Strider - Theresa L. Fischer - E-Book

Strider E-Book

Theresa L. Fischer

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Beschreibung

"Du musst das Richtige tun, auch, wenn es nicht immer das Einfachste ist." In einer Herde Wildpferde wird ein kleines Fohlen geboren, sein Name ist Strider. Scheinbar von Geburt an verflucht, hat er es schwer im Leben. Mühsam muss sich seine Herde durchkämpfen, als diese bedroht wird. Geleitet von geheimnisvollen Pferden, die ihm in seinen Träumen erscheinen, verlässt er schließlich die Herde. Alleine ist das Leben hart. Doch er hat Glück, als er eine andere Herde findet, der er sich anschließen kann. Dort beginnt er ein neues Leben, lässt seine Herde und seine Geschichte hinter sich. Nur eines bleibt gleich: Er ist eine Gefahr.

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Seitenzahl: 234

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL

KAPITEL

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KAPITEL

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EPILOG

HIERARCHIE

GLOSSAR

PROLOG

In der freien Wildbahn lebten einst viele Tiere. Ungezähmt verbrachten einige in Gruppen ihr Leben. So auch die Pferde. Es gab natürlich unzählige Herden von Wildpferden. Ich möchte dir heute von einer ganz bestimmten Herde erzählen.

Die „Herde des Windes” wurde sie genannt. Sie bestand aus schlanken, schnellen Pferden, die nur schwer zu fangen waren. Selbst die kleinsten Fohlen konnten schon ein paar Tage nach ihrer Geburt deutlich schneller als andere Fohlen laufen. Das war auch nötig, denn die Raubtiere in der Wildnis waren zäh. Oft hungerten sie tagelang, bis sie einmal Beute erlegen konnten. Pferde waren selten darunter. Dennoch kam es ab und zu vor, dass Jäger die Herde angriffen.

Nun waren die Pferde der Herde des Windes sehr stolze Tiere. Sie bildeten sich etwas auf ihre Schnelligkeit ein und verspotteten oft langsamere Lebewesen, auch gegenseitig. Fohlen begannen schon mit wenigen Tagen, um die Wette zu laufen und sich zu messen. Der Lebensweg war bereits vorbestimmt, wenn das Fohlen langsam, pummelig oder zu stämmig war. Meist wurde es dann vom Herdenchef verstoßen. Grausam, wenn du mich fragst.

Entweder starben diese Fohlen ohne Schutz oder sie überlebten und schlossen sich einer anderen Herde an. Dies war zwar sehr selten der Fall, aber es gab dennoch Überlebenskünstler. Andere wiederum wurden von Menschen eingefangen, gezähmt und als Reit- oder Arbeitstier verwendet.

Die Geschichte, die ich dir nun erzählen will, handelt von einem Fohlen, das sich auf eine Reise begibt.

Sein Name war Strider.

1. KAPITEL

Die Geburt war schwer. Niemand half Peres dabei, nicht einmal ihr Hengst Somuran. Er stand etwas entfernt auf seinem Hügel und streckte die Nüstern in den Wind, um nach Gefahren Ausschau zu halten. Es war ihre erste Geburt und das machte es nicht gerade leichter. Ein verzweifeltes Wiehern erklang, als die dunkle Stute von Wehen durchzuckt wurde. Ihr schwarzes Fell klebte ihr vor Schweiß am ganzen Körper. Endlich drehte der Herdenchef den schlanken Kopf zu ihr um und schritt zwischen den grasenden Pferden hindurch auf sie zu. Er senkte sein Haupt und strich ihr mit den Nüstern ein paar Strähnen aus den Augen. Seine Vorderbeine knickten ein, und er ließ sich neben ihr zu Boden sinken. Zärtlich knabberte er an ihrem Ohr, woraufhin Peres sich ein wenig entspannte. Doch nur einen Herzschlag später wurde sie von einer neuen Schmerzwelle überrollt. Ihr Bauch krampfte zusammen und plötzlich lag sie still.

Somuran sah an ihrer Seite herab. Ihr Bauch hob und senkte sich rasch und ihre sehnigen Muskeln wirkten schlaff. Er hob den Kopf noch ein Stück weiter und sah etwas unter dem dunklen Schweif liegen. Somuran sah noch einmal zum Kopf seiner Stute zurück, dann stand er auf und tappte um ihre weißen Beine herum zu ihrer Hinterhand. Das kleine Etwas unter dem schwarzen Langhaar bewegte sich und Somuran erkannte sein Fohlen. Er senkte den Kopf und streckte die Nüstern schnuppernd in die Richtung des Fohlens. Plötzlich ging ein Ruck durch Peres Körper und er hörte ihre Stimme von rechts her, wo ihr Kopf lag.

„Du musst die Fruchtblase durchbeißen.”

Sie klang erschöpft und Somuran wagte nicht, ihr zu widersprechen. Zögerlich stupste er das Fohlen an. Es zuckte, konnte sich aber nicht gut bewegen. Somuran zog die Lippen zurück und biss vorsichtig die durchsichtige Hülle durch, die das kleine Wesen behinderte. Sofort löste sich das Fohlen aus seiner Position und regte sich. Peres bewegte sich ebenfalls und Somuran merkte, dass sie versuchte, aufzustehen. Er eilte zu ihrer Schulter und half ihr hoch. Kaum stand die Stute, drehte sie sich zu ihrem Fohlen um und begann, es trocken zu lecken. Nach einigen Momenten der Stille hörte Somuran, dass die anderen Pferde näher gekommen waren. Schützend stellte er sich vor die Rappstute und das Fohlen. Er legte die Ohren an, um vor allem die Junghengste daran zu erinnern, dass er der Chef war.

Bald würde die Zeit kommen und sie würden die Herde verlassen müssen, doch bis dahin war er für sie verantwortlich. In diesem Moment war ihm der Schutz seines jüngsten Fohlens am wichtigsten. Die älteren Stuten blieben weiter weg stehen, die jüngeren drängten sich zwischen die Junghengste. Somuran betrachtete seine Nachkommen kurz und presste dann die Ohren noch weiter an den Kopf.

Deliah trat zurück, Surej und Rafil folgten ihr. Lorin blieb als Einzige zwischen ihren Brüdern stehen. Somuran sah sie scharf an und schließlich ging auch sie einen Schritt zurück. Alle Pferde hier wussten: Wer nicht gehorchen will, nimmt in Kauf, verstoßen zu werden. Nun drängten sich die Junghengste noch näher. Somuran wurde es zu viel. Er bäumte sich auf und gab ein lautes, warnendes Wiehern von sich.

Filjao, der Älteste unter den Junghengsten, machte Anstalten, sich ebenfalls zu erheben und zu kämpfen, doch Anio hielt ihn davon ab. Der Falbe packte Filjao am Mähnenkamm und brachte ihn so dazu, am Boden zu bleiben. Er beruhigte sich schnell und Somuran war stolz auf Anio. Lefag und sein Zwillingsbruder Braem waren wortlos drei Schritte zurückgegangen und sahen voll Ehrfurcht zu ihm auf. Anio hatte Filjao davon überzeugt, dass es besser wäre, einfach nachzugeben. Der Fuchs wollte erst nicht, ging dann aber langsam zurück. Anio folgte ihm.

Nun stand nur noch Jamak vor dem Herdenchef. Somuran kam auf seine Vorderhufe zurück, starrte aber den dunkelbraunen Junghengst weiter finster an.

„Was willst du?”, knurrte er.

Jamak sah ihn nur mit ausdruckslosen Augen an.

„Ich will meinen Bruder kennenlernen.”

Somuran erschrak.

Woher wusste Jamak, dass das neugeborene Fohlen ein Hengst war?

Insgeheim war er traurig, er hatte sich eine Tochter gewünscht, da alle seine Söhne ihn letztendlich verlassen mussten. Seine Töchter hingegen würden ihr Leben bei der Herde verbringen. Peres' Stimme riss Somuran aus seinen Gedanken.

„Somuran? Somuran!”

Er blinzelte und sah sie neben sich stehen. Aus dem Augenwinkel konnte er noch helles Fell zwischen ihren Hinterbeinen sehen.

„Stellst du ihn nun vor? Er hat noch keinen Namen.”

Somuran sah Peres ins Gesicht und sah kein Fünkchen mehr von der Erschöpfung, die sich vorhin darin abgezeichnet hatte. Ihre Augen waren kalt und starr.

Was ist los mit ihr? schoss ihm durch den Kopf. Er drehte sein Haupt wieder den anderen Pferden zu und sprach mit so ruhiger Stimme, wie es ihm möglich war.

„Ihr werdet unser neues Herdenmitglied bald kennenlernen. Ich muss nur noch ein paar Worte mit Peres wechseln. Alleine.”, fügte er hinzu, als Lorins Augen neugierig aufleuchteten.

Die Fuchsstute schlug mit dem Schweif, drehte sich aber um und ging davon. Ihre Schwestern folgten ihrem Beispiel. Anio schob Filjao von Somuran weg und Lefag war schon längst außer Hörweite, während Braem versuchte, Jamak zu überreden, auch zu gehen. Der ließ sich nur widerwillig von seinem Bruder davon führen und schaute noch einmal über die Schulter zurück. Bei seinem kalten Blick wurde es Somuran flau im Magen und zum ersten Mal hatte er Angst, den Kampf im Sommer nicht gewinnen zu können. Jamak war stur, stark und konnte andere sehr gut einschüchtern. Somuran riss sich zusammen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass keiner ihnen zuhörte, drehte er sich zu Peres um. Die Rappstute machte keine Anstalten, etwas zu sagen, also begann Somuran selbst.

„Warum hat er noch keinen Namen? Du bist seine Mutter, du hättest ihm schon längst einen geben sollen.”

Peres sah ihn mit einem Blick an, den er nicht deuten konnte. Langsam begann sie zu sprechen.

„Ich bin seine Mutter, das weiß ich auch selbst, aber ich habe aus einem guten Grund noch keinen Namen für ihn ausgesucht.”

„Und welcher wäre das?”, fragte Somuran.

„Ich werde ihn nicht aufziehen. Eine der anderen Stuten soll sich um ihn kümmern. Ich will nichts mit ihm zu tun haben. Dieses Fohlen wird Unheil über die Herde bringen. Am liebsten wäre es mir, wenn du ihn einfach verstoßen würdest.”, erklärte Peres mit einem abstoßenden Blick.

Als sie geendet hatte, starrte Somuran sie entsetzt an. Er glaubte schon fast, nicht richtig gehört zu haben, als Peres plötzlich ihr Hinterbein an den Bauch zog und das Fohlen mit dem Schweif nach vorne trieb. Ein kleines, zartes Wesen stolperte hervor und prallte gegen Somurans Vorderbein. Erschrocken hob es den Kopf und sah mit großen Augen zu ihm auf. Somuran war so gebannt von dem Fohlen, dass er Peres völlig vergaß. Ein unsanfter Tritt gegen seine Hinterhand erinnerte ihn daran, dass sie neben ihm stand. Er sah noch einmal auf das Fohlen und blickte dann zu Peres.

„Was hast du gegen ihn? Er ist doch so niedlich. Außerdem solltest du es besser unterlassen, mich zu treten.”

Peres ging nicht auf seine Warnung ein. Sie blickte das Fohlen verabscheuend an.

„Tja, auf dich wirkt er vielleicht wie ein einfaches, süßes Fohlen. Aber ich sage dir, das ist er nicht. In ihm schlummert ein fürchterliches Monster, das uns alle verschlingen wird! Du musst etwas unternehmen, bevor es zu spät ist!”

Somuran sah sie an, nicht sicher, ob er belustigt oder verärgert sein sollte.

„Was soll der Schwachsinn? Er ist nur ein Fohlen! Was sollte er schon anstellen?”

Peres schien wütend zu werden.

„Er wird die Herde vernichten!”

Ihre Augen traten panisch hervor und sie schlug wild mit dem Schweif hin und her.

„Angefangen damit, dass er mich umbringen wollte!” Somuran erstarrte.

„Was wollte er?”

„Mich umbringen! Sprang mir an den Hals wie ein Raubtier dieses kleine Biest!”

Sie funkelte das Fohlen drohend an, woraufhin es Schutz zwischen Somurans Vorderbeinen suchte. Dieser überlegte, was er tun sollte und fasste dann zusammen:

„Du behauptest also, dieses Fohlen hier sei in Wirklichkeit ein Monster, es hat versucht, dich zu töten und will uns alle verschlingen?”

Peres sah ihn an.

„Genau, so ist es.”

Somuran wurde nachdenklich.

„Du willst es nicht aufziehen, weshalb du es einer anderen Stute geben würdest? Aber du bevorzugst, dass ich es einfach verstoße.”

Die Rappstute warf wieder einen blitzenden Blick auf das Fohlen und nickte abermals. Sie murmelte etwas, das wie „Oder es töten” klang.

„Und was ist, wenn ich es weder verstoßen, noch töten will und es einfach in der Herde behalte?”, fragte Somuran.

Diese Aussage schien Peres zu schockieren.

„Du willst ein Monster mitten in der Herde großziehen, wo es die besten Chancen hat, alle zu vernichten?”

Sie trat näher an das kleine Fohlen heran und machte Anstalten, es zu treten. Somurans Instinkt riet ihm, ihr Glauben zu schenken, doch er handelte gegen ihn. Er stellte sich schützend vor das Fohlen und funkelte Peres an.

„Das ist mein Sohn, den du da gedenkst zu verletzen, vergiss das nicht! Er ist außerdem auch dein Sohn, weshalb ich nicht verstehe, warum du solche Angst vor ihm hast. Er ist doch nur ein einfaches Fohlen. Er ist nicht wie du.”

Peres zuckte zusammen, langsam hob sie den Kopf und starrte Somuran entgeistert an.

„Woher…?”

Somuran fühlte sich überlegen und antwortete ihr:

„Du lebst schon lange bei uns und bist auch meine Stute. Denkst du, ich würde nicht merken, dass du ein Wesen von einer anderen Welt bist? Ich weiß nicht genau, was, aber ich weiß, dass deinesgleichen unter normalen Umständen niemals Seite an Seite mit unsereins leben könnten. Du bist hier das eigentliche Monster, Peres.”

Ihre Augen blitzten kurz auf, dann drehte sie den Kopf weg. Somuran wollte plötzlich Antworten auf seine Fragen.

„Also, was bist du?”

Peres senkte den Kopf und auf einmal wurde ihr Fell heller. Nach ein paar Herzschlägen war es so strahlend weiß, dass Somuran die Augen zusammenkneifen musste, um nicht geblendet zu werden.

„Du hast Recht, keiner meiner Art würde bei euch wohnen wollen. Normalerweise seid ihr Beute für uns und wir sind die Jäger. Ich nicht, ich bin anders. Ich hatte mich verliebt und beschlossen, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen. Ich bin ein Kelpie, Somuran, ein Jäger, ein Täuscher, ein hinterhältiges Wesen.”

Noch während sie sprach, wurde das Licht schwächer und als Somuran die Augen wieder öffnete, merkte er, dass Peres Fell nicht mehr weiß war. Auch nicht schwarz, sondern fuchsbraun.

„Wie machst du das?”

Die Frage war ihm herausgerutscht, noch bevor er sie fertig gedacht hatte. Peres sah ihn fragend an, dann warf sie einen Blick auf ihr Fell und seufzte.

„Ich kann jede beliebige Fellfarbe und Statur annehmen. Ich sagte doch, ich bin ein Täuscher. Wir Kelpies jagen, indem wir unsere Opfer, meist junge Menschen, ins Wasser führen und sie dort ertränken. Viele Menschenkinder sind schon auf diese Weise gestorben. Ihre Familien suchen teilweise immer noch nach ihnen. Doch die Opfer sind spurlos verschwunden. Ich glaube, die Menschen wissen nicht einmal, dass es uns überhaupt gibt. Ich habe mich von all dem abgewandt, als ich mich damals in dich verliebt hatte. Ein Blick kann eben alles ändern. Ich hatte das Gefühl, hier gehöre ich hin und ich habe mich entschieden, zu bleiben. Ich hatte dich schon eine ganze Weile beobachtet. Du mochtest dunkle Stuten, also habe ich mich in eine Rappstute verwandelt und dich damit in meinen Bann gezogen. Du weißt noch, als wir uns das erste Mal gesehen haben? Du warst so stark und ich so schwach. Du hast dich um mich gekümmert. Ich hatte eine Weile kein Fleisch mehr gehabt, aber das konnte ich dir nicht sagen, also musste ich beginnen, mich wie ihr von Gras und Pflanzen zu ernähren. Anfangs war es gar nicht so schwer, doch oft, wenn ich ein Raubtier in der Nähe gerochen hatte, wollte ich mich auf es stürzen und meine Zähne in es schlagen. Ja, ich habe Zähne. Reißzähne. Ich will dich nicht verschrecken, aber du sollst Bescheid wissen.”

Und schon wuchsen ihre Eckzähne, wurden spitzer, lang und gefährlich. Somuran wich einen Schritt zurück und Peres ließ sie schnell wieder verschwinden.

„Tut mir Leid, ich hätte wissen sollen, wie du reagieren würdest.”

Sie drehte den Kopf weg und ihr Fell wurde wieder so schwarz, wie Somuran es gewohnt war. Er fasste sich wieder und fragte:

„Aber warum denkst du, dass dein Sohn gefährlich ist?”

Peres Ohren schnellten in seine Richtung. Ihr Kopf folgte.

„Kelpies ist es nicht gestattet, bei normalen Pferden zu leben. Geschweige denn, ein Fohlen mit einem zu bekommen. Und da ich trotzdem eines zur Welt gebracht habe, bin ich gefährdet, von den anderen Kelpies gejagt und getötet zu werden. Wenn sie aber nicht von ihm erfahren, habe ich die Chance, normal weiterleben zu können. Deshalb wollte ich, dass er von hier verschwindet. Ob tot oder lebendig, die Kelpies dürfen ihn nicht finden.”

Somuran war schockiert. Eine Flut aus Fragen überwältigte ihn:

„Töten sie ihn, wenn sie ihn finden? Woher wissen sie, dass er nicht der Sohn einer anderen Stute ist? Oder ob er nicht einen Kelpie-Vater hat?”

Peres schnaubte resigniert.

„Kelpies haben einen sehr ausgeprägten Geruchssinn, sie merken an seinem Geruch, dass ich seine Mutter bin und du sein Vater. Sie erkennen normale Pferde, weil ihr nicht nach Wasser riecht, wie wir. Und dann töten sie erst ihn und schließlich mich.”

Somuran wurde verzweifelt. Also sollte er seine Stute und sein Fohlen verlieren? Das konnte er nicht zulassen. Er musste etwas unternehmen! Nur was?

2. KAPITEL

Somuran schlief schlecht. Er dachte die ganze Zeit an Peres und seinen Sohn. Das Fohlen hatte immer noch keinen Namen und schlief bei Omir, einer der älteren Stuten, welche sich bereit erklärt hatte, Peres Sohn aufzunehmen. Somuran war sich nicht sicher, was er mit dem kleinen Hengst tun sollte. Er konnte ihn doch nicht einfach verstoßen, denn das Fohlen hatte eine Chance verdient.

Gleich darauf fiel ihm ein: Wenn die Kelpies uns finden, verliere ich sowohl ihn als auch Peres. Und das wollte er auf keinen Fall. Dann würde er einfach dafür sorgen müssen, dass die Kelpies sie nicht finden konnten, überlegte er. Sie mussten ihr Gebiet verlassen und weiterziehen. Das letzte Mal, als die Herde weiter gewandert war, war schon lange her. Damals war Somuran erst ein paar Wochen alt gewesen. Vielleicht war es Zeit, dass sich die Dinge änderten. Ja, er hatte entschieden.

Bei Sonnenaufgang würden sie losziehen und da er jetzt ohnehin nicht mehr schlafen konnte, stand Somuran auf und trabte leise auf den Hügel, wo er immer Wache hielt. Zedio hatte ihn in der Nacht vertreten, so wie er es auch jede andere Nacht tat. Somuran blieb neben seinem ältesten Sohn stehen und sah ins Tal hinunter. Alles war still, eine ruhige Nacht.

„Wir werden weiterziehen. Morgen früh brechen wir auf.”

Zedio zuckte nervös mit den Ohren und Somuran spürte seinen unbehaglichen Blick von der Seite.

„Ich dachte, du willst erst weiter, wenn die Junghengste weg sind?”

Zedios Stimme war leicht angespannt. Plötzlich erinnerte sich der Herdenchef wieder, was er vor ein paar Wochen beschlossen hatte. Nämlich, dass er mit den Stuten und Fohlen weiterwandern würde, um zu vermeiden, dass die Junghengste es wagen könnten, noch einmal gegen ihn zu kämpfen. Somuran war jetzt seit etwa vier Jahren Herdenchef und er wollte noch nicht gehen. Damals hatte er seinen Vater Samil besiegen können. Dieser war alt und schwach gewesen und hatte Somuran keine Schwierigkeiten bereitet. Schließlich hatte er gewonnen und Samil musste die Herde verlassen. Somuran hatte nie wieder etwas von ihm gehört, vermutete aber, dass er längst tot war. Nun hatten alle Stuten mitsamt ihren Fohlen ihm gehört, und er genoss es, Anführer zu sein.

Seine ersten Fohlen waren eine Palominostute namens Wijoy und Zedio, ihr Zwillingsbruder. Bald danach kam Deliah. Nach ihnen kamen in dem Jahr nur mehr Hengstfohlen zur Welt, Filjao, Jamak und Anio.

Im nächsten Jahr ging es mit Hengsten weiter, angefangen mit Braem und Lefag, gefolgt von Elir und Kolag. Glücklicherweise wurden dann noch Surej, Rafil und Lorin geboren.

Seine jüngsten Töchter waren jetzt ein Jahr alt. Sie hießen Ulenja, Ikan, Galia und Hijai. Seine Söhne in demselben Jahr waren Chesire und Varein.

In diesem Jahr erwarteten fünf Stuten Fohlen. Da Peres schon geboren hatte, waren noch vier Geburten ausständig. Trächtig waren Bezuli, Nortja, Omir und Maley. Omir würde sich bald um zwei Fohlen kümmern müssen, doch die erfahrene Mutter konnte das bestimmt. Mehr Sorgen machte sich der Herdenchef um Maley. Die Stute war erst vier Jahre alt, sie war das letzte Fohlen gewesen, das geboren wurde, bevor Samil gegangen war. Somuran war so in Gedanken versunken, dass er Zedio erst nicht hörte, der zu ihm sprach. Es dauerte ein paar Herzschläge, bis er die Stimme des Junghengstes wahrnahm.

„...warten willst.”

Eine Pause entstand und Somuran wurde es unangenehm. Er hatte nicht einmal die Hälfte verstanden. Zögerlich fragte er nach. Zedio schnaubte nur und wiederholte seine Frage.

„Bist du dir sicher, dass du nicht noch warten willst?”

Die Vernunft seines Sohnes traf Somuran wie der Angriff eines Pumas. Er war stolz auf ihn. Zedio dachte nicht an sich, oder an die Vorteile, die er hätte, wenn er den neuen Aufenthaltsort der Herde kannte, sondern nur an das Wohl der Stuten und Fohlen. Für sie wäre es definitiv besser, wenn die Junghengste nicht wussten, wo sie waren.

„Ich bin mir sicher. Vielleicht wäre es besser, die Junghengste jetzt schon fort zu schicken? Was meinst du?”

Zedio wirkte nicht überrascht. Er antwortete in leicht sachlichem Ton.

„Es entspricht zwar nicht unserer normalen Routine, aber es ist möglich. Das musst du entscheiden.”

Somuran nickte, schickte Zedio schlafen und übernahm seine Wache. Währenddessen überlegte er, ob es wohl gut wäre, seine Söhne wirklich schon zu verstoßen. Die Nacht war ruhig und bald hatte er eine Entscheidung getroffen. Noch bevor die Sonne aufging galoppierte er den Hang hinunter zu den anderen, bäumte sich auf und stieß ein lautes Wiehern aus.

Viele Köpfe schossen in die Höhe, ein paar Pferde sprangen alarmiert auf die Beine. Somuran ließ sich auf die Hufe zurückfallen und wartete, bis alle wach und versammelt waren. Erst, als ihn alle aufmerksam ansahen, begann er zu sprechen.

„Ich habe beschlossen, dass die Junghengste heute gehen müssen. Wer sich dazu entschlossen hat, einen Kampf gegen mich zu wagen, soll sich bis Mittag vorbereitet haben.”

Damit machte er kehrt und trottete auf seinen Hügel zurück. Hinter sich vernahm er überraschte und auch empörte Stimmen, doch er achtete nicht darauf. Als er oben angekommen war, merkte er, dass Zedio ihm gefolgt war. Der braune Hengst stand neben ihm und seine Silhouette zeichnete sich vor dem heller werdenden Himmel ab. Somuran sagte eine Weile nichts, dann fragte er:

„Wirst du kämpfen?”

Zedio sah weiterhin über das Tal vor ihnen.

„Ich denke nicht. Zum einen will ich nicht gegen meinen Vater kämpfen, was zwar gegen unsere Natur ist, aber ich weigere mich trotzdem. Zum anderen habe ich nicht das Verlangen zu kämpfen. Ich bin noch nicht bereit, eine so große Herde zu führen. Ich denke, ich gehe kampflos und gründe meine eigene Herde wo anders. Das ist für uns alle besser.”

Er dachte schon wieder an alle, statt nur an sich. Somuran bewunderte den Junghengst für seine Fürsorglichkeit und hoffte, dieser wusste seine Gabe zu schätzen. Er drehte den Kopf und begann, das Fell an Zedios Schulter zu beknabbern. Sein Sohn folgte seinem Beispiel und so standen sie eine Weile da. Irgendwann sagte Zedio:

„Ich übernehme die Wache. Ruh du dich aus. Du hast seit gestern früh nicht mehr geschlafen und sollst um Mittag mehrere Kämpfe austragen. Es ist klüger, wenn du wenigstens etwas entspannst, bevor sie losgehen.”

Somuran unterdrückte einen weiteren Anflug von Zuneigung und nickte. Erst jetzt merkte er, wie müde er tatsächlich war. Seine Augen fielen ihm zu, kaum dass er sich unter seiner Fichte hingelegt hatte.

Warme Nüstern stießen Somuran in die Seite und er öffnete die Augen. Omir stand neben ihm, ihr dicker Bauch hob und senkte sich bei jedem Atemzug.

„Dein Sohn fragt nach dir.”

„Welcher?”

Somuran war einen Moment lang so verwirrt, dass er nicht wusste, was er sprach. Omir gab ein leises, belustigtes Schnauben von sich.

„Der, der immer noch keinen Namen hat, weil ich nicht seine richtige Mutter bin und du ihm noch keinen gegeben hast.”

Sie trat zurück, als der Herdenchef sich aufrappelte und ihr zu ihrem Schlafplatz folgte, wo das jüngste Herdenmitglied wartete. Somuran hatte seinen Sohn noch nie so genau betrachtet und merkte erst jetzt, dass er ihm sehr ähnlich sah. Er hatte das gleiche helle Fell und die dunklen Augen. Einzig die Farbe seines Langhaars und der Beine war anders. Während Somurans Beine und Langhaar hellbraun waren, schimmerte das kräftige Schwarz an dem kleinen Fohlen und bildete einen perfekten Kontrast zu dem hellen Fell. Das Maul des jungen Hengstes war ebenfalls schwarz, Somurans eigenes war dunkelbraun.

Sein Sohn sah mit großen Augen zu ihm auf. Omir übersetzte seine Geste damit. Er wollte wissen, warum die Hengste kämpfen mussten.

„Ich habe ihm erklärt, dass das in unserer Herde nun einmal so ist, aber er will es nicht verstehen. Er redet die ganze Zeit von Pferden im Wasser, die alle beisammen leben und bei denen keiner weggehen muss. Ich glaube, er spielt ein wenig verrückt, obwohl er noch so klein ist.”

Sie warf einen liebevollen Blick auf den kleinen Falben. Dieser widersprach ihr mit quietschender Stimme.

„Ich bin nicht verrückt! Es gibt wirklich Pferde, die im Wasser leben. Sie haben spitze Zähne und können so aussehen, wie sie wollen. Egal ob schwarz oder braun oder weiß.”

Somuran erschrak. Sein Sohn sprach, als hätte er bereits ein Kelpie gesehen. Aber das hat er ja! Er war dabei, als Peres und ich darüber geredet haben! Er muss sie gesehen und es sich gemerkt haben! Aber woher weiß er, dass sie in Gruppen im Wasser leben? Omir riss ihn aus seinen Gedanken.

„Willst du ihm jetzt einen Namen geben? Ich denke nicht, dass es gut wäre, noch länger zu warten.”

Somuran sah erst sie an, dann seinen Sohn. Das Fohlen war schlank, aber gut gebaut. Es hatte lange Beine, die zum Laufen wie geschaffen schienen. Der Kopf war klein, aber hübsch.

„Ich überlege mir einen Namen. Bis dahin: komm, mein Kleiner, wir gehen spielen.”

Er stupste den kleinen Hengst sachte mit dem Maul an, damit er ihm folgte. Er trottete davon und sein Sohn sprang ihm nach. Somuran ging in einen langsamen Trab über und beobachtete, wie auch das Fohlen schneller wurde. Als er begann, schnell zu traben, folgte ihm der kleine Falbe in einem zügigen Galopp. Er rannte neben seinem Vater her und wieherte ihm fröhlich zu.

Und plötzlich wusste Somuran, wie er seinen Sohn nennen würde. Strider. Der Läufer. Er drehte um und kehrte zu Omir zurück, die sich hingelegt hatte. Bei ihr angekommen, wandte er den Kopf und sah einen hellen Fleck auf ihn zurasen. Und schon krachte das Fohlen in ihn hinein und stieß ihn um. Somuran fand sich auf dem Boden wieder, sein Sohn lag auf seiner Flanke und keuchte. Der Herdenchef rappelte sich hoch und half auch dem jungen Hengst auf die dünnen Beine.

Dann sah er Omir an und verkündete, dass er einen Namen gefunden hätte. Omir blickte fragend zu ihm hoch und er fuhr fort:

„Kleiner, von nun an wirst du Strider heißen, zu Ehren deiner Schnelligkeit und Wendigkeit.”

Er sah seinem Sohn in die erstaunten Augen und merkte, wie sehr er sich freute, ihn zu haben. Selbst, wenn Strider eines Tages gehen musste, konnten sie sich dennoch drei schöne Jahre machen.

3. KAPITEL

Somuran schritt zwischen den Stuten hindurch in den Kreis, in dem die Kämpfe stattfinden würden. Er hatte noch eine Weile mit Strider gespielt, bevor er sich darauf vorbereitet hatte, dass er bald kämpfen musste. Nun war er energiegeladen und voller Zuversicht, dass er gewinnen würde.

Zedio, Filjao, Jamak und Anio warteten im inneren des Kreises auf ihn. Sobald er vor ihnen stehen blieb, senkte Zedio den Kopf, zum Zeichen, dass er kampflos gehen würde. Nach kurzem Zögern und abschätzenden Blicken tat Anio es ihm nach.

Er warf einen Blick auf Filjao, den Somuran nicht deuten konnte. Filjao und Jamak blieben hoch erhobenen Hauptes stehen und sahen ihm herausfordernd entgegen. Da Filjao der Ältere war, durfte er beginnen. Zedio und Anio stellen sich zwischen die Stuten, Jamak trat ein paar Schritte beiseite, um den Kämpfenden Raum zu geben.

Somuran schüttelte seine Mähne aus und starrte Filjao finster an. Sein Sohn erwiderte den Blick mit zusammengekniffenen Augen. Dann bäumte er sich auf und ging auf Somuran los. Der hatte nur auf diesen Moment gewartet, sprang vor und rammte Filjao den Kopf in den Bauch. Als Rache verpasste dieser ihm einen kräftigen Schlag des Vorderhufes in den Rücken. Somuran stand noch immer unter der Brust des Fuchses und nutzte seine Position. Er stieg auf die Hinterbeine und traf Filjao mit dem Kopf an der Kehle.

Der Junghengst taumelte zurück und seine Vorderbeine trafen wieder auf dem Boden auf. Er rollte wild mit den Augen und, hätte er Hände gehabt, hätte er sie sich vermutlich an die Stelle gepresst, wo der Kopf des Herdenchefs ihn getroffen hatte. Doch er war noch nicht fertig. Der Fuchs sah seinen Vater wütend an und neue Kampfeslust flammte in seinen Augen auf. Er lief um Somuran herum, der stehen blieb, aber den Kopf mit den Bewegungen seines Sohnes mitdrehte. Als der Junghengst genau hinter Somuran stand drehte er sein Hinterteil zu ihm und keilte aus. Seine Hinterhufe trafen den Herdenchef an der Hinterhand und stießen ihn ein paar Schritte nach vorn. Doch er ließ sich nicht aus der Fassung bringen, drehte um und galoppierte auf Filjao zu.