Takeover - Fritjof Karnani - E-Book

Takeover E-Book

Fritjof Karnani

4,4

Beschreibung

Ferry Ranco hat als Computerexperte der ersten Stunde ein international agierendes Internet-Unternehmen aufgebaut. Als Hacker die Sicherheitssysteme seines Zentralcomputers in Berlin durchbrechen und in das Sicherheitssystem des Bundeskanzleramtes einzudringen versuchen, sieht er sein Lebenswerk bedroht. Zusammen mit der Internet-Expertin Judith macht er sich auf die Suche nach den Tätern. Bald stellen sie fest, dass offenbar ein Syndikat aus gut organisierten Kriminellen Informationen aus dem Internet filtert, um damit Handel zu treiben. Als Ferry und Judith erste Beweise für die Existenz dieses Syndikats finden, wird aus der Suche blutiger Ernst: Die Jäger werden zu Gejagten!

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Titel

Fritjof Karnani

Takeover

Thriller

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2006 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/2095-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2006

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung von Fotos von

pixelquelle.de und photocase.de

Gesetzt aus der 9,6/13 Punkt GV Garamond

ISBN 13: 978- 3-8392-3224-8

Bibliografische Information

der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Widmung

Für Filomena

* 5. September 2005

Wichtige Personen

Bei GermanNet

Winfried Bohl Chef des Operation Center (OC)

Doris Jensen Mitarbeiterin Operation Center

Rolf Keller Chief Finance Officer (CFO)

Angela Müller Referentin für Öffentlichkeitsarbeit

Ferry Ranco Gründer und Chief Executive Officer (CEO) von GermanNet

Diana Chefcontrollerin und ehemalige »Miss

Schischkowski Berlin«

Bei X-Secure

Stefan Dürrer Geschäftsführer

Michael Kunze System-Administrator

In Cambridge

Leo Baldure Professor für Netzwerktechnik an der

Universität Cambridge

Marc Barrings Supermarktbesitzer

Isabel HamelFreundin von Judith Knowles aus Studen-

tentagen

Judith Knowles Publizistin und Netzwerkingenieurin, Doktorandin an der Universität

Cambridge

In Berlin

Thomas Baumann Leiter des Wahlkampfbüros von

Karl Heise

Felix Bonhoff Kandidat für die Wahl zum Regierenden

Bürgermeister von Berlin

Karl Heise Kandidat für die Wahl zum Regierenden

Bürgermeister von Berlin

An anderen Schauplätzen

Maximilian arbeitet für das Syndikat

Michaela Enthüllungsjournalistin aus Vancouver

Frank Ossowski Programmierer bei Softgon Inc., Boston

1

In Berlin war der Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus in der heißen Phase. Nur noch zehn Tage bis zur Entscheidung. Nach den letzten Umfrageergebnissen lagen die beiden großen Parteien fast gleich auf und die Spitzenkandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Wahlkampf war zu einer reinen Personenwahl geworden, Karl Heise gegen Felix Bonhoff.

Thomas Baumann, Leiter des Wahlkampfbüros von Karl Heise, hatte in den letzten Tagen krampfhaft versucht, eine neue Strategie zu entwickeln, die es Karl ermöglichen sollte, sich kurz vor der Wahl noch an die Spitze zu setzen. Aber auch ihm war nichts wirklich Überzeugendes mehr eingefallen. Doch dann war plötzlich ein Mann im Büro von Thomas Baumann aufgetaucht und hatte kompromittierende Details aus dem Privatleben von Felix Bonhoff angeboten. Der Fremde stellte sich schlicht als Maximilian vor.

»Wir können ihnen Informationen über Felix Bonhoff liefern«, sagte Maximilian.

»Was für Informationen?«, fragte Thomas gelangweilt und bereute schon, den Fremden überhaupt in sein Büro gebeten zu haben.

»Wir haben Beweise, dass Felix Bonhoff eine Geliebte hat.«

»Hören Sie zu, guter Mann, selbst wenn das wahr sein sollte, viel kann man daraus nicht machen. Vielleicht werden sich ein paar Konservative darüber aufregen, mehr aber auch nicht. Fast jeder hat heute ein Verhältnis. Es besteht sogar die Gefahr, dass das Ganze nach hinten losgeht und auf uns zurückfällt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Sie wissen, wir haben nur noch wenige Tage bis zur Wahl, ich bin daher etwas in Zeitnot«, behauptete Thomas in der Hoffnung, den Fremden gleich wieder los zu werden.

»Würde sich etwas an ihrer Einschätzung ändern, wenn Sie wüssten, dass seine Geliebte heute gerade einmal 18 Jahre alt ist? Als die Geschichte anfing, war sie sogar erst 16, also etwa so alt wie seine eigene Tochter. Ich glaube nicht, dass das der Regierende Bürgermeister ist, den sich die Berliner Bürger wünschen. Was meinen Sie?«

»Woher haben Sie diese Informationen und vor allem, können Sie diese Behauptungen auch beweisen?« Thomas bereute die Frage sofort wieder, würde sie doch dieses sinnlose Gespräch nur noch verlängern.

»Die beiden Turteltauben korrespondieren seit Anfang ihrer Liaison per E-Mail. Ich kann ihnen alle Mails der letzten zwei Jahre liefern. Die beiden haben sich außerdem ein paar Mal auf Mallorca getroffen. Wie Sie bestimmt wissen, hat Felix Bonhoff dort ein Wochenendhaus. Uns liegen Auszüge seiner Kreditkartenabrechnungen vor, aus denen man ersehen kann, dass er zweimal die Flugtickets der Kleinen nach Mallorca bezahlt hat. Anhand der Kreditkarten lässt sich sogar ersehen, was er für seine kleine Freundin so alles gekauft hat. Er hat ihr zum Beispiel Unterwäsche geschenkt, die Pille bezahlt und in einer Videothek auf Mallorca haben sich beide mit Sexfilmen eingedeckt.«

Thomas kam ins Zweifeln. Wenn diese Informationen tatsächlich stimmen sollten, dann hatten sie endlich etwas in der Hand, mit dem Felix Bonhoffs Glaubwürdigkeit und Integrität verletzt werden konnte. Diese Informationen zum jetzigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit zu bringen, könnte tatsächlich den Wahlausgang entscheiden. Aber Thomas war misstrauisch. Er wusste nicht, wer dieser Fremde war, und er wusste nicht, was er wollte.

»Warum kommen Sie damit zu mir?«, hinterfragte Thomas.

»Sagen wir, ich vertrete Leute, denen daran gelegen ist, dass Herr Heise das Rennen macht.«

»Warum gehen Sie dann mit ihren Informationen nicht einfach an die Presse?«

»Genau das werden wir heute tun. Sie können die Einzelheiten dann morgen in den Zeitungen nachlesen. Meine Auftraggeber möchten nur, dass Herr Heise weiß, dass er auf uns zählen kann, und wir möchten, dass Herr Heise weiß, wer seine Freunde sind.«

»Wir sind nicht käuflich. Bitte verlassen Sie sofort mein Büro«, Thomas und erhob sich. Dieses Gespräch musste sofort beendet werden.

»Erlauben Sie mir, ihnen einige Unterlagen da zu lassen, die wir heute an die Presse geben werden. Machen Sie sich selbst ein Bild von dem, was wir Ihnen anbieten.« Bevor Thomas protestieren konnte, legte der Unbekannte einen verschlossenen Umschlag auf den Schreibtisch und verließ das Büro.

Michael Kunze hatte bei X-SECURE die Aufgabe, die IT-Sicherheit des Computersystems zu garantieren. Seine wichtigste Aufgabe war es, zu verhindern, dass jemand in das System einbrechen und die streng geheimen Daten stehlen konnte. Aber genau das war eben geschehen, und würde ihn wahrscheinlich den Job kosten. Michael war speiübel, er überlegte kurz, ob er versuchen sollte, das Ganze einfach unter den Teppich zu kehren. Außer ihm hatte niemand etwas bemerkt, er könnte also versuchen, alle Spuren einfach zu beseitigen. Aber jemand hatte diese Daten gezielt gestohlen und dieser Jemand hatte etwas damit vor. Wenn bekannt wurde, dass hochsensible Daten gestohlen worden waren, war X-SECURE als Unternehmen am Ende.

Michael arbeitete seit fast fünf Jahren bei X-SECURE. Nach seinem Studium zum Physiklehrer war er drei Jahre arbeitslos gewesen. Eine Zeit, in der er beinahe verzweifelt wäre. Nach einer Umschulung zum Systemadministrator hatte er seine erste Anstellung bei X-SECURE gefunden. Michael hatte sich mit vollem Eifer in die Arbeit gestürzt, sich ständig weitergebildet und hochgearbeitet. In den letzten Jahren war er zu einem anerkannten Spezialisten für IT-Sicherheit geworden, dem man bei X-SECURE voll und ganz vertraute. Damit war es jetzt wohl vorbei – jemand hatte ihn ausgetrickst. Michael dachte an seine Familie und an seinen Job. Er entschied sich schließlich dafür, zu seiner Verantwortung der Firma gegenüber zu stehen, und rief seinen Chef an.

Die Firma X-SECURE stellte Verschlüsselungs- und Sicherungstechnik her. Das erfolgreichste Produkt waren biometrische Sensoren zur Handabtastung, mit denen Türen gesichert und kontrolliert werden: ›Zugang nur mit Ihrem Daumen‹. Die Fingerabdrücke des Menschen sind so unverwechselbar, dass keine zwei Menschen dieselben haben – als Türschloss also eine sichere Variante. X-SECURE hatte in einer Vielzahl von Unternehmen und Behörden seine Systeme installiert, besonders stolz war man darauf, das Bundeskanzleramt zum Kundenkreis zählen zu können. In der streng geheimen Datenbank von X-SECURE wurden Sicherheitskopien der Fingerabdrücke aller Berechtigten aufbewahrt. Hier fanden sich auch die Fingerabdrücke des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, schließlich musste auch er die Türen seines Büros öffnen. Und auf diese Datenbank hatte es eben den Angriff eines Computer-Hackers gegeben.

Michael Kunze war nur durch Zufall auf den Hacker aufmerksam geworden. Er wollte in der Nacht Wartungsarbeiten am Computersystem durchführen, als er einen Einwahlversuch von außen bemerkte. Neugierig, wer um zwei Uhr nachts auf das System zugreifen wollte, hatte er nachgesehen, wer der Nutzer war. Der Username und die Kennung waren ihm unbekannt, der Fremde hatte keine Rechte, auf das System zuzugreifen. Der Hacker versuchte Zugriff auf den Daten-Server zu erhalten, auf dem die Spezifikationen der Sensorsysteme lagen. Diese Daten waren streng geheim, denn mit ihnen war es möglich, die Sicherheitssysteme zu umgehen. Auf diesen Server hatten nur zwei Mitarbeiter Zugriff: er selbst und der Geschäftsführer. Jedenfalls nicht der Fremde, wer immer es war.

»Die Sicherheitssysteme müssten gleich den Zugriff verweigern und die Leitung unterbrechen«, dachte Michael und konnte zuerst nicht glauben, was er live miterlebte: Das System gewährte dem Fremden Zugriff auf das Allerheiligste von X-SECURE. Alle Sicherheitsmaßnahmen, die er installiert und die er bis eben für unüberwindlich gehalten hatte, versagten, und der Hacker begann, streng geheime Daten herunterzuladen.

»Wer ist das und was macht er da?«, fluchte Michael. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber einfach dasitzen und zusehen konnte er auch nicht. Schließlich tat er das Einzige, was ihm übrig blieb, um den Eindringling aufzuhalten. Er zog den Stecker raus, unterbrach also die physikalische Verbindung zwischen dem internen Netzwerk und dem Internet. Damit war X-SECURE zwar erst mal sicher, aber gleichzeitig auch von der Welt getrennt. Die verschiedenen Fernwartungsprogramme würden ebenso wie Fehler- und Alarmmeldungen nicht mehr durchkommen, schlimm genug, aber in dieser Situation wohl das kleinere Übel.

»Das hier war kein primitiver Hackerangriff«, dachte Michael. Der Fremde hatte sich Zugang und Rechte verschafft, die eigentlich nur der Systemadministrator vergeben konnte. Es gab keine Zweifel, X-SECURE war Opfer eines höchst professionellen Hackerangriffes geworden. Der Angriff war durch die Umgehung aller Sicherheitsbarrieren so geschickt gewesen, dass es unheimlich war. Wer immer das war, er war gut – zu gut. Der Fremde hatte in der kurzen Zeit, die er in das Computersystem von X-SECURE eingedrungen war, strenggeheime Dateien herunterladen können. Er hatte die Codes für die Sicherheitssysteme des Bundeskanzleramtes gestohlen.

Stefan Dürrer, der Geschäftführer von X-SECURE, wurde durch den nächtlichen Anruf seines Systemadministrators aus dem Bett geholt.

»Habe ich dich richtig verstanden, Michael? Jemand ist in unser System eingedrungen, hat dort geheime Kundendaten heruntergeladen und du hast die ganze Zeit daneben gesessen?«, fragte er noch ziemlich verschlafen.

»Hör zu, Stefan, wir haben es hier mit verdammt guten Profis zu tun«, antwortete Michael nervös.

»Lassen wir das erst mal beiseite. Welche Daten genau haben sie wie gestohlen?«

»Die Umgehungscodes für das Sicherheitssystem des Kanzleramtes.«

»Sag das bitte noch einmal.«

»Da ich das Herunterladen bemerkt habe und der Hacker wahrscheinlich weiß, dass wir ihn erwischt haben, glaube ich nicht, dass es so schlimm ist«, Michael versuchte die Sache herunterzuspielen.

»Nicht so schlimm ist?«, schrie Stefan, der inzwischen hellwach war, ins Telefon, »wenn das, was eben passiert ist, bekannt wird, können wir einpacken. Unser Job ist es, Sicherheit zu verkaufen. Wenn unsere Kunden Zweifel an der Sicherheit unserer Systeme bekommen, werden wir künftig keine Kunden mehr haben.«

»Du brauchst mir keinen Vortrag darüber halten, ich bin genauso entsetzt wie du. Wir senden heute früh einen Techniker ins Kanzleramt und lassen die Umgehungscodes ändern, wir können das Ganze als normale Routine-Überprüfung darstellen.«

»Du holst mich nachts um zwei Uhr aus dem Bett, um mir zu sagen, dass wir durch deine Schuld gerade dabei sind, unser Unternehmen und die Arbeit der letzten Jahre aufs Spiel zu setzen, und willst nicht, dass man dir Vorwürfe macht? Hör zu, Michael, ich bin in einer halben Stunde im Büro, es wäre besser für uns und für dich, wenn du bis dahin ein paar Antworten hast.«

Stefan Dürrer traf nach 45 Minuten im Büro des Systemadministrators ein.

»Wie konnte das passieren? Um uns zu schützen, haben wir auf deinen Rat hin ein Sicherheitssystem gekauft, das ein Vermögen gekostet hat. Und heute Nacht geht da jemand einfach so durch?«

»Wir haben so ziemlich das beste Sicherheitssystem, das man im zivilen Bereich haben kann, aber alle Barrieren wurden von dem Eindringling überwunden. Frage mich nicht, wie er das gemacht hat. Ich habe online miterleben müssen, wie er einfach durch alles durchmarschiert ist. Der einzige Weg ihn aufzuhalten, war es, den Stecker rauszuziehen. Das, was ich hier heute gesehen habe, dürfte es eigentlich gar nicht geben«, versuchte Michael sich zu rechtfertigen.

»Ich brauche keine Ausflüchte. Dein Job ist es, solch eine Scheiße, wie sie eben passiert ist, zu verhindern. Verdammt noch mal, ich will wissen, wer uns hier verarscht!«

»Nun ja, ich habe seine IP-Nummer«, antwortete Stefan.

»Und, was bedeutet das?«

»Nun, er kam über das Internet und dort hinterlässt jeder Surfer seine Spuren. Jeder Nutzer des Internet erhält eine IP-Nummer, sozusagen seinen Namen und seine Adresse, mit der er sich weltweit im Internet ausweist. Jede IP-Nummer gibt es nur einmal und sie ist eindeutig einem Nutzer zugeordnet.«

»Schön, und wer ist nun der Kerl?«

»Ich konnte die IP zurückverfolgen, sie gehört zu GermanNet. Nur leider hilft uns das nicht weiter.«

»Kannst du deutlicher werden?«, Stefan wurde zunehmend ungeduldiger.

»Es ist die Nummer eines Netzbetreibers. Das Unternehmen hat ein paar hunderttausend IP-Adressen. Wenn sich ein Nutzer über das Telefon oder DSL bei GermanNet einwählt, wird ihm eine IP-Adresse zugewiesen, die aber nur für diese Sitzung gilt. Wenn er sich das nächste Mal einwählt, erhält er eine andere IP-Nummer, eben immer die IP-Nummer, die gerade frei ist. Und GermanNet ist der größte deutsche Netzbetreiber.«

»Können wir versuchen herauszubekommen, wer sich heute Nacht hinter dieser IP-Adresse versteckt hat?«

»Nur der Netzbetreiber, der die IP-Adressen vergibt, kann das herausbekommen. In unserem Fall also GermanNet, und nur die Staatsanwaltschaft kann die Herausgabe dieser Daten verlangen. Es handelt sich schließlich um personenbezogene Daten, die unter das Datenschutzgesetz fallen, und die darf man uns nicht einfach mitteilen.«

»Die Polizei sollten wir aus dem Spiel lassen. Wir sollten überhaupt alles unterlassen, was Aufsehen erregen könnte. Michael, ich will, dass du herausbekommst, was hier los ist. Wenn wir den Auftrag beim Bundeskanzleramt vermasseln, sind wir als Unternehmen für immer aus dem Geschäft. Ich will heute früh einen ausführlichen Bericht auf meinem Schreibtisch«, sagte Stefan beim Rausgehen.

Michael blieb allein und ratlos in seinem Büro zurück. Er hatte wenig Hoffung, dass es etwas bringen würde, aber da ihm nichts Besseres einfiel, sandte er eine Email an das Kontrollzentrum von GermanNet und bat um Hilfe.

Karl Heise war zehn Tage vor der Wahl verzweifelt. Dies war definitiv sein letzter Wahlkampf, er hatte vor zwei Jahren einen Herzinfarkt erlitten und würde seine politische Karriere bald an den Nagel hängen müssen. Diese Wahl war seine letzte Möglichkeit, Regierender Bürgermeister zu werden. Karl war seit über 30 Jahren in der Politik und er hatte es bisher nicht geschafft, auch nur einmal ein wirklich wichtiges Amt zu erlangen. Er wollte diese Wahl gewinnen. Um jeden Preis.

Thomas erzählte Karl von dem Gespräch mit Maximilian. »Ich weiß nichts über den Fremden, ich weiß nicht, woher er die Informationen hat und was er dafür haben will. Karl, ich denke, wir sollten vorsichtig sein und besser die Finger davon lassen.«

»Wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Und ich habe hier auch keine moralischen Bedenken. Es ist ja nicht so, dass wir etwas über Felix erfinden. Was immer er versteckt, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, es zu erfahren. Soll er doch dazu stehen, soll er vor die Kameras treten und verkünden, dass er seine Frau mit einem Mädchen betrügt, das so alt ist wie seine Tochter. Und dann sollen die Wähler entscheiden«, sagte Karl.

Er hatte sich die Unterlagen angesehen, es waren E-Mails mit wirklich kompromittierendem Inhalt. Aber was sagten E-Mails schon aus? So was ließ sich leicht fälschen. Die Kopien der Kreditkartenbelege waren da schon besser. Wie konnte man so blöd sein, die Flugtickets für die Geliebte mit der Kreditkarte zu bezahlen? Aber das Beste war das Foto, Felix mit der jungen Geliebten am Swimmingpool seiner Finca auf Mallorca. Beide waren nackt und die Gesichter waren hervorragend zu erkennen. Die Kleine war wirklich hübsch. Karl konnte Felix durchaus verstehen, aber Felix war selbst schuld, wenn er sich erwischen ließ.

»Ich will mich mit diesem Maximilian treffen«, entschied Karl.

»Aber auf wen lassen wir uns da ein, woher kommen diese Informationen und was ist, wenn es Fälschungen sind?«, fragte Frank.

»Wir bekommen nur Antworten auf die Fragen, wenn wir uns mit Maximilian treffen. Mach einen Termin mit ›Herrn Unbekannt‹. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Die letzten Umfrageergebnisse zeigten, dass die Beliebtheit von Felix anstieg, während seine eigene sank. Das Wahlkampfteam von Felix hatte es geschafft, die gesundheitliche Angeschlagenheit von Karl zum Thema in den Medien zu machen. Vielleicht konnte er ihm das jetzt heimzahlen, doppelt und dreifach.

Karl und Thomas trafen sich am selben Abend mit Maximilian in einem Hotelzimmer.

»Wir sind uns nicht sicher, ob Ihre Unterlagen echt sind. Und selbst wenn, werden sie ausreichen, um die Öffentlichkeit zu überzeugen?«, begann Karl das Gespräch.

»Wir haben Ihnen bisher nur einen kleinen Auszug aus den Informationen gegeben, die wir besitzen. Ich habe Ihnen noch etwas mitgebracht, bitte sehen Sie sich auch diese Unterlagen an.« Maximilian legte einen Stapel mit Dokumenten auf den Tisch »Wie Sie sehen können, sind dies Auszüge aus den Unterlagen einer Krankenkasse. Die kleine Freundin von Herrn Bonhoff hatte vor sechs Monaten einen Schwangerschaftsabbruch. Und dies hier sind Ausdrucke der Krankenakte des Krankenhauses. Wie Sie sehen können, ist hier der Tag der Empfängnis berechnet worden. Der Termin fällt genau in die Woche, in der die beiden mit dem von Felix Bonhoff bezahlten Ticket auf Mallorca waren. Wir besitzen noch weitere Informationen.«

»Ich will gar nicht wissen, woher Sie diese Unterlagen haben. Aber sagen Sie mir, wer Sie sind und warum Sie damit zu mir gekommen sind.«

»Sie kommen immer gleich zum Kern der Sache, Herr Heise, das gefällt uns an Ihnen. Wie Sie wissen, will Berlin seine Wasserversorgung privatisieren. Dafür gibt es zurzeit noch zwei Anbieter, mit denen das Land Berlin Verhandlungen führt. Ich vertrete einen dieser beiden Anbieter: die PublicBestInvest, kurz PBI. Die Privatisierung wird eine komplexe Entscheidung werden, es geht hier um den Erhalt von Arbeitsplätzen und darum, welche Perspektiven ein Investor der Stadt bieten kann. Der Kaufpreis sollte nicht das einzige Kriterium sein. Die Privatisierungsentscheidung wird der Berliner Senat fällen, das heißt also, die stärkste Partei und der Regierende Bürgermeister. Das Konsortium, das ich vertrete, ist der Meinung, dass Sie und ihre Partei die Kompetenz besitzen, die Tragweite dieser Entscheidung zu beurteilen und daher auch in der Lage sein werden zu entscheiden, wer der richtige Partner für Berlin ist. Herrn Bonhoff und seiner Partei trauen wir solch eine Entscheidung nicht zu.«

»Und die beste Perspektive für Berlin bietet Ihrer Meinung nach natürlich PBI, auch wenn man weniger zahlen will als der Mitbewerber?«

»Genau so sehen wir das.«

»Ich bin nicht bestechlich, aber ich kann Ihnen versprechen, wenn ich Regierender Bürgermeister bin, wird der beste Partner für Berlin gefunden werden und dieser wird dann auch den Zuschlag erhalten.«

»Die Entscheidung, wer der Beste ist, wird sich dabei nicht nur auf den Kaufpreis reduzieren?«

»Nein, wie Sie schon selbst festgestellt haben, es ist eine äußerst komplexe Entscheidung mit vielen Facetten.«

»Herr Heise, die Berliner Bürger sollten wissen, wem Sie ihre Stimme geben. Die Informationen über Felix Bonhoff werden noch heute Abend verschiedenen Zeitungsredaktionen zugespielt. Man wird Sie weder mit uns noch mit diesen Informationen in Verbindung bringen können.«

Nach dieser Feststellung gab es nichts mehr zu besprechen. Maximilian verabschiedete sich und ging.

»Ich habe den Eindruck, dass wir gerade unsere Seelen an den Teufel verkauft haben«, sagte Thomas nachdenklich. »Und sie scheinen verdammt gute Verbindungen zu haben. Sie haben offensichtlich Zugriff auf E-Mails, Kreditkartenabrechnung und Krankenkassendaten, also auf vertrauliche Daten.«

»Mach es nicht so dramatisch, wir haben einen Verbündeten gefunden, das ist alles. Und ich habe das Gefühl, dass sich gerade entschieden hat, wer die Wahl gewinnen wird.«

Am nächsten Morgen erschienen die Zeitungen in Berlin mit der Meldung über das Verhältnis von Felix und seiner Lolita. Das Bild am Pool war auf den Titelseiten aller Boulevardzeitungen. Bis zum Mittag versuchte Felix noch zu leugnen, aber als immer mehr Einzelheiten an die Öffentlichkeit drangen, gab er es auf. Seine Pressesprecherin erklärte am Nachmittag, dass Frank Bonhoff wegen der Verleugnungskampagne, die gegen ihn veranstaltet würde, einen Nervenzusammenbruch erlitten habe und daher nicht länger kandidieren könne. In aller Eile wurde von seiner Partei ein neuer Kandidat aufgestellt, es waren nur noch neun Tage bis zur Wahl.

Die Wahl ging mit einem erdrutschartigen Sieg für Karl Heise aus. Dieser Sieg kam nicht überraschend, die Umfrageergebnisse hatten gezeigt, dass Karl Heise seit Beginn des Skandals um Felix Bonhoff und dessen überraschenden Rücktritt fast 20 % der Stimmen hinzugewonnen hatte, vor allem bei den Wählerinnen hatte er stark zugelegt.

Wie nach den letzten Wählerumfragen zu erwarten war, wurde Karl neuer Regierender Bürgermeister von Berlin und verfügte außerdem über eine solide Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe. Den Zuschlag erhielt das Unternehmen PublicBestInvest. Der Kaufpreis, den das Land Berlin von PBI erhalten sollte, war zwar fast 20 Millionen Euro geringer, als das Kaufangebot des anderen Interessenten. Aber der Regierende Bürgermeister erklärte, dass bei Würdigung aller Faktoren, zu denen auch Arbeitsplatzgarantien und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gehörten, PBI der beste Partner für Berlin sei. Eine Entscheidung, die von der Opposition scharf kritisiert wurde. Allerdings hatte sie sich noch nicht von dem Skandal um Felix Bonhoff erholt, und ihre Kritik an der Privatisierung blieb weitgehend ungehört.

PublikBestInvest zahlte kurz darauf 10 Millionen Euro für Beratungsleistungen an eine Schweizer Briefkastenfirma.

2

Die E-Mail erreichte das International Operation Centre von GermanNet um 03.18 Uhr. Der große Ansturm der Surfer auf das Netz war vorüber, gegen zwei Uhr war Ruhe im Operation Centre eingekehrt. Die Leute hatten sich nach und nach aus dem Internet ausgeloggt und nachdem vor wenigen Stunden noch fast 300.000 Menschen gleichzeitig GermanNet genutzt hatten, war die Zahl jetzt auf unter 10.000 gesunken. Die meisten Surfer waren ins Bett und die Mitarbeiter des Operation Centre in den Pausenraum gegangen. Nur ein einziger Mitarbeiter saß noch an den Kontrollschirmen, als die E-Mail eintraf.

Mail to: [email protected]

Betreff: Hackerangriff auf unser Unternehmen

Text: Von Ihrem Netz wurde unter der IP Nummer

123.742.496.780 versucht, in unser System einzu-

dringen und sicherheitsrelevante Daten von nationa-

lem Interesse zu stehlen. Bitte übermitteln Sie

uns den Username.

Freundliche Grüße

Michael Kunze

System Administrator

Telefon: ++49-30-542 876 0-92

X-SECURE

Im Operation Centre liefen alle Meldungen über Probleme im Netzwerk von GermanNet zusammen, es war die Aufgabe der Mitarbeiter des OC, rund um die Uhr für einen reibungslosen Netzbetrieb zu sorgen. Im Normalfall kein kompliziertes Verfahren. Die gemeldeten Fehler wurden in ein so genanntes Ticketsystem eingegeben. Nachdem die Art des Problems beschrieben war, wurden automatisch Hilfestellungen angeboten, wie das Problem zu beheben war.

Die E-Mail, die gerade eingetroffen war, unterschied sich allerdings deutlich von sonstigen Routinemeldungen und der einzige verbliebene Mitarbeiter war erst seit kurzem im OC. Er gab in das Ticketsystem ein, ›Problem: Angriff auf anderes Netz‹, und machte dann bei ›Bewertung der Tragweite des Problems‹ den entscheidenden Fehler. Unerfahren wie er war, wählte er als Auswirkung ›Unternehmensgefährdend‹, in das Feld ›Fehlerbeschreibung‹ kopierte er den Text der E-Mail. Sobald er die Eingabe bestätigt hatte, wurde entsprechend der Angabe ›Unternehmensgefährdend‹ ein Eskalationsprozess der höchsten Prioritätsstufe in Gang gesetzt und automatisch eine E-Mail mit größter Dringlichkeitsstufe an den Eskalationsverteiler gesandt, die Bestätigung erschien auf dem Bildschirm:

»Das Ticket 0012. AX.234.jhg 089 wurde mit höchster Dringlichkeitsstufe an die Geschäftsführung eskaliert.«

Um 3 Uhr 24 wurde die automatische E-Mail unter anderem auch an den Chief Executive Officer von GermanNet, Ferry Ranco, gesandt und per automatischer SMS wurde gleichzeitig Winfried Bohl, Leiter des OC, informiert. Winfried Bohl saß zu diesem Zeitpunkt mit seinen Kollegen im Pausenraum des OC, er goss sich beim Lesen der SMS vor Schreck den Kaffee über die Hose und sprang gleichzeitig aus seinem Stuhl auf. Mit einem Schmerzensschrei stürzte er ins OC.

»Bist du wahnsinnig? Die Stufe ›Unternehmensgefährdend‹ bedeutet, dass uns der Backbone oder sämtliche Transatlantikleitungen abgeraucht sind oder das OC in Flammen steht. Verflucht, warum holst du mich nicht aus dem Pausenraum, bevor du solch eine Mail raussendest?«

»Tut mir leid«, stammelte der erschreckte und eingeschüchterte Mitarbeiter. »Können wir die Einstufung korrigieren und die E-Mails zurückholen?«

»Keine Chance.«

Winfried schickte eine E-Mail an den gleichen Verteiler und entschuldigte sich für den Irrtum. »Hast du vorher schon mal eine Mail an Ferry gesandt?«, fragte ein ebenfalls aus dem Pausenraum herbeigeeilter Kollege.

»Nein, noch nie, obwohl jeder seine Mailadresse kennt, ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man keine Mails direkt an Ferry sendet.«

»Ich hab’ gehört, dass er ganz o.k. sein soll.«

»Ja, und ca. 200 Millionen besitzt, Manager des Jahres war und noch vieles anderes«, und dabei mit einunddreißig Jahren noch ein Jahr jünger ist als ich, dachte Winfried.

»Wir werden sehen, wie o.k. er ist und ob er uns den Kopf abreißt, wegen der höchsten Eskalationsstufe.«

In diesem Moment wurde ihr Gespräch unterbrochen, weil fast alle Telefone gleichzeitig anfingen zu klingeln und jede Menge neuer Mails eingingen. Der Eskalationsverteiler hatte gute Arbeit geleistet und halb GermanNet aus dem Bett geholt.

Ferry Ranco hörte die Mail erst am nächsten Morgen auf der Fahrt ins Büro. Im Auto las ihm der Computer die Betreffs der neuesten Mails vor, während er sich auf den Verkehr konzentrierte.

»Sie haben eine E-Mail der höchsten Eskalationsstufe vom Operation Centre erhalten.« Ferry hatte eine Frauenstimme für das Voiceprogramm ausgewählt.

»Vorlesen.«

Es hatte eine Weile gedauert, bis der Computer sich an seine Aussprache gewöhnt hatte, aber jetzt verstand er zumindest einfache Kommandos ganz gut.

»Von OC: Störfall Unternehmensgefährdend, Art des Störfalles: Hacker-Angriff auf ein anderes Netz.«

Er konnte sich nur an eine einzige Eskalation dieser Prioritätsstufe erinnern. Vor zwei Jahren hatte ein Seebeben im Atlantik auf einen Schlag sämtliche Transatlantikleitungen zerstört. Es hatte zwei Stunden gedauert, bis sie den Verkehr auf andere Leitung umrouten konnten. Solange war der gesamte Datenverkehr eben andersherum gegangen, also von den USA durch den Pazifik, über Japan und Südostasien nach Europa. Die Transpazifikleitungen hatten die enorme Datenmenge nicht verkraftet und weitere Störungen waren die Folge gewesen. Das ganze Netzwerk und hunderttausende Online-Kunden waren betroffen. Wenn gestern Nacht etwas Ähnliches geschehen war, hätte er eigentlich aus dem Bett geholt werden müssen.

»Telefon.«

»Bitte sagen Sie die Telefonnummer oder den Teilnehmer.«

»Manfred Nord.«

»Sie werden verbunden mit dem Technischen Direktor von GermanNet.«

Manfred war sofort am Telefon. »Hey, Ferry, du rufst wegen der Mail gestern Abend an, vermute ich, lies’ einfach die folgenden Nachrichten. War nur ein Fehler eines neuen Mitarbeiters im OC. Ich habe heute Nacht schon alles kontrolliert, im Netz ist alles im grünen Bereich, nur blinder Alarm.«

»Was steckt genau hinter der Mail?«

»Wohl ein Hacker-Angriff auf irgendein Firmennetzwerk. Die möchten jetzt, dass wir eine IP-Nummer zurückverfolgen, was wir natürlich so einfach nicht dürfen. Wir werden auf die Mail erst mal nicht reagieren. Sollen die die Staatsanwaltschaft einschalten.«

»Wir haben morgen Aktionärsversammlung, hast du schon mit Rolf darüber gesprochen? Ich will da keine Überraschungen erleben.«

»Nein, ich habe mich erst mal nur um das Netz gekümmert, da ist alles o.k. und die Aktionärsversammlung ist nicht meine Baustelle.«

Gleich nachdem er das Gespräch mit Manfred beendet hatte, ließ Ferry den Computer die Nummer von Rolf Keller anwählen. Rolf war Chief Finance Officer und als solcher für die Finanzen von GermanNet verantwortlich. Bei der momentanen Hysterie an der Börse konnte, einen Tag vor der Aktionärsversammlung, jede noch so unbedeutende Mitteilung negative Auswirkungen auf den Börsenkurs und damit auf die Finanzsituation von GermanNet haben.

»Sie werden verbunden mit dem CFO von GermanNet«

Auch hier wurde der Hörer fast sofort abgenommen.

»Hallo Ferry, hier ist Diana. Rolf ist noch nicht im Büro und wie ich an deiner Nummer sehe, rufst du aus dem Auto an. Was gibt es so Dringendes?«

Wie bei jedem Anruf stellte Ferry zuerst fest, dass sie eine fantastische Stimme hatte. Und wie immer wurde er daran erinnert, dass sie im letzten Jahr eine Affäre miteinander hatten. Eine Affäre, die nach nur vier Wochen beendet war. Alle seine Versuche, in den letzten Jahren eine Beziehung aufzubauen, waren bereits nach kurzer Zeit gescheitert. Es sollte einfach nicht sein. Nach Diana hatte er sich geschworen, nie wieder etwas mit jemandem aus dem eigenen Unternehmen anzufangen.

»Hallo Diana, weißt du was über den Störfall der letzten Nacht?«

»Du bist heute Morgen schon der Dritte, der deswegen anruft. Der Chef vom OC hat gestern Nacht gleich noch eine E-Mail hinterher gesandt. War wohl nur ein Versehen eines neuen und noch unerfahrenen Mitarbeiters. Bist du in Berlin?«

»Ja, ich werde in zehn Minuten im Büro sein.«

»Hast du immer noch dieses komische Programm, das dir deine E-Mails im Auto vorliest?«

Das bisschen Vertrautheit, das immer noch zwischen ihnen war, war ihm unangenehm. Er hatte mehrfach versucht, etwas mehr Reserviertheit in ihren Umgangston zu bringen. Aber Diana ließ sich von seinen Versuchen nicht beeindrucken. Schließlich hatte er es aufgegeben, und irgendwie mochte er es auch.

»Sagst du Rolf, dass ich ihn später gern sprechen möchte?«

»Klar, er ruft dich an, sobald er da ist. Hab’ einen schönen Tag.«

»Ja, du auch.«

»Das Gespräch wurde beendet, der Teilnehmer hat aufgelegt.«

»Scheiß Computerstimme.«

»Ihre Eingabe ist nicht auswertbar, bitte wiederholen Sie sie.«

»Geh zum Teufel.«

»Sie werden verbunden mit Susanne Schneufel.«

»Nein.«

»Ihre Eingabe ist nicht auswertbar.«

»Ende.«

»Das Programm wurde von ihnen beendet.«

Ferry stellte fest, dass sich Dianas Stimme besser anhörte, als die des Computers.

Als Diana 16 Jahre alt war, hatte sie sich von einer Freundin überreden lassen, an einen Schönheitswettbewerb teilzunehmen. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie den Titel der Miss Berlin gewonnen. Obwohl man ihr sagte, dass sie gute Chancen gehabt hätte, auch den Titel der Miss Germany zu holen, weigerte sie sich an weiteren Schönheitswettbewerben teilzunehmen.

Die nächsten Jahre verbrachte sie damit, gegen das ›Blonde Dummerchen-Image‹ anzukämpfen. Nach einem kurzen und höchst erfolgreichen Studium hatte sie es mit 26 Jahren bereits bis zur Chefcontrollerin bei GermanNet geschafft, als ihre kurze Affäre mit Ferry begann. Sie fand Ferry immer schon attraktiv und interessant, mehr aber auch nicht. Bei seinem Aussehen hatte sich eindeutig sein italienischer Vater gegen seine deutsche Mutter durchgesetzt. Sie war vor allem von seinen großen dunklen Augen fasziniert. Obwohl Ferry mittlerweile zu den reichsten Männern Deutschlands gehörte und er die Entwicklung des Internets in Deutschland und in Europa entscheidend mitgeprägt hatte, war er in seiner Art immer noch der Student geblieben, der gerade ein Garagenunternehmen gegründet hatte.

Eigentlich gehörte es zu Dianas festen Vorsätzen, nie etwas mit Kollegen anzufangen und erst recht nichts mit ihrem Chef. Sie wollte um alles in der Welt vermeiden, dass man ihr nachsagen konnte, sie hätte sich nach oben geschlafen. Doch eines Abends traf sie Ferry durch Zufall bei ihrem Lieblingsitaliener und er hatte gefragt, ob sie sich zu ihm setzen wolle. Zu ihrer Überraschung wurde es ein lustiger und unterhaltsamer Abend. Ferry kaufte sogar einem vorbeikommenden Blumenverkäufer sämtliche Rosen ab, allerdings nicht, um sie anzumachen, sondern weil ihm der Blumenverkäufer leid tat. Der Blumenverkäufer, ein alter Mann, der kaum deutsch konnte, hatte Tränen in den Augen, als Ferry ihm einen Hundert-Euro-Schein gab. Als Diana sah, wie gerührt Ferry von der Freude des alten Mannes war, beschloss sie, mit ihm ins Bett zu gehen. Am nächsten Morgen waren dann beide überrascht, dass sie eine Affäre angefangen hatten, obwohl sie wussten, dass es nicht gut war. So hatten sie das Ganze nach einigen Wochen beendet, ohne groß darüber zu reden. Diana dachte trotzdem immer noch gerne an die Zeit zurück, es waren schöne Wochen gewesen. Ferry war lustig, der Sex war super gewesen und sie mochte seine menschliche, angenehme Art. Aber leider war er nun mal auch ihr Boss.

Um acht Uhr kam ein Techniker von X-SECURE ins Bundeskanzleramt, um Wartungsarbeiten durchzuführen. Ein Wachschutzmann führte ihn durch das Gebäude und zu den durch Handscanner gesicherten Türen.

»Ihr habt die Dinger doch gerade erst eingebaut, warum müssen die dann schon wieder repariert werden? Bis jetzt sind hier alle sehr zufrieden und ich habe nichts von Problemen gehört. Erleichtern uns etwas die Arbeit, eure Dinger.«

»Ich mache hier keine Reparatur, es sind nur routinemäßig Wartungsarbeiten.«

»Ihr wollt noch ein bisschen was abrechnen, hä?«

»Nein, alles im Preis des Wartungsvertrages inbegriffen.«

Keine sechs Stunden nach dem Hackerangriff waren die Zugangscodes verändert und die von X-SECURE geklauten Daten damit wertlos.

Rolf war fast gleichzeitig mit Ferry im Büro eingetroffen, Diana hatte dafür gesorgt, dass Rolfs erster Gang ins Büro von Ferry führte.

Ferry kam ohne Umschweife zum Thema. »Kann der Hackerangriff von unserem Netz aus irgendwelchen Einfluss auf die Aktionärsversammlung haben?«

Rolf war anzumerken, dass er genervt war. Ungeduldig erwiderte er: »Soviel ich weiß, war es nur ein übereifriger und unerfahrener Techniker im OC, der die E-Mail irgendeines Spinners falsch interpretiert hat. Was soll das für eine Auswirkung auf unsere Aktionärsversammlung haben?«

»Du hast natürlich Recht, aber ich möchte trotzdem wissen, was dahinter steckt. Haben wir die IP-Nummer überprüft? Was, wenn das Ganze an die Presse geht? Das hätte dann bestimmt Auswirkungen auf die morgige Konferenz.«

»Du weißt, dass wir ohne eine Anordnung der Staatsanwaltschaft keine personenbezogenen Daten nach draußen geben dürfen. Ich sehe auch keinen Grund, hier überhaupt tätig zu werden. Vielmehr sehe ich die Gefahr, dass wir durch unsere Aktionen erst ein Problem schaffen.«

»Unabhängig von allem anderem möchte ich einfach wissen, was da vorgeht.«

»Ich glaube nicht, dass das Ganze jetzt wirklich wichtig ist, lass es doch einfach auf sich beruhen und uns abwarten, ob wir eine Anfrage der Staatsanwaltschaft bekommen. Dann können wir immer noch anfangen, uns den Kopf zu zerbrechen. Wir haben Wichtigeres zu tun, es sind verschiedene Gerüchte über unsere Zahlungsfähigkeit im Umlauf, unser Börsenkurs ist unter Druck und du kümmerst dich um irgend so eine Spinner-Mail.«

»Schon gut, lassen wir es auf sich beruhen und bereiten wir uns auf die Konferenz vor.«

»Also sehen wir uns um vierzehn Uhr beim Meeting?«

»Ja klar, bis dann.«

Ferry tat so, als ob er sich für den Stapel Akten, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag, interessierte, und Rolf verließ nach kurzem Zögern den Raum und murmelte dabei etwas Unverständliches vor sich hin.

Rolfs Verhalten und seine Art gingen Ferry an manchen Tagen mächtig gegen den Strich. Er hatte Rolf vor drei Jahren an Bord geholt, weil er selbst sich zu wenig mit Finanzen auskannte. Rolf hatte damals kaum Berufserfahrung gehabt und in den ersten Jahren hatte er die Buchführung und das Rechnungswesen betreut. Er war mit GermanNet gewachsen, war jetzt CFO und die Nummer Zwei bei GermanNet. Sie beide hatte nie eine wirkliche Freundschaft verbunden. Rolf nahm ihm einfach lästige Pflichten ab. Sie hatten sich aneinander gewöhnt.