SYLTKRIMI Wintergrab - Krinke Rehberg - E-Book

SYLTKRIMI Wintergrab E-Book

Krinke Rehberg

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Beschreibung

Das Schicksal kennt kein Weihnachten Hauptkommissarin Bente Brodersen ermittelt mit friesischer Sturheit auf Deutschlands nördlichster Insel. Auf Sylt ist es ungewöhnlich kalt, aber dass gleich zwei Personen innerhalb eines Tages einen Kältetod sterben, kann Hauptkommissarin Bente Brodersen nicht glauben. Was haben eine in den Weihnachtsmarkt gesteuerte Limousine und ein wertvolles Gemälde mit den Leichen zu tun? Die ersten Ermittlungen lassen einen schrecklichen Verdacht aufkommen: Handelt es sich bei dem Täter um einen Serienkiller, der hinter den Türen eines Adventskalenders eine Leiche versteckt? Von besinnlicher Vorweihnachtszeit können Bente und ihr Team jedenfalls nur träumen! Die raue See, der frische Wind und die endlosen Dünen machen SYLT zum idealen Schauplatz der spannenden Küstenkrimis. Jeder Teil der Syltkrimiserie ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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IMPRESSUM
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Epilog
Leseprobe
Prolog
DANKE

KRINKE REHBERG

Wintergrab

IMPRESSUM

© 2023 KRINKE REHBERG

Alle Rechte an Cover/Logo/Text/Idee vorbehalten.

ISBN: 9798862342406

Imprint: Independently published

Covergestaltung: MOTTOM

Bildnachweise: depositphotos.com

Autorenservice at Tomkins – Krinke Rehberg, Am Wald 39, 24229 Strande

Dieser Kriminalroman ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und/oder realen Handlungen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Für Sabine

Sie ist alles in oin!

ACH JA: NIEMAND IST PERFEKT!

Daher bitte ich, eventuelle Rechtschreibfehla zu entschuldigen ...; )

»Das Schicksal kennt kein Weihnachten.«

Prolog

Vor drei Wochen

»Liebling, wir müssen reden. Setz dich doch, ich habe eine Flasche deines Lieblingsweins geöffnet«, empfing Silke Ketelsen ihren Ehemann. Er war durch den Seiteneingang ins Haus gekommen und stellte sich an den Küchentresen. »Wein ist okay«, nickte Richard und warf ihr einen genervten Blick zu. »Ist bei den Mädels alles in Ordnung?«

Silke nickte. Sie waren seit 27 Jahren verheiratet. Die Kinder waren groß und längst ausgezogen. Jule lebte mit Mann und Kind in Stuttgart und Jana zog als Freelancerin um die Welt. »Ja, beiden geht es gut, aber ich bin unglücklich!« Sie hörte das Quengeln in ihrer Stimme und hasste sich dafür. Mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen und fuhr fort: »Ich liebe dich, Richie, aber ich bin einsam. Du lebst seit Jahren in deinem eigenen Universum, ich spiele keine Rolle in deinem Leben.« Ihr Puls beschleunigte sich. Dieses Gespräch war längst überfällig, auch wenn sie Angst vor den Konsequenzen hatte, musste es gesagt werden.

Richard hob den Kopf und zog mit zwei Fingern seinen Scheitel nach. »War´s das oder kommt noch was Wichtiges?«, fragte er kühl.

»Wichtig für mich ist, dass du mich liebst, das weißt du. Aber du entfernst dich immer weiter von mir und dafür muss es einen Grund geben, oder? Du musst mir sagen, was dich an mir stört, nur dann kann ich mich ändern!« Jetzt liefen ihr wieder einmal die Tränen über die Wangen. Sie wischte sie hastig mit dem Handrücken ab. Richard hasste es, wenn sie weinte.

»Du willst einen Grund? Wie viel Zeit hast du? Meine Liste ist lang, aber ich hab Feierabend und genug geredet für heute!« Er nahm sein gefülltes Rotweinglas und wandte sich zur Tür. »Anstrengend, das steht ganz oben auf meiner Liste«, murmelte er im Hinausgehen.

Es war ein Seitenhieb, aber Silke war Schlimmeres gewohnt.

Eilig lief sie hinter ihm her.

»Entschuldige, aber ich spüre doch, dass du mit den Gedanken bei einer anderen bist! Wer ist sie?«, fragte sie entschlossen. Richard betrog sie seit Jahren, aber diesmal war es anders.

Abrupt drehte er sich um und starrte sie kalt an. »Lass es, Silke. Wir haben uns arrangiert, finde dich damit ab und lass mich in Ruhe!«

»Nein, du hast mich nie gefragt!« Ihr Gesichtsausdruck spiegelte Fassungslosigkeit wider.

»Du willst also bestimmen, wie ich zu leben habe?« Seine Worte wirkten bedrohlich.

»Weil wir verheiratet sind!«, rief sie.

»Ja, das sind wir, aber ...« Er sprach vollkommen ruhig, aber sie hörte die unterschwellige Drohung in seinen Worten. Er machte ihr Angst. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen das Gefühl. »Nein, niemals, aber ich will dich zurück und weiß nicht, wie«, schluchzte sie.

Richard trank einen Schluck und seufzte genießerisch. »Beruhige dich, dieses ewige Geheule ist unerträglich. Trink ein Glas, der ist wirklich gut.« Er schwenkte sein Glas vor der Deckenleuchte und erfreute sich am Farbspiel des Weins. Als wäre es ein kostbares, zerbrechliches Schmuckstück, stellte er das Weinglas vorsichtig ab. Dann stützte er die Ellenbogen auf dem Tresen ab und warf ihr einen abschätzigen Blick zu. »Wie lange sind wir jetzt verheiratet?«

Nicht einmal das wusste er, dachte sie verzweifelt.

1

HEUTE

»Der Weihnachtsmann ist eine Erfindung von Coca Cola, also das Kostüm.«

»Du verarschst mich!« Der Fahrer hob den Kopf und strich über den langen, weißen Bart, der mit Gummibändern hinter den Ohren hielt.

Sie saßen in einem weißen Lieferwagen.

Die Scheinwerfer schnitten zwei Schneisen in die Nacht.

»Nee, im Ernst, der Typ hieß Haddon Sundblom und war Werbegrafiker in den Dreißigern.

Er hatte den Auftrag von Coca Cola, einen Weihnachtsmann für eine Werbekampagne zu malen. Seitdem ist der dickbäuchige Santa Claus mit Rentierschlitten und weißem Bart auf

der ganzen Welt bekannt.«

»Woher weißt du sowas?«, brummte der Fahrer.

»Allgemeinbildung«, winkte er ab. »Sundblom malte sein eigenes Spiegelbild, und fertig war der Santa Claus. Wir alle kennen das Gesicht von Haddon Sundblom, ohne zu wissen, dass es seins ist. Ist schon verrückt, oder?«

»Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.«

»Der Weihnachtsmann ist die beliebteste Person bei Kindern und Erwachsenen. Alle lieben ihn, jeder vertraut ihm blind, aber das Kostüm täuscht über den wahren Charakter hinweg. Niemand weiß, wer hinter der Verkleidung steckt.«

»So wie Batman?«

»Nee, Batman hat `ne dunkle Seite, der Weihnachtsmann steht nur für das Gute, Liebe und Frieden und so.«

»Genug davon, konzentrier dich lieber auf das, was uns bevorsteht!«, brummte der Fahrer und starrte hinaus in die Dunkelheit.

2

Etwas stimmte nicht an dem Bild, das die Krippe des Weihnachtsmarktes in der Neuen Mitte Westerlands widerspiegelte.

»Der dritte passt nicht dazu«, flüsterte Heike.

Bente hielt den ersten Punsch dieses Jahres in der Hand. Sie genoss die wärmende Tasse in den Händen und das zimtige Aroma, das ihr in die Nase stieg.

Weihnachten hatte einen ganz eigenen Geruch, der untrennbar mit Kindheitserinnerungen verbunden war.

Der Weihnachtsmarkt in der Neuen Mitte Westerlands sollte dieses Jahr etwas ganz Besonderes werden. Die mächtige Tanne war elf Meter hoch und stand wie ein strahlender Leuchtturm mitten auf dem Platz.

Davor war eine lebensgroße Krippe aufgebaut, die die biblische Szene aus dem Stall zu Bethlehem zeigte.

Alles strahlte, blinkte und funkelte. Oben an einem Laternenpfahl war der übergroße Stern von Bethlehem angebracht. Er beleuchtete die Krippe, als wäre es Vollmond.

»Links von dem kleinen Lämmchen müsste eigentlich Melchior stehen«, erklärte Heike.

Ulrike saß zu Bentes Füßen. Die Labradorhündin trug eine rote Weihnachtsschleife um den Hals. Die hatte Erik ihr umgebunden.

»Melchior darf nicht mehr der schwarze König aus dem Morgenland sein«, seufzte Heike.

Bente nickte. Es hatte eine wochenlange Diskussion in der Sylter Rundschau gegeben, ob es rassistisch wäre, einen schwarzen König im Krippenspiel aufzustellen.

Letzten Endes hatte sich der Pastor der St. Nikolaikirche in Westerland mit seiner Ansicht, dass die Sternendeuter, wie die Heiligen Drei Könige genannt wurden, Könige des Wissens gewesen seien, nicht durchgesetzt. Die Tatsache, dass einer der Heiligen Drei Könige schwarz sei, drückte seiner Meinung nach eine Wertschätzung aus. Sollte Melchior als weißhäutiger König dargestellt werden, könnte gerade diese Abänderung der Überlieferung als rassistisch gedeutet werden.

Die Gemeinde von Westerland beugte sich aber dem Druck der Presse und den lautstarken Protesten, dass das sogenannte Blackfacing nicht zeitgemäß sei. Den Einwand, dass in der Weihnachtskrippe keine verkleideten Menschen auftraten, sondern eine biblische Szene nachgestellt wurde, ließ man nicht gelten.

Am Rednerpult stand die Bürgermeisterin, um den diesjährigen Weihnachtsmarkt feierlich zu eröffnen. Die Sylter warteten gespannt, ob sie noch einmal zu der Diskussion Stellung nehmen würde.

Bente war dieses Themas überdrüssig. Sie wunderte sich, dass dem überhaupt so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Schwarz oder weiß, groß oder klein, dick oder dünn, jung oder alt, all diese äußerlichen Unterschiede zwischen den Menschen sagten nichts über den Charakter aus. Als Kriminalkommissarin hatte sie im Laufe ihrer langjährigen Arbeit festgestellt, dass es keine Schablone gab, in die ein Mörder passte.

Das Funkeln der vielen Lichterketten und bunten Lampions ließ die Gesichter der Heiligen Drei Könige in allen Farben leuchten. Bentes Blick traf den der Bürgermeisterin. Sie nickten sich kurz zu.

»Ich freue mich, diesen Weihnachtsmarkt hier in unserer Neuen Mitte zu eröff ...«, begann die Bürgermeisterin und wurde von der Hupe eines Autos und panischen Schreien unterbrochen.

Sofort gingen Bente die Bilder vom Terroranschlag des Weihnachtsmarktes in Berlin durch den Kopf. Sie hatte gemeinsam mit der Bürgermeisterin an dem Sicherheitskonzept gearbeitet. Nach den Vorgaben des LKA in Kiel waren Poller und Hindernisse aufgebaut worden, die einen Anschlag mit einem Fahrzeug unmöglich machen sollten. Allerdings war ihr klar gewesen, dass es keinen einhundertprozentigen Schutz geben konnte.

Im nächsten Moment prallte eine dunkle Limousine frontal auf einen der dicken Betonpoller, die mit roten Tüchern umspannt waren. Aus dem Kühler stieg weißer Rauch auf.

»Platz und bleib!«, befahl sie ihrer Hündin, die sich prompt hinlegte.

Als Bente am Unfallort eintraf, öffneten zwei Feuerwehrleute und ein herbeigeeilter Polizeibeamter gerade die Fahrertür der Limousine.

Hunderte von Handys waren auf den Wagen gerichtet und filmten die Frau hinter dem Lenkrad. Sie trug ein sexy Weihnachtskostüm und ihr Kopf lag auf dem aufgeplatzten Airbag.

3

Polizei und Feuerwehr sperrten die Unfallstelle ab und drängten die Schaulustigen zurück.

Der herbeigerufene Notarzt und die Rettungssanitäter befreiten die Frau, die lediglich mit einem rotweißen Negligé und einer Weihnachtsmannmütze bekleidet war, aus dem Fahrzeug.

Aus einer Platzwunde am Kopf tropfte Blut auf die helle Haut an Schultern und Oberarmen.

»Sie ist einfach geradeaus gefahren, ohne zu bremsen oder gegenzulenken«, berichtete Heike. Sie hatte bereits die Zeugen befragt, die sich in unmittelbarer Nähe des Unfallortes aufgehalten hatten.

Bente nickte. Die Frau wurde auf einer Trage in den Rettungswagen gebracht.

Neben ihr tauchte die Bürgermeisterin auf. »Ein Unfall?«

»Sieht so aus«, murmelte Bente nachdenklich.

»Gott sei Dank! Nicht auszudenken, was ein Terroranschlag hier auf Sylt für Konsequenzen nach sich ziehen würde.«

Heike bedachte die Bürgermeisterin mit einem stirnrunzelnden Blick, aber Bente winkte ab. »Spekulationen bringen uns nicht weiter. Die Presse wird sich ganz sicher ausgiebig damit befassen.«

Der Weihnachtsmarkt hatte für einige Minuten in einer Art Schockstarre gelegen. Jetzt legte sich die Aufregung und es wurden wieder gebrannte Mandeln, Punsch und Lebkuchen verzehrt. Der Unfall mit der Weihnachtsfrau war ein willkommenes Gesprächsthema.

»Ich werde noch ein paar Worte dazu sagen. Was haben Sie bisher?« Die Bürgermeisterin sah von Bente zur Tribüne mit dem Rednerpult.

»Was sollen wir bisher haben?«, reagierte Bente unwirsch. »Der Wagen ist auf Silke Ketelsen zugelassen, außer der Fahrerin ist niemand verletzt worden. Mehr wissen wir nicht.«

»Aber einen Terroranschlag können wir definitiv ausschließen, richtig?«

Bente nickte zögernd. »Zum jetzigen Zeitpunkt, ja.«

Entschlossen ging die Bürgermeisterin zurück auf die kleine Bühne vor der Krippe und griff nach dem Mikrofon. Sie klopfte ein paar Mal dagegen und sah sich nach einem Mitarbeiter der Tontechnikfirma um.

Bente und Heike verfolgten ihre Bemühungen, noch einmal das Wort zu ergreifen. Es war offensichtlich, dass keiner der Besucher Interesse an einer erneuten Eröffnungsrede zeigte.

Bente konnte das gut verstehen, denn diese feierlichen Eröffnungen waren insbesondere für die Presse, und um Danksagungen an die Sponsoren auszusprechen. Die Bürgermeisterin schien für einen kurzen Moment wütend zu sein, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle, als sie in die Menge ihrer potentiellen Wähler sah. Für die Politikerin bedeutete sogar der Besuch des Weihnachtsmarktes Arbeit.

Bente pfiff und sofort preschte Ulrike durch die Menge zu ihr. »Braves Mädchen«, lobte sie die Hündin und umrundete den schwarzen BMW, bevor sie durch die offene Fahrertür in den Innenraum sah.

»Ob sie betrunken gefahren ist?«, fragte Heike, die die Beifahrertür öffnete und sich in den Wagen beugte.

»Das wird die Blutuntersuchung zeigen«, zuckte Bente mit den Achseln und richtete ihren Blick nach hinten auf die Rückbank. »Hmm«, murmelte sie skeptisch.

»Was?«

»Ausgerechnet als Weihnachtsfrau einen Unfall am Weihnachtsmarkt?«

»Zu jedem anderen Zeitpunkt im Jahr würde ich es seltsam finden, aber nicht zu Weihnachten«, antwortete Heike. »Wann sonst sollte man so ein sexy Weihnachtskostüm anziehen? Ich habe auch schon überlegt, als Weihnachtsfrau zu gehen«, grinste sie.

»Scheint zu laufen mit dir und Birger«, erwiderte Bente süffisant. Heikes Beziehung mit dem dänischen Kommissar hatte sich im letzten Jahr vertieft und sie wusste, dass ihre junge Kollegin ihre Wochenenden meist in Dänemark verbrachte.

»Alles tippitoppi«, nickte Heike. »Birger hat sich jetzt eine Wohnung auf Rømø genommen. Ich fahre oft noch abends mit der Fähre rüber. Über die Weihnachtsfeiertage besuchen wir seine Eltern in Kopenhagen. Da kommen meine Eltern auch für zwei Tage hin.« Sie wedelte augenrollend mit den Armen. »Ist das erste Mal, dass unsere Eltern sich sehen, und das ausgerechnet zu Weihnachten.«

»Klingt, als wäre es ernst«, lächelte Bente und dachte an Erik. Seit sie die kleine Reetdachkate in List bezogen hatten, waren sie so eng zusammengewachsen, wie sie es nicht für möglich gehalten hätte. Sie war sich darüber im Klaren, dass das vor allem Eriks Verdienst war. Seine ruhige, besonnene Art und sein trockener Humor waren die perfekte Ergänzung zu ihrer eigenen, eher schroffen Art. Sie hatte in ihrer Wohnung in Westerland eine Kündigungsfrist abwarten müssen und geplant, sich langsam an das Zusammenwohnen mit Erik zu gewöhnen, indem sie nur jede zweite Nacht mit ihm im neuen Haus verbringen würde. Das war vor zwei Monaten gewesen und bis heute hatte sie keine einzige Nacht in der alten Wohnung verbracht. Die kleine Kate war vom ersten Tag an ihr Zuhause gewesen. »Nichts überstürzen«, bremste Heike ab. »In den letzten eineinhalb Jahren haben wir eine Fernbeziehung geführt, und auch wenn ich in einer dreiviertel Stunde auf Rømø bin, ist es nach wie vor eine Fernbeziehung. Es gibt noch reichlich Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen, bevor es ernst wird.«

Bente antwortete nicht, sondern starrte durch die Heckscheibe des BMW.

»Hindernisse!«, murmelte sie leise.

»Was?«

»Hindernisse, es gibt reichlich Hindernisse.« Bente stellte sich an das Heck des Wagens und sah die Paulstraße hinunter.

»Was meinst du?«, stutzte Heike.

»Komm mit«, sagte Bente und ging Richtung Maybachstraße. Ulrike und Heike trotteten hinter ihr her.

An der Sparkasse blieb Bente stehen und zeigte zurück zum Weihnachtsmarkt. »Siehst du, hier in der Paulstraße stehen schon vereinzelt Buden und alle paar Meter sind Verkehrsberuhigungsinseln mit Bäumen, dazu die Fahrradständer und letztendlich all die Menschen, die zur Neuen Mitte drängen. Es gibt unzählige Hindernisse, aber der Wagen hat jedes Einzelne umfahren. Niemand wurde verletzt und nichts ist zerstört worden. Erst am anderen Ende der Straße ist die Fahrerin auf den Poller geprallt.«

Heike starrte auf die Strecke, die der Wagen zurückgelegt hatte. »Also ist die Weihnachtsfrau doch mit Vorsatz hier reingefahren. Damit ist der Terrorverdacht nicht aus der Welt, oder?«

Bente rieb sich das Kinn. »Keine Ahnung, das sollten wir die Frau fragen.« Sie ging zurück zu dem BMW und wandte sich an Heike: »Die Kollegen von der Kriminaltechnik sollen sich das ansehen. Ich will wissen, wie schnell der Wagen beim Aufprall war.«

»Wenn die Frau die Halterin des Wagens ist, lebt sie laut der Personenabfrage mit ihrem Ehemann Richard Ketelsen in Kampen. Sie haben Zweitwohnsitze in Hamburg und auf Mallorca.« Heike las die Angaben vom Handydisplay ab. »Ich schicke eine Streife zu der Adresse.«

Bente nickte. »Okay, dann fahren wir mal ins Krankenhaus und hören uns an, was die Weihnachtsfrau uns zu sagen hat.«

»Wie eine Terroristin sah sie nicht aus« Heike kniff die Augenbrauen zusammen.

»Ach? Woran erkennst du denn einen Terroristen?«

Heike schüttelte den Kopf.

»Sag jetzt nicht Kopftuch oder Flüchtling«, zischte Bente.

»Nein, das meinte ich nicht!«

»Bankräuber tarnen sich als Kunden, aber nicht alle Kunden sind Bankräuber. Terroristen tarnen sich als Flüchtlinge, deswegen sind nicht alle Flücht...«

»Ich weiß, Bente!«, rief Heike ungehalten.

»Schon gut«, lenkte Bente ein und beugte sich in den Innenraum des BMW, um mit der Handytaschenlampe den Fußraum und den Bereich unter den Sitzen auszuleuchten. Umständlich zog sie aus einer der Taschen ihrer gefütterten Cargohose ein Paar Latexhandschuhe, streifte sie über und griff unter den Fahrsitz. Sie beförderte eine einzelne Sandale hervor. »Also doch nicht barfuß unterwegs gewesen«, sagte sie und reichte den Schuh über der Schulter zu Heike, die hinter ihr war.

Heike nahm den Schuh nicht an. Sie tippte Bente auf die Schulter. »Äh, das solltest du dir ansehen. Da stimmt was nicht!«

4

In den Dünen von Wenningstedt lag die Nordseeklinik. Die Eingangshalle war weihnachtlich geschmückt und ein Arzt erwartete die Kommissarinnen an der Information.

»Dr. Prange, ich bin der behandelnde Arzt von Silke Ketelsen. Zur Zeit ist sie nicht ansprechbar«, erklärte er. »Ich habe ihr ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht.«

»Stand Sie unter Alkoholeinfluss?«, fragte Heike.

»Die Blutprobe zeigt 0,1 Promille, das kann ein Glas Wein vor ein paar Stunden gewesen sein. Ich würde nicht sagen, dass ihre Reaktionen davon beeinträchtigt waren.«

»Haben Sie mit ihr sprechen können, hat sie irgendetwas gesagt?«, hakte Bente nach.

»Sie konnte ihren Namen angeben, aber zu dem Unfallhergang hat sie sich nicht geäußert.«

»Welche Art von Verletzungen hat sie davongetragen?«

»Da kommen wir zu dem Punkt, den ich mit Ihnen besprechen wollte«, sagte Dr. Prange und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Sie weist Verletzungsmuster von häuslicher Gewalt auf. Bei der Untersuchung bin ich auf teils verblasste, teils erst kürzlich entstandene Hämatome an Handgelenken, Schultern und Beinen gestoßen. Außerdem gibt es Würgemale am Hals, die nicht älter als einige Stunden sind.«

Bente und Heike sahen sich erstaunt an.

»Die Platzwunde am Kopf stammt eindeutig vom Aufprall«, fuhr er fort. »Der Airbag hat seine Aufgabe erfüllt, keine Brüche oder Quetschungen, aber ein starkes Schleudertrauma.«

Bente bedankte sich bei dem Arzt und verließ mit Heike das Krankenhaus.

»Haben sich die Kollegen schon gemeldet, die zu ihrer Adresse in Kampen gefahren sind?«

Heike nickte. »Es hat niemand geöffnet. Die Kollegen haben auf der Mailbox vom Ehemann eine Nachricht hinterlassen, dass er sich melden soll.«

»Gut, dann machen wir für heute Feierabend«, murmelte Bente und seufzte. Auf der Sohle der Sandale im Auto war ein Blutfleck, der nicht von der Platzwunde am Kopf kommen konnte. Plötzlich vermisste sie die jahrelange Feierabendroutine, nach der Arbeit mit Ulrike zu Fuß nach Hause zu gehen. Auf diesen Spaziergängen war sie immer den aktuellen Fall durchgegangen, ganz in Ruhe und konzentriert. Jetzt musste sie Heike an der Dienststelle absetzen, und dann hoch nach List fahren. Natürlich könnte sie Heike bitten, den Bulli zu nehmen und selbst am Strand entlang zurück nach Westerland gehen, aber dann würde sie erst in einer guten Stunde zu Hause sein.

»Ich nehm den Bus«, rief Heike, zeigte zur Straße und sprintete los.

Jetzt sah auch Bente den Bus auf der Norderstraße Richtung Westerland herannahen. Der Fahrer bremste und wartete direkt vor der Einfahrt zur Klinik auf Heike, die Sekunden später durch die offene Tür ins Innere sprang und Bente durchs Fenster zuwinkte. Das gab es in der Großstadt nicht, dachte Bente.

»Gut, dann fahren wir direkt nach Hause, mein Mädchen«, raunte sie in Ulrikes Ohr und startete den Motor. Es war wenig Verkehr, sie würde in einer Viertelstunde in List sein.

Als sie durch Kampen fuhr, atmete sie tief ein. Sie freute sich auf die gemütlichen Stunden in der Kate und würde vor dem Essen eine Runde durch die Dünen drehen.

Erik hatte Nachtschicht, das war in den letzten Monaten selten vorgekommen. Sie hatten nach und nach die Zimmer der kleinen Kate renoviert und es war schön gewesen, jeden Abend einen Fortschritt der Arbeiten zu sehen. Jetzt war schon lange alles fertig, aber Erik war nicht zurückgekehrt zu seinen alten Gewohnheiten. Vor dem Umzug hatte er gern die Nachtschichten übernommen, sich abends mit Freunden getroffen oder auch einen Urlaub oder ein Wochenende mit ihnen verbracht.

Bente bremste den Bulli Höhe Vogelkoje ab, die Straße war zu beiden Seiten bewaldet und sie wusste, dass es ein beliebter Übergang für das Rehwild war. Tammo Hansen, ihr Vorgänger bei der Kripo Sylt, hatte ihr erzählt, dass erst vor ein paar Jahren die ersten Rehe über den Hindenburgdamm den Weg auf die Insel gefunden hatten. Im Schritttempo legte sie die knapp zweihundert Meter zurück und beschleunigte erst wieder, als rechts die Nordsee und links die Dünenlandschaft lagen. In der Dunkelheit hob sich der angestrahlte Klinkerbau des Leuchtturms mit dem grünen Dach deutlich vom Himmel ab. Der Weg dorthin war von Laternen gesäumt und als das Leuchtfeuer erstrahlte, erinnerte der Anblick Bente an einen feuerspeienden Drachen, der an einer leuchtenden Kette hing.

Dieses Bild genoss sie jeden Abend auf der Fahrt nach Hause. Es war erst wenige Jahre her, dass sie sich auf die freie Stelle als Dienststellenleiterin der Kripo auf Sylt beworben hatte. Die nördlichste Insel Deutschlands war zu ihrer Heimat geworden. Die Beziehung mit Erik fühlte sich gut an und auch zu ihrer Tochter Anka war das Verhältnis besser geworden. Es war, als würde sich in der zweiten Lebenshälfte alles zum Guten wenden. Ihre einst schroffe Art hatte sie größtenteils abgelegt, langsam und unbewusst war sie sozialverträglich geworden, wie Anka es ausdrückte. »Das war wohl eine zweite Pubertät, nur länger«, waren ihre Worte gewesen. Bente schmunzelte amüsiert bei dem Gedanken an Ankas Gesichtsausdruck bei diesem Gespräch. Es war ein Rollentausch gewesen, wie sie es früher manchmal gespielt hatten. Anka hatte die Mutterrolle eingenommen und sie selbst die des trotzigen Kindes.

Fest stand, dass sie sich verändert hatte. Als alleinerziehende Mutter waren Arbeit und Kind ihr Alltag gewesen, sie hatte sich hinter einer Mauer aus Distanziertheit verschanzt und keine eigenen Bedürfnisse zugelassen.

Bente bog in die Einfahrt zu der alten Kate im Süderhörn ein und hörte die Reifen auf dem groben Kies knirschen. Sie ließ Ulrike heraus, setzte sich die Mütze auf und ging durch den Garten direkt in die Dünen. Tief inhalierte sie die kalte, salzige Nachtluft. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und sie folgte der Hündin auf dem ausgetretenen Pfad. Zur Brutzeit im Frühjahr würde sie sie anleinen müssen, um die brütenden Vögel nicht zu stören.

Der Geruch des Watts drang in ihre Nase und die Brandung am Weststrand war zu hören. Sie verharrte für einen Moment und nahm sich vor, mit Erik zu reden. Heute war ihr bewusst geworden, dass es ihr schwerfiel, sich auf der Fahrt nach List auf einen Fall zu konzentrieren. Und mit dem Aufschließen der Haustür schaltete sie ab, das hatte sie gelernt und das wollte sie auch nicht ändern. Es war wichtig, Privatleben und Arbeit zu trennen, davon war sie nach wie vor überzeugt.

Sie brauchte die Spaziergänge mit Ulrike, um ihrem kriminalistischen Gespür nachgehen zu können. Allein, ohne Erik. Sie lächelte. Er würde das verstehen.

---ENDE DER LESEPROBE---