Synodalität -  - E-Book

Synodalität E-Book

0,0

Beschreibung

Das Konzept des gemeinsamen Unterwegsseins beschreibt heute gut kirchliche Gemeinschaft. Seinen Ausdruck findet dies im Begriff des synodalen Prozesses, der das gemeinsame "Voranschreiten" besonders hervorhebt. Verbunden damit sind Hoffnungen auf demokratische Teilhabemöglichkeiten in kirchlichen Entscheidungsprozessen. Welche Erfahrungen mit Synodalität bestehen? Welche aufschlussreichen historischen Beispiele lassen sich namhaft machen? Diesen Fragen widmet sich Heft 4/2022: Synodalität.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 256

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis des vierten Heftes 2022

 

Schwerpunktthema: Synodalität

Christian Spieß:

Editorial

Roman A. Siebenrock:

Synodalität und Episkopalität der Kirche als kulturelles Gedächtnis des Evangeliums Jesu Christi. Eine Orientierung zur Weitergabe des Evangeliums angesichts der möglichen säkularen Apokalypse

Thomas Schüller:

Kirchenrechtliche Spielräume und Begrenzungen synodaler Prozesse am Beispiel des „Synodalen Weges“ in Deutschland

Mariano Barbato:

Synodalität zwischen hierarchischer Herrschaftsstruktur und Mitbestimmung. Eine politikwissenschaftliche Perspektive auf ein theologisches Konzept

Dietmar W. Winkler:

Reflexionen zur Synodalität in den Ostkirchen im Kontext des synodalen Prozesses

Roland Cerny-Werner:

Nachkonziliare Teilhabeerweiterung vor Ort. Teilkirchliche Synodalität am Beispiel österreichischer Diözesansynoden

Franz Gruber:

Der Strukturprozess der Diözese Linz als Beispiel einer synodal ausgerichteten Reform

Klara-Antonia Csiszar:

Fit for Future. Diözesansynode und Kirchenreform im serbischen Banat

 

Abhandlungen:

Wolfgang Palaver:

Der Ukrainekrieg als Herausforderung kirchlicher Friedensethik

Klara-Antonia Csiszar:

aufatmen. wachsen lassen. gutes leben. Pastoraltheologie für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen

Felix Deinhofer:

Die staatlich verordnete Einstellung der ThPQ im Jahr 1942

 

Literatur:

 

Das aktuelle theologische Buch

Dirk Gärtner:

Regina Meyer / Bernward Schmidt (Hg.): Priesterliche Identität? Erwartungen im Widerstreit

Besprechungen:Aktuelle Fragen, Fundamentaltheologie, Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Liturgiewissenschaft, Spiritualität, Theologie

Eingesandte Schriften

Universitätsnachrichten

Register

Impressum

Redaktion:

A 4020 Linz, Bethlehemstraße 20, Tel. 0732 / 78 42 93-4142, Fax: -4155E-Mail: [email protected] Internet: http://www.thpq.at

Anschriften der Mitarbeiter:

Univ.-Prof. Dr. Mariano P. Barbato, Dr.-Hans-Kapfinger-Str. 14, D 94032 Passau Assoz. Prof. Dr. Roland Cerny-Werner, Universitätsplatz 1, A 5020 Salzburg

Univ.-Prof.in. Dr.in Klara-Antonia Csiszar, Bethlehemstraße 20, A 4020 Linz

Univ.-Ass. Mag. Felix Deinhofer, Bethlehemstraße 20, A 4020 Linz

Dr. Dirk Gärtner, Albertus-Magnus-Straße, D 93040 Regensburg

Univ.-Prof. Dr. Franz Gruber, Bethlehemstraße 20, A 4020 Linz

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Palaver, Karl-Rahner-Platz 1, A 6020 Innsbruck

Univ.-Prof. Dr. Thomas Schüller, Domplatz 23, D 48149 Münster

Univ.-Prof. Dr. Roman A. Siebenrock, Karl-Rahner-Platz 1, A 6020 Innsbruck

Univ.-Prof. Dr. Dietmar W. Winkler, Universitätsplatz 1, A 5020 Salzburg

Die Theologisch-praktische Quartalschrift wurde 1848 begründet (als Neubelebung der zwischen 1802 und 1821 erscheinenden „Theologisch-praktischen Monathschrift“). Sie erscheint jährlich in den Monaten Jänner, April, Juli und Oktober. Sie verwendet die Abkürzungen des Lexikons für Theologie und Kirche 31993. Die Mitarbeiter werden gebeten, das zu beachten. Manuskripte, Rezensionsschriften, Tauschexemplare und Geschäftspost sind zu richten an die Redaktion: Theologisch-praktische Quartalschrift, A 4020 Linz, Bethlehemstraße 20. Es werden nur Originalmanuskripte veröffentlicht. Unverlangt eingesandte Manuskripte werden nicht retourniert. Gefördert durch die oberösterreichische Landesregierung und die Diözese Linz.

ISSN 0040-5663·ISBN 978-3-7917-3342-5

Liebe Leserin, lieber Leser!

„Heiliger Vater, wir bearbeiten nicht Texte, sondern Träume, die wachsen sollen.“ Mit diesen Worten versicherte Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, dass es beim „Synodalen Weg“ durchaus nicht um eine routinierte Selbstbespiegelung des Gremienkatholizismus gehe, sondern um die notwendige Auseinandersetzung mit der Frage, wie der christliche Glaube und die Lehre der Kirche angesichts der Herausforderungen der Gegenwart zu (über-)denken und zu (re-)formulieren sind – also um nichts anderes als um jene „Kirche in der Welt von heute“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, die sich Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen (GS 1) zu eigen macht. Nur wenn sich die Kirche dem Dialog mit der Gegenwart nicht verweigere, behalte sie auch die Möglichkeit, gesellschaftliche und politische Entwicklungen kritisch zu durchdringen, so Bätzing. Genau dieser für die Kirche lebenswichtige Dialog mit der Gegenwart soll durch verschiedene synodale Wege verwirklicht werden. Deshalb hat Papst Franziskus einen weltweiten synodalen Prozess angestoßen, bei dem eben keine Texte, sondern Träume entwickelt werden sollen.

Die Realität der synodalen Prozesse in den Ortskirchen zeigt sowohl vielversprechende Perspektiven als auch die Begrenztheit der Synodalität innerhalb der Strukturen und Normen der katholischen Kirche. Einerseits bieten synodale Verfahren auf den verschiedenen Ebenen kirchlichen Lebens die Möglichkeit, die Anliegen der Menschen von heute zu artikulieren und zu erörtern, gesellschaftliche Entwicklungen zu würdigen und im Licht des Glaubens zu reflektieren. Andererseits ist es für Gläubige, die mit einer gewissen Selbstverständlichkeit an demokratische Prozesse in der Politik gewöhnt sind – also daran, dass Meinungsbildungsprozesse auch in Entscheidungsprozesse münden – mitunter schwer nachvollziehbar, dass im Rahmen kirchlicher Synodalität Meinungsbildung und Entscheidung formal getrennt bleiben. Deshalb begegnen sich im Diskurs über Synodalität Euphorie und Resignation, Aufbruch und Restauration in spannungsvoller Weise. Die Beiträge dieses Heftes bilden eine beträchtliche Vielfalt der Perspektiven auf die Möglichkeiten und Grenzen synodaler Verfahren ab.

Roman A. Siebenrock (Innsbruck) bietet eine systematisch-theologische Analyse des Bedeutungsspektrums der Synodalität. Er skizziert diese nicht als Entscheidungsinstrument, sondern als Kommunikationsvollzug der Kirche. Wenn sie als solche erst genommen wird, könne sie eine zukunftseröffnende Perspektive für die katholische Kirche sein. Aus der Sicht des Kirchenrechts erläutert Thomas Schüller (Münster) die Möglichkeiten von Synoden und synodalen Organen, weist aber auch auf die fehlende Verbindlichkeit synodaler Prozesse hin, insofern es von den Bischöfen beziehungsweise dem Papst abhänge, welche Wirkungen Synodalität in der katholischen Kirche entfalten kann. Eine politikwissenschaftliche Perspektive nimmt Mariano P. Barbato (Passau) mit seinem Beitrag ein, der sich kritisch vor allem auf den deutschen „Synodalen Weg“ bezieht. Dabei treten Unterschiede zwischen einem politischen Verständnis demokratischer Verfahren und einem theologischen Verständnis synodaler Prozesse scharf hervor.

Wie sich auf der Grundlage der Entwicklung einer reichhaltigen synodalen Tradition in den ersten Jahrhunderten Synodalität in den Ostkirchen etablieren konnte, stellt Dietmar W. Winkler (Salzburg) aus kirchenhistorischer Perspektive dar. Die ostkirchliche Praxis biete, so der Autor, auch Potenzial für die Synodalität in der römisch-katholischen Kirche. Die österreichischen Diözesansynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil unterzieht Roland Cerny-Werner (Salzburg) einer zeitgeschichtlichen Analyse. Franz Gruber und Klara-A. Csiszar (beide Linz) schließlich erörtern gegenwärtige synodale Prozesse, nämlich den Strukturprozess der Diözese Linz und die Synode der Diözese Zrenjanin im serbischen Banat. Die Autorin und der Autor des Beitrags gehören der Redaktion der ThPQ an und waren beratend an den beiden im Beitrag vorgestellten, höchst unterschiedlich strukturierten und verlaufenden synodalen Prozessen beteiligt.

Die drei freien Beiträge des Heftes greifen ebenfalls brisante Themen auf. Der Beitrag von Wolfgang Palaver, Sozialethiker in Innsbruck und Präsident von Pax Christi Österreich, bietet eine friedensethische Einordnung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der Verteidigung der Ukraine und der Unterstützung durch die Staaten des „Westens“, der NATO und der EU. Eine „Pastoraltheologie für eine ganzheitliche Entwicklung“ skizziert Klara-A. Csiszar in einem Beitrag, der auf ihrer Antrittsvorlesung als Professorin für Pastoraltheologie an der KU Linz basiert. Unmittelbar auf die ThPQ und deren Geschichte bezieht sich der ebenfalls an der KU Linz forschende Felix Deinhofer mit seinem Beitrag über die staatlich verordnete Einstellung der ThPQ in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft.

Liebe Leserinnen und Leser,

die katholische Kirche versucht, ihre Position in der Welt von heute in immer wieder neuen synodalen Prozessen zu reflektieren und zu klären. Dabei wird gegenwärtig die Struktur der Kirche selbst zu einer der zentralen Herausforderungen, auch im Hinblick auf die Frage, ob und wie Synodalität die angemessene Form der kirchlichen Selbstverständigungsprozesse sein kann. Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx betont, die Kirche dürfe in ihren eigenen Strukturen und Prozeduren nicht unter dem Niveau dessen bleiben, was sie von der Gesellschaft in ihrer Soziallehre fordert. Seit dem Zweiten Vatikanum fordert die Kirche in ihrer Soziallehre von Gesellschaft und Politik die Verwirklichung der Demokratie und die Geltung der Menschenrechte, die Gleichberechtigung aller Menschen und die Anerkennung der personalen Autonomie. Es ist keine einfache Aufgabe für die Kirche, dieses Niveau in ihren eigenen Vollzügen zu erreichen.

Ihr

Christian Spieß

(für die Redaktion)

Einem Teil dieser Ausgabe liegen Prospekte des Verlags Friedrich Pustet bei. Um geneigte Beachtung wird gebeten.

Redaktion:

Chefredakteur: Univ.-Prof.in Dr.in theol. Ines Weber; Redaktionsleiter: Mag. theol. Bernhard Kagerer; Redakteure/-innen: Univ.-Prof.in Dr.in theol. Klara-Antonia Csiszar; Univ.-Prof. Dr. theol. Franz Gruber; em. Univ.-Prof. Dr. theol. Franz Hubmann; Univ.-Prof. Dr. theol. Christian Spieß.

Roman A. Siebenrock

Synodalität und Episkopalität der Kirche als kulturelles Gedächtnis des Evangeliums Jesu Christi

Eine Orientierung zur Weitergabe des Evangeliums angesichts der möglichen säkularen Apokalypse

Der Innsbrucker Fundamentaltheologe Roman Siebenrock entfaltet in seinem Beitrag die Relevanz der Synodalität der Kirche auf Basis ihrer ureigensten Sendung: Gottes unwiderrufliche Gegenwart in seinem Volk und in Jesus Christus zu bezeugen. Wenn dieses „Mit-uns-Sein“ Jesu als die Selbstmitteilung Gottes an die Welt Kern des christlichen Glaubens ist, dann folgt daraus für die Kirche, die „Gestalt des Gesprächs“ mit der Welt anzunehmen. Synodalität ist dann weniger ein Entscheidungsinstrument, sondern der Kommunikationsvollzug von Kirche, den sie freilich selbst immer erst leben muss. Gerade weil nach Ansicht des Autors Kirche heute wirklich Weltkirche geworden ist und weil die konstantinische Epoche der abendländischen Kirche definitiv zu Ende geht, ist allein eine synodale Kirche die zukunftseröffnende Chance der katholischen Kirche. (Die Redaktion)

Die aktuelle Diskussion um die Kirchenstruktur ist sich nicht immer bewusst, dass die Krise von Kirchen und Christentum nicht nur in offensichtlichen Skandalen wurzelt, allem voran dem Missbrauchsskandal, sondern in einer tiefgehenden Transformation des Christentums in einem epochalen Wandel der Geschichte der gesamten Menschheit gründet. Synodalität, so meine Überzeugung, bewährt sich in diesem Kontext nicht nur als möglicher Weg der Kirche in die Zukunft, sondern auch und vor allem als einzig adäquate Weise, dieser Herausforderung angemessen begegnen zu können. Dies möchte ich hier mit einigen Thesen entfalten und, soweit der Raum es erlaubt, auch zu begründen versuchen.1 Dabei wähle ich folgendes Vorgehen: Ausgangspunkt und Bezugspunkt aller Überlegungen muss die Frage sein, was Kirche soll. Wenn das „Wesen der Kirche“ in ihrer Sendung liegt, dann ist die einzige Rechtfertigung für Kirche ihr Dienst an der bleibenden Gegenwart Jesu Christi in der Geschichte. Welche Struktur aber dient dieser zentralen und letzten Endes singulären Aufgabe am angemessensten? Als Antwort auf diese Frage ist hier das Prinzip der unlösbaren Spannungseinheit von Synodalität und Episkopalität zu prüfen.

1Kirche als kulturelles Gedächtnis des Evangeliums Jesu Christi

Ausgangspunkt aller christlichen Lebenswirklichkeiten ist die nur selten bedachte Tatsache, dass Jesus von Nazareth weder Texte noch geschriebene Anordnungen hinterlassen hat. Vielmehr hat er sich mit Haut und Haar, d. h. mit seiner ganzen Existenz und Hingabe an die Menschen ausgeliefert – und zwar bis heute. Eine an übermenschliche Vollkommenheit rührende Freiheit von sich selbst zeichnet die Gestalt Jesu aus, die nur als überliefert, d. h. in der Glaubensgemeinschaft geschichtlich greifbar geworden ist und auch künftig sein wird. Weil Kirche in ihrer konstitutiven Pluralität das kulturelle Gedächtnis des Evangeliums Jesu Christi darstellt,2 kann Kirche nicht prinzipiell gegen das Evangelium ausgespielt werden, weil genau in dieser Selbstauslieferung Jesu das Freiheitsprinzip des christlichen Glaubens in den Ursprung eingestiftet worden ist.3 Deshalb ist der neutestamentliche Kanon, der in der Auseinandersetzung mit Markion und der Gnosis zum biblischen Kanon geworden ist, das grundlegende Dokument der Synodalität und zugleich in seinem jahrhundertelangen Werdeprozess der Ursprung der vorgegebenen Kirchenstruktur. Der christliche Kanon der Bibel ist ein Dokument der Vielfalt, zumal er auch die Heiligen Schriften Israels integrierte. Deshalb überschreitet „Synodalität“ immer die institutionalisierte Kirche und wird dann „katholisch“, wenn nicht gegen jemand geglaubt und nicht ohne die anderen geglaubt wird. Synodalität und Katholizität zeichnen eine entgrenzende Dynamik aus, die allein in dieser „Enteignung“ Kirche als universales Sakrament der Liebe Gottes zu seiner ganzen Schöpfung darzustellen vermag. Es ist aber auf der anderen Seite nicht verwunderlich, dass wir Menschen dieses grundlegende Ausgesetztsein christlichen Lebens abzusichern versuchen.

Das eine Evangelium Jesu Christi, das er immer selbst ist, wird uns also nur in der Pluralität verschiedenster Perspektiven vermittelt und kann nur in dieser Pluralität und Entgrenzung die je neue Ankunft Christi in der Geschichte verkünden und wahrnehmen. Und weil die Kirche sich geweigert hat, diese Pluralität in eine höhere Synthese zu überführen, ist Pluralität und konvergierende Mitte gleich ursprünglich zu denken. Doch diese Mitte, der universale Christus, ist von den Glaubenden nach innen und nach außen nur exzentrisch zu erfahren und zu bezeugen. Nach innen im selbstvergessenen Dienst und der ungeheuchelten Anbetung und nach außen in der Begegnung mit dem scheinbar unbekannten Christus, wie er in Mt 25 uns vor Augen gestellt wird. Das Dogma, das im Taufbekenntnis wurzelt, ist daher nicht die Überwindung dieser Pluralität, sondern deren Legitimation angesichts simplifizierender Vereinfachungen. Dieses Prinzip wird überaus deutlich im christologischen und trinitarischen altkirchlichen Dogma, das die Pluralität der Perspektiven und Erfahrungen auf eine Mitte hin vermittelt, die uns nur apophatisch auszusprechen möglich ist. Christologisch und trinitarisch ist eine Einzelperspektive zurückgewiesen. Eine „Häresie“ kann deshalb als jene Perspektive bezeichnet werden, die die konstitutive Pluralität des katholischen „et – et“ zu umgehen oder aufzuheben versucht. Besonders die Neuzeit mit ihrem souveränen Einzelsubjekt und ihrer Suche nach absoluter Gewissheit hat diese Zumutung zu umgehen gesucht, auch ekklesiologisch. Mit dem Stichwort „Synodalität“ ist die Aufgabe gestellt, die ekklesiologischen Engführungen zu überwinden.

2Universale Selbstmitteilung Gottes: die Mitte des Christentums

Bevor die Rede von der Synodalität der Kirche sein darf, muss zunächst deutlich werden, welcher Überlieferung eine solche Kirche zu dienen hat. Karl Rahner hat diese Frage als „Begriff des Christentums“ in seinem „Grundkurs des Glaubens“ zu entfalten versucht. Wenn die Pluralität konstitutiv in das Ursprungszeugnis von dem einen Jesus Christus in die Schrift eingetragen bleibt, dann kann es nicht nur eine begriffliche Fassung dessen geben, was Christentum meint. Mit Karl Rahner sei hier ausgedrückt, was die Gabe dieses Jesus von Nazareth an Welt und Schöpfung besagt: „Die eigentliche und einzige Mitte des Christentums und seiner Botschaft ist darum für mich die wirkliche Selbstmitteilung Gottes in seiner eigensten Wirklichkeit und Herrlichkeit an die Kreatur, ist das Bekenntnis zu der unwahrscheinlichsten Wahrheit, daß Gott selbst mit seiner unendlichen Wirklichkeit und Herrlichkeit, Heiligkeit, Freiheit und Liebe wirklich ohne Abstrich bei uns selbst in der Kreatürlichkeit unserer Existenz ankommen kann und alles andere, was das Christentum anbietet oder von uns fordert, demgegenüber nur Vorläufigkeit oder sekundäre Konsequenz ist.“4

Eine Kirche, die diese Botschaft bewahren und verkünden will, muss sowohl Formen der Selbstüberschreitung wagen, weil die Selbstmitteilung der ganzen Schöpfung gilt. Sie muss aber auch eine Weise der Selbstbehauptung in der Geschichte entwickeln, die Verbindlichkeit mit Freiheit und Vielfalt zu versöhnen vermag. Sie muss Ämter der Interpretation und der Entscheidung ebenso ausbilden, wie sie grundlegend an den Sinn der Glaubenden und die Erfahrungen aller Menschen verwiesen bleibt. Eine synodale Kirche hat also geschichtliche Treue mit unabschließbarer Lernbereitschaft im Hören auf das, was der Geist immer neu und unerwartet innerhalb und außerhalb der eigenen Gemeinschaft wirkt, zu verbinden. Diese Lernbereitschaft hat natürlich immer einen zeitlich-geschichtlichen Index, den das Zweite Vatikanische Konzil mit seiner „Theologie in den Zeichen der Zeit“ zu buchstabieren versuchte und diese Aufgabe der Kirche der Zukunft, also auch uns, anvertraute.

3Theologie in den Zeichen der Zeit: Stichworte zur Analyse der Gegenwart

Eine „Theologie in den Zeichen der Zeit“ hat die Aufgabe, die markanten Entwicklungen der geschichtlich gewordenen Gegenwart im Licht des Evangeliums zu deuten. Das setzt voraus, dass das Reich Gottes, das immer Christus selber ist, in und mitten unter uns gegenwärtig bleibt. Mit der darin liegenden Unterscheidung der Geister wird nicht nur das Handeln der Kirche in Grundoptionen und Standortfindung ausgerichtet, sondern auch die theologische Erkenntnislehre mit ihrer „Loci-Lehre“ zuerst als Suchprogramm entworfen. Erst nachdem in Aufmerksamkeit für diese Orte Entdeckungszusammenhänge für Christus und sein Reich erschlossen worden sind, können diese Orte zu Fundstellen für Argumente werden. Diese richten sich aber nicht gegen irgendjemanden, sondern wollen die verborgene Gegenwart Gottes in Jesus Christus für alle erschließen, weil auch heute noch Heilsgeschichte ist. Damit aber wird die gesamte dramatische Entwicklung der Bibel nicht verharmlost oder entschärft, sondern heuristisch genützt.

Mit diesen „Zeichen der Zeit“ können verschiedene Entwicklungen sowohl innerkirchlich als auch gesellschaftlich oder gar menschheitsgeschichtlich ins Bewusstsein gebracht werden. Deshalb ist es ratsam, zwischen kurzfristigen und langfristigen Entwicklungen zu unterschieden. Die langfristigen Entwicklungen gesamtmenschheitlicher Art ergeben sich aus der Konvergenz der entscheidenden Transformationsmächte unserer Geschichte. Diese langfristigen Entwicklungen können deshalb als apokalyptisch angesehen werden, weil die Konvergenz der entscheidenden Transformationsmächte von niemandem mehr heute abgeschätzt und daher auch nicht gesteuert werden kann, und diese Dynamik in verschiedener Weise immer mit dem möglichen Ende der Menschheit in Beziehung gebracht werden muss. Wohin uns die gebündelten Dynamiken von Wissenschaft, Technik, Markt und Medien in anhaltender Beschleunigung treiben werden, ist völlig offen. Da diese heute nicht nur katastrophisch ausgemalt wird, sondern auch als Verheißung ewigen Lebens im Transhumanismus und der Idee einer neuen Menschheit propagiert wird, ist die Kirche tatsächlich mit Freude und Hoffnung sowie Trauer und Angst mit allen Menschen verbunden (GS 1). Um aber das anvertraute Evangelium angemessen vorlegen zu können, ist die Kirche in ihrer Aufgabe, die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu unterscheiden, auf die Mitarbeit aller kompetenten Menschen angewiesen. Ein synodaler Prozess sollte zuerst auf alle Menschen in der eigenen Lebenswirklichkeit hören.

Innerkirchlich scheinen mir zwei Entwicklungen besonders hervorgehoben werden zu müssen. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist der erste amtliche Vollzug der Kirche als Weltkirche geschehen.5 Das bedeutet aber, dass damit das Ende der Dominanz des europäischen Christentums eingeläutet ist. Im Klartext heißt das, dass die maßgeblichen Entscheidungen für die Zukunft der Kirche nicht mehr in Deutschland oder Europa, sondern im Süden fallen werden. Die katholische Kirche ist damit die einzige Weltinstitution, in der andere Kulturen den Lebensstil der westlichen Kulturen mitentscheiden können. Die Frage nach Ehe, Homosexualität und Zölibat wird daher nicht mehr bei uns allein entschieden werden. Deshalb kann und sollte eine synodale Kirche der kommenden Weltgesellschaft Modelle vorlegen, wie Freiheit und Einheit im globalen Maßstab miteinander vermittelt werden können.6 Die zweite Entwicklung ist mit dem Ende der konstantinischen und gregorianischen Kirche angezeigt. Mit „konstantinischer Kirche“ ist jene Verfasstheit des Christentums gemeint, die in irgendeiner Weise gesellschaftlich bevorzugt oder privilegiert wird, weil die staatliche Gewalt auf transzendente Begründung angewiesen war. Nicht nur in Russland, auch in anderen Teilen von Europa sind die Langzeitfolgen dieser Verfasstheit immer noch zu erkennen. Zwar hat das letzte Konzil mit der Anerkennung der Religionsfreiheit und des säkularen Staates eine prinzipielle Entscheidung getroffen, doch scheinen die daraus folgenden Konsequenzen noch längst nicht von allen gezogen worden zu sein. Zusammen mit dieser Entwicklung ist das Ende der gregorianischen Kirche zu nennen, die mit ihrer Unterscheidung und Trennung von Laien und Klerus die europäische Freiheitsgeschichte ermöglicht hat, aber in der Kirche bis heute einen Moment von Ungleichheit einführte, weil alle (Letzt-)Entscheidungskompetenz theoretisch immer noch beim ordinierten Amt liegt. Das Prinzip der Synodalität müsste sich in diesen Diskrepanzen und potenziellen Konfliktfeldern bewähren. Unter diesen Gesichtspunkten soll jetzt eine elementare systematische Skizze einer Theologie der Synodalität skizziert werden.

4Orientierungen zur Synodalität der Kirche als kulturellem Gedächtnis des Gesprächs des trinitarischen Gottes mit der ganzen Schöpfung

Die entscheidende theologische Grundlegung einer synodalen Kirche hat Paul VI. vorgelegt. Als Kirchenvision hielt er fest: „Die Kirche aber muss zu einem Gespräch mit der Gesellschaft der Menschen kommen, in der sie lebt und aus der sie wird, damit dieselbe gleichsam die Gestalt sowohl des Wortes, als auch der Botschaft und des Gesprächs werde // Iamvero Ecclesia in colloquium veniendum est cum hominum societate, in qua vivit; ex quo fit, ut eadem veluti speciem et verbi, et nuntii, et colloquii induat.“7 Die Kirche solle die Gestalt des Gesprächs annehmen, weil sie dadurch jenen vorausgehenden Heilsdialog Gottes mit allen Menschen zeichenhaft verwirklicht und so allein ihm zu dienen vermag. Daher bezeichnet „Synodalität“ primär nicht ein Entscheidungsfindungsverfahren in oder eine verfassungsrechtliche Struktur der Kirche, sondern die leitende Idee, wie die Sendung des Volkes Gottes auf seinem Weg durch die Geschichte zu leben und zu verstehen ist. In diesem Sinne ist „Synodalität“ der geschichtliche Ausdruck jener „communio sanctorum“, welche die vollendete Kirche und Menschheit einmal darstellen wird und sich in der Geschichte zeichenhaft schon als Weg aller Kinder Gottes in der Gegenwart Gottes realisieren soll (Ex 3,14; Mt 28,20). Synodalität kann deshalb in Idee und Struktur als jene Form bezeichnet werden, welche die Kirche als sakramentales Zeichen annehmen muss, wenn sie dem vorgängigen Heilsdialog Gottes mit den Menschen sakramental-zeichenhaft dienen möchte. Der Mangel an Synodalität ist der entscheidende Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der Kirche heute und morgen.

Die maßgebliche Begründung der Synodalität liegt folglich nicht im geschichtlichen Pilgercharakter des Volkes Gottes, dem Bemühen um Einheit nach innen (Joh 17,21) oder um Segensein nach außen (Gen 12,3), sondern im Versprechen des Heiligen Israels und Jesu von Nazareth, mit auf dem Weg zu sein und immer zu bleiben, was auch geschehen mag, und was es auch immer kosten solle (Ex 3,14; Mt 28,20). Insofern geht allem menschlichen Tun der Glaube Gottes und der Glaube Jesu Christi voraus (Röm 3). Uns wurde zuerst getraut und wir wurden alle zuerst geliebt (1 Joh 4,10–19). Eine synodale Kirche wird immer neu vom Immanuel, von jenem mit uns gehenden, ja immer neu auf uns zukommenden Gott überrascht. Erst in unserer glaubenden Antwort auf diesen vorausgehenden in der Liebe Christi gestalteten Glauben, der sich als unbedingtes Versprechen des Gottes Jesu Christi in der Heiligen Schrift verbürgt und in der Kraft des Heiligen Geistes alle Geschichte dynamisiert, kann die Synodalität von Kirchen und Menschheit erfasst und näher bestimmt werden. „Synodalität“ hat ihr Urbild in der Einheit von immanenter und ökonomischer Trintität (Karl Rahner), die heilsökonomisch als „Immanuel / Gott mit uns / allen“ gefeiert wird. Eine synodale Kirche lebt aus der Erfahrung des synodalen Gottes.

Weiterführende Literatur:

Dogmatische Konstitution des Zweiten vatikanischen Konzils über die Kirche, Lumen gentium.

Markus Graulich / Johanna Rahner, Synodalität in der katholischen Kirche: Die Studie der Internationalen Theologischen Kommission im Diskurs (Quaestiones disputatae 311), Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2020.

Thomas Söding, Gemeinsam unterwegs: Synodalität in der katholischen Kirche, Ostfildern 2022.

Wenn der Grund der Synodalität der Kirche das Glauben und Trauen Gottes und des Menschen ist, dann kann sich ihre wesentliche Lebensform nur als Freundschaft mit Gott und allen Menschen ausgestalten (Joh 15,15). In einer solchen Freundschaft wird erfahren, entdeckt und gelebt, was alle Kreatürlichkeit und Geschöpflichkeit auszeichnet: in unserer Sehnsucht nach vollendetem Leben wird ein Echo jener Wirklichkeit vernehmbar, die uns ins Sein gerufen hat: Gott, Du Freund des Lebens (Weish 11,26). In der Freundschaft wird die Thora-Regel Jesu (Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst: Mk 12,28–34) in eine prinzipiell niemanden ausschließende Lebensform übersetzt, die stets auf Anerkennung und Freiheit beruht. Bevor Synodalität als Strukturprinzip der Kirche auf der Ebene des Rechts entfaltet und entwickelt werden kann, muss sie als „Charisma der Einheit“ nach innen und nach außen gelebt werden. Um eine solche Haltung zu beschreiben, scheint mir die Idee der Freundschaft hilfreich zu sein. Damit aber ist jene Haltung angesprochen, die als Gesinnung Jesus Christi im Philipperbrief als Kenosis ausgedrückt worden ist. In einer synodalen Kirche sollte erfahrbar werden, was der Brief als Gemeindekultur vor dem Christus-Hymnus beschwor: „Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen“ (Phil 2,2–3).

Die Kirche als sichtbare Gemeinschaft in der Geschichte, die als sakramentales Zeichen des von Jesus Christus umfassend gelebten Versprechens des Heiligen Israels, die Menschheit in das Reich Gottes zu rufen hat, wird strukturiert durch Glaube, Hoffnung und Liebe (LG 8). Diese „theologischen Tugenden“ nähren sich aus dem Sakrament und einem wechselseitig sich bestärkenden Hören auf das Wort Gottes, das je neu diese Kirche in ihrer Sendung erneuert (DV 21), die zum Heil aller Menschen gerufen ist. Dieses Heil wird in der Geschichte vor allem im Einsatz für die „säkularen Indikatoren“ des Reiches Gottes realisiert, die heute nach meiner Auffassung in den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 der UNO formuliert worden sind. Die Botschaft des Evangeliums ist nicht Vertröstung, sondern spendet jene getröstete Zuversicht, dass der niemanden und nichts ausschließende Einsatz für Friede und Gerechtigkeit sowie für die Würde und Freiheit des Menschen in der Zeit, in Christus nicht mehr ins Nichts zurückfallen kann.

Wenn eine synodale Kirche durch das Versprechen begründet wird, dass Gott in Jesus Christus mit allen unterwegs ist und das Volk Gottes zum Segen für alle Nationen werden soll (Gen 12,3), dann geht sie in Hoffnung und Liebe diesen Weg der Geschichte, weil sie sich selbst zum Gespräch macht, ihre eigenen Schwächen kennt und deshalb nicht der Hybris verfällt, nicht täglich neu den Weg der Umkehr und Metanoia gehen zu müssen, nicht nur individuell, sondern kollektiv und als Institution – in kritischer Hörbereitschaft. Die Kirche der Sünder als sündige Kirche erweist sich allein als geheiligte wahre Kirche Jesu Christi durch ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Umkehr. „Metanoia“, personell und strukturell, bleibt eine ständige Bedingung für die Verkündigung des Evangeliums. Die unausweichliche Spannung zwischen Zeugnisgestalt und Botschaft gerät nicht in die Gefahr „struktureller Heuchelei“, wenn die Kirche zur täglich neuen Umkehr fähig bleibt, und so das Wagnis einer „gläsernen Kirche“ eingeht.

Um die Spannung von Treue zur anvertrauten Gabe des Evangeliums und der Solidarität mit allen Menschen auf Dauer halten zu können, bedarf es nach der Theorie des kulturellen Gedächtnisses neben der Expertise der Auslegung auch ein relativ unabhängiges Entscheidungsamt, das über die Hitze des Tages und die partiellen Ausblendungen hinaus Verantwortung zu übernehmen vermag. Synodalität bezieht sich nicht nur auf die Gegenwart, sondern im Bewusstsein der „communio sanctorum“ auf die Glaubenden aller Zeiten. Besonders die Verbundenheit mit den künftigen Menschen ist in der heutigen Debatte um die Klimaziele von großer Bedeutung.

Weil die Kirchenkonstitution Lumen gentium die Kirche als Bischofskirche sieht und in ihrer Theologie des Bischofsamtes, das als Prinzip der Einheit (LG 23) und der Vielfalt entfaltet wird, die Katholizität konstituiert wissen will, dann wird die Katholische Kirche immer nur in und aus einem Prozess der Konvergenz der vielen Ortskirchen. Das entspricht der Bestimmung, dass die Kirche in und aus Ortskirche bestünde (LG 23). Diese Bestimmung von Katholizität verlangt aber mit Notwendigkeit als prozessurale Realisierungsform die Synodalität als konstitutives Prinzip der Ekklesiologie. Katholizität ist dann als synodaler Prozess zu begreifen, in dem das episkopale Prinzip die Verbindlichkeit der verschiedensten Lernprozesse ebenso zu garantieren hat, wie die offene Synodalität selbst. Dass das episkopale Prinzip in spannungsreicher Beziehung zum charismatischen und prophetischen Prinzip der Kirche bleibt, darf als selbstverständlich dabei vorausgesetzt werden. Wenn die Episkopalität zudem als „Supervision“ verstanden wird, dann kommt diesem Amt die grundlegende Aufgabe zu, ohne die eine synodale Kirche sich nicht wird entwickeln können. Dieses Amt hat zu garantieren, dass alle gehört und niemand ausgeschlossen wird. Sie hat gegen die verschiedensten Ausgrenzungsdynamiken und Vergessenstendenzen Anwältin der Tradition zu sein.8 Damit ist auch die Aufgabe verbunden, den aktuellen synodalen Lernprozess verbindlich werden zu lassen. Wer tritt für die Entscheidungen sonst mit Verbindlichkeit ein, wenn das öffentliche und kirchliche Interesse in den Mühen der Ebene zu versiegen droht? Es ist aber auch unabdingbar, dass eine Weltgemeinschaft ein universales Amt der Einheit auszubilden hat. Dass das Verhältnis von synodalem Prozess und episkopaler Verbindlichkeit noch nicht zufriedenstellend gelöst worden ist, ist ein gutes Zeichen. Denn diese Beziehung wird niemals für alle zufriedenstellend gelöst werden können. Daher liegt im Bewusstsein, dass diese Spannung eine bleibende Herausforderung darstellt, meiner Ansicht nach die einzige Garantie, dass dieser Balanceakt gelingen kann.

Damit ist schon angedeutet, dass Synodalität keine Patentlösung darstellt, sondern neben Chancen auch Grenzen hat. „Synodalität“ wird die prekäre Kirche nicht überwinden, sondern in die Annahme der grundlegenden Verlegenheit der Kirche einweisen. Diese wesentliche Verlegenheit der Kirche liegt genau im eingangs zitierten Satz von Loisy. Die Kirche hat sich selbst zu vergessen auf Christus hin, aber es gibt auf der anderen Seite keine Christuserinnerung ohne Kirche. Aus dieser Spannung scheint mir ein „sentire cum ecclesia“ reifen zu können. Aus diesem „sentire cum ecclesia“, das immer ein „sentire cum omni creatura“ sein wird, werden jene Charismen wachsen und gedeihen, auf welche die Kirche immer angewiesen sein wird. Diese aber kann niemand machen. Jedoch kann in einem synodalen Bewusstsein die Aufmerksamkeit dafür besser reifen, den Boden für solche Gaben zu bereiten.

Der Autor:Roman A. Siebenrock, geb. 1957, verheiratet, 4 Kinder; Professor für Systematische Theologie i. R. (Dogmatik, mit Fundamentaltheologie und Religionswissenschaften); Interessenschwerpunkte: Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (Vaticanum II; v. a. J. H. Newman und Karl Rahner); Theologische Erkenntnislehre, Christliches Martyrium, Theologie der Religionen; Publikationen (Auswahl): zusammen mit Christoph J. Amor (Hg.), Handeln Gottes. Beiträge zur aktuellen Debatte (Quaestiones disputatae 262), Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2014; zus. m. Gloria Kaiser, P. Antonio Vieira SJ (1608–1697). Biografische und systematische Zugänge zu einem Jesuiten zwischen zwei Welten. Innsbruck 2019; Mit dem Herzen denken. Konturen einer leidenschaftlichen Theologie der Welt, hg. v. Michaela Quast-Neulinger / Christian Bauer / Margit Eckholt, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2022; GND: 114743991.

1Einen ersten Versuch habe ich vorgelegt in: Roman A. Siebenrock, „Ich bin bei Euch alle Tage bis zum Ende der Welt“. Entwurf einer Theologie der Synodalität der Kirche und des ganzen Volkes Gottes in sechs Thesen, in: das prisma 32 (2020), 28–35.

2Siehe: Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 72013.

3Alfred Loisy hat ohne Ironie und falschen Unterton dies genau erfasst: „Jesus hatte das Reich angekündigt, // und dafür ist die Kirche gekommen. Sie kam und erweiterte die Form des Evangeliums, die unmöglich erhalten werden konnte, wie sie war, seitdem Jesu Aufgabe mit dem Leiden abgeschlossen war. Wenn man das Prinzip aufstellt, daß alles nur in seinem ursprünglichen Zustand Existenzberechtigung hat, so gibt es keine Einrichtung auf der Erde und in der menschlichen Geschichte, deren Legitimität und Wert nicht bestritten werden könnte. Ein solches Prinzip läuft dem Gesetz des Lebens zuwider, welches eine Bewegung und ein beständiges Streben nach Anpassung an ewig wechselnde und neue Bedingungen ist. Das Christentum hat sich diesem Gesetz nicht entzogen, und es darf nicht getadelt werden, weil es sich ihm gefügt hat. Es konnte nicht anders handeln“ (Alfred Loisy, Evangelium und Kirche, München 1904, 111–112).

4Karl Rahner, Erfahrungen eines Katholischen Theologen. Sämtliche Werke 25, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2008, 47–57, hier: 50.

5Karl Rahner, Theologische Grundinterpretation des II. Vatikanischen Konzils. Sämtliche Werke 21/2, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2013, 970–981, hier: 971.

6Ich selber bin der Meinung, dass angesichts der österreichischen Erfahrung in der Opferschutzanwaltschaft der Missbrauchsskandal nicht kirchlich eng geführt werden kann. Aber ich glaube, dass die säkulare Gesellschaft sich an dieses Problem erst wirklich auch öffentlich wagen wird, wenn die Kirche modellhaft diese Herausforderung in ihrem Verantwortungsbereich einigermaßen bewältigt haben wird.

7Papst Paul VI., Ecclesiam Suam. Enzyklika vom 6. August 1964, Nr. 67; online: https://www.vatican.va/content/paul-vi/de/encyclicals/documents/hf_p-vi_enc_06081964_ecclesiam.html [Abruf: 05.10.2022]. Die deutsche Übersetzung habe ich geändert, weil die amtliche Übersetzung diese entscheidende Stelle ziemlich verfremdet. Dort heißt es: „Die Kirche muss zu einem Dialog mit der Welt kommen, in der sie nun einmal lebt. Die Kirche macht sich selbst zum Wort, zur Botschaft, zum Dialog“.

8Wenn beobachtet werden muss, dass im derzeitigen synodalen Prozess in Österreich die ökumenischen Anliegen oder das Verhältnis zum Judentum oder den anderen Religionen kaum oder gar nicht erwähnt werden, dann ist dieser Aspekt nicht mehr weiters begründungsbedürftig.

Thomas Schüller

Kirchenrechtliche Spielräume und Begrenzungen synodaler Prozesse am Beispiel des „Synodalen Weges“ in Deutschland