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Die 14-jährige Sarah ist - als Gedichte schreibende Pessimistin - eindeutig anders. Dabei möchte sie so gerne "dazugehören"! Zum Glück hat Sarah einen genialen Plan: Sie beschließt, von nun an positiv zu denken. Doch da ist der neue Mathelehrer, bei dem sie immer so ein eigenartiges Bauchkribbeln bekommt, ein peinliches YouTube-Video taucht auf und die Erzfeindin in der Schule ist gemeiner denn je. Und dann zieht auch noch eine neue Familie ins Nachbarhaus: Deren Zwillinge - die coole Marie und der nervige Patrick - stellen Sarahs Leben komplett auf den Kopf... Eine turbulente Geschichte über das Anderssein, Freundschaft und die erste Liebe...
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Seitenzahl: 347
Veröffentlichungsjahr: 2018
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„Ich habe mich geirrt. Pessimismus macht doch nicht glücklich. Heute hat mich sogar Nina, mit der Begründung, ‚Sorry, ich halte deine negativen Postings nicht mehr aus’, auf Facebook entfreundet.“
Die 14-jährige Sarah ist als Gedichte schreibende Eigenbrötlerin alles andere als beliebt in der Schule. Glücklicherweise liest sie in einem Zeitungsartikel über die Kraft des positiven Denkens – das ist der Schlüssel zum Beliebtsein, ist Sarah überzeugt! Doch da hat sie die Rechnung ohne den neuen Mathelehrer gemacht, bei dem sie immer so ein eigenartiges Bauchkribbeln hat. Auch die Erzfeindin in der Schule scheint von Sarahs neuem, positiven Ich unbeeindruckt und ist gemeiner denn je. Und dann taucht auch noch ein peinliches You-Tube-Video auf und eine neue Familie aus Deutschland zieht ins Nachbarhaus: Die gleichaltrige Marie ist als angehender Rockstar genauso cool, wie Sarah schon immer sein wollte – aber ihr Zwillingsbruder Patrick – der ist einfach nur lästig. Schon bald ist in Sarahs Leben nichts mehr wie es war…
Tina Pfeifer wurde 1982 in Wien geboren. Sie ist am Stadtrand von Wien aufgewachsen und nach wie vor fest dort verwurzelt. Bisher schrieb sie v.a. Theaterstücke, die auf zahlreichen Bühnen in Wien und Umgebung gespielt wurden; in den letzten Jahren sah man sie auch bei diversen Poetry Slams. „Tagebuch einer Optimistin“ ist ihr erster Roman.
September
Samstag, 3. September
Montag, 5. September
Dienstag, 6. September
Mittwoch, 7. September
Donnerstag, 8. September
Freitag, 9. September
Sonntag, 11. September
Montag, 12. September
Dienstag, 13. September
Mittwoch, 14. September
Donnerstag, 15. September
Samstag, 17. September
Sonntag, 18. September
Montag, 19. September
Dienstag, 20. September
Mittwoch, 21. September
Donnerstag, 22. September
Freitag, 23 September
Samstag, 24. September
Montag, 26. September
Dienstag, 27.September
Donnerstag, 29. September
Freitag, 30. September
Oktober
Samstag, 1. Oktober
Sonntag, 2. Oktober
Montag, 3. Oktober
Dienstag, 4. Oktober
Mittwoch, 5. Oktober
Donnerstag, 6. Oktober
Samstag, 8. Oktober
Sonntag, 9. Oktober
Montag, 10. Oktober
Dienstag, 11. Oktober
Donnerstag, 13. Oktober
Freitag, 14. Oktober
Sonntag, 16. Oktober
Montag, 17. Oktober
Dienstag, 18. Oktober
Mittwoch, 19. Oktober
Donnerstag, 20. Oktober
Freitag, 21. Oktober
Samstag, 22. Oktober
Sonntag, 23. Oktober
Montag, 24. Oktober
Dienstag, 25. Oktober
Mittwoch, 26. Oktober, Nationalfeiertag
Donnerstag, 27. Oktober
Samstag, 29. Oktober
Sonntag, 30. Oktober
Montag, 31. Oktober
November
Dienstag, 1. November, Allerheiligen
Mittwoch, 2. November, Allerseelen
Freitag, 4. November
Samstag, 5. November
Sonntag, 6. November
Montag, 7. November
Dienstag, 8. November
Mittwoch, 9. November
Freitag, 11. November
Samstag, 12. November
Sonntag, 13. November
Montag, 14. November
Dienstag, 15. November
Mittwoch, 16. November
Donnerstag, 17. November
Freitag, 18. November
Sonntag, 20. November
Montag, 21. November
Mittwoch, 23. November
Donnerstag, 24. November
Samstag, 26. November
Sonntag, 27. November
Montag, 28. November
Mittwoch, 30. November
Dezember
Freitag, 2. Dezember
Sonntag, 4. Dezember
Montag, 5. Dezember
Dienstag, 6. Dezember
Freitag, 9. Dezember
Sonntag, 11. Dezember
Montag, 12. Dezember
Dienstag, 13. Dezember
Mittwoch, 14. Dezember
Donnerstag, 15. Dezember
Freitag, 16. Dezember
Samstag, 17. Dezember
Sonntag, 18. Dezember
Montag, 19. Dezember
Dienstag, 20. Dezember
Mittwoch, 21. Dezember
Freitag, 23. Dezember
Jänner
Freitag, 6. Jänner, Hl. Drei Könige
Samstag, 7. Jänner
Montag, 9. Jänner
Dienstag, 10. Jänner
Donnerstag, 12. Jänner
Samstag, 14. Jänner
Sonntag, 15. Jänner
Montag, 16. Jänner
Dienstag, 17. Jänner
Mittwoch, 18. Jänner
Freitag, 20. Jänner
Sonntag, 22. Jänner
Dienstag, 24. Jänner
Donnerstag, 26. Jänner
Sonntag, 29. Jänner
Februar
Donnerstag, 2. Februar
Freitag, 3. Februar
Samstag, 4. Februar, Semesterferien
Montag, 6. Februar
Mittwoch, 8. Februar
Freitag, 10. Februar
Sonntag, 12. Februar
Dienstag, 14. Februar
Mittwoch, 15. Februar
Samstag, 18. Februar
Montag, 20. Februar
Mittwoch, 22. Februar
Donnerstag, 23. Februar
Sonntag, 26. Februar
Montag, 27. Februar
Dienstag, 28. Februar
März
Donnerstag, 2. März
Samstag, 4. März
Dienstag, 7. März
Mittwoch, 8. März
Donnerstag, 9. März
Freitag, 10. März
Samstag, 11. März
Montag, 13. März
Dienstag, 14. März
Mittwoch, 15. März
Samstag, 18. März
Montag, 20. März
Dienstag, 21. März
Samstag, 25. März
Sonntag, 26. März
Montag, 27. März
Dienstag, 28. März
Freitag, 31. März
April
Montag, 3. April, Osterferien
Dienstag, 4. April
Mittwoch, 5. April
Donnerstag, 6. April
Freitag, 7. April
Sonntag, 9. April, Ostersonntag
Montag, 24. April
Mittwoch, 26. April
Samstag, 29. April
Sonntag, 30. April
Mai
Montag, 1. Mai, Feiertag
Dienstag, 2. Mai
Donnerstag, 4. Mai
Samstag, 6. Mai
Sonntag, 7. Mai
Montag, 8. Mai
Mittwoch, 10. Mai
Donnerstag, 11. Mai
Freitag, 12. Mai
Samstag, 13. Mai
Sonntag, 14. Mai
Dienstag, 16. Mai
Freitag, 19. Mai
Sonntag, 21. Mai
Montag, 22. Mai
Mittwoch, 24. Mai
Samstag, 27. Mai
Sonntag, 28. Mai
Montag, 29. Mai
Dienstag, 30. Mai
Juni
Samstag, 3. Juni
Sonntag, 4. Juni
Dienstag, 5. Juni
Mittwoch, 7. Juni
Donnerstag, 8. Juni
Freitag, 10. Juni
Samstag, 10. Juni
Sonntag, 11. Juni
Freitag, 16. Juni
Montag, 19. Juni
Freitag, 23. Juni
Sonntag, 25. Juni
Dienstag, 26. Juni
Donnerstag, 28. Juni
Freitag, 29. Juni
Samstag, 30. Juni, Ferienbeginn
Ich habe mich geirrt. Pessimismus macht doch nicht glücklich. Mein Plan war: Immer alles negativ sehen, dann kann es nur besser werden als erwartet. Das Problem an dieser Theorie: Ich fand das, was kam, nie besser als erwartet, weil ich ja immer alles negativ sah. Außerdem sind Pessimisten nicht sehr beliebt – heute hat mich sogar Nina, mit der Begründung, „Sorry, ich halte deine negativen Postings nicht mehr aus“, auf Facebook entfreundet. Und sie ist das netteste Mädchen an der Schule, das immer ein Lächeln auf den Lippen trägt und für jeden zu jeder Zeit aufmunternde Worte findet! Aber ich bin glücklicherweise auch sehr selbstkritisch und philosophisch. Deswegen bin ich zu dem Entschluss gekommen, Optimistin zu werden. Das scheint gar nicht schwer zu sein und bringt laut dem Artikel in Mamas Frauenzeitschrift nur Vorteile: Wenn man mit einer optimistischen Grundeinstellung an die Dinge herangeht, wird man als selbstsicher wahrgenommen und dadurch läuft vieles wie von selbst gut, steht in dem Artikel. Außerdem soll man als Optimist länger leben. Das finde ich ziemlich überzeugend. Nach dieser Erkenntnis war ich ziemlich stolz auf mich, weil ich mit 14 schon so reif und philosophisch bin.
Beim Mittagessen verkündete ich meiner Familie diese große Änderung. „Heißt das, du machst heute den Abwasch?“, fragte Mama. Sie ist echt so unphilosophisch. Also erklärte ich ihr, dass ich sie durch meine positive Grundeinstellung so beeinflussen werde, dass ich in Zukunft sogar viel weniger oft abwaschen werden muss. „Na, da wär’ ich an deiner Stelle nicht zu optimistisch“, meinte sie spöttisch. Papa nahm meine Ankündigung ernst. Er sagte, er finde das sehr gut, dass ich mich zu einem positiven Menschen entwickeln möchte, und um das zu feiern, würden wir alle zum Eissalon fahren. „Siehst du“, sagte ich zu Mama, „da ist schon die erste positive Auswirkung meines Optimismus.“ „Super“, grinste sie, „dann wäscht du jetzt ab und dann fahren wir.“ Missmutig räumte ich den Tisch ab, da fing Lasse an zu heulen: „Papa hat mir versprochen, dass wir zum Eissalon fahren, um mich zu feiern und meinen ersten Schultag und nicht dich und deinen Popoismus!“ Papa wurde ganz rot und grinste verlegen. „Wir können ja beides feiern“, schlug er vor. Ich schnaubte wütend, Mama seufzte, Lasse heulte und Papa sah drein wie ein Dackel, der auf den Teppich gepinkelt hat. Mama rettete die Situation, indem sie Pudding aus der Küche holte. Pudding vor dem Eis essen! Manchmal zweifle ich ernsthaft an den Erziehungsmethoden meiner Eltern. Aber es funktionierte: Pudding ist einfach zu gut, um lange böse zu sein. Und so gingen wir eine halbe Stunde später ausgesöhnt zum Auto. Lasse trug wieder einmal seinen roten Umhang und seine goldene Krone. Damit sieht er aus wie eine Mischung aus Superman und dem Froschkönig, also echt peinlich. Aber seitdem er von den Großeltern diese Märchen-CD geschenkt bekommen hat, will er unbedingt König sein. Innerlich betete ich während der Fahrt, dass ich beim Eissalon niemand treffe, den ich kenne. Ich muss mir schon genug Spott über mich anhören, da brauch ich nicht noch Kommentare über meinen verrückten Bruder.
Während Mama und Papa ein Sonnenplätzchen im Garten des Eissalons suchten, musste ich mit Lasse die Eissorten ansehen gehen. „Gibt es Erdbeere?“, fragte er, während ich mich ängstlich nach bekannten Gesichtern umsah. „Ja“, antwortete ich genervt. „Gibt es Schokolade?“, fragte er. „Ja!“, zischte ich wütend, „Erdbeere und Schokolade gibt es immer! Warum wolltest du das denn nachschauen gehen?“ „Weil ich der König bin, und der König muss vorher sehen, was er zu essen bekommt.“ Mein Gesicht muss ungefähr so ausgesehen haben, als hätte mir der Eisverkäufer gerade mitgeteilt, er verkaufe ab heute nur noch Gemüse.
In diesem Moment ertönte neben mir eine nur allzu bekannte Stimme: „Na, Sarah, was machst du denn für ein Gesicht? Gibt’s kein Eis mit Knäckebrot-Geschmack?“ Ich drehte mich um und blickte in Katharinas hämisch grinsendes Gesicht. Von allen Menschen dieser Erde musste ich ausgerechnet das beliebteste Mädchen der Schule beim Eissalon treffen! Und sie sieht sogar bei über 30 Grad an einem Sonntagnachmittag topgestylt aus, musste ich etwas neidisch feststellen. Ich konnte es ihr nicht einmal übel nehmen, dass sie sich über mein Outfit lustig machte. Schließlich stand ich da in einer zerschlissenen kurzen Hose voller Gras- und Schokoflecken und einem Pokémon T-Shirt, das Lasse zu groß war. Sie hingegen trug einen schicken kurzen, pfirsichfarbenen Rock und eine sommerfrische beige Bluse, die absolut fleckenfrei war – obwohl sie genüsslich an einem Eis leckte! Und aus mir unerklärlichen Gründen hatte sie einen strahlenden Teint und Haare wie frisch vom Frisör, während mir der Schweiß aus allen Poren lief. Dass ich bei Temperaturen über 25 Grad so zerfließe, liegt sicher an meinen schwedischen Genen.
„Knäckebroteis?“, unterbrach Lasse meine Gedanken und sah mich mit großen Augen an. „Es gibt kein Knäckebroteis“, zischte ich und versuchte, ihn hinter mir zu verstecken. Aber es war schon zu spät. „Was hat dein Bruder da an?“, fragte Jessica, die – ebenfalls wie aus dem Ei gepellt – neben Katharina stand, in einem skandalwitternden Tonfall. „Das ist mein königliches Gewand“, krähte Lasse. Ich wollte einfach nur im Boden versinken. „Oh“, Katharina und Jessica hoben gleichzeitig die Augenbrauen, „na wenigstens hat einer in deiner Familie Klasse“, spottete Katharina und ging mit Jessica kichernd weiter. Ich hatte ganz vergessen, wie schrecklich meine Klassenkameraden sind… Ich sehe meinen Plan, Optimistin zu werden, gefährdet. Denn wie soll ich optimistisch sein, wenn mich niemand mag?
Heute war es soweit: der erste Tag im letzten Jahr der Unterstufe! „Machen Sie aus jedem Problem eine Herausforderung und überlegen Sie sich, welche Lösungsmöglichkeiten Ihnen zur Verfügung stehen. Nichts ist unlösbar“, stand in dem Optimismus-Artikel. Meine Herausforderung: Ich muss Katharina dazu bringen mich zu mögen, damit sie mich endlich zu ihrer Geburtstagsparty einlädt. Das wäre für alle ein Zeichen, dass ich cool bin und dazugehöre. Wie bringe ich Katharina also dazu, mich zu mögen? Richtig: durch Optimismus. Und viel braucht es offenbar auch gar nicht, um als Optimistin gemocht zu werden: „Ein freundliches Lächeln kann oft mehr bewirken als Worte.“ Dementsprechend einfach war mein Plan:
Phase 1: lächeln und freundlich sein (sogar zu Katharina)
Phase 2: ich werde zu Katharinas Geburtstagsparty eingeladen.
Phase 3: ich tue etwas auf der Party (was genau wäre noch zu definieren), woraufhin mich alle mögen.
Phase 4: ich verbringe ein angenehmes letztes Jahr in dieser Schule, denn niemand wird mich mehr hänseln, weil ich anders bin – und dann muss ich diese Idioten eh nie wiedersehen.
Ich beendete die Ferien durch und durch optimistisch. Aber heute musste ich feststellen, dass es doch nicht so einfach ist, mit dem Optimismus.
Phase 1 meines Plans begann, als ich mit dem Fahrrad in den Schulhof einbog. Katharina stand nämlich beim Fahrradständer. Ich lächelte sie an. Lächelte sie zurück? Nein! Sie starrte mich an und beleidigte meine neue Latzhose, die ich bis zu diesem Moment echt cool fand. Aber offenbar sieht sie „total peinlich“ aus. Das irritierte mich so sehr, dass ich das Rad verriss, Katharina rammte und dabei ihre weiße Hose verdreckte. Katharina war stinksauer. Ein weiterer Test für mein neues, optimistisches Ich. Der perfekte Zeitpunkt, um die Optimismus-Notfalls-Übung auszuprobieren: „Suchen Sie sich einen ruhigen Ort und haben Sie fünf Minuten lang nur positive Gedanken.“ Der einzig ruhige Ort in der Schule ist die Toilette. Dort atmete ich tief durch und suchte positive Dinge. So viele fielen mir allerdings nicht ein. Ich entschied mich schließlich für den Regenbogen, den ich letzte Woche gesehen hatte. Nach einer gefühlten Ewigkeit war noch nicht einmal eine Minute vergangen, und ich fühlte mich immer noch nur mäßig optimistisch. „Naja, ich bin ja noch Anfängerin“, dachte ich. Aber in diesem Moment läutete die Schulglocke, und ich musste feststellen, dass ich die Positiv-Denken-Übung mindestens zehn Minuten zu lange gemacht habe.
Zu viel positives Denken ist eindeutig nicht gut, denn so kam ich zu spät zum Unterricht. „Super erster Eindruck beim neuen Klassenvorstand“, dachte ich, als ich vorsichtig die Tür zum Klassenzimmer öffnete. Und dann geschah etwas Seltsames: Der neue Klassenvorstand stand vor mir und sah mich an. Schlagartig hatte ich alles um mich vergessen. Ich sah nur ihn, wie von einem weißen Licht umhüllt, und in meinem Kopf sang ein Engelschor! Keine Ahnung, was da mit mir los war. Vielleicht eine Nachwirkung von der zu lange ausgeführten Positiv-Denken-Übung. Peters nahm mir die Verspätung aber nicht übel, lächelte mich nur an und fragte nach meinem Namen. „Sarah Rasmusson“, murmelte ich nach einer Denkpause. „Rasmusson?“, fragte Peters, „klingt schwedisch“. „Ist es auch“, stammelte ich, „mein Papa ist Schwede.“ Peters meinte, ich solle mir einen freien Platz suchen. Dabei lächelte er mir freundlich zu, wobei seine blauen Augen strahlten wie der wolkenlose Himmel an einem Sommertag in Griechenland. Ich nahm Platz, und als ich nach einigen Minuten aus Griechenland zurück ins Hier und Jetzt kam, bemerkte ich die Katastrophe: Ich saß in der ersten Reihe!
Fazit: Phase 1 meines Plans intensivieren. Bei Katharina dringend ausbauen durch sonstige freundliche Gefälligkeiten, damit sie wegen der Hose nicht mehr böse ist. Ihr Geburtstag ist am 1. Oktober – ich habe also noch ein bisschen Zeit.
Ich hatte für Katharina Muffins gebacken, um mich zu entschuldigen. Beziehungsweise: Meine Mutter Muffins backen lassen. Sie kamen großartig an. Nur nicht bei Katharina. Sie ist allergisch gegen Haselnüsse, und weil ich die Muffins ja nicht selbst gebacken hatte, verneinte ich ihre Frage nach dieser verheerenden Zutat. Als sie mit geschwollenem Gesicht vom Krankenwagen abgeholt wurde, war ihre Mimik schwer zu deuten, aber ich fürchte, es war nicht Vergebung. Totale Katastrophe.
Den restlichen Schultag konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Alle paar Minuten schrieb ich Katharina eine SMS. Ich hätte mir das nie verziehen, wenn sie krank wäre wegen des Muffins. Und mein genialer Beliebtheits-Plan wäre bereits in Phase 1 gescheitert! Um halb vier schrieb sie endlich zurück: „Hör auf mich zu belästigen!“ Das klingt, als wäre sie wieder ganz die Alte. Phase 1 läuft weiter.
Am Nachmittag wollte ich eigentlich in meiner geheimen Bucht am Weidler See Gedichte schreiben, aber es regnete, also fuhr ich zu meinem zweitliebsten Ort, der Bücherei. Dort war gerade eine Kindergruppe. Als ich nach fünf Minuten sieben Kinder ermahnt hatte ruhig zu sein, und eines deshalb weinend zur Lehrerin lief, bat mich die Bibliothekarin zu gehen, „damit sich die Kinder in Ruhe den Büchern widmen können“.
Ich war also gezwungen nachhause zu fahren, wo es alles andere als ruhig war, denn dienstags hat Mama immer fünf Gesangsschüler hintereinander. Und sie sind alle nicht sehr talentiert. Zum Schreiben hatte ich also keine Ruhe. Ich fragte Mama, ob sie nicht mit ihren Schülern heute nur ganz leise Übungen machen könnte, aber sie rollte mit den Augen und seufzte: „Schön wärs.“ Das sah sehr lustig aus, bei dem hochroten Kopf, den sie schon hatte. Da wusste ich gleich, dass heute Severin bei ihr sein würde. Er singt echt am schrägsten von allen, das macht Mama immer fix und fertig. Heute saß sie nach seiner Stunde am Küchentisch und murmelte vor sich hin: „Und dafür habe ich Gesang studiert…“ Ihr Frust inspirierte mich zu einem Gedicht:
Frust, Frust,
jeden Tag nur Frust!
Lust, Lust,
wo bleibt die Lust?
Singen, will ich singen!
Die Töne sollen klingen!
Krächzen hör ich, krächzen!
Dass meine Ohren ächzen.
Katharina war heute wieder in der Schule, sie hat im Krankenhaus nur eine Infusion bekommen. Als Entschuldigung für die Muffins habe ich ihr beim Bäcker einen Gugelhupf gekauft. Ich hatte extra gefragt wegen Haselnüssen, aber sie wollte ihn trotzdem nicht. Also habe ich ihn Peters als Willkommensgeschenk angeboten. Er freute sich und nahm ihn mit. Als er die Klasse verließ, umzingelten mich meine Klassenkameraden und beschimpften mich als Schleimerin. Ein weiterer Tiefschlag in Phase 1. Ich hoffe ab Phase 2 läuft es einfacher…
Als ich von der Schule heimkam, stand beim Nachbarhaus ein riesiger Umzugs-LKW. Offenbar bekommen wir bald neue Nachbarn! Das war beim Abendessen natürlich das Hauptgesprächsthema. Lasse erzählte, dass er in den LKW geklettert ist und in einige Kartons reingeschaut hat. Mama und Papa waren schockiert, aber dann überwog ihre Neugier und sie fragten, was Lasse gesehen habe. Als wir alle mit offenen Mündern dasaßen und ihn, begierig nach Information, anstarrten, lautete seine Auskunft: „Sachen.“ Ich hoffe, es zieht ein Philosoph nebenan ein oder eine Schriftstellerin, mit der ich mich austauschen kann.
Das war wieder mal ein saublöder Tag! Ich weiß nicht, wie andere Leute das mit dem Optimismus hinkriegen, wenn das Leben doch so schwierig ist!
Ich beschloss, Katharina nach ihren Haarpflegeprodukten zu fragen. Sie fühlt sich ja immer sehr geschmeichelt, wenn man sie auf ihre tollen Sachen anspricht. Aus Erfahrung weiß ich, dass ihre Haare ihr ganz besonders wichtig sind. Und vielleicht könnte ich durch ihren Tipp ja tatsächlich meine ewig struppigen Haare zähmen? Dann hätte ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, dachte ich optimistisch. Also ging ich in der großen Pause zu ihr, sprach sie auf ihre tollen Haare an, betonte, wie beeindruckt ich von ihrem Glanz sei und fragte, ob sie mir ein Haarpflegeprodukt empfehlen könne. „Du könntest dich mal kämmen“, lautete ihre Antwort und Jessica kicherte hämisch: „Als ob das was helfen würde!“ Ich versuchte, diesen Kommentar positiv zu sehen, hatte aber trotzdem Tränen in den Augen.
In Englisch war meine Konzentration im Keller, weil ich sah, dass Katharina mit ihrem Handy herumspielte. Der Gedanke ließ mir keine Ruhe, dass sie vielleicht gerade jetzt, in diesem Moment, die Partyeinladungen verschickte. Es machte mich fast wahnsinnig, dass ich nicht wie alle anderen ein Smartphone habe, mit dem man die ganze Stunde im Internet surfen kann, sondern nur ein blödes, altes Handy, das nichts kann, außer telefonieren und SMS schreiben. Wer tut denn das heute noch? In der Pause lief ich also zum Schulcomputer. Katharina hatte tatsächlich ein Facebook Event erstellt:
Katharinas Geburtstags-Cocktailparty
Ich werde 15 und möchte das mit Euch feiern! Für leckere (natürlich antialkoholische) Cocktails wird ein Barkeeper sorgen, der mit seinen Jonglier-Einlagen Stimmung machen wird! Dazu wird uns ein DJ so richtig einheizen!
Ein veganes Buffet, eine dreistöckige Torte sowie ein kleines Gastgeschenk warten auf Euch!!
Wann: 1. Oktober
Beginn: 15:00, Ende: 22:00
Wo: Bei Katharina Jäger
(bei Schönwetter im Garten)
Einlass nur mit Einladung.
Eine Geburtstags-Cocktail -Party! Es wird also ein richtig erwachsenes Fest. Das klingt, als könnte sogar ich, als reife philosophische Jugendliche, mich dort wohl fühlen. Und dann bekommt auch noch jeder ein Gastgeschenk! Ich will dort unbedingt hin! Aber bisher hat sie nur ihre beste Freundin Jessica eingeladen, die auch schon zugesagt hat, und als Kommentar „Das wird sooo scheiße geil!“ geschrieben hat. Jessica mit ihrer ordinären Ausdrucksweise passt nicht einmal halb so gut auf diese Party wie ich! Das wollte ich Katharina unbedingt zeigen.
In der letzten Stunde ergab sich die Gelegenheit. Da hatten wir Turnen. Nicht mein Lieblingsfach, schon gar nicht, wenn wir Völkerball spielen. Katharina und Jessica schießen immer so scharf auf mich, und im Gegensatz zu mir treffen sie auch. Diesmal habe ich aber natürlich nicht auf Katharina gezielt, das wäre für die Party-Einladung nicht förderlich gewesen, sondern habe den Basketballkorb anvisiert. Leider habe ich dabei zwei Mal versehentlich Uschi abgeschossen. Uschi bekam nach dem ersten Treffer einen ganz weinerlichen Gesichtsausdruck, weil sie wohl glaubte, ich hätte was gegen sie. Dabei ist sie eine der wenigen, die ich mag. Über die Arme machen sich auch immer alle lustig, so was verbindet. Uschi wird gehänselt, weil sie dick ist – ich, weil ich ich bin. Weiß nicht, was schlimmer ist.
Aber, um Katharina zu zeigen, wie sehr ich mich mit ihr verbunden fühle, habe ich mit ihr mitgelacht, als Uschi weinend aus dem Turnsaal lief, weil mein zweiter Treffer sie voll im Gesicht erwischte. Ich hoffe, das zeigt Katharina, dass ich zu den Coolen gehöre. Aber ein schlechtes Gewissen habe ich schon. Ich werde Uschi eine nette Facebook-Nachricht schicken.
Uschi geht zu Katharinas Party! Sie hat gerade auf Facebook zugesagt!! Ich fasse es nicht!! Die dicke Uschi, die keiner mag und über die sich alle lustig machen, ist eingeladen, aber ich nicht?!?!?! Noch dazu ist Uschi, die bisher eine meiner wenigen Verbündeten an dieser grausamen Schule war, stinksauer auf mich, da hat auch meine Entschuldigung nichts gebracht. Katharina meinte mit einem bösen Blick, es sollten sich lieber alle fernhalten von mir, denn „wer weiß, gegen wen sie die nächste Attacke plant. Erst bringt sie mich ins Krankenhaus und jetzt attackiert sie die arme Uschi.“ Die Einladung zur Party kann ich mir jetzt wohl endgültig aufzeichnen. Echt deprimierend. Wie soll ich da positiv denken???
Nach der Schule fuhr ich in die Bücherei, weil ich dringend mehr Information über Optimismus benötigte. Ich kam gerade noch rechtzeitig, denn donnerstags ist um 15:30 Schluss. Um 15:28 Uhr riss ich die Tür auf und rief der Bibliothekarin entgegen: „Ich brauche ein Buch!“ „Wir schließen“, lautete ihre Antwort mit einem starren Blick auf die große Wanduhr über dem Regal mit den Reiseführern. Als ich ihr erklärte, dass es sich um einen Notfall handelte, wurde sie hellhörig: „Ein literarischer Notfall?“, fragte sie. Ich sagte ihr, dass ich dringend ein Buch über positives Denken benötigte. Sie seufzte tief: „Haben wir nicht“, und rückte sich ihre dicke Brille zurecht. Offenbar war ihr das schlechte Angebot ihrer Bücherei peinlich. „Sind Sie sicher?“, fragte ich und bot ihr an, selbst nachzusehen. „Regal 5b, Selbsthilfe“, schnarrte sie mit ihrer tiefen, kratzigen Stimme. Als ich bei Regal 2a vorbeiging, rief sie mir nach: „Aber schnell!“ Ich erschrak ganz schön, schließlich ist lautes Rufen in der Bücherei doch verboten. Im Regal 5b standen fünf Bücher: Zwei über Kindererziehung, eines zum Rauchen abgewöhnen, eines zum Abnehmen und eines über Geistheilung. Das sind also die Themen, die unser Dorf bewegen: Missratene Kinder, Drogen, Fettleibigkeit und Gespenster. Kein Wunder, dass ich mich hier so unzugehörig fühle. Gerne hätte ich mit der Bibliothekarin über dieses Thema diskutiert, aber sie stand schon neben der Eingangstür und klimperte mit den Schlüsseln. Ich werde in der Buchhandlung ein Buch über positives Denken suchen und ihr das mal zu lesen geben. So grantig wie sie dreingeschaut hat, kann sie das auch dringend brauchen.
Übrigens kam in der letzten Pause Peters in die Klasse, um uns zu verkünden, dass wir ab Montag eine neue Mitschülerin haben werden. Und sie wird neben mir sitzen! Klar, ist ja der einzige freie Platz. Folgende Gedanken drängen sich auf:
Ob die neue Mitschülerin wohl in unser Nachbarhaus einzieht?
Ich werde zum ersten Mal eine Sitznachbarin haben!
Ich hoffe, sie ist nett, sonst habe ich eine blöde Nachbarin und Sitznachbarin! (aber als Optimistin gehe ich natürlich davon aus, dass sie nett ist)
Ich muss zum Arzt gehen. Als Peters in die Klasse kam, hatte ich so ein eigenartiges Herzklopfen – ich fürchte, ich habe einen Herzfehler!
Ich googelte sofort „Herzprobleme“, und fand heraus, dass spazieren gehen helfen soll. Also ging ich nach dem Abendessen eine Runde. Sie dauerte zwar nur zehn Minuten, aber es ist wahrscheinlich besser, nicht gleich zu übertreiben. Als ich zurück in unsere Einfahrt kam, überlegte ich, welchen ersten Eindruck unser Haus – und somit meine Familie – auf die neuen Nachbarn macht. Ich schloss meine Augen, versuchte mir vorzustellen, ich wäre eine Fremde und hätte unser Haus noch nie gesehen, und öffnete die Augen wieder. Das erste Wort, das mir in den Sinn kam, war „lächerlich“. Ich weiß nicht, was Papa sich dabei gedacht hat, das Haus blau und die Fensterrahmen gelb zu streichen. Noch dazu mit dieser Farbe, die eindeutig nicht als Hausverputz geeignet ist und bereits eine Woche, nachdem Papa alles angemalt hatte, angefangen hat wieder abzublättern. Und dann noch diese beiden blöd grinsenden Gartenzwerge vor der Eingangstür, mit einer schwedischen und einer österreichischen Fahne in der Hand! Der Rasen ist voll mit Zeug, und das könnte ja noch sympathisch sein, wenn es nur Lasses Spielzeug wäre, aber auch Mama lässt das Gartenwerkzeug einfach auf dem Rasen verstreut liegen. Überall ragen lieblos eingepflanzte Büsche und Blumen aus dem Boden. Nicht nur, dass Mama absolut keinen Sinn für Symmetrie hat, die Hälfte der Pflanzen ist auch komplett vertrocknet, weil sie so oft auf das Gießen vergisst. Das Haus und der Garten der neuen Nachbarn sehen im Vergleich zu unserem total schick und gepflegt aus, obwohl dort fast ein Jahr niemand gewohnt hat. Um den ersten Eindruck bei den Nachbarn zu retten, stellte ich die Gartenzwerge in die Garage. Das hatte einen positiven Nebeneffekt: Ich fand 50 Cent auf dem Boden!
Die neuen Nachbarn sind da. Mein erster Eindruck: Es sind seltsame, unsympathische Leute. Mama sagt, „ich soll nicht so sein“ – aber sie hat auch nicht erlebt, was ich erleben musste…
Überraschenderweise erwachte ich gut gelaunt. „Das müssen die ersten Auswirkungen der Optimismus-Übungen sein“, freute ich mich und wollte das gleich nutzen, um meiner Familie eine Freude zu machen – ein wenig Nettigkeit kann ihnen nicht schaden. Schließlich bin ich pubertär, und bis vor Kurzem war ich noch dazu überzeugte Pessimistin. Das ist nicht immer für alle leicht zu ertragen. Also radelte ich kurz nach sieben zum Bäcker, als alle noch schliefen, und kaufte groß ein. Aber am Heimweg überholte mich so eine blöde langhaarige Tussi am Fahrrad und fuhr dabei so knapp an mir vorbei, dass ich das Rad verriss und in den Graben fuhr. Zu meinem „Glück“ war das Feld frisch gedüngt. Mit Kuhmist! Ich weiß nicht, ob ich schlimmer aussah oder schlimmer roch! Und mein Rad war auch verbeult, also musste ich es nachhause schieben. Ich versuchte trotz meiner enormen Wut, positiv zu denken, aber ich fand beim besten Willen nichts Positives an dem Ganzen. Vor allem weil das Gebäck auch in den Dreck gefallen war.
Aber es sollte noch „besser“ kommen: Als ich endlich in unsere Gasse einbog, sah ich, dass beim Nachbarhaus wieder ein großer Umzugs-LKW stand – und die Tussi, die an meinem Unfall schuld war, schleppte gerade Kartons. „Der blöden Speditionsfirma-Tussi sag ich jetzt aber gehörig die Meinung“, dachte ich und fuhr sie wutentbrannt an: „He du Tussi, dich mach ich fertig!“ Die Speditions-Tussi drehte sich um und – war ein Kerl! Ungefähr in meinem Alter, würde ich schätzen. „Meinst du mich?“, fragte er. „Ja, dich, du Verkehrsrowdy“, wollte ich sagen, heraus kam aber nur ein langgezogenes „Ääääöööö…“ „Womit habe ich denn die Ehre verdient, von dir fertiggemacht zu werden?“, fragte er. Ich wollte was richtig Cooles, Schlagfertiges sagen. Blitzschnell schickte mein Gehirn ungefähr 1.000 Ideen gleichzeitig an meinen Mund. Heraus kam: „Deinetwegen bin ich vom Fahrrad gefallen!“ Schlagfertigkeit sieht eindeutig anders aus. Nämlich so wie seine Antwort zum Beispiel: „Das tut mir leid. An so heftige Reaktionen auf mein schönes Erscheinungsbild sollte ich mich wohl langsam gewöhnen.“ Und daran hängte er noch ein lässiges Augenzwinkern. „Sag, läufst du immer so herum?“, fragte er, mich von oben bis unten musternd. Ich spürte wie ich knallrot wurde – den Kuhdung hatte ich komplett vergessen. „Heute ist Tag der Kuh“, erklärte ich. Ich habe keine Ahnung, wie mir ein derartiger Schwachsinn einfallen konnte! Auch der Typ war sichtlich überrascht: „Tag der Kuh? Wow. Ich bin jetzt wohl echt am Land“, staunte er. „Ja, Herzlich willkommen“, sagte ich bemüht schnippisch und drehte mich lässig um. Leider stolperte ich dabei und erzielte somit nicht ganz den gewünschten Effekt. Aber es war schon egal. Diese Runde hatte ich verloren.
Daheim saß die Familie erwartungsvoll um den von mir schön gedeckten Frühstückstisch und sah mir freudig entgegen. Ich wollte eigentlich sachlich erklären, was geschehen war, dann hätten wir alle darüber gelacht und idyllisch gefrühstückt. Aber leider sind Sachlichkeit und Pubertät unvereinbar, also fing ich an zu heulen und zu schreien – und meine Familie stimmte ein. So verbrachte mein Bruder den restlichen Tag heulend in seinem Zimmer, Papa hatte sich in die Garage verzogen und hämmerte herum, Mama klapperte wütend mit den Tellern in der Küche und ich hatte somit wegen des neuen Nachbarn einen echt miesen Sonntag. Und mein gesamtes Erspartes ist für die Wiederherstellung des Familienfriedens draufgegangen, weil ich meine Familie zum Abendessen eingeladen habe: Pizza von unserem Lieblings-Pizza-Lieferservice.
Heute lernte ich meine Sitznachbarin kennen – und ja, sie ist auch meine Nachbarin. Offenbar die Zwillingsschwester von dem Rowdy. Der Rowdy selbst geht aber zum Glück in die Nachbarklasse. Sie heißt Marie und ist genauso unsympathisch wie ihr Bruder, nur dazu noch gruselig. Sie trägt schwarze, zerrissene Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke. Ihre Augen und ihre Fingernägel sind tiefschwarz angemalt. Da zog sogar Katharina die Augenbraue hoch. Und dann saß die Neue den ganzen Vormittag mit einem so krassen resting bitch face in der Klasse, dass sich niemand mit ihr sprechen traute. Ist es pessimistisch zu sagen, dass ich mich ein bisschen neben ihr fürchte? Ich war froh, dass sie in den Pausen immer gleich zu ihrem Rowdy-Bruder rüberging… Die Optimistin in mir witterte jedenfalls gleich eine Chance mich mit Katharina zu verbünden. In der Pause ging ich zu ihr und sprach sie auf die Neue an. Das kommt ja oft vor in Geschichten, dass sich zwei Feinde durch einen gemeinsamen neuen Feind verbünden und Freunde werden. „Die Neue sieht krass aus, oder? Echt, ich grusle mich voll neben der“, sagte ich also mit einem verschwörerischen Blick zu Katharina. Jessica stimmte mir zu: „Stimmt, die Neue ist komisch.“ Und gerade wollte ich innerlich jubilieren, dass mein Plan aufgegangen wäre, da sagte Katharina: „Naja, Gleich und Gleich gesellt sich gern.“ Autsch.
Nach der Schule ging ich zum Fahrrad-Ferdl und holte mein repariertes Rad, dann fuhr ich bei der Buchhandlung vorbei und fand ein echt gutes Buch: „Glücklich werden und bleiben.“ Da sind ganz viele Übungen drin, und wenn die alle nur halb so toll sind wie die aus dem Zeitungsartikel, dann werde ich schon bald der optimistischste und glücklichste Mensch der Welt sein, weil so harte Rückschläge wie heute dann einfach an mir abprallen werden. Und die Übungen sind sicher total gut, denn auf der Rückseite hat ein Mann mit zwei Doktortiteln geschrieben, dass er das Buch „Hervorragend und sehr bereichernd“ findet. Es muss also das perfekte Buch sein! Nur leider kostet es 35 Euro. Wo krieg ich 35 Euro her? Mama meinte, sie gibt mir fürs Rasenmähen fünf Euro. Sie weiß, dass ich das hasse. Aber ich schaff das auch ohne Rasenmähen: Acht Euro und 24 Cent habe ich verstreut in meinem Zimmer gefunden, 68 Cent unter dem Wohnzimmersofa. Ich habe also schon 13,92 Euro. Für die restlichen 21,08 Euro wird mir auch noch etwas einfallen…
Gestern Abend kamen sich die neuen Nachbarn vorstellen. Ich war sehr überrascht, dass die Eltern so normal aussehen und mit freundlichem Hallo, Kuchen und Blumen wie zivilisierte, sympathische Menschen unser Haus betraten und sich als „Familie Köhler aus Berlin“ vorstellten. Marie schlurfte hintendrein und murmelte ein genervtes „Hi“, gefolgt von ihrem Rowdy-Bruder, Patrick, der die Frage meiner Mutter, wie es ihm hier gefalle mit einem: „Schön, die ländliche Idylle“ beantwortete und mir zuzwinkerte. Was für ein Idiot. Aber leider gibt es in jeder Familie schwarze Schafe. Während das bei Familie Köhler offensichtlich die Kinder sind, sind das in meiner Familie meine Eltern und mein Bruder. Mama und Papa waren nervös wie bei einem ersten Date und versuchten krampfhaft sympathisch und lustig zu sein – es war nur peinlich. Die Köhlers schienen das allerdings für den „typisch österreichischen Charme“ zu halten, von dem sie ständig schwärmten. Aber dann hat Lasse sein Königkostüm angezogen – da waren sie sichtlich überfordert und warfen sich unsichere Blicke zu, während meine Mutter Lasse den Kopf tätschelte und peinlich berührt lachend „Ach, Kinder“ flötete. Dann bemühte sie sich um einen Themenwechsel und fragte, ob wir drei alle in die gleiche Klasse gehen. Marie machte keine Anstalten zu antworten, war aber auch egal, weil der blöde Patrick gleich sein Maul aufriss und erklärte, dass Marie und ich nebeneinander sitzen, er aber in die Nachbarklasse gehe. „Aber ich habe ihre reizende Tochter auch schon kennenlernen dürfen“, fügte er mit einem Augenzwinkern in meine Richtung hinzu. „Ach, tatsächlich?“, fragte meine Mutter sichtlich begeistert darüber, dass mich Patrick „reizend“ findet. „Ja, und sie hat mich auch gleich mit einem hiesigen Brauchtum bekannt gemacht.“ Noch ein Augenzwinkern inklusive blödem Grinsen. „Alle Blicke richteten sich interessiert auf mich. „Nix Wichtiges“, murmelte ich und sah, wie Marie, auf den Boden. „Aber ihr hattet doch diesen Feiertag am Samstag“, hakte Patrick nach – und obwohl ich sein blödes Augenzwinkern nicht sehen konnte, konnte ich es regelrecht spüren. „Feiertag? Was denn für ein Feiertag?“, war nun auch mein Vater äußerst interessiert. „Gar nix“, zischte ich. „Doch, ich erinnere mich genau. Sagtest du nicht, es ist Tag der Kuh?“ „Oh!“, entfuhr es Frau Köhler entzückt. „So was gibt es hier nicht“, korrigierte Mama, „da ist die Phantasie meiner Tochter wieder mal mit ihr durchgegangen, nicht wahr, Gürkchen. Sie erfindet ständig verrückte Sachen.“ Dabei tätschelte sie mir den Kopf wie zuvor Lasse. Dass mich Mama vor fremden Menschen immer wieder Gürkchen nennt, ist schlimm genug. Aber dann auch noch vor diesem Patrick! Beim Verabschieden sagte er: „Dann bis bald, Gürkchen“. Das wird Mama bereuen. Und Patrick sowieso.
Mama und Papa sind jedenfalls begeistert von den Köhlers, vor allem Mama von Patrick: „So ein charmanter Bursche“, meinte sie, „wirklich fesch und so ein Herzensbrecher-Lächeln! Ach, wenn ich so jung wäre wie du…“ Manchmal kann ich mich über den Geschmack meiner Mutter nur wundern. Ich finde, es sieht wie ein blödes Schleimer-Lächeln aus. Nur Lasse teilt meine Meinung über die neuen Nachbarn. Zumindest ungefähr. „Die haben keine Haustiere“, sagte er enttäuscht, „und lustig sind sie auch nicht.“
Überraschenderweise scheint sich Marie bei uns – auch wenn man es ihr nicht angesehen hat – zumindest nicht unwohl gefühlt zu haben. Als ich heute in die Klasse kam, hat sich ihr resting bitch face für den Bruchteil einer Sekunde in so etwas, was man als Lächeln bezeichnen könnte, umgewandelt! Gerne hätte ich ihr vom Konzept des Positiven Denkens erzählt, ich glaube, das würde ihr sehr gut tun – aber leider sitzen wir in der ersten Reihe, da kann man in den Stunden nicht gut reden. Und die Geschichtslehrerin mit ihrer leisen, monotonen Stimme würde man zu leicht übertönen mit eigenem Geschwätz. Und dann geschah es: Ich schlief ein. Ich schlief in der ersten Reihe, mitten in der Geschichtsstunde ein! Ich kann die Peinlichkeit nicht in Worte fassen, als die Reisinger plötzlich vor mir stand und mich aufweckte. Erstens habe ich, glaub ich, vor Schreck aufgeschrien. Zweitens hat die ganze Klasse zu mir gestarrt und gelacht. Zur Strafe muss ich einen Aufsatz über irgend so einen römischen Feldherrn schreiben. Ich hätte daheimbleiben sollen. Übrigens: Die Einzige, die mich nicht ausgelacht hat, war Marie. Ich habe ihr eine Freundschaftsanfrage auf Facebook geschickt.
Es gibt einen Hoffnungsschimmer! Auf dem Weg zum Werksaal hat Katharina mit mir gesprochen! Sie sagte: „Dein Profilfoto sieht echt scheiße aus.“ Das könnte ich natürlich persönlich nehmen, aber an der Optimistin, die ich jetzt bin, prallt so ein Kommentar einfach ab und so wird die tiefer liegende Information erkannt: Katharina hat mich auf Facebook wahrgenommen! Und weil Optimisten Kritik gut annehmen können und zur persönlichen Weiterentwicklung nutzen, habe ich beschlossen, das perfekte Profilfoto hochzuladen, und dafür jede Menge Likes und eine Party-Einladung zu bekommen. Ich recherchierte also auf den Seiten der anderen, wie Fotos aussehen, die besonders viele Likes bekommen. Offenbar gibt es drei Faktoren, die zu einem like-würdigen Foto führen:
- lächeln oder einen Kussmund machen
- eine coole Pose (am besten etwas Akrobatisches, an einem ausgefallenen Ort)
- exotisches Essen
Im Idealfall sollte es ein Selfie sein, und wenn man viele Kommentare auch noch möchte, sollte man etwas an seinem Aussehen ändern. Anhand dieser Kriterien komponierte ich das perfekte Foto. Als ausgefallenen Ort wählte ich die Bücherei. Das scheint sehr ausgefallen zu sein, denn obwohl ich dort fast jeden Nachmittag bin, habe ich noch nie jemanden aus meiner Klasse gesehen. Als exotisches Essen nahm ich eine Calzone vom Italiener mit. Akrobatisch bin ich nicht, also lehnte ich mich cool ans Bücherregal und stellte ein Buch auf, wo eine Ballerina drauf ist, die ihr Bein verdammt hoch hebt. Am schwierigsten war es, mein Aussehen zu verändern. Vor allem, weil ich ja keine dauerhafte Änderung wollte. Ich entschied mich dafür, mit meinen Haaren etwas zu machen – was aber nicht leicht ist, weil die so strubbelig sind, dass man eigentlich gar nichts mit denen machen kann. Aber als ich an einem Buch über Wasserfälle vorbeiging, hatte ich den rettenden Einfall: Ich machte die Haare einfach nass und kämmte sie zurück. Dadurch sahen die Haare brünett statt dunkelblond aus, also eine komplett neue Frisur. Das Foto postete ich noch, dann warf mich die Bibliothekarin samt meiner Calzone hinaus. Offenbar sah ich mit der Frisur echt anders aus. Ihre Stammkundin würde sie wohl nicht so anschreien. Als ich draußen war, riss sie alle Fenster auf und rief: „Den Geruch krieg ich nie wieder raus!“ Habe mich schon gewundert, wann ihr endlich auffällt, dass die Bücher alle einen komischen Modergeruch haben.
Gerade als ich zuhause nachschauen wollte, ob ich schon ein Like für mein neues Profilfoto habe, läutete es an der Tür und Mama schrie, ich solle ihrem nächsten Schüler aufmachen. Es war Severin. Im Anzug! „Trägst du den immer beim Singen?“, fragte ich. Da zog er hinter seinem Rücken eine rote Rose und eine Tafel Schokolade hervor. „Oh, wie nett!“, jauchzte Mama, die soeben mit der älteren Dame, die vor Severin Unterricht hatte, aus dem Wohnzimmer kam. „Ach, wie die gut duftet“, schwärmte Mama, als sie ihm die Rose aus der Hand nahm und den hochroten Severin ins Wohnzimmer zog. Jetzt nennt ihn Mama nur noch ihren „kleinen Verehrer“. Vorhin stand sie eine Ewigkeit vor dem Badezimmerspiegel, strich sich über ihr Gesicht und meinte zufrieden: „Na, geht doch noch.“
Nach dem Abendessen machte ich freiwillig den Abwasch. Dafür gab mir Mama einen Euro. Danach ging ich zu Papa und sagte, Mama wolle mir kein Geld fürs Abwaschen geben, da bekam ich noch einmal zwei Euro. Fehlen nur noch 18,05 Euro auf das Positiv-Denken-Buch!
In Mathe musste ich ein Beispiel an der Tafel vorrechnen. Es ist natürlich nie angenehm, an der Tafel zu stehen, besonders in Mathe, wo ich nicht so gut bin, aber heute war ich in einem Ausmaß nervös – das war echt nicht normal. Als mich Peters bat, die x-Achse zu beschriften, fiel mir ums Verrecken nicht ein, welche von den zwei Achsen die x-Achse ist! Das ist sogar für meine Verhältnisse zu dumm… Aber immer, wenn Peters in der Nähe ist wird mir heiß und schwindlig und ich kann mich gar nicht mehr konzentrieren! Ich glaube, ich vertrage sein Aftershave nicht. „Mathe ist scheiße“, raunte mir Marie zu, als ich mich wieder setzte. Ein erster Kontakt! Den wollte ich natürlich nicht vermasseln, also erklärte ich ihr nicht, dass sie ihre Sichtweise vielleicht überdenken sollte und versuchen, in allem etwas Positives zu sehen, weil das das Leben viel einfacher und schöner macht, sondern sagte einfach nur: „Voll.“ Und da lächelte sie definitiv.
In Englisch kam es zum zweiten Kontakt. Wir müssen ein langweiliges Buch lesen, in dem es um irgendwelche irischen Kartoffelbauern von anno dazumal geht, und zur Einstimmung haben wir die ganze Stunde über Kartoffeln geredet. Über Kartoffeln!! Das wäre auf Deutsch schon stinkfad, aber noch dazu auf Englisch?! Und dann mussten wir einen Dialog schreiben, in dem die Kartoffelbauern mit den Konsumenten diskutieren. Marie kam zum Vorlesen dran.
Buyers: Hey, we want potatoes.
Farmers: Cool, we sell them.
Buyers: Cool, we buy them. How much for a kilo?
Farmers: 1 pound. Cool?
Buyers: No, not cool. 50 pence.
Farmers: Do you want to ruin us? We are farmers,
we have many kids.
Buyers: 80 pence, or we will burn down your houses.
Farmers: F*** you!!!