Swing High - Cornelia Franz - E-Book
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Swing High E-Book

Cornelia Franz

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Beschreibung

Hamburg, Sommer 1939. Während der Zweite Weltkrieg immer näher rückt, versuchen der 16-jährige Henri und seine Freunde, den Alltag auszublenden. Man trifft sich im Schwimmbad oder im Park, einer hat immer ein Grammophon dabei – und dann wird gehottet bis zum Abwinken! Die neue Jazzmusik begeistert die »Swingheinis« mit ihrer ausgelassenen Lebensfreude. Den Nazis ist sie allerdings ein Dorn im Auge.Schon bald wird die Polizei auf die unangepassten Jugendlichen aufmerksam. Eines Nachts schnappt die Falle für Henri zu und er findet sich im Dunkeln eines Gestapokellers wieder … Der Roman fußt auf Berichten über die Hamburger Swingjugend 1939 bis 1941 und erzählt packend von einem Aufwachsen inmitten des Zweiten Weltkriegs.

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Inhalt

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

August 1939

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

September 1939

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Oktober 1939

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

November 1939

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Dezember 1939 bis Januar 1940

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Februar 1940

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

März 1940

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

April 1940

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Mai 1940

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Juni 1940

Juli 1940

August 1940

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

September/Oktober 1940

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

November/Dezember 1940

Januar 1941

Februar/März 1941

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Stadthaus, Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg, März 1941

Sommer 1953

Nachwort

Stadthaus,Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg,März 1941

Gestatten? Winkler, Swingheini.

Swingheini? Aber sonst hast du keine Probleme?

Doch, wenn du schon fragst: Es stinkt hier wie Hölle.

Ach nee? Was meinst du, wo du bist?

Hamburg-Neustadt, Ein-Zimmer-Wohnung in bester Lage, würde ich sagen.

Ham sie dich hier einquartiert, um mir den letzten Rest zu geben, Witzbold? … Na, komm, setz dich erst mal. Rechts neben der Tür is’ deine Pritsche. Und pass auf, dass du nicht gegen den Eimer stößt. Den ham sie seit vorgestern nicht mehr geleert.

Das erklärt einiges.

Gewöhnt man sich dran. Die Scheiße riechst du irgendwann nicht mehr.

Großartig. Und warum ist es hier so stockfinster?

Warum? Ham sie wohl ihren Spaß dran. Hab auch schon erlebt, dass sie das Licht Tag und Nacht anlassen. Ich heiß übrigens Robert.

Nice to meet you, Robby. You can call me Henri.

Dein vornehmes Englisch lass mal lieber stecken. Erstens versteh ich’s nicht und zweitens kriegst du ganz schnell eins aufs Maul von unseren Schupos hier, wenn sie dich dabei erwischen.

Pfff. Die können doch Englisch nicht von Russisch rückwärts unterscheiden, diese Trottel.

Brauchen sie auch nicht. Dass das kein Deutsch is’, werden sie schon wissen.

Treuuuudeutsch, treuuuudeutsch, treuuuudeutsch, the Flat Foot Floogie with a floooy flooooy …

Du bist wohl bekloppt, Mensch! Jetzt hör doch auf zu singen! Kapierst du eigentlich, wo du hier bist?

Ich weiß, wo ich bin. Die Herren von der Gestapo haben mich schon mal erwischt. Eine ganze Nacht hab ich hier gesessen.

Alle Achtung, eine ganze Nacht … Und dann ham sie dich wieder gehen lassen? Hast ihnen wohl zu falsch gesungen. Oder hat Vati gute Beziehungen nach oben? Dann bist du bestimmt morgen schon wieder draußen und kannst deiner Freundin erzählen, was für ein toller Hecht du bist. Zweimal Stadthaus und wieder zurück, das schafft nicht jeder.

Was is’ los? Hab ich was Falsches gesagt? … Warum bist du eigentlich hier?

The Flat Foot Floogie with a flooooy floy, the Flat Foot Floogie with a …

Hör auf, verdammt noch mal! Die machen dich fertig, wenn sie dich hören. Wer hat Dienst, Heitmann? Das is’ einer der Schlimmsten. Solche feinen Pinkel wie dich, die knöpft er sich besonders gerne vor.

Pfff.

Kann mir ja eigentlich wurscht sein, aber warum hört ihr nicht einfach auf mit dem Gedudel? Das hab ich mich schon öfter gefragt. Erklär’s mir mal. Ich kapier’s nicht.

Was genau soll ich dir erklären, Robby? Was Musik ist? Wie man tanzt, oder was? Was der Tiger Rag mit einem macht? Wenn du das nicht von alleine spürst, kann dir das niemand erklären.

Quatsch. Ich versteh nur nicht, wie man für so was Kopf und Kragen riskiert. Es gibt doch Wichtigeres als Tanzen in dieser beschissenen Welt.

Für dich vielleicht. Aber nicht für mich … Die haben all meine Platten zerschlagen!

Klar. Zerschlagen können sie.

Und du? Warum haben sie dich eingebuchtet? Hast du Brotmarken geklaut? Ach nein, bestimmt was Politisches, da wette ich drauf.

Und was genau?

Flugblätter.

Du hast Flugblätter verteilt? Gegen die Nazis?

Nee, gegen Schalke 04, du Volksidiot. Und außerdem behaupten sie nur, ich hätte welche verteilt.

Und hast du?

He, redest du nicht mehr mit mir?

Ganz bestimmt nicht über Flugblätter. Von mir aus können wir übers Wetter reden. Der Winter is’ hart dieses Jahr, oder? Arschkalt hier drinnen.

Was ist denn auf einmal los mit dir? Ach … Glaubst du etwa, ich bin ein Spitzel? Denkst du, die haben mich deshalb hier eingesperrt? Hier, komm her. Komm schon, fühl mal!

Was denn? Dein Kopf, oder was? Die paar Stoppeln auf deiner Birne? Als ob ich auf so was reinfallen würde. Kopfscheren is’ doch wohl kein großes Opfer, wenn man sich bei der Gestapo einschleimen will.

Du kannst mich mal … Mensch, ich will hier einfach nur raus!

Kommst du, Henri. Die verlegen uns bald in den Knast nach Fuhlsbüttel.

Heulst du?

Nee!

Tut mir leid. Ehrlich. Aber is’ verdammt schwer, jemandem zu trauen, wenn man nicht mal sein Gesicht sehen kann in dieser Scheißdunkelheit. Bestimmt lassen sie dich bald wieder gehen. Bestimmt.

He, das wird schon. Nun erzähl mir mal von deiner Musik. Dann wird uns die Zeit nicht so lang.

Interessiert dich doch gar nicht.

Doch.

Was willst du denn hören? Dass sie den Lambeth Walk auf den Index gesetzt haben? Kennst du wahrscheinlich nicht mal, stimmt’s? Kann ich dir gerne beibringen, wenn’s hier mal Licht gibt. Oder soll ich dir erzählen, wo ich die Floogie-Platte herhab? Louis Armstrong, auch verboten – hab ich aus London mitgebracht. Feindesland …

August 1939

Der Krieg war im Anmarsch. Er trat einem fast schon auf die Zehen. Der Bahnhof war voll mit Männern, die ihre Einberufung bekommen hatten, und Henri bahnte sich seinen Weg durch die Menge gegen den Strom. Auf dem Vorplatz begrüßten ihn die roten Hakenkreuzfahnen, aggressiv flatterten sie im Hamburger Sommerwind. Erst jetzt begriff er so richtig, warum seine Eltern ihm dieses dämliche Telegramm geschickt hatten. SOFORT ZURÜCKKOMMEN, HENRI! ES KANN JEDEN MOMENT LOSGEHEN.

Hals über Kopf hatte er abreisen müssen, obwohl die Ferien noch nicht zu Ende waren. Zu blöd! Die Wochen in Winchester bei Johnny und seiner Familie waren großartig gewesen. Wie frei und leicht er sich dort gefühlt hatte. Selbst der Ferienkurs an der Sprachschule hätte schlimmer sein können. Klar, auch in England hatten sie ständig darüber geredet, dass es Krieg geben würde. Aber wenn man jede Schwarzmalerei ernst nahm, konnte man sich ja gleich begraben lassen.

Im Zug quer durch Norddeutschland hatte er viele besorgte Gesichter gesehen, aber auch ein paar begeisterte Deppen. »Die Dreistigkeiten der Polen werden immer schlimmer … Das kann sich der Führer nicht mehr länger bieten lassen!« Henri hatte nicht hinhören wollen. Krieg? Wie konnte man darauf wild sein, sich gegenseitig abzuknallen? Was sollte das Fahnenschwenken und das protzige Herumgebrülle? Die HJ-Jungs auf dem Bahnhofsvorplatz, die mit stolzgeschwellter Brust im Gleichschritt trampelten, gingen ihm jetzt schon auf den Senkel.

Am meisten ärgerte er sich darüber, dass er Johnnys Geburtstagsparty verpasst hatte. Als ob es auf einen Tag mehr oder weniger angekommen wäre. Aber Johnnys Vater hatte ihm in aller Eile die Schiffspassage nach Dünkirchen gebucht, weil es für Deutsche in England sehr bald ungemütlich werden würde. Und ein Fünfzehnjähriger gehörte in solchen Zeiten in den Schoß seiner Familie, no discussion.

Henri entschied sich, zu Fuß nach Hause zu gehen. Lieber ein Stück laufen, als sich in die Straßenbahn zu quetschen. Er hängte sich das Karojackett, das er bei einem Ausflug nach London gekauft hatte, über die Schulter und schlenderte los. So lässig, wie das mit dem schweren Koffer möglich war. Die ganze Fahrt über hatte er den Koffer mit seinem kostbaren Inhalt kaum aus den Fingern gelassen. Louis Armstrong mit den Mills Brothers! Die anderen würden Augen machen, wenn er die Platte hervorholte. Und Ohren!

Vom Kaifu-Bad drangen Lachen und Schreien aus dem Schwimmbecken. Den dritten Sommer gab es jetzt das Freibad am Kaiser-Friedrich-Ufer; nachmittags traf sich die halbe Klasse hier. Bis wann hatte das eigentlich offen? Wenn er Glück hatte, ließen ihn die Eltern heute noch mal losziehen.

Als er schließlich vor dem Mietshaus am Eppendorfer Weg stand, schaute er an der Fassade hoch. Zumindest hier flatterte keine Fahne vom Balkon. Nur die Dierkes, die seit Neuestem im Hochparterre neben Vaters Praxis wohnten, hatten einen Hakenkreuzwimpel im Fenster stehen. Kleinkarierte Spießer. Schade, dass Familie Stern ausgezogen war. Mitten im Schuljahr hatten sie Lea aus dem Unterricht genommen, um in die Schweiz zu gehen. Lea hätte die Armstrong-Platte auch großartig gefunden.

Er hatte den Daumen kaum von der Klingel genommen, da öffnete ihm seine Mutter schon. »Henri, Gott sei Dank, da bist du ja! Das Essen steht gleich auf dem Tisch.« Sie drückte ihn an sich, sodass ihm ihr Parfüm in die Nase stieg. Aber auch den Geruch nach Gebratenem nahm er wahr und er musste grinsen. Mutter klagte jeden Tag darüber, dass sie jetzt selber kochen musste, weil sie Hiltrud, ihr Mädchen für alles, entlassen hatten. »Gute Köchin hin oder her«, hatte Vater gesagt. »Ich hab keine Lust, eine Hundertprozentige in der eigenen Wohnung zu beherbergen. Da kann man ja kein offenes Wort mehr reden.«

Sein Vater kam aus dem Musikzimmer, wo er sicher gerade Partituren gelesen hatte. Er war unmusikalisch wie ein Frosch, studierte aber gerne Orchesternoten. Henri freute sich, die Eltern wiederzusehen. Die beiden waren ganz in Ordnung. Selbst für seine Liebe zu Jazz und Swing hatten sie Verständnis und Mutter hatte sich von ihm sogar ein paar Tanzschritte beibringen lassen.

»Wir sind froh, dass du zurück bist, Junge!« Mit der Pfeife im Mundwinkel klopfte ihm sein Vater auf die Schulter. »Alles glatt gelaufen?« Aber bevor Henri antworten konnte, drehte er sich schon um. »Wasch dir bitte die Hände vorm Essen«, rief er ihm zu, während er den Flur hinunterging, um Großvater zu holen. Mutters Vater kam ohne Hilfe nicht mehr zurecht, obwohl er noch keine siebzig Jahre alt war. Manchmal vergrub er sich tagelang in seinem Zimmer.

Ihm zuliebe gab es meist ein frühes Abendessen, an diesem Tag Rouladen mit Bohnen. Zum Anstoßen auf seine Rückkehr bekam Henri sogar ein Schnapsglas voll Rotwein. Er schwärmte von London und seine Enttäuschung darüber, dass er so plötzlich hatte abreisen müssen, war nicht zu überhören. »Glaubt ihr denn wirklich, dass der Krieg ausgerechnet jetzt ausbricht?«, wollte er wissen.

»Daran zweifelt niemand mehr«, antwortete sein Vater. »Im Westen haben sie ja schon mit der Evakuierung des Grenzlandes begonnen. Tausende werden umquartiert, um nicht aufgerieben zu werden, wenn die Franzosen angreifen. Es kann sein, dass mein Cousin Hans samt Familie bei uns auftauchen wird.«

»Es werden auch schon Lebensmittelkarten verteilt … Das weißt du wohl noch gar nicht, Henri. Deine Lehrer sind vom Ernährungsamt zum Austeilen der Karten verpflichtet worden. Die Ferien wurden verlängert.« Henris Mutter sprach mit einer Grabesstimme, die seinen Jubel ob dieser Nachricht im Keim erstickte. »Was für ein Wahnsinn! Aber vielleicht bewahrt Hitler ja doch die Ruhe.«

»Die Hoffnung stirbt zuletzt.« Henris Vater machte ein bitterspöttisches Gesicht. »Sogar der Flughafen wurde bereits von der Luftwaffe übernommen. Der gute Adolf rüstet doch nicht umsonst hoch. Wir haben ihn viel zu lange nicht ernst genommen. Der will den Krieg!«

Henri schaute von Vater zu Mutter, bis sein Blick an der Miene des Großvaters hängen blieb. Leer, wie tot. Er rührte sein Essen kaum an. Bekam er das Gespräch überhaupt mit?

Durch das geöffnete Fenster flirrte Sommerluft herein, aber im Zimmer herrschte eine bedrückende Schwere. Ungeduldig löffelte Henri sein Schälchen rote Grütze leer. »Danke fürs Essen, Mutti«, sagte er. »Aber ich habe drei Tage nur gesessen. Ich würde gerne noch ein bisschen rausgehen.«

»Von mir aus. Aber nicht so lange … oder, Gerhard?«

Noch ehe sein Vater protestieren konnte, sprang Henri schon auf, drückte seiner Mutter einen Kuss auf den Scheitel und entwischte. Er holte die Armstrong-Platte aus seinem Zimmer, schnappte sich das neue Jackett, das er bei der Wärme sicher nicht brauchen würde, und ließ erleichtert die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen. Das Freibad hatte bereits zu. Aber er wusste auch so, wo er Fritz und die anderen treffen würde.

»Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück.« Henri hörte das Grammofon, bevor er die Freunde sah. »Ich brauche weiter nichts als nur Musik, Musik, Musik.« Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Vor den Ferien hatten Fritz und er im UFA Hallo, Janine mit Marika Rökk und Johannes Heesters gesehen. Der Film war als jugendgefährdend eingestuft worden. Warum, wusste nur der liebe Gott … Das Aufregendste an der Sache war gewesen, dass sie ein Toilettenfenster ausgehebelt hatten, um ins Kino zu gelangen. Wo hatte Konni denn so schnell eine Aufnahme der Filmmusik her?

Als er auf die Wiese am Weiher zuging, sah er Fritz, Konrad, Hanna und Eduard um Konrads Koffergrammofon auf einer Wolldecke liegen, Konni wie immer der Schickste. Während Fritz und Edu kurze Hosen anhatten, trug er einen hellgrauen Anzug, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgeschoben. Hanna thronte in ihrem Sommerkleid wie eine Pfingstrose zwischen den Jungs.

Fritz winkte ihm zu. »Welcome back, old boy. Wie war’s?«

»Ganz okay«, sagte Henri lässig. Doch dann strahlte er. »Es war phänomenal, sag ich euch. Vor allem London! Dagegen ist Hamburg ein verschnarchtes Nest.«

»Hier ist die Stimmung total mies. Du hast uns so gefehlt, darling«. Hanna strich sich verführerisch mit den Fingern durch die Locken und klopfte neben sich auf die Decke.

»Eine Frau wird erst schöööön durch die Liiiebe«, sang Konrad mit tiefer Stimme. »Erst beim Küssen beginnt sie zu glühn.«

Henri wurde rot und alle lachten. Es war klar, dass Hannas Flirtversuche nur Show waren. Für Henri waren Hanna und ihr ein Jahr älterer Bruder Eduard fast wie Geschwister. Sie kannten sich seit der ersten Klasse und bis zu ihrem erzwungenen Abgang vom Gymnasium waren sie stets den Schulweg gemeinsam gegangen. Und überhaupt … Liebe … damit hatte er nichts am Hut.

Henri hatte die Schallplatte unter dem Jackett verborgen. Jetzt warf er die Jacke auf den Boden und präsentierte sein Londoner Mitbringsel. »Lasst die Witze und kuckt euch das mal an«, sagte er. Stolz zog er die Platte aus der Hülle. Nur mit den Fingerspitzen hielt er die schwarz glänzende Scheibe in die Luft. Das Etikett mit dem goldenen Brunswick-Schriftzug schimmerte in der Abendsonne.

»Baby!« Konrad war beeindruckt. Er nahm ihm die Platte so achtsam ab, als wäre es eine Handgranate. Doch als dann die Musik erklang, war es mit der Bedächtigkeit vorbei. Keinen hielt es noch auf der Decke. Sie tanzten um das Grammofon herum und brüllten mit. »The Flat Foot Floogie with a flooooy floy. The Flat Foot Floogie with a flooooy floy!«

Der Song war noch nicht zu Ende, da kamen schon die ersten Meckerer den Parkweg entlang. Ein Ehepaar, Arm in Arm und mit Sauertopfmienen. »Stellt das gefälligst leiser, dieses jüdische Gequäke!«

Fritz drehte die Lautstärke ein wenig herunter. »Ich hab Sie leider nicht verstanden, die Musik war so laut«, sagte er freundlich. »Interessieren sich die Herrschaften für Jazzmusik? Haben Sie womöglich Louis Armstrong schon mal live erleben dürfen?«

Die Dame zog die Augenbrauen hoch und ihr Gatte schüttelte verärgert den Kopf.

»Ein fantastischer Musiker, nicht wahr? Und schwarz wie des Führers Schnurrbart.« Fritz klang immer noch schmalztriefend höflich. Doch die anderen prusteten los.

Der Mann murmelte etwas von »undeutschem Tun in diesen Zeiten«, hakte seine Frau unter und zog sie weiter. Nach ein paar Metern wandte er sich noch einmal um. »Macht endlich das Gejaule aus, Rotzlöffel!«, rief er.

Konrad nahm die Platte vom Teller, um die andere Seite abzuspielen. Caravan, nicht so ein Ohrwurm wie der Floogie, aber eine wunderbar schwingende Melodie. Henri lag im Kreis seiner Freunde auf dem Rücken, den Kopf auf Hannas Oberschenkel gelegt, und schaute in den Abendhimmel. Sie strich ihm mit einem Grashalm den Nacken entlang, sodass ihn ein Schauer durchrieselte. Der Duft von Konnis Zigarette vermischte sich mit dem Geruch von frisch gemähtem Rasen. Das Entengequake, das vom Weiher kam, klang wie komponiert. Die Zeit anhalten. Wenn das möglich wäre.

»Wir müssen los, Hanna«, sagte Eduard jetzt. »Wir haben versprochen, früh zu Hause zu sein.« Ein Schatten ging über sein Gesicht. »Die Eltern sind ziemlich besorgt. Sie glauben fest, dass der Krieg ausbricht, schon morgen oder übermorgen. Für uns wird’s hier dann noch gefährlicher, haben sie gemeint.«

»Pfff«, machte Fritz. »Im Krieg haben die Schwachmaten doch genug um die Ohren. Ostfront, Westfront, Nordfront, Südfront – überall müssen sie gleichzeitig sein.«

Henri setzte sich auf und streckte ein imaginäres Gewehr in die Luft. »Bumm, bumm, bumm, bumm. Klar, die werden gar keine Zeit mehr haben, euch zu schikanieren.«

»Die Eltern überlegen ernsthaft, wegzugehen …« Eduard nagte an seiner Unterlippe.

Hanna lachte ihn aus. »Ach, Bruderherz, jetzt hör auf mit dem Gemaule. Keine Angst, die reden nur. Natürlich bleiben wir hier. So einfach lassen wir uns nicht vergraulen.« Sie schlang die Arme um Henris Schultern.

Doch Eduard stand auf. »Los, Hanna!«

»Wie wär’s, wenn ihr Freitag zu uns kommt?«, schlug Henri vor. »Abgesehen von meinem Großvater haben wir sturmfreie Bude, meine Eltern gehen in die Oper. Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn wir ein bisschen feiern.«

»Da sind ja unsere Jazzfans wieder.« Fritz zeigte zum Parkweg, auf dem das Ehepaar mittlerweile den Weiher umrundet hatte. Er sprang auf die Füße und riss den Arm schräg in die Höhe. »Heil Hotler!«, brüllte er.

Der Mann hielt inne, löste sich von seiner Frau und kam ein paar Schritte näher. Er sah aus, als ob er gleich explodieren würde. Doch seine Augen hinter den Brillengläsern blieben kalt. »Euch wird die Albernheit noch vergehen«, zischte er. »Erinnert euch an meine Worte, wenn ihr Dreck fresst.«

Stadthaus,Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Hamburg,März 1941

Was is’? Woran denkst du, Henri?

Nichts ist. Ich denke nur an einen Freund von mir. Konni. Den haben sie Anfang Februar eingezogen. Er hat ’ne Postkarte geschickt. Da stand, dass er immer noch den Floogie im Kopf hört.

Floogie … Ehrlich gesagt, ihr wärt mir auch auf’n Keks gegangen. Europa marschiert und ihr dudelt Jazzmusik.

Na und? Fändst du es besser, wenn wir das Heideröslein gesungen hätten? Oder das Horst-Wessel-Lied? Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen!

Hör bloß auf. Aber wie wär’s mit der Internationalen?

Den Kommunisten-Schlager? Nee, danke. Das ist doch alles der gleiche Schwachsinn. Völker, hört die Signale, auf zum letzten Gefecht … Alle wollen immer nur kämpfen und kämpfen. Ich hasse das!

Weil du’s nie nötig gehabt hast, zu kämpfen.

Pfff. Was soll das denn heißen?

Ich bin jedenfalls stolz darauf, ein Proletarier zu sein. Genau wie meine Freunde und meine Eltern.

Ich fasse es nicht. Scheißstolz. Wie kann man stolz auf etwas sein, als das man geboren wurde? Dann soll ich mich also schämen, weil man Vater Arzt ist, oder wie?

So mein ich das nicht.

Wie denn?

Weiß nicht. Aber nur sein eigenes Ding drehen, Jazz hören und abhotten, das macht die Welt nicht besser.

Doch.

Es hat dich bloß hierhergebracht. Und sonst nix.

Na und?

Du hast keine Ahnung, was dir hier blüht. Das sag ich dir, Henri.

Klar weiß ich das. Sie hatten mich ja schon mal in der Mangel. Aber die werden mich wieder gehen lassen. Ich hab ja nichts Schlimmes getan.

Ich dachte, du hast versucht, die Welt besser zu machen …

So was is’ momentan lebensgefährlich.

Das Leben ist immer lebensgefährlich. Zum Schluss stirbt man auf jeden Fall.

Klugscheißer. Gibt’s eigentlich irgendwas, was dir wichtig is’? Ich mein, außer dem Gedudel?

September 1939

Das Loewe-Rundfunkgerät stand im Musikzimmer neben dem Grammofon. Gerade so, als wollten Henris Eltern deutlich machen, dass sie den Radiokasten nur gekauft hatten, um Konzertübertragungen zu hören und nicht die unsäglichen Reden aus dem Reichstag. Doch an diesem Freitagmorgen war Henris Vater extra aus seiner Praxis gekommen, um die angekündigte Sondersendung nicht zu verpassen. Wie Millionen in diesem Moment saß Henri zusammen mit den Eltern vor dem Apparat und hörte sich an, wie Hitler dem deutschen Volk den Krieg verkündete. In dem Gerausche und Geknatter der Übertragung erklang die Stimme des Führers nur undeutlich. Aber der Inhalt war klar. Es ging los.

»Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!« Tosender Beifall, Heil-Rufe, Jubelsturm. »Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten!« Noch mehr Jubel. Der Reichstag war aus dem Häuschen.

»Sind die denn alle verrückt geworden?« Henris Mutter kämpfte mit den Tränen.

»Aber wenn die Polen angefangen haben, dann muss sich Deutschland doch verteidigen, oder nicht? Konnis Vater hat gesagt, dass …«

»Sei nicht dumm, Henri!« Ungewohnt scharf wurde Henri von seinem Vater unterbrochen. »Die Polen hätten nur einen faulen Apfel werfen müssen, dann wäre die Wehrmacht einmarschiert. Hitler will Polen kassieren, das hat er doch nun oft genug klargemacht. Und jetzt, wo er mit Stalin den Nichtangriffspakt verabredet hat, gibt es kein Halten mehr.«

Henri biss sich auf die Unterlippe. Was pfiff ihn sein Vater denn so an? Er war nun wirklich nicht froh über diesen blöden Krieg.

»Wenn Großvater das mitbekommt, bringt es ihn um«, sagte Henris Mutter leise.

Henri wusste nicht genau, was sein Opa im Krieg erlebt hatte. Er wusste nur, dass er 1916 bei dem schrecklichen Gemetzel von Verdun dabei gewesen war. Hunderttausende Tote, nur um einen Streifen Land zu erobern … Er sprach nie darüber.

»Mir reicht es.« Henris Vater stand auf und stellte das Radio aus. »Ich gehe wieder runter in die Praxis.«

»Werden sie dich einberufen, Vati?«, fragte Henri beklommen.

»Mein Jahrgang wurde schon vor einer Woche zu Tausenden in die Kasernen geholt. Aber bei meiner Kurzsichtigkeit kann man zum Glück auf mich verzichten.« Sein Vater nahm die Brille ab und strich sich über die Nasenwurzel. »Also dann. Ich lass die Mittagspause ausfallen, Hilde. Das Wartezimmer ist voll.«

Henri stand ebenfalls auf. »Geht ihr denn heute trotzdem in die Oper?«, fragte er.

Seine Mutter runzelte die Stirn. »Mir ist heute wirklich nicht nach Zauberflöte.«

»Schade«, murmelte Henri.

Sein Vater schnaufte durch die Nase. »Wegen eurer Swingparty? Mein Gott, Henri … Was geht nur in deinem Kopf vor?«

Als Henri allein im Musikzimmer war, vernahm er die gedämpften Stimmen der Eltern auf dem Flur. Er wollte gar nicht mitbekommen, was sie besprachen. Von dem ganzen Gerede über den bescheuerten Krieg wollte er nichts hören. Ihm reichten die Kriegsfilme, die sie in der Schule gezeigt bekamen, quasi als Einstimmung auf zukünftiges Heldentum. Freudig für den Führer im Bombenhagel sterben. Nee, danke.

Er ließ sich in den Ohrensessel sinken. Noch immer klang Hitlers Stimme in ihm nach. Wie ein wütender Schäferhund. In der HJ gab es auch einige, die sich mit diesem Geschrei wichtig machten. Am Mittwoch musste er da wieder zum Heimnachmittag antreten … Aber immerhin fiel die Schule aus.

Sein Blick wanderte zu dem verblichenen Foto, das auf dem Klavier stand. Die Großeltern bei ihrer Hochzeit, die Großmutter ernst. Großvater hingegen schaut stolz lächelnd in die Kamera, ganz jung sieht er noch aus. Wie sehr er ihm ähnelte, mit den blonden Haaren über den leider ziemlich abstehenden Ohren. Plötzlich drangen die Sätze, die er gerade gehört hatte, erst richtig zu ihm durch. Es ist gänzlich unwichtig, ob wir leben. Aber notwendig ist es, dass unser Volk, dass Deutschland lebt! Was hieß das denn? Wie konnte es unwichtig sein, ob man lebte oder tot war?

Dem Himmel schien es egal zu sein, dass sich Deutschland im Krieg befand. Die Sonne strahlte jeden Tag von einem wolkenlosen Himmel. Henri hielt es in der Wohnung nicht aus. Er durfte nicht mehr BBC hören, sollte nicht so offen seine Begeisterung für England zeigen und musste noch mehr Rücksicht auf Großvater nehmen. Nach dem Frühstück packte er seine Badesachen und lief zum Kaifu. Zumindest ein Gutes hatte der Krieg: Die Schulen waren immer noch geschlossen.

Trotz des Kaiserwetters war nicht viel los im Freibad und er entdeckte die anderen auf den ersten Blick. Fritz’ nasser Schopf glänzte kupferrot, er zog seine Bahnen durchs Wasser. Hanna, Eduard und Konrad lagen auf der Wiese wie geprügelte Hunde. Bestimmt hatten sie wieder darüber gesprochen, dass die Familie der Geschwister Deutschland verlassen wollte.

Zu allem Überfluss lagerten in Hörweite ein paar Jungs, die die Badeanstalt mit ihrer schauerlichen Musik beschallten – wenn man das Gescheppere, das einer der Idioten auf seiner Wandergitarre veranstaltete, als Musik bezeichnen konnte.

Henri warf sein Handtuch neben Hanna. »Wie haltet ihr das aus? Das klingt ja unterirdisch.« Er schaute zu den dreien hinüber. Den Langen mit den braun gebrannten Spinnenbeinen kannte er vom HJ-Dienst. Olaf … Das war einer von den Zackigen. Erst war er ganz versessen darauf gewesen, Kameradschaftsführer zu werden, und dann hatte er sich zum Streifendienst gemeldet, um andere noch besser schikanieren zu können.

»Vielleicht, weil wir größere Sorgen haben.« Eduard klang bitter.

»Jetzt nimm den Scheiß doch nicht so wichtig«, sagte Konrad. »Mein Vater meint, das wird schnell vorbei sein.«

»Pff, mal kurz dem Polen zeigen, wo’s langgeht, oder was? Fällst du auch drauf rein, Konni? Wie blöd kann man sein.« Eduard schüttelte den Kopf.

»Blöd ist nur, wenn man sich wegen Adolf und seinen Krähen die Laune vermiesen lassen muss.« Konrad starrte die drei Jungen an, die begonnen hatten, laut und unmusikalisch zu singen. »Unsere Fahne flattert uns voran, in die Zukunft ziehen wir Mann für Mann. Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not …« Bei der letzten Zeile grölten sie geradezu. »Ja, die Fahne ist mehr als der Tod!«

»Wie wär’s, wenn ihr tatsächlich mal Mann für Mann abziehen würdet? Dann wär endlich Ruhe«, rief Konrad ihnen zu. »Flattert voran, boys, aber nicht hier, okay?«

»Mensch, Konni, lass das doch. Ich hab im Moment wirklich keine Lust auf Streit«, murmelte Eduard.

Aber es war zu spät. Der Gitarrenjunge ließ seine Klampfe sinken. »Okaaayyy?«, äffte er Konrad nach. »Sprechen wir hier Englisch, oder was? Mitten in Deutschland? Und das in dieser Zeit!«

»Why not?« Konrad grinste. »Nach Polen haben wir doch sicher auch ruckzuck England kassiert. Und dann ist das alles Deutsches Reich. Passt doch wunderbar.« Dozierend hob er den Zeigefinger. »Englisch und Deutsch gehören bekanntermaßen zu den germanischen Sprachen, so wie Niederländisch, Afrikaans, Friesisch und die skandinavischen Sprachen.« Er machte eine kleine Kunstpause. »Ach ja, und Jiddisch.«

Ein Ruck ging durch die Dreiergruppe. Spinnenbein sprang auf. »Was für Wanzen seid ihr denn?« Sein Blick wanderte von Konrad zu den Geschwistern. Henri spürte, wie Eduard den Atem anhielt. Hanna mit ihren blonden Locken war nicht als Jüdin erkennbar, aber der dunkelhaarige Edu hatte es schwerer. Seit letztem Jahr durften sie ja öffentliche Schwimmbäder nicht mehr besuchen … Henri vergaß oft, wie tollkühn es war, dass sie sich das immer noch trauten. Wenn sie jemand verpfiff, würden sie verhaftet werden. Hoffentlich wurde Olaf nicht misstrauisch!

Der musternde Blick traf jetzt Henri. »Dich kenn ich doch. Du schwänzt doch immer die Heimnachmittage …«

Henris Puls ging schneller. Die letzten Male vor den Ferien war er tatsächlich nicht zum HJ-Dienst erschienen. Er hatte seinen Mut zusammengenommen und sich in der Praxis seines Vaters eine Krankschreibung gefälscht. Wenn das aufflog, gab es einen Riesenärger. »Blödsinn«, murmelte er.

»Ach ja?« Olaf kam näher.

Henri begann, sein Hemd aufzuknöpfen, wobei er es vermied, Olaf anzukucken. Er hatte genauso wenig Lust auf Streit wie Eduard. Der Einzige, der gerne mal raufte, war Fritz. Aber der kraulte zum Glück immer noch durchs Becken, als wollte er einen Rekord brechen. Warum hatte Konni nicht seine Klappe gehalten? Henri stupste ihn unsanft an. »Los, komm, wir sind nicht zum Quatschen hier.«

Hanna sprang ihm bei. Sie setzte sich ihre Badekappe auf und zog Konrad vom Handtuch. »Wer zuerst drin ist!«, rief sie und war schon am Becken, bevor Henri sein Hemd ausgezogen hatte.

Abkühlung, Hals über Kopf. Henri machte ein paar kräftige Züge und öffnete unter Wasser die Augen. Im Gewirr aus nackten Beinen und Armen über sich erkannte er Hanna, Konni und Edu. Prustend tauchte er auf. Da war auch Fritz, wassertretend. Seine halblangen Haare klebten ihm wie eine Kappe am Kopf.

»Na endlich, ihr lahmen Enten«, juxte Fritz. »Deutsche Jugend schwimmt! Jeder Hitlerjunge ein Schwimmer, jeder Führer ein Retter! Den Spruch kapier ich immer noch nicht. Aber man muss ja auch nicht alles kapieren.« Er deutete mit dem Kinn Richtung Wiese. »Was habt ihr denn mit den Volksidioten gequasselt?«

Er hatte die Szene also doch mitgekriegt. Henri überlegte kurz, ob er ihm erzählen sollte, was passiert war. Aber ein warnender Blick von Hanna hielt ihn davon ab. Nee, Brausekopf Fritz sollte sich lieber nicht im Nachhinein noch einmischen.

Hanna fuhr mit der Hand durchs Wasser und spritzte allen vier Jungs eine Fontäne ins Gesicht. »Können wir nicht einfach nur Spaß haben?«, fragte sie. »Wer weiß, wie lange das Freibad noch auf hat.«

»Wer Spaß will, kriegt ihn!« Henri warf sich auf sie, um sie unterzuduckern, und sie wehrte sich kreischend. Sie rangelten, wie sie es schon als Zehnjährige gemacht hatten. Nur dass sich eine halbnackte Fünfzehnjährige im Zweiteiler so ganz anders anfühlte … Als seine Finger ihren Bauch streiften, zuckte er zurück, als hätte er sich unter Wasser verbrannt.

»Hilf mir, Edu!«, schrie Hanna, auch das genau wie früher. Hanna und Eduard gegen Henri und Fritz, eine lautstarke Wasserschlacht. Nur Konrad spielte lieber toter Mann und trieb am anderen Ende des Beckens auf dem Rücken. Der wurde mit seinen siebzehn Jahren allmählich zum alten Herrn.