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Sich von Wut leiten zu lassen, bedeutet, bei Sturm in See zu stechen... Hauptkommissarin Bente Brodersen ermittelt mit friesischer Sturheit auf Deutschlands nördlichster Insel. Der Mord an einer jungen Frau in den Dünen vor Hörnum gibt Bente Rätsel auf. Als der Ex-Freund des Opfers kurz danach Selbstmord begeht, scheinen Täter und Motiv festzustehen. Doch je tiefer Bente und ihr Team in diesen Fall eintauchen, desto verwirrender werden die Fakten. Nach und nach lösen sich ihre Theorien in Luft auf. Erst das Einschreiten der Staatsanwaltschaft Flensburg lenkt die Ermittlungen auf einen undurchsichtigen Korruptionsskandal, in den zahlreiche lokale Politiker verwickelt sind. Die raue See, der frische Wind und die endlosen Dünen machen SYLT zum idealen Schauplatz der spannenden Küstenkrimis. Jeder Teil der Syltkrimiserie ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
KRINKE REHBERG
Sturmgrab
Dieser Kriminalroman ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und/oder realen Handlungen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Sabine
Sie ist alles in oin!
ACH JA: NIEMAND IST PERFEKT!
Daher bitte ich, eventuelle Rechtschreibfehla zu entschuldigen ...; )
© 2022 KRINKE REHBERG
Alle Rechte an Cover/Logo/Text/Idee vorbehalten
Imprint: Independently published
Covergestaltung: MOTTOM
Autorenservice at Tomkins – Krinke Rehberg, Am Wald 39, 24229 Strande
»Sich von Wut leiten zu lassen, bedeutet, bei Sturm in See zu stechen.«
Vor 30 Jahren
Über den Fernsehbildschirm liefen die Bilder von tausenden fröhlichen Menschen, wie sie die Grenze zwischen DDR und BRD passierten. Überall war das Victoryzeichen, die gespreizten Zeige- und Ringfinger, zu sehen. Im Scheinwerferlicht saßen die Menschenmassen auf der Berliner Mauer und schwangen die mitgebrachten Werkzeuge, um dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zerstören.
Die Stimme des Nachrichtensprechers ging in dem lautstarken Jubel unter. Plötzlich verfärbte sich das Bild rot. Helles Blut rann die Mattscheibe herab.
Die vom Nachbarn gerufenen Polizeibeamten brachen die Wohnungstür auf und sahen ein Kind, das mit starrem Blick die Feier des Mauerfalls im Fernsehen verfolgte. Davor lagen zwei blutüberströmte Leichen.
Der Sturm hatte sich zurückgezogen und tobte sich weit draußen über der Nordsee aus. Geblieben war der strömende Regen. Eine einzelne Möwe stürzte sich kreischend auf einen nackten, leblosen Körper.
Als Karsten Teel den Motor startete, war es kurz vor Feierabend. Die Nacht hatte nicht viel eingebracht, aber diese Tour nach Hörnum würde seinen Stundenlohn ausgleichen. Wahrscheinlich wollte die Anruferin den frühen Zug aufs Festland nehmen.
Er steuerte sein Taxi die Hörnumer Landstraße entlang und dachte an die sieben freien Tage, die vor ihm lagen. Die Reisetasche stand gepackt im Flur seiner kleinen Wohnung, aber er würde sich erst für einige Stunden hinlegen, bevor er um 16 Uhr in Flensburg auf dem Schiff einchecken musste. Hochseefischen war seit Jahren sein einziger Luxus und er freute sich auf die Stille und Abgeschiedenheit, die dieses Hobby mit sich brachte.
Die Dämmerung setzte langsam ein und die Scheinwerfer warfen eine Lichtschneise durch den dichten Regen.
Kurz vor Hörnum stand eine Person mitten auf der Fahrbahn und winkte mit erhobenen Armen. Erschrocken trat er auf die Bremse und sah die Frau zur Seite springen. Ihr rotweißgestreiftes Kleid war völlig durchnässt und von ihren blonden Haaren tropfte der Regen.
Karsten Teel schaltete die Warnblinkanlage ein und stieg aus.
Bente spazierte mit Ulrike durch die menschenleere Stadt. Der Regen störte weder sie noch ihre Hündin. Labradore wurden für das Apportieren aus dem Wasser gezüchtet und Bente war wetterunempfindlich. Sie mochte das raue Klima der Insel und die morgendliche Stille. Dennoch plagte sie immer häufiger das Gefühl, eine Entscheidung treffen zu müssen. Die Abende und Nächte bei Erik zu verbringen und jeden Morgen zum Duschen in ihre eigene Wohnung zu gehen, war kein Dauerzustand. Aber alles in ihr sträubte sich gegen die Vorstellung, gemeinsam mit Erik zum Dienst zu gehen. Natürlich wussten die Kollegen von ihrer Beziehung, hielten sich aber wohlweislich mit anzüglichen Kommentaren zurück. Zumindest ihr gegenüber. Als Dienststellenleiterin der Kripo Sylt hatte sie sich in den letzten Jahren zwar bemüht, zu einer Teamplayerin zu werden, aber ihr Privatleben schottete sie nach wie vor hermetisch ab. Wäre Erik nicht Polizeiobermeister und damit ein Kollege, könnten sie eine gemeinsame Wohnung suchen und sich nach dem Frühstück einen schönen Tag wünschen. So aber musste sie sich den ganzen Tag darauf konzentrieren, ihr Privatleben aus dem Polizeialltag herauszuhalten. Auf keinen Fall durfte es Gerede geben, das hatte sie gelernt!
Sie schloss ihre Wohnungstür auf und öffnete den Kühlschrank. Während sie einen eingeschweißten Beutel Futter aus dem Froster in das untere Fach und den bereits aufgetauten Beutel auf die Arbeitsplatte legte, fiepte Ulrike aufgeregt. Bente grinste zufrieden. Seit fünf Wochen barfte sie. Dieses Futter war eine Wissenschaft für sich, aber sie hatte sich eingelesen. Mittlerweile konnte sie sich nichts anderes mehr vorstellen.
Während Ulrike fraß, stieg sie unter die Dusche.
Eine halbe Stunde später betrat sie das Büro in der Stephanstraße. Sofort stieg ihr frischer Kaffeeduft in die Nase.
»Hansen, was machst du hier?« Sie war es gewohnt, dass der ehemalige Dienststellenleiter regelmäßig und unangekündigt in der Wache auftauchte, aber dass er als Erster hier war und Kaffee kochte, war noch nie vorgekommen.
»Ich habe Neuigkeiten!« Er reichte ihr einen großen Pott Kaffee.
Ulrike stupste ihn mit der Schnauze an. »Für dich habe ich auch was«, lachte er und fischte eine ungewürzte Frikadelle aus der Tasche.
Heike und Klemme kamen gemeinsam zur Tür herein. »Hansen, was ist los, senile Bettflucht?«, grinste Heike.
»Er hat Neuigkeiten«, klärte Bente ihr Team auf, als die Tür sich wieder öffnete und Timme ins Büro trat. »Neuigkeiten? Gibt´s das als Rentner noch?«
Hansen wischte demonstrativ mit dem Handrücken über seine Schulter. »Lästert ihr nur, das perlt alles an mir ab!«
»Okay, das müssen ja tolle Neuigkeiten sein, wenn du so eine Gelassenheit an den Tag legst«, wunderte sich Bente.
»Nun mach schon! Spann uns nicht auf die Folter, was ist los?« Heike verteilte Kaffee an ihre Kollegen und ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen.
Hansen setzte sich auf die Kante von Klemmes Schreibtisch, als Eriks Kopf in der Tür erschien. »Das ist ja wie auf´m Bahnhof hier!«, grummelte Hansen.
»Moin, zusammen«, grüßte Erik und ließ seinen Blick kreisen. Er verlor nie ein Wort darüber, dass Bente morgens fluchtartig seine Wohnung verließ, was sie ihm hoch anrechnete.
»Du kommst gerade richtig, Hansen hat Neuigkeiten!«, zwinkerte sie ihm zu.
»Ich fürchte, die müssen warten«, schüttelte er ernst den Kopf.
Bente hob fragend die Augenbrauen.
»Am Alten Schöpfwerk in Keitum wurde eine Leiche gefunden!«
Um das rotweiße Flatterband der Polizeiabsperrung stand ein Dutzend Schafe am Deich und starrte auf die Beamten der KTU in ihren weißen Overalls.
Vor dem Alten Schöpfwerk kniete Flackner neben einer Leiche.
»Moin, Brodersen, ist `n Schietwetter, um sich umzubringen!« Er deutete mit dem Kopf auf den Toten.
»Selbstmord?« Bente schaute sich um. Das Alte Schöpfwerk lag direkt hinterm Deich in Keitum und diente früher zur Entwässerung des Koogs. »Hier ist doch eine Vogelschutzstation, oder?«
Flackner sah auf und zuckte mit den Schultern.
»Ja, eine Vogelwarte und ein kleines Museum«, erklärte Heike, die ihren Blick von dem Leichnam des Mannes abwandte. Der Anblick eines Toten bereitete ihr immer noch Übelkeit. »Hier ist auch einer der Ausgangspunkte für Wattwanderungen.« Bente nickte. »Wer hat die Leiche gefunden?«
»Ich kümmere mich darum«, versicherte Heike schnell und ging zu den Streifenbeamten.
»Kannst du schon was Konkretes zum Todeszeitpunkt sagen?« Bente drehte sich zu Flackner um und sah auf den jungen Mann, der erschossen vor ihr lag. Er konnte kaum älter als fünfundzwanzig sein.
»Anhand der Leichenstarre würde ich zwischen Mitternacht und 3 Uhr morgens sagen, Genaueres nach der Obduktion.«
»Ist das die Waffe?«
»Anzunehmen!« Flackner beförderte die Pistole in einen Plastikbeutel.
»Sieht alt aus.« Bente griff nach dem Beutel und schaute sich die Pistole an. Der eingravierte Schriftzug Luger war trotz der Verschmutzungen durch die feuchte Erde deutlich zu erkennen.
»Ja, wurde im Zweiten oder sogar Ersten Weltkrieg ausgegeben.« Flackner sprach mit Bente, ohne sie anzusehen. Er konzentrierte sich auf die Eintrittsstelle der Kugel an der linken Schläfe. Die Verbrennungen wiesen darauf hin, dass der Lauf der Waffe direkt an der Schläfe angesetzt worden war.
Das Blut war geronnen, aber der Regen hatte es auf Kragen und Schultern des Hemdes verteilt.
Nachdenklich sah Bente auf Jacke und Jeans des Toten. Ihr Blick wanderte zu den Füßen. »Sneakers?«
Flackner brummte bestätigend.
»Sonst noch irgendwas?«
»Augenscheinlich nicht, aber ich werde mehr wissen, wenn er bei mir auf dem Tisch liegt.«
Auf dem asphaltierten Weg fuhr der Leichenwagen der Pathologie langsam heran. Zwei Kollegen der KTU zogen einen schmucklosen Aluminiumsarg heraus und trugen ihn zu dem Leichnam.
Bente stieg die Stufen zum Deich hoch und drehte sich einmal um die eigene Achse, als Heike zu ihr kam.
»Ein Mitarbeiter der Vogelwarte, Hauke Jensen, hat den Toten gefunden. Er wartet dort hinten.« Sie zeigte auf einen Mann, der unter dem Vordach des Alten Schöpfwerks stand.
»Ist er okay?«
»Macht einen gefassten Eindruck«, nickte Heike.
Bente ging zu dem Mann in gelbem Friesennerz und grünen Gummistiefeln. »Hauptkommissarin Brodersen, ich kann mir vorstellen, wie Sie sich gerade fühlen«, begrüßte sie ihn.
»Es gibt schönere Anblicke, um in den Tag zu starten«, antwortete er. »Als ich ihn dort liegen sah, bin ich sofort hingeeilt, aber Hilfe brauchte er keine mehr.«
»Haben Sie irgendjemanden bemerkt?«
»Sie meinen, außer den Toten?«
»Ja.«
Er schüttelte den Kopf. »Der arme Kerl. Hat sich das richtige Wetter ausgesucht.«
»Wieso?« Bente horchte auf.
»Naja, drückt bei vielen auf die Stimmung, so´n Wetter«, erklärte er lapidar.
»Haben Sie den Toten schon mal hier gesehen?«
»Nee, aber ich merke mir auch nicht die Gesichter der ganzen Touristen.«
»Sind Sie immer so früh hier?«
»In der Morgendämmerung sind die meisten Vogelarten aktiv. Zur Zeit haben wir eine kleine Kolonie Basstölpel, die hier durchzieht.« Seine Stimme nahm einen warmen Klang an, offensichtlich liebte er seine Arbeit. Bente wusste nichts über Basstölpel und hatte kein Bild dieser Vögel vor Augen. Sie gab ihm ihre Karte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte.«
Als sie ging, sah sie sich noch einmal nachdenklich um. Irgendetwas stimmte nicht! Grübelnd blickte sie in den wolkenverhangenen, grauen Himmel und plötzlich fiel ihr auf, was fehlte.
»Ist das Ihr Fahrrad?«, rief sie Hauke Jensen zu, der nickte.
Auf dem Weg zurück zum Bulli fragte Heike: »Was ist mit seinem Fahrrad?«
Bente hob den Arm über den Kopf und beschrieb mit der Hand einen großen Kreis. »Nichts als Deich und Marschland, soweit das Auge reicht.« Sie öffnete auf ihrem Handy die App von Google Maps und hielt Heike ihren Standort vor die Nase. »Hier sind wir, Archsum und Morsum sind jeweils gut zwei Kilometer entfernt.«
»Natürlich!«, fiel bei Heike der Groschen. »Wie ist er hergekommen? Es steht kein Auto hier und das Fahrrad gehört dem Vogelwart.«
»Genau!«, nickte Bente. »Die Frage ist, ob jemand, der Selbstmord begehen will, ein paar Kilometer zu Fuß durch strömenden Regen spaziert, um sich hier am Deich zu erschießen!«
»Vielleicht hatte dieser Ort eine besondere Bedeutung für ihn?«
»Möglich, aber eigenartig, dass er diesen Spaziergang auf sich nimmt«, murmelte Bente.
»Oder er brauchte den Gang durch den Regen, um letzte Zweifel an seinem Vorhaben auszuräumen?«
Bente zuckte mit den Achseln und setzte sich hinter das Lenkrad ihres Bullis. »Wer weiß schon, was in einem Selbstmörder vor sich geht?«, brummte sie vor sich hin.
»Ich weiß einfach, dass ihr etwas Schlimmes passiert ist!«, rief Sandra Rossberg aufgebracht. Der Beamte in der Wache versuchte, die junge Frau zu beruhigen. »Ich nehme die Personalien auf und dann werden wir die Krankenhäuser und Ärzte abfragen, ob es einen Notfall gab. Könnte es sein, dass Ihre Freundin kurzfristig verreist ist?«
»Mel würde nie wegfahren, ohne mir etwas zu sagen! Es sind jetzt drei Tage ohne ein Zeichen von ihr, nicht mal eine WhatsApp!«
»Mel steht für ...?«
»Melanie, Melanie Reiterer, wir teilen uns ein Apartment und jobben beide bei Gosch in List.«
»Haben Sie ein Foto von ihr?«
Sie kramte ihr Handy hervor und wischte über das Display. »Hier, das ist ihr Instagramprofil!«
Der Polizist sah auf das Porträt einer hübschen, blonden Frau und notierte die Personalien.
»Geben Sie mir bitte Bescheid, wenn Sie sie finden!«, bat Sandra Rossberg mit zittriger Stimme.
»Tut mir leid, aber Sie sind keine Angehörige ...«
Sandra stöhnte fassungslos auf. »Suchen Sie sie einfach, ich habe wirklich ein ungutes Gefühl!«
»Wie gesagt, wir werden uns nach ihr erkundigen, aber wir können Ihre Freundin nicht suchen.«
»Wieso nicht?«
»Weil sie volljährig ist und sich frei bewegen kann, ohne sich bei Ihnen abzumelden.«
»Und was ist mit ihrem Job? Auch da hat sie nicht Bescheid gesagt oder sich krankgemeldet. Sie hat auch keine Sachen mitgenommen, also weder Klamotten noch Kosmetika, das passt doch nicht zu einem Kurztrip!«
Der Beamte nickte bedächtig mit dem Kopf. »Machen Sie sich keine Sorgen, bestimmt geht es Ihrer Freundin gut und sie kommt demnächst um ein Abenteuer reicher zurück!«
In Sandras Ohren klang diese Beschwichtigung nach Polizeischule. Unzufrieden mit dem Ergebnis verließ sie die Polizeiwache und wählte auf dem Parkplatz Mels Nummer. Sofort sprang die Mailbox an. Sie stürmte zurück in die Wache und legte dem Beamten ihr Handy auf den Tresen. »Mittlerweile ist ihr Handy aus!«, rief sie aufgebracht.
»Ich verstehe Ihre Sorge, aber es ist nicht verboten, sein Handy auszustellen.«
»Wollen Sie mich nicht verstehen?«, schrie sie hysterisch. »Ihr ist etwas passiert!« Schluchzend sank sie auf einen der Stühle im Wartebereich. »Können Sie nicht so eine Handyortung machen?«
»Das ist rechtlich nicht so einfach«, schüttelte er mit ehrlichem Bedauern den Kopf und reichte ihr fürsorglich ein Glas Wasser. »Ich verstehe Ihre Aufregung, aber das klärt sich bestimmt auf.«
Sandra sah ihm in die Augen. »Nein, ich glaube, sie steckt in Schwierigkeiten.«
Erik Willemsen hatte in seinem Büro die aufgebrachte Frauenstimme gehört und trat an den Tresen. Fragend sah er seinen Kollegen an.
»Ihre Mitbewohnerin ist nicht nach Hause gekommen.«
Prüfend las Erik die Notizen und sah dann zu der offensichtlich verzweifelten Sandra Rossberg. Sie hatte das Alter von Bentes Tochter Anka. Die junge Frau tat ihm leid. »Hat Ihre Mitbewohnerin einen Freund?«
»Nein, nicht mehr. Sie hatte einen, bis vor einem halben Jahr.«
»Können Sie mir den Namen des Exfreundes sagen?«
»Tim, weiter weiß ich nicht, aber er wohnt in Tinnum.«
»Gut, ich gebe die Personalien und das Foto an unsere Streifenwagen weiter. Die halten Augen und Ohren offen, versprochen.«
Dankbar nickte sie und zögerte dann für einen Moment. »Da ist noch etwas...« Sandra Rossberg schluckte trocken. Sollte sie den beiden Polizisten davon erzählen? Nein, unmöglich, dann würde es kein Zurück mehr geben.
Erik registrierte ihre Unentschlossenheit und wartete geduldig. Aber dann wischte die junge Frau sich mit dem Handrücken über die Augen und straffte die Schultern. »Ach, es ist nichts, ich bin völlig durcheinander!«
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, trat Erik ans Fenster und beobachtete, wie sie mit ausladenden Gesten telefonierte. Sie schien aufgebracht und gleichzeitig verunsichert zu sein, aber er konnte kein Wort verstehen. Dann stieg sie in ein fabrikneues Mini-Cabrio und fuhr rasant davon.
Der Gedanke an den überraschten Gesichtsausdruck sorgte für eine anhaltende Genugtuung. Die im Vorwege aufgekommenen Zweifel waren einer tiefempfundenen Zufriedenheit gewichen. Es hatte sich gelohnt, dem Drang nachzugeben und in die Finsternis der Seele hinabzutauchen.
Die Regenwolken waren von dem Ostwind auf die Nordsee getrieben worden und vereinzelte Sonnenstrahlen bohrten sich durch die Wolkendecke. Einige Möwen stürzten sich auf das Watt. Die Ebbe bescherte den räuberischen Seevögeln einen reich gedeckten Tisch.
Der Blick aus dem bodentiefen Fenster in der Wohnküche hatte eine beruhigende Wirkung, aber die Aufregung ließ sich nicht verdrängen.
Die Schublade des Schreibtisches knarzte wie eine alte, hölzerne Treppenstufe. Als die lederbezogene Schatulle geöffnet wurde, lag eine mit grünem Samt ausgeschlagene Mulde frei. Die Pistole war über die Jahrzehnte in Vergessenheit geraten. Die Schatulle war leer.
In der Dienststelle bearbeiteten Klemme und Timme eine Liste mit Kreditkartendaten. In einem Hotel in Kampen waren die Daten der Gäste gehackt worden. Erst beim Auschecken eines Gastes war dieser Datendiebstahl bemerkt worden, als seine Kreditkarte wegen Überschreitung des Limits von täglich fünftausend Euro bei der Bezahlung der Minibarrechnung abgelehnt worden war.