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Beschreibung

37 Schriftsteller kochen für ihre Freunde

»Tafelrunde« versammelt die Lieblingsrezepte von 37 namhaften Schriftstellern. Zugleich erzählen diese Autoren aber auch ganz persönliche Geschichten über die Zubereitung der einzelnen Gerichte und ihre Erlebnisse beim Kochen. Das macht »Tafelrunde« zu einem Muss für alle Freunde des Kochens und der Literatur sowie zu einem idealen Buch zum Verschenken, zum Nachkochen und zum Schmökern.

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Seitenzahl: 318

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Angelika Overath, Manfred Koch, Silvia Overath (Hrsg.)

TAFELRUNDE

Schriftsteller kochen für ihre FreundeRezepte und Geschichten

Luchterhand

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Covermotiv: Alison Cooper/The Bridgeman Art Library/Getty Images

Alle Abbildungen im Innenteil: picture-alliance/ Mary Evans Picture Library außer (1), (2)(picture-alliance/ united archives)

© 2012 Luchterhand Literaturverlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-08866-8V003

Vorwort: Mit Dichtern in der Küche

AM ANFANG WAREN ZWEI DUTZEND Rezepte, mit schwarzer Spiralheftung in weinrote Kartonblätter gefaßt: das Geschenk von Karl-Heinz Ott zu unserem ersten Sommerfest in den Bergen. Wir lasen hinein, freuten uns an Formulierungen wie »Es gibt nichts Trostloseres, als wenn man in deutschen Beizen einen Schweizer oder Elsäßer Wurstsalat bestellt, also einen mit Käse, und er ist dann so gut wie nicht angemacht oder nur mit ein bißchen galligem deutschem Essig beträufelt«. Wir blätterten von Spiegelei mit Ingwerpulver zu Entrecôte im Gewürzmantel und sahen: wir bekamen hier nicht nur besondere Rezepte geschenkt. Die Art und Weise, wie Karl-Heinz Ott Nahrungsmittel vorstellte und ihre Handhabung nahelegte, zeigte auch etwas vom Temperament und Ton des Schriftstellers. Durch Zutaten und Zubereitung hindurch blitzte die Haltung unseres Freundes zu den heilig profanen Dingen des Daseins. Hatten wir mit seinen Rezepten nicht eine Essenz vom literarischen Aroma dieses Autors?

Während wir aßen, lasen, sprachen und tranken, wuchs die Idee eines Kochbuchs der Schriftsteller.

Rezepte, zumal wenn Autoren sie schreiben, bewegen sich auf dem schmalen Grat von Realität und Fiktion. Die Idee von Geschmack begleitet noch das krudeste Notat der Handgriffe. Das erste Mal kosten wir ein schönes Gericht in der sinnlichen Vorstellung seines Gelingens.

Wir essen also auch mit Worten. (Wie wir mit Worten erleben. Und auch deshalb lesen wir.) Als das jüngste Mitglied unserer Familie mit vier Jahren eine Phase des Vegetarismus durchlebte, weigerte es sich, Blutorangen zu essen. Wir versuchten es zu den winterlichen Vitaminen zu bringen, indem wir das Obst umtauften: Himbeerorange, Kirschorange. Aber es ließ sich den Namen nicht nehmen, das ursprüngliche Wort war stärker als die Frucht, ja, dem Kind war das Wort eine erste Frucht.

Mit der Speise haben wir die Poesie auf der Zunge.

Wir versuchten also, noch einen Schritt weiter zu gehen, wir wünschten uns mehr als nur ein Kochbuch und schrieben an verehrte Kollegen, schreibende Freunde:

Vermutlich hat jeder die eine oder andere Lieblingsspeise, die zum festen Repertoire seiner kleinen oder großen Küche gehört. Würden Sie/würdet Ihr solch ein Gericht, ein Gebäck, ein Soufflé, eine Suppe, ein Menü mit uns und anderen teilen?

Wir suchen private, besondere Rezepte. Das ist das eine. Dazu wünschen wir uns aber auch eine Geschichte: Wo kommt dieses Rezept her? Wann wird es zubereitet? Und für wen? Und vielleicht entwickelt sich an den konkreten Zutaten zwischen Sellerie und Safran, Anis oder Artischocke ein ganz freier Text über Liebe, Leidenschaft, Angst und Tod oder nur ein Erstaunen.

Spielregel:

Die Rezepte müssen nachkochbar sein, das heißt, sie sollten so beschrieben werden, daß eine reelle Chance des Gelingens besteht. Es soll eine Geschichte erzählt werden, die im Zusammenhang mit dem Rezept steht. Sie kann biographische Züge haben und etwas über das Rezept sagen; sie kann sich aber auch nur an den Zutaten entzünden. Sie kann essayistisch sein. (Wir akzeptieren auch einen inneren Monolog, ein kleines Drama, ein Gedicht …)Wir hätten gerne zwei Texte: das Rezept und die Geschichte; wir freuen uns aber auch, wenn Rezept und Geschichte ineinander übergehen.

Als die ersten Rezepte kamen, mußten wir lachen. Brigitte Kronauer schickte einen Schlesischen Mohnkuchen; Ruth Klüger Haifisch in der Mikrowelle; Hans Magnus Enzensberger die Platte der Kaltmamsell. Das hätten wir nicht erfinden können! Und gespannt beobachteten wir weiter, welcher Autor uns, bei freier Wahl, welche Gerichte anbieten würde.

Viele Rezepte umspielten die Thematik von Familie und Heimat. Die junge, in Baku geborene Olga Grjasnowa servierte eine üppige Menüfolge ihrer Mutter aus Aserbaidschan, Terézia Mora, geboren im ungarischen Sopron an der österreichischen Grenze, setzte mit einer Suppe aus Schweinehirn und Nieren ihrer Herkunft ein Denkmal; sie zitierte die »Scharrfüße« zum Abnagen oder das »Pörkölt«, ein Eintopfgericht aus Hühnerhoden, das sie einmal in Szeged aß. Dagmar Leupold schrieb vom Duft des Barszcz, mit dem »Eltern-Heimat« aufsteigt: »Beskiden/Vater, frisches Haff/Mutter, Elche, die den ostpreußischen Schulweg kreuzten.« Es sind die alten Speisen, die im Gekocht- und gemeinsamen Gegessenwerden die Spur von Flucht und Vertreibung immer wieder zurückgehen. Wenn wir essen, tun wir dies oft zum Gedächtnis und im Nachvollzug. Katharina Enzensberger servierte »Saure Rohknöpfle«, eine bäuerliche Armensuppe, die deutsche Aussiedler aus dem Südosten mitgebracht hatten und die in den je fremden Heimaten verlorene Nähe einholte: »Schlürfte die Familie zusammen und schweigend die sättigende Brühe, dann bildete sich eine vertraute Blase, und alles war gut.« Mit Riesenbohnen und überbackenen Quitten hielt Barbara Spengler-Axiopoulos den Weg der aus Kleinasien vertriebenen Griechen offen oder gab den Wink der »Soutzoukakia Smyrnaika«, der Fleischklößchen, wie man sie im alten Symrna zubereitete. Kathrin Schmidt schickte gefüllte Teigtaschen, die es, süß oder salzig, in der Ukraine, in Rußland, in China, Polen, in Kasachstan und in Korea gibt, und schrieb eine Geschichte der Verführung, in der Teigtaschen auch Sprachtaschen waren und zur Initiation wurden, einen Heiratsantrag polyglott zu stellen.

Oft führten die Gerichte an Orte persönlicher Erfahrung: Mit Avocados und Mangos in ein bäuerliches Ecuador (Leta Semadeni); mit Kaviar ins kommunistische Moskau (Hans Magnus Enzensberger); mit frischer Schafsleber nach Tórshavn auf die Färöer Inseln oder mit Käse auf eine Kuhalp: »auf der Schwyzer Seite der Rigi, zwischen dem Hagenzingelboden und der Trieb Alp« (Verena Stössinger). Mit einem Hühnchen in ein bayrisches Wohnzimmer der 70er Jahre, wo Mutter und Sohn vor dem Fernseher die spanische Küche kennenlernen und den »Gott des Knoblauchs« bestaunen (Michael Kumpfmüller). In ein Wien der Schulfreundinnen mit einer Schokoladentorte aus dem Rheinland (Eva Menasse). In ein Indien des kleinen Verrats, mit honigsüßen, sesammilden Keksen (Laura Lichtblau). Und immer wieder nach Italien. So erzählte Theres Roth-Hunkeler über dem einst am Ende eines kalabrischen Sommers aus köstlichen Resten erfundenen Fleischkuchen von einem Familienleben in drei Generationen, das sich immer wieder heiter in neuen (Rest)Konstellationen erfinden muß.

Rezepte sind meist tradierte Texte. Im Geist der kochkundigen Ahninnen steigt vergangene Intensität auf als Kindheitsduft und Erinnerung (kaum zu unterscheiden). »Natürlich ist man versucht, von Großmüttern zu sprechen«, beginnt Zora del Buono ihre apulische Familiengeschichte, die in der Sommerleidenschaft des Dienstmädchens Draga, der »slowenischen Alpenschönheit«, zu gefüllten Auberginen und einem Gärtner gipfelt. Und Walter Grasskamp evoziert die verlorene Anarchie der Kindheit über dem Rätsel der in heißem Fett brutzelnden Reibekuchen (das Rezept wurde nie schriftlich fixiert): frisch aus der Pfanne gegessen, neben der backenden Mutter, ein unerreicht köstlicher Augenblick.

Viele Autoren servierten Fleisch, gerne Innereien. Dabei reflektierten sie das Töten. Man bedenke, daß mehr Haie durch Menschen gegessen werden als umgekehrt, schrieb Ruth Klüger. Und Leo Tuor, Schriftsteller, Hirt und Jäger, überblendete die Köpfung eines Huhns mit der Hinrichtung von Marie Antoinette, wie Susan Sontag sie schildert. »Nimm ein Gewehr« ist der initiale Imperativ bei Erica Pedretti, dann ist vom »Schweiß« des Wilds die Rede, damit ist in der Jägersprache sein Blut gemeint. (Erlegt werden also auch Wörter.) Das unsachgemäße Schlachten wird zum Kern der Erzählung um die Weihnachtsgans bei Katja Lange-Müller. Jochen Schimmang formulierte über der Zubereitung seiner Kalbsleber: »Vergessen wir nicht, daß dafür Kälbchen geschlachtet werden mußten.« Und in Iso Camartins Rezeptgeschichte zur alten Bündner Froschschenkel-Mahlzeit lernen wir von einem Protagonisten: »man müsse beim Töten immer still in sich sagen: ›Engraziel, ti paupra bestga – Danke, du armes Tier!‹«

Gute Autoren wissen, was sie tun, auch beim Kochen. Sie pendeln zwischen freien Kreationen (Alain Claude Sulzer, der »Italien zu Hause« entwirft, je nachdem was Wiese und Markt bringen und welche Freunde kommen) und tradierten Ritualen. Andreas Lebert entwirft über einem bayrischen Schweinebraten das Portrait seiner Großmutter, die die »eiserne Rane« vererbte; nur in diesem, von Generation zu Generation weitergegebenen Gefäß durfte das Fleisch in den Ofen geschoben werden, nach einem uralten Rezept, an dem nichts zu variieren war.

Wie die Poetik jedem guten Text implizit ist, kann das Kochen selbst eine Rezeptgeschichte ausmachen, so wichtig wie das sich einzuverleibende Ergebnis selbst. Hanns Josef Ortheil entwickelt bei der Zubereitung von Kutteln (eine Metamorphose von »Lumpen« über »blaßgelbe Regenwürmer« zu Erscheinungen in rembrandtschem Licht) eine Performance des Zubereitens, die ganz nah am Schreiben ist. Während des Köchelns liest der Koch (sieben Feuilletons und er blättert in drei Büchern), er trinkt und begießt die Kutteln, die gleichsam mit ihm den Wein genießen und bereit werden. Kochen ist wie Schreiben eine Sache der Gegenseitigkeit. Der Aufmerksamkeit, Hingabe, ja Liebe. (So wie Lesen und Essen eine Frage des Zulassens ist.)

Stephan Krass dreht das Spiel direkt in die Poetik und geht von den Zutaten der Wörter aus. Er legt sie buchstabenweise seinen Protagonisten auf die Zunge (HURE oder RUHE) und erinnert an die Nähe der zentralen Worte »Gericht« und »Gedicht«. Beide tragen jenes »ich« in sich, ohne das Gericht wie Gedicht nicht gelingen.

Manche der Rezepte bleiben sehr nah an diesem Ich. Andrea Köhler nähert sich den Zutaten über das memento mori von Stilleben und erkennt im gestürzten Kelch ihr Angesicht. Die von ihr evozierten realen Stilleben aus dem New Yorker Metropolitan Museum korrespondieren mit den imaginierten Bildern in der Küche Ortheils, wo etwa ein »Kuttel-Kegel, wie ihn Chardin als Stilleben gemalt haben könnte«, aufscheint. So lebt das Buch immer wieder von Spiegelungen und Echos. Wenn Beate Rothmaier in einer Erzählung (der Liebesanlockung durch Speisen) von ihrer Doppelexistenz als Autorin und kochender Mutter handelt, schlägt sie den Bogen zu Leo Tuor, der auch täglich Kinder sattbekommen muß, die am liebsten seine Buchstabensuppe löffeln: womit er wiederum an den Text von Stephan Krass anschließt. In der Kippfigur von Feinden, die man nicht verlieren will, und Freunden, die wieder einmal zu lange bleiben, berührt der Text von Theresia Walser sich mit der kleinen Kriminalgeschichte von Georg Klein, wo die ländliche Idylle am Wattenmeer unversehens ins Zwielicht eines bizarren Mordes umschlägt. Was gut, was böse ist, bleibt auch im schrillen Gesellschaftsspiel des Kindergeburtstags für eine 40-Jährige (Lea Singer) in der Schwebe.

Sprache ist Handlung; Kochen Kommunikation. Es kann magisches Nähren sein, das die Köchin selbst zu stillen verspricht (Katrin de Vries). Liebes-Verführung (Beate Rothmaier, Kathrin Schmidt, Katja Lange-Müller). Oder schönste Leibesbehauptung, apfelrund, amazonenhaft (Ulrike Draesner). Es kann eine Hommage sein, wie die Fischsuppe »Kuddl Dutt«, die Armin Schreiber im Gedenken an den Fischhändler und Mittelstürmer seines Vereins kocht (»Schleswig 06«, der damals »noch in der Bezirksliga Nord, also gegenTSV Westerland und Frisia Husum spielte«). Und manchmal muß eine Brennesselsuppe in Tateinheit mit einem Kinderbuch Herd und Buchstaben verbinden (Franz Hohler). Auch deshalb sind die Herdstellen der Poeten Hexenküchen, wo Reizker milchen, Totentrompeten duften und der ernährungspolitisch nicht korrekte Aromat-Suppenteufel Knorrli seine rote Kelle schwingt (Peter Weber).

Wie es leichte und schwere Mahlzeiten gibt, versammelt das Buch der Tafelrunde Geschichten unterschiedlichster Verträglichkeit. Alle sind sie besonders und uns unverzichtbar. Wir haben – von offensichtlichen Flüchtigkeitsfehlern abgesehen – nicht lektorierend eingegriffen. Die Spielvorgaben waren für alle gleich; uns interessierten auch die Abweichungen.

Um der Höflichkeit biobibliographischer Angaben etwas Aroma beizugeben, haben wir die Autoren abschließend gebeten, uns »Fünf Favoriten« ihrer Küche zu nennen: die fehlen, wenn sie fehlen, ohne die es nicht oder schlecht geht. Es erreichten uns kleine kulinarische Visitenkarten der Poeten, die studierend zu vergleichen jede Tafelrunde bereichern kann.

Zur besseren Nutzbarkeit des Buches, das ja auch ein Kochbuch ist, sind den Rezepten und Geschichten Listen mit den benötigten Zutaten vorangestellt.

Wir wünschen allen, die lesen und kochen, schreiben und essen, gute Stunden mit unserem Buch: für ihre eigenen Tafelrunden!

Angelika Overath, Manfred Koch, Silvia Overath

Sent, Ludwigsburg, Sommer 2012

KALTE KÜCHE

Piped Ham

LETA SEMADENI

Ensalada Tumbaco (Avocadosalat)

Zutaten:

1 reife Avocado

½ reife Mango

einige Stangen Sellerie

½ Apfel

Pekannüsse

kalt gepreßtes Olivenöl

und weißer Balsamico

(evtl. mit Honig)

Avocado, Mango und Sellerie in kleine Scheiben oder Stangen schneiden (evtl. einen halben Apfel, ebenfalls in kleine Scheiben geschnitten, hinzufügen). Eine Handvoll Pekannüsse hacken und daruntermischen.

Mit Olivenöl und Balcamico abschmecken.

ES WAR ANFANG Juni, die Wiesen standen in voller Pracht.

In der Dämmerung trieb der Vater seine Kinder auf die Wiese hinter dem Haus. Mit seiner lieben Stimme rief er uns, trieb uns zusammen, wie er es wahrscheinlich als Kind mit seinen Kühen getan hatte: *Vè puscha, puscha, vè! rief er.

Und wir vier liefen friedlich auf allen vieren auf der blühenden Wiese hin und her, als hätten wir das immer schon so getan. Der Vater redete beruhigend auf uns ein, während wir die Grasbüschel mit der langen Zunge ausrissen und die Unterkiefer kräftig hin und her schoben, wie es die Kühe tun.

Der Traum wiederholte sich viele Male. Es war kein Alptraum. Das Gras schmeckte nicht schlecht, etwas bitter, aber es war zart und saftig.

Doch irgendwie muß ich mich damals wohl an Grünzeug total übergessen haben in den vielen Nächten – wenn auch nur auf den blühenden Wiesen des Traums.

Darum gibt’s bei mir zwar öfters einmal Salat, aber keine grünen Blätter.

Meine Salate bestehen fast immer aus Früchten, Wurzelgemüse, Stangensellerie und Nüssen.

Aus Ecuador, wo ich ein Jahr lang lebte, habe ich die Vorliebe für Exotisches mitgebracht.

Ich bewohnte dort mit zwei Frauen und einem Kind ein kleines Haus in einem Streudorf, etwa eine halbe Busstunde außerhalb der Hauptstadt Quito.

Hinter unserem primitiven Steinhaus wuchs ein riesiger Avocadobaum, so schwer beladen mit Früchten, daß die Äste bis auf den Boden hingen. Um den Baum herum schwirrten immer eine Menge Kolibris, und die im Sonnenlicht irisierenden Flügelchen gaben dem Baum einen schönen Schein.

Man mußte die Avocados ernten, wenn sie noch hart waren, in Papier einwickeln und im Dunkel einer Schublade nachreifen lassen.

Es gab bei uns zum Frühstück Birchermüsli mit Avocados, es gab Avocado als Vorspeise, Avocadocreme zum Dessert, und wir brauchten die zerquetschten Früchte auch zur Schönheitspflege für Gesichts- und Haarmasken.

Von unserem Haus bis zur Landstraße, wo der Bus nach Quito fuhr, führte ein steiler Weg, der in der Regenzeit zum Fluß mutierte. Aber auch außerhalb der Regenzeit kam man unten mit verschmutztem Schuhwerk an. Man setzte sich irgendwohin ins Gras oder balancierte auf einem Bein, in der einen Hand ein Nastuch, in der anderen einen schmutzigen Schuh. Man spuckte kräftig aufs Tuch und reinigte damit das Leder. Saubere Schuhe galten als Zeichen von einem gewissen Wohlstand, und der erste Blick fiel darum immer auf die Schuhe, nach deren Zustand man beurteilt wurde.

Schon während man auf einem Bein balancierte oder im Gras saß und die Schuhe polierte, schoß die Indiofrau mit ihrem Bauchladen aus den Büschen und schrie mit gellender Stimme: Mangos para chupar, mangos para chupar!

Die Mangos kosteten fast nichts und waren genau so groß, daß sie bequem in der Handfläche Platz hatten. Sie bestanden hauptsächlich aus Saft und Fasern, weswegen sie nicht exportiert werden konnten.

Auf der Fahrt in die Stadt mußte man die Frucht weich kneten, bis der Saft sich vollständig von den Fasern gelöst hatte. Dann machte man oben ein kleines Loch mit den Fingernägeln und drückte den Saft direkt in den Mund. Es waren die besten Mangos, die ich je gegessen bzw. getrunken habe.

Diese zwei Früchte, Mangos und Avocados, gehören seitdem in fast jeden meiner Salate.

Oft, wenn ich auf Wanderungen Kühen auf der Weide begegne, kommt mir mein Traum in den Sinn und gleichzeitig hüpfen meine Gedanken über den großen Teich nach Tumbaco, zu unserem kleinen Haus mit dem von Kolibris umschwärmten Avocadobaum, und ich höre die Stimme der Indiofrau: Mangos para chupar, mangos para chupar!

Dann gehe ich schnurstracks in den Supermarkt und kaufe mir alles, was ich brauche für meine Ensalada Tumbaco.

* Puscha: Romanischer Kosename für KüheVè !: Komm!

HANS MAGNUS ENZENSBERGER

Kaltmamsell

Zutaten:

Feldsalat:

Feldsalat

Pfifferlinge

Kandierte Walnüsse

Avocado-Mousse:

Avocado

1 Löffel Mayonnaise

Lachsschinken

Senf

Balsamico

Thunfischsalat:

Thunfisch im eigenen Saft, in der Dose

Estragon

Dill

Salz

Peffer

Dill

Remoulade

Zitronensaft

Hühnersalat:

Gebratenes Hühnerfleisch

Mayonnaise

Madras-Curry

Sharwood’s Mixture

Rosinen

Kleine Boskop-Schnitze

Hartgekochte Eier:

Eier

Remoulade

Schnittlauch

Schwarzer Peffer

1 Löffel Kaviar

DASS VIELE KÖCHE den Brei verderben, behauptet eines der schwächsten deutschen Sprichwörter. Die klassische französische Küche zählt immerhin auf ein gutes Dutzend einschlägiger Berufe, vom Rôtisseur bis zum Pâtissier und vom Suppen- bis zum Ofenkoch. Das ginge natürlich allen über die Hutschnur, die lieber zu Hause als in jenen Restaurants essen, wo man sich mit allerhand Sternen im Reiseführer brüstet.

Dennoch hat auch am familiären Tisch die Arbeitsteilung ihre Vorzüge. Es muß ja nicht eine ganze Brigade von Chefs, Sous-chefs und Zuträgern sein! Uns genügt es schon, wenn der eine gern die Paprika schnitzelt, während die andere lieber die Gans tranchiert. Jeder nach seinem Geschmack und nach seinen Talenten!

Leider sind die meinigen eher bescheiden; deshalb habe ich mich für die Rolle der Kalten Mamsell entschieden. Dazu braucht es keine Küchenwaage. Die Zutaten werden aus dem Handgelenk heraus bemessen. Wie alle aus diesem Fach gehe ich ebenso launisch wie wählerisch vor und halte eigensinnig an meinen Vorlieben und Abneigungen fest.

Das fängt schon damit an, daß ich mich für süße Sachen nicht zuständig fühle. Mehlspeisen waren die Domäne meiner Mutter. Sie verdankte ihre einschlägigen Fertigkeiten der Lehre in einem ländlichen Pfarrhaus, wo niemand je das häßliche Fremdwort Diät in den Mund genommen hat. Nie wäre es mir eingefallen, ihren Kreationen nachzueifern. Andererseits, und aus diametral entgegengesetzten Gründen, lehne ich es ab, die zwischen Flensburg und Bodensee beliebten Nudel-, Spätzle- und Reis-Salate herzustellen, die wohl eher als Sättigungsbeilage dienen können.

Dagegen lobe ich mir einen Feldsalat mit Pfifferlingen und kandierten Walnüssen oder eine Avocado-Mousse, angerichtet mit einem Löffel Mayonnaise, kleingeschnittenem Lachsschinken, einer Prise Senf und ein paar Tropfen Balsamico. Selbst der Thunfisch aus der Dose ist nicht zu verachten, falls er nicht in einem undefinierbaren Öl schwimmt. Man muß dann nur den Saft abgießen, Estragon, Knoblauch, Dill, Salz und Pfeffer zugeben, mit reichlich Remoulade unterrühren und am Schluß genügend Zitronensaft einträufeln. Wenn man das Glück hat, ein zartes Huhn zu finden, dann sollte man sein gebratenes Fleisch in kleine Würfel schneiden. Vorausgesetzt, daß die Mayonnaise ohne Tadel ist, fehlt, damit das ganze nicht fade schmeckt, nur noch ein scharfer Madras-Curry; weil ich zu faul bin, nehme ich Sharwood’s Mixture, obwohl die wahren Kenner über solche Pülverchen die Nase rümpfen. Ein paar Rosinen und kleine Boskop-Schnitze können nicht schaden.

Drei, vier Rezepte – das muß fürs erste reichen; lassen wir die herrliche Sellerie, den Roten Hering, den kinderlieben Waldorf-Salat und das Vitello tonnato beiseite und schließen mit einem wehmütigen Abgesang! Er gilt dem Stör, der bekanntlich so gut wie ausgestorben ist. Seitdem fehlt den Russischen Eiern das entscheidende Ingrediens. Halbierte hartgekochte Eier, die Dotter angerührt mit ein wenig Remoulade, Schnittlauch und schwarzem Pfeffer – das mag gut und schön sein, aber ohne einen Löffel Kaviar obendrauf ist es nur eine blasse Erinnerung an die guten schlechten Zeiten, als es in Moskau diese konzentrierteste aller Delikatessen in Kilodosen, aber keine Tampons und kein Klopapier gab.

VERENA STÖSSINGER

Käse. Und Nußschnaps

Zutaten:

eine Auswahl von Lieblingskäse

Für den Nußschnaps:

15 bis 20 noch grüne Walnüsse

(muß man pflücken gehen)

1 Liter Schnaps, 90- bis 95-prozentig

1 Zimtstange

Zitronenschale

ganze Nelken

1 Liter guter Rotwein

(oder ½ Liter Rotwein und ½ Liter Wasser)

100-150 g Zucker

(grüne Bülacher Gläser mit Porzellanverschluß)

WIR HABEN GERNE Gäste. Am liebsten so viele, daß alle gut Platz haben am Tisch in der Küche. Da sitzen wir dann, essen und trinken, haben Zeit und sehen zu, was sich ergibt; und das Essen darf nicht so sein, daß ich ständig aufspringen muß und irgendetwas rühren, abschmecken, abgießen, dressieren und fürchten, daß es nicht gelingt. Es soll uns am Tisch halten und gemächlich satt machen. Fondue ist gut, Pot au feu, ein reiches Gulasch, Bündner Gerstensuppe oder ein Gratin; vorher, zum ersten Glas, etwas Knackiges und hinterher etwas Süßes. Kleine Nußgipfel aus Blätterteig, die noch fast warm sind, vielleicht. Oder Apfelküchlein mit Zimt und Zucker. Und wer möchte, kann Vanilleeis bekommen (das mit den Pünktchen). Und Käse natürlich. Oder überhaupt nur Käse; das große Brett voll schöner Käsestücke, und dazu dicke Scheiben von einem Brot, das sich nicht aufspielen muß, oder Gschwellti, Kartöffelchen mit Haut. Und Butter, Pfeffer, Salz. Und Baumnüsse und Obst, am liebsten Birnen; diese schmalen mit der braunen Haut zum Beispiel oder Williamsbirnen, die erleichtert saften, wenn man sie anschneidet. Und Wein natürlich. Genug Wein (Blauburgunder).

Ich bin keine raffinierte Köchin, aber ich koche gern für Leute, die gerne essen, ohne ständig über Rezepte, Markterlebnisse, Zusatzstoffe und Gerätschaften reden zu müssen. Das Liebste in unserer Küche ist mir der Tisch mit der Bank, auf der (nicht nur morgens) die Zeitungen liegen, und der alten Zuglampe darüber. Ihr gutes Licht. Helle Gesichter und Hände. Eßgeräusche, Gespräche, Küchenduft.

»Aber wieso sagst du denn immer, daß du nicht gut kochen kannst?« fragt Jürgen.

»Weil es stimmt«, sage ich. Ich bin ungeduldig, will nicht mit der Waage kochen und befolge auch selten ein Rezept, improvisiere lieber; und wenn mir etwas so richtig gut gelingt, kann ich es nicht wieder nachkochen. Weil ich es nicht aufgeschrieben habe und weil es auf Zufällen beruhte: auf dem, was da war und mir einfiel. Ich erinnere mich an ein wunderbares Huhn, gefüllt mit Kastanien, die wir aus dem Piemont mitgebracht hatten, und einem Boskop-Apfel. An Randensuppe mit Meerrettichrahm, dänische Leberpastete (mit Pfeffer und viel Majoran) und die Baumnußtorte, die kein Mehl braucht. An eine Quarktorte ohne Bisquitboden, gebacken aus dem schweren Quark vom Bauernhof, und die Gäste wollten gerne noch ein Stück auf den Heimweg bekommen. Oder an die frische Schafsleber in Tórshavn, von der ich ein paar Abende lang sehr gut lebte im Gästehaus der färöischen Universität. Scheibenweise wurde sie angebraten in Salzbutter und Knoblauch; ein Gedicht. Genau so wie die winzigen Lammkoteletts aus dem Dorfladen damals, in Nordisland, wo wir einen langen Sommer lang nur froren. Oder eben Käse. Bergkäse aus Rohmilch. Der ist, was er ist, und schmeckt auch immer wieder ein bißchen anders; und mir vielleicht umso besser, wenn ich weiß, wie viel Zeit er bekommen hat zum Reifen und wo er herkommt. Und den Ort vor mir sehe, die Landschaft und ihre Farben.

Ein Lieblingskäse ist der von der Käserenalp. Die Käserenalp liegt auf knapp 1600 Metern Höhe: auf der Schwyzer Seite der Rigi, zwischen dem Hagenzingelboden und der Trieb Alp, und sie wird natürlich nur im hellen Halbjahr bewirtschaftet. Wenn die Tiere da oben gesömmert werden, wie es heißt. Dann kann man den Käse auch direkt dort kaufen, beim Senn in der Hütte, wenn man den Weg durch die Kuhweiden nicht scheut, aber dann ist er noch jung und (mir zu) mild. Der Gelagerte, den es zum Beispiel im Laden im Kaltbad gibt, hat viel mehr Eigensinn, ist räß, ein wenig spröd und schmeckt nach dem Gras, das die Kühe sich dafür zusammengefressen haben: Gras, das auf den stotzigen Weiden langsam wächst und auch nicht einfach nur Gras ist, sondern Grünzeug voller Kräuter und Blumen, man darf da oben ja nirgends etwas pflücken. Und wenn ich an diesem Käse rieche, rieche ich gleich auch den Keller in meinem Luzerner Elternhaus, wo früher die Laibe lagen (und der bis heute ein wenig nach Käse riecht, meine ich, auch wenn da nur noch Aktenschachteln stehen). Ein Schlaraffenland; der Schlüssel ging schwer und die grüne Holztür klemmte, man mußte sie mit der Schulter aufstoßen. Rechts, in der Ecke, war das Gestell mit unseren Marmeladen, dem eingemachten Obst und dem Wein, und links, die ganze Wand entlang, lag der Käse. Mächtige Laibe mit schwerem Duft. Wie Scheiben von alten Baumstämmen. Lagen in diesem halbdunklen, immer kühlen Gewölbe und ruhten sich ein letztes Mal aus. Denn in der Mitte des Kellers war der Tisch, auf dem sie für den Verkauf aufgeschnitten wurden; da lag der Käsespaten neben dem zusammengerollten Schneidedraht und dem Doppelgriffmesser, das wir in Ruhe lassen sollten. Nicht nur, weil es gefährlich war. Sondern auch, weil der Käseladen im Haus da schon nicht mehr dem Großvater gehörte (er war gestorben), sondern seinem Nachfolger, einem Herrn Meier, und der beschwerte sich jedes Mal bei unserer Mutter, wenn wir mit dem langen Käsbohrer ein Probiererli ausstachen und aßen. Sogar ohne das Loch mit dem Zapfen wieder ordentlich zu verschließen.

Aber vielleicht ist Schmecken, Riechen und Gernhaben ohnehin ganz eng mit der Erinnerung verbunden? Mein Vater aß nach jedem großen Essen mit Genuß no es Schnäfeli Chäs, auch wenn er eigentlich schon satt war (oder dann erst recht); für ihn gehörte das dazu. Er war groß geworden in der Wohnung über der »Milch Käse Butter«-Handlung seines Vaters, dieses gutmütigen schnauzbärtigen Schaffers, der es vom Verdingbub zum Hausbesitzer gebracht hatte und den Laden in der Altstadt ein paar Jahrzehnte lang zusammen mit seiner Frau führte. Sie stand meist hinter der Theke und machte am Wochenende s Bureau, und er verkaufte dienstags und samstags vom Marktstand am Reussquai aus und verhandelte mit Molkereien, Lebensmittelkontrolleuren und den Männern in den Lederschürzen, die ihm mit federnden Beinen die großen Eisstücke brachten. Und belieferte mit dem kantigen Automobil, das vorne noch eine Anlasser-Kurbel hatte (und auf das er sehr stolz war), diskret und zuverlässig die Damen in der Vorstadt, die die Handschuhe nicht auszogen, wenn sie mit ihren Meitli im Laden vorbeischauten; sie wollten seine schön verzierten Buttermödeli haben und Stücke vom Käse, den er wohl genau richtig ausgereift anbot. Greyerzer, Emmentaler, Tilsiter, Sbrinz und Glarner Schabziger, Vacherin im Holzring im Herbst, Unterwaldner Bratkäse, Fontina und Saint-Paulin, Gorgonzola, Tomme und Brienzer Mutschli. Und Gerber Extra, den neumödigen Streichkäse in der runden Schachtel.

Käse ist, zusammen mit Brot, das beste Essen, das ich mir denken kann. Eigentlich ein Grundnahrungsmittel (so, wie die Kuh ein Urtier ist). Und zwar offenbar seit langem. Erfunden worden sei der Käse nämlich in Arkadien, von einem König, der Aristaios hieß, habe ich gelesen, und ein altindischer Schöpfungsmythos erkläre geradezu die ganze Welt zum Käse: denn das Meerwasser, das am Anfang war, wurde irgendwann zu Schaum geschlagen und gerann zu Käse. Und daraus krochen die Menschen dann als Würmer hervor (und der größte unter ihnen wurde zu ihrem Gott). Im Norden leckt die Kuh Auðhumbla den ersten Menschen, Búri, aus dem Eis heraus ins Leben, und »Din far skal gi’ dig ost-og-brød, din mor skal varme din kind … så rød!«,heißt es in einem alten dänischen Tanzlied; das ist dann wohl das Glück. »Dein Vater soll dir Käse und Brot geben, die Mutter dir die Wange wärmen … richtig rot!«, damit Körper und Seele satt sind.

Aber »das kannst du nicht machen!«, sagt Jürgen jetzt. »Deinen Käse und die ganzen Geschichten in Ehren – aber du sollst doch ein Rezept aufschreiben!«

Er hat gut reden. Er hat seine Marmeladenrezepte, die er immer weiter ausfeilt und variiert; und seine Marmeladen sind ja auch wunderbar. Frisch und fruchtig und überraschend eigenwillig. Besonders gern mag ich die Kürbis-Feigen-Reihe, die jeden Herbst ein wenig fortgeschrieben wird. Oder seine Birnen-Marmelade, die er manchmal, wenn sie fertig und besonders gut gelungen ist, sogar Konfitüre nennt; die vom letzten Jahr ist aus Williamsbirnen mit gemahlenen Haselnüssen (den kleinen aus dem Garten), Vanille, Zitronenschale und -saft, geraspeltem Apfel, Zimt und erstaunlich wenig Zucker. Und den Nußschnaps, den er manchmal macht, mag ich natürlich auch; und der hat auch schon seinen Ruf.

»Gibst du mir eins?« frage ich.

»Was denn?«

»Eins von deinenRezepten? Schenkst du mir eins? Das heißt, diesem Buch?«

»Ich?« fragt er.

»Ja! Die Marmelade aus Kürbis und frischen Feigen zum Beispiel«, sage ich. »Oder den Nußschnaps.« Denn da gäbe es auch noch eine schöne Geschichte dazu.

Er überlegt eine Weile, bis er sich entscheiden kann und »Also gut!«, sagt. »Den Nußschnaps.«

Er steht auf und holt das rote Notizbuch, blättert darin. »Hier sind alle drin, die ich bisher gemacht habe«, sagt er. »Denn es kommt natürlich darauf an, wie stark er werden soll. Und wie groß die Nüsse sind. 2007 zum Beispiel waren die grünen Nüsse ganz klein, weil der Frühling sehr trocken war … aber man muß sie bis Ende Juni ernten, weil die Schale innen noch weich sein muß. Auf den Liter Schnaps, 90- bis 95-prozentigen, braucht es 15 bis 20 Nüsse. Sie werden gewaschen, geviertelt, in ein dunkles Bülacher Glas gelegt und mit Schnaps übergossen – die Flüssigkeit muß die Stücke gut bedecken. Dann eine Zimtstange dazu, ein Stückchen Zitronenschale und einige Nelken. Die Bülacherflasche wird verschlossen und auf dem Fenstersims in die Sonne gestellt. Jeden Tag einmal kräftig schütteln; nach zwei Monaten oder auch länger wird das Glas geöffnet. Der Inhalt wird durch ein Sieb gegossen, in dem die Nüsse und das Gewürz zurück bleiben, und die Flüssigkeit anschließend durch ein Tuch gefiltert. Und weil ich 95-prozentigen Schnaps genommen habe, muß ich sie verdünnen – entweder mit der gleichen Menge Wasser, oder mit Rotwein, oder halb Wasser, halb Rotwein. Ich nehme immer nur Rotwein, einen sehr guten Franzosen. Und dann kommt noch der Zucker dazu; wenn man viel nimmt, wird es Likör, und bei wenig Zucker ein herber Schnaps. Ich nehme auf einen Liter nur 100 bis 150 Gramm Zucker, löse ihn in wenig abgekochtem, erkaltetem Wasser auf und gebe ihn dazu. Der Nußschnaps wird in gesäuberte Flaschen abgefüllt – ich habe gerne welche mit Porzellanverschluß – und die Flaschen kommen in den Keller. Da sollen sie stehen, nicht liegen; und je älter der Nußschnaps wird, umso besser ist er. Und jetzt kommt noch der Knüller …«

»Der Knüller?«

»Ja! Er ist Medizin! Wenn man einen schwachen Magen hat, dann hilft er. Wie Fernet-Branca, nur besser.«

Er klappt das rote Buch zu und stellt es zurück.

»Danke!« sage ich.

»Bitte!« sagt er und lacht.

»Was lachst du?« frage ich. »Stimmt etwas nicht?«

»Doch doch, mir ist bloß wieder die Geschichte von damals eingefallen, von dem Abend bei uns, als Markus …«

An die denke ich schon die ganze Zeit, wenn ich ehrlich bin. Und erzähle sie gerne zum Schluß auch noch. Sie handelt von einem Abend, den wir mit lieben Gästen an unserem Küchentisch verbrachten. Oder eher: einer langen Nacht.

Es fing damit an, daß wir uns sagten, jetzt sei es endlich an der Zeit, Markus und seine Frau auch einmal einzuladen. So oft schon waren wir bei ihnen gewesen, nach der Vorstellung meist, spontan beschlossen; Schauspieler kommen nach dem Applaus ja noch längst nicht zur Ruhe. Markus, Jürgens nachdenklicher Kollege, hatte dann meist monologisiert, er war klug und belesen, und Jeanne hatte am Herd gestanden. Sie stand, wann immer man kam, in ihrer eleganten Handtuchschürze in dem großen Raum, der Wohnzimmer und Küche zugleich war, und bereitete etwas zu. Kleine Leckereien, Gang um Gang. Trug auf, sobald man sich gesetzt hatte, und zog sich wieder zurück, war Köchin, Kellnerin und Fütterengel in einem, und Flasche um Flasche kam auf den Tisch, Markus sprach inzwischen über griechische Philosophen, über Eichmann, die regionale Kulturpolitik, seinen unglücklichen Sohn und die Texte, die er selber schrieb, weil er der Literatur mißtraute, und wir saßen da, aßen und tranken Wein, hörten zu und wandten natürlich ein, wann immer das möglich war, redeten mit und gegen ihn an und fühlten uns, als seien wir alle zusammen aus der Zeit heraus gefallen, die nach Uhren ging.

Aber einmal sollte man sich doch revanchieren, dachten wir. Jürgen schaffte es, mit Markus (der außerordentlich ungern ausging) einen Termin abzusprechen. Ein Essen bei uns sollte es werden. Die Vorbereitungen waren erschöpfend, fand ich – doch dann saßen wir tatsächlich eines Abends zu viert um unseren Tisch. Ich glaube, es gab Lachs, einen großen schönen Fisch; wir aßen, tranken und hatten es gut. Tranken sogar ziemlich viel und sprachen dabei über vieles, zwischendurch auch übers Essen und Kochen, und irgendwann, es ging schon sehr gegen Morgen, kam Jürgen auf seine Einmachkünste zu sprechen, die Marmeladen, Gurken, Säfte und den Nußschnaps.

»Du machst Nußschnaps?«, fragte Markus. »Hab ich das richtig verstanden?«

»Ja klar«, sagte Jürgen.

»Und wie?« fragte Jeanne.

Jürgen erzählte so viel von dem Rezept, wie er erzählen wollte, und natürlich mußten die beiden den Schnaps dann probieren. Jürgen ging in den Keller, holte eine Flasche, brachte sie hoch und schenkte allen ein; der Tisch war schon abgeräumt bis auf den Käse und die Lampe hatte Feierabend, es brannten nur noch zwei Kerzen. Die beiden nippten am Glas, tranken es dann aber leer und lobten, wollten gleich noch mehr davon – etwas süß sei er zwar, dieser Nußschnaps, sagte Jeanne, die nach Möglichkeit überhaupt keinen Zucker zu sich nahm, aber »erstaunlich« gut. »Vraiment étonnant!« Und nahm noch ein Gläschen. Jürgen war natürlich stolz.

Die beiden fuhren schließlich mit einem Taxi nach Hause, es wurde schon hell, und wir fielen ins Bett – und als wir aufstanden, sahen wir, was da noch auf dem Tisch stand. Was für eine Flasche. Jürgen mußte nachts daneben gegriffen haben unten im Keller. Unsere lieben Freunde, die gestrengen Gourmets, hatten gar keinen Nußschnaps getrunken, sondern Holundersirup. Pur.

FLEISCH

DAGMAR LEUPOLD

Barszcz

Zutaten für ca. 6 Personen:

1 kg Rote Beete (frisch)

1 großes Stück Suppenfleisch vom Rind

1 großes Stück mild geräucherter Speck

Suppengrün

3-4 Lorbeerblätter

4-6 Wacholderbeeren (Piment)

Essigessenz

Salz, Pfeffer, Zucker

Ca. 2 Liter Wasser in einen großen Topf füllen, die geschälten Rote Beete, das Fleisch, die Gewürze und das Suppengrün in das kalte Wasser geben.(Alles muß knapp bedeckt sein – ev. etwas W