Stranded - Die Insel - Sarah Goodwin - E-Book

Stranded - Die Insel E-Book

Sarah Goodwin

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auf dieser Insel ist nicht nur die Natur mörderisch

Für Maddy wird ein Traum wahr: Sie nimmt an einem neuartigen Fernsehexperiment teil, in dem acht Fremde auf einer einsamen schottischen Insel überleben müssen, ein Jahr lang, mit nur minimaler Ausrüstung und ohne Kontakt zur Außenwelt.

18 Monate später ist Maddys Traum zum Albtraum geworden. Die Behörden greifen die junge Frau in einem Fischerdorf auf dem Festland auf. Verzweifelt berichtet sie, wie das Boot, das die Teilnehmer nach einem Jahr abholen sollte, nicht kam. Und davon, wie in den folgenden Wochen einer nach dem anderen starb, nicht durch Hunger oder Krankheit, sondern durch menschliche Hand. Doch was verschweigt Maddy? Und wie schaffte sie es, die Insel lebend zu verlassen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 514

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


INHALT

CoverInhaltÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. KapitelEpilogDanksagung

ÜBER DAS BUCH

Für Maddy wird ein Traum wahr: Sie nimmt an einem neuartigen Fernsehexperiment teil, in dem acht Fremde auf einer einsamen schottischen Insel überleben müssen, ein Jahr lang, mit nur minimaler Ausrüstung und ohne Kontakt zur Außenwelt.

18 Monate später ist Maddys Traum zum Albtraum geworden. Die Behörden greifen die junge Frau in einem Fischerdorf auf dem Festland auf. Verzweifelt berichtet sie, wie das Boot, das die Teilnehmer nach einem Jahr abholen sollte, nicht kam. Und davon, wie in den folgenden Wochen einer nach dem anderen starb, nicht durch Hunger oder Krankheit, sondern durch menschliche Hand. Doch was verschweigt Maddy? Und wie schaffte sie es, die Insel lebend zu verlassen?

ÜBER DIE AUTORIN

Sarah Goodwin ist Engländerin. Stranded – Die Insel ist ihr erstes Buch. Neben der Schreiberei liebt sie es, sich mit Büchern kritisch auseinanderzusetzen, und betreibt einen Podcast. Sie lebt im ländlichen Hertfordshire.

S A R A H  G O O D W I N

STRANDED

THRILLER

DIEINSEL

Aus dem Englischen übersetztvon Dr. Holger Hanowell

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2021 by Sarah Goodwin

Titel der englischen Originalausgabe: »Stranded«

Originalverlag: AVON, a division of HarperCollinsPublishers Ltd

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Frank Weinreich, Bochum

Umschlagmotiv: © Lyn Randle / Trevillion Images

Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7517-2845-4

luebbe.de

lesejury.de

 

Meinen Eltern,

da sie immer daran geglaubt haben,

dass mir alles gelingt. Insbesondere dann,

wenn ich anderer Meinung war.

PROLOG

Bis auf die Knochen durchgefroren, stolpere ich aus dem Boot und schaue mich um, vor mir das Dorf. Nicht Creel, sondern ein Ort, der genauso aussieht. Die Häuser scheinen wie Felsbrocken hinab in die hungrige See zu stürzen. Fischerboote und aufgeplatzte Asphaltdecken. Ich stehe da, taumele noch leicht von dem Schaukeln des Boots, das ich zurückgelassen habe. Aus Richtung der Häuser dringt kein Laut an meine Ohren, alles ist ruhig.

Obwohl ich es bis hierhergeschafft habe und so viel hinter mir liegt, lässt mich die Vorstellung erstarren, an eine der Türen zu klopfen und vor einem Fremden zu stehen. Was erwartet mich wohl in diesen Häusern? Ist dort überhaupt irgendjemand?

»Alles in Ordnung, Schätzchen?«

Ich wirbele so schnell herum, dass ich fast das Gleichgewicht verliere. Auf der Türschwelle eines der kleineren Cottages steht eine alte Frau, sie trägt ein Wollkleid und flauschige Hausschuhe. Sie sieht mich mit großen Augen an, in einer Hand hält sie ein Tragegestell für Milchflaschen; sie ist im Begriff, die Flaschen abzustellen, steht schon leicht gebeugt da.

Als ich mich der Frau zuwende, fällt ihr Blick auf den Riemen meines Gewehrs. Plötzlich lässt sie die Flaschen fallen. Sie zerspringen, Glassplitter fliegen über die steinerne Stufe vorm Eingang. Furcht gräbt sich in ihre Miene, als ich das Gewehr von der Schulter nehme und auf den Boden lege.

Ich richte mich wieder auf, schaue an mir herab, sehe meine zerrissene, verdreckte Kleidung, die mir vom dürren Körper hängt. Mühsam spreche ich durch salzverkrustete Lippen.

»Ich muss zur Polizei.«

1. KAPITEL

»Maddy?«

Ich blinzelte. Mit einem Mal machte ich mir bewusst, dass die Frage, die ich beantworten sollte, schon länger in der Luft hing. Ich rückte den Laptop auf meinen Knien zurecht und sah mein Gesicht in dem kleinen Fenster auf dem Bildschirm. Im Neonlicht der Küche verlieh mir die billige Webcam einen grünlichen Teint. Und meine Haare sahen bescheuert aus, obwohl ich sie vor dem Skypen noch gebürstet hatte. In letzter Zeit hatte ich zugenommen, daher wirkte mein Gesicht fett wie das einer Kröte. Hätte ich nicht geblinzelt, hätte man mich glatt für tot halten können.

»Sorry«, sagte ich. »Wie ich überhaupt zur Pflanzenkunde kam, hm … Nun, eigentlich über meinen Dad. Er war leidenschaftlicher Gärtner. Das war nicht sein eigentlicher Job, aber wir hatten zu Hause einen Garten – einen richtigen Gemüsegarten.« Ich fing an zu plappern und hasste mich dafür. Die Frau, die das Online-Interview mit mir durchführte, Sasha, hatte ein starres Lächeln auf den Lippen. Sie saß irgendwo in einem verglasten Büro, und ihr steifer, dunkler Blazer zeichnete sich scharf vor der weißen Wand ab.

Ich musste mich regelrecht zwingen zu atmen. »Mein Dad und meine Mutter brachten mir zu Hause alles bei. Alles, was ich über Biologie und Pflanzen weiß, habe ich von ihm gelernt. Mein Vater war immer mit seinem Garten beschäftigt.«

»Sie hatten also Privatunterricht zu Hause? Das ist ziemlich ungewöhnlich. Haben Sie je eine … traditionelle Schule besucht?«, fragte sie und umging offenbar das Wort »normal«.

Ich nagte auf meiner Unterlippe. »Hm, ja, schon. Zu Hause wurde ich erst unterrichtet, als ich elf Jahre alt war. Davor besuchte ich die Grundschule bei uns im Dorf. Nach der Zeit gingen alle auf die weiterführende Schule in der Stadt.«

Ich konnte mich noch lebhaft an meinen ersten Tag an der großen neuen Schule erinnern. Wie sie lachten über meine Brotdose mit dem Hundesticker, wie meine Spielgefährtinnen irgendwo in der Menge verschwanden und mich in dem ungewohnten, viel größeren Gewühl allein ließen, in dem wir alle steckten. Mädchen, die viel älter als ich waren und schon Lippenstift trugen, verscheuchten mich aus der Toilettenkabine, weil sie dort rauchen wollten. Auf dem Heimweg heulte ich im Auto. Zu Hause genügte meiner Mutter ein Blick, dann schloss sie mich in ihre mehlbestäubten Arme.

»Siehst du?«, hatte sie zu meinem Dad gesagt. »Habe ich es dir nicht gesagt, diese Schule ist nichts für sie.«

Es dauerte nur wenige Wochen, dann war alles arrangiert, und ich brauchte nicht mehr zur Schule zu gehen. Damals war ich froh, aber später wünschte ich, ich hätte meine Gefühle für mich behalten. Wann immer ich etwas Neues ausprobieren wollte, fort von zu Hause – Pfadfinderinnen, Ballettstunden, Reiten –, erinnerte mich meine Mutter sofort daran, was »letztes Mal« passiert sei. Mit jenem Vorfall hatte sie bei jeder Auseinandersetzung das letzte Wort.

Sasha, die blonden Haare tadellos frisiert, neigte den Kopf leicht zur Seite und runzelte die Stirn. Die Designerbrille rutschte die Nase runter. »Gab es da einen bestimmten Grund? Ich denke, unsere Zuschauer wären sehr daran interessiert, mehr über Ihre Herkunft zu erfahren.«

»Nein, keinen bestimmten Grund«, sagte ich und brachte ein Lächeln zustande. »Meinen Eltern gefiel nur einfach die Schule in unserer Nähe nicht. Da wir weit draußen auf dem Land wohnten, gab es nicht so viele Optionen.«

»Das muss schwer für Sie gewesen sein, Freunde zu finden, nicht wahr?«

Ich spürte die Fallstricke. Um ausgewählt zu werden, musste ich zumindest den Anschein erwecken, verschiedenen Vereinen anzugehören, musste mich als abenteuerlustige Optimistin präsentieren, die »offen ist für neue Erfahrungen und Ideen.« So stand es auf der Website. Ich hatte es mir gemerkt. Aber das hier war kein Gerede von Leuten, die alles Mögliche in ihrer Freizeit machen. Dies war zu nah an der Wahrheit.

»Eigentlich nicht«, sagte ich möglichst unbefangen, »es dauerte ja nicht ewig, bis ich zur Uni ging, und von da an war sowieso alles anders. Eine aufregende Zeit.«

Sie lächelte, doch ich verkrampfte innerlich. Klar, auf der Uni war tatsächlich alles anders gewesen. Ich war auf mich gestellt, und abends saß ich nicht länger gemütlich mit Mum am Kamin, ein Buch in der Hand. Keine langen Spaziergänge mehr mit Dad und den Hunden. Nur Musik und Promis, von denen ich nie etwas gehört hatte. Ich trug Klamotten, die überhaupt nicht meinem Alter entsprachen, und dachte, neun Uhr abends sei es Zeit, ins Bett zu gehen und zu lesen – also keine Shots und halsbrecherischen Spurts zur Bushaltestelle, um noch in die Stadt zu fahren.

»Sie müssen ein enges Verhältnis zu Ihrer Familie haben«, fuhr sie fort, als könnte sie meine Gedanken lesen, ganz so, als wüsste sie, dass ich an einsamen Abenden mit Mum telefoniert hatte. »Werden Sie Ihre Eltern nicht vermissen, wenn Sie fort sind?«

»Nein … Ich meine, klar werde ich sie vermissen, aber … das ist schon okay.« Ich zwang mich, keinen Blick auf die einsame Karte auf meinem Bücherregal zu werfen. Die hängende Lilie und die leicht schielende Taube auf der Karte standen wohl sinnbildlich für das tiefe Mitgefühl meines Managers und meiner Kollegen. »Auf der … äh Website steht, bei der Show geht es um das Ende der Welt – wie wird das Ende aussehen, in der Version, die Sie sich vorstellen? Bricht eine Hungersnot aus? Oder kommt es zum Krieg, und das Land wird bombardiert?«

Sasha lächelte wieder. »Das ist eine der Fragen, die ich eigentlich Ihnen stellen wollte. Wir lassen das Ende absichtlich offen, damit die Kandidaten zu Diskussionen angeregt werden. Im Augenblick geschehen so viele Dinge auf der Welt. Und jeder hat seine eigenen Theorien über das Ende der Welt. Was denken Sie, wie es aussehen wird?«

Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Wie es aussah, hatte meine Welt bereits geendet.

»Ich weiß nicht. Vielleicht … Nun, in einem meiner Vorträge geht es um die Gefahren, die von Monokulturen ausgehen. Wenn wir nur einen Pflanzentyp anbauen, diese Pflanze dann aber plötzlich einen tödlichen Befall hat und eingeht, könnte sich das verheerend auf unsere Nahrungsmittelproduktion auswirken.« Ich sah, wie sie die Augenbrauen hochzog, und wünschte, ich hätte etwas gesagt, das weniger auswendig gelernt geklungen hätte. »Aber ich denke, ich sollte es mit Zombies versuchen«, fügte ich hastig hinzu und ließ ein kleines Lachen folgen. »Ich glaube, die meisten Leute wären ziemlich enttäuscht, wenn es zu einer Apokalypse kommt, in der keine Zombies auftauchen.«

Sasha lachte, und ich atmete erleichtert auf, möglichst langsam natürlich, damit man es in der Webcam nicht sah.

»Also, was würde Sie am meisten begeistern, falls man Ihnen eine Rolle in Die Letzte Zuflucht zuteilt?«

Diesmal war meine Antwort authentisch; ich brauchte nicht groß nachzudenken. »Die Flucht.«

Die Flucht vor meinem Leben, meinem Kummer, vor mir selbst.

Ich musste einfach fort von hier.

Als ich die E-Mail bekam und las, dass ich genommen worden war, konnte ich es erst nicht glauben. Dann liefen mir die Tränen über die Wangen, obwohl mein Herz vor Aufregung raste. Ich würde bekommen, was ich mir gewünscht hatte. Was ich unbedingt brauchte. Ich würde den Absprung schaffen.

Schließlich ging ich zu einer neuen Ärztin, die mir attestieren sollte, dass mein Gesundheitszustand es zuließ, an der Show teilzunehmen. Ich bekam die Bescheinigung, ungeachtet der Therapie, die ich abgebrochen hatte, und der Tabletten, die ich nehmen sollte. Aber das brauchte die Ärztin nicht zu wissen. Danach fuhr ich nach London für die offiziellen Interviews, also die Art von Interviews, die im Fernsehen laufen würden, wenn die Show gesendet würde. Eine Frau kümmerte sich um meine Frisur und das Make-up. Sasha stellte mir die Fragen; offensichtlich hatte man noch keinen Moderator engagiert. Ich dachte, das sei ein Versehen, aber was wusste ich schon? Wie auch immer, ich wollte nicht zu viel über das Endprodukt nachdenken. Ich wollte auf der Insel sein. Was danach kommen würde, die Sendungen, die Interviews, die Rückkehr ins Leben – darüber wollte ich mir nicht den Kopf zerbrechen.

Man würde uns in zwei Gruppen auf die Insel schicken, Jungs und Mädchen getrennt. So nannte Sasha uns: Jungs und Mädchen. Als wären wir noch Kids, die ein Abenteuer im Stil der Fünf Freunde erlebten. Natürlich sagte ich dazu nichts. Aus meiner Sicht war Sasha nicht der Typ Frau, die sich an Enid Blyton erinnerte.

An der Glasgow Station traf ich meine drei Reisegefährtinnen. Ich war schon ziemlich erschöpft, weil ich mein Gepäck quer durchs Land schleppen musste. Man hatte uns wissen lassen, dass es Material auf der Insel geben würde, um eine Unterkunft zu bauen, auch Werkzeug und Proviant in Kisten. Erst als ich einige Bücher über Botanik und Rollen Toilettenpapier in meine Tasche packte, merkte ich, wie wenig Gepäck ich eigentlich mitnehmen konnte.

Ein Stück vom Treffpunkt entfernt blieb ich stehen – ein Taxistand unter einer Kunststoffüberdachung. Drei Frauen warteten am vereinbarten Ort. Sie waren ähnlich gekleidet wie ich und hatten ebenfalls prallvolle Rucksäcke dabei. Zwei wirkten älter als ich, die dritte hielt ich für jünger; sie hatte ihr iPhone am Ohr. Instinktiv wollte ich kehrtmachen und weglaufen. Nach meiner langen Reise wären das die ersten Leute, mit denen ich mich unterhalten müsste. Immerhin würden wir uns eine Insel teilen, ein neues Zuhause, und zwar fast ein Jahr lang. Mein Angstlevel ging fast durch die Decke. Ich musste mich zwingen, zu den drei Frauen zu gehen, und hatte plötzlich wieder das Gefühl wie beim ersten Schultag.

»Gehörst du zu uns?«, trällerte eine der drei in meine Richtung. Sie hatte Strähnchen, trug das Haar kurz, den Pony aber fransig. Ihre Haut war stark gebräunt, aber faltig, und als sie lächelte, kam ihr leuchtender, pinkfarbener Lippenstift richtig zur Geltung. Sie gab mir zur Begrüßung Küsschen auf die Wangen. »Wir dachten schon, du würdest gar nicht mehr kommen, nicht wahr, Mädels?«

»Sorry, der Bus kam nicht vom Fleck. Straßenarbeiten.«

»Ah, wir sind mit dem Zug gekommen. Ich bin übrigens Gill – und wie heißt du?«

»Maddy«, sagte ich und hatte schon das Gefühl, als hätte ich die anderen in irgendeiner Weise enttäuscht.

Ich schätzte Gill auf vierzig oder älter, doch sie wirkte viel jünger und lebhafter als ich, obwohl ich bestimmt zehn Jahre jünger als sie war. Sie sprach ziemlich laut und machte sich nichts daraus, dass uns einige Leute angafften. Außerdem ignorierte sie gut gelaunt das »Rauchen verboten«-Schild in dem Unterstand.

»Das sind Maxine und Zoe«, sagte Gill, deutete mit der Zigarette auf die beiden anderen und verteilte die Asche dabei auf dem Rucksack, den ich gerade abgestellt hatte. »Maxine war früher Lehrerin, und Zoe stammt aus Indien.«

»Eigentlich aus dem County Kerry«, stellte Zoe klar und zog eine Braue hoch.

Gill bleckte die Zähne beim Lächeln. »Dann werde ich uns mal ein Taxi organisieren, was?«

Während Gill sich auf den Weg machte, trat Maxine mit einem kleinen Lächeln vor. Ich schätzte sie etwas älter als Gill, vielleicht Anfang fünfzig. Sie hatte glattes graues Haar und trug eine Fleecejacke mit aufgenähten Emblemen. Als sie mir die Hand schüttelte, spürte ich, wie rau ihre Handfläche war, und nahm einen Hauch von Lavendel wahr. Bei dieser Frau musste ich unweigerlich an Mum denken.

»Kalt, oder?«, sagte sie und schaute hinauf zum unfreundlichen, grau verhangenen Himmel. »Ich habe lange Unterwäsche eingepackt, aber ich dachte, die bräuchte ich erst auf der Insel.«

»Am Meer wird es noch kälter sein«, meinte ich. »Aber dann können wir zumindest ein Feuer machen. Geht ja schlecht vorm Bahnhof.«

Zoe lachte schnaufend und ließ ihr Smartphone in ihrer Tasche verschwinden. »Kannst du dir vorstellen, die Marshmallows an der Anlegestelle rauszukramen?« Aus ihrer Tasche holte sie eine Riesentüte mit weißen Marshmallows hervor und schwenkte sie vor meiner Nase. »Einweihungsgeschenk«, sagte sie grinsend. Ich erwiderte das Lächeln.

Sie war ein paar Jahre jünger als ich, vielleicht Anfang zwanzig, und hatte sich ein leuchtendes Tuch aus Seide um den Kopf geschlungen. Sie trug eine Brille mit breiter Fassung und ein Nasenpiercing. Ich vermutete, dass sie Studentin oder Künstlerin war. Sie verstaute die Marshmallows wieder in der Tasche und hielt mir eine mit Henna verzierte Hand hin. Ich schüttelte sie und war schon überwältigt von Zoes lässigem Stil.

Gill tauchte wieder auf, hatte die Hände wie einen Trichter um den Mund geformt und rief uns zu: »Hierher, Mädels! Und bringt mein Gepäck mit!«

Wir latschten zu ihr und sahen, dass sie immer noch mit dem Taxifahrer um den Preis feilschte. Offenbar war der Typ nicht ohne Weiteres bereit, uns zu unserem Zielort zu fahren. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Auf der Karte war das Dorf Creel nichts als ein Klecks und ein Name und lag so weit westlich von Glasgow, wie man ohne Boot fahren konnte. Letzten Endes erklärte sich der Mann doch bereit, uns zu bringen, aber ob es nun an Gills Überredungskünsten gelegen hatte oder an den zerknitterten Banknoten, die wir nach und nach aus unserem Gepäck zauberten? Ich weiß es nicht. Wir stiegen ins Auto und quetschten uns zwischen unsere Rucksäcke. Maxine bot Brausebonbons mit Zitronengeschmack an, und schon ließen wir den Bahnhof hinter uns.

»Wie es wohl sein wird, dadraußen?«, meinte Zoe, nachdem sie ein paar Selfies im Taxi gemacht hatte. »Aber eins sag ich euch, ich habe es schon bereut, dass ich den Bikini eingepackt habe.«

Mir fiel auf, dass Maxine Zoe mit einem Blick taxierte, in dem Überraschung, aber auch Verachtung lagen. Ein Bikini auf einer schottischen Insel – eigentlich nutzlos, es sei denn, die globale Erwärmung würde in den kommenden Monaten so richtig loslegen. Aber Zoe schien sich selbst auch nicht wirklich ernst zu nehmen, als sie ihren Bikini erwähnte.

»Ich möchte wissen, wann wir die Jungs treffen«, sagte Gill. »Wo legt ihr Boot wohl ab?«

»Keine Ahnung«, antwortete Maxine. »Schätze, ein Stück weit die Küste hinauf von dem Ort, von dem wir ablegen. Verstehen tu ich’s nicht. Wir fahren doch alle zu ein und demselben Ort.«

»Ist schon lustig, oder? Nicht zu wissen, wen wir alles treffen werden«, sagte Zoe. »Ich hoffe, die Jungs sind nett. Nicht so übertriebene Machos oder so was in der Art.«

»Anpacken müssen sie schon können, um eine Unterkunft zu bauen«, warf Gill ein. »Ich hab nämlich nicht vor, ein Jahr lang zu zelten.«

»Bist du sicher, dass du dir die richtige Show ausgesucht hast?«, fragte Maxine absichtlich in leicht neckendem Ton.

»Oh, ich bin gern im Freien. Ich liebe die Gartenarbeit und in der Sonne zu liegen, aber gebt mir vier Wände, einen Fußboden und ein Dach über dem Kopf, dann verzichte ich gern auf einen Schlafsack«, meinte Gill.

»Ich zelte gern. War schon viermal beim Glastonbury Festival. Es ist klasse, wenn es einmal nicht wie zu Hause ist – nur Matsch und Glitter und ein Pint Cider.« Zoe kicherte. »Wie ist’s bei dir, Maddy?«

Ich blinzelte, davon überrascht, in die Unterhaltung einbezogen zu werden. Mir hatte es gefallen, einfach nur zuzuhören und die Landschaft draußen vorbeiziehen zu sehen.

»Oh … ich zelte auch gern. Habe ich früher oft gemacht mit meinen Eltern. Man kann eine Menge lesen, wenn man nicht ständig abgelenkt ist.« Wir fuhren immer außerhalb der Ferien in Urlaub, um Geld zu sparen. Und selbst wenn andere Kinder in der Nähe waren, verbot Mum es mir, mit ihnen zum Spielplatz oder zum Pool zu gehen. Sie wollte mich immer um sich haben; kaum auszudenken, was alles hätte passieren können, wenn ich mich allein auf den Weg gemacht hätte.

Die drei quatschten ununterbrochen während der Fahrt. Allmählich wurde es auf der Rückbank des Taxis ganz schön warm, und die Scheiben beschlugen von unserer Atemluft. Der Fahrer stellte alle paar Minuten das Radio lauter, und jedes Mal, wenn er finster in den Rückspiegel sah, schienen die Furchen auf seiner Stirn tiefer zu werden. Ich lehnte mit der Stirn an der kalten Scheibe und schloss die Augen.

2. KAPITEL

»Hier frieren wir uns noch den Arsch ab.« Zoe zog sich ihre viel zu weite Armyjacke enger um die Schultern. »Wo bleibt denn das Boot?«

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Haben die sich verspätet?«

Zoe holte ihr iPhone raus. Die Hülle war mit Sprüchen übersät. »Keine verpassten Anrufe.«

Ich machte ein besorgtes Gesicht und schaute wieder hinaus aufs Meer. Nirgends ein Boot zu sehen, bis zum Horizont nichts als die weite See. Die Produktionsfirma hatte uns in dem Schreiben mitgeteilt, wann wir uns an der vereinbarten Stelle einzufinden hatten, aber inzwischen war eine halbe Stunde vergangen. Mir war kalt bis auf die Knochen, und ich fragte mich, ob die anderen vier voraussichtlichen Inselbewohner schon abgeholt worden waren. Ob sie bereits einen Fuß auf den Küstenstreifen unseres verlassenen Ortes gesetzt hatten?

Ich warf einen Blick auf die anderen drei und sah, dass Gill immer noch eine Zigarette nach der anderen rauchte und nervös mit dem Fuß auf den Boden tippte. Maxine hatte eine brandneu aussehende Thermoskanne hervorgeholt und trank irgendetwas.

Ich stellte mein Gepäck am Metallgeländer der Uferpromenade ab. Als ich mich über das Geländer beugte, um einen besseren Blick auf die aufgewühlte See werfen zu können, fiel mir der Fucus vesiculosus auf, auch bekannt als Blasentang; ein dunkles Seegras mit großen Blasen. Zumindest würden wir nicht verhungern. Aber allein bei der Vorstellung, dieses Zeug essen zu müssen, wurde mir ganz anders.

Wie nicht anders erwartet, schien Creel ein Fischerdorf zu sein. Aber selbst die Bezeichnung »Dorf« war schon übertrieben; fünf wettergegerbte Häuser standen windschief auf einem mit Kopfstein gepflasterten Platz, von dem aus eine Rampe aus Beton hinunter zum Meer verlief. An zwei Häusern hingen in den Fenstern Schilder »Zum Verkauf«, die selbstgemacht aussahen und in der Sonne ausgeblichen waren.

Ich mochte diesen Ort, auch wenn niemand zu sehen war und die Häuser schon bessere Zeiten erlebt hatten; es war ein wilder Ort, den die See halb zurückerobert zu haben schien. Sogar der betonierte Pier unten am Wasser war rissig und aufgeplatzt von Stürmen. Es war, als hätte man diese Häuser und den kleinen Hafen aufgegeben, und nun griff die See wieder danach, mit gierigen Händen und Fingern aus Gischt.

Da ich das Warten satthatte, entfernte ich mich von den anderen, in der Hoffnung, die paar Schritte würden mich aufwärmen. Am anderen Ende des Piers atmete ich tief durch. Endlich fühlte ich mich unbeobachtet und war für mich, eine willkommene Abwechslung nach der stressigen Fahrt mit vielen Leuten. Ich ging auf ein Knie, um meinen Rucksack zu durchwühlen, und kramte eine handgestrickte Mütze hervor, die ich aufsetzte.

Gerade überlegte ich, einen zusätzlichen Pullover anzuziehen, als ein Boot hinter dem Vorsprung des zerklüfteten Küstenverlaufs auftauchte. Es war viel zu klein und konnte nicht das Gefährt sein, auf das wir warteten, denn es war kaum größer als ein Ruderboot. Ich sah, wie es im Wellengang auf und ab dümpelte, die Riemen von einem älteren Mann durchs Wasser gezogen. Sein Gesicht war vom Wind stark gerötet, sein Overall, der bestimmt früher marineblau gewesen war, verblichen und am Kragen grau. Schließlich legte er an, stieg aus dem Boot und zog es ein Stück weit die Rampe hinauf, ehe er einige Reusen aus dem Innern des Boots nahm. Ich sah Krabben darin; Taschenkrebse, die sich wie riesige Spinnen bewegten und zu fliehen versuchten.

»Guten Morgen«, grüßte ich, als er aufschaute und mich wahrnahm.

»Moin«, kam es von ihm, aber selbst das kurze Wort wurde halb vom Wind verschluckt.

Einen Moment sah ich ihm bei der Arbeit zu, bevor meine Bedenken zu groß wurden. Ich ging zu dem alten Mann.

»Entschuldigen Sie, wissen Sie, ob hier heute jemand zur Buidseach Isle ablegt? Ich frage, weil wir um diese Zeit mit einem Boot gerechnet haben.« Ich deutete mit einer Kopfbewegung zu den anderen.

Der alte Fischer richtete sich auf, eine leere Reuse in der Hand, und schüttelte zu meinem Schrecken mit dem Kopf.

»Nich’, dass ich wüsst’«, meinte er. Er hatte einen noch stärkeren Akzent als der Taxifahrer, daher brauchte ich einen Moment, um die Worte im Wind zu entschlüsseln.

»Aber Sie kennen ja sicher Buidseach Isle? Liegt die Insel hier in der Nähe?«, setzte ich nach und fragte mich, ob ich den Namen falsch aussprach.

»Die liegt dort draußen, aber inner Nähe is’ das nich’«, antwortete er und deutete vage hinaus aufs Meer. »Kenn’ kein’n, der da rausfahren tät. Setzt das Boot aufs Spiel. Die Hexe holt’s.«

Ich war mir sicher, dass ich ihn falsch verstanden hatte. »Wie bitte? Die Hexe?«

Er schniefte. »Buidseach bedeutet Hexe. Die Insel heißt nach ’ner Hexe – und es gib’ Geschichten zu dieser Insel, seit ich ’n kleiner Junge war. Dad hat mir imma Angst eingejagt damit. Er meinte, wennde je in die Nähe komms’, Junge, dann biste so weit rausgefahren, dass dich keiner mehr findet, wennde auf die Riffe läufs’. Dann fängt dich die Hexe dort, kocht ’ne Brühe aus dein’n Knochen.«

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Natürlich glaubte ich nicht an Hexen, aber Riffe und Schiffswracks waren etwas ganz anderes. Mein Magen krampfte sich vor Angst zusammen, und irgendwie musste mir der alte Fischer das Unbehagen angemerkt haben, weil er lächelte und den Kopf schüttelte.

»Bloß Geschicht’n, Mädchen. Mein Dad erzählte sie mir, damit ich Respekt hab vor der See.«

Ich versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen, schaute dann aber wieder über das Wasser zum Horizont. Kein Boot, in der Ferne nicht einmal ein Fleckchen Land. Die Insel konnte man vom Festland aus nicht sehen.

Als ich mich wieder dem Fischer zuwandte, sah ich, dass er den Eimer mit Krabben mitgenommen hatte und das Cottage betrat, das mir von meinem Standort als Erstes ins Auge fiel. Ich hatte ihn schon lange genug aufgehalten. Plötzlich zuckte ich zusammen, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um, vor mir stand Zoe, einen Schokoriegel in der Hand.

»Möchtest du einen? Ist ohne Milch, also eigentlich nicht so toll, aber ich bin am Verhungern. Im B&B gab’s kein veganes Essen, daher hatte ich nur einen Toast. Schätze, ich würde sogar meine Oma verkaufen für ein richtig fettes Sandwich jetzt.«

Ich nahm die Schokolade dankbar an. Zuletzt hatte ich etwas an einer Tankstelle gegessen. Nichts, was ich mir freiwillig ausgesucht hätte, aber wenn’s nix anderes gibt … Wäre es nach mir gegangen, hätte ich mir einen Braten mit allen Beilagen gegönnt – einen Braten, wie Mum ihn jeden Sonntag machte –, dazu cremigen Milchreis mit runzliger Haut aus Muskatnuss.

Ich wollte gerade vorschlagen, die Nummer anzurufen, die im Briefkopf stand, als ein Auto hupte und die friedliche Ruhe an dem kleinen Hafen störte. Ein neu aussehender Geländewagen fuhr über die Anhöhe in unsere Richtung. Wieder die Hupe, schließlich konnte ich einen Mann hinterm Lenkrad erkennen, der aufgeregt winkte.

»Sieht aus, als wären das die Leute vom Fernsehen«, meinte Zoe. »Bisschen übertriebener Auftritt, oder?«

Ich nickte. Obwohl ich nicht viel von Autos verstand, konnte selbst ich sehen, dass es ein neues Modell war. Blitzblank, mit greller orangeroter Lackierung. Klar war auch, dass der Besitzer sich noch nicht so recht an das Auto gewöhnt hatte, oder er war einfach nur ein miserabler Fahrer. Jedenfalls bremste er zu abrupt auf dem Kopfsteinpflaster, sodass der Wagen noch etwas über die Steine rutschte. Dann stieg auf der Fahrerseite ein junger Mann im Anzug aus. Zoe und ich gingen zu ihm und stießen auf die anderen.

»Guten Morgen zusammen!«, rief er gegen den Wind an. »Bereit für ein Abenteuer?«

Ich kannte diese Stimme von dem Interview am Telefon, nachdem ich meine Bewerbung eingeschickt hatte. Das musste Adrian sein, Sashas Kollege. Ich schätzte, dass sie irgendwo die Männer mit einer kleinen Ansprache willkommen heißen würde. Hinter Adrian stiegen zwei weitere Männer in Anoraks und Wollmützen aus und fingen an, Gepäck auszuladen.

Wir scharten uns wie Schulkinder auf einem Tagesausflug um das Auto, die Rucksäcke bereit. Adrian war vollkommen falsch gekleidet für die Wetterverhältnisse in seinem dunkelblauen Anzug und dem pinkfarbenen Hemd. Seine spitz zulaufenden schwarzen Schuhe hatten keine geeignete Sohle für das Kopfsteinpflaster, und daher rutschte Adrian ein bisschen, als er auf uns zukam.

»Das Boot ist unterwegs – kleines technisches Problem«, sagte er gut gelaunt. »Also, diese beiden hier sind eure Kameratechniker«, fügte er hinzu und deutete mit einer Hand auf seine Begleiter. Einer hatte sich gerade eine Zigarette angezündet. »Auf der Insel werden sie die verschiedenen Kameras im Freien instand halten, die wir angebracht haben. Natürlich kümmern sie sich auch um eure Body-Cams, falls irgendetwas nicht läuft.«

Die Kameramänner sahen fast identisch aus, beide waren blass und trugen spärliche braune Bärte. Sie hatten müde, rote Augen und gingen auffallend langsam, daher vermutete ich, dass sie eine genauso stressige Fahrt gehabt hatten wie wir. Einer der beiden klappte ein dreibeiniges Stativ auf und befestigte eine Kamera darauf, um unsere Abfahrt zu filmen.

»Eric und Ryan hier werden mit euch auf der Insel bleiben, in einer kleinen Kommandozentrale – aber keine Angst, ihr werdet sie nicht sehen, und die beiden werden euch nicht im Weg sein. Wir wollen, dass dies so authentisch wie möglich wird. Deshalb bekommt jeder von euch eine Body-Cam, damit ihr euch gegenseitig filmen könnt. Die Body-Cams haben eine Solar-Powerbank, die sie am Laufen hält. Wie ihr ja wisst, muss ich eure Handys einsammeln. Nicht, dass sie dort draußen Empfang hätten, aber wir wollen nicht, dass ihr abgelenkt seid, daddelt oder irgendwelche Aufnahmen macht. Ihr bekommt die Handys zurück, wenn wir euch wieder von der Insel abholen. Es gibt aber die Möglichkeit, uns im Notfall über die Unterkunft der Kameraleute zu kontaktieren.«

Er holte einen großen gepolsterten Umschlag hervor, und wir gaben unsere Handys ab. Mir fiel auf, dass Maxines Handy an die zehn Jahre alt war, es war nicht einmal ein Smartphone. Zoe ließ ihr iPhone in den Umschlag fallen, wie ein Kind, das sein Lieblingsspielzeug abgeben muss. Es sah fast süß aus.

»Da ist ja das Boot.« Adrian war sichtlich erleichtert. Auch ich schaute aufs Meer hinaus und sah ein offenes Boot mittlerer Größe mit kleiner Glaskabine, das auf uns zuhielt. Mir sank das Herz. Wir würden in der Kälte und der sprühenden Gischt stehen. Dabei hatte ich gehofft, mich wenigstens für kurze Zeit aufwärmen zu können.

»Wir drehen eine kleine Szene, ehe ihr ablegt. Das wird der Einstieg in unsere erste Episode«, fügte Adrian hinzu und gab den Kameramännern zu verstehen, alles für die Aufnahme bereit zu machen. Während die beiden das Stativ verrückten, beobachtete ich, wie sich das Boot der betonierten Rampe näherte.

Als alles an Ort und Stelle war, begann Adrian mit seiner Ansprache. »Die Welt, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Chaos herrscht, das Festland ist nicht länger der sichere und florierende Ort, der er einst war. Ihr stellt die Hälfte eines achtköpfigen Teams tapferer Survivor, die einen intakten Rückzugsort suchen. Gemeinsam werdet ihr eine neue Gesellschaft gründen. Ihr lasst Verwüstung und Ruinen hinter euch und erschafft Utopia. Ihr habt ein Jahr Zeit, um alles in Gang zu bringen, für die Infrastruktur zu sorgen, euch selbst zu verwalten und euch eine Zukunft aufzubauen, aus Treibgut, Strandgut und den natürlichen Ressourcen, die euch zur Verfügung stehen. Wenn ihr versagt, versagt die Menschheit mit euch.«

Ich schaute mich möglichst unauffällig in der Gruppe um. Zoe sah ziemlich ergriffen aus, die beiden Kameramänner warfen einander vielsagende Blicke zu und verdrehten die Augen, und Maxines Gesichtsausdruck verriet grimmige Entschlossenheit.

»Euch allen viel Glück!«, schloss Adrian. »Wir sehen uns dann … im Neuen Jahr!«

Adrian schlitterte auf den trügerischen Kopfsteinen zurück zu seinem Geländewagen, stieg wieder ein und wendete bewusst vorsichtig. Die Kameramänner tauschten erneut Blicke, und einer der beiden ließ irgendeine Bemerkung fallen, bei der sich der andere vor Lachen verschluckte. Schließlich musste er husten und spuckte auf das Kopfsteinpflaster.

Kurz darauf gingen wir an Bord, während sich über unseren Köpfen ein Unwetter zusammenbraute.

3. KAPITEL

Wir hatten raue See während der Fahrt zur Insel.

Eine Weile versuchten die anderen, sich zu unterhalten und Pläne für die Ankunft zu machen, aber nach und nach verstummten wir alle und suchten den Horizont ab. Jede wollte einen Blick auf unser neues Zuhause erhaschen. Auf unseren Rückzugsort. Ich war ziemlich aufgeregt, auch wenn ich von der eisigen Gischt erfasst wurde und mir der Wind um die Ohren pfiff. Der größere der beiden Kameratechniker, Eric, klammerte sich die meiste Zeit an die Reling und übergab sich ab und an laut und vernehmlich. Der andere filmte eine Weile, ehe er wie wir voller Ungeduld das Ende dieser Überfahrt ersehnte.

»Da ist sie!«, rief Zoe. Sie stand am Bug und sah mit ihren knalligen Fausthandschuhen wie ein Kind aus. »Es gibt sie wirklich!«

Die Insel war am Horizont aus den Dunstschwaden aufgetaucht, eine lange graue Küstenlinie mit einem dunkleren Fleck Kiefernwald weiter im Inland. Als wir näher kamen, konnte ich im Wasser die scharf aufragenden Felsen rund um die Insel sehen und musste an den alten Fischer denken, der von den Riffen und Wracks gesprochen hatte. Ich warf einen Blick auf unseren Kapitän, der mit verengten Augen und verkniffenem Mund am Steuerrad stand.

Das Boot fuhr zwischen den Felsen hindurch, umrundete die Insel und hielt auf die Südspitze zu, wo weniger Riffe zu sein schienen. Ich beobachtete, wie der Kapitän das Steuerrad nach links und nach rechts drehte, während der Dieselmotor wie ein wirrer Hund grummelte und fauchte und gegen die Strömungsverhältnisse ankämpfte. Schließlich kamen wir in flachere Gewässer und sahen, wie die Wellen über den grauen Strand der Insel liefen.

Wir waren endlich angekommen. Ich hatte den Absprung geschafft und alles andere hinter mir gelassen.

Einer nach dem anderen nahmen wir unser Gepäck und kletterten über die Bordwand, hinein ins seichte Wasser, und wateten das letzte Stück an Land. Dann standen wir auf dem rissigen grauen Felsgestein, das rutschig war von Seegras und übersät von Miesmuscheln. Wir schauten dem Boot nach, das wieder durch die Wellen pflügte und uns unzeremoniös zurückließ.

»Gehen wir«, meinte Ryan, »ist arschkalt hier.« Er schnappte sich die Kameratasche und schritt über die zerklüfteten Felsen zum Strand. Wir folgten ihm. Zoe ging neben mir und sprühte förmlich vor Begeisterung.

»Ich kann’s kaum glauben, dass wir hier sind!«

»Ich auch nicht«, sagte ich. »Wir müssen unbedingt ein Feuer machen. Es ist wirklich saukalt.«

»Klar, das ist der erste Schritt – das Feuer und eine Tasse Tee«, sagte sie.

Sobald wir den Strand erreicht hatten, beeilten sich Eric und Ryan, uns mit den Body-Cams auszustatten. Wir trugen sie auf Brusthöhe an Halterungen aus Nylon und Befestigungsclips.

»Sorgt dafür, dass ihr die Dinger immer tragt«, erklärte Ryan. Er warf einen Blick auf Eric, der sich noch nicht ganz von der Überfahrt erholt hatte und an einem Felsblock Halt suchte. »Sie sind spritzwassergeschützt, ihr könnt sie praktisch überallhin mitnehmen, nur nicht damit tauchen. Alles andere ist kein Problem. Solange es okay für euch ist, damit auf Sendung zu gehen.« Er zwinkerte Zoe zu, die die Augen verdrehte. »Die Powerbanks sind kein Problem. Jede bekommt zwei. Legt eine in die Sonne zum Aufladen, während ihr die andere benutzt. Die müssten sich auch bei bewölktem Himmel aufladen. Sie sind wasserdicht, ihr könnt sie also auch im Regen benutzen. Sollte was kaputtgehen, haben wir Ersatz.«

»Schaut ihr zu, während wir filmen?«, wollte Maxine wissen, während wir die Body-Cams auf Brusthöhe befestigten und die Geräte dann einschalteten.

»Nicht live, aber klar, wir passen auf, dass alle Aufnahmen richtig laufen. Alles wird aufgezeichnet, und wenn wir Material haben, wirft Adrian einen Blick drauf und sagt uns dann, ob wir’s versaut haben.« Er verdrehte die Augen. »Und die Kameras im Freien, wie die dort drüben«, – er zeigte auf einen schwarzen Kasten, der gerade noch an einem Baum in einiger Entfernung zu erkennen war – »liefern uns auch Material, aber wir verwenden den Ton von euren Body-Cams, und deshalb ist es echt wichtig, dass ihr sie immer tragt. Uns bekommt ihr eigentlich nur zu Gesicht, wenn was kaputtgeht und ersetzt werden muss. Die Kameras draußen laufen mit Solar, aber bitte keinen von den Bäumen fällen, in denen wir sie installiert haben.« Er zog den Reißverschluss seiner Equipment-Tasche zu und stupste Eric an. »Okay, wir gehen dann mal zu unserem Generator und machen uns Kaffee – viel Spaß euch.«

»Wartet, was ist mit den anderen? Wo stecken die?«, fragte ich und spürte, dass mein feuchtes Gesicht in Flammen stand.

»Das müsst ihr selbst herausfinden«, erwiderte Ryan und winkte absichtlich so übertrieben und albern wie Adrian zuvor auf dem Festland. »Aber wenn ihr mich fragt, sind die Jungs längst hier. Sasha wollte sie briefen. Sie rief von unterwegs aus an, um Adrian in die Spur zu bringen.« Mit einem verächtlichen Schnauben wandte er sich ab und stapfte zusammen mit Eric durch den Sand, der sichtlich Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.

Ich musste mich erst an das Gewicht der Body-Cam gewöhnen und sah die anderen erwartungsvoll an.

»Sollen wir die anderen suchen?«, fragte Zoe. »Ich meine, wenn sie schon irgendwo hier sind, wäre das doch die beste Idee … oder nicht?«

»Scheint mir sinnvoll«, meinte Gill und nahm ihre Tasche. »Kommt, Mädels, finden wir die Jungs.«

Ich war zögerlich, weil ich die anderen nicht sofort suchen wollte. Ich hatte mich zwar schon an die drei Mitstreiterinnen gewöhnt, wollte sie aber lieber besser kennenlernen, ehe die anderen dazustießen. Doch ich nahm trotzdem meine Tasche und folgten den dreien. Wir überquerten die schmalste Stelle des Strands und erreichten den Rand des Kiefernwalds, der sich fast bis zum Meer zog.

»Irgendjemand hier?«, rief Zoe in den Wald hinein und grinste. »Hallo!«

Ihre Stimme hallte abgehackt von den Kiefernstämmen zurück. Plötzlich antwortete jemand genauso laut aus dem Dunkel des Waldes, Augenblicke später brach ein Mann durch das Unterholz ins Freie, eine Hand am Gurt seines Rucksacks. Er drehte sich um und rief in den Wald.

»Sie sind hier, Jungs! Ich hab sie gefunden!« Er grinste uns an und erinnerte mich an einen Golden Retriever. Ein junger Typ, in Zoes Alter. Er hatte sich eine Zigarette hinters Ohr gesteckt. »Was geht, Mädels? Ich bin Shaun.«

Zoe umarmte ihn gleich, als wären die beiden alte Freunde. Ich beließ es dabei, meinen Namen zu nennen, und spähte in den Wald, weil ich auf den Rest der Truppe warten wollte. Schon bald erreichten auch Shauns Gefährten den Strandabschnitt, zwei Männer ungefähr in meinem Alter und ein älterer Mann, den ich auf Mitte sechzig schätzte.

»Das hier sind Duncan, Andrew und Frank«, stellte uns Shaun die anderen vor und winkte ihnen, näher zu kommen. »Jungs, das sind Zoe, Maddy, Gill und Maxine.«

Duncan ging von einer zur anderen und schüttelte jeder die Hand. Mir fiel gleich die teure Outdoor-Sonnenbrille auf, die er sich lässig ins Haar geschoben hatte. Sein Gesicht war gerötet, er erinnerte mich an die schicken Typen aus dem Rugby-Team an der Uni. Samstagabend in den Pub, Sonntagmittag essen im Pub.

Andrew hatte dicke braune Dreadlocks, die er aber zusammengebunden hatte. Die Dreads sahen verdammt lang aus, wahrscheinlich gingen sie ihm bis zur Taille, wenn er das Haar offen trug. Einen Bizeps hatte er sich tätowieren lassen, die Jeans, die er trug, sah schäbig aus. Vom Akzent her konnte man Andrew nicht zuordnen, und genau wie Zoe hätte er aus jeder angesagten Universitätsstadt in England stammen können.

Im Gegensatz dazu sah Frank aus wie der typische Gast im Pub: die Ellenbogen auf die Theke gestützt, zu seinen Füßen einen jungen Windhund, vor der Nase irgendeine miese Boulevardzeitung. Auf seiner Angelweste prangten erschreckend viele Aufnäher mit dem Georgskreuz aus der Flagge Englands, und in dem eher finsteren Blick, mit dem er Zoe musterte, lag Missbilligung. Kurzum, er erschien mir wie einer jener bürgerlichen, bigotten weißen Männer, von denen mein Heimatdorf bevölkert war. Natürlich fragte ich mich, ob die Produzenten ihn genau deswegen ausgewählt hatten: einen Rassisten auf die Insel schicken, der mit einem Farbigen und einer jungen Frau indischer Abstammung klarkommen musste.

Eigentlich hätte es ein aufregender Moment sein müssen. Das war es auch, für die anderen jedenfalls. Händeschütteln überall, Zoe drückte jeden an sich, sogar Frank, was ihn ziemlich verwirrt zurückließ. Trotzdem, ich fühlte mich wie eine Randfigur, wie auf einer Party, zu der man mich gar nicht eingeladen hatte. Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, setzte ich ein Lächeln auf und imitierte Zoe, begrüßte die Männer mit Handschlag und erklärte, wie sehr es mich freue, dass sie auch da waren.

Als wir die Begrüßungszeremonie hinter uns hatten, klatschte Duncan in die Hände, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. »Also gut, Leute, wir sollten dann besser anfangen, es sei denn, wir wollen heute Nacht alle im Freien schlafen.«

Zustimmendes Gemurmel, aber keiner machte Anstalten, etwas zu unternehmen. Ich denke, wir waren alle ein bisschen überwältigt. Dann hatte Gillian irgendetwas in der Ferne entdeckt.

»Was ist das dahinten?« Sie zeigte auf etwas, das bläulich schimmerte, genau an der Stelle, an der die Flut normalerweise am Strand den Höchststand erreichte.

Wir gingen los, um uns das näher anzusehen, und stießen auf einen Stapel Paletten. An einigen waren Latten gebrochen, andere waren intakt. Wir fanden Nylonseile und Plastikplanen. In einer Kunststoffkiste lagen Nägel, ein Hammer, Maßband und verschiedene andere Werkzeuge. Bei dem Ding, das aus der Ferne blau geschimmert hatte, handelte es sich um eine Mappe, die jemand mit Isolierband an eine der Paletten geklebt hatte. Duncan löste die Mappe, schlug sie auf und las vor, was auf dem Blatt Papier stand.

»›Wie es aussieht, wurde einiges Zubehör am Strand angespült. (Oder sind vielleicht schon andere vor euch hier gewesen?) Jedenfalls habt ihr jetzt Material, um etwas bauen zu können. Haltet Ausschau nach weiteren Vorräten, die andere Überlebende womöglich zurückgelassen haben!‹« Er drehte das Blatt Papier um. »Hier ist eine Karte, Leute. Man kann den Bachlauf sehen, auch die Kamerahütte ist eingezeichnet.«

»Warum mussten die uns überhaupt das Zeug hier hinlegen?«, sagte Andrew genervt. »Verdammte Scheiße, ich dachte, das sollte alles ›authentisch‹ sein!«

Zoe sah mich an, die Brauen hochgezogen. Ich erwiderte den fragenden Blick und war froh, dass Zoe mich mit einbezog.

»Ich denke, das liegt hier, damit wir uns keine Gedanken zu machen brauchen, ob wir es vor Einbruch der Dunkelheit noch schaffen, Bäume zu fällen«, meinte Maxine. »Hiermit können wir immerhin auf die Schnelle einen Unterstand errichten und uns dann morgen mit frischen Kräften ans Werk machen. Dann hätten wir genügend Zeit.«

Andrew schien sich wieder etwas beruhigt zu haben. »Ich finde das immer noch dämlich. Und diese anderen Vorräte oder was auch immer damit gemeint ist … Wir sind doch angeblich die letzten Überlebenden. Die Welt geht unter. Im richtigen Leben würde so etwas nicht passieren.«

»Hast du deshalb mitmachen wollen?«, fragte Zoe ihn. »Für dich soll es die Wirklichkeit sein?«

»Ja, das ist genau der Punkt.« Er zuckte mit den Schultern. »All das, was Sasha uns erzählt hat – das Öl und die Umweltverschmutzung, all das passiert ja tatsächlich. Dies hier«, er deutete auf den langen, leeren Strand, »ist die Zukunft.«

Ich begriff, aus welcher Ecke Andrew kam – das Ganze sollte ja schließlich eine Art soziales Experiment sein. Und ich hatte schon geahnt, dass es auch Prepper in der Gruppe geben würde. Ich selbst hatte nicht mitgemacht, um am Ende der Welt einen Neustart von null zu beginnen. Ich hatte bloß meine eigene Welt hinter mir lassen wollen.

»Ziehen wir das Zeug vom Strand. Wir suchen uns eine Stelle, an der wir ein Lager aufschlagen können«, sagte Duncan. Ich war froh, dass jemand die Initiative ergriff.

Also schleppten wir das Zubehör den Strand hinauf und holten dann unser Gepäck. Zwischen Sand und Waldrand wuchsen robuste Strandgräser, der Wald bestand auch hier aus Fichten und Kiefern. Die Bäume wisperten leise im Wind. Der Waldboden lag in völliger Dunkelheit.

»Vielleicht sollten wir das Lager hier aufschlagen«, sagte Duncan. Er stand an einer flachen Stelle am Waldrand. »Wir sollten uns aufteilen. Einige machen sich auf die Suche nach Wasser und Brennholz, während die anderen die Unterkunft errichten.«

Ich wollte mich gerade freiwillig melden, um Wasser zu holen, als Zoe meinen Arm packte und mit der freien Hand gestikulierte. »Maddy und ich suchen Brennholz.«

»Okay. Gill und …« Er zeigte auf Maxine, schien ihren Namen aber schon wieder vergessen zu haben.

»Maxine.«

»Klar, sorry! Maxine und Gill gehen los und holen Wasser. Nehmt die Karte mit und schaut nach, ob der Bach hier in der Nähe ist.«

Zoe und ich stellten unsere Taschen zu dem Gepäck der anderen und gingen in den Schutz der Kiefern. Auch dort war es kalt, aber immerhin spürten wir den beißenden Wind von See nicht mehr.

»Hoffe, es ist okay für dich, dass ich dich über deinen Kopf hinweg zum Holzholen eingeteilt habe«, sagte Zoe, als wir außer Hörweite der anderen waren. »Ich wollte nicht mit jemandem losgehen, den ich noch nicht kenne. Vor allem nicht mit Andrew – dem alten Miesepeter.« Sie verzog das Gesicht, um anzudeuten, dass sie es nicht ganz ernst meinte, aber ich ahnte, dass es auch kein Scherz gewesen war.

»Keine Sorge«, meinte ich. »Also, wenn du nicht hier bist, weil die Welt untergegangen ist, warum hast du dann mitmachen wollen?«

»Die Uni habe ich hinter mir, jetzt habe ich ein Jahr zur freien Verfügung.« Sie bückte sich und zog einige verwelkte braune Farnwedel aus dem Boden. »Ich weiß, hört sich jetzt vielleicht verrückt an. Aber ich musste mich entscheiden. Entweder das hier oder ein Besuch bei der Familie meines Vaters in Mumbai. Aber dort hätte ich mit zu vielen sexistischen Verwandten zu tun gehabt. Mein Vater ist der Einzige aus der Familie, der Indien verlassen hat, ganz zu schweigen davon, dass er eine Irin geheiratet hat … Die können daher lange auf mich warten. Außerdem, weißt du, auf diese Weise komme ich ins Fernsehen – Leute machen Karriere, wenn sie bei Reality-Shows wie dieser hier mitgemacht haben. Meine Social-Media-Kanäle sind schon vorbereitet – @ZozoYogi, da geht es vor allem um Achtsamkeit und meine Yogaerfahrungen, so was in der Art.«

»Achtsamkeit? Für was?«

»Der Umwelt gegenüber, vor allem. Es ist wirklich schrecklich, was wir dem Meer antun, mit all dem Plastikmüll, den wir wegschmeißen. Kennst du die Doku über die Schildkröten? Abgefahren.«

Sie erzählte mir von ihren Upcycling-Projekten, während wir Äste und Zweige aufsammelten, dazu büschelweise Farnkraut. Genau diese einseitige Unterhaltung fand ich beruhigend – ich brauchte nicht viel mehr zu tun, als gelegentlich ein »Hm« beizusteuern, und trotzdem ging das Gespräch weiter. Zoe schien echt nett zu sein, und ich war erleichtert, dass wir uns auf Anhieb gut verstanden. Auch wenn sie am Kennenlernprozess den größeren Anteil hatte.

»Und? Warum hast du mitgemacht?«, fragte sie, als wir kehrtmachten und unsere Stapel Äste und trockenes Farnkraut zurück zum Camp trugen.

»Ich weiß nicht genau«, lautete meine Antwort, was zum Teil der Wahrheit entsprach. »Ich schätze … ich brauchte mal eine Auszeit. Um wegzukommen, weißt du?«

Sie lachte. »Witzige Vorstellung von Erholungsurlaub, dass man hierherkommt.«

Ich lächelte. »Ja, kann man wohl sagen.«

Ich wünschte, ich wäre Zoe gegenüber offener gewesen. Nicht, dass ich sie angelogen hätte, ich brauchte diese Auszeit wirklich. Es war nur so, dass ich keine Pause von der Arbeit brauchte oder zu viel Stress um die Ohren gehabt hätte. Ich wollte keinen Urlaub machen. Ich wollte vor mir selbst fliehen, vor meinem Leben. Als ich in der Werbung gesehen hatte, dass man sich für Die Letzte Zuflucht bewerben konnte, hatte ich anderthalb Wochen lang meine Wohnung nicht verlassen. Eine Weile hatte ich mit niemandem geredet, erst dann hatte ich den Anwalt meiner Eltern aufgesucht und mit meinem Vorgesetzten über eine Freistellung gesprochen. Ich hatte die beiden einzigen Menschen verloren, die mich wirklich kannten, und ohne sie schien das, wofür ich stand, keinen Sinn mehr zu ergeben. Ich kannte mich selbst nicht mehr.

Aber darüber konnte ich mit Zoe nicht reden. Wir kannten uns ja kaum. Außerdem, wie hätte sich das angehört? Erbärmlich. Eine neunundzwanzig Jahre alte Frau, die im Grunde nur zu ihren Eltern richtigen Kontakt hatte? Keine ehemaligen Schulfreundinnen, weil ich nie zur Schule gegangen war. Keine Kommilitonen, weil ich immer zu schüchtern gewesen war und mich auf Partys im Hintergrund aufgehalten hatte. Zoe hingegen steckte voller Pläne und Ehrgeiz, hatte Freunde und war allein schon deshalb so weit von meinem grauen Nicht-Leben entfernt, wie man es nur sein konnte.

Als wir wieder am Lagerplatz ankamen, sahen wir, dass die anderen einen niedrigen Unterstand errichtet hatten. Die Seitenwände und das Dach bestanden aus Paletten, in die sie Farnwedel gestopft hatten. Die Wände waren mit Plastikfolie gegen Regen und Wind geschützt. Klein, aber funktional.

Zoe und ich hoben ein Loch im sandigen Boden aus. Ich wusste nicht, wie man am besten eine Feuerstelle vorbereitete, und offenbar Zoe auch nicht. Doch wir verließen uns auf unseren gesunden Menschenverstand und stellten die Äste und Zweige in dem Loch zu einer Art Pyramide auf. Daraufhin holte Zoe ein Plastikfeuerzeug hervor und versuchte, das alte Farnkraut in Brand zu setzen.

»Die Scheißdinger sind feucht.«

Ich kramte in meiner Manteltasche und fand ein paar Kassenbelege von Fast-Food-Restaurants von der Fahrt nach Norden. »Sag Andrew nicht, dass wir getrickst haben.«

Sie kicherte, entzündete das Papier und wartete, dass das Farnkraut Feuer fing. Dann gingen wir ein paarmal zum Strand und holten Steine. Schließlich gab es genügend Platz, um die Kochtöpfe fürs Abendessen zu platzieren.

»Schaut euch dieses Panorama an«, meinte Duncan. Er stand draußen vor der provisorischen Hütte, die Hände in die Seiten gestemmt. »Wenn man bedenkt, dass es so gewesen sein muss, als unsere Vorfahren hier lebten, bevor es Städte und Dörfer gab. Einmalig!«

Andrew nickte zustimmend. »Ich kann es kaum abwarten, morgen mit den Unterkünften anzufangen. Könnt ihr euch vorstellen, diesen Ort hier euer Zuhause zu nennen?«

Als Maxine und Gillian zurückkehrten, brachten sie einen vollen Plastikbehälter mit Wasser vom Bach mit. Gill sah verschwitzt aus und hatte gerötete Wangen, Maxine schien hingegen in ihrer Aufgabe aufzugehen. Andrew hatte ein Buch des Special Air Service mitgebracht, in dem erklärt wurde, wie man einen primitiven Wasserfilter konstruierte, um den Schmutz rauszufiltern. Aufgrund der langen Überfahrt und der Verspätung des Boots wurde es schon dunkel.

Wir brachten das Wasser zum Kochen und bekamen endlich den ersehnten Tee. Auf der Liste hatte auch gestanden, dass wir Proviant für mindestens einen Monat mitbringen sollten. Danach würden wir uns auf Nahrungssuche begeben müssen und angeln.

»Zwei Dumme, ein Gedanke!«, sagte Zoe, als sie meine Tüte mit dem getrockneten Gemüse-Curry sah und die gleiche Tüte hochhielt. »Schätze, wir beide haben den gleichen Trekking-Laden ausgeraubt, was? Sollen wir das zusammen kochen und unser Essen teilen?«

Am Feuer wurden weitere Vereinbarungen dieser Art getroffen, damit es beim Kochen schneller ging. Ich sah, dass Maxine ebenfalls auf Rationen setzte, die man auf langen Wandertouren mitnahm. Andrew hatte große Beutel Grundnahrungsmittel dabei – Linsen, Trockenei, Haferflocken –, und Duncan hatte Protein-Riegel mitgebracht, darüber hinaus irgendeine Mischung aus Molkenpulver.

»Also dann, da wir alle satt sein dürften«, begann Duncan mit seiner dröhnenden, ›kumpelhaften‹ Stimme. »Wir haben uns ja schon ein bisschen ausgetauscht, aber sollten wir uns jetzt nicht alle richtig vorstellen? Dann wissen wir, wer woher kommt. Also, ich bin Zimmermann, aber auch ein IT-Manager. Ich liebe Rugby und bin Captain in meinem Team zu Hause. Ich bin hier, weil ich Abenteuer liebe.« Er gab Andrew, der links von ihm saß, zu verstehen, weiterzumachen. »Du bist dran, Andy.«

»Na dann. Ich arbeite bei der City Farm in Bristol. Meistens kümmere ich mich um die Permakultur-Projekte, die wir dort testen. Ich bin hier, weil ich Survivaltrainern wie Ray Mears nacheifere, außerdem bin ich der Meinung, dass dies das geeignete Experiment ist, um den Menschen klarzumachen, dass wir nicht zu blauäugig in die Zukunft schauen sollten.«

Als Nächstes war Maxine dran. »Ich heiße Maxine. Ich bin schon lange bei den Pfadfindern tätig, im Augenblick leite ich zu Hause die Gruppe Tawny Owl. Ich helfe beim Duke of Edinburgh Award aus, ihr wisst schon, das internationale Jugendprogramm. Und ich bin hier, um diese Ideale umzusetzen und zu zeigen, wie wichtig die Pfadfindergruppen auch heute noch sind.«

Zoe winkte kurz in die Runde, als sie an der Reihe war. »Hi, ich bin Zoe. Ich bin Grafikdesign-Studentin, und ich schätze, dass ich hier bin, um noch besser zu verstehen, wie ich mein Upcycling und Recycling optimieren kann. Außerdem hoffe ich, mir Inspirationen für meine Illustrationen zu holen. Und um das freiwillige soziale Jahr machen zu können, das ich nie hatte.«

Dann war ich dran. Bilder meiner Herkunft, meiner leeren Wohnung und des alten Jobs stiegen in meiner Erinnerung auf. Aber letzten Endes sagte ich nur: »Ich heiße Maddy und habe Botanik studiert. Ich würde mich als Sammlerin bezeichnen, lege Herbarien an und freue mich wirklich, morgen mit der Arbeit anfangen zu können.«

»Dann kennst du dich also mit Pflanzen und so weiter aus?«, fragte Shaun, der Typ mit der Zigarette hinterm Ohr. »Glaubst du, wir finden etwas, das wir rauchen können, wenn das hier mal weg ist?« Er wedelte mit der Packung Tabak zum Selberdrehen.

»Oh, da gibt’s eine Menge – aber nichts mit Nikotin, sorry.«

»Bleibt zu hoffen, dass die Leute vom Fernsehen irgendwo in Vogelnestern Tabak hinterlegt haben«, scherzte er. »Egal, hallo zusammen, ich bin Shaun. Ich mache eine Ausbildung zum Fleischermeister und bin schon ganz heiß drauf, draußen in der Wildnis zu kochen.« Dem Äußeren nach zu urteilen, strebte er danach, der nächste Valentine Warner und Jamie Oliver in einer Person zu werden – in seinem Wollpullover sah er wie jemand aus, der es gewohnt ist anzupacken und der vor nichts und niemandem Respekt hatte. Ich hoffte, dass er nicht nur so aussah, sondern auch wirklich was draufhatte.

Frank stellte sich noch kürzer vor als ich. Er war früher Kneipier gewesen und gekommen, um zu angeln. Auf mich machte er den Eindruck, dass er ein Nickerchen vertragen könnte.

»Bleibe nur noch ich übrig«, meinte Gillian. »Ich bin zweiundvierzig, Single und auf der Suche! Bis vor ein paar Monaten habe ich mich um meine Mum gekümmert. Nach ihrem Tod habe ich ätherische Öle von zu Hause aus übers Internet vertrieben. Ich bin für Do-it-Yourself zu haben, habe einen schönen Kleingarten und werde jede Menge Gemüse anbauen. Ich freue mich, euch alle kennenzulernen.«

Als die offizielle Vorstellungsrunde vorüber war, ging es in den Gesprächen hauptsächlich um unsere Pläne für das vor uns liegende Jahr. Ich beschränkte mich aufs Zuhören. Gill hatte den Tod ihrer Mutter erwähnt, und natürlich hatte ich sofort an meine eigene Mutter gedacht. Ich hoffte, eines Tages so neutral darüber sprechen zu können wie Gill. Ich würde mehr als ein paar Monate brauchen, um über den Tod meiner Eltern hinwegzukommen.

Der Tag war anstrengend gewesen, ich sehnte mich nach meinem Schlafplatz und etwas Zeit für mich. Doch offenbar wollten alle lange aufbleiben und zusehen, wie das Lagerfeuer allmählich erlosch. Ich wollte nicht unhöflich sein, indem ich mich als Erste in meinen Schlafsack zurückzog.

Letzten Endes, als das Feuer nichts weiter war als ersterbende Glut, gähnte Zoe und machte sich daran, ihr Gepäck zu holen. Die anderen taten es ihr gleich, und schon bald versuchten wir alle, Platz in dem kleinen Unterstand zu finden. Das Gepäck ließen wir draußen im Schutz der Folie. Im Innern lagen wir so eng wie Sardinen. Ich duselte langsam ein und lauschte auf das gedämpfte Rollen der See und auf das Schnarchen der einzigen Menschen, die ich ein Jahr lang zu Gesicht bekommen würde.

4. KAPITEL

»Was denken Sie, wen werden Sie am meisten vermissen?«, hatte Sasha gefragt und hinter der Kamera gelächelt, während eine Frau mir eine kurze Lockenfrisur verpasste und sich dann davonstahl.

»Da bin ich mir nicht ganz sicher«, erwiderte ich und suchte in Gedanken verzweifelt nach einer passenden Antwort. Ich schwitzte im Lichtkegel der Studioscheinwerfer und hatte Bedenken, das ungewohnte Make-up könnte zerlaufen. Wirklich, ich würde niemanden vermissen, zumindest nicht sehr. Die einzigen Leute, die ich in der Stadt kannte, waren meine Arbeitskollegen, und ich setzte alles daran, ihnen außerhalb des Büros nicht über den Weg zu laufen. Es war nicht so, dass es sich bei ihnen um schlechte Menschen handelte, ich spürte nur, wie anstrengend es für mich war, in den Augen dieser Leute normal zu erscheinen. Ich war es leid, so zu tun, als würden mich die Serien interessieren, die sie schauten, oder von den Diäten zu hören, die sie sich auferlegt hatten. Ich hatte keine Lust, mir dauernd ihre Storys von ihren Kindern und Ehemännern anzuhören; und was konnte ich schon beitragen außer ein paar Anekdoten aus meinem unbedeutenden Leben?

»Wahrscheinlich meine Freundin Becca«, sagte ich. »Wir sind zusammen zur Uni gegangen. Wir hatten dasselbe Arbeitsfeld – pharmakologische Botanik.«

Ich brauchte ja nicht zu erwähnen, dass ich schon zwei Jahre nicht mehr mit Becca persönlich gesprochen hatte und die letzte SMS vier Monate alt war. Auf der Uni waren wir gut befreundet gewesen, aber als wir dann im selben Labor arbeiteten, hatte sie ein paar Bemerkungen fallen lassen. Dinge über Mum und was für eine Glucke sie war. »Glucke« hatte sie gar nicht gesagt, sie hatte meine Mutter als Kontrollfreak bezeichnet. Dass Becca zu dieser Zeit mit Owen ausging, hatte die Sache nicht gerade einfacher gemacht. Owen stand arbeitstechnisch auf der gleichen Stufe wie ich, bürdete mir aber ständig seine Arbeit auf und erntete die Lorbeeren. Der gleiche Owen, der einmal zu mir sagte, ich würde Becca im Weg stehen und sie wäre nur viel zu nett, um dagegen aufzubegehren.

Nach diesen Episoden mied ich Becca, bis ich den ganzen Druck nicht mehr aushielt und den Job im Labor an den Nagel hängte. Ich wollte sie nicht mit der Neuigkeit belästigen, als ich meine Eltern verlor. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht mehr die enge Freundschaft von früher war.

»Arbeiten Sie mit ihr zusammen?«

»Nein … sie arbeitet noch in dem Labor. Ich habe andere Wege eingeschlagen. Botanik ist inzwischen so etwas wie ein Hobby für mich, kein Job.«

»Und was ist dann Ihr Job?«, fragte Sasha. Natürlich kannte sie die Antwort, weil das Bewerbungsgespräch längst hinter mir lag. Sie fragte es nur für die Kameraaufzeichnung.

»Ich bin in der Verwaltung tätig. Verwaltungsangestellte. In einem Büro für Personalwesen. Zeitarbeit. Um Erfahrungen zu sammeln.« Nicht, dass Erfahrung vonnöten gewesen wäre, um Kaffee zu kochen und Tausende von Berichten alphabetisch zu sortieren. Dennoch, Zeitarbeit bedeutete, dass ich wie eine Fremde behandelt wurde, egal, wo ich angestellt war. Und die meisten Leute ließen mich mit meinen Podcasts allein.

»Was denken Sie, was werden Sie am meisten vermissen? Schokolade? Wein?«, fragte sie weiter.

Sie hatte die offensichtlichen Antworten vorweggenommen, was mich ärgerte. Hinter dem gleißenden Licht der Scheinwerfer bewegten sich Schatten. Irgendwelche Assistenten brachten Equipment an Ort und Stelle. Ich blinzelte, die Wimpern voller Mascara.

»Eine heiße Dusche«, lautete schließlich meine Antwort. »Es gibt nichts Besseres, als aufzuwachen und ausgiebig zu duschen.«

Unser erster Tag auf der Insel begann gleich mit einem Rückschlag. In der Nacht hatte der Wind die Plastikfolien von unserem Gepäck geweht, alles war nass vom Regen. Also keine frische Kleidung, und etwas von Franks Proviant war feucht geworden. Das Holz, das Zoe und ich gesammelt hatten, war ebenfalls nass und ließ sich nicht mehr anzünden.

Es war wieder Duncan, der Vorschläge machte. »Ich denke, als Erstes sollten wir eine sichere Stelle für die Unterkunft suchen. Ein paar von uns machen sich auf den Weg und erkunden die Gegend.«

»Ich glaube nicht, dass wir die Gegend groß erkunden müssen«, entgegnete Maxine. »Wir wissen ja schon, dass die Unterkunft in der Nähe der Wasserquelle sein muss, beim Bachlauf. Der Wald darf auch nicht weit entfernt sein, damit wir das Holz nicht so weit schleppen müssen.«

»Aber wir müssen nicht alle unser Zeug mitnehmen, wenn wir den besten Platz für die Unterkunft suchen«, hielt Duncan dagegen. »Daher wäre es sinnvoll, wenn ein paar von uns nach diesen geheimen Lagern stöbern, die wir finden sollen.«

»Klar, wir brauchen nicht all unser Zeug mitzuschleppen, trotzdem sollten wir uns alle zusammen auf den Weg machen und nach dem geeigneten Standort Ausschau halten. Denn diese Entscheidung sollten wir gemeinsam treffen, denke ich.« Maxine konnte hartnäckig sein. »Außerdem sollten wir festlegen, wie wir in Zukunft Entscheidungen treffen wollen – die einfache Mehrheit scheint mir die beste Option zu sein.«

Duncan quittierte das mit einem Schulterzucken. »Okay, mir soll’s recht sein.«

»Wir sollten uns ranhalten«, meinte Andrew. »Wir haben kein Feuer, und meiner Meinung nach gibt es keinen Grund, hier rumzusitzen und zu palavern. Also los.«

Wir nahmen Wasserflaschen und ein paar andere Dinge mit, die wir im Augenblick für wichtig hielten, und folgten Maxine und Gill zu dem Bach, aus dem sie am Vortag Wasser geholt hatten. Allerdings erwies sich der Weg durch den Wald als ziemlich schwierig. Im Schatten der Bäume war der Boden uneben, bestand aus Unmengen kleinerer moosbewachsener Hügel und Senken, durchzogen von spitzen Steinen. Umgestürzte Baumstämme erschwerten das Vorwärtskommen zusätzlich. Frank fiel bald zurück, ebenso Gill, die vor Anstrengung ganz rote Wangen bekommen hatte. Mein eigenes Fitness-Level war auch nicht besonders, aber ich biss die Zähne zusammen und war entschlossen, mein Bestes zu geben.