Sturz der Welt - Das Flüstern der Raben (4) - Malene Sølvsten - E-Book

Sturz der Welt - Das Flüstern der Raben (4) E-Book

Malene Sølvsten

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Beschreibung

Varnar ist eine Kampfmaschine, trainiert für den Gehorsam und bereit zum Töten. Wie kommt es dazu, dass der größte Krieger des Königreichs und Untergebener der bösen Herrscherin Ragnara die Seiten wechselt? In dem Kurzroman Sturz der Welt wird die Hintergrundgeschichte von einer der populärsten Figuren des Fantasy-Epos Das Flüstern der Raben erzählt. Von den Anfängen in Hrafnheim bis hin zum ersten Aufeinandertreffen von Varnar und Anne – es ist eine Begegnung, nach der ihre eigene Zukunft, aber auch die der Welt nicht mehr die gleiche sein wird ...

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Seitenzahl: 141

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Malene Solvsten

Sturz der Welt

Ein Flüstern der Raben-Kurzroman

Aus dem Dänischen von Dagmar Mißfeldt

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Verden styrter im Verlag Gyldendal, Kopenhagen.

 

© Atrium Verlag AG, Imprint Arctis, Zürich 2023

Alle Rechte vorbehalten

© Malene Sølvsten & Gyldendal, Copenhagen 2018

Published by Agreement with Gyldendal Group Agency

Übersetzung: Dagmar Mißfeldt

Covergestaltung: Mette Breth

Überarbeitung: Niklas Schütte

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03880-162-7

 

www.arctis-verlag.com

Folgt uns auf Instagram unter www.instagram.com/arctis_verlag

Sturz der Welt

Brüder werden gegeneinander kämpfen

und sich den Tod bringen, Schwesternsöhne werden die Verwandtschaft zerbrechen;

Schlimm ist’s in der Welt, viel Ehebruch,

Axtzeit, Schwertzeit, gespaltene Schilde,

Winterzeit, Wolfszeit, bis die Welt zugrunde geht,

die Erde dröhnt, Riesinnen fliehen.

Völuspa

(Die Weissagung der Seherin)

10. Jahrhundert

Prolog

»Leg mich in die Erde.«

»Heid«, versuchte es Od. »Erlaube mir, dich in Odinshöhe zu bestatten.«

»Ich habe doch gesagt, ich will dorthin, wo die Würmer mich fressen.« Sie breitete die Arme aus, damit der Wind durch sie hindurchfegen konnte. Er setzte seinen Weg über das flache Land fort und brachte einen leichten Hauch von Meeresluft herbei.

»Wir können zusammen nach Walhall gehen.« Od schaute auf Heids Körper herab, der auf einer Bahre ruhte; wären ihre Lippen nicht blau angelaufen gewesen, hätte er geglaubt, sie schliefe. Er wusste aber, dass sie tot war. Er drehte seinen Kopf, und da stand sie neben ihm, leicht durchsichtig, aber mit jenem verschmitzten Lächeln, das ihm so vertraut war.

»Du hast dich wohl schon so an die Ewigkeit gewöhnt, dass du von mir erwartest, ich bliebe für immer und ewig bei dir, was?« Der ironische Unterton verflog. »Du musst in den Welten der Menschen bleiben. Du musst in Midgard und Hrafnheim weiterleben, bis die Raben kommen.«

»Wann kommen sie denn?«

»In tausend Jahren.« Sie blickte zur kleinen Kirche. Deren graue Steine waren frisch behauen und die Fugen kalkweiß. Ein Mönch ging leise singend zwei Frauen voraus, die gekommen waren, um sie zu begraben.

Auch Od schaute zu der kleinen Prozession. »Der Gott der Christen gehört nicht so hoch in den Norden, und du solltest nicht bei ihnen sein.« Neben dem für Heid ausgehobenen Grab waren menschengroße Erdhügel aufgeschichtet worden. Am Ende eines jeden Haufens lag ein kleines Holzkreuz.

»Ich gehöre auch nicht zu deinem Vater oder deiner Frau.«

»Dann lass mich mit dir gehen«, bat Od verzweifelt. »Zweihundert Jahre Leben sind genug.«

Heids Geist schüttelte den Kopf. »Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Du musst die Weissagung der Völva im Kopf behalten und sie den Raben überbringen, und du musst bis Ragnarök hierbleiben. Du musst die Menschen beschützen.«

»Und du? Was wird aus dir?«

»Ich verschwinde für immer, aber ich verlasse dich niemals. Immer, wenn der Wind deine Wange streift, bin ich es, die dich streichelt. Immer wenn der Regen auf deine Lippen fällt, bin ich es, die dich küsst.« Sie drückte seine Hand, jedoch ohne Kraft. »Du darfst mich nicht wecken. Du veränderst das Schicksal, wenn du es tust.«

»Heid …«

»Versprich es!«

»Ich verspreche es«, flüsterte Od. »Lebewohl, Völva.«

Kapitel 1

Die Schreie der Frau kamen aus tiefster Kehle. Schwere Trommelschläge vibrierten in Beinen und Unterleib der Versammelten. Von dem immer kräftiger und lauter werdenden Takt erzitterten die Körper aller, bis er im Einklang mit ihrem Herzschlag pulsierte. Einige wiegten die Köpfe hin und her.

»Óðin. Óðiiiiinn!«, rief die Sejd-Frau mit erhobenen Armen.

In der einen Hand hielt sie ein Messer, von dessen scharfer Klinge rote, zähe Flüssigkeit tropfte, und in der anderen eine Schüssel, die sie leicht neigte, sodass der Inhalt über ihren weißen Ärmel lief. Während die Sejd-Frau mit geschlossenen Augen dastand, breitete sich langsam eine Pfütze zu ihren Füßen stetig aus, und das nächste Opfer wurde nach vorne gezerrt.

Zwei Männer waren dazu nötig, weil sie zu entkommen versuchte, doch die beiden waren stärker, und ihre Beine gaben vor Angst und Anstrengung immer wieder nach. Sie nahm nicht wahr, dass ihre Nachkommen in dem kahlen Winterbaum über ihren Köpfen hingen, dass das Publikum mit schweren, aufgeregten Atemzügen zuschaute oder dass die Metallklinge in der Hand der Sejd-Frau die Sonnenstrahlen einfing und so der Eindruck entstand, als ergösse sich flüssiges Gold über sie alle. Das Opfer bekam nur den Geruch von Blut, Angst und Ekstase mit.

Der Rhythmus der Trommelschläge wurde schneller, als die Männer sie auf dem niedrigen, bereits dunkel glänzenden Holzaltar seitlich nach unten drückten und ausstreckten. Einer der Männer hielt ihren Kopf fest, während der andere ihren Bauch fixierte. Er musste sich halb auf sie legen, um sie unten zu halten. Obwohl sie sich wand und heulte, gelang es ihr nicht, sich zu befreien. Sie verdrehte die Augen und schrie vor Angst, als die Seijd-Frau mit dem scharfen Messer, das das Licht blutig golden reflektierte, auf sie zukam.

Die Männer zogen an ihr, sodass der Hals frei lag. Die Halsschlagader, die sich im Gleichtakt mit den Trommelschlägen weitete und entspannte, trat deutlich hervor. Die Sejd-Frau setzte das Messer auf die Haut und zog die Hand zurück. Das Messer war so scharf, dass es schnell ging. Das Geräusch, das beim Schnitt zu vernehmen war, ging im rhythmischen Trommeln unter. Dann durchtrennte die Sejd-Frau die Luftröhre.

»Óðin. Óðiiiiinn!«, schrie die Sejd-Frau erneut. Die Trommelschläge wurden schneller, und aus ihrem Mund kam der Name des Allvaters, gefolgt von einigen unverständlichen Lauten.

Hinter der Sejd-Frau zappelte die Sau noch. Die kurzen Beine des geopferten Schweins bewegten sich wie auf einem unsichtbaren Weg. Die Krämpfe schwächten sich ab, bis das Tier vollkommen regungslos dalag. Die beiden Männer waren jetzt auf die Knie gefallen.

»Nimm unser Opfer zu diesem Sonnenwend-Blót, Odin«, betete der eine. »Hilf uns, die Thronräuberin Ragnara zu vernichten.«

»Damit du, Allvater, wieder in Hrafnheim herrschen kannst«, stimmte der andere ein. »Wir geben dir Stärke, damit du deine Kraft zurückerlangst.«

Beide wischten mit flachen Händen über den Boden, wo sich Blut mit Gras und Staub zu einem dunkelbraunen, nährenden Brei vermengt hatte und einsickerte. Der Baum, in dem die aufgehängten Ferkel baumelten, sah schwarz aus unter den kahlen Zweigen und der blutigen Frucht. Trotz der Winterkälte wärmte die Sonne den neun Anwesenden entweder Rücken oder Brust, je nach ihrer Position im Blót-Kreis.

Die Sejd-Frau stellte am Fuß des Baumes die Schüssel unter den Hals der Sau und fing die heiligen Tropfen auf. Sie legte sich auf den Boden, sodass sie mit der Stirn die Erde berührte. Die anderen acht machten es ihr nach, bis alle neun mit dem Gesicht im Gras lagen.

»Odin«, flüsterte sie. »Gott des Krieges. Gib uns Stärke, damit wir dich stärken können. Freyja, nimm unsere Toten zu dir, wenn wir kämpfen. Thor und Tyr, kämpft mit uns, damit wir für euch kämpfen können.«

Da alle zu Boden blickten, bemerkten sie die Soldaten erst, als es schon zu spät war.

Die Sejd-Frau hob den Kopf. Ein paar blutige Grashalme klebten an ihrer Stirn. Sie ließ ihre Hand am Boden liegen und drehte das Messer so, dass es in ihrem Ärmel verschwand.

Kapitel 2

»Aufstehen!«, befahl der Anführer der Varægergarde.

»Das ist Varnar vom Bronzewald«, flüsterte einer der Gläubigen. Langsam kamen sie auf die Beine. Einige breiteten die Arme aus, um zu zeigen, dass sie unbewaffnet waren.

Varnar näherte sich ihnen mit erhobenem Speer, während sich die Varægergardisten aufteilten. Er wählte mit zwei Soldaten die eine Seite, während Geiri mit weiteren auf die andere Seite zulief.

»Ihr steht unter dem Verdacht, gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Ragnara hat euch von den Sklavenfesseln befreit. Werdet jetzt nicht stattdessen Sklaven der Religion«, mahnte Varnar. »Ragnara will euch vor den Göttern beschützen«, fügte er etwas milder hinzu.

Der Blick der Sejd-Frau fiel auf seinen Speer, als er das Wort »beschützen« aussprach. Der Speer zeigte direkt auf sie, und sie zog eine Augenbraue hoch.

Varnar runzelte fast unmerklich die Stirn. »Die Götter weisen euch den falschen Weg.« Er betrachtete die toten Schweine am Baum. Auf deren Körper waren Runen mit Blut geschrieben worden. Auf dem Altar lag eine riesengroße tote Sau. Ihre Zitzen strotzten vor Milch.

»Wir versuchen zu –«, begann ein Mann aus dem Kreis, er zitterte am ganzen Leib.

»Spar dir deine Erklärungen«, schnitt Varnar ihm das Wort ab. »Die kannst du in Sént abgeben, wo euch alle ein gerechter Prozess erwartet.«

»Und ganz bestimmt eine ungerechte Strafe«, sagte ein Junge von ungefähr fünfzehn Jahren. Hoch erhobenen Hauptes schaute er Geiri, der neben ihm stand, direkt ins Gesicht.

»Schweig!«, befahl Geiri. »Noch ein Wort von dir, und du kriegst es zu spüren.«

Der Junge sah Geiri in die Augen. »Die Götter werden unsere Treue belohnen.«

Geiri schlug mit dem Stiel seiner Axt zu, und der Junge knickte ein, fiel auf die Knie und japste hörbar nach Luft. Die Umstehenden wichen zurück. Jemand bekam einen Anfall, und die Frau daneben bückte sich, um zu helfen, doch ein Gardist hob sein Schwert.

»Schwöre den Göttern ab«, forderte Geiri. »Schwöre ihnen ab.«

Bevor der Junge den Mund aufmachen konnte, ergriff die Sejd-Frau das Wort. »Lauge«, rief sie. »Das darfst du nicht tun.«

»Sag: Ich folge den Göttern nicht.« Geiri hob erneut den Stiel seiner Axt, um ihn in den Rücken des Jungen zu rammen.

»Geiri!«, rief Varnar. Es war ein Befehl, und Geiri erstarrte.

Die Sejd-Frau ließ das Messer aus dem Ärmel gleiten und trat einen Schritt nach vorn.

Varnar registrierte die Bewegung aus dem Augenwinkel und wirbelte herum. Der Speer durchbohrte ihr Herz und traf zugleich mit voller Wucht ihren ganzen Körper.

»Nein!«, ertönte die Stimme des Jungen, sie klang verzerrt, sowohl durch den Schlag als auch von dem Schock.

Die Sejd-Frau stand mit überraschter Miene ganz still. Das Messer fiel ihr aus der Hand. Es war ihr nicht gelungen, mehr als nur einen halben Schritt vorwärts zu machen. Dann fiel sie rückwärts um, ihre klaren Augen auf den Himmel gerichtet.

»Mutter«, jammerte ihr Sohn. »Mutter.«

Geiri, immer noch mit erhobener Axt, stürmte vor, und der verzweifelte Junge kroch rückwärts. Varnar ging zur toten Sejd-Frau. Er sah sie ausdruckslos an. Dann zog er seinen Speer aus dem Leichnam. Da ihr Körper die Bewegung mitmachte, wirkte die Frau fast so, als sei noch Leben in ihr, dabei war sie schon tot, noch bevor sie auf dem Boden gelandet war.

»Du bist für einen Gott gestorben«, sagte er zu der Leiche. »Was für ein sinnloser Tod.«

Varnar hob den Kopf und musste, als er zu den Gefangenen sprach, seine Stimme erheben, um das Schluchzen zu übertönen. »Kommt freiwillig mit, und ihr werdet gerecht behandelt. Ragnara wird euch helfen und beschützen.« Er forderte seine Leute mit einem Zeichen auf, die Gläubigen zu fesseln. Dann marschierten die Gardisten los, in ihrer Mitte die acht gefesselten Odin-Gläubigen, und die Nachhut bildeten Varnar und Geiri. Der Junge, dessen tote Mutter unter dem Blót-Baum zurückgelassen wurde, taumelte gebeugt und mit abwesendem Blick vorwärts. Die toten Tiere lagen auf einem Ziehwagen. Eine Weile gingen Varnar und Geiri nebeneinander. »Ich wünschte, sie hätte den Göttern abgeschworen«, sagte Geiri.

Varnar antwortete nicht.

Geiri sah zum Wagen und fügte hinzu: »Die nächsten Tage müssen wir von morgens bis abends Braten essen.«

Wieder sagte Varnar nichts, sein Blick fiel aber auf die große blutige Sau und ihre toten Ferkel, die in einem Haufen auf der Ladefläche lagen.

»Haben Eskild und seine Leute jemanden gefunden?«, dachte Geiri laut. »Zur Wintersonnenwende beten sie alle die Götter an.«

Varnar zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe, wir haben den letzten Blót-Kreis in Freiheim aufgespürt.«

Geiri schüttelte den Kopf. »Die Gläubigen sind wie Würmer. Zerschneidet man sie, leben beide Hälften weiter.«

»Ragnara lässt das nicht zu. Sie beschützt die Menschen vor der Verführung der Götter.«

Geiri lachte leise. »Und du bist ihre Speerspitze. Varnar heißt der Beschützer. Man könnte meinen, deine Eltern wussten, was aus dir einmal werden würde, als sie dir diesen Namen gaben. Ehre sei ihrem Andenken.« Die letzten Worte flüsterte er.

Es kam nicht oft vor, dass sie über ihre Kindheit im Bronzewald oder die Vernichtung aller Erwachsenen ihres Volkes sprachen. Varnar kniff die Augen zusammen, als er zum Horizont schaute. Denn dort war es weiß von einer feinen Schicht Schnee unter den tief hängenden Wolken; so weit das Auge reichte, verschmolzen Himmel und Erde miteinander, und es war nicht zu erkennen, wo diese Welt endete und wo das Totenreich begann.

»Sie wären stolz auf dich gewesen«, sagte Geiri leise.

»Sie wären stolz auf uns gewesen, Geiri vom Bronzewald«, korrigierte Varnar und schenkte ihm ein seltenes Lächeln.

Ein Ruf, gefolgt von Hufgetrappel, ertönte. In Freiheim gab es nicht viele Reitpferde, doch General Eskild besaß eines der wenigen und galoppierte jetzt auf ihren Trupp zu. Hoch zu Ross glänzte sein stahlgraues Haar.

»Gardisten«, rief er, »folgt mir!«

Varnar setzte sich sofort in Bewegung.

»Bewacht die Gefangenen«, befahl Varnar im Gehen ein paar seiner Varægergardisten. »Doppelstrang!«, rief er den Übrigen zu, die sich in zwei Reihen aufstellten.

Eskild hatte sein Pferd bereits gewendet und sich an die Spitze gesetzt; Varnar und die Soldaten schlossen sich ihm an wie ein Schwarm Zugvögel. Vor ihnen lag ein Wald, dessen hohe Bäume alles verdeckten, was sich in ihm abspielen mochte.

Das Pferd trabte voraus. Eskilds Rücken glänzte von Blut, und ganz kurz hielt Varnar es fälschlicherweise für Eskilds eigenes. Tilarids hing auf seinem Rücken neben Messern und Speeren, und ein roter Streifen verlief über seine graue Lederuniform.

Im Wald hörte Varnar Kämpfe und Schreie. Als sie eine Lichtung in der Mitte erreichten, sah er ein Chaos aus Soldaten und weiß gekleideten Leuten.

Viele waren im Kampf gefallen, aber niemand von Eskilds Soldaten. Varnar sah sich um. Fünfzehn ältere weiß Gekleidete auf der rechten Seite. Links sechs Junge. In der Mitte eine Schar Kinder. Über zwanzig Bauern und Bäuerinnen kämpften um sie herum mehr oder weniger geschickt.

In einem großen Baum in ihrer Mitte hingen mehr als vierzig tote Tiere. Trotz der Kälte waren die weiß gekleideten Menschen barfuß und vor allem war die Gruppe viel größer als die armseligen acht Blótenden, die seine Gardisten eben gefangen genommen hatten. Diese hier kämpften mit all dem, was sie gerade greifen konnten. Mit Steinen vom Waldboden, mit Knüppeln und einer sogar mit einem spitzen Stück Eis.

Eskilds Soldaten trugen zwar Waffen, waren aber nur zu fünft und zudem verwirrt und ratlos. Eskild sprang vom Pferd. Die weiß Gekleideten waren kräftige Bauersleute, die mit ihren einfachen Waffen gut umzugehen wussten.

»Die Kinder!«, rief Varnar zwei der unerfahrensten Soldaten zu.

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die weiß gekleideten, die richtig kämpfen konnten. Eskild folgte mit seinem Trupp. Als seien sie ein- und dieselbe Person, fielen ihre Gegner durch Varnars Speer und Messer und Eskilds Schwert. Varnar rief immer wieder, die Gläubigen sollten sich ergeben, doch sie kämpften unverdrossen weiter. Die Gardisten gewannen die Oberhand, und bald standen sie, umgeben von vielen Toten, keuchend auf der Lichtung.

»Schwachköpfe«, fluchte Varnar und betrachtete die vielen Leichen. »Ihr sterbt lieber für eure Götter, als Ragnara zu folgen.«

Ein junger Mann neben Varnar hörte es. Rorik war einer von den Neuzugängen in der Varægergarde und war der einzige Gardist in Eskilds Patrouille. Varnar hatte bemerkt, dass Rorik sogar im größten Tumult die Ruhe behielt.

»Sie haben uns nicht verstanden.« Roriks dunkelbraunes Haar war aus dem Lederband gerutscht und stand in alle Richtungen ab. Er war schlank und einen Kopf kleiner als Varnar.

Varnar drehte sich zu Rorik um. »Was?«

»Sie sprechen nur die uralte Sprache.«

»Alle müssen die neue sprechen können.«

»Sie leben sehr abgeschieden.« Rorik hatte rote Spritzer auf der Wange, und die aufgerissenen Augen verrieten, dass es ihm schwerfiel, wie gewohnt die Ruhe zu bewahren. Er schaute hoch zu den geopferten Tieren in der Baumkrone.

»Also haben sie nicht verstanden, als ich sie aufforderte, sich zu ergeben?«

Rorik schüttelte den Kopf. »Sie haben uns immer wieder Dämonen und böse Geister genannt.«

»Wenn du ihre Sprache sprichst, warum hast du dann nicht versucht, sie aufzuhalten?«

Roriks Augen flackerten in Eskilds Richtung. »Das habe ich versucht, aber die alte Sprache ist verboten, darum …«

Varnar stapfte weg von Rorik in den Wald, um die Kinder zu suchen. Mit einem Aufschrei blieb er stehen. Er spürte den Puls in seinem Mund hämmern. Vor ihm lagen sie alle mit durchgeschnittenen Kehlen. Er zählte acht. Einer der Soldaten war bereits weitergegangen, daher packte Varnar eine Soldatin neben sich am Kragen und schüttelte sie.

»Ihr hattet den Befehl, die Kinder wegzubringen, damit ihnen nichts geschieht!« Er konnte den Anblick der kleinen Wesen auf dem Boden nicht ertragen. Angesichts des verhängnisvollen Fehlers krampfte sich Varnar der Magen zusammen. Er hatte sich nicht deutlich genug ausgedrückt. Das Blut der Kleinen klebte an seinen Händen. Jemand schrie weiter hinten im Wald, und der Soldat tauchte wieder auf, ein Mädchen hinter sich herziehend, das wie die anderen Gläubigen weiße Kleidung trug. Sie war vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt.

»Sie wollte weglaufen«, erklärte der Soldat.