StoryWorld (Band 1) - Amulett der Tausend Wasser - Sabrina J. Kirschner - E-Book

StoryWorld (Band 1) - Amulett der Tausend Wasser E-Book

Sabrina J. Kirschner

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Beschreibung

Eine nebelverhangene Insel. Sieben fantastische Themenwelten. Grenzenlose Abenteuer und echte magische Wesen – willkommen in StoryWorld, dem Erlebnispark der Extraklasse! Ausgerechnet die Rivalinnen Sascha und Chloe gewinnen eine Reise in den brandneuen Erlebnispark StoryWorld. Dort gilt es, aus allerlei blütenweißen Büchern eines auszuwählen und so die Themenwelt zu bestimmen. Nur wenn die Mädchen ihr Abenteuer bestehen, füllen sich die unbeschriebenen Seiten. Sascha und Chloe wählen das Reich der Tausend Wasser. Sie schwimmen mit Nixen durch paradiesische Lagunen, suchen ein mächtiges Amulett und fordern den gefährlichen Meerdrachen heraus. Doch welches dunkle Geheimnis verbirgt sich hinter den rätselhaften Nebelschwaden? In StoryWorld, dem Land der Geschichten, ist nichts, wie es zunächst scheint … Der Auftakt einer mitreißenden Abenteuerreihe Ein außergewöhnlicher Freizeitpark mit fantastischen Themenwelten und magischen Wesen: In dieser actionreichen Kinderbuchreihe tauchen Kinder ab 9 Jahren in eine Welt voller dunkler Geheimnisse und Magie ein. Sie begleiten die Protagonistinnen auf einer spannenden Quest, treffen auf einen gefährlichen Wasserdrachen, faszinierende Meerjungfrauen und begeben sich auf die Suche nach einem geheimnisvollen Amulett. Die Geschichte ist eine Hommage an das Lesen und die Fantasie, unterhaltsam und humorvoll erzählt von Bestseller-Autorin Sabrina J. Kirschner. Mit opulenten Schwarz-Weiß-Illustrationen von Melanie Korte. Der Titel ist auf Antolin gelistet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 208

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Ähnliche


I

NHALT

Prolog

Magie liegt in der Luft

Ein unheimlicher Gast

Die Preisverleihung

Es geht auf die Reise

Das Tor des Zwielichts

Die Insel Neblund

Unbeschriebene Seiten

Raum für alles Mögliche

Das Reich der Tausend Wasser

Eine eigene Geschichte

Das Konzert der Wellen

Stromabwärts

Das Geheimnis des Nebels

Der verborgene Strand

Eine Tasche voller Schätze

Unterwasser-Wunderwelt

Gefangen im Land der Geschichten

Die Funkelgrotte des Meerdrachen

Das Amulett der Tausend Wasser

Die Macht des Meeres

Wellentanz im Hexenkessel

Die Tentakel des Nebelmachers

Epilog

Die großartigsten Geschichten lesen wir nicht einfach nur – wir leben sie.

Für

P

ROLOG

Der Nebel war undurchdringlich – eine Wand aus weißem Rauch. Kalt und hart umgab er die Insel, verschluckte jedes Geräusch: das unruhige Schlagen der Wellen, das schrille Kreischen der Vögel und die schweren Schritte des Mannes auf dem Anlegesteg.

Sein schwarzer langer Mantel schleifte über die morschen Bretter und hinterließ eine schmierige Spur. Von seinen polierten Schuhkappen perlte die Feuchtigkeit.

Er erweckte den Anschein, vollkommen allein zu sein.

Am Ende des Stegs, inmitten der weißen Dunstschwaden, blieb der Mann stehen. Langsam hob er den Kopf. Suchend. Abwartend.

Die Kapuze rutschte herunter und gab den Blick auf seine Augen preis. Ausdruckslos wie tote dunkle Kreise starrten sie hinaus aufs Meer.

Plötzlich kam Bewegung in den Nebel hinter dem Mann. Ein Schatten verzerrte ihn. »Willkommen – willkommen in StoryWorld! Der geheimnisumwobenen Welt der Geschichten. In einer Welt aus Gefahr und Magie. Zauberei und Wirklichkeit. Fantasie und Traum!«, ertönte es aus der Stille. Einen Moment waberten die Schwaden, um schließlich die Umrisse eines Jungen preiszugeben. »Na, was meinst du? Könnte die Begrüßung so funktionieren? Oder doch weniger dick auftragen?«

»Henry! Wie schön von dir, uns mit deiner Anwesenheit zu beehren!«, murmelte der Mann, ohne den Blick vom Meer zu nehmen.

Der Junge grinste. »Uns? Noch scheint mir außer dir, lieber Zelpetin, niemand hier zu sein.« Henry war ebenfalls in Schwarz gekleidet. Allerdings weit weniger absonderlich, in dunklen Jeans und Lederjacke. »Nichtsdestotrotz werde ich mir diesen historischen Moment natürlich auf keinen Fall entgehen lassen!«, tönte er großspurig. »Das erste fantastische Abenteuer. Der große Zoran Zelpetin in der Rolle seines Lebens! Ich bin so furchtbar aufgeregt, ich könnte glatt …«

Ein markerschütterndes Brüllen unterbrach den Jungen.

Henry taumelte ein paar Schritte rückwärts.

Zelpetin lachte. »Besser, du hütest in Zukunft deine große Klappe, mein Junge.«

»Wohl wahr!«, kommentierte Henry mit dünner Stimme.

Das Wasser begann zu brodeln. Eine Welle rollte heran und schwappte über die Planken. Selbst durch den Nebel sah man grelle Blitze am Himmel zucken. Noch waren sie weit draußen auf dem Meer. Statt Donnergrollen folgte ein unfassbar lautes Röhren. Holz ächzte. Etwas zerbarst. Stille.

Zelpetin und der Junge starrten mit angehaltenem Atem in die Nebelschwaden. Einen Augenblick, zwei. Dann begann der Steg zu beben.

»Was zum Teufel!« Henry stolperte abermals rückwärts.

Wusch!

Etwas durchbrach den dichten Nebel, schoss haarscharf an ihm vorbei.

Ein Gegenstand krachte schwungvoll hinter Zelpetin und Henry auf den Steg. Letzterer warf sich erschrocken zu Boden, hob die Hände schützend über sich. Mit weit aufgerissenen Augen sah er zu dem zerschellten Flugobjekt: ein Holzpfahl.

Im gleichen Moment sackte der Steg auf der einen Seite ächzend ins Meer. Der Junge konnte sich gerade noch retten. Er rollte zur Seite und sprang zurück auf die Füße.

Zelpetin beugte sich gelassen über den ausgerissenen Holzpfosten. »So ein Ärgernis …«

Henry rümpfte die Nase. »Sieht aus, als hätte jemand einen Teil unserer Anlegegestelle zum Abendessen verspeist.«

Ein schleimiges Röcheln erklang vom Meer. Wasser schwappte auf den Steg. Zelpetin richtete sich kerzengerade auf und wandte sich wieder konzentriert dem Meer zu. »Du wirst lernen, besser auf mich zu hören.« Während er sprach, teilte sich die Nebelwand. Eine riesenhafte Gestalt senkte sich bedrohlich über seinen Kopf, schimmerte gelblich im Dunst und entblößte einen spitzen Reißzahn. Zelpetin zuckte mit keiner Wimper. Auch nicht, als ein fetter grüner Sabberklumpen auf dem Saum seines Umhangs landete und ein weiteres Holzteil folgte. Krachend schlug es auf den Steg.

Zelpetins Blick ruhte auf dem ausgerissenen Brett – was vormalig das Schild der Anlegestelle gewesen sein musste, denn der Name der Insel war noch immer darauf zu lesen. Neblund.

»Das wird leider unangenehme Konsequenzen haben«, sinnierte Zelpetin. »Ein gefundenes Fressen für all jene, die bereits seit Monaten mit Argwohn verfolgen, was ich auf dieser Insel erschaffe.«

Henry stieß den Atem aus. »Ich freue mich schon auf die Schlagzeile: Hauptattraktion zerstört geheimnisvollen Themenpark noch vor der Eröffnung.«

Eine leichte Brise kam auf und für einen Augenblick enthüllte der Nebel den schuppigen gelben Körper im Meer. Ein dumpfes Grollen breitete sich von ihm aus, die Wasseroberfläche kräuselte sich und die Reste des Anlegestegs erzitterten.

Fast klang es wie ein Lachen.

»Bilde dir bloß nicht ein, dies ändere irgendetwas.« Zelpetins Augen glitzerten gefährlich. »Früher oder später wird der Park öffnen und dann erwarte ich, dass du dich fügst … ansonsten steht es dir frei, von hier zu verschwinden und zu begreifen, dass die Welt jenseits von Neblund weit größere Gefahren birgt als fantastische Monster im Verborgenen. Lass es mich nur wissen.«

Da kam Bewegung in die schuppige Gestalt, ihre gelben Fänge zuckten unkontrolliert nach vorn.

Doch Zelpetin war schnell. Blitzartig griff er in die Tasche seines Mantels und holte einen kleinen Gegenstand an einer Kette hervor. Dieser leuchtete in einem schwachen Meeresgrün. »Ist es das, was du willst? Du kannst es haben …«

Mit ausgestreckter Hand ging er noch einen Schritt näher auf das Wesen zu. Der gelbe Körper berührte nun fast Zelpetins Fingerspitzen. Der Gegenstand baumelte von seiner Handfläche herab.

»Nimm es und bewache es gut. Es ist dein! Aber ich hoffe, die Fehler der Vergangenheit sind dir eine Lehre und du wirst niemals wieder eine Menschenseele heranlassen.«

Ein Zischen folgte, grüner Schleim traf Zelpetins Hand und seinen Arm.

»Es wird die Insel nicht verlassen, haben wir uns verstanden?«

Wieder fauchte und spuckte das Wesen im Nebel.

Zelpetin lächelte, dabei ließ er die Kette kreisen. »Sehr schön.«

Eine Bewegung durchschnitt die Luft – so schnell, dass sie kaum sichtbar war – und der Gegenstand aus Zelpetins Hand war verschwunden.

Stattdessen überzog eine Glibberschicht seinen Unterarm. Langsam schüttelte er sie ab. »Alter Schleimer …«, presste er schmunzelnd hervor. »Das wird meinen Besuchern gefallen.«

Er wandte sich um. »Womit wir schon beim Thema wären: Wir brauchen Besucher, willige Versuchskaninchen sozusagen …«

Henry rappelte sich auf. »Klar, Versuchskaninchen, klingt gut. Allerdings, wenn ich mir erlauben darf, es anzumerken, wird es schwierig, dieses … ähm …« Er beäugte den zertrümmerten Steg. »… unglückliche Ereignis lange geheim zu halten.«

Zelpetin faltete die Hände und blickte nachdenklich auf einen Ring an seinem kleinen Finger, den ein Falkenkopf zierte. »Das lass meine Sorge sein. Du kümmerst dich um die Gäste. Ein Team aus zwei sollte für den Anfang genügen.«

»Ähm, okay Chef, ich eile.« Mit großen Schritten umrundete der Junge die verschleimten Teile des zertrümmerten Anlegestegs und verschwand.

Zelpetin sah hinaus in die undurchdringlichen Schwaden. Er lächelte, während der Nebel langsam an ihm emporkroch. »Das wird ein Abenteuer, ein richtig echtes, wie es sich ein jeder erträumt und kaum einer erlebt.« Zelpetins Konturen verschwammen zunehmend im Dunst und der schrille Schrei eines Vogels ertönte.

M

AGIE

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UFT

Alles begann damit, dass Frodo, der Wellensittich, auf einmal sprechen konnte. Nicht, dass dies so ungewöhnlich gewesen wäre. Schließlich konnte der eine oder andere Vogel quasseln, was das Zeug hielt, aber eben nicht Frodo. Denn Frodo war anders.

Sascha, das Mädchen, dem er gehörte, hielt ihn für den schlausten Wellensittich der Welt. Er konnte besser zuhören als jede Großmutter, war tröstender als jede Freundin und hatte die weisesten schwarzen Kulleraugen weit und breit. Darum war es ihrer Meinung nach auch umso seltsamer, dass ausgerechnet Frodo kein Wort sprach!

Bis zu diesem denkwürdigen Tag, an dem Sascha den besten-schlechtesten Schultag ihres Lebens erleben sollte.

Es geschah im Speisesaal, auf dem Weg zur Preisverleihung des großen alljährlichen Lesewettbewerbs.

Sascha hatte bis spät in die Nacht hinein gelesen, um auch das letzte Buch auf ihrer Liste abzuhaken, denn sie wollte diesen Wettbewerb gewinnen. Nein, sie musste unbedingt gewinnen!

Ihre braunen Krauselocken fielen ihr wirr ins Gesicht, sie hatte tiefe Augenringe hinter der Brille und überhaupt hatte ihr der Blick in den Spiegel ihres winzigen Internatszimmers verraten, wie irre sie an diesem Morgen aussah. Also irre … schrecklich.

Schwankend bahnte sie sich einen Weg zwischen den Tischreihen hindurch.

Der Speisesaal der St.Anna-Akademie für Mädchen war eine dieser öffentlichen Räumlichkeiten, die dringend einer Renovierung bedurft hätten. Nur leider fehlte das Geld dafür. Die Decken waren aus grauem Plastik, die Böden ebenso und die Tische aus etwas Metallischem.

Eine Privatschule hatte Sascha sich eindeutig anders vorgestellt. Nicht, dass sie schon in so vielen gewesen wäre! Gott bewahre. Sie war schon an diese Schule überhaupt nur wegen eines Stipendiums gekommen, was ihr die guten Noten zum Schulwechsel hin ermöglicht hatten.

Ächzend legte Sascha ihren Stapel Romane auf einem der freien Tische ab. »Klitzekleine Pause, Frodo, gleich geht’s weiter!«, flüsterte sie keuchend, wobei sie sich vollkommen erledigt auf den riesigen Bücherstapel stützte.

Dafür, dass es schon kurz vor Mittag war, befanden sich nur sehr wenige Schülerinnen im Saal, in dem es nach Gemüsesuppe und Spülmittel roch. Vielleicht lag’s ja daran?! Sascha würgte ein bisschen.

Frodo bahnte sich seinen Weg aus Saschas Lockengestrüpp hinaus und flog zur nächsten Stuhllehne.

Sascha schaute sich verstohlen um. »Hey, jetzt halt mal die Flügel still! Das war nicht die Abmachung!« Haustiere waren ausschließlich auf den Zimmern des Mädcheninternats erlaubt, doch Frodo war so klein und Saschas Wallemähne so groß, dass es niemandem auffiel, wenn der Vogel in ihren Locken als blinder Passagier durch die Schulflure reiste. Flatterte er jedoch wild durch die Gegend, sah das etwas anders aus.

»Ne, Frodo! Wenn du erwischt wirst, bekommst du gar nicht mit, wie ich meinen Preis kriege«, erklärte Sascha ihrem Wellensittich panisch – leider musste sie am Ende herzhaft gähnen, was ihre Worte nicht gerade unterstrich. »Oder wenn ich ihn verschlafe – dann bekommst du’s natürlich genauso wenig mit.« Sie war so müde!

Frodo legte das Köpfchen schief und schaute tief in Saschas braune Augen. Gerade so, als wollte er sagen: »Selbst schuld.«

Aber wie bereits erwähnt: Frodo sprach ja nicht.

Stattdessen zog er an dem roten Lesebändchen herum, das aus einem der Bücher hing.

Das Buch bewegte sich von der Tischplatte und fiel zu Boden.

»Hey, du Strolch!«, tadelte Sascha ihren Wellensittich mit einem Lächeln, während sie sich hinkniete, um den Schmöker aufzuheben.

Gerade als sie den Kopf wieder heben wollte, schob sich ein glänzender Lackschuh in ihr Blickfeld.

»So nötig hast du’s also schon?«, kicherte eine viel zu hohe Mädchenstimme. »So ein kleiner Stapel Bücher und selbst dafür musst du die Nacht zum Tag machen?«

Sascha richtete sich seufzend auf. »Ich glaube nicht, dass du mehr gelesen hast als ich, Chloe. Dieses Jahr nicht! In diesem Jahr gewinnt jemand anderes. Und zwar ich.« Herausfordernd blies sie sich eine verstrubbelte Locke aus der Stirn und musterte ihre Mitschülerin abschätzend. »Mit so viel … ähm … Schminkkram würde man meine Augenringe auch nicht sehen.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und baute sich breitbeinig vor Chloe auf.

Das blonde Mädchen war zwar um einiges größer als Sascha, doch einschüchternd wirkte sie nicht – mit ihrem feinen Kleidchen, den Lackschuhen und der überdimensionalen Handtasche.

Sascha war kein bisschen überrascht, Chloe im Speisesaal zu treffen. Schließlich war sie die unangefochtene Siegerin des Lesewettbewerbs! Seit vier Jahren. Die Lehrer liebten sie, die Schülerinnen verehrten sie und die Konkurrenz – die jährlich aus nah und fern extra zum Wettbewerb anreiste – fürchtete sie.

Sascha allerdings konnte Chloe nicht ausstehen, denn Chloe hatte ihr das Leben an der St.Anna-Akademie zur Hölle gemacht. Selbst ihre gemeinsame Leidenschaft für Bücher machte das nicht wett.

Während Chloe sich vor Möchtegern-Freundinnen und Bewunderern nicht retten konnte, war Sascha eine unbeachtete Einzelgängerin. Selbst die Lehrer – anfänglich noch beeindruckt von Saschas guten Noten – interessierten sich mittlerweile kaum noch für sie. Ihr Novitätsfaktor war abgelaufen.

Aber all das würde sich bald ändern – noch heute!

Chloe lachte heiser. »Make-up nennt man das, hast du keinen Duden?«

Ohne auf Saschas Antwort zu warten, wurde sie von jetzt auf gleich ernst. »Wie viele?«, stellte sie die alles entscheidende Frage.

Sascha straffte ihre Schultern. »Dreiundzwanzig.«

Chloe erbleichte, was ihre blauen Babyaugen noch größer wirken ließ. Aus ihrer Riesenhandtasche quiekte es.

Sascha schnaubte. Sie war also nicht die Einzige, die mal wieder etwas Verbotenes mit sich herumtrug. Mit einem Unterschied: Weil Chloe den Lesewettbewerb ständig gewann und überhaupt in allem die Beste war, drückte die Schulleiterin bei ihr gern mal ein Auge zu. Das Privileg einer Siegerin, pflegte die Direktorin stets zu sagen, wenn andere Mädchen ihre Haustiere frei herumlaufen ließen und deshalb einen Tadel kassierten.

Frodo fixierte die Tasche, zuckte nervös mit den Flügeln und flatterte dann, so schnell er konnte, zurück in Saschas Haarnest.

Chloe tat, als hätte sie ihn nicht gesehen. Vielleicht hatte sie das auch gar nicht, denn was Chloe als Nächstes sagte, ließ Sascha jubilieren.

»Ich habe zweiundzwanzig gelesen!«, hauchte sie atemlos. »Zwei mehr als im Vorjahr.«

Saschas Gedanken überschlugen sich. Okay. Tief Luft holen! Das hieß ja dann, das hieß …

»Es kann nur eine Gewinnerin geben!«, stotterte Chloe. »Und die eine bin ich! Ich bin es, die auf die Titelseite des Schülermagazins kommt, die den Büchergutschein im Wert von zweihundert Euro gewinnt und den unfassbaren Hauptpreis – die Reise nach …«

»Nichts wie weg hier!«, krähte es in diesem Moment durch den Saal. »Hilfe! Hilfe!«

Die Mädchen zuckten erschrocken zusammen und auch einige der Schülerinnen beim Mittagessen hoben die Köpfe.

Noch einmal kreischte es. »Hiiiilfe!«

Saschas rechtes Ohr schmerzte. Es schien fast, als würde der Hilfesuchende direkt in ihr Ohr hineinbrüllen.

Chloe trat näher zu ihr. »Kannst du bauchreden oder so was?«

»Hiiiilfe!«

Sascha fuhr zusammen und Chloe stolperte entsetzt zur Seite.

»Das kommt aus deinen Haaren!«, stellte Chloe verwundert fest.

»Keine Witze über meine Haare …«, knurrte Sascha.

»Ne, ich meine das ernst. Ich glaub, das war dein Vogel.«

Sascha wurde wütend. Also hatte Chloe Frodo doch bemerkt!

Ein paar der Mädchen in ihrer Nähe begannen zu kichern, andere wiederum sahen sich verstört um.

»Aaaaah!«, kreischte der Hilfesuchende jetzt in Maximallautstärke. »Er kooommt!« Es gab keinen Zweifel mehr: Die Stimme kam tatsächlich aus Saschas Lockenkopf! Und Sascha tat das, was ihr als Erstes in den Sinn kam: Hastig fuhr sie sich durch die Haare, schleuderte ihre Mähne über den Kopf und begann sich wie wild zu schütteln.

Wie ein Torpedo schoss Frodo daraus hervor.

»Hiiilfe! Er kommt!«, kreischte er noch einmal, vollführte mehrere Loopings und landete schließlich direkt in Chloes halb offener Handtasche.

Die ließ ihre Tasche entsetzt fallen, wobei sich der gesamte Inhalt auf dem Plastikboden verteilte. Stifte, Hefte, Bücher, Kaugummis, Schminksachen und ein hellbraunes Fellknäuel mit rosaroten Tupfen rollten über den Boden.

Frodo schrie noch lauter, als er mit dem braun-rosa Knäuel unter den nächsten Tisch geschleudert wurde.

»Wuff!«, bellte das Knäuel, wobei Bellen übertrieben war. Eher klang es wie der Schrei eines heiseren Meerschweinchens. Denn das Fellknäuel – Chloes kleine Hündin – hätte genauso gut ein Meerschweinchen sein können oder eine Ratte oder ein Hamster. Viel größer war sie nämlich nicht.

Das Tierspektakel zog die ersten neugierigen Zuschauerinnen an, immer mehr Mädchen drehten ihre Köpfe.

Sascha hechtete panisch hinter ihrem Vogel her. »Frodo, warte, ich helfe dir … ich …« Aber in ihrer Hektik stieß sie gegen den Tisch, fiel zu Boden und brachte den Bücherstapel darauf gefährlich ins Wanken.

Chloe, die auf allen vieren neben ihr krabbelte, bekam als Erste einen der dicken Romane auf den Schädel. Der nächste traf Sascha. Die spitze Kante des Buches grub sich ihr in die Stirn.

»Uhhh! Das gibt einen blauen Fleck!«, heulte Chloe und rieb sich die schmerzende Stelle. Eine kleine Beule prangte wie ein Hörnchen auf ihrem Kopf. Ein blaues Hörnchen.

»Die Farbe ist das geringste Problem.« Sascha musste lachen und stieß sich die Stirn dabei noch einmal an der Unterseite des Tisches. »Autsch!«

»Hilfe!«, kreischte Frodo in einem fort. »Er kommt!«

Das Chaos war perfekt und somit bemerkte niemand, wie sich eine unnatürliche Stille über den Speisesaal legte. Zuerst verstummten die Mädchen, die am nächsten zur Tür saßen.

»Dein Vogel will meine Pearl fressen!«, heulte Chloe. Sie versuchte noch immer, das braun-rosa Fellbündel in die Hände zu bekommen. Aber die Hündin im rosa Mäntelchen war so aufgeregt, dass sie sich wie ein Kreisel drehte.

»So ein Quatsch! Frodo hat Angst vor deinem ollen Fiffi!« Endlich gelang es Sascha, ihren Wellensittich in die Finger zu bekommen. Behutsam schloss sie die Hände um Frodo und drückte ihn an ihre Brust. Doch statt still zu halten, wand er sich panisch.

»Haut ab! Er kommt!«, kreischte der Vogel, jetzt aber deutlich leiser.

Diesmal hatte Sascha ihn dabei genau beobachten können.

»Du sprichst!«, murmelte sie überflüssigerweise. »Du … du … du sprichst! Aber wie kann das sein, Moment, du …«

Mehr brachte sie nicht heraus, denn die unheimliche Stille hatte sich nun bis zu dem Tisch ausgebreitet, unter dem Chloe und Sascha noch immer hockten.

Chloes Hundedame Pearl entfuhr ein letztes heiseres Winseln, dann verstummte auch sie und verkroch sich in einer Falte von Chloes Kleid.

Sascha wollte etwas sagen, wollte wissen, warum Frodo auf einmal schreien konnte, und noch dazu um Hilfe. Aber sie brachte kein einziges Wort hervor.

Chloe schien es ähnlich zu gehen, denn sie hatte auf einmal etwas von einer Schaufensterpuppe mit Schnappatmung.

Sascha schluckte. Was auch immer die Stille hervorgerufen hatte, es musste sich in unmittelbarer Nähe befinden.

Langsam spähte sie unter dem Tisch hervor.

E

IN

UNHEIMLICHER

G

AST

Die Flügeltüren zum Speisesaal schwangen auf. Ein kalter Luftzug strömte in den Saal. Es wurde merklich dunkler.

Sascha blinzelte – unsicher, was sie davon halten sollte. War das bloß eine Wolke vor dem Fenster, ein Gewitter, das im Anflug war? Oder bildete sie sich das alles nur ein? Vielleicht hätte sie früher schlafen gehen sollen.

Chloe hatte das Gesicht gegen ihre Knie gepresst und rührte sich nicht mehr.

Sascha sah aus dem Fenster. Nein, der Himmel hatte sich nicht verändert. Hellgrau hingen die Wolken am Mittagshimmel.

Mittlerweile war es so mucksmäuschenstill im Saal, dass Sascha Schritte vom Flur vernahm.

Klack! Klack! Klack!

Plötzlich verstummten die Schritte im Gang. Dieser Jemand war stehen geblieben. Das Licht umspielte ihn von hinten und hüllte sein Gesicht in Dunkelheit.

Saschas Herz klopfte schneller. Schatten tanzten um die Gestalt herum und tauchten den Eingang des Saals in Finsternis.

Sascha blinzelte hektisch, rückte ihre Brille zurecht. Konnte das sein, war so etwas überhaupt möglich?

In diesem Moment betrat dieser Jemand den Saal.

Saschas Nackenhaare standen zu Berge und für eine Sekunde schloss sie die Augen. Frodo verhielt sich ähnlich, denn sie spürte, wie sein kleiner Körper tiefer in ihre Haarmähne eintauchte.

Chloe schnappte nach Luft. »Das ist nur ein Junge …«

Sascha riss die Augen auf. Sie musterte den Jungen in der Flügeltür, erst mit Unbehagen, dann mit zunehmendem Staunen. Nur ein Junge war eindeutig nicht der richtige Ausdruck. Etwas an seinem Erscheinungsbild und an dem merkwürdigen Auftreten passte nicht zusammen. Zwar war die Dunkelheit um ihn herum verschwunden, doch das beklemmende Gefühl in Saschas Brust blieb. Noch immer verspürte sie eine Gänsehaut, die nicht verschwinden wollte. Dabei war der Junge alles andere als gruselig anzusehen. Im Gegenteil – hätte sie sich für Jungs interessiert, hätte sie ihn vielleicht regelrecht hübsch gefunden. Jedenfalls hübscher als alle Jungs, die sie sonst so kannte. Er hatte dunkelbraune, fast schwarze Haare, die ihm strubbelig in die Augen fielen. Während Saschas Blick von seinem Gesicht über seine dunkle Jacke und die dunkelgraue Jeans bis zu seinen ledernen Stiefeln wanderte, verstärkte sich ihr merkwürdiges Bauchgefühl.

Ihr Atem ging ungleichmäßig, genau wie Chloes. Laut und schwer.

Und da passierte es: Der Junge hob den Arm und ein Schatten tauchte hinter ihm im Gang auf.

Der Schatten wurde immer schneller und größer.

Flügel schlugen.

Luft geriet in Bewegung.

Frodo fing an, wie verrückt zu zittern. Pearl jaulte.

Chloe kreischte erschrocken auf, als der Schatten mit weiten Schwingen in den Raum glitt, eine Runde über die Tische drehte, um schließlich mühelos auf dem Arm des Jungen zu landen.

»Ein Falke?« Sascha traute ihren Augen kaum.

Allein die Tatsache, dass sich dieser riesige Vogel vollkommen frei im Speisesaal bewegte, war höchst seltsam. Da wandte sich der Falke ihr zu und Sascha erhaschte einen Blick auf seine Augen. Sie waren schwarz. Tiefschwarz. Aber vor allem schienen sie … menschlich zu sein.

Sascha blinzelte hektisch. »Hast du das gesehen!?« Sie packte Chloe am Arm. »Die Augen, dieser Vogel …«

Das war ein Fehler! Denn nun erwachte ihre Mitschülerin aus ihrer Starre und begann panisch, sich aufzurappeln. »Ich … ich weiß nicht … das ist …« Den Tisch über ihren Köpfen hatten die beiden Mädchen dabei vollkommen vergessen. Mit lautem Poltern kippte er um, Bücher flogen. Chloe schwankte. Das Gesicht vor Schmerz verzerrt, geriet sie ins Taumeln und sank zurück auf den Boden. »Oh, so ein verdammter …«

Sascha sprang ebenfalls auf, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich der fremde Junge in Bewegung setzte, den Falken noch immer auf seinem Arm. Er kam auf Chloe zu.

»Alles klar bei dir?«, fragte er mit dunkler Stimme – sie ließ ihn um einiges älter wirken, als er aussah. Auch der Blick, mit dem er sie musterte, war cool und abgeklärt.

Wer zum Teufel war dieser Kerl? Als hätte sie sich verbrannt, wich Sascha zurück. Der Junge ließ den Falken mit einer fließenden Bewegung in die Luft fliegen. »Das sah schmerzhaft aus.« Höflich streckte er Chloe die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.

Aber Chloe rührte sich nicht. Der Junge lächelte sie an. »Keine Sorge, ich beiße nicht. Auch wenn ich ein Junge bin. Von denen scheint es hier ja nicht besonders viele zu geben.«

Wenn das ein Scherz sein sollte, war es ein schlechter. Sascha schnaubte. »Keine Sorge, wir wissen, was Jungs sind. Was ich allerdings nicht weiß, ist, was das für ein gruseliger Vogel ist …«, sie zeigte in die Luft, hielt dem Blick des Jungen aus seinen meerblauen Augen aber weiter stand, »… den du hier frei herumfliegen lässt. Das ist ein Speisesaal, keine Voliere. Und Tiere sind an der St.Anna grundsätzlich verboten.« Nur mühsam verkniff sie sich den Kommentar über Chloes Extrawurst-Fiffi.

Das Lächeln des Jungen wurde breiter. »Was du nicht sagst …« In dieser Sekunde schoss der Falke über die Tische hinweg, um nahezu lautlos auf der Schulter des Jungen zu landen.

Chloe rappelte sich auf und ignorierte seine ausgestreckte Hand.

Die Mädchen wichen zurück, standen eingekesselt zwischen Stühlen und dem fremden Jungen mit seinem Vogel.

Sascha fixierte den Falken. Seine mächtigen Schwingen waren schwarz gefiedert, er hatte einen gekrümmten hellorangen Schnabel und an der Brust sowie zwischen den Augen weißen Flaum.

Sie schluckte. »Das gibt’s doch nicht …«

Mit seinen schwarzen Äuglein musterte der Vogel sie interessiert. Sein Blick war aufmerksam, stechend, aber nichtsdestotrotz … waren es die Augen eines Falken.

Sascha schüttelte ungläubig den Kopf. Hatte sie sich dermaßen getäuscht?

Der Junge schmunzelte amüsiert. »Es tut mir leid, wenn Sirin euch erschreckt hat. Falken sind Raubtiere. Wenn man ihn allerdings den ganzen Tag auf der Schulter herumkutschiert, vergisst man das gern mal.«

Sascha knirschte mit den Zähnen und stieß den Atem aus. »Ich weiß, was ich gesehen habe und …«

Der Junge fiel ihr ins Wort. »Und was war das?« Neugierde schwang in seiner Stimme mit.

Wieder schaute Sascha dem Vogel tief in die Augen. Plötzlich war sie verunsichert. »Ich …« Ihre Gedanken verschwammen. Warum hatte sie ihn noch einmal gruselig gefunden? Er war doch total harmlos … nur ein Falke in einer Schule. Wen störte das schon? Sie war ja kein Kaninchen, er würde sie schon nicht fressen … Moment: Er würde sie nicht fressen?!

Was für einen Blödsinn dachte sie da gerade? Frodo zwitscherte leise in ihr Ohr. Sascha schüttelte sich und der Nebel in ihrem Kopf verzog sich.

Der Junge grinste spöttisch. »Ich bin übrigens Henry.« Er wandte sich Chloe zu – doch die brachte kein Wort heraus, was Sascha eigentlich nur recht war. Hatte ihre Mitschülerin es ebenfalls gesehen? Oder gespürt? Diesen seltsamen … Nebel im Kopf?!

Sie riss ihren Blick von dem Falken los.

Auf einmal konnte Sascha wieder klarer denken. Entschlossen presste sie hervor: »Bücher-Barbie hat es auch bemerkt.«

Henry drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen um.

»Bücher-Barbie … soso.« Er nahm eines der dicken Bücher, die zuvor heruntergefallen waren, in die Hände. »Nehmt ihr an dem heutigen Wettbewerb teil?«, fragte er beiläufig.

Sascha öffnete und schloss ihren Mund ein paarmal. Der Falke schlug unruhig mit den Flügeln – abermals kreuzten sich ihre Blicke.

Sie stutzte. Natürlich wusste sie, dass der Junge versuchte, von ihrer Frage abzulenken, doch je länger sie Henry und den Raubvogel musterte, desto unsicherer wurde sie. Ein ganz normaler Junge. Ein ganz normaler Vogel. Oder nicht? Und überhaupt, was wusste Sascha schon über sie? Als Leseratte beschränkte sich ihr Wissen wohl eher auf fiktive Begebenheiten.

Sie rückte ihre Brille zurecht.

Zum Glück schien sich Chloe so langsam wieder im Griff zu haben.