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Das Öffnen verschlossener Türen hat seinen Preis – selbst für diejenigen, die einen Schlüssel besitzen … Im renommierten Aldryn College für Mondmagie hat ein neues Semester begonnen, und Emory und Romie stehen – im Traum – vor einer verschlossenen Tür. Als sie das Portal zu einer anderen Welt aufstoßen, wecken sie damit eine finstere Macht, die nur ein Ziel hat: das College zu zerstören. Welches dunkle Geheimnis verbirgt sich in den alten Gemäuern, das einen solchen Gegner auf den Plan ruft? Natürlich wollen Baz und Kai ihren Freundinnen zur Hilfe eilen, doch ein Missgeschick katapultiert sie stattdessen in die Vergangenheit der magischen Elite-Uni – in die Zeit, als ihre eigenen Held*innen hier studiert haben und das Lied der ertrunkenen Götter gerade erst geschrieben wird … Atmosphärische Mondmagie, Dark Academia und Complicated Friendships für Fans von The Ruby Circle oder Black Bird Akademy.
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Seitenzahl: 866
Veröffentlichungsjahr: 2025
Pascale Lacelle
Die Gezeiten-Dilogie
Band 2
Pascale Lacelleist eine frankokanadische Schriftstellerin aus Ottawa, Ontario. Seit sie lesen kann, verschlingt sie Bücher und begann im Alter von 13 Jahren selbst zu schreiben. Nachdem sie ihren Bachelor in französischer Literatur gemacht hatte, stellte sie fest, dass ihr literarisches Herz der englischen Sprache gehört (bitte nicht ihren Französisch-Professoren verraten). Wenn Pascale sich nicht in Geschichten verliert, träumt sie von Essen und Reisen, spielt mit ihrem Hund Roscoe oder versucht, die perfekte Playlist für jede mögliche Stimmung zusammenzustellen.
Erschienen bei Fischer Sauerländer E-Book
Covergestaltung: Dahlhaus & Blommel Media Design, Vreden, nach einer Idee von Greg Stadnyk
Coverabbildung: Greg Stadnyk unter Verwendung von Motiven von iStock Photo
ISBN 978-3-7336-0624-4
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[Widmung]
[Triggerwarnung]
[Karte des Aldryn College]
Die Mondhäuser & ihre Gezeitenausrichtung
I. Teil: Die Hexe
1 Baz
2 Emory
3 Baz
4 Emory
5 Romie
6 Baz
7 Emory
8 Kai
9 Baz
10 Kai
11 Romie
12 Emory
13 Romie
14 Baz
15 Kai
16 Baz
17 Emory
18 Kai
19 Emory
20 Romie
21 Baz
22 Emory
II. Teil: Der Krieger
23 Baz
24 Kai
25 Romie
26 Emory
27 Kai
28 Baz
29 Emory
30 Romie
31 Kai
32 Baz
33 Kai
34 Emory
35 Baz
36 Romie
37 Kai
38 Baz
39 Emory
40 Romie
41 Baz
42 Kai
43 Emory
44 Baz
III. Teil: Der Wächter
45 Baz
46 Kai
47 Romie
48 Baz
49 Emory
50 Kai
51 Emory
52 Baz
53 Kai
54 Baz
55 Romie
56 Emory
57 Baz
58 Kai
59 Emory
60 Baz
IV. Teil: Der Gelehrte
61 Emory
62 Baz
63 Emory
64 Romie
65 Romie
66 Baz
67 Emory
V. Teil: Die Schläfer
68 Emory
69 Baz
Epilog: Die Verdammten
Danksagung
Für meine Eltern,
weil sie mich immer träumen ließen
Dieses Buch behandelt und schildert eine Reihe von Themen, die schwierig sein können, darunter Tod, Mord, Trauer, Schuldgefühle, Body-Horror, Erbrechen, Suizidgedanken, Panikattacken, Aderlass, selbstverletzendes Verhalten, Alkoholkonsum, Amputation (Off-Page), Krieg, Gewalt, Kindesmisshandlung (kurze Erwähnung), Folter eines Fantasiewesens, Exorzismus.
Luna-Nova-Wohnheim
Heiler (Flut)
können sich selbst und andere heilen
Seher (Ebbe)
Gabe der Prophezeiung, haben Visionen
Schattenführer (Flut)
können hinter den Schleier blicken und mit Geistern kommunizieren
Dunkelträger (Ebbe)
können die Dunkelheit beeinflussen
Luna-Crescens-Wohnheim
Säer (Flut)
können Pflanzen und andere kleine Organismen wachsen lassen und diese verändern
Manipulanten (Ebbe)
können Zwang ausüben; haben Charisma und Einfluss auf andere
Verstärker (Flut)
können Ausmaß und Wirkungsbereich anderer Magien intensivieren
Wortschmiede (Ebbe)
können Dinge manifestieren
Luna-Plena-Wohnheim
Seelenwächter (Flut)
können Gefühle manipulieren; sind Empathiker und Aura-Seher
Schutzwirker (Ebbe)
können Schutzzauber ausführen und magische Angriffe abwehren
Reiniger (Flut)
können Reinigungszauber ausführen und Energien wieder ins Gleichgewicht bringen
Lichthüter (Ebbe)
können das Licht beeinflussen
Luna-Decrescens-Wohnheim
Träumer (Flut)
können Träume manipulieren und in diesen erscheinen; können andere in Schlaf versetzen
Rätsellöser (Ebbe)
können Geheimnisse aufdecken und Codes knacken; können Zauber umkehren
Memoristen (Flut)
können Erinnerungen sehen und manipulieren
Todbringer (Ebbe)
können anderen das Leben nehmen; töten durch Berührung
Obscura-Wohnheim
Mondfinsternisse lassen Varianten anderer Mondmagien entstehen
Sonnenfinsternisse lassen selten vorkommende neue Fähigkeiten entstehen, die über andere Mondmagien hinausgehen
Was für ein schöner Tag für ein Begräbnis, dachte Aspen.
Dichter Nebel hing über dem Boden, als sich der Zirkel der Hexen vor der alten Eibe versammelte. In der bleichen Morgendämmerung wurden ihre Gestalten zu gespenstischen Silhouetten, die Frauen in fließenden Gewändern aus weißem Musselin, die Männer in weiten weißen Hemden und Kniehosen. Sie schienen mit dem Nebel zu verschmelzen, stumme Geister, die sich aus der Erde erhoben hatten und weder die kalten Kiefernnadeln unter ihren nackten Füßen noch die frische Brise spürten, die an ihrer viel zu dünnen Kleidung zerrte.
In der Nacht hatte der Winter zum ersten Mal seinen eisigen Atem durch den Wald geblasen. Es würde vermutlich das letzte Begräbnis sein, bevor die Erde gefror.
Aspen unterdrückte ein Zittern, denn sie war sich der Blicke ihrer Mutter bewusst. In einem solchen Moment durfte sie keine Schwäche zeigen. Sie spürte bereits das Missfallen ihrer Mutter über ihr Aussehen: die wirren dunklen Haare, ihre geröteten Augen, die winzigen, halbmondförmigen Flecken auf ihrem Kleid, das sie in aller Eile übergestreift hatte, ohne sich die Mühe zu machen, die Erde vom Ausheben des Grabs gestern Abend unter ihren Fingernägeln zu entfernen.
Ein Grab im Dämmerlicht für eine Beerdigung bei Tagesanbruch – so war es Sitte bei den Hexen.
Irgendwo über ihr sang eine Lerche ihr trügerisch fröhliches Lied, während die Matriarchinnen des Hexenzirkels Aspens jüngere Schwester zu der Stelle führten, an der man sie begraben würde. Bryony starrte sie an, als sie sich in die Grube kniete und ihr makelloses weißes Kleid sich wie ein Fächer um sie ausbreitete. Aspen stockte das Herz. Sie sah sich selbst in Bryonys nervösem Blick und musste daran denken, wie sie bei ihrem eigenen Begräbnis mit aller Kraft versucht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, selbst dann noch, als die Angst sich schwer wie Blei auf ihre Brust gelegt hatte. Das war vor vier Jahren gewesen, doch Aspen würde nie den Geschmack von Erde in ihrem Mund vergessen, die Dunkelheit, die sie erstickt hatte. Die Ungewissheit, die ihr bis in die Besinnungslosigkeit gefolgt war.
Es wird alles gut gehen, formte Aspen lautlos mit den Lippen. Das Kinn ihrer Schwester zitterte wie zur Antwort. Niemand schien es zu bemerken, bis auf ihre Mutter, um deren Mund ein Zug lag, den Aspen sehr gut kannte. Die Hohe Matriarchin tolerierte keine Schwäche bei ihren Töchtern, und diese kleine Unsicherheit Bryonys würde ihr ein Dorn im Auge sein.
Was werden die anderen sagen, wenn meine eigene Tochter kein Vertrauen in die Bildhauerin hat?, hatte die Hohe Matriarchin Aspen an deren Begräbnistag gefragt. Die Erde wird dich empfangen und neu formen. Du darfst nie daran zweifeln.
Für ein dreizehnjähriges Mädchen, das gleich lebendig begraben werden würde, war das natürlich einfacher gesagt als getan. Doch so war es Sitte bei den Hexen. Wenn sie erwachsen wurden, begrub man sie am Fuß der heiligen Eibe, wo die Bildhauerin – die Gottheit, die eins war mit der Erde und dem Land – die hellseherischen Fähigkeiten in ihnen weckte. Zwischen den knorrigen Wurzeln der Eibe wurden sie ein zweites Mal geboren und entstiegen der Erde als vollwertige Hexen.
Sie sollten unerschütterlich an die Bildhauerin glauben und sich in das Schicksal ergeben, das sie nach ihrem Begräbnis erwartete. Der Glaube besiegt den Tod, brachten ihnen die Matriarchinnen des Hexenzirkels schon von Kindesbeinen an bei, wobei sie, vermutlich mit Absicht, die vielen angehenden Hexen vergaßen, die für immer in ihren Gräbern blieben. Die Seelen, die bis in alle Ewigkeit in der Umarmung der Erde verharrten – oder, schlimmer noch, von den Dämonen geholt wurden, die in der Tiefe der Unterwelt hausten.
Das wird nicht Bryonys Schicksal sein, sagte sich Aspen, als ihre Schwester in das Grab sank und ihre glänzenden schwarzen Haare sich wie eine Lache aus dunklem Blut um sie herum ausbreiteten. Sie wird auferstehen.
Die ersten Sonnenstrahlen lugten über die Baumwipfel, als die Matriarchinnen zu singen begannen. Die Abenddämmerung tauchte die Welt in sanftes Blau und Rosa, ein Stillleben in Pastellfarben, das einen viel zu zarten Hintergrund für dieses grauenvolle Ritual schuf. Die Matriarchinnen gruben ihre Finger in den Waldboden und hielten die Hände voller Erde über das Grab, während der Gesang immer schneller wurde. Die uralten Worte sollten Bryonys Seele vor dem Einfluss der Dämonen beschützen.
Plötzlich setzte sich Bryony auf, und eine flehentliche Bitte drang ihr über die Lippen: »Bitte nicht. Ich will das nicht.« Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie aufzustehen versuchte und nach den Rocksäumen der Matriarchinnen griff.
Ihre Verzweiflung brach Aspen das Herz und ließ sie alle Vorsätze vergessen. Sie verließ ihren Platz in der Menge, kniete sich ans Grab ihrer Schwester und ignorierte die bösen Blicke ihrer Mutter.
»Versprich mir, dass du bei mir sein wirst«, stammelte Bryony schluchzend, als Aspen sie zärtlich an sich drückte. »Versprich mir, dass du bleibst, bis es zu Ende ist.«
Aspen schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Sie wusste, was Bryony meinte, wusste, was sie von ihr erwartete. Und sie wusste auch, dass ihre Mutter aufmerksam lauschte und ihr später einen scharfen Tadel wegen dieses ungebührlichen Verhaltens erteilen würde.
»Ich verspreche es«, flüsterte Aspen und zog ihre Schwester noch einmal an sich, bevor sie sich aufrichtete. »Sei jetzt tapfer.« Und ihrer Mutter wegen fügte sie etwas lauter hinzu: »Die Erde wird dich empfangen und neu formen.«
Aspens Versprechen hatte Bryony offenbar neuen Mut schöpfen lassen, denn sie legte sich wieder in ihr Grab. Die Matriarchinnen sangen weiter, als wäre die Zeremonie nicht unterbrochen worden. Bryony schloss die Augen, als die erste Handvoll Erde auf sie fiel. Tränen liefen ihr über die Wangen, und dann rieselte noch mehr Erde auf sie herab und bedeckte ihr Gesicht. Ihr kleiner Körper verschwand Stück für Stück, während das Lied der Hexen immer lauter und schneller wurde. Die schrillen Laute klangen, als würde man einen Baum aus der Erde reißen. Als das Grab bis zum Rand mit Erde gefüllt war, endete das Lied der Hexen in einem letzten ohrenbetäubenden Ton des Triumphs, der die Lerchen aufscheuchte und wegfliegen ließ.
Bryony war nicht mehr da. Einfach so.
In der plötzlichen Stille ließ ein unnatürlicher Wind die Blätter der Eibe erzittern. Ihre Äste knarrten und knackten und ächzten, und tief aus der Erde unter ihnen drang ein Grollen, als die Wurzeln des Baums sich bewegten und das Opfer der Junghexe annahmen. Bryony würde die nächsten acht Tage unter der heiligen Eibe begraben sein. Acht Tage, die den acht Phasen im Lebenszyklus eines Baums entsprachen – Saat, Keimung, Sämling, Setzling, Reife, Blüte, Fortpflanzung, Verwesung –, und danach würde sie als Hexe wiedergeboren werden und den Zyklus erneut beginnen, wenn die Bildhauerin es so wollte.
Acht Tage, in denen sich Aspen schreckliche Sorgen um das Schicksal ihrer Schwester machen würde.
Aspen drehte sich um und rannte von der Lichtung weg, wobei sie sich den ausgestreckten Armen ihrer Mutter nur knapp entziehen konnte. Mit dem Unmut der Hohen Matriarchin würde sie sich später auseinandersetzen.
Ihre nackten Füße berührten die Erde, Kieselsteine und Zweige bohrten sich in ihre Sohlen, als sie durch den Wald rannte, den sie so gut kannte. Je tiefer sie in ihn vordrang, desto dichter, älter und seltsamer wurde er. Hier wohnte die Magie längst verstorbener Hexen, deren verwestes Fleisch und bleiche Knochen die Bäume und die Bildhauerin nährten, von der sie einst erschaffen worden waren.
Nur wenige Hexen wagten sich so weit in die Bäume hinein; die meisten blieben am Waldrand, wo der Hexenzirkel lebte. Gewöhnliche Stadtbewohner mieden die Gegend völlig und erzählten sich flüsternd von den bösen Geistern, die dort hausten, und den Hexen, die mit ihnen Umgang hatten.
Doch Aspen hatte keine Angst vor dem Wald. Sie gehörte zu ihm, denn er lebte in ihrem Innern.
Die Blätter hier leuchteten in tausend Gold- und Rosttönen und waren voller Schönheit in ihrem Verfall. Als sich eine Schlucht vor Aspen öffnete, war sie froh über das schwammartige Moos, das dort wuchs und sich unter ihren Füßen so weich wie ein Kissen anfühlte. Frost überzog den Rand des Wassers. Eisige Kälte kroch durch Aspen hindurch, und obwohl sie sich nach der Feuerstelle in ihrem Zimmer und ihrem warmen Bett sehnte, musste sie zugeben, dass es gute Gründe dafür gab, barfuß durch den Wald zu laufen. Es erinnerte sie an ihre Verbindung zur Erde – das eine spross aus dem anderen, und sie nährten sich gegenseitig. Ein ewig währender Zyklus.
Sie konnte nur hoffen, dass die Erde gütig zu ihrer Schwester sein würde. Dass die Bildhauerin Bryony für würdig erachten und die Hexe in ihr aufwecken würde.
Aspen folgte dem vertrauten Rauschen eines Wasserfalls in der Nähe, der weder sehr hoch noch sehr gewaltig war, aber dennoch wunderschön. Und auch seltsam, denn aus einem Felsspalt an seinem Fuß wuchs ein uralter, knorriger Baum. Er war in der Mitte auseinandergebrochen und bildete einen Torbogen, durch den das herabfallende Wasser stürzte. Auf Aspen hatte dieser Ort schon immer eine seltsame Anziehungskraft ausgeübt. Er war ihre Zufluchtsstätte, und hier kam sie her, wenn sie ihre Sehergabe trainieren und ihre etwas ungewöhnlicheren Fähigkeiten erforschen wollte. Die Fähigkeiten, von denen ihre Mutter nichts wissen sollte.
Hexen konnten in der Erde lesen wie in einem Buch und versteckte Botschaften in Knochen und den Blättern und Jahresringen eines Baums wahrnehmen. Einige von ihnen waren in der Lage, Wurzelsysteme zu entdecken, die mit bloßem Auge nicht sichtbar waren, die Bedürfnisse von Pflanzen und Tiere zu fühlen, einen aufkommenden Sturm oder eine drohende Dürre zu spüren und sich dementsprechend um ihre Felder und Gärten zu kümmern. Bei anderen wiederum war das innere Auge in die Zukunft oder die Vergangenheit gerichtet, und sie sahen wiederkehrende Muster und das Geflecht von möglichen Entwicklungen im Leben eines Menschen.
Die Magie, die von der Bildhauerin in ihnen geweckt wurde, war bei jeder Hexe anders, doch sie war immer an die Erde gebunden und an die Verbindung ihres Körpers dazu. Magie floss durch ihre Knochen, schärfte ihre fünf Sinne und weckte einen sechsten. Bei den meisten drückte er sich in einer Kunstform aus; er führte ihre Hände, um den Visionen Form zu geben. Wie nicht anders zu erwarten, war die Bildhauerei das bevorzugte Medium fast aller Hexen; die Sammlung von Aspens Mutter bestand aus Holzschnitzereien, Keramiken und Marmorbüsten, von denen jedes Stück noch detaillierter, noch bizarrer und noch schöner war als das andere. Es waren Arbeiten von Hexen, die schon lange tot, doch für immer unsterblich waren.
Aspen kniete sich ans Ufer und fuhr mit den Händen durch das kalte Wasser, dessen Oberfläche sich kräuselte, als sie die Erde unter ihren Fingernägeln herauswusch. Sie starrte ihr Spiegelbild in dem trüben Wasser an und versuchte, Bryony in ihren eigenen rötlich-braunen Gesichtszügen zu erkennen. Vier Jahre trennten die Schwestern voneinander, trotzdem sahen sie sich sehr ähnlich: die gleichen tief liegenden dunklen Augen, in denen Gold und Grün funkelten, eingerahmt von langen Wimpern und dichten Brauen; die gleichen schwarzen Haare, die bei Bryony allerdings glänzend und glatt und bei Aspen an guten Tagen gelockt und an den anderen kraus und wirr waren.
Das bewegte Wasser wirkte hypnotisierend, und plötzlich spürte Aspen den Sog ihrer seherischen Kräfte.
Ihre Magie war insofern eine Anomalie, als sie nicht nur mit der Erde verbunden war. Oft geriet Aspen in Trance, wenn sie Regentropfen zusah, die in eine Pfütze prasselten, die knisternden Flammen eines offenen Feuers hörte oder spürte, wie der Wind über ihre Haut strich. Dann öffnete sich ihr inneres Auge, häufig ohne ihr Zutun, und ließ sie durch die Augen anderer Menschen sehen – und auch durch die von Tieren.
Es war eine seltene Sehergabe und im Grunde genommen harmlos. Doch die Wesen, in deren Bewusstsein Aspen eindrang, spürten nicht, dass sie dort war, was zu einem moralischen Problem führte. Aspen sah nicht nur durch ihre Augen, sondern spürte alles, was sie taten: die fünf Sinne, mit denen ihr Körper die Umgebung wahrnahm, aber auch anderes, Persönlicheres, wie etwa alte Kränkungen und Freuden und Erinnerungen, die in ihre Muskeln und Knochen und Sehnen geprägt waren.
Aspen gab sich alle Mühe, keine Grenzen zu überschreiten, doch stets siegte ihre Neugier. Sie war fasziniert davon, die Welt durch andere zu erfahren. Für sie war es eine Möglichkeit, dem Leben zu entkommen, das ihr vorbestimmt war, dem Wald, an den sie gefesselt war. Eine Möglichkeit, ihren wachsenden Hunger nach dem zu stillen, was jenseits des Hexenzirkels lag.
Ihre Mutter dagegen hielt es für unmoralisch, und es missfiel ihr sehr, wenn Aspen ihre Fähigkeiten auf diese Weise nutzte. Doch Bryony hatte Aspen angefleht: Versprich mir, dass du bei mir sein wirst. Eine Einladung für Aspen, durch die Augen ihrer Schwester zu sehen, wenn es in deren Welt dunkel und still und unheimlich wurde. Bryony wollte, dass ihr jemand bildlich gesprochen die Hand hielt, wenn die Luft aus ihren Lungen wich.
Aspen erinnerte sich nur allzu gut an ihr eigenes Begräbnis, an diesen quälenden, endlosen Augenblick, als sie darauf gewartet hatte, dass der Tod kam und die Bildhauerin ihr die Knochen brach und ihren Körper verbog, damit sie sie zu einer vollwertigen Hexe formen konnte. Damals hätte sie alles dafür gegeben, wenn jemand ihre Hand gehalten hätte.
Es war nur ein kleiner Trost für ihre Schwester, doch Aspen würde es tun.
Sie gab dem Sog ihrer Magie nach. Ihr Gesicht kam dem Wasser, das immer noch in Bewegung war, näher und näher –
»Was fällt dir ein?«
Ihre Mutter hatte sie plötzlich am Arm gepackt und zerrte die benommene Aspen aus der Schlucht heraus. Ihre wütenden Worte trafen sie wie eine Peitsche. »Zuerst dieser Affront am Grab deiner Schwester und jetzt das?«
»Ich wollte doch nur –«
»Fang jetzt bloß nicht mit Ausreden an. Ich weiß sehr gut, was du gerade tun wolltest. Wie konntest du dich so in die Erhebung deiner Schwester einmischen?«
»Das habe ich doch gar nicht. Ich schwöre es.«
»Und was, wenn ich dich nicht daran gehindert hätte? Deine Anwesenheit in Bryonys Bewusstsein hätte vielleicht die Arbeit der Bildhauerin gestört oder die Dämonen herbeigerufen.«
Schuldgefühle überkamen Aspen. Daran hatte sie nicht gedacht. Sie war zu emotional gewesen und hatte sich von den Bitten ihrer Schwester erweichen lassen. Aspen ließ den Kopf hängen. »Mutter, es tut mir leid.« Sie hätte es besser wissen müssen.
»Du dummes Mädchen.« Mit einem tiefen Seufzer ließ ihre Mutter sie los. »Aspen, ich erwarte mehr von dir. Du bist die Auserwählte der Bildhauerin, und du musst dich dementsprechend verhalten.«
Aspen schwieg, doch am liebsten hätte sie sich wegen dieser Worte beschwert. Sie musste nicht ständig daran erinnert werden.
Auserwählt zu sein, war gleichbedeutend mit gesegnet, das behauptete jedenfalls ihre Mutter, doch Aspen hielt verflucht für die passendere Bezeichnung. Das Zeichen der Bildhauerin zu tragen, hieß, die nächste Hohe Matriarchin zu werden, die die Aufgabe hatte, den Wald mitsamt seinem Hexenzirkel zu beschützen. Und die ihn deshalb nie verlassen durfte.
Wenigstens würde Bryony diese Bürde nicht tragen müssen. In jeder Generation wurde nur eine Hexe geboren, die mit der Gunst der Bildhauerin ausgezeichnet wurde, was bedeutete, dass Bryony den Wald verlassen konnte, wenn sie wollte.
Aspen jedoch nicht. Der Wald hatte Wurzeln in ihr geschlagen, die sie nie kappen konnte. Sie war an diesen Ort hier gefesselt bis zu dem Tag, an dem sie starb und ihr Körper in die Erde zurückkehrte.
»Was ist das denn?«
Ihre Mutter starrte mit gerunzelter Stirn in die Schlucht. Aspen folgte ihrem Blick und erstarrte. Bis jetzt hatte sie gar nicht bemerkt, dass die Blätter auf dem Wasser schwarz waren. Es war nicht der übliche Moder und Zerfall, den der Herbst mit sich brachte. In der Luft hing ein unangenehmer Geruch, schwer und widerlich süß.
Verwesung.
Einige der Bäume in der Schlucht faulten und waren durch irgendeine Krankheit schwarz geworden. Warum hatte Aspen das nicht gespürt? Ihre Verbindung zum Wald hätte sie darauf aufmerksam machen müssen, doch sie hatte sich so auf Bryony konzentriert, dass es ihr entgangen war.
Ihre Mutter ging ein paar Schritte auf die kranken Bäume zu. Als Aspen ihr folgte, fiel ihr Blick auf zwei Körper, die unter den verschimmelten Blättern einer Weide am Wasserfall lagen.
Dem Aussehen nach waren es zwei Mädchen. Sie waren zur Hälfte in einer Felsspalte verborgen und lagen mit dem Oberkörper reglos auf dem moosbewachsenen Ufer.
Aspens Mutter blieb abrupt stehen. Als Aspen versuchte, an ihr vorbeizugehen, packte die Hohe Matriarchin sie am Handgelenk. »Nicht!«, stieß sie mit zitternder Stimme und vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen hervor.
»Wir müssen ihnen helfen«, rief Aspen und wand sich aus dem Griff ihrer Mutter.
Irgendetwas zog sie zu den Körpern hin, eine Art Sog, gegen den sie sich nicht wehren konnte. Die Kleidung der Mädchen war höchst seltsam. Sie trugen Hosen, deren Material und Muster Aspen noch nie gesehen hatte. Ihre Haare waren offen. Eine hatte lange blonde Locken, die ganz verfilzt vom Schlamm waren. Die braunen Haare der anderen, in denen sich Kiefernnadeln, Samenhülsen und kleine Zweige verfangen hatten, waren nicht einmal schulterlang und so kurz, wie es Aspen noch nie bei einem Mädchen aus ihrer Gegend gesehen hatte. Das Mädchen hatte den Kopf auf den Arm gelegt, und seine Hand war seltsam verkrümmt, die Haut schwarz verbrannt. Die Hand des anderen Mädchens lag direkt daneben, als hätte es nach seiner Gefährtin gegriffen.
An den Handgelenken beider Mädchen schimmerte eine silberne Narbe, die wie eine Spirale aussah.
»Mutter, schnell, komm her!«, keuchte Aspen, deren Herz so schnell schlug, dass sie kaum mehr atmen konnte.
Ihre Mutter war sofort an ihrer Seite. Sie legte zitternd die Hand an den Hals, als sie mit vor Schreck geweiteten Augen das vertraute Symbol an den Handgelenken der Mädchen anstarrte. Es war das gleiche Symbol, das die Bildhauerin in Aspens Rippen geschnitten hatte. Die spiralförmige Narbe, die sie als Hüterin des Hexenzirkels, als zukünftige Hohe Matriarchin auswies.
»Sie sind gekommen«, sagte Aspens Mutter mit unheilvoller Stimme. »Sie sind hier, und jetzt beginnt es.«
Aspen hatte keine Ahnung, warum ihre Mutter solche Angst hatte. Sie spürte nur eine seltsame Begeisterung, als sie daran dachte, was das alles bedeuten konnte, und ließ sich wieder einmal von ihrer Neugier mitreißen.
Die Augenlider des blonden Mädchens zuckten, und es begann sich zu rühren.
Die beiden waren also nicht tot.
Sie sind hier, hatte die Hohe Matriarchin gesagt, und obwohl Aspen nicht wusste, wer sie waren oder was ihre Mutter damit gemeint hatte, empfand sie ein Kribbeln in den Fingerspitzen, eine Sinnhaftigkeit, die sie schon oft empfunden hatte, doch noch nie so stark. In ihren Knochen spürte sie die Gewissheit, dass alles seine Richtigkeit hatte, dass jetzt endlich alles gut wurde.
Aspen stockte der Atem, als eines der Mädchen die Augen öffnete und sie ansah.
Und jetzt beginnt es.
Baz Brysden war sich der Zeit am meisten bewusst, wenn er keine mehr hatte.
Am Abend vor einer Klausur zum Beispiel, wenn ihm klar wurde, dass er tagelang alles aufgeschoben hatte und jetzt auf Schlaf verzichten musste, um sein Pensum noch zu schaffen. Oder wenn er sich mit einer Tasse Kaffee in der Hand in ein Buch vertieft hatte und ihm plötzlich auffiel, dass er zu spät kommen würde, weil der Unterricht in ein paar Minuten begann.
Natürlich könnte Baz dafür sorgen, dass die Minuten etwas länger wurden, damit er zu so etwas Trivialem wie Klausuren und Unterricht nie zu spät kam. Für ihn, den Zeitspinner, war es schließlich ein Leichtes, die Zeit zu beeinflussen. Er brauchte nur an ihren Fäden ziehen, und schon konnte er es schaffen, ein paar Sätze mehr zu schreiben oder ein paar Stunden mehr zu lernen, um die volle Punktzahl bei einer Klausur zu bekommen. Oder alltägliche Verrichtungen auszuführen, die ihn einigermaßen präsentabel aussehen ließen, wenn er das Obscura-Wohnheim verließ, wie zum Beispiel Zähneputzen oder ein sauberes Hemd anziehen oder dafür zu sorgen, dass ihm seine Haare nicht in alle Richtungen vom Kopf abstanden. An diesem Morgen hatte er all das getan und sich beeilt, seine letzten Hausarbeiten einzureichen und bei Professorin Selandyns Büro vorbeizugehen und das Sonnwendgeschenk für sie abzugeben, bevor er in die Ferien fuhr.
Trotzdem rannte er jetzt quer über den Campus, um seinen Zug noch zu erwischen.
Jemand anders mit der Gabe, die Zeit zu beeinflussen, würde so etwas wie Eile und Hektik und verpasste Züge gar nicht kennen. Doch Basil Brysden war in dieser Hinsicht sehr eigen und nutzte seine Magie nur, wenn es nicht mehr anders ging – und dann auch nur so reduziert wie möglich –, was auch an seiner ängstlichen Natur lag.
Und der pockennarbige Regulator, der sich ihm in einem der Kreuzgänge plötzlich in den Weg stellte, ließ ihn noch um einiges ängstlicher werden.
»Mr. Brysden. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie auf dem Weg nach Hause sind?«
»Spionieren Sie mir jetzt schon auf dem Campus nach?«, stieß Baz verärgert hervor, während er den Schultergurt seiner Reisetasche zurechtrückte.
»Du meine Güte, warum denn gleich so aggressiv?« Der selbstzufriedene Ausdruck in den kleinen Knopfaugen des Regulators entging Baz nicht.
Captain Silas Drutten war in den letzten zwei Monaten zum Fluch von Baz’ Leben geworden. Seit Baz seinem Vater und Kai dabei geholfen hatte, aus dem Institut zu entkommen, war er von Drutten auf Schritt und Tritt verfolgt worden, der versuchte, ihn bei einer Lüge zu erwischen und für ihre Flucht verantwortlich zu machen. Inzwischen konnte Baz allerdings sehr gut lügen – aber vielleicht lag es auch daran, dass Drutten nahezu keine Beweise hatte. Jedenfalls war es für Baz ein Leichtes, bei seiner Geschichte zu bleiben, egal, wie oft er mit einem dieser sinnlosen Verhöre schikaniert wurde.
Und allem Anschein nach war für heute wieder eines geplant.
»Diese Begegnung ist reiner Zufall«, sagte Drutten, während er die Medaillen an seiner Uniform zurechtrückte. »Ich bin wegen des Banketts hier.«
Das erklärte seine Aufmachung. Während die Studenten Aldryn College für eine Woche verließen und in die Ferien zur Wintersonnwende abreisten, warfen sich die Mitglieder des Lehrkörpers in ihre besten Anzüge und Abendkleider, um an dem jährlichen Bankett für die Geldgeber des College teilzunehmen. An diesem Abend würden alle wichtigen Persönlichkeiten erscheinen, die Verbindungen zu Aldryn hatten, angefangen bei hochrangigen Regulatoren und dem Bürgermeister von Cadence bis hin zu Familien, deren Namen vermutlich in die Grundmauern des College geritzt waren. Es war eine pompöse Angelegenheit, mit einem Sieben-Gänge-Menü, Champagner in Strömen und Leuten, die so aufgeblasen waren, dass sie fast platzten – Selandyns Worte, nicht die von Baz.
»Wenn das so ist«, erwiderte Baz mit einem demonstrativen Blick auf seine Uhr, »müssen Sie mich jetzt entschuldigen. Mein Zug fährt gleich.«
»Dann kann ich also davon ausgehen, dass Sie tatsächlich nach Threnody wollen?«
»Aber natürlich.« Es war zwecklos, das abstreiten zu wollen. »Sie wissen doch ganz genau, dass meine Mutter dort wohnt.«
Drutten hatte höchstpersönlich jeden Winkel von Anise Brysdens Haus nach Hinweisen auf ihren flüchtigen Ehemann durchsucht. Natürlich hatte er nichts gefunden, doch er belästigte sie weiterhin, was Baz zur Weißglut trieb und dazu geführt hatte, dass sich seine Mutter in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher fühlte. Es widerte ihn zutiefst an.
Drutten starrte ihn an. »Ich muss Sie ja wohl nicht daran erinnern, dass es ein Verbrechen ist, Flüchtigen Unterschlupf zu gewähren, auch während der Ferien.«
»Das ist mir sehr wohl bewusst.«
»Aber wenn Sie sich dazu entschließen könnten, mir den Aufenthaltsort besagter Flüchtiger zu verraten, könnte ich mich vielleicht dazu durchringen, Nachsicht walten zu lassen. Das wäre dann mein Sonnwendgeschenk an Sie.«
Baz hätte fast gelacht. Als würde er jemals glauben, dass der Regulator ihm gegenüber auch nur die geringste Milde walten lassen würde.
»Drutten, wir können jetzt noch eine Weile so weitermachen, aber ich werde Ihnen nichts anderes sagen als das, was ich bereits bei meinem ersten Verhör gesagt habe.« Baz hob die Hand hoch und zählte bei jeder Feststellung, die er machte, mit den Fingern mit: »Ja, ich war der Letzte, der meinen Vater im Institut gesehen hat. Nein, ich habe ihm oder Kai nicht bei der Flucht geholfen, und nein, ich habe seitdem keinen der beiden gesehen und auch nicht mit ihnen gesprochen. Falls Sie keine handfesten Beweise haben, um das zu widerlegen – und ich weiß, dass Sie keine haben –, werde ich jetzt gehen. Viel Spaß beim Bankett.«
Baz marschierte an dem Regulator vorbei, ohne ihn noch einmal anzusehen. Er war überrascht von der Unverfrorenheit, die er an den Tag legte. Diese eklatante Missachtung von Autorität war immer noch neu für ihn, trotz allem, was er in den letzten Monaten durchgemacht hatte. Er kam sich ein bisschen vor wie ein Kind, dem seine Mutter gleich eine Standpauke halten wird, weil sie es vor dem Abendessen mit einem Keks in der Hand ertappt hat. Allerdings ging es hier um einiges mehr.
Doch Drutten machte keinen Versuch, ihn zurechtzuweisen. Er rief ihm nur ein betont fröhliches »Schöne Grüße an Ihre Eltern« nach.
Baz wagte erst, einen Blick über die Schulter zu werfen, als er kurz davor war, um die nächste Ecke zu biegen. Drutten beachtete ihn gar nicht; der Regulator begrüßte Dekanin Fulton, die ihren üblichen Tweedanzug trug und sich offensichtlich noch nicht für das Bankett umgezogen hatte. Sie hatte ein freundliches Lächeln für Drutten übrig, doch es wankte, als sich noch zwei Leute zu ihnen gesellten.
Baz wurde flau im Magen, als er Artem Orlow erkannte, der einen teuren, mit Pelz besetzten Mantel trug. Seine roten Haare leuchteten wie eine brennende Fackel. Neben ihm stand Virgil Dade, ein weiteres Mitglied des Selenischen Ordens, der Artems Schwester, Lizaveta, sehr gerngehabt hatte. Auch Virgil hatte sich in Schale geworfen, was Baz daran erinnerte, dass immer auch eine kleine Gruppe auserwählter Studenten zum Bankett eingeladen wurde. Auf diese Weise versuchte das College, seine Besten und Klügsten zu präsentieren.
Anscheinend hatte Virgil inzwischen Keiran als Aldryns Goldjungen ersetzt – und als Artems Schoßhündchen.
Bevor einer der beiden Baz entdecken konnte, verschwand er um die Ecke. Ein weiterer Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass er es gerade noch rechtzeitig zum Bahnhof schaffen würde. Züge nach Threnody gingen jede Stunde, doch er musste unbedingt diesen einen erwischen.
In seinen Fingerspitzen kribbelte Magie, die nur darauf wartete, benutzt zu werden. Noch nicht, dachte Baz und ging schneller. Er würde nur im äußersten Notfall zaubern.
Schöne Grüße an Ihre Eltern.
Baz schäumte vor Wut, als er an Druttens versteckte Drohung und sein scheinheiliges Angebot von Nachsicht dachte. Früher einmal wäre er vielleicht so naiv gewesen, zu glauben, dass Drutten keine unlauteren Absichten hatte. Doch Drutten war wie jeder andere Regulator; er unterstützte ein System, das es sich zum Prinzip gemacht hatte, Recht und Gesetz mit Füßen zu treten, wenn es um Eklipse-Geborene ging. Damit hatte Baz klarkommen müssen, nachdem er und Jae mit ihrem Fall zu einem vertrauenswürdigen Anwalt gegangen waren, der ihre Anschuldigungen gegen Keiran Dunhall Thornby, Artem Orlow, den Selenischen Orden und das Institut im Allgemeinen bei den Gerichten von Elegy vorgebracht hatte.
Die einzigen stichhaltigen Beweise, die Baz und Jae hatten, waren ein paar Unterlagen, die sie an dem Tag, an dem sie Kai und Theodore zur Flucht verholfen hatten, aus Artem Orlows Büro mitgenommen hatten: Notizbücher, in denen stand, dass sowohl Artem als auch Keiran den Status des Ersteren als Regulator benutzt hatten, um Eklipse-Geborenen nach deren Zusammenbruch ihr silbernes Blut abzunehmen – Blut, aus dem sie dann synthetische Magie für die korrupte Geheimgesellschaft hergestellt hatten, die unter dem Namen Selenischer Orden bekannt war und der sie beide angehörten.
Doch so belastend ihre Beweise auch waren, die Korruption innerhalb des Instituts – und die Macht des Ordens – übertraf sämtliche ihrer Vorstellungen. Alle Beweise wurden für unzulässig erklärt. Die Klage wurde abgewiesen, noch bevor es zum Prozess kommen konnte.
Alle Planungen, alle Hoffnungen darauf, dass sie endlich Gerechtigkeit für die Eklipse-Geborenen bekamen, waren umsonst gewesen. Artem verließ mit hoch erhobenem Kopf den Gerichtssaal und konnte seine Stelle als Regulator behalten. Keirans Name blieb unbefleckt, und sein und Lizaveta Orlows Tod wurden als tragische Unglücksfälle durch Ertrinken bezeichnet – und Emorys Verschwinden wurde mit einem Vorfall in Dovermere erklärt. Im Bauch der Bestie waren drei weitere Studenten gestorben, ansonsten war nichts passiert. Als wäre eine von ihnen nicht durch ein geheimnisvolles Tor in andere Welten verschwunden, nachdem die beiden anderen versucht hatten, sie wegen ihres Gezeitenruferbluts zu töten.
Baz wäre fast mit einer Gruppe von Studenten zusammengestoßen, die sich im Kreuzgang versammelt hatten. Sie tauschten Geschenke aus und umarmten sich zum Abschied, bevor sie in die Ferien abreisten. Plötzlich brach ein Gefühl der Sehnsucht wie eine Flutwelle über ihn herein. Früher hätte Baz alles dafür gegeben, so allein zu sein, wie er sich jetzt fühlte, ohne einen Mitbewohner im Obscura-Wohnheim, der ihn störte. Ein Geist, der im College umherirrte und unsichtbar zwischen den Regalen von Aldryns vielen Bibliotheken hin und her huschte. Doch inzwischen war das anders. Das Obscura-Wohnheim war ohne Kai so still wie ein Grab. Und der Luna-Decrescens-Bibliothek schien ein entscheidender Teil ihrer Seele zu fehlen, wenn er an der leeren Stelle vorbeikam, an der sonst immer Emory gesessen hatte. Selbst Romies Gewächshaus hatte jegliche Anziehungskraft auf ihn verloren, nachdem eine Professorin der Fakultät für Säer es ausgeräumt hatte und für den Unterricht ihrer Erstsemester verwendete.
Baz war zum ersten Mal völlig allein. Und sehnte sich nach Gesellschaft.
Er murmelte eine Entschuldigung und zwängte sich an den Studenten vorbei. Der Himmel war ein bleiernes Grau, und die kalte Luft kündigte Schnee an. Baz hoffte, dass der Sturm erst losbrach, wenn er sein Ziel erreicht hatte. In letzter Zeit war das Wetter unberechenbar gewesen, was die Experten mit einer Störung der Gezeiten erklärten. Katastrophale Überschwemmungen in Küstenstädten, gestrandete Schiffe, was den Handel beeinflusste, so viele Todesfälle durch Ertrinken aufgrund von schwerem Seegang wie noch nie – und das überall auf der Welt, nicht nur auf Elegy. Ein Phänomen, das begonnen hatte, nachdem das Tor in Dovermere geöffnet worden war.
Vielleicht war es nur ein unheimlicher Zufall.
Baz erreichte den belebten Bahnhof in dem Moment, als sein Zug anfuhr. Er verwünschte Drutten – wenn der Regulator ihn nicht aufgehalten hätte, wäre Baz noch rechtzeitig gekommen. Jetzt hatte er keine andere Wahl mehr, als sich mit seiner Magie zu behelfen.
Mit einem leisen Fluch auf den Lippen griff er nach den Fäden der Zeit. Die Welt um ihn herum kam zum Stehen. Das Meer von Studenten erstarrte; das Pfeifen der Lokomotiven verstummte. Baz lief über den Bahnsteig und stieg in den Zug, er zwängte sich an dem reglosen Schaffner vorbei, der die Tür noch nicht ganz geschlossen hatte, und ließ die Fäden der Zeit los.
Die Welt bewegte sich wieder und hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sie stehen geblieben war.
Baz ließ sich auf seinen Platz fallen und hätte am liebsten vergessen, wie leicht ihm das, was er gerade getan hatte, gefallen war. Er hatte sich noch nicht an die Magie gewöhnt, die er nach seinem Zusammenbruch besaß, obwohl sie ihn schon so lange begleitete.
Ein Zusammenbruch war das, was alle Eklipse-Geborenen erwartete, die zu viel von ihren Zauberkräften benutzten, eine Art Implosion des eigenen Ichs, von der man sich angeblich nicht mehr erholte. Doch Baz hatte festgestellt, dass ein Zusammenbruch nicht unweigerlich dazu führte, vom Fluch des Schattens getroffen zu werden, wie es immer hieß. In Wirklichkeit wurde dabei ihre Magie so sehr verstärkt, dass sie fast grenzenlos war.
Nachdem Baz von seinem Zusammenbruch erfahren hatte, hatten sich ihm viele Türen geöffnet – zu viele, über die er lieber nicht nachdenken wollte, da ihn die Vorstellung, so viel Magie zu besitzen, nervös machte –, doch er fühlte sich kein bisschen anders. Vielleicht lag es daran, dass er seine uneingeschränkten Zauberkräfte all die Jahre unter Kontrolle gehalten hatte, ohne sich darüber im Klaren gewesen zu sein, aus Angst davor, eine Grenze zu erreichen, die er unwissentlich bereits überschritten hatte.
Und selbst jetzt unternahm er keinen Versuch, herauszufinden, wie groß seine Magie tatsächlich war. Er war immer noch derselbe ängstliche Junge, der nie weiter ging, als er seiner Meinung nach gehen sollte. Und viel zu vorsichtig.
Als der Zug aus dem Bahnhof fuhr, musste Baz wieder an Druttens Drohung denken und lächelte insgeheim. Sein Trick funktionierte. Er hatte ganz genau gewusst, dass der Regulator davon ausgehen würde, Baz werde nach Threnody fahren. Wo sollte er in den Sonnwendferien sonst hin, wenn nicht nach Hause?
Doch für Baz hatte dieses Wort jegliche Bedeutung verloren. Sein Elternhaus war ihm im Laufe der Jahre immer fremder geworden, und obwohl der Aufenthaltsraum des Obscura-Wohnheims früher ein Zufluchtsort für ihn gewesen war, so war er jetzt zu leer, um ihm das Gefühl zu geben, dass dort sein richtiges Zuhause war.
Baz hatte kein Zuhause mehr. Und deshalb fuhr er jetzt dorthin, wo ihn niemand vermuten würde.
Das laute Quietschen des Zuges auf den Gleisen riss Baz aus dem Halbschlaf. Sein Gesicht prallte gegen das beschlagene Fenster, und beim Anblick des wuseligen Bahnhofs, in den sie gerade einfuhren, wusste er für einen kurzen Moment nicht, wo er gerade war, obwohl er schon unzählige Male dort gewesen war. Er blinzelte den Schlaf aus den Augen und war auf einen Schlag wach, als er das aus blauen, grünen und roten Fliesen bestehende Schild an der Ziegelwand sah, auf dem Hauptbahnhof Threnody stand.
Die Passagiere strömten in den schmalen Gang vor Baz’ Abteil, in dem außer ihm niemand war, doch er blieb sitzen und suchte hektisch den Bahnsteig vor sich ab. Als er die Person, nach der er Ausschau hielt, nicht finden konnte, geriet er in Panik. Und dann, gerade als er anfing, sich alle möglichen Horrorszenarien vorzustellen, öffnete sich die Tür seines Abteils. Vor Schreck wäre ihm fast das Herz stehen geblieben.
»Oh, ich –« Baz suchte nach einer Entschuldigung, die er aber nicht brauchte. Er lachte erleichtert. »Da bist du ja. Den Gezeiten sei Dank.«
Jae Ahn lächelte ihn an, die dunklen Augen voller Schalk. Baz war noch nie so glücklich gewesen, xier zu sehen. »Das Timing hätte nicht besser sein können«, sagte Jae, während xier die Tür des Abteils zuschob und sich Baz gegenübersetzte.
»Glaubst du wirklich, es wird funktionieren?«
Jae wies zum Fenster. »Sieh selbst.«
Unter den Leuten, die ausgestiegen waren und jetzt über den Bahnsteig gingen, befand sich Baz – oder besser gesagt eine perfekte Kopie von ihm, die die gleiche Kleidung trug und das gleiche Gepäck mit sich herumschleppte wie der echte Baz. Mit dieser Illusion hatte sich Jae selbst übertroffen; sogar der Gesichtsausdruck des falschen Baz war der gleiche, eine Mischung aus Nervosität und Arroganz, die den echten Baz ein wenig verlegen werden ließ. Sah er denn tatsächlich so aus?
Jae hatte das alles geplant, eine beeindruckende Illusion, die jeden täuschen würde, der sich für Baz’ Aufenthaltsort interessierte. Falls die Regulatoren jemanden in den Zug geschickt hatten, würden sie ihn hier aussteigen sehen, am Hauptbahnhof von Threnody. Der echte Baz fuhr weiter nach Süden, eingehüllt in eine andere Illusion, mit der Jae ihr Abteil umgeben hatte. Und falls jemand während der Ferien beim Haus der Brysdens vorbeischaute, würde er oder sie Anise und Baz vorfinden, die sich dort verkrochen, da keiner der beiden sich nach draußen wagte oder Gäste einladen wollte. Schließlich war Theodores Flucht aus dem Institut eine Schande, die schwer auf ihnen lastete.
»Bist du sicher, dass die Illusion von Dauer sein wird?«, fragte Baz, als sein falsches Ebenbild in der Menge verschwand.
»Aber natürlich.« Jae legte die Füße auf den gepolsterten Sitz und sah sehr zufrieden aus. »Ich spiele schon lange damit herum, Illusionen über längere Zeit aufrechtzuerhalten, und bis jetzt ist mir noch keine einzige missglückt. Wenn dich allerdings jemand auf der Straße anhält und sich mit dir unterhalten will, könnten wir ein Problem bekommen.« Jae verzog das Gesicht. »Aber wenn du sie oder ihn einfach ignorierst, wäre das doch nicht wirklich etwas Ungewöhnliches für dich, oder?«
»Nein, vermutlich nicht«, musste Baz zugeben. Er war immer wieder erstaunt darüber, welch ungeheure Kontrolle Jae über xiese Magie hatte.
Jaes Zusammenbruch war schon lange her, und xier hatte ein wachsames Auge auf Baz und Kai gehabt, für die das alles noch sehr neu war. Im Gegensatz zu den meisten Eklipse-Geborenen war es allen dreien nach ihrem Zusammenbruch gelungen, dem Unheiligen Siegel zu entkommen, mit dem ihre Magie unterdrückt werden sollte.
Der Zug fuhr an, und als Threnody langsam hinter ihnen verschwand, hatte Baz das Gefühl, dass er wieder atmen konnte.
»Wie ist es dir inzwischen ergangen, Basil?«
»Alles in allem gut. Wie läuft es mit dem Training?«
Jae strahlte vor Stolz. »Besser, als ich erwartet hatte.«
Vor einigen Monaten war Jae unter dem Vorwand einer Forschungsreise nach Threnody gezogen, doch in Wirklichkeit trainierte xier im Geheimen andere Eklipse-Geborene nach deren Zusammenbruch. Jae war es gelungen, Kontakt zu anderen wie xier herzustellen, die es geschafft hatten, nicht mit dem Unheiligen Siegel gebrandmarkt zu werden, und half ihnen jetzt dabei, ihre grenzenlosen Zauberkräfte zu beherrschen. Die meisten dieser Leute führten ein ganz normales Leben, wie Jae und Baz, und verheimlichten ihrem Umfeld mit unterschiedlichem Erfolg, dass sie einen Zusammenbruch erlitten hatten. Doch manche von ihnen, deren Zusammenbruch in der Öffentlichkeit erfolgt war, befanden sich auf der Flucht vor den Regulatoren und lebten im Untergrund. Sie kämpften um ihr Überleben und beteten, dass sie nicht erwischt wurden. Jaes Training war für sie ein dringend benötigter Zufluchtsort.
Es ging darum, dafür zu sorgen, dass »alle ihre Scheiße im Griff hatten«, wie Kai es ausdrücken würde. Sie wollten der Welt irgendwann beweisen, dass von Eklipse-Geborenen nach einem Zusammenbruch keine Bedrohung für die Gesellschaft ausging. Dass sie den Fluch des Schattens bezwingen konnten, von dem sie danach angeblich getroffen wurden.
»Ich frage mich wirklich, ob diese Sache mit dem Fluch ein Schwindel ist«, sagte Jae, als könnte xier Baz’ Gedanken lesen. »Ein abschreckendes Beispiel, mehr nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Hast du jemals etwas von dieser Dunkelheit gespürt, vor der wir immer gewarnt werden? Hat dich deine Magie nach dem Zusammenbruch verändert, hat sie aus dir jemanden gemacht, der um jeden Preis Macht haben will?« Jae schüttelte den Kopf, wartete aber nicht ab, dass Baz die eindeutig rhetorisch gemeinte Frage beantwortete, und sprach weiter: »Die Fähigkeit, unsere Magie zu kontrollieren, scheint lediglich damit zusammenzuhängen, wie groß sie vor dem Zusammenbruch gewesen ist. Nehmen wir zum Beispiel mich. Illusionen sind eine ziemlich harmlose Sparte von Magie, die ich bereits vor meinem Zusammenbruch sehr gut beherrscht habe. Und deine Fähigkeiten als Zeitspinner – na ja, banal würde ich sie nicht gerade nennen, ganz im Gegenteil, aber du bist immer sehr vorsichtig mit deiner Magie umgegangen, daher ist es nur logisch, dass du sie jetzt auch im Griff hast. Aber andere, deren Magie von Natur aus bereits dunkler ist oder die von Anfang an keine sichere Kontrolle über ihre Fähigkeiten haben … Dann leuchtet es doch ein, dass es ihnen schwerer fällt, mit ihrer größer gewordenen Magie zurechtzukommen, findest du nicht auch?«
Baz kam ein ganz bestimmter Albtraumweber in den Sinn. Jae schien den gleichen Gedanken zu haben. »Er wird besser«, fügte Jae hinzu. »Wie ich schon sagte, er muss sich erst daran gewöhnen. Und Kais Magie ist … Im Moment gibt es so vieles, was wir noch nicht darüber wissen. Aber wir schaffen das.«
Baz starrte auf seine Hände. Der Albtraumweber, den er gekannt hatte, hatte seine Magie immer beherrscht, doch jetzt, nach seinem Zusammenbruch, sah es so aus, als würden die Albträume ihn beherrschen. Sie plagten ihn auch dann, wenn er wach war, und er konnte nur schwer unterscheiden, was real war und was nicht. Wie die Bienen, die er einmal nur so zum Spaß aus einem Traum von Baz mitgenommen hatte – doch jetzt lachte niemand mehr darüber, und Kai schon gar nicht.
Nach einer Weile setzte draußen die Dämmerung ein. Baz starrte aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Strauchkiefern und Fichten, deren Äste schwerer Schnee niederdrückte. Als der Zug anhielt, waren Baz und Jae die Einzigen, die ausstiegen, was angesichts ihres abgelegenen Ziels wenig überraschend war. Der Bahnhof war nicht einmal ein richtiger Bahnhof, nur ein kleines, einsames Gebäude neben den Gleisen. Sie wurden von niemandem erwartet.
Baz zog seine Jacke um sich und schlug den Kragen in seinem Nacken hoch, um den beißenden Wind abzuhalten. Er und Jae stapften über die schneebedeckte Straße, und obwohl Baz wusste, dass Jae eine Illusion um sie herum errichtet hatte, die sie unsichtbar machte, warf er immer wieder einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand folgte. Nur hin und wieder spendete eine Straßenlaterne trübes Licht, und Baz zuckte bei jedem Geräusch zusammen, weil er sich einbildete, dass sich Drutten in der Dunkelheit zwischen den Bäumen versteckte. Er malte sich alles Mögliche aus, als sie die Straße verließen und auf einen schmalen Weg abbogen, der sich an der zerklüfteten Küste durch den winterlichen Wald zog.
Die Gegend war so wild und verlassen, dass ihm das Donnern der Wellen Angst machte. Hier konnte man unbemerkt jemanden verschwinden lassen.
»Wir sind fast da«, sagte Jae vor ihm.
Als Baz den Leuchtturm am Rand der Welt erblickte, waren seine Wangen vor Kälte und Anstrengung rot geworden, und sein Atem bildete Wolken um ihn herum. Die blau gestrichene Tür am Fuß des Leuchtturms öffnete sich in dem Moment, als Baz nach der Klinke griff. Aus dem Innern drangen warmes Licht, Gelächter und der köstliche Geruch von frischem Brot und Fischsuppe nach draußen.
Vor ihnen stand Henry Ainsleif, dem die langen, rotblonden Haare bis auf die Schultern fielen. Er trug ein breites, von einem wilden Bart umrahmtes Lächeln im Gesicht. »Rein mit euch! Ihr kommt gerade rechtzeitig zum Abendessen.«
Henry öffnete die Tür noch etwas weiter, und als Baz aus der Kälte trat, fiel sein Blick auf Theodore und Anise Brysden. Seine Eltern, die gerade den kleinen Küchentisch deckten, hielten inne. Ein Aufschrei, das Klirren von Besteck und dann wurde Baz fast in einer ungestümen Umarmung erdrückt.
»Hallo, Mom«, murmelte er, während er den vertrauten Duft ihrer Haare einsog. Ihm ging das Herz auf, sie so voller Leben zu sehen.
»Oh, ich bin so froh, dass du es geschafft hast«, sagte sie und zog ihn noch einmal fest an sich. Dann schob sie ihn auf Armeslänge von sich weg und musterte ihn mit ihren großen Augen, die denen Romies so ähnlich waren. »Gab es Probleme? Wie geht es dir?«
»Mir geht’s gut.« Er lächelte, als er bemerkte, wie Theodore und Jae sich herzlich begrüßten. »Und das habe ich Jae zu verdanken.«
Jae zuckte nur mit den Schultern, aber Anise gab xier einen Kuss auf die Wange und bedankte sich überschwänglich. Baz’ Vater nutzte die Gelegenheit, seinen Sohn in eine Umarmung zu ziehen, die der von Anise in nichts nachstand. Baz schloss die Augen und genoss den Moment. Er konnte immer noch nicht glauben, dass sein Vater hier war. Theodore Brysden war auf der Flucht und wurde gesucht, aber immerhin war er jetzt nicht mehr im Institut eingesperrt.
Als Baz in das lächelnde Gesicht seines Vaters starrte, fiel ihm auf, dass es sich sehr verändert hatte, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Die Jahre, die er im Institut verbracht hatte, hatten ihn geradezu ausgezehrt. Doch jetzt war das Leben in Theodores Augen zurückgekehrt, und er wirkte nicht länger geschwächt und gebrochen, sondern gesund und kräftig. Das Unheilige Siegel war dank Baz’ Magie verschwunden, denn obwohl Theodore nie wirklich einen Zusammenbruch hatte, war seine Magie von den Regulatoren unterdrückt worden. Alles wegen Baz, den Theodore hatte beschützen wollen.
Es war Baz gewesen, der an jenem Tag in der Druckerei seines Vaters einen Zusammenbruch erlitten und aufgrund der unkontrollierten Explosion seiner Magie drei Menschen getötet hatte.
Wieder einmal wurde Baz von Schuldgefühlen geplagt. Und obwohl in Theodores Augen nicht einmal der leiseste Vorwurf zu erkennen war, hatte Baz das dringende Bedürfnis, sich zu entschuldigen, sich mit ihm auszusprechen. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch die Worte wollten ihm nicht über die Lippen kommen.
Er wurde von einer Stimme gerettet, die so samten wie die Nacht war, einer Stimme, die er überall wiedererkennen würde.
»Wird auch Zeit, dass du dich mal blicken lässt.«
Auf der untersten Stufe einer schmalen, steilen Treppe stand Kai und starrte Baz mit seinen dunklen Augen an. Seine Mundwinkel zeigten leicht nach oben, als hätte er gerade einen Witz gemacht, den nur sie beide verstanden. Plötzlich schien die Welt um sie herum zu verschwinden und alles, was Baz beunruhigte, mitzunehmen.
»Hallo«, stieß Baz hervor. Er kam sich albern vor, weil ihm nichts Besseres einfiel. Ihm war vage bewusst, dass die anderen in der Küche herumhantierten, doch er sah nur noch Kai, der lässig auf ihn zukam, die Haare noch feucht von einer Dusche, die nicht lange her sein konnte. Ein leichter Geruch nach Kiefernnadeln folgte ihm, und seine Augen funkelten vor Freude. Von dem stoischen Gleichmut, den er sonst immer wie eine Rüstung um sich trug, war in diesem Moment nichts zu spüren.
Den Bruchteil einer Sekunde lang wusste Baz nicht, wie er reagieren sollte. Sollten sie sich die Hand geben? Oder war eine Umarmung vielleicht besser? Kai ersparte ihm die Qual der Wahl und versetzte Baz einen kleinen Stups gegen die Schulter, als wäre es das Normalste auf der Welt. Dass Baz bei dieser Berührung Schmetterlinge im Bauch spürte, bemerkte er überhaupt nicht.
»Willkommen zu Hause, Brysden.«
Und plötzlich wurde Baz klar, dass er tatsächlich zu Hause war, und das in jeder Hinsicht.
Emory hatte nie an Märchen geglaubt, bis sie sich selbst in einem wiederfand.
Amberyl House hätte direkt aus einem Bilderbuch stammen können. Jedes Mal, wenn Emory dachte, sie hätte alles von dem weitläufigen Anwesen der Hexen gesehen, entdeckte sie eine neue Kuriosität, deren Zweck ihr unverständlich war. Seltsame Kreaturen, die Büsten und Vasen aus Marmor verzierten, und Edelsteinsammlungen mit Exemplaren, die sie noch nie gesehen hatte. Lebensechte Statuen von Rittern in Rüstungen und jungen Mädchen, von denen sie sich fragte, wer sie geschaffen hatte. Glasgefäße mit bizarr geformten Pilzen oder noch seltsamer wirkenden Knochen, die Emory nicht berühren durfte, weil der Inhalt irgendwelche geheimnisvollen Eigenschaften hatte.
Im Erdgeschoss gab es einen sonnendurchfluteten Raum, in dem getrocknete Kräuter, Pflanzen und Blumen in dicken, sorgfältig zusammengebundenen Büscheln von den Deckenbalken hingen, die dort trockneten, bis sie schließlich mit Mörser und Stößel zerrieben und für unbekannte Zwecke benutzt wurden. Im ersten Stock lag ein fliederfarben gestrichenes Zimmer, in dem es kälter war als im Keller, leer bis auf einen riesigen Amethysten auf einem Marmoraltar. Und der Park um das Haus herum war voller Brunnen, Staudenrabatten und dunklen Ecken, die zwischen den Hecken versteckt waren.
Selbst die riesige Bibliothek neben dem Herbarium war Emory ein Rätsel und enthielt Bücher in Sprachen, die sie nicht kannte, in Alphabeten, die ihr fremd waren. Andere Titel wiederum waren in ihrer eigenen Sprache verfasst. Einige davon kamen ihr bekannt vor, und sie war sicher, sie schon einmal gelesen zu haben. Allerdings war sie kein großer Bücherwurm und wusste nicht mehr, ob die Namen der Autoren zu den halb vergessenen Geschichten passten. Wenn Baz hier gewesen wäre, hätte er es ihr sofort sagen können. Sie hatte ein paar der Bücher überflogen, um sich zu beschäftigen, aber beim Lesen war das Déjà-vu-Gefühl wieder verschwunden, und alles war neu für sie.
Emory fiel es schwer, zu erfassen, was real war und was nicht. War sie in einem Traum gefangen? War das hier die Tiefe, die sich als fruchtbares Land mit üppigem Pflanzenwuchs tarnte und einen erdigen Geruch verströmte, der ihr in die Lungen stieg und sie denken ließ, sie wäre lebendig? Nur um von der Tatsache abzulenken, dass sie tot war?
Du lebst, und das hier ist der Zauberwald, rief sie sich in Erinnerung, denn so nannten die Hexen und Romie diesen Ort, und das musste Emory glauben. Auch wenn sie bei der Vorstellung, in einer der Welten zu sein, die Cornus Clover in seinem Buch beschrieben hatte, lachen oder weinen wollte. Oder beides gleichzeitig.
Emory kam sich vor, als würde sie sich im Kreis drehen, weil sie ständig die Realität in Zweifel zog. Und Amberyl House, so schön es auch war und so großzügig und nett sich ihre Gastgeberinnern auch verhielten, gab ihr das Gefühl, im Gefängnis zu sein.
Romie machte Witze darüber und verglich sie mit zwei Jungfrauen, die von einer bösen Hexe in einen Turm gesperrt worden waren und auf ihren Prinzen warteten. Nur dass in ihrem Fall kein Prinz kommen würde, um sie zu retten, und die Hexen, die sie bei sich aufgenommen hatten, nicht richtig böse waren. Aber Emory und Romie durften nicht wieder gehen. Die beiden konnten überall auf dem weitläufigen Anwesen herumspazieren, es jedoch nie verlassen. Auch der Wald, der an den Park angrenzte – dunkel, alt und geheimnisvoll – war tabu für sie.
Sie hatten es einmal versucht, weil sie zu der Stelle wollten, an der man sie halb ertrunken in der Schlucht gefunden hatte. Doch an dem Gartentor, durch das sie dorthin gekommen wären, ließ irgendeine Magie undurchdringliche Ranken wachsen, die ihnen den Weg versperrten.
»Im Wald geschieht gerade etwas, das man in Ruhe lassen muss«, hatte Mrs. Amberyl gesagt, als sie ihr davon erzählt hatten. »Die Magie dort könnte durch die Anwesenheit eines Fremden gestört werden. Bis zur Erhebung müsst ihr leider im Haus bleiben.«
Die Erhebung, so hatte Mrs. Amberyl erklärt, war ein Ritual, das den Hexen heilig war. Allerdings wollte sie nicht darüber reden, was genau dabei passierte. »Es ist etwas sehr Privates«, hatte sie mit einem strengen Blick gesagt, der keine Diskussion zuließ. »Aber danach werdet ihr gehen können, falls das euer Wunsch ist.«
»Wir wollen nur nach Hause«, hatte Emory geantwortet.
Allerdings wusste keine der beiden, wie sie das anstellen sollten. Weder Emory noch Romie konnten sich daran erinnern, wie sie hergekommen waren. Emory hatte nur noch im Gedächtnis, dass sie in der Schlaflandschaft die Tür aus Marmor aufgestoßen hatte. Sie hatte die Hand nach den Schlingpflanzen ausgestreckt, die den Türknauf bildeten, und im nächsten Moment hatte sie im Schlamm gelegen und Mrs. Amberyl und ihre Tochter Aspen angestarrt.
Die beiden hatten die Umgebung nach Hinweisen auf ein Tor durchsucht. Emory, die sich daran erinnerte, dass sie in der Schlaflandschaft durch Wasser gewatet waren, glaubte steif und fest, dass der Wasserfall ihr Weg nach Hause war. Dass das Wasser, das über den von Sternen gesäumten Weg geflossen war, in diese Welt übergeschwappt war, zusammen mit ihnen. Doch das Tor, durch das sie gekommen waren, war verschwunden, und sie hatten keine Ahnung, wie sie wieder nach Hause zurückkehren konnten.
Sie saßen hier fest, in der grünen Welt des Zauberwalds, bei den Hexen, die es allem Anschein nach kein bisschen überraschte, dass sie hier aufgetaucht waren und behaupteten, aus einer anderen Welt zu stammen. Es war, als hätten die Hexen sie erwartet. So wie die Hexe in Clovers Geschichte den Gelehrten hatte kommen sehen.
Und jetzt waren Emory und Romie hier. Nicht ein Gelehrter, sondern gleich zwei. Weit weg von der Welt, die sie kannten.
Auch wenn sie an einem schlechteren Ort hätten stranden können als dem Zauberwald, waren sie fest entschlossen, einen Weg aus ihm heraus zu finden und zu verstehen, wie sie hergekommen waren. Und warum.
»Du fällst zu sehr auf«, flüsterte Romie, als sie durch die prächtigen, widerhallenden Räume gingen.
»Ich? Du bist doch diejenige, die das Buch verkehrt herum hält.«
Romie fluchte und drehte ihr Buch um. »Na ja, deines ist in einer Sprache, die du nicht kennst.«
»Es hat Illustrationen.«
Romie verdrehte die Augen, aber ihre Reaktion war nicht böse gemeint. Und so typisch für sie, dass Emory lächeln musste.
Sie versuchten, so unauffällig wie möglich auszusehen, während sie einen Blick in einige der Räume warfen und so taten, als würden sie ein Buch lesen. Aus dem Küchentrakt drangen Stimmen zu ihnen. Romie zog vielsagend die Augenbrauen hoch und ging darauf zu.
»Warte –«
Sie lugten in die sonnendurchflutete Küche, in der so köstliches Essen zubereitet wurde, dass Emory sich misstrauisch fragte, ob die Hexen sie aus irgendeinem bizarren Grund mästen oder mit einer nicht nachweisbaren Zutat vergiften wollten. Allerdings gab es keinen Grund, so etwas zu glauben – sie nahmen das Essen der Hexen nun schon seit acht Tagen zu sich, ohne eine schädliche Wirkung zu spüren.
Während die Hexen mit Töpfen und Pfannen hantierten und gewaltige Mengen an Essen kochten, unterhielten sie sich lachend miteinander, in einem Dialekt, der Emorys eigenem so ähnlich war, dass sie die Frauen einigermaßen verstehen konnte. Verwundert fragte sich Emory, wie es kam, dass ihre gemeinsame Sprache in zwei so verschiedenen Welten anzutreffen war.
Emory und Romie versuchten, etwas aufzuschnappen, das ihnen vielleicht half, ihre Situation zu verstehen. Leider schienen sich die Hexen nur für belanglosen Klatsch zu interessieren.
Romie stöhnte. »Warum reden sie nicht einfach über die Erhebung? Dafür ist das viele Essen doch gedacht, oder nicht?«, flüsterte sie.
Wenn es so weiterging, würden sie nie herausfinden, was es mit dieser ach so geheimen Erhebung auf sich hatte. Mrs. Amberyl hatte ihnen gesagt, dass sie an den Feierlichkeiten nach der Erhebung teilnehmen konnten, die im Park des Anwesens stattfinden würden, aber nicht an der Erhebung selbst.
Es war klar, was sie damit gemeint hatte: Emory und Romie waren Außenstehende, die nichts von den Ritualen der Hexen verstanden, Fremde aus anderen Gefilden – und obwohl man sie in das Zuhause der Hexen eingeladen hatte, wurde ihnen der Zutritt zu ihrer eigentlichen Welt verweigert.
Hierzulande bezeichneten sich alle als Hexen, aber Emory vermochte nicht zu sagen, was genau sie als solche definierte. Sie hätten alle ein inneres Auge, so hatte Mrs. Amberyl erklärt, einen sechsten Sinn, der bei jeder Hexe anders ausgeprägt sei – fast genauso wie bei der Mondmagie, die im Blut von Emorys Leuten ja auch in unterschiedlichen Mengen vorhanden sei. Doch bis jetzt hatte Emory noch kein einziges Mal gesehen, wie eine Hexe ihr inneres Auge benutzte. Jene, die im Haus arbeiteten und sich um die Bedürfnisse von Amberyl House und seiner Bewohner kümmerten, schienen ein recht gewöhnliches Leben zu führen. Sie putzten, kochten und pflegten den Park.
Wenn sie Zauberei betrieben, fand das im Geheimen statt, verborgen vor Emorys und Romies neugierigen Blicken.
Und so würde es auch heute sein.
»Was macht ihr hier unten?«
Emory und Romie wichen zurück und drehten sich um. Hinter ihnen stand Aspen Amberyl, die Tochter, und starrte sie mit vor der Brust verschränkten Armen an.
»Wir wollten nur –«
»Ich brauche noch etwas von der Salbe«, schwindelte Romie. Sie hob ihre Hände, die noch nicht ganz verheilt waren.
Eigentlich war das gar nicht gelogen – Romie hatte tatsächlich nichts mehr von der Salbe, die die Hexen für sie angerührt hatten. Emorys Heilerkräfte konnten so gut wie nichts gegen die furchtbaren Verbrennungen ausrichten, die Romie in der Schlaflandschaft erlitten hatte, als sie brennende Sterne in den Händen gehalten hatte, um die Umbrae abzuwehren. Was auch immer die Hexen für die Salbe verwendet hatten, es schien zu helfen, wenn auch langsam.
Aspen starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an. Ihr Gesichtsausdruck war dem ihrer Mutter so ähnlich, dass es fast lachhaft war. Doch während Mrs. Amberyl der Inbegriff von Strenge war, schaffte es Aspen nicht, diesen Eindruck zu vermitteln. Sie wirkte eher wie eine Schülerin, die ihre Lehrerin nachmachen wollte, aber eindeutig etwas anderes im Sinn hatte. Wie eine Tochter, die es gewohnt war, Regeln zu befolgen, sie aber am liebsten brechen würde. »Salben werden im Herbarium hergestellt«, sagte Aspen, »nicht in der Küche. Was wollt ihr wirklich hier?«
Emorys Blick ging zu Romie.
»Okay, du hast uns ertappt«, gab Romie mit einem schiefen Grinsen zu. Sie wies auf die Küche. »Wir wollten wissen, was für heute Abend vorbereitet wird. Und herausfinden, was genau eine Hexenerhebung ist, da es uns niemand von euch sagen wollte.«
Aspen spitzte die Lippen. »Das liegt daran, dass unser Ritual –«
»Heilig ist. Ja, wissen wir.« Romie verdrehte die Augen. »Aber wenn wir es sehen könnten …«
»Das ist nicht erlaubt.«
Romie bedachte Aspen mit einem vielsagenden Blick. »Dir ist es ja anscheinend auch nicht erlaubt, mit uns zu reden, aber du machst es trotzdem.«