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Die komplette zweite Staffel der erfolgreichen Science Fiction Serie in einem Band!
Das Experiment des Dr. Kasanov hat die Welt ins Chaos gestürzt und die SURVIVOR auf eine fantastische Reise geschickt. In einer fremden Welt kämpfen Commander Ryan Nash und seine Crew ums Überleben. Einer Welt, in der Nash nicht weiß, wer Freund und wer Feind ist. Doch ist die SURVIVOR überhaupt auf einem anderen Planeten gelandet? Oder hat es sie in eine dunklere Zukunft der Erde verschlagen? Nashs einziges Ziel ist es, einen Weg zurück nach Hause zu finden. Doch wie soll er das schaffen, wenn er niemandem vertrauen kann - nicht mal seiner eigenen Crew?
Digitaler Serienroman von Peter Anderson. Zweite Staffel, Episoden 1 - 12. Das große Finale!
Für Fans von "Star Trek - Voyager" und Leser von David Weber oder Jack Campbell.
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Seitenzahl: 737
Veröffentlichungsjahr: 2014
Das Experiment des Dr. Kasanov hat die Welt ins Chaos gestürzt und die SURVIVOR auf eine fantastische Reise geschickt. In einer fremden Welt kämpfen Commander Ryan Nash und seine Crew ums Überleben. Einer Welt, in der Nash nicht weiß, wer Freund und wer Feind ist. Doch ist die SURVIVOR überhaupt auf einem anderen Planeten gelandet? Oder hat es sie in eine dunklere Zukunft der Erde verschlagen? Nashs einziges Ziel ist es, einen Weg zurück nach Hause zu finden. Doch wie soll er das schaffen, wenn er niemandem vertrauen kann - nicht mal seiner eigenen Crew?
SURVIVOR ist ein zwölfteiliger Serienroman. Dieses Collector’s Pack enthält alle zwölf Episoden der zweiten Staffel. Das große Finale!
Peter Anderson, geboren 1965, war nach Ausbildung als Verlagskaufmann und Germanistik-Studium als Lektor für Spannungsromane, zuletzt als stellvertretender Cheflektor, tätig. Er lebt heute als freiberuflicher Lektor und Autor mit seiner Familie in der Nähe von Bonn.
Arndt Drechsler, geboren 1969, arbeitet seit 1991 als professioneller Illustrator, vor allem im Bereich Science Fiction. Er schuf Umschlagbilder für zahlreiche Buchverlage, die Perry-Rhodan-Serie sowie die Titelbilder der Romanheftserie Sternenfaust.
Ryan Nash, Commander der Mission SURVIVOR und Ex-Navy-SEAL, kennt die Gefahr. Doch was ihn am Ziel seiner abenteuerlichen Reise erwartet, übersteigt seine kühnsten Erwartungen – und seine größten Ängste.
Dr. Gabriel Proctor, wissenschaftlicher Leiter des Projekts. Ein Genie mit einem IQ, der angeblich nicht mehr zu messen ist. Nur er kennt das wahre Ziel der Mission. Doch was weiß Dr. Proctor wirklich, und was sind seine Absichten?
Jacques D’Abo, genannt Jabo. Ein Schwarzer aus den Vorstädten von Paris. Seine besonderen Fähigkeiten haben ihm geholfen, in einem harten Milieu zu überleben und ihn misstrauisch gegen alles und jeden gemacht. Auch gegen sich selbst.
Maria dos Santos, Südamerikanerin. In dem kleinen Dorf in den Anden, in dem sie aufwuchs, wurde sie ihrer heilenden Kräfte wegen wie eine Heilige verehrt – und später grausam verstoßen. Aber Maria ist alles andere als eine Heilige.
Ai Rogers, eine Halbchinesin, geboren in Hongkong, die nach der Übergabe der Kronkolonie an China in einem Umerziehungslager aufwuchs. Ist sie Opfer eines unmenschlichen Systems, gnadenlose Killerin – oder beides?
Episode 01 – Treue und Verrat
Episode 02 – Metamorphose
Episode 03 – Gestrandet
Episode 04 – Folter
Episode 05 – Die Seele der Maschine
Episode 06 – Brennender Hass
Episode 07 – Das Dorf der Drohnen
Episode 08 – Glaubenskrieger
Episode 09 – Projekt Sternentor
Episode 10 – Heilige und Hure
Episode 11 – Bruderschaft des Teufels
Episode 12 – Der neue Prometheus
Episode 01
TREUEUND VERRAT
»Ryan?«, fragte Ryan Nash. »Wie kommst du an diesen Namen?«
Der Mann vor ihm hatte seinen Kampfhelm abgenommen. Sein Gesicht trug asiatische Züge. Wie die meisten Menschen in dieser Umgebung schien er chinesischer Herkunft zu sein.
»Wir Männer heißen alle so«, antwortete der Soldat.
»Und die Frauen?«, fragte Ryan verwirrt.
»Sie heißen Ai«, erklärte der Chinese. »Wir alle heißen Ai und Ryan. Wie unsere Stammeltern.«
Ryan schüttelte fassungslos den Kopf. »Was hat das zu bedeuten?« Irgendein verschwommener Gedanke waberte durch sein Hirn, aber er konnte ihn nicht greifen.
Ryan Nash, der ehemalige Navy SEAL, war noch nie in einer solchen Situation gewesen. Kein Mensch vor ihm hatte so etwas erlebt.
Er stand in einer unterirdischen Halle – das heißt, genau genommen, einer Halle tief unter dem Meer. Man spürte es an dem Druck, der auf den Ohren lastete, und Nash glaubte das Wasser in den Röhren rauschen zu hören, die sich an den Wänden entlangzogen, und das Knirschen und Knacken in dem Gestein, das sie umgab. Oder vielleicht war das alles nur Einbildung?
Real hingegen – sofern etwas in dieser unwirklichen Welt real sein konnte – waren die verbogenen Metalltrümmer, die den Hallenboden übersäten. Real war auch der Rumpf der SURVIVOR, die neben ihm aufragte, mit aufgerissenem Schott, die Oberfläche von Schussnarben versengt. Das Schiff, mit dem sie zu den Sternen aufgebrochen waren. Aber dieser Ort war weit fantastischer, als Ryan Nash und seine Crew es sich in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hatten.
Sie befanden sich nicht auf einem fremden Planeten, wie sie vermutet hatten, sondern auf der Erde.
Aber das war keineswegs beruhigend. Es war sogar noch viel erschreckender als die meisten anderen Szenarien, die man sich hätte ausmalen können.
Eben weil es die Erde war. Es war die Erde in einer fernen, unbestimmbaren Zukunft, beherrscht von einem mysteriösen Despoten, der sich »Friedensstifter« nannte.
Hinzu kam, dass Ryan von Verrätern umgeben war. Und das Schlimmste daran war: Die meisten davon gehörten zu seiner Crew. Seiner Mannschaft, für die er sich als Commander verantwortlich fühlte.
Da war Maria dos Santos, die behauptet hatte, von ihm schwanger zu sein. Zugegeben, Ryan hatte mit ihr geschlafen und seine Frau Kate betrogen, weil Maria ihm so schutzlos und begehrenswert zugleich erschienen war. Doch die vermeintliche Heilige und Wunderheilerin hatte sich als Hure entpuppt; denn das Kind war nicht von Ryan Nash, sondern von Peter Kasanov, dem genialen Physiker und Schöpfer des Projekts SURVIVOR.
Ausgerechnet Kasanov! Der Mann, der ihn, Ryan Nash, aus einem Leben voller Gewalt, Leid und Tod befreit hatte. Der ihm versprochen hatte, etwas Besseres aus ihm zu machen, ihn an etwas Großem teilhaben zu lassen. Dieser Mann war wie ein Vater für ihn gewesen, und nun hatte er sich als genauso mieser Lügner erwiesen wie alle anderen.
Dann war da Ai Rogers, die Hongkong-Chinesin, die Ryan nicht weniger hilfsbedürftig erschienen war als Maria. Er hätte alles getan, um sie zu schützen, hätte sein Leben für sie gegeben. Dabei war Rogers eine chinesische Spionin, die für die Gegenseite arbeitete.
Ferner gab es da noch Mikail Nubroski, eine vergleichsweise unbedeutende Figur. Ein Russe, ehemals in den Diensten der Sowjets, jetzt Stiefellecker der kommunistischen Unterdrücker in Rot-China. Nubrowski gehörte zwar nicht zur SURVIVOR-Mission und war erst später zu Ryan und den anderen gestoßen, aber jetzt waren sie Schicksalsgefährten.
Dann war da noch Jabo gewesen – Jacques d’Abo. Er war verschollen. Wahrscheinlich lebte er nicht mehr, denn in dieser Welt wimmelte es von tödlichen Gefahren. Jabo war zehn Jahre älter als Ryan Nash, ein schwarzhäutiger Hüne Mitte vierzig, der in den Banlieus von Paris aufgewachsen war, dem trostlosen Gürtel aus Plattenbauten, der die Metropole umschloss. Er war ein Mann, der vor nichts und niemandem Respekt hatte und keinem Kampf aus dem Weg ging.
Ryan hatte geglaubt, in Jabo den besten Freund gefunden zu haben, den ein Mann sich nur wünschen kann, aber auch das hatte sich als schrecklicher Irrtum erwiesen. Wie es aussah, war Jabo, der angebliche Atheist, ein Schläfer der Al-Qaida gewesen. Das zumindest würde manches Rätsel erklären, vor allem Jabos verzehrenden Hass auf alles Amerikanische.
Sowohl Jabo als auch Ai und Maria hatten während der Mission behauptet, sich weder an Ryan noch an die gemeinsamen Vorbereitungen auf die Mission erinnern zu können. Angeblich hatten sie nicht einmal gewusst, wie sie überhaupt an Bord der SURVIVOR gekommen waren.
Alles Lüge, dachte Ryan voller Bitterkeit, oder besser: clevere Tarnung. Was letztendlich auf das Gleiche hinauslief. Ryan hatte sich den Kopf zerbrochen, wie er seinen Gefährten helfen konnte, die vermeintlich dasselbe Ziel verfolgten wie er. Dabei hatten sie ihn skrupellos hinters Licht geführt.
Doch einer stellte alle anderen weit in den Schatten: Dr. Gabriel Proctor, schlank, gut eins neunzig groß und durchtrainiert, mit stahlblauen Augen. Ein wissenschaftlich-mathematisches Genie, das faktisch die Leitung der Mission SURVIVOR übernommen hatte, obwohl Ryan der offizielle Kommandant war. Doch Ryan hatte sich nicht dagegen gewehrt, dass Gabriel Proctor nach und nach die Macht an sich gezogen hatte, denn Proctor besaß überragende Führungsqualitäten und hatte sich in Notsituationen bewährt, die intellektuelle Fähigkeiten erfordert hatten, an die keiner der anderen herankam.
Nun aber war offensichtlich geworden, weshalb Proctors IQ sich außerhalb sämtlicher normalen Messbereiche befand: Er war kein Mensch, sondern eine Maschine. Ein Cyborg mit der Leistungsfähigkeit eines Supercomputers, in dem das Wissen seines genialen Schöpfers Dr. Peter Kasanov steckte.
Oder war dieses Ding Peter Kasanov?
Der Gedanke ließ Ryan schaudern. Er hätte nie für möglich gehalten, dass es so etwas gab. Jedenfalls nicht auf der Erde des Jahres 2012, von der sie kamen.
Und doch war es so.
Ihre Mission hatte sie nicht auf einen fremden Planeten geführt, sondern in die Zukunft der Erde. Eine düstere, trostlose Zukunft, wie sich herausgestellt hatte. Eine Zukunft, in der es rechtlose Sklaven und brutale Unterdrücker gab, aber auch Rebellen, die sogenannten Freien.
Vielleicht waren die Freien Verbündete der Teilnehmer an der SURVIVOR-Mission, vielleicht trieben sie aber auch ihr eigenes Spiel. Jedenfalls waren zwei Dutzend von ihnen erschienen, dazu ein Dreadnought-Kampfroboter, und hatten das SURVIVOR-Team im letzten Moment vor Dai Feng, der rätselhaften Chinesin, und ihren Wächtern gerettet, Kreaturen mit halb menschlichen, halb künstlichen Gesichtern und kalten, mechanischen Augen.
Wie hing das alles zusammen? Wer besaß hier die wahre Macht?
Und was, in Gottes Namen, war mit der Erde geschehen?
Ryan ließ den Blick schweifen. In der dämmrigen Halle stand nicht nur der zernarbte Rumpf der SURVIVOR, mit der er und seine Crew hergekommen waren. Dahinter waren schemenhaft die Umrisse sechs weiterer Dimensionsschiffe erkennbar, im Aussehen und in der Funktion der SURVIVOR nicht unähnlich, aber den Schriftzeichen und Symbolen auf ihrer Außenhülle nach unverkennbar rotchinesischer Herkunft.
Neben sich hörte er Maria leise wimmern: »Ich will zurück nach Hause. Bitte, ich will wieder nach Hause …«
»Hast du noch immer nicht begriffen, was geschehen ist?«, fragte Proctor mit kalter, unbeteiligter Stimme.
Er bot einen grauenhaften Anblick. Die linke Gesichtshälfte war weggerissen. Darunter war ein künstlicher Schädel zum Vorschein gekommen, der aus irgendeinem hyperresistenten Metall bestand, über das sich Sehnen aus Plastik spannten. Das Fleisch war weggefetzt worden, hatte aber kein Blut hinterlassen, sondern einen rosafarbenen schleimigen Schmierfilm, der auf dem Metallschädel haftete. Das linke Auge wirkte wie eine bewegliche Glasmurmel.
»Sei still, du verdammtes Monstrum!«, fuhr Ryan den Cyborg an. »Und du, Maria, hör auf zu heulen. Jammern hilft uns nicht weiter.«
Maria zuckte bei diesen groben Worten zusammen, verstummte aber.
Ryan starrte wieder den Chinesen an: »Was ist das für eine Geschichte mit diesen Stammeltern?«
Der Mann antwortete: »Wie ich schon sagte, wir alle heißen Ryan oder Ai. So wie die Stammeltern, die einst das Volk der Freien gezeugt haben.« Er sank auf ein Knie und beugte demütig den Kopf vor Ryan. Die anderen taten es ihm nach.
»Stammeltern?«, fragte Ryan verwirrt in die Runde. »Was meint er damit?«
Proctor sagte: »Er meint Ai Rogers und dich, Nash.«
»Verdammt, Kasanov!«, stieß Nubroski hervor. »Was haben Sie getan!«
»Wir sind schon einmal hier gewesen, nicht wahr?«, sagte Ryan leise. »So wie er.« Sein Blick deutete zu Nubroski hinüber. »Ich habe diesen Mann hier schon mal getroffen … einen anderen Nubroski. Er wurde umgebracht, als man Jabo entführt hat.«
»Was?« Der Russe lacht hysterisch. »Soll das heißen, ich bin tot? Sie sind ein Witzbold, Nash.«
Ryan schüttelte den Kopf. »Das ist kein Witz. Ich habe Ihre Leiche gesehen.«
Nubroski wurde blass.
»Wir haben eine Zeitreise unternommen«, erklärte Proctor. »Beim Sprung durch die Dimensionen sind offenbar mehrere Kopien von uns allen entstanden, die zur Erde zurückgekehrt sind – in verschiedenen Epochen. Ich arbeite zurzeit an einer Erklärung für dieses Phänomen. Es muss mit der Verschiebung der variablen Zeit im Subraum zu tun haben, in Verbindung mit …«
»Hör auf mit dem Gelaber!«, herrschte Ryan ihn an. »War das deine Absicht, Maschine? Hast du uns absichtlich in diesen Schlamassel gebracht?«
»Nein.«
»Oder bist du nur falsch programmiert?«
»Keineswegs. Ich funktioniere fehlerfrei.«
Ryan nahm sein Gewehr und riss es in Anschlag. »Ach ja? Tut mir leid, Blechmann, du landest trotzdem auf dem Schrottplatz!«
Er wollte schießen, doch blitzschnell war Ai neben ihm und riss ihm das Gewehr aus der Hand.
Ryan hob die Fäuste. »Verdammte Spionin!«
Ai warf das Gewehr zur Seite und ging in Kung-Fu-Position. »Denk nach, Ryan«, beschwor sie ihn. »Wir brauchen Proctor. Nur er kann uns nach Hause bringen.«
»Wie sollte dieses … Ding das anstellen?«
»Er hat Kasanovs Wissen. Er ist hyperintelligent. Er hat uns durch die Zeit geschickt. Vielleicht kann er uns wieder zurückschicken.«
»Die Welt, aus der wir kommen, existiert nicht mehr«, hielt Ryan dagegen. »Sie ist Vergangenheit.«
»Nur in der Theorie«, sagte Proctor.
»Was?«
»Ai hat recht«, fuhr Proctor fort. »Wenn ich die erforderlichen technischen Mittel in die Hand bekomme, kann ich uns alle durch die Zeit zurücksenden. Sobald ich den Fehler in meinen ursprünglichen Berechnungen erkannt habe, dürfte das kein allzu großes Problem mehr sein.«
»Dein Scheißfehler hat uns in die Hölle geschickt!«, rief Ryan.
»Es ist nicht mein Fehler«, widersprach die Maschine. »Es ist Albert Einsteins Fehler. Seine allgemeine Relativitätstheorie ist nicht stimmig. Ich bin sicher, dass der Fehler dort zu suchen ist.«
»Das darf nicht wahr sein!«, stieß Ryan hervor, der nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte.
»Herr«, meldete sich der China-Ryan wieder zu Wort. »Wir müssen gehen. Bald werden neue Wächter kommen, und sie werden Dreadnoughts mitbringen.«
Rayn erschrak. Gegen die nahezu unzerstörbaren Kampfroboter hatten sie keine Chance.
Er blickte sich um. Ai Rogers, Maria, Nubroski, der Roboter – sollte er sich wirklich mit einem Haufen Verräter und Lumpen aufmachen nach …
Ja, wohin eigentlich?
Aber der Asiat hatte recht. Es war wichtig, erst einmal zu verschwinden.
»Wohin willst du?«, fragte Ryan.
»Zurück dem Stützpunkt, von dem wir kommen«, sagte der Asiat und erhob sich.
Ryan nickte. »Dann öffnet die Dimensionsportale oder wie immer ihr die Dinger nennt.«
»Das geht nicht, Herr«, sagte der Asiat. »Sie können nur von einer Portalplattform aus geöffnet werden. Wir müssen zu Fuß zurück.«
»Durch die Station?«, fragte Ryan erschrocken. Bei diesem Gedanken lief es ihm eiskalt über den Rücken. Die Unterwasserstadt war voller Gefahren, und bisher hatten sie alle, bis auf Jabo, nur durch unverschämtes Glück überlebt.
»Uns bleibt keine andere Möglichkeit«, sagte der Asiat. »Wir kennen uns aus.«
»Hör auf ihn, Ryan«, sagte Proctor mit kalter, nüchterner Stimme.
Ryan blickte in die Runde. »Wenn wir dieses Ding mitnehmen«, sagte er und zeigte auf Proctor, »wird es vorher in Ketten gelegt, damit es keine Gefahr darstellt.«
»Du unterschätzt meine physischen Kräfte, Nash«, sagte der Roboter. »Ich würde deine Ketten sprengen. Aber ich bin keine Gefahr für dich und die anderen. Du kannst mir vertrauen.«
»Ja, sicher, ich kann dir blind vertrauen«, höhnte Ryan. »Du bist eine gewissenlose, gefühllose Maschine!«
»Ich habe meine Existenz riskiert, um die Freien hierher zu holen, damit sie euch retten«, erklärte Proctor. »Denk nach, Ryan Nash. Denk logisch. Wenn ich tatsächlich kein Gewissen hätte, wäre ich offensichtlich darauf programmiert, euch zu schützen. Und die Erfahrung, die ich aus Kasanovs Erinnerung habe, sagt mir, dass auf eine Programmierung mehr Verlass ist als auf ein menschliches Gewissen.«
Ryan warf Maria einen Blick zu. Gut möglich, dass Procter recht hatte, aber das wollte er nicht laut eingestehen.
»Dieser Roboter ist wertvoll«, sagte nun auch Nubroski, in dessen Stimme noch immer Angst mitschwang. »Er besitzt Kasanovs gesamtes Wissen.«
Ja, und nur darum geht es dir, dachte Ryan. Damit deine rotchinesischen Freunde und vor allem du selbst davon profitieren können.
»Herr …«, drängte der China-Ryan.
Ryan nickte. »Okay. Los.«
Ob Gabriel Proctor ihnen wirklich helfen konnte, würde sich zeigen. Wenn nicht, würde Ryan ihn vernichten.
Der Asiat reichte ihm das Lasergewehr, das Ai ihm weggerissen hatte.
Ryan nickte zufrieden. Die Waffe würde selbst für den verfluchten Roboter reichen.
Er zuckte zusammen, als Proctor sagte: »Da wäre ich mir nicht so sicher.«
Verdammt! Konnte dieses Konglomerat aus Fleisch, Metall und elektronischen Bauteilen, das sich für klüger als Albert Einstein hielt, auch noch Gedanken lesen?
Ryan Nash konnte sich noch genau an sein erstes Date mit Kate Kensington erinnern.
Es war ein paar Monate, nachdem er der Millionenerbin das Leben gerettet hatte. Er hatte sie aus den Fluten der Glorietta Bay in Coronado gezogen, nachdem ein übernächtigter Trucker, der am Steuer seines Lastwagens eingeschlafen war, ihren Porsche von der Straße gedrängt hatte.
Ein Tourist hatte Ryans todesmutigen Einsatz mit einer Videokamera festgehalten, und die lokalen TV-Stationen und Zeitungen hatten groß und breit über den »Helden von Coronado« berichtet.
Nur leider hatte man den einundzwanzigjährigen Herumtreiber Ryan Nash, der als Sechzehnjähriger von seinem Vater aus dem Haus geworfen worden war, anschließend wegen diverser Vergehen wie Ladendiebstahl festgenommen. Kein guter Start für ein Heldenleben.
Es waren Kates Vater, der millionenschwere Unternehmer Ken Kensington, und seine Top-Rechtsanwälte gewesen, die Ryan vor dem Gefängnis bewahrt hatten. Kensington hatte sich anfangs nur für die Rettung seiner Tochter revanchieren wollen, doch der junge Ryan Nash war ihm immer sympathischer geworden.
Eine Sympathie, die durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte.
Wenn Ryan Nash, der jugendliche Streuner, einen Vater gehabt hätte wie Ken Kensington, wäre es mit ihm vielleicht nie so weit gekommen.
Denn Ryan war nicht der typische Penner. Er stammte selbst aus einer Unternehmerfamilie, hatte eine gute Erziehung genossen und wusste sich in der »besseren« Gesellschaft zu bewegen. Nur war es bei ihm zu Hause nicht so harmonisch zugegangen wie bei den Kensingtons. Seine Mutter war Alkoholikerin, die sich zudem zu Antidepressiva und allen möglichen anderen Tabletten griff, wenn sich auch nur das kleinste Problem am Horizont zeigte, und sein Vater war ein kaltherziger Geschäftemacher, dem es Ryan nie gut genug machen konnte. Als eines Tages Ryans bester und einziger Freund Tom bei einem gemeinsamen nächtlichen Badeausflug starb – ein Unfall, an dem auch Ryan selbst sich die Schuld gab -, hatte er seinen Sohn regelrecht aus dem Haus geprügelt.
Fünf Jahre lang war Ryan durch die Welt gestreunt, bis ihn seine ziellose Wanderung zurück nach Kalifornien geführt hatte. Und seit er Kate gerettet hatte, hatte sein Leben sich radikal geändert.
Ken Kensington hatte ihm eine kleine Wohnung und einen Job als Parkwächter auf seinem Firmengelände verschafft. Für Ryan hatte das Herumstreuen vorerst ein Ende.
Ihm gefiel sein neues Leben.
Vor allem aber gefiel ihm Kate.
Er war ein Heimatloser, sie eine Millionenerbin. Trotzdem hatte sie keinerlei Berührungsängste. Kate schien mit ihren großen rehbraunen Augen direkt in seine Seele schauen zu können. Und wenn sie ihn anlächelte, ging für ihn die Sonne auf.
Aber natürlich machte er sich keinerlei Hoffnungen. Jeden Gedanken in dieser Richtung untersagte er sich streng. Ryan wusste zu gut, wie schrecklich enttäuschte Hoffnungen schmerzen konnten.
Dann aber kam der Tag, da Kate mit ihrem neuen Porsche vor seiner Pförtnerloge hielt. Sie sprach ihn an und erklärte ihm, dass sie ihren Vater in der Firma besuchen wolle. Wieder ging ihr Lächeln ihm durch und durch.
Und dann sagte sie auf einmal: »Heute ist Freitagabend, und da gehe ich normalerweise aus. Möchten Sie nicht mitkommen? Ich würde mich sehr freuen.«
Ryan war perplex. Niemals hätte er mit einer solchen Einladung gerechnet, in seinen kühnsten Träumen nicht. »Ich glaube nicht, dass Ihr Vater es gerne sehen würde, wenn Sie mit mir ausgehen«, sagte er.
Kate lachte glockenhell. »Warum das denn?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Außerdem mag Daddy Sie. Und er hat sich noch nie in mein Privatleben eingemischt. Sie kennen ihn doch. Halten Sie ihn für einen Spießer?«
»Äh … nein, sicher nicht.«
»Gut.« Kate ließ den Motor an. »Um sieben bin ich bei Ihnen und hole Sie ab.«
»Nein, nein«, sagte er schnell. »Das Haus, in dem ich wohne …«
»… gehört meinem Dad«, beendete Kate den Satz und fuhr los, um den Wagen in der für sie reservierten Parkbucht abzustellen.
Es hatte einen Grund, dass Ryan nicht von Kate an seiner Wohnung abgeholt werden wollte: Das Haus stand in einem der heruntergekommenen Viertel von Coronado, wo jene Leute lebten, die es im Sonnenstaat Kalifornien zu nichts oder nur sehr wenig gebracht hatten.
Das Zwei-Zimmer-Apartment war klein. Ständig hörte man das Streiten der benachbarten Ehepaare. Und verhielten sie sich ausnahmsweise einmal ruhig, plärrte irgendwo ein Fernseher, oder aus einem Gettoblaster dröhnte nervtötender Hip-Hop, während im Treppenhaus beständig der saure Geruch von altem Essen hing.
Das war es aber nicht, worum sich Ryan sorgte. Schließlich wusste Kate, dass er nicht zu den tausend reichsten Leuten der Welt gehörte, sondern Parkwächter auf dem Firmengrundstück ihres Daddys war. Nein, Ryans Sorge galt dem Mädchen selbst. Er wollte nicht, dass ihr in dieser zwielichtigen Gegend etwas zustieß. Schließlich sah man ihr an, dass sie aus gutem – und vor allem begütertem – Hause kam, und damit war sie für jeden Straßenräuber ein verlockendes Opfer.
Zugegeben, Coronado mit seinen breiten, von Palmen gesäumten Avenues war nicht so gefährlich wie manche Viertel von Los Angeles, aber Ryan wollte nichts riskieren – nicht, wenn es um Kate ging. Also stand er schon um halb sieben vor der Tür des Hauses, in dem er wohnte, und wartete auf sie, damit sie erst gar nicht aussteigen musste.
Dass Ryan richtig handelte, schienen die drei Gestalten zu beweisen, die an der nächsten Hausecke herumstanden, laute Musik aus einem Gettoblaster hörten und hin und wieder affige Verrenkungen machten.
Es waren junge Afroamerikaner. Sie trugen zu weite Sporthosen, Trainingsjacken und Baseballkappen, die mit dem Schirm nach hinten auf ihren Köpfen saßen. Von solchen Strolchen konnte nichts Gutes kommen. Ryan erkannte zwei von ihnen; sie wohnten im selben Haus wie er.
Es war angenehm warm um diese Abendstunde. Das laue Lüftchen, das vom Pazifik her wehte und die Palmen leise rascheln ließ, war ein Segen nach der Gluthitze des Tages. Deshalb war nichts Verdächtiges daran, dass sich die drei Typen an einem Abend wie diesem im Freien aufhielten und die angenehme Abkühlung genossen. Trotzdem waren sie Ryan suspekt.
Um Punkt sieben erschien Kate. Wie Ryan befürchtet hatte, fuhr sie in ihrem Porsche vor und fiel damit auf wie ein Habicht auf der Hühnerstange. Sie trug ein schickes, zweifellos sehr teures Kleid, das ihre schlanke Figur betonte.
Ryan hatte es geahnt – sofort setzten die drei Schwarzen sich in Bewegung und steuerten auf Kate zu. Er machte sich auf eine Menge Ärger gefasst.
Dann aber geschah etwas Unerwartetes.
Kate strahlte übers ganze Gesicht. Und sie strahlte nicht ihn an, Ryan, sondern die drei Afroamerikaner. »Leroy«, rief sie fröhlich. »T., William – wie geht es euch?«
Die schwarzen Jungs gaben ihr die Hand wie perfekte Gentlemen. »Sehr gut«, antwortete der, den Kate einfach nur T. genannt hatte. »Was führt Sie hierher, Miss Kensington?«
»Dads neuer Mieter.« Sie wies auf Ryan. »Ryan Nash. Ich bin mit ihm verabredet.«
»O-ha!«, rief Leroy und reichte Ryan die Hand. »Ryan, ja? Sie sind der Neue! Tja, Mann, dann sind wir Nachbarn. Ich wohn mit meiner Mutter im Apartment gleich gegenüber.«
»Und ich wohne unter Ihnen«, meldete T. sich zu Wort.
»Und ich bin der Gekniffene«, sagte William. »Ich hab nämlich keinen so netten Vermieter wie Mr. Kensington mit einer so hübschen Tochter wie Kate.« Er zwinkerte ihr zu.
»Wenn Sie mal Probleme mit Ihrem Wagen haben, dann fragen Sie T.«, sagte Kate. »Er ist der beste Mechaniker weit und breit.«
»Ich habe leider keinen Wagen«, murmelte Ryan verlegen.
»Sehen Sie’s von der positiven Seite«, sagte T. »Dann kann auch nichts kaputtgehen, und Sie sparen ’ne Menge Kohle.«
Sie lachten.
Wie sich herausstellte, waren die drei Schwarzen prima Kerle. Ryan hätte sich wegen seiner Vorurteile am liebsten in den Hintern getreten. Er, der einstige Obdachlose, der unter Brücken gepennt hatte, beurteilte Menschen nach der Hautfarbe!
Er sollte sich schämen.
Kate erwies sich als ausgezeichnete Fahrerin. An dem Unfall vor ein paar Monaten traf sie nicht die geringste Schuld.
Sie fuhr mit dem Porsche bei einer Nobeldiskothek vor. Ein livrierter junger Mann öffnete ihr die Tür. Sie wollte ihm schon die Autoschlüssel reichen, damit er den Wagen einparkte, als Ryan sagte: »Hören Sie, Miss Kensington …«
»Kate«, verbesserte sie ihn.
»Sie wollen doch nicht in diesen Schuppen?«, fragte er und fürchtete sich vor der Antwort.
»Wieso nicht? Es ist die angesagteste Disco weit und breit. Wird Ihnen gefallen.«
»Äh … Kate, jemand wie ich kommt da nicht rein.« Er hatte sich seine besten – weil einzigen – Jeans angezogen und sein Hemd extra beim Chinesen um die Ecke für drei Dollar waschen und bügeln lassen.
Er wies mit einem Kopfnicken auf die jungen Männer, die die Diskothek betraten, zumeist mit einer attraktiven weiblichen Begleitung am Arm. Fast alle trugen teuere Designer-Anzüge.
»Stellen Sie sich nicht so an«, sagte Kate und gab ihrem Schlüssel dem Carboy. »Ich kenne den Türsteher. Man wird uns schon reinlassen.«
Doch bevor sie vom Türsteher gemustert wurden, mussten sie sich in eine kurze Warteschlange stellen. Bestimmt hätte jemand wie Kate auch schnurstracks daran vorbeigehen können, aber sie wollte keine Extrawurst.
Der Kerl vor ihnen drehte sich um, grinste Ryan blöde an und sagte zu dem blonden Girl mit den aufgespritzten Lippen, dem er lässig und besitzergreifend zugleich den Arm um die Schultern gelegt hatte: »Schau dir den Knilch an.« Und zu Ryan: »Das ist aber ein geiler Anzug, Mann. Sonderangebot im Ramschladen, was?«
Ryan musterte sich den feinen Pinkel. »Und deiner erst. Die Fummel werden in Südostasien geschneidert. Von Kindern, die für ein paar Cents achtzehn Stunden am Tag schuften müssen.« Der Kerl glotzte ihn verständnislos an. »Wusstest du das nicht? Hast du noch nie von Kinderarbeit gehört? Hat Daddy dir bis jetzt den Arsch abgewischt?«
Der Typ drohte handgreiflich zu werden, und Ryan war nicht abgeneigt. Er wusste, dass er mit dem anderen spielend leicht fertig geworden wäre, und der Schnösel hatte eine Abreibung verdient. Aber Kate ging resolut dazwischen. »Ihr Jungs führt euch auf wie Kinder«, rief sie, »egal wie alt ihr werdet!« Sie hakte sich bei Ryan unter und zog ihn aus der Schlange. »Okay, Sie haben gewonnen. Gehen wir woanders hin.«
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte Sie nicht blamieren.«
»Und ich Sie auch nicht«, erwiderte sie. »Außerdem hatten Sie recht. So ein Laffe!« Sie winkte dem Carboy und fragte interessiert: »Wo gehen wir hin?«
»Machen Sie einen Vorschlag.«
»Hab ich schon. Allerdings war das offenbar nicht in Ihrem Sinne.«
»Aber ich kenne mich in der Stadt nicht aus …«
»Umso besser.« Kate lächelte ihn an. »Dann lassen Sie sich überraschen!«
Die Freien hatten den Dreadnought zurückgelassen, denn sie mussten den Weg durch die schmaleren Gänge der Unterwasserfabrik nehmen, in denen nicht die Gefahr bestand, auf Wächter und Cyborgs zu treffen, und der Dreadnought wäre dabei nur hinderlich gewesen. Außerdem wussten die Freien, wo sich Überwachungskameras befanden und wie man sie geschickt umging.
Ryan ging neben seinem chinesischen Namensvetter. Er und die anderen sicherten jeden Gang, bevor sie ihn betraten.
Schließlich wollte Ryan wissen: »Wenn ihr alle die gleichen Namen tragt, wie unterscheidet ihr euch dann voneinander?«
Der China-Ryan warf ihm ein schmales Lächeln zu. »Ryan ist nicht mein vollständiger Name, Herr. Ich heiße Ryan-Li. Der erste Teil meines Namens ehrt den Stammvater – Euch. Der zweite Teil bezieht sich auf eine Charakterstärke, die man bei mir erkannt hat.«
»Li heißt so viel wie Kraft oder Stärke«, ließ Ai Rogers sich hinter ihnen vernehmen.
Ryan antwortete nicht. Er tat so, als würde sie nicht existieren. Schließlich war diese Frau eine Verräterin. Und sie hatte nicht nur ihn verraten, sondern die gesamte westliche Welt und ihre Werte, die Ryan stets verteidigt hatte.
Es behagte ihm gar nicht, dass diese rotchinesische Spionin und Nubroski, den sie von früher her kannte und »Kommandant« nannte, bewaffnet waren. Aber zurzeit waren die Wächter die gefährlicheren Gegner.
Trotzdem musste Ryan höllisch aufpassen, dass er keine Kugel in den Rücken bekam.
»Dann werde ich dich Li nennen«, bot Ryan an.
»Wenn Ihr wünscht, Herr.«
»Lass die Förmlichkeiten, sag Ryan zu mir«, erwiderte der Ex-Navy-SEAL. »Erklär mir lieber, wie das mit den Stammeltern ist, mit Ai und mir.«
»Ihr habt unser Volk gegründet, Ryan. Vor Urzeiten. Ihr gabt uns die Fähigkeit, unter Wasser zu atmen und uns vor den Wächtern unsichtbar zu machen, und ihr habt uns die Kraft verliehen, Dinge durch reine Willenskraft zu bewegen. Ohne euch wären auch wir Sklaven des Friedensstifters. So aber sind wir die Freien.«
»Aber wie können wir dein Volk vor Urzeiten gegründet haben und jetzt hier sein?«
»Ihr seid zurückgekehrt«, antwortete Ryan-Li. »Ihr kehrt ständig zurück.«
»Was meinst du damit, wir kehren ständig zurück?«, fragte Ryan verwirrt.
»Euer Schiff«, sagte Li. »Immer wieder taucht es an derselben Stelle auf. Dann kommen die Wächter und töten euch.«
»Was?«, rief Ryan entsetzt.
»Aber diesmal hat der Konstrukteur uns geholfen. Er verschaffte uns die Möglichkeit, die Ankunft eures Schiffes zu verfolgen und die Wächter mit falschen Funkbotschaften in die Irre zu führen. Die Drohnen führten euch ab, und ihr konntet euch befreien.«
»Warum habt ihr uns nicht befreit?«, wunderte sich Ryan.
»Der Angriff schlug fehl, und …« Abrupt verstummte er und gebot Ryan mit einem Handzeichen, ebenfalls zu schweigen.
Dann hörte es auch Ryan. Das Stampfen von Wächtern, die sich näherten.
Ryan fluchte lautlos in sich hinein.
Sie mussten sich zurückziehen und einen anderen Weg suchen.
Es wurde ein herrlicher Abend.
Sie verbrachten drei wunderbare Stunden in einem Diner an der Palm Avenue, das Ryan an Edward Hoppers berühmtes Gemälde »Nighthawks« erinnerte, auch wenn auf dem Bild die kalifornischen Palmen fehlten und das Licht in diesem Restaurant weniger grell und kalt war.
Sie redeten über dies und das und lachten viel. Schließlich sagte Kate: »Vater hat einiges über meinen Lebensretter in Erfahrung gebracht. Er wollte nicht für einen Staatsfeind und Terroristen die Kaution hinterlegen. Offenbar kommst du aus gutem Hause …«
»So gut war es nun auch wieder nicht«, schränkte Ryan ein.
»Willst du darüber reden?«, fragte sie mitfühlend.
Ryan schüttelte den Kopf, sagte aber zugleich: »Ich konnte es meinem Vater nie recht machen. Also habe ich es irgendwann nicht mehr versucht, sondern das genaue Gegenteil getan, um ihn zu provozieren. Erst habe ich den braven Sohn gespielt, dann den wilden Rebellen. Weder das eine noch das andere war wirklich ich selbst.« Ryan verstummte, denn sein Inneres verkrampfte sich. Sein Freund Tom hatte ihm genau diese Wahrheit gesagt, kurz vor seinem Tod. Bevor er gestorben war, weil er Ryan, seinen Freund, hatte retten wollen …
»Und schließlich hattest du die Nase voll und bist abgehauen«, sagte Kate.
»Nein, mein Vater hat mich rausgeworfen.«
»Weshalb?«
Doch Ryan war noch nicht bereit, darüber zu reden, und schwieg.
Kate griff nach seiner Hand, drückte sie und sagte leise: »Schon okay. Wenn du darüber reden willst, sag es mir …«
Schließlich fuhr sie ihn wieder nach Hause. Sie wollte aussteigen, aber er sagte: »Lieber nicht.«
Kate grinste. »Hast du nicht aufgeräumt?«
Ryan verstand nicht. »Was? Warum?«
»Schon gut. Es war ein schöner Abend«, sagte sie. »Das sollten wir wiederholen.«
Ryan fasste einen spontanen Entschluss. Er hatte es nicht vorgehabt, hatte es sich sogar untersagt, doch nun setzte er sich über seine eigenen Regeln hinweg, auch wenn er befürchten musste, alles zu ruinieren.
Er beugte sich zu Kate vor. Als sie nicht zurückwich, sondern ihn stattdessen erwartungsvoll ansah, küsste er sie – nicht wild und leidenschaftlich, sondern zärtlich und vorsichtig, als wäre sie etwas Zerbrechliches oder ein scheues Reh, das er nicht erschrecken wollte.
Sie gab sich seinem Kuss hin, legte sogar die Hand in seinen Nacken, als er sich von ihr lösen wollte, hielt ihn fest und küsste ihn weiter.
Ryan wünschte sich, es würde nie enden. Kate ging es offenbar genauso.
Als sie sich schließlich voneinander lösten, keuchte er: »Übrigens, ich habe aufgeräumt, aber …«
»Nicht beim ersten Date«, bat sie.
Er nickte verstehend und brachte seinen Satz zu Ende: »… aber du solltest einen Porsche nicht in dieser Gegend abstellen.«
Sie lachte leise, zwinkerte ihm zu und sagte: »Vielleicht komme ich beim nächsten Mal mit dem Bus.«
»Keine schlechte Idee.« Er lächelte sie an, stieg aus und ging zur Haustür. Dort wartete er, bis die Rücklichter ihres Sportwagens in der lauen kalifornischen Nacht verglühten.
Ryan spürte etwas in sich, was er seit Langem nicht mehr empfunden hatte. So lange nicht mehr, dass er anfangs Schwierigkeiten hatte, die Empfindung zu benennen.
Dann wurde ihm klar, was es war.
Er war glücklich.
Am nächsten Tag traf Ryan eine Entscheidung.
Seit dem Morgen hatte er darüber nachgedacht. Am Abend griff er dann zum Telefon und wählte die Nummer seiner Eltern.
Jameson, der Majordomus, nahm ab. Ryan erinnerte sich noch genau daran, wie sein Vater ihn damals aus dem Haus geprügelt und Jameson ihn anschließend zur Tür geführt hatte. »Ich komme nie wieder«, hatte Ryan mit rissigen, blutenden Lippen gemurmelt, worauf Jameson ungerührt erwidert hatte: »Das wäre auch besser so.«
»Ryan Nash hier«, sagte er nun. »Ist mein Vater zu sprechen?«
»Nicht für Sie, Sir«, sagte Jameson ohne eine Spur von Erstaunen, Ryans Stimme zu hören.
»Geben Sie ihn mir, Jameson.«
»Ihr Vater hat mir strikte Anweisung erteilt, Sir, dass ich Sie nicht …«
Auf einmal war William Nash im Hintergrund zu hören. »Ist es Ryan? Geben Sie her!« Dann war seine Stimme laut und deutlich zu vernehmen, als er sagte: »Ich habe schon eher mit deinem Anruf gerechnet.«
»Ich war bisher der Meinung, du wolltest nichts von mir hören«, erwiderte Ryan vorsichtig.
»Da liegst du richtig«, sagte sein Vater hart.
Ryan war sprachlos.
»Bist du noch dran?«, fragte sein Vater. »Ist sonst noch etwas?«
»Hast du …«, setzte Ryan an, musste sich dann aber erst die Kehle freiräuspern. »Hast du das in den Zeitungen über mich gelesen?«
»Glaubst du, ein Menschenleben macht das andere wieder wett?«, antwortete William Nash mit einer Gegenfrage. »Glaubst du, du könntest ungeschehen machen, was du getan hast?«
»Aber ich …«, stammelte Ryan. Er konnte kaum glauben, was sein Vater gesagt hatte. »Ich dachte, du wärst stolz auch mich.«
»Lässt du dich deshalb in allen Medien als Held feiern?«, hielt William Nash dagegen. »Was, glaubst du, würden die Zeitungen schreiben, wenn sie wüssten, wer du wirklich bist?« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ruf nie wieder an. Und lass dich nie mehr hier blicken.«
Damit legte er auf.
Kate Kensington starrte Ryan aus großen Augen an. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich blankes Entsetzen. »Du hast was?«
Draußen war es kalt geworden, und das Licht drang nur gedämpft durch die Wolkenschicht, die den Himmel überzog. Der wunderbare Sommer war dem Herbst gewichen, und der Winter stand vor der Tür.
Seit sieben Monaten waren sie jetzt zusammen, doch Ryan kam es wie ein halbes Leben vor. Sieben Monate, die er aus vollem Herzen genossen hatte. Er liebte Kate. Von seinem Freund Tom abgesehen, für dessen Tod er verantwortlich war, war sie der einzige Mensch auf Erden, der ihm je etwas bedeutet hatte.
Ihm war bewusst geworden, dass er nie zuvor jemanden geliebt hatte. Und mehr noch – dass er nie geliebt worden war. Er hatte vergebens um die Liebe seiner Eltern gekämpft, und die Sache mit Lindsay, die eine Ewigkeit her zu sein schien, war bloß ein herz- und harmloses Gefummel und Geknutsche gewesen. Abgesehen von der Freundschaft zu Tom hatte Ryan nie eine emotionale Bindung zu einem anderen Menschen aufbauen können.
Bis Kate in sein Leben getreten war.
Sie hatte alles verändert.
Sie hatte ihn verändert.
Und jetzt starrte sie ihn an, als würde sie die Welt nicht mehr verstehen.
»Ja, ich habe mich verpflichtet«, sagte Ryan. »Bei der U.S. Navy.«
»Aber …« Sie verstummte. Ihr fehlten die Worte.
Sie saßen in einem exklusiven Restaurant, das Ryan sich von seinem Parkwächter-Gehalt niemals hätte leisten können, aber Kate übernahm die Rechnung. Ryan trug einen teuren Anzug – auch den hatte Kate bezahlt.
»Ich will etwas Sinnvolles aus meinem Leben machen, Kate«, sagte er. »Das musst du verstehen.«
»Das hat mein Vater dir eingeredet, nicht wahr?«, hielt sie ihm vor.
Ja, auch Ken Kensington hatte zu seiner Entscheidung mit beigetragen. Er hatte ihm ins Gewissen geredet, denn ihm war nicht verborgen geblieben, dass sich zwischen seinem Schützling und seiner Tochter etwas entwickelte, das mehr war als nur eine flüchtige Beziehung. »Du hast alle Möglichkeiten. Du musst dich nur entscheiden, was du aus deinem Leben machen willst.«
Aber im Grunde hatte Kates Vater nur wiederholt, was der Sergeant der Navy SEALs damals zu dem Herumtreiber Ryan Nash gesagt hatte, in jener Nacht, bevor er Kate Kensington das Leben gerettet hatte: »Ich habe Menschen getötet. Aber darum mache ich diesen Job nicht. Ich mache ihn, um Menschen zu retten.« Und dann hatte er hinzugefügt: »Es geht nicht um das, was man getan hat, Sprücheklopfer. Auch nicht darum, wer man ist oder was man ist. Es kommt darauf an, was man daraus macht. Am besten etwas Sinnvolles. Jeder hat es selbst in der Hand.«
Ryan hatte sich diese Worte zu Herzen genommen. Und an jenem Abend, im Kreis dieser harten Männer, dieser Elitesoldaten, die sich regelmäßig in Jos Spelunke trafen, hatte Ryan sich zum ersten Mal unter Freunden gefühlt, hatte das Gefühl gehabt, sicher zu sein, das Gefühl, sich auf die Leute, die um ihn herum waren, verlassen zu können. Sie würden ihr Leben geben, um das seine zu retten, das wusste er.
Der schwarze Sarge und seine Männer hatten ungeheuren Eindruck auf Ryan hinterlassen.
Vielleicht, so redete er sich ein, würde er eines Tages selbst ein SEAL sein.
Immerhin war da seine Gabe, die er lange Zeit für einen Fluch gehalten hatte …
»Wie konnte Daddy so etwas tun?«, rief Kate, weil Ryan nicht antwortete. »Wie konnte er dich dazu zwingen!«
»Hey, Moment mal!« Ryan hob beschwichtigend die Hand. »Niemand hat mich zu irgendwas gezwungen. Es war meine freie Entscheidung.«
»Vater hat mit dir gesprochen«, sagte Kate überzeugt.
»Ja, das stimmt«, gab Ryan zu. »Aber er hat mir nur die Augen für ein paar Wahrheiten geöffnet, vor denen ich immer den Blick abgewandt habe.«
Tränen füllten ihre Augen. Mit heiserer Stimme flüsterte sie: »Du bist der Mann meiner Träume. Ich hätte dich geheiratet, Ryan.«
»Mich? Den Parkwächter auf dem Firmengrundstück deines Vaters?« Er schüttelte den Kopf. »Ich wäre nicht gut genug für dich.«
»Doch, wärst du. Ich wäre glücklich gewesen.«
»Aber du hast mehr verdient, Kate.«
»Du bist der Mann meiner Träume«, wiederholte sie unter Tränen.
»Wirklich? Du musst den Mann deiner Träume zum Essen einladen«, hielt er dagegen. »Du musst ihm Anzüge kaufen, damit er sich überhaupt in deine Welt wagen kann.«
»Bitte, Ryan«, flehte sie, während ihr die Tränen über die Wangen kullerten, »lass nicht zu, dass das Geld meiner Familie zwischen uns steht.«
Er ergriff ihre Hand. »Kate, ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, wie ich noch nie einen Menschen geliebt habe, mehr als mein Leben. Aber damit sich diese Liebe für uns beide lohnt, damit sie Bestand haben kann, muss ich endlich anfangen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Nur dann kann ich der Mann sein, der ich bin. Und wenn du diesen Mann dann noch liebst …«
Sie fiel ihm ins Wort, indem sie beteuerte: »Aber ich weiß, wer du bist, Ryan, und ich liebe jede Faser davon! Ich liebe dich in zerrissenen Jeans und in Lumpen, ich liebe dich in der Uniform eines Parkwächters, und ich werde dich auch in der Uniform der U.S. Navy lieben, wenn es sein muss.«
»Dann …« Er wagte die Frage nicht auszusprechen. »Dann ist nicht Schluss zwischen uns?«
Kate riss die Augen auf, als glaubte sie, sich verhört zu haben. Dann schüttelte sie vehement den Kopf. »Nein. Es ist nicht Schluss zwischen uns.« Auch ihre andere Hand berührte die seine, und sie drückte seine Finger mit beiden Händen. »Nur eins musst du mir versprechen.«
Neugierig sah er sie an. »Ja?«
»Dieses Klischee vom Seemann, der in jedem Hafen eine Braut hat …«
Er lachte. »Ich habe nur eine einzige Braut!«
Sie musterte ihn. »Und wie ernst ist dir dieser Begriff in diesem Zusammenhang?«
Er antwortete ehrlich: »Sehr, sehr ernst, Kate. Aber noch kann ich dich nicht fragen. Erst will ich endlich mein Leben ordnen und auf die Reihe bringen. Aber wenn ich das geschafft habe, und der Mann, den du dann siehst, gefällt dir immer noch, werde ich um deine Hand anhalten.«
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Ich werde immer zu dir stehen, Ryan, egal was du tust.«
Vorsichtig rückten sie weiter voran. Inzwischen befanden sie sich wieder in aufgegebenen Bereichen der Station. Hier brannte kaum noch Licht. Die meisten Leuchten in den Wänden oder an der Decke waren defekt. Nur hier und da flackerte eine Leuchtstoffröhre und erhellte die unmittelbare Umgebung mit einem stroboskopischen Flimmern, wie in einem alten Kinofilm.
Ryan hätte gerne mehr von Ryan-Li erfahren, vor allem etwas über den »Konstrukteur«, den dieser erwähnt hatte. Doch zum Reden war jetzt keine Zeit. Die Situation war zu angespannt. Später vielleicht – hoffentlich.
Li ließ immer wieder zwei seiner Leute zurück, die hinter Ecken, in Nischen oder hinter verrostenden Maschinenteilen in Stellung gingen und ihre Flucht decken sollten.
Als Ryan nach dem Grund fragte, antwortete Li: »Die Wächter sind uns auf den Fersen. Sie verfolgen uns. Meine Leute werden sie aufhalten.«
»Aber haben sie denn eine Chance?«, fragte Maria, die mittlerweile mit ihnen an der Spitze des Trupps ging. Ryan hatte den Eindruck, als würde sie seine Nähe suchen, ignorierte sie jedoch. Sie hatte ihn belogen und betrogen. Doch er begehrte und liebte sie noch immer.
»Nein, nicht die geringste«, antwortete Li auf Marias Frage.
»Aber sie könnten sich unsichtbar machen und entkommen«, warf Ryan ein.
»Nicht, wenn Wächter mit verstärkten visuellen Ortungssystemen dabei sind«, erklärte Li. »Die lassen sich nicht täuschen.«
»Dann werden sie sterben?«, fragte Maria bedrückt.
»Es ist ihnen Ehre und Auszeichnung, für Ryan und Ai, die Stammeltern unseres Volkes, ihr Leben zu lassen.«
»Aber das ist grausam!«, stieß Maria hervor.
Ryan musste daran denken, wie oft er bereit gewesen war, sein Leben für sein Land zu geben.
»Es ist die größte Ehre, die ein Freier erlangen kann«, entgegnete Li.
Im nächsten Moment hörten sie weit entfernt das Zischen von Laserwaffen und das dumpfe Wummern eines Ultraschallgewehrs.
Maria wirkte erschrocken. Ryan sah es ihr an, als er ihr einen kurzen Blick zuwarf. Ihr Entsetzen war nicht gespielt.
Fall nicht auf sie herein, ermahnte Ryan sich. Denk an ihre Fähigkeiten, an ihre Gabe. Sie spürt deine Gefühle und kann sie beeinflussen.
Dann kam ihm ein Gedanke, der ihn mit unglaublicher Wut erfüllte. Wahrscheinlich hatte Maria ihn mit ihrer Gabe manipuliert. Wahrscheinlich hatte er sich deswegen mit ihr eingelassen. Sonst hätte er Kate, seine Ehefrau, niemals betrogen. Maria, die Hexe, hatte ihn in ihren Bann geschlagen!
Auf einmal blickte Maria ihn an. Offenbar spürte sie seinen Zorn. Als wollte sie von sich ablenken, fragte sie Li: »Als wir das erste Mal Kontakt mit euch Freien aufgenommen haben, habt ihr Proctor einen Verräter genannt. Warum seid ihr dann mit ihm zurückgekommen?«
»Woher kennt ihr ihn überhaupt?«, fügte Ryan hinzu.
»So wie jeder Ryan und Ai kennt, kennt auch jeder den Namen Gabriel Proctor«, antwortete Li, und seine Miene wurde hart. »Der Verräter, der die heldenhaften Gefährten Ryans und Ais in den Tod führte. Der das dies alles hier verschuldet hat. Ohne den die Wächter und all das Grauen auf der Welt nicht existieren würden.«
Maria und Ryan tauschten einen überraschten Blick. Was hatte Proctor, dieses Monstrum, getan?
Li fuhr fort: »Er fand unseren Stützpunkt mit einem Peilgerät, obwohl es verschlüsselt war. Er hat den Code geknackt und tauchte bei uns auf. Als wir ihn sahen, wollten wir ihn vernichten, aber er versicherte uns, dass Ihr, Ryan, und die edle Ai noch lebt und dass er unsere Hilfe braucht, um euch zu retten. Meine Leute und ich gingen das Risiko ein. Wir durften die edlen Stammeltern nicht ihrem Schicksal überlassen. Und Proctor hat tatsächlich nicht gelogen, was mich immer noch erstaunt. Es muss ein anderer Gabriel Proctor sein als der aus den Legenden.«
»Er hat sich für uns eingesetzt, um uns zu retten«, sagte Maria zu Ryan.
»Weil er etwas von uns will«, sagte Ryan. »Von dir. Den Schlüssel. Dein Kind.«
»Was ist daran so wichtig?«, fragte sie ängstlich.
»Es ist sein Kind, sagt er«, antwortete Ryan. »Und damit meint er offensichtlich Kasanov.« Mit harter Stimme setzte er hinzu: »Du hast mit Kasanov geschlafen. Du hast mich mit ihm betrogen, so wie ich meine Frau mit dir betrogen habe. War es das wert, Maria?«
Auf einmal schimmerten Tränen in ihren Augen. »Ich kann mich nicht daran erinnern, Ryan. Ich erinnere mich weder an Kasanov noch daran, mit dir eine Affäre gehabt zu haben.«
»Aber du wolltest mir weismachen, das Kind wäre von mir«, hielt er ihr vor.
Sie schwieg, ließ den Kopf hängen.
Ryan empfand Mitleid für sie.
Nur dass sie dieses Mitleid wahrscheinlich mit ihren Fähigkeiten in ihm erweckte …
Verdammte Hexe!
Sein Mitleid wandelte sich erneut in lodernde Wut. Als Maria es spürte, sah er die Angst in ihren Augen.
Sie rückte von ihm ab und ließ sich in der Gruppe zurückfallen.
Schon während der Grundausbildung überzeugte Ryan Nash seine Vorgesetzten durch seine Zähigkeit und seine überragende Intelligenz. Aber es gab noch mehr Fähigkeiten, die der junge Bursche mitbrachte – unter anderem sein Talent, sich wie ein Fisch im Wasser bewegen und sehr lange tauchen zu können.
Länger als irgendjemand sonst in seiner Einheit.
Was niemand wusste: Ryan konnte unter Wasser atmen. Das war seine ganz persönliche Gabe. Woher sie kam, wusste er nicht, und er hatte sie auch eher durch Zufall entdeckt. Und er hielt sie auch weitgehend geheim; denn niemand sollte von seiner besonderen Befähigung erfahren, die so lange ein Fluch für ihn gewesen war und sich dann, als er Kate Kensington rettete, als Segen erwiesen hatte.
Deshalb achtete Ryan darauf, es nicht zu übertreiben, wenn er diese Fähigkeit einsetzte, und nicht jeden Tauchrekord zu brechen, Ryan hatte Angst, dass man ihn als »Freak« betrachtete, wie man ihn auf der Schule immer genannt hatte. Doch er wollte kein Freak sein, sondern als Mensch akzeptiert werden – nicht aufgrund einer angeborenen Begabung, nicht aufgrund seiner Herkunft, sondern wegen dem, was den Menschen Ryan Nash ausmachte.
Dennoch hatten seine Vorgesetzten in ihm gleich den »Helden von Coronado« erkannt, und seine außergewöhnlichen Leistungen, die er gerade dann zeigte, wenn es um Einsätze unter Wasser ging, begeisterten sie.
Hinzu kam, dass Ryan sehr gut mit den anderen auskam. Er zeichnete sich durch ein hohes Maß an Kameradschaft aus und gewann schnell Freunde, obwohl es am Anfang so ausgesehen hatte, als wäre er Einzelgänger und würde es bleiben. Doch seine Teamfähigkeit machte ihn bei seinen Kameraden beliebt. Mehr noch: Sie vertrauten ihm voll und ganz.
Ryan war der geborene Anführer. Und obwohl er die Schule vorzeitig abgebrochen hatte, gab es Möglichkeiten, über Umwege eine Offizierslaufbahn einzuschlagen.
Doch seine Vorgesetzten hatten noch mehr mit ihm vor. Als der Kommandant seiner Basis ihn zu sich rief, zeigte sich, dass Ryans Wunschziel weit näher gerückt war, als er zu träumen gewagt hatte.
»Ist Ihnen der Begriff U.S. Navy SEALs ein Begriff, Seaman Nash?«, fragte Captain Harrington.
»Aye, Sir«, bestätigte Ryan, der vor dem Schreibtisch des Offiziers strammstand.
»Stehen Sie bequem, Seaman«, befahl Harrington. »Was halten Sie von den SEALs? Verraten Sie es mir.«
»Ich bewundere diese Männer, Sir«, antwortete Ryan ehrlich.
Ein Lächeln huschte über Harringtons Gesicht. »Wissen Sie, Nash, einen Mann wie Sie verliere ich sehr ungern. Ich würde Sie lieber auf meiner Basis behalten. Aber einer wie Sie gehört zur Elite. Wenn Sie irgendwann den Versuch wagen wollen, dieser Elite beizutreten, würde ich Sie voll und ganz unterstützen. Natürlich ist die Bewerbung freiwillig.«
»Ich würde es sehr gerne bei den SEALs versuchen, Sir«, antwortete Ryan und musste ein freudiges Lächeln unterdrücken.
»Sie wissen, dass die Durchfallquote bei den Bewerbern bis zu achtzig Prozent beträgt?«
»Jawohl, Sir. Ich habe davon gehört, Sir.«
»Es würde Sie nicht enttäuschen, ebenfalls ausgemustert zu werden?«
»Ich hoffe, dass ich Sie dann nicht enttäuschen würde, Sir.«
Harrington grinste. »Oh, ich würde mich freuen, Sie dann zurückzuhaben, Seaman. Wie gesagt, es fällt mir schwer, einen wie Sie gehen zu lassen.« Er hielt Nash die Hand hin. »Alles Gute, mein Junge.«
Ryan schlug ein. »Danke, Sir.«
Ryan war ziemlich aufgeregt, als er zusammen mit seinen Kameraden von Bord ging und die Fregatte über die Gangway verließ. Er trug die Uniform des U.S. Navy, den Seesack hatte er geschultert. Zwei Tage Landgang hatte er, dann musste er zur NAB, der Naval Amphibious Base, die ebenfalls auf Coronado lag. Die NAB war eines der zwei Hauptquartiere der SEALs, wo man ihn zum Elite-Kampfschwimmer der US-Streitkräfte ausbilden würde.
Es würde ein Jahr in der Hölle werden, das war ihm klar. Seltsamerweise freute er sich trotzdem darauf.
Vielleicht war er doch ein Freak.
Obwohl er fest damit gerechnet hatte, schlug ihm das Herz bis zum Hals, als er Kate am Pier stehen sah. Sie war allein gekommen, ohne ihren Vater, was nur unnötiges Aufsehen erregt hätte, und winkte ihm aufgeregt zu.
Als Ryan die Gangway verlassen und sich aus dem Pulk der Kameraden gelöst hatte, rannte er auf sie zu, und beide fielen sich in die Arme.
Bevor Ryan etwas sagen konnte, spürte er Kates brennende Lippen auf seinem Mund. Sie küsste ihn verlangend und leidenschaftlich.
Natürlich hatte er sie in den letzten Monaten immer wieder mal besucht und die Wochenenden und Feiertage bei ihr in Coronado verbracht, wenn dies irgendwie möglich gewesen war. Jedes Mal hatten sie sich voller Begierde geliebt, als wäre es das letzte Mal, und Kate hatte ihn nur schweren Herzens wieder gehen lassen.
Ryan wusste, dass es dieses Mal genauso werden würde.
Als er Stunden später im großen Wohnzimmer ihres Luxusapartments erschöpft neben der verschwitzten Kate lag, sagte sie: »Sei mir nicht böse, aber beinahe hoffe ich, dass du die SEAL-Ausbildung nicht bestehst.«
Er drehte sich zu ihr, blickte in ihr hübsches, gerötetes Gesicht und wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
Kate lächelte beruhigend, als sie seine Miene sah. »Ich sagte ›beinahe‹. Ich weiß, wie viel dir die Sache bedeutet.« Ihr Gesicht verdüsterte sich wieder. »Nur weiß ich leider auch, dass die Navy SEALs in die gefährlichsten Krisengebiete der Welt geschickt werden, um dort zu kämpfen, wo andere die Flucht ergreifen. Und es gibt leider auch SEALs, die dabei ihr Leben verlieren.«
»Ich passe auf mich auf, Kate«, versprach er ihr. »Ich will noch viele Jahre zusammen mit dir verbringen.«
»Egal, ob du in der Ausbildung scheiterst oder sie erfolgreich bestehst«, erwiderte sie, »du musst mich heiraten, Ryan. Versprich es mir.«
Er sah sie an, wie sie nackt neben ihm lag, eine Augenweide, die pure Verlockung. »Ich verspreche es dir, Kate«, sagte er.
»Schwöre es.«
»Ich schwör ’s.«
»Bei allem, was dir wichtig ist.«
»Nur du bist wichtig.«
»Dann beweise es mir …«
»Aye, das werde ich.«
Und das tat er, indem er sie küsste und sie noch einmal zum Gipfel der Leidenschaft führte.
Ryan und die anderen erreichten eine größere Halle, die im Dunkeln lag. Schwarzes Wasser blinkte ihnen aus einem aufgelassenen Hafenbecken entgegen. Ein mittelgroßes U-Boot lag an einem Kai. In dem Hafen gab es kein Licht mehr. Die Besatzung des U-Boots – drei Mann – leuchtete ihnen mit schweren Handlampen entgegen.
Bis auf Li befanden sich nur noch zwei Freie beim SURVIVOR-Team. Außerdem war Nubroski dabei, der immer wieder versucht hatte, Proctor in ein Gespräch zu verwickeln, wobei er ihn mit »Kasanov« ansprach. Doch bisher hatte Proctor nicht auf seine Fragen reagiert.
Nun trat Proctor vor und wandte sich an Li. Ryan, der einen Angriff befürchtete, stellte sich ihr in den Weg, aber Proctor fragte den Asiaten lediglich: »Wo bringst du uns hin?«
»Zunächst einmal zu dem Stützpunkt, wo Sie uns aufgesucht haben.«
Das Mensch-Maschinen-Wesen schüttelte seinen halb zerfetzten Kopf. »Wir müssen an die Oberfläche.«
»Warum?«, fragte Ryan hart.
»Ich muss wissen, was vorgefallen ist, dass die Welt sich derart verändert hat …«
»Du bist so programmiert, dass du immer noch für Kasanov Informationen sammelst, ja?«, spottete Ryan.
»Nein. Ich bin Peter Kasanov. Nicht nur sein Wissen wurde auf mich übertragen, sondern seine gesamte Persönlichkeit. Außerdem …«
»Du beschissener Blechkasten!«, fiel Ryan ihm zornig ins Wort. »Kasanov war ein großer Mann mit einem großen Herzen und hehren Zielen.« Er sagte diese Worte, obwohl er sich mittlerweile gar nicht mehr so sicher war, ob sie der Wahrheit entsprachen. Verzweiflung und Ratlosigkeit erfassten ihn. »Du willst dich mit Kasanov vergleichen? Du hast ja keine Ahnung, wer dieser Mann gewesen ist, du wandelnder Schrotthaufen!«
»… außerdem«, fuhr der Roboter unbeirrt fort, »benötige ich Technik, Gerätschaften, Messinstrumente und ein Labor, wenn ich uns in das Jahr 2012 zurückbringen soll. Das alles bekomme ich in dieser Fabrik nicht. Ich habe mich seit unserer Ankunft umgesehen und ausreichend Informationen gespeichert, um das mit Sicherheit sagen zu können.«
»Und das bedeutet?«, fragte Ryan argwöhnisch.
»Das sagte ich bereits. Wir müssen zur Oberfläche.«
»Ich habe meine Befehle«, erklärte Li. »Ich soll die Stammeltern zunächst zum Stützpunkt bringen, wo sie sicher sind.«
Ryan zuckte mit den Schultern. »Tja, da kann man nichts machen. Du hast es gehört, Blechkasten. Tut mir leid, aber Befehl ist Befehl.«
Er war sich nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung war. Aber es gefiel ihm, dass der verfluchte Roboter nicht mehr das Sagen hatte – und dass ihm dies auch klargemacht wurde, nachdem er sie alle so lange an der Nase herumgeführt hatte.
Außerdem hoffte Ryan, im Stützpunkt Antwort auf seine Fragen zu erhalten: wer die Freien waren, was sie mit Ai und ihm zu tun hatten und was es mit dem »Friedensstifter« und seinen Roboter-Zombies auf sich hatte. Wenn man den Feind besiegen wollte, musste man ihn kennen.
Da war auch immer noch die Sache mit dem »Konstrukteur«, von dem Ryan-Li geredet hatte. Vielleicht war jetzt die Gelegenheit, ihn zu fragen.
»Was ist …«, begann er.
Unvermittelt erklangen hinter ihnen aus dem Gang, aus dem sie gerade gekommen waren, die schweren Schritte von Wächtern und das Stampfen eines Dreadnought-Kampfroboters.
Ryan-Li rief seinen zwei Kameraden etwas auf Chinesisch zu. Sofort setzten sie sich in Richtung des Zugangsschotts in Bewegung. Als Li ihnen folgen wollte, hielt Ryan ihn am Arm fest. »Wo willst du hin?«
»Die Wächter aufhalten, um dem Boot die nötige Zeit zu verschaffen, abzulegen und unterzutauchen«, antwortete Li. »Sie haben einen Dreadnought bei sich. Ein Raketentreffer könnte das Boot versenken.«
»Aber dann wirst du sterben!«, stieß Ryan hervor.
Li hob den Blick. »Ja, ich werde sterben«, sagte er stolz.
»Das lasse ich nicht zu!«
Der Ausdruck in Lis Augen wandelte sich zu Entsetzen. »Bitte, Herr. Verweigert mir nicht die größte aller Ehren, für Euch mein Leben zu geben.«
»Aber …«
»Sie sind gleich hier, Herr!«
Ryan ließ ihn widerstrebend los.
Dann nahm er Haltung an und legte die flache Hand zum militärischen Gruß an die Stirn. »Danke, Soldat.«
Diese Worte fielen ihm schwer. Er hatte schon zu viele Männer auf diese Weise verabschiedet und in den Tod geschickt.
Der Asiat verbeugte sich tief. Dann lief er los, das Lasergewehr in den Händen, in Richtung des Zugangs, in dem bereits seine beiden Leute verschwunden waren.
Im nächsten Moment hörte man Schüsse, das Zischen von Laserbolzen, das Wummern von Ultraschallgewehren und das Hämmern eines Dreadnought-MGs.
Ryan und die anderen rannten auf das U-Boot und quetschten sich durch die Luke. Ryan ging als Letzter. Über die Schulter warf er noch einen letzten Blick zurück. Es war nichts zu sehen aus der Schwärze und Rauch, der vom Widerstein des Feuers der Laserwaffen erhellt wurde. Er ließ sich die Stiegleiter hinunterfallen. Einer der Matrosen schloss die Luke hinter ihm, und das U-Boot löste sich vom Kai und sank in die Tiefe.
Kaum waren sie unterhalb der Wasseroberfläche, als das Dröhnen der Schritte des Dreadnoughts den Kai erreichte. Der Raketenwerfer des Kampfroboters drehte sich surrend – und dann jagte eines der todbringenden Geschosse in die Tiefe.
Die Rakete durchschlug die Wasseroberfläche und explodierte.
Ryan und die anderen befanden sich im Passagierbereich im Heck des Bootes, unweit des Einstiegs, während sich die Mannschaft in den Kommandostand begeben hatte. Ryan wurde von der Wucht der Detonation von den Beinen gerissen und stürzte gegen Ai, die sich an einer Halteschlaufe festklammerte.
Ein paar Sekunden lang spürte Ryan die weichen weiblichen Rundungen ihres zierlichen Körpers, dann beeilte er sich, Abstand zwischen sich und die russische Spionin zu bringen.
Ai und ich haben das Volk der Freien begründet, ging es ihm durch den Kopf. Das bedeutet, diese Frau und ich, wir haben miteinander geschlafen …
Diese Vorstellung schickte ein Kribbeln durch seinen Körper, dann schob er den Gedanken von sich.
Doch als sein Blick auf Maria fiel, erkannte er, dass sie ihn durchschaut hatte. Kränkung und Spott lagen in ihren Augen, als sie sagte: »Das also ist die Treue der berühmten Navy SEALs?«
Ryan ließ sich nicht provozieren und schwieg. Er wusste, Maria spürte seine Gefühle – das war eine ihrer Gaben – und hätte nur bissige Genugtuung empfunden.
Unvermittelt meldete Proctor sich wieder zu Wort: »Nash, wir müssen an die Oberfläche. Hier unten bringen wir uns unnütz in Gefahr, und das …«
»Halt die Klappe!«, fuhr Ryan ihn an. »Sonst zieh ich dir den Stecker raus!«
Nubroski riss die Augen auf. »Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie da reden? Das ist Peter Kasanov, der brillanteste Kopf unserer Zeit!«
»Unsere Zeit? Die ist leider Vergangenheit«, erwiderte Ryan. »Und dieses Ding ist nicht Kasanov. Es ist nicht mal ein Mensch.«
»Da irrst du dich, Nash«, sagte das Mensch-Maschinen-Wesen. »Ich bin mehr als ein Mensch.«
»Ach ja?« Ryan bedachte Proctor mit einem verächtlichen Blick und begab sich in den Kommandostand.
Ryan Nash erkannte den schwarzhäutigen Navy SEAL auf Anhieb wieder.
Er hätte gar nicht so überrascht sein dürfen, ihn hier zu sehen, war es aber trotzdem.
Vor allem überraschte ihn der Rang, den der »Chief« innehatte.
Die zwei Dutzend Anwärter hatten im Hof der Base in zwei Reihen Aufstellung genommen und standen stramm. Vor ihnen hatte sich der schwarzhäutige SEAL aufgebaut, breitbeinig, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.
Er war verantwortlich für ihre Ausbildung.
Und er war eben jener SEAL, der Ryan damals ins Gewissen geredet hatte, in jener Nacht, bevor er Kates Leben rettete. Damals, in Joes Spelunke, hatten ihn alle nur »Chief« genannt, nun stellte er sich den Anwärtern als Command Master Chief Petty Officer Joshua Jackson vor.
»Und ihr Pfeifen wollt demnächst SEALs sein?«, donnerte er und zeigte auf ein Abzeichen auf der linken Brust seiner Uniform, das »SEAL Trident«, eine golden glänzende Plakette. Sie zeigte einen Adler, der einen Marineanker, einen Dreizack und eine Pistole in den Klauen hielt. »Das hier bekommt man nicht geschenkt. Das findet man auch nicht morgens als Gimmick in der Cornflakes-Packung. Das muss man sich mit Schmerz und Qual und Schweiß und dem eigenen Blut verdienen! Und dazu sind die meisten von euch nicht in der Lage!«
Ryan war klar, dass Command Master Chief Jackson ihn längst erspäht hatte, immerhin stand er in der vorderen Reihe, und sicherlich hatte auch er Ryan erkannt.
Tatsächlich trat Jackson auch auf ihn zu. »Du, Sprücheklopfer!«, brüllte er Ryan an; so hatte er ihn auch an jenen Abend in der Kneipe genannt. »Bist du herkommen, um Abenteuer zu erleben, um es richtig krachen zu lassen und auf wehrlose Menschen zu schießen? Oder was hast du dir dabei gedacht, als du es gewagt hast, deinen Arsch auf meinen Exerzierplatz zu schieben?«
»Sir«, antwortete Ryan laut, den Blick geradeaus, »ein Navy SEAL hat mir mal gesagt, er würde den Job nicht machen, um Menschen zu töten, Sir, sondern um sie zu retten, Sir, und er riet mir, aus meinem Leben etwas Sinnvolles zu machen, Sir!«
Das waren damals Jacksons Worte gewesen. Ryan erinnerte sich genau daran, hatte sie seitdem im Ohr.
»Hat er das, ja?«, blaffte Jackson. »Das hat er dir wohl am Tresen irgendeiner Spelunke bei einem Bier erzählt, was?«
Ryan starrte ihn an. Ja, genauso war es gewesen.
»Mann, du bist auf das Geschwätz eines Besoffenen reingefallen!«, höhnte Jackson.
Ryan glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen, und starrte den Command Master Chief geradezu erschrocken an.
Verdammt, war das wirklich nur das Gerede eines Betrunkenen, schoss es ihm durch den Kopf. Habe ich die wichtigste Entscheidung meines Lebens getroffen, weil ich mich am Tresen irgendeiner Spelunke zu einer Dummheit habe überreden lassen?
Während er Jackson weiterhin erschrocken anglotzte, machte dieser ein Gesicht, als wollte er Ryan fressen, und schnauzte: »Augen geradeaus, Seemann! Sieht aus, als müsste man Ihnen als Erstes militärische Etikette beibringen!«
Auf einmal war Ryan sich gar nicht mehr sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte …
Ryan befand sich vorn im Kommandostand des U-Boots, deshalb bekam er eher als die anderen mit, was sich tat.