Symbolismus und Jugendstil -  - E-Book

Symbolismus und Jugendstil E-Book

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Beschreibung

„Krisenbewusstsein, Verfeinerung sinnlichen Handelns und die Erneuerung des Lebens in Schönheit“ beschreibt zusammengefasst den Inhalt dieser Dokumentation, die von anerkannten Kunsthistorikern zusammen gestellt wurde. Am Beispiel von über 70 Farbabbildungen und Kurzbiografien der im Bildteil vorgestellten Künstler wird diese faszinierende Kunstgattung ausführlich behandelt.

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BILDKUNST

SYMBOLISMUS und JUGENDSTIL

 

 

 

 

 

 

TABLET ART

Inhalt

Cover

Titel

Bildkunst des 20. Jahrhunderts

Farbtafeln und Bildinterpretationen

Vielfalt der stilkünstlerischen Ansätze um 1900

Verfahren der Bildorganisation in Symbolismus und Jugendstil

Optischer Widerstand und Mehrdeutigkeit

Offene Kompositionsweise und Bevorzugung des Stofflichen

Relationale Bezüge statt attributiver Detailtreue

Ideengeschichtlicher Hintergrund, gesellschaftlich-soziales Umfeld und Rezeption der Bildkunst um 1900

Krisenstimmung und Reformbestrebung

Zusammenschau theoretischer und praktischer Aktivitäten des Jahres 1893

Stilkunst als Erneuerung des Lebensstils

Künstlerische gegen technische Kommunikation

Anmerkungen zum Einführungstext

Nachweis der Zitate zu den Farbtafeln

Literaturhinweise

Kurzbiografien der vorgestellten Maler

Impressum

Bildkunst des 20. Jahrhunderts

mit 73 Farbtafeln der Maler

Beardsley

Kupka

Rossetti

Bernard

Lechter

Schiele

Blake

Leistikow

Schmithals

Böcklin

Mackintosh

Segantini

Bonnard

Marées

Sérusier

Burne-Jones

Maillol

Strathmann

Crane

Matisse

Stuck

Denis

Mehoffer

Thorn Prikker

Gallén-Kallela

Millais

Toorop

Gauguin

Moreau

Vallotton

van Gogh

Morris

Van de Velde

Hodler

Mucha

Vogeler

Hofmann

Munch

Vuillard

Kandinsky

Petrow-Wodkin

Whistler

Khnopff

Puvis de Chavannes

Watts

Klimt

Ranson

Wrubel

Klinger

Redon

Farbtafeln und Bildinterpretationen

Zuerst verstreut veröffentlicht in bibliophilen Zeitschriften, wie der „Insel“, dem „Amethyst“, dem „Hyperion“ oder den „Opalen“, erregten die Arbeiten des früh verstorbenen Engländers Beardsley auch in Deutschland nicht geringes Aufsehen, so dass seine geschlossenen Illustrationsfolgen, z. B. zu Oscar Wildes „Salome“ (1896), Alexander Popes „Lockenraub“ (1896/97), und seine nachgelassenen Zeichnungen zu Ben Jonsons „Volpone“ (1896) auch hier in Buchausgaben erschienen. Seine in England verpönten, zupackend-frechen, satirisch-erotischen Illustrationen zur „Lysistrata“ des Aristophanes zirkulierten In deutschen Verehrerkreisen.

Eine ganze Generation begabter Zeichner bis hin zu Bühnenbildnern geriet in den Sog des Engländers, in Deutschland insbesondere 0. Eckmann, Th. Th. Heine, Alastair und nicht zuletzt K. Vogeler (→ Bild 69). Beardsley hat die Sentenz seines Landsmanns Wilde, dessen in vielen Fazetten schillernde Dichtung er besonders schätzte, wörtlich genommen: „Tugend und Laster sind dem Künstler das Material für sein Kunstwerk“; Beardsleys künstlerische Mittel dagegen sind die Linie, der scharfe Umriss und die Fläche.

Zum Thema der hl. Rosa von Lima heißt es in einem Novellenfragment „Unter dem Hügel. Eine romantische Erzählung“ (von Rudolf Alexander Schröder ins Deutsche übersetzt) des doppelbegabten Künstlers: Santa Rosa, die berühmte peruanische Jungfrau; wie sie sich einer ewigen Jungfrauenschaft weihte, als sie vier Jahre alt war (…) und am Hochzeitsmorgen (…) auf einen kleinen Hügel nicht sehr weit außerhalb der Mauern von Lima ging, wie sie da niederkniete und einige Augenblicke zärtlich den Namen Unserer Frau anrief und wie die heilige Maria herniederkam und Rosa auf die Stirn küßte und sie schnell in den Himmel entführte.“

1 Aubrey Beardsley Die hl. Rosa von Lima, 1896 Farblithografie, 23,1 x 16 cm

Die Gestaltung des Isolde-Themas spricht bei dem großen Wagner-Verehrer für sich. Isolde glaubt den Todestrank zu nehmen, der aber ein Liebestrank ist. Dem Künstler geht es bezeichnenderweise nicht etwa um eine Szene des musikalischen Dramas, sondern einzig und allein um die Frauengestalt. Dargestellt ist denn auch lediglich eine Frau in reichen Kleidern, die einen Becher zum Mund führt. Erst durch die Bildinschrift wird diese Darstellung zum Isolde-Bild.

Statt eines anatomischen Gesamtplans, statt „Richtigkeit“ der Körperzeichnung werden bloß anatomische Anhaltspunkte, wie Gesicht, Hände oder Füße, gegeben; statt plastischer Durchbildung der Figuren, Gewänder oder anderer Accessoires bestimmt der Wechsel von Linienstück und Flächenteil das Bild. Dieses im Sinne jeder realistischen Zeichnung als mangelhaft anzusehende Vorgehen wird von Beardsley zum künstlerischen Organisationsprinzip seiner Arbeiten verfeinert. Peinlich ist er darauf bedacht, jeden individuell-spontanen Duktus des Linienzugs zu vermeiden, indem erden Salinen, Linien und Linienbündeln ein wie aus Dralit gestanztes und den mit dem Lineal gezogenen Geraden ein wie aus technischen Zeichnungen stammendes Aussehen gibt. Diese technische Schärfe und exakte Gleichmäßigkeit der Linie hatte schon William Blake (→ Bild 4) gefordert. Neben dieser realistische Gesichtspunkte außer acht lassenden und damit alltägliche Wahrnehmungsmuster in Frage ziehenden künstlerischen Absicht sehen wir den Aspekt des zeichnerischen Herstellens des Bildes dort hervorgehoben, wo die Entwicklung der Linie aus ihrem Grundelement, dem Punkt, immer wieder vorgeführt wird.

2 Aubrey Beardsley Isolde, um 1895 Farblithografie, 24,8 x 15 cm Aus: „The Studio“, London 1896

Drapierung und Kostümierung sind je nach Sichtweise von durch Linien gegliederten und organisierten Flächenteilen bestimmt oder durch Flächenteile, die das in den Binnenformen oft haarfeine Lineament betonen. Dabei wird im Prozess des Zeichnens von allen zufälligen Merkmalen, z.B. auf Gesicht oder Kleidung, abgesehen, und zwar so, als ob verschiedene Figuren so lange übereinandergezeichnet wurden, bis das Ergebnis ein typischeres Bild liefert als jede einzelne Zeichnung für sich genommen. Die von wie auf Perlschnüren aneinandergereihten Punkten, Linien und Linienzügen umschlossenen Flächen, die Bewegungs-, Haltungs- und Zustandstypen kennzeichnen, führen zu dekorativen Stilisierungen und zugleich zu unregelmäßiger Flächenornamentik, bei der oft große leere Flächen gegen zeichnerische Fülle ausgespielt werden, unterstützt durch Waagerecht-Senkrecht-Orientierung in gestreckten Hochformaten. Trotz seiner langzügigen, manchmal nahezu musikalischen Linienrhythmen und der genüßlichen Betonung ihrer kalligrafischen Werte wendet sich der Künstler von konkreter Darstellung nicht etwa ab zugunsten der Vielfalt nicht unterschiedener freier Ornamentformen. Im Gegenteil: Beardsleys zeichnerische Klasse und sein künstlerisches Engagement liegen darin, dass er statt Kostümpose ohne Anatomie gerade besondere Teile der menschlichen Anatomie betonende Kostümierungen entwirft, die je nach Einstellung des Betrachters den Sachverhalt des Nackt-Bekleideten bzw. Bekleidet-Nackten entweder reich drapieren und damit verbrämen oder offenkundig machen. Diese Möglichkeit des „Umkippens“ der Bildinformation weist ihn nicht zuletzt aus als subtilen Demaskierer der Fin-de-siècle-Gesellschaft, speziell ihrer Einstellung zur Frau.

3 Emile Bernard Madeleine im „Bois d’Amour“ 1888, Öl/Lwd. 138 X 163 cm Paris, SIg. C. Altarriba

Mit seiner theoretischen und zugleich künstlerisch-praktischen Begabung ist Emile Bernard durchaus als Kopf der Künstlergruppe im bretonischen Dorf Pont-Aven zu bezeichnen, zu der für längere oder kürzere Zeit P. Gauguin (→ Bild 14 bis → Bild 16), Gh. Filiger, Ch. Laval, L. Anquetin, P. Seguin und P. Sérusier (→ Bild 55,→ Bild 56) gehörten. Bernards Malerei muss mit der Gauguins zum Höhepunkt symbolistischer Bildkunst gerechnet werden, sie liefert allerdings auch eine wesentliche Grundlage für die Jugendstilmalerei.

Unser Beispiel stellt die Schwester des Künstlers dar; siebzehnjährig kam sie 1888 nach Pont-Aven, wo auch Gauguin sie malte.

Groß-wie Kleingliederung des Bildes drängen die realistisch-illusionistische Raumdarstellung zurück sowie jede plastische Durchbildung der Bildgegenstände, einmal durch Einteilung der gesamten Bildfläche in plane, von unten nach oben waagerecht aufgeschichtete Zonen, die im wesentlichen den dargestellten Gegenständen entsprechen: Waldrand, darüber die über die ganze Breite des Bildes gelagerte Figur, dann ein Waldstück mit Baumstämmen, eine schmale Wasserzone und ein Grünstreifen. Zum anderen werden innerhalb dieser flächengerechten Aufschichtung im wesentlichen ungeschwächte Farben mit Hilfe eines farbtrennenden Konturs zu verschieden großen Farbformen angeordnet. Diesen oft schwarz- bzw. blaufarbigen Kontur, der die einzelnen Farbformen umschließt, gleichzeitig innerhalb des durch ihn bestimmten Bildaufbaus einen allseitigen Kontakt der Bildelemente untereinander herstellt, arbeitete Bernard mit Anquetin 1887 zum cloisonnistischen Verfahren aus, das Gauguin aufgriff und berühmt machte.

Als Begründer des Pont-Aven-Stils entwickelte Bernard damit für die von Moreau (→ Bild 38, → Bild 39; vgl. Kapitel Relationale Bezüge statt attributive Detailtreue.) eingeleitete beziehungsreiche Darstellungsweise ein eigenes künstlerisches Verfahren, das er als neue Bildnorm setzte.

4 William Blake Illustration zum allegorischen Gedicht „The Four Zoas“ Aquarellierte Federzeichnung, Privatsammlung

Schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts erlangen Kräfte des irrationalen Seelenlebens überwältigende Stärke; ausgehend vom Humanitätsideal der Aufklärung, werden die Schranken des bloß rationalen Denkens geöffnet, indem man bereit ist, den Menschen in seiner Ganzheit aus Erleben, Fühlen, Denken und Handeln zu sehen. Es erhebt sich ein gärender Gefühlssturm gegen das „tintenklecksende Säkulum“ (Schiller).

Ohne den Grafiker, Maler, Dichter, Mystiker und Visionär, den Engländer William Blake gleich zum Symbolisten machen zu wollen, hat er, ein künstlerischer Exponent dieser Umwälzung, zusammen mit dem Schweizer Maler Johann Heinrich Füssli (1741-1825), der seit 1764 in England lebte und arbeitete, das größte Anrecht darauf, als Vorläufer symbolischer Kunst angesehen zu werden.

Wie das hier gewählte Beispiel anschaulich macht, gerade weil es thematisch durchaus konventionell ist, liegt Blakes Vorläuferschaft darin begründet, dass er nicht mehr die sichtbare Welt in Ausschnitten oder die mythologisch-iiterarische als sichtbare darstellen möchte, sondern dass er das Konzept verfolgt, die unsichtbare und ungreifbare Welt des Geistes und der Seele ins Bild zu holen. Damit sieht er sich als Künstler vor das Problem gestellt, die den alltäglich eingeübten Seh- und Darstellungsgewohnheiten verpflichteten Verfahren der Bildorganisation zu unterlaufen und umzupolen. Denn der sinnliche Wahrnehmungsakt hat für Blake seine Vorherrschaft eingebüßt: „Ich sehe nicht mit dem Auge, sondern durch das Auge.“ Doch wie kann es gelingen, mit sichtbaren und greifbaren „äußeren“ Mitteln der Malerei Unsichtbares und Ungreifbares zu gestalten?

Blake, der die künstlerisch-schöpferische Tätigkeit insofern radikalisierte, als er sie als wichtigsten Teil seines individuellen Lebensvollzugs verstand, verzichtet auf realistische Dingschilderung, auf attributive Verschönung der Bildgegenstände; er setzt die Farbe weder idealisierend noch als sinnlichen Reiz ein. Dies bringt ihn zu einem brauchbaren Verfahren, das es Ihm erlaubt, eine einheitliche Bildgestalt zu erzeugen, die an der „Wahrheit der Natur“ nicht mehr gemessen werden kann.

Die Wirksamkeit seines Verfahrens zeichnet sich durch aperspektivische Raumgefüge aus, die nacn Belieben verschoben werden können, so dass es oftmals zu einem örtlichen Irgendwo der Bildgegenstände kommt. Dem Betrachter wird durch diese bildkünstlerischen Maßnahmen die Möglichkeit der unmittelbaren Identifikation mit der körperlichen wie örtlichen Realität der Figuren genommen, d.h., die vertraute Illusion eines physischen Lebensraums im Bild wird zugunsten eines bildeigenen Flächenraums aufgegeben. Dort ist dann die Linie als Umriss und als Begrenzung der Binnenformen vorherrschend. Erst in diesem bildeigenen Flächenraum kann der Künstler damit rechnen, dass der Betrachter Verzeichnungen der Anatomie und Verzerrungen der Physiognomie hinnimmt und allmählich lernt, ihre Zeichenhaftigkeit zu verstehen.

Wirkung und Nachleben der Malerei Böcklins sind für die Stilkunst um 1900 ebenso bezeichnend wie einzigartig. Denn der Künstler, dessen Ziel es war, „den Geist mehrerer Künste in einer zu umfassen und auszudrükken“ (R. Much), vermittelt zum einen die Richtung der Kunst, die, den Entwicklungsstrang französischer Impressionismus und Cézanne auslassend, von der Spätromantik über Symbolismus und Jugendstil zum Surrealismus des 20. Jahrhunderts führt. Der die Kunstgattungen übergreifende Charakter Böcklinscher Malerei ist zum andern In den poetischen, malerischen und musikalischen Momenten ihrer Wirkungsweise überraschend zu belegen. In Hofmannsthals „Idylle“ (1893) beginnt die Anweisung: „Der Schauplatz im Böcklinschen Stil“, in Rilkes „Die weiße Fürstin“ (1898) ist Böcklins „Villa am Meer“ (1878) der Schauplatz, von dem Expressionisten Nolde sind „Böcklin-Studien“ (1899) erhalten, 1913 komponierte Reger seine „Böcklin-Suite“. Wie populär die Malerei des Schweizers war, zeigt der Hinweis Max Halbes: „Zwischen 1885 und 1900 durften in keinem guten Bürgerhaus die Reproduktionen Böcklinscher Bilder, die Toteninsel, Das Schloß am Meer, Der Frühlingstag… fehlen.“

Themen, meistens im Atelier gemalt, sind Villen und Tempel, das Meer mit seinen Phantasie und Mythologie entstammenden Bewohnern, Ruinen mit Zypressen und schwarzen Vögeln, heitere wie trauernde Gestalten unter schlanken Birken und Pappeln, oft symbolisch befrachtete (Selbst-)Porträts - frei kombinierte Bildzusammenhänge aus Teilen der uns vom alltäglichen Umgang, aus Literatur und Bildkunst nicht unvertrauten Welt. Anfänglich kleinfigurige antikische Staffage wird zu bildeigenen. oftmals monumentalen Figuren verselbständigt, die es am ehesten zu gestatten scheinen, „von der langwelligen Erde loszukommen“ (Böcklin), indem sie griechische Götter, Nymphen, Pane, Faune, Tritonen, Kentauren präsentieren, die als von außen auf Natur und Menschen zugleich wirkende Kräfte verstanden werden sollen.

5 Arnold Böcklin Die Toteninsel, 1880 Tempera/Lwd., 111 x 155 cm Basel, Kunstmuseum

Doch Böcklin, den man mit einigem Recht den Richard Wagner der Malerei nennen könnte, hat nicht nur Themen einer märchenhaft-mythologischen Welt berühmt und populär gemacht, er war insbesondere ein „Pionier der Maltechnik“ (Wehlte); er prägt die koloristischen Versuche des 20. Jahrhunderts wesentlich mit. Eine Standortbestimmung dieser von der Kritik hymnisch gefeierten und zugleich giftig abgelehnten Malerei, skizziert an einer der fünf eigenhändigen Fassungen seiner berühmten „Toteninsel“ und dem „Selbstbildnis mit fiedelndem Tod“, hat es an erster Stelle mit dem Thema Farbe zu tun, einmal hinsichtlich der Wahl des Farbmaterials (Pigment, Bindemittel), dann vor allem, wie die Malfarbe für den Aufbau des Werks verwendet wird, so dass sie für die heiter-getragene, elegisch-melancholische oder nächtlich-düstere Grundstimmung der Bilder herangezogen werden kann. Der Maler sucht schon jede Vorzeichnung zu vermeiden, die Konturierung und Abgrenzung der Farbpartien begünstigen könnte; ebenso wird auf sichtbare (pastose) Pinselstriche konsequent verzichtet. Vornehmlich hat Böcklin Grau-, Blau- und Braun-(Erd-)Töne im Gebrauch, jeweils sorgfältig vorbereitet durch entsprechende Grundierung der Malfläche. Durch Farbe und Licht wird der Bildzusammenhang so organisiert, dass er nicht auf geometrischen Schemata aufbaut, sondern sich nach „Brennpunkten“ aus Farbe und Licht richtet, z.B. in Dreiergliederung: im „Selbstbildnis“, links unten, vom senkrechten Bildrand überschnitten, Hand und Pinsel; rechts unten, vom waagerechten Bildrand überschnitten, die Palette mit Lappen; oben, in die rechte Bildhälfte gerückt, das Gesicht des Malers im leichten Dreiviertelprofil, dazu vom Gesicht überschnittener Totenschädel, Knochenhand, die vom senkrechten Bildrand rechts stark überschnittene, mit nur einer Saite bespannte Geige streichend; in der „Toteninsel“, von links gesehen, in der hellen Zone der Inselfelsen hellgelbe Architekturteile, hellgelbe, aufrecht stehende Gestalt im Boot, helle Zone der Inselfelsen rechts. Wie insbesondere in den Brennpunkten ganz deutlich, folgt der Künstler in seiner Farbgebung nicht alltäglichen Sehgewohnheiten, er möchte vielmehr vorgestellte Farbkombinationen - dominierend ist Kühl (Kalt) - Warm - realisieren. Diese Praxis hat zur Folge, dass - wie für die Bildung farbiger Brennpunkte wichtig - die einseitige Bindung der Farbe an die Bildgegenstände gelockert wird, was ihr einen entmaterialisierten, oft schwebenden Charakter gibt. Entwickelt sich das fahle, teils düstere Graublau in den Zypressen der Bildmitte zur größten Dunkelheit, so wird das Braun der Inselfelsen in den Architekturstücken und der Gestalt im Boot am weitesten aufgehellt. So gesehen greifen die Farben über die Kennzeichnung der Gegenstände und ihr einfaches Zusammensein hinaus und stiften koloristisch-luminaristische Beziehungen zwischen heterogenen Bildelementen und Bildteilen. Diese Farbgebung und Lichtführung veranlasst den Betrachter, selbst wahlweise die verschiedenen Aspekte des Zusammengehörens zu erzeugen. Dieser Appell des Bildes an den Betrachter wird noch unterstützt durch die Tatsache, dass der Maler selbst sein Bild nicht „Toteninser - dieser Titel wurde erst später von einem Kunsthändler erfunden -, sondern eigentlich viel zutreffender ein „Bild zum Träumen“ genannt hat. Dieser Titel zielt nämlich auch entschieden auf die das Gesamtkunstwerk betreffende Kommunikationsabsicht. Böcklin: „Ein Bildwerk soll etwas erzählen und dem Beschauer zu denken geben, ebensogut wie eine Dichtung.“

6 Arnold Böcklin Selbstbildnis mit fiedelndem Tod, 1872 Öl/Lwd., 75 x 61 cm Berlin, Nationalgalerie - Staatl. Museen Preußischer Kulturbesitz

Bonnard, 1889 Mitbegründer der symbolistischen Künstlergruppe „Nabis“, als Lithograf und Entwerfer von Möbeln Bestrebungen der „Revue Blanche“ (vgl. → Bild 64) für eine neue dekorative Kunst (Art Nouveau) nahestehend, ging in Thematik und Anlage seiner Bilder vom Impressionismus aus. Seine Vorliebe galt stillen Szenen in Haus und Garten, was ihn mit Vuillard (→ Bild 70) verbindet. Die Bevorzugung dieser Themen brachte beiden den Namen „Intimisten“ ein. Bonnard verschränkt Betonung des Bildes als Fläche mit zufällig wirkenden Bildausschnitten, einen Betrachter fingierend, der einen flüchtigen Blick auf eine intime Szene genießt. Seine Palette, anfangs gedämpft, entwickelt er zu dekorativ-festlicher Farbigkeit, die dem Impressionismus verpflichtet ist.

7 P. Bonnard Akt mit Lampe um 1912 Öl/Lwd. 75 x 75 cm Bern, Sammlung H. R. Hahnloser

Burne-Jones, dessen Arbeiten große Breitenwirkung auch auf den Kontinent hatten, schuf Gemälde, Entwürfe, Buchholzschnitte und thematisch Zyklen aus dem mythologischen, allegorischen und religiösen Bereich.

Thema des Bildes - es gehört zum Perseus-Zyklus, einer 1875 begonnenen Auftragsarbeit Perseus findet Medusa, enthauptet sie und zeigt dem Träger der Weltkugel, Atlas, der ihm die Gastfreundschaft verweigerte, das Medusenhaupt, um ihn in Stein zu verwandeln. Für Burne-Jones ist typisch, statt der Rachehandlung auf ihrem Höhepunkt, dem Entgegenhalten des Medusenhauptes, den Zustand nach dem vollendeten Geschehen Ins Bild zu bringen. Denn dies erlaubt ihm, die schlanke, klar umrissene Frontalansicht der Atlasfigurin ihrer statuenhaften, in der sanften Aufwärtsbewegung der Arme gipfelnden Körperlineatur zu isolieren. Zu diesem pantomimischen Habitus gehören die weiche Neigung und Drehung des Kopfes ins leichte Dreiviertelprofil, die Haltung der Hände, die mehr bloß ausdrücken als tragen, sowie die Stellung der Füße, deren Kleingliederung wichtiger genommen wird als Ihre Funktion. Der Frontalansicht der nackten Atlasfigur antwortet die Rückenansicht der gepanzert und geflügelt dargestellten Perseus-Gestalt. Als stark akzentuierte vertikale Richtungswerte, im landschaftlichen Hintergrund in diagonale und horizontale Schwünge ausklingend, gliedern beide Figuren die Fläche. Die atmosphärisch gebrochenen Farbabstufungen auf dem vom Künstler bevorzugten Grundton Blau setzen sich über natürliche Farbgebung weitgehend hinweg und helfen mit, einen Bildzusammenhang auf optischen Widerstand (vgl. Kapitel Verfahren der Bildorganisation in Symbolismus und Jugendstil.) hin so zu organisieren, dass die mythologische Szene zwar annähernd ausgemacht werden kann, der Sinn des Bildes sich aber keineswegs darin erschöpft. Es zeigt sich vielmehr ein mit Mythologisch-Literarischem nicht zu verrechnender optischer Überschuss, bei dem das Inhaltliche sich zusehends als Vorwand für das überfeinerte Gemachtsein des Bildes herausstellt, dem mit alltäglichen Erfahrungen nicht beizukommen ist.

8 Edward Burne-Jones Atlas wird in Stein verwandelt undatiert Tempera/Lwd. 152 X 191 cm Southampton Southampton Art Gallery

9 Walter Crane Die Rosse des Neptun 1892, Öl/Lwd. 86 X 215 cm München Bayerische Staatsgemäldesammlungen

9a Walter Crane Ausschnitt aus Abbildung 9

Zusammen mit Kandinsky (→ Bild 21) gehört Crane, der, in der Nachfolge der Präraffaeliten stehend, auch zur Erneuerung des Kunstgewerbes beitrug, zu den „Theoretikern“ der Stilkunst. Seine Bücher, insbesondere „Die Grundlagen der Zeichnung“ (1898) und „Linie und Form“ (1900), beide rasch ins Deutsche übersetzt, zeugen von großer Materialkenntnis, Klarheit der Unterscheidungen und didaktischem Geschick.

Über die ganze Breite des überschlanken Querformats der „Rosse des Neptun“ erstreckt sich in breiter Diagonale eine sich aufbäumende Welle, die statt in Schaumkronen in riesige Schimmel mit Schwimmflossen übergeht. Am Bildrand oben links und rechts wird der Unterschied zwischen Schaumkronen und Pferdeköpfen zum Umkippen gebracht. Durch die vehemente Wellenbewegung der in großem Sprung ins Bild kommenden Tierkörper erreicht der Künstler die animalische Artikulation des Elements Wasser.

Das Bild ist eine Synthese aus Symbolismus und Jugendstil. Das totale Zusammengehören verschiedenster Elemente im Bild wird verschränkt nicht mit bloßer Linienherrlichkeit, sondern mit unauflösbarer Einheit von Linie und Gestalt. Zieht man die Linie ab, so bleibt ein Nichts an Gestalt. Gezeichnete Malerei oder gemalte Zeichnung gehen ohne Rest ineinander auf.

10 Maurice Denis Die heiligen Frauen am Grab, 1894 Öl/Lwd-, 74 x 100 cm Saint-Germain-en-Laye, Privatbesitz

Zielen Cranes Überlegungen eher auf die Entwicklung der Bildkunst insgesamt, so wird Denis mit seinen Reflexionen zum Programmatiker des französischen Symbolismus. Ihm liegt daran, symbolistische Kunstpraxis innerhalb der Malerei auf den Begriff zu bringen.

Mit Sérusier (→ Bild 55, → Bild 56) und Bonnard (→ Bild 7), Ranson (→ Bild 47), Vuillard (→ Bild 70) und Vallotton (→ Bild 65), mit denen er zeitweilig gemeinsam an der Académie Julian studierte, gehört er als Gründungsmitglied zum engeren Kreis der Künstlergruppe „Nabis“. Gemälde, insbesondere biblische Themen, dekorative und kunstgewerbliche Arbeiten, Buchillustrationen - z.B. zu Werken von Verlaine und Gide-, Theater- und Raumausstattungen zählen zu seinem Œuvre.

Das Gemälde „Die heiligen Frauen am Grab“ - typisch für den „Nabis“-Symbolismus - wirkt aufgrund der engen Verbindung von Farbe und Fläche, und zwar so, dass auf jeden Fall Gegenstände erkennbar sind, gleichzeitig jedoch in der Schwebe bleibt, ob die gemalten Gegenstände dazu da sind, eine Kombination farbiger Flächenteile in ihrem Beziehungsreichtum zu zeigen, oder ob die Flächenstücke neben ihrer Entsprechung untereinander und in Bezug auf die gesamte Bildfläche auch noch dargestellte Personen und Dinge (Zaun, Baumgruppen, vereinzelte Architektur und die farbige Erscheinung des auferstandenen Christus im Mittelgrund) hervorbringen. Diese doppelte Funktion wird getragen durch konsequenten Verzicht auf raumvorstellende Körperlichkeit sowie individualisierende und bezeichnende Details; z.B. gleichen sich die gelenk- und gliederlosen Gestalten der Frauen rechts und die der Engel links im Bild nicht nur in ihrem äußeren Umriss; auch ihre Gesichter sind auffallend ähnlich geschnitten, so dass die beiden Gruppen in Haltung und Kleidung je einen einheitlichen farbigen Teilbezirk im Bild ergeben. Dadurch entsteht eine das Konzept der Abbildung der sichtbaren Welt verlassende Verbundenheit heterogener Bildgegenstände untereinander sowohl auf der Ebene der flächigen Zeichnung wie auch auf der der flächigen Ordnung der oft pastellenen, manchmal allerdings süßlich wirkenden Farben.

11 Maurice Denis Nachmittag im Wald, 1900 Öl/Lwd., 73 x 103 cm New York, Museum of Modern Art Sammlung Mr. und Mrs. A. G. Altschul

Konzentriert man sich als Betrachter unter thematischem Gesichtspunkt auf die dargestellten Einzelheiten, so erscheinen sie durchaus getrennt voneinander, achtet man jedoch auf die flächenadäquate Anlage des Ganzen, so schließen sie sich immer mehr zusammen und erscheinen plötzlich miteinander verwoben wie in einem Teppich. Sie verändern unter diesem Blickpunkt ihr Aussehen und stiften sonderbar anregende Beziehungen, die sich sprachlicher Unterscheidungen und Beschreibungen höchst wirksam widersetzen.

Gelingt Denis durch dieses vereinheitlichende plane „Geflecht“ eine alle Bildebenen und Bildelemente zusammenziehende Einheit als örtlich-räumliches Zugleich (vgl. Kapitel Offene Kompositionsweise und Bevorzugung des Stofflichen), so versucht er im „Bildnis Yvonne Lorelle dreifach“ eine optische Lösung für das Problem der Gleichzeitigkeit verschiedener Lebensaugenblicke anzubieten, indem er die gleiche Person einmal in Frontal-, einmal in Rücken- und einmal in Seitenansicht gibt, dabei natürlich das Verfahren des örtlich-räumlichen Zugleich beibehält.

Die hier skizzierte künstlerische Verfahrensweise verdeutlicht Denis: Der „Symbolismus um 1890“ hat „vor allem versucht, Gefühl und Vorstellungen in formale Entsprechungen zu übersetzen, indem - ausgehend von Themen aus Fabel und Geschichte - geheimnisvolle Analogien durch rhythmische oder farbliche, der Natur entlehnte Kombinationen evoziert werden“ (Denis, S. 28). Völlig im Einklang damit erklärt er: „Wir verzichten auf die Wirklichkeit“ (ebd., S. 27).

12 Maurice Denis Bildnis Yvonne Lorelle dreifach 1897, Öl/Lwd., 170 x 110 cm Toulouse, SIg. O. Rouart

Als Anhänger der realistischen Bewegung, in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts kennzeichnend für die Kunst der nördlichen Länder, gibt es anfangs bei Gallén-Kallela kaum Anzeichen dafür, dass er schon bald einen durchaus eigenwilligen monumentalen Linienstil bevorzugen und damit zur führenden Persönlichkeit des finnischen Symbolismus und Jugendstils würde. Als Porträtmaler hat er sich ebenso einen Namen gemacht wie als Grafiker. Die Entwicklung des finnischen Kunsthandwerks und Kunstgewerbes ist durch seine Entwürfe für Textilien, Glasmalereien, Holzschnitzereien und Schmiedekunst entscheidend beeinflusst.

Themen der „Kalevala“, des finnischen Nationalepos - kein Werk der Frühzeit, sondern eine Schöpfung des Arztes E. Lönnrot, der alte finnische Volkslieder zu einem Versepos in 50 Gesängen zusammenstellte und 1835 erstmals veröffentlichte-, haben den Künstler immer wieder beschäftigt. Der Held des „weniger heldisch als magisch gestimmten Epos“, Lemminkainen, findet auf dem Weg zur Unterwelt, wohin ihn Freierproben führten - er hatte den Höllen-Schwan zu töten -, den Tod, und erst die eigene Mutter kann ihn wieder zum Leben erwecken. Zum Bildthema schreibt der Künstler: „Leichenblaß liegt Lemminkainen am Boden, am Ufer des schwarzen Gewässers, über das der Schwan gleitet, den Hals verächtlich wegwendend. Golden schimmernde Sonnenstrahlen geben der Mutter Hoffnung, und sie entsendet die Biene, um Balsam aus der goldenen Quelle zu holen“ (Kat. Symbolismus, S. 70).