungemein. Ihre schwarzen Haare umgaben sie wie dunkles Wasser, ihre Haut schimmerte silbern im Mondlicht und ihre Augen … wirkten verstört.

Schlagartig wurde Abaddon bewusst, was er da gerade tat, wie er sie berührt hatte, wie er sie benutzt hatte. Er wollte sich von ihr lösen, so viel Abstand wie möglich zwischen sie beide bringen, aber sie ließ es nicht zu. Ihre Finger krallten sich in seinen Kragen und zwangen ihn, bei ihr zu bleiben – weiterhin eine Gefahr für sie zu sein.

»Abaddon. Mein geliebter Abaddon«, summte die traurig in der Engelssprache, kaum vernahm er ihren Singsang, beruhigte er sich, seine Hände, die sich zu Fäusten geballt hatten, lockerten sich, und er konnte sich neben ihr hinsetzen, musste den Blick aber abwenden.

»Azrael, ich –«

»Ich weiß«, murmelte sie, setzte sich auf und lehnte sich gegen seinen Rücken. »Du würdest mir niemals wehtun.« Ihre Finger strichen über seine verspannten Schultern, so viel Zärtlichkeit hatte er gar nicht von ihr verdient! Schließlich hätte er sie beinahe …

»Ich verstehe nicht, was mit mir los ist«, platzte es aus ihm heraus, wochenlang hatte er gegrübelt, da er der Meinung war, damit alleine fertigzuwerden. Aber er hatte sich getäuscht. Seit Äonen war er ein Einzelgänger gewesen, hatte nie mehr Kontakt zu anderen Engeln gehabt als nötig, und dementsprechend hatte er auch nie mit jemanden über seine Probleme gesprochen. Die er ja bis vor Kurzem auch noch gar nicht gehabt hatte.

»Ich … begehre dich, Azrael«, fing er zögernd an.

»Das ist kein Geheimnis, Liebster.« Sie streckte ihre Hand aus und verschränkte sie mit seiner, wie in Trance starrte er auf ihren Familienring, den er ihr vor unendlich langer Zeit geschenkt hatte.

»Es ist nicht nur das Begehren«, fuhr er nach langem Schweigen fort. »Ich will dich … besitzen. Dich beherrschen. Weil ich weiß, dass ich es könnte. So wie ich diesen Wald niederbrennen könnte, ohne groß einen Gedanken daran zu verschwenden. Oder das Dorf, die Stadt, ganze Länder. So, wie ich es schon einmal getan habe, nur dieses Mal …«

»Dieses Mal könnte dich keiner aufhalten«, brummte Azrael an seinem Rücken und drückte seine Hand noch ein bisschen fester, gab ihm den Halt, den er nun so dringend brauchte.

»Ich wurde nicht mit dieser Macht geboren, Azrael. Nicht so wie du, oder deine Brüder. Ich kenne meine Grenzen nicht und wenn ich sie überschreite, sei es noch so kurz, könnte ich dich … ich könnte dich …« Seine Stimme versagte den Dienst, den Gedanken, ihr etwas anzutun, sie zu verletzen, sie mit seinem Goldfeuer zu verstümmeln, konnte er nicht ertragen.

Azrael löste sich von ihm und krabbelte auf seinen Schoß, umklammerte seine beiden Hände und schickte eine Welle ihrer Magie durch seinen Körper. All seine Härchen richteten sich auf. Es war nicht einfach zu beschreiben, wie es sich anfühlte. Nicht wie ein Stromschlag, es ging … tiefer, erreichte nicht nur seine Haut, seine Sehnen und Muskeln, sondern auch seinen Geist.

»Ich bin auch ein Erzengel«, sagte sie nun, nachdem er die Eindrücke verarbeitet hatte. »Ich kann mich wehren, wenn du die Beherrschung verlierst.«

»Was machst du nur mit mir?«, murmelte er, noch ganz berauscht von den Empfindungen, und lehnte seine Stirn gegen ihre. Er hatte schon ein paar Mal ihre Magie zu spüren bekommen, aber nun wurde ihm klar, wie sehr sie sich damals zurückgehalten hatte. Diese Intensität hätte ihn vor seinem Aufstieg sicher umgehauen.

»Ich bin eine Magische«, entgegnete sie gelassen, als würde das als Erklärung genügen.

»Welche Art von Magie ist das?«, wollte er von ihr wissen, so etwas hatte er vorher noch nie gespürt.

Ihr Blick wurde weich, als sie mit dem Zeigefinger die Konturen seines Kinns nachzeichnete. Das Gefühl war ihm nicht fremd, das hatte sie schon oft getan, aber etwas war heute anders. Es fühlte sicher rauer an …

»Du musst dich rasieren«, sprach sie seine Gedanken laut aus. »Sonst verlierst du noch deinen jugendlichen Charme.«

Er tat so, als würde er ihr in den Finger beißen wollen. Sie lachte. Und ihre Augen leuchteten dabei in der gleichen Farbe wie der Mond über ihnen. Sie war einfach wunderschön.

»Meine Magie«, ging sie nun auf seine Frage ein, »ist eine Art der Telekinese.«

Abaddons Augen weiteten sich. Neben den Elementmagien gab es noch reichlich andere Variationen der Magie unter den Engeln. Die Telekinese zählte dabei eindeutig zu den gefürchtetsten. Cherubiel, der Erzengel Uriel als General diente, galt als der mächtigste Telekinet im gesamten Himmelreich, da er angeblich nicht nur Gegenstände beeinflussen konnte, sondern auch Lebewesen. Aber er war nur ein Seraph, Azrael hingegen war ein Erzengel, was bedeuten musste, dass ihre Kräfte noch sehr viel größer sein mussten.

»Warum hast du mir das nicht eher gesagt?«

»Weil du mich jetzt ansiehst, als wollte ich dich bei lebendigem Leibe auffressen.« Ihre Stimme hart, ihr Blick sanft, ebenso wie ihre Hände auf seinem Gesicht. »Es ist nicht meine primäre Gabe wie bei Cherubiel. Es ist eher eine Art … Bonus.«

»Ein Bonus? So nennst du das?«

»Ja, denn meine Aufgabe ist mein Buch. Auch wenn ich es hasse, kann ich diese Tatsache nicht leugnen. Aber mit diesem Buch kann ich keine Schlachten schlagen. Gabriel meinte, die Götter gaben mir diese Kraft, damit ich mich gegen die anderen Erzengel behaupten kann.«

Eine Erinnerung, die nicht seine eigene war, trat in sein Bewusstsein. »Stimmt, Gabriel hat dich gelehrt, deine Magie zu beherrschen. Wissen die anderen auch davon?«

Sie schüttelte den Kopf. »Außerhalb unserer Treffen haben wir nicht darüber gesprochen. Ich habe diese Magie nicht verwendet, weil ich keine Notwendigkeit darin gesehen habe. Laut Gabriel ist es außerdem immer gut, wenn der Feind nicht alles über einen weiß.«

Da musste Abaddon seinem alten Erzengel recht geben. Ihre Brüder sahen Azrael als kleines Mädchen an, das auf den Schutz anderer angewiesen war. Dieses Bild vermittelte sie seit jeher und Abaddon hatte geglaubt, sie tue das unwissentlich. Er hatte sich geirrt. Seine Gefährtin war viel gewiefter, als er angenommen hatte.

»Da muss ich ihm ausnahmsweise beipflichten«, gab er zu und rieb seine Nasenspitze an ihrer Wange, der Wolf, der nun für immer ein Teil von ihm sein würde, schwelgte in ihrem lieblichen Duft. »Deswegen sollte ich es auch vermeiden, die Kontrolle zu verlieren.«

»Aber du musst lernen, dein Feuer zu beherrschen.«

»Kennst du denn einen Feuerbändiger, der mit mir trainieren würde?« Einen, der mir auch standhalten kann?

»Keinen Feuerbändiger, aber einen anderen sehr mächtigen Magischen.« Sie hob den Kopf, er folgte ihrem Blick und stutzte.

»Ophaniel?« Der Engel des Mondes war bekannterweise ein Magischer, aber er hatte stets ein Geheimnis daraus gemacht, was er denn eigentlich tun konnte. Außerdem war er ein Faulpelz, der sich vor jeglicher Verantwortung gedrückt hatte, als er noch im Himmelreich war und Gabriel diente. »Der ist doch mit Shinimi irgendwo hin verschwunden.«

»Weil ich ihm sagte, ich würde ihm Bescheid geben, wenn ich ihn bräuchte.«

»Du hast das geplant, nicht wahr?«

Ihre Augen blitzten auf. »Wärest du nicht so abwesend gewesen, hättest du meinen Plan schon längst durchschaut.« Sie grinste, als sich seine Miene verfinsterte.

»Pass bloß auf«, murrte er und stürzte sich auf sie, ihr Grinsen wurde noch breiter. Ihre Korsage war immer noch offen, sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Brüste zu verstecken. Die reinste Provokation.

Er leckte mit der Zunge über ihr Schlüsselbein, dann küsste er sich nach unten und liebkoste ihre Brüste. Sie wand sich unter ihm, schlitzte mit ihren langen Fingernägeln sein Hemd auf und zerkratzte ihm den Rücken. So hemmungslos, sein kleiner Todesengel.

Abaddon.

Eine Bitte in seinem Kopf, der er nur zu gerne nachging. Er befreite sie von ihrem Höschen, seine Hosen riss er in Fetzen, weil sein Verlangen ihn ansonsten umgebracht hätte, dann vereinigte er sich mit ihr und nahm sie hier und jetzt in Besitz.

Schon seit Wochen hatte er sich nicht mehr so vollständig gefühlt.

*

Irgendwann schafften sie es irgendwie in ihr Haus, das sie provisorisch bezogen hatten. Es hatte nicht annähernd das Flair, das ihr Häuschen in London besessen hatte, dieses hier war unliebsam und unpersönlich eingerichtet, nur das Nötigste hatten sie sich besorgt, da es ja nur eine Übergangslösung sein sollte.

Aber das war Abaddon im Moment vollkommen egal, denn Azrael hatte sich an seine nackte Brust gekuschelt und war am Dösen, aber als ein Vogel vor ihrem Fenster kreischte, zuckten ihre Finger.

»Schlaf weiter, Liebste«, hauchte er und küsste sie auf den Scheitel.

Sie räkelte sich, streckte Arme und Beine durch und legte sich dann auf den Bauch, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Mit einer Hand massierte er ihren Nacken, sie schnurrte. Eine verschlafene Azrael war eine sehr schmusebedürftige Azrael.

»Ich liebe dich«, murmelte sie schlaftrunken und schloss für einen Moment die Augen.

»Ich dich auch.«

»Aber«, nun schüttelte sie die Müdigkeit ab, ließ sich aber weiterhin von ihm massieren, »ich würde dich noch mehr lieben, wenn du mir von deinen Albträumen erzählst.«

Er seufzte, sie starrte ihn trotzdem unentwegt an. »Es sind Erinnerungen. An meine Dienstzeit im Heer. Jetzt, wo ich ein Erzengel bin … scheint mein Verstand anders zu arbeiten. Viele Dinge, die ich damals tat, kann ich nun nicht mehr gänzlich nachvollziehen. Verstehst du, was ich meine?«

»Ich denke schon.« Sie setzte sich auf, unterbrach den Körperkontakt zu ihm jedoch nicht. »Als ich von den Sternen heimkehrte, war es für mich auch sehr ungewohnt, mich plötzlich unterordnen zu müssen. Engel dienen, Erzengel herrschen. Normalerweise ändert sich diese Ordnung auch nie, deswegen ist unser Verstand nicht dafür ausgelegt, diese Veränderung zu begreifen. Denke ich.«

Ja, sie versteht mich, dachte er und spürte, wie er lächelte. Sie war zwar als Erzengel erschaffen worden, war aber genau wie er sehr lange ein normaler Engel gewesen und war genau wie er zum Erzengel aufgestiegen. Niemand sonst hatte diese Erfahrung gemacht. Nur sie beide. Nur sie beide könnten einander je so verstehen, wie sie es jetzt gerade taten.

»Endlich lächelst du wieder.«

»Bei so einer entzückenden Frau, die nackt in meinem Bett liegt, kann ich doch nur lächeln.« Um ihre Nasenspitze wurde es rot. Unendlich niedlich.

Aber dann wurde sie wieder ernst. »Da gibt es noch etwas.«

»Was?« Er ahnte nichts Gutes, eigentlich konnte er es sich sogar schon denken.

»Morgen werde ich meinen Bruder besuchen.« Klare, unmissverständliche Worte. Abaddon spannte sich an. Allein bei dem Gedanken, dieser Widerling könnte ihr zu nahetreten … »Abaddon.« Ihre besorgte Stimme durchdrang den Nebel des Zorns, konnte ihn aber nicht gänzlich vertreiben.

»Ich verstehe, dass du das tun musst. Aber ich muss es nicht gutheißen.«

»Es geht nicht um ihn, sondern um meine Leute. Sie rauben mir den letzten Nerv mit ihren Gebeten. Außerdem haben sie eine zweite Chance verdient.«

»Du bist zu gütig«, murrte er. Er selbst könnte das nicht, könnte keinen zu sich aufnehmen, der ihn einst verraten und hintergangen hatte. Die Engel seiner Legion, die ihn damals in den Rücken gefallen waren, hatte er auch nicht zurückgenommen. Nur diejenigen, die aus reiner Unsicherheit Schutz in der Unterwelt gesucht, sich aber nie gegen ihn verschworen hatten, hatte er einen Platz in seinen Reihen angeboten. Die meisten waren seiner Bitte gefolgt.

»Manchmal bin ich das tatsächlich«, stimmte sie ihm zu und strich gedankenverloren über seine Brust. »Es gibt einige, denen ich nicht verzeihen kann. Aber viele waren Mitläufer. Hätte ich mehr um sie gekämpft, wären sie heute immer noch bei mir.«

»Es ist nicht deine Schuld, Azrael.« Er griff nach ihrer Hand, doch sie schüttelte sie ab.

»Doch, ist es. Zu einem gewissen Maß sind alle Erzengel daran schuld, was damals geschah. Aber ich will nicht, dass meine Leute noch länger leiden.« In ihren Augen glänzten Tränen, aber sie behielt ihren barschen Ton bei. »Ich höre ihr Klagen, Abaddon. Die Unterwelt ist kein Ort für sie, ist es niemals gewesen. Sie brauchen ein Zuhause, einen sicheren Hafen, ein Umfeld, in dem sie geschätzt und geliebt werden können.«

»In anderen Worten: Sie brauchen dich.«

»Ich war kein guter Erzengel«, stieß sie verbittert hervor. »Vielleicht werde ich das nie sein, aber ich kann ihnen zumindest ein wenig Hoffnung schenken.«

»Du bist ein guter Erzengel, Azrael. Niemand sonst ist so einfühlsam, so familiär.«

»Weil ich weiß, wie es ist, einsam zu sein.«

»Ja, das weißt du.« Er legte den Kopf schief und wickelte eine ihrer Haarsträhnen um seine Finger. »Und deswegen nimmst du sie nicht als selbstverständlich hin. Ich werde versuchen, dich als Vorbild zu nehmen. Auch wenn ich sicher nicht so viel mit meinem General kuscheln werde.«

»Ich kuschle nicht mit Yahriel«, beharrte sie eisern. »Ich kümmere mich nur um ihn.«

»Er ist«, ergänzte sie, »eine einsame Seele, wie ich es lange Zeit war. Ohne meine Berührungen … hätte er sich längst in der Einsamkeit verloren.«

DREI

Akemi war ein Wesen, das man wohl als einzigartig bezeichnen könnte. Sie war die Tochter eines reinblütigen Vampirs, einem Urahnen, und einer Yokai, die der Enenra-Sippe entstammte. Bei ihr war allerdings nur die vampirische Seite ausgeprägt, was sie in ihrer Kindheit sehr mitgenommen hatte.

Kagemi, ihre Mutter, hatte ihr nie sonderlich viel Beachtung geschenkt, womit sie klargekommen war, schließlich hatte sie zwei Brüder gehabt, denen sie sich immer sehr verbunden gefühlt hatte. Auch wenn sie sich die meiste Zeit über gestritten hatten.

Doch mittlerweile sah ihre Familiensituation ganz anders aus. Ihre Eltern hatten angefangen, über ihre Vergangenheit zu sprechen, wie sie von der Hölle manipuliert worden waren. Die beiden waren zwar immer noch etwas verschlossen – das würde sich wohl nie ändern –, aber sie zeigten ihre Gefühle nun offener, waren nun öfter zuhause und kümmerten sich mehr um ihre Kinder. Die zwar nun schon erwachsen waren, aber sie und Takeshi lebten immer noch im Anwesen.

Takeshi nun nicht mehr alleine, sondern mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter, die liebend gerne auf Erkundungstour ging, wenn ihre Eltern sie kurz nicht im Blick hatten. Akemi war nie ein Kinderfreund gewesen, ihre Nichte liebte sie jedoch über alles. Wie konnte man diesen kleinen Halbengel auch nicht lieben?

Auch ihre anderen Geschwister, die nun zu Erzengeln aufgestiegen waren, waren glücklich verliebt und machten ihr eigenes Ding. Das Leben hatte sich verändert, jedes Leben, nur Akemis nicht. Sie hatte nun zwei gute Freundinnen gefunden, Aristeia und Kurumi, mit denen sie hin und wieder durch die Städte zog, aber Aristeia war zunehmend mit ihren Aufgaben als Abaddons Stellvertreterin beschäftigt und Kurumi war ein Sukkubus. Und was Sukkuben den ganzen Tag so trieben, konnte man sich wohl denken.

Deswegen war Akemi meistens alleine, wenn sie nicht mit Shekinah spielte oder beim gemeinsamen Abendessen zugegen war. Nun langweilte sie sich auch wieder, deswegen beschloss sie, Aristeia zu suchen. Sie wusste nie so genau, wo sich der Leviathan gerade herumtrieb, deshalb versuchte sie es in dem kleinen Dorf, in dem sie sich zusammen mit den abtrünnigen Engeln niedergelassen hatte.

Akemi hatte ihr angeboten, doch im Anwesen zu bleiben – ihr Gesellschaft zu leisten –, aber die Dämonin hatte abgelehnt. Mit der Begründung, in einem Haus voller Vampire würde sie niemals ein Auge zu machen. Akemi verstand diese Abneigung nicht, hatte nie verstanden, warum Dämonen und Vampire so zerstritten waren. Vielleicht lag es daran, dass sie eine Hybridin war. Eine Hybridin, die nie so bezeichnet wurde, weil sie keine dämonischen Fähigkeiten besaß.

Aber in ihrem Blut konnte sie es spüren, die Dunkelheit, die ein Teil von ihr war. Die Dunkelheit, die es bis jetzt aber nicht geschafft hatte, nach draußen zu gelangen. Möglicherweise würde sie das niemals, Akemi hatte sich damit abgefunden.

Das Dorf war verlassen. Auf dem ersten Blick zumindest. Es war mitten in der Nacht, Außenstehende würden wohl vermuten, die Bewohner ruhten in ihren Häusern, aber Akemi wusste es besser. Falls Engel so etwas wie einen normalen Schlafrhythmus besaßen, besaßen diese Engel ihn jedenfalls nicht. Denn kaum kam sie in die Nähe des Sportplatzes, der nun als Trainingslager diente, hörte sie bereits Stimmen, Stöhnen und Schreie, Metall, das auf Metall traf, und Leute, die zu Boden geworfen wurden.

Sie war erst wenige Male hier gewesen, mit den Engeln hatte sie so gut wie noch keinen Kontakt gehabt. Zum einen aus reinem Selbsterhaltungstrieb, wer konnte es ihr verübeln? Zum anderen aber auch, weil sie fest davon überzeugt gewesen war, ihre Erzengel-Geschwister würden so schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht waren. Immerhin waren sie die letzten fünfzig Jahre kaum in Japan gewesen und Akemi sah nicht ein, ihre Energie für etwas – oder jemanden – zu verschwenden, der sowieso bald wieder weg war.

Aber die Engel waren geblieben und so musste Akemi sich langsam mit ihren neuen Nachbarn arrangieren. Das Gelände wurde von einem etwa zwei Meter hohem Maschendrahtzaun abgesperrt, das Tor war allerdings nur angelehnt. Kein Unbefugter wäre so dumm, diesen Platz zu betreten, die Engel standen in Paaren oder kleinen Gruppen zusammen und machten ihre Übungen. Aber kaum schlüpfte sie durch das Tor hindurch, wurde es still.

Dutzende Augenpaare starrten sie an, als wäre sie ein Alien oder sowas Ähnliches. Die Männer und Frauen trugen enganliegende Kleidung, die keinerlei Angriffsfläche boten und die meisten waren bewaffnet. Alle waren gut trainiert, waren schlank und muskulös, der eine war schöner als der andere und nun verstand Akemi auch, warum die Menschen den Engeln so viele Legenden und Geschichten widmeten. Sie spielten wahrlich in einer ganz anderen Liga.

Und obwohl sie allesamt unbegreiflich schön und anmutig waren, zog doch nur ein ganz bestimmter Mann ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der nun direkt auf sie zukam.

Graublaue Augen versenkten sich in ihren, Augen, die sie vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen hatten. Yahriel war etwa einen Meter fünfundachtzig groß, breit gebaut, unter seiner olivfarbenen Haut zeichnete sich seine jahrelange Kampferfahrung ab. Seine Haare waren von dunklem Karamell, er hatte sie zur Seite gekämmt, aber vom Training waren sie von Schweiß getränkt und hingen in kleinen Strähnen in sein Gesicht. Seine Flügel hatte sie noch nicht gesehen, aber so wie alles an diesem Mann waren sie sicher mittel- bis dunkelbraun. Ja, ganz sicher, alles andere würde nicht zu ihm passen.

»Kann ich Euch helfen?«, fragte der Krieger im perfekten Japanisch. Es war gar nicht vorzustellen, dass er bis vor acht Wochen das Land noch nicht einmal betreten hatte.

»Ich suche Aristeia«, sagte sie und versuchte, möglichst gleichgültig zu klingen. »Ist sie hier?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid.«

»Weißt du, wo ich sie finden kann?« Es ging ihr leicht über die Zunge, ihn so vertraut anzusprechen. Wahrscheinlich, weil die Engel sich untereinander auch alle duzten, außer natürlich ihren Erzengel.

»Sie hatte eine Verabredung mit Abaddon, danach wollte sie sich um die anderen kümmern.« Mit den anderen meinte er sicher die gefallenen Engel, die sich Abaddon angeschlossen hatten. Sie hatten eine ganz eigenartige Ausstrahlung, deswegen war ihr auch sofort aufgefallen, dass sie sich nicht auf diesem Sportplatz befanden. Hier trainierten ausschließlich Azraels Krieger, die Himmlischen.

»Ach so.« Der Blick, mit dem Yahriel sie musterte, verunsicherte sie. Es war noch nie vorgekommen, dass ein Mann sie verunsicherte!