Tapferes Kinderherz - Anne Bodmann - E-Book

Tapferes Kinderherz E-Book

Anne Bodmann

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Das erste Mal traf Roland Hartwig das Mädchen auf dem Parkplatz vor dem Messegelände. Er hatte Geschäftsfreunde aus dem Ausland zur Hannover-Messe begleitet und suchte nun seinen Wagen unter den Tausenden von Fahrzeugen, die hier abgestellt waren. Das Kind putzte mit Hingabe an seiner Windschutzscheibe herum. »Was machst du denn da?« fragte er erstaunt. »Sehen Sie das nicht?« antwortete es schnippisch. »Ich säubere Ihre Scheibe. Sie war völlig verstaubt.« Mehr belustigt als verärgert betrachtete Roland das Kind. Es war schmächtig, fast hager. Die dunklen Locken waren kurzgeschnitten, wach und aufmerksam blickten die hellen Augen in die Welt. Unzählige Sommersprossen zierten die kindliche Stupsnase. In der einen Hand hielt es einen kleinen Wassereimer, in der anderen das Fensterleder. Es trug ausgeblichene Jeans und ein T-Shirt, auf dem in großen Buchstaben ein Name stand: Cornelia. Wäre dieser Hinweis nicht gewesen, Roland hätte sie für einen Jungen halten können. »Du bist sehr freundlich, Cornelia«, sagte er anerkennend und fragte sich insgeheim, wieviel Geld er ihr für den ungebetenen Dienst geben müßte. »Woher kennen Sie meinen Namen?« fragte sie mit gerunzelter Stirn.

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Leseprobe: Die Dame kann auch Heldin sein

Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen, sie kennt die so sympathische Familie des Professors Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi inzwischen schon besser als jeder andere. Die geliebte kleine Bambi wird in den neuen Romanen für besondere Furore sorgen, und eine erfrischend engagierte junge Ärztin wird den Sonnenwinkel gehörig aufmischen.

Mami Bestseller – 46 –

Tapferes Kinderherz

Cornelia sucht einen Vater

Anne Bodmann

Das erste Mal traf Roland Hartwig das Mädchen auf dem Parkplatz vor dem Messegelände. Er hatte Geschäftsfreunde aus dem Ausland zur Hannover-Messe begleitet und suchte nun seinen Wagen unter den Tausenden von Fahrzeugen, die hier abgestellt waren. Das Kind putzte mit Hingabe an seiner Windschutzscheibe herum.

»Was machst du denn da?« fragte er erstaunt.

»Sehen Sie das nicht?« antwortete es schnippisch. »Ich säubere Ihre Scheibe. Sie war völlig verstaubt.«

Mehr belustigt als verärgert betrachtete Roland das Kind. Es war schmächtig, fast hager. Die dunklen Locken waren kurzgeschnitten, wach und aufmerksam blickten die hellen Augen in die Welt. Unzählige Sommersprossen zierten die kindliche Stupsnase. In der einen Hand hielt es einen kleinen Wassereimer, in der anderen das Fensterleder. Es trug ausgeblichene Jeans und ein T-Shirt, auf dem in großen Buchstaben ein Name stand: Cornelia. Wäre dieser Hinweis nicht gewesen, Roland hätte sie für einen Jungen halten können.

»Du bist sehr freundlich, Cornelia«, sagte er anerkennend und fragte sich insgeheim, wieviel Geld er ihr für den ungebetenen Dienst geben müßte.

»Woher kennen Sie meinen Namen?« fragte sie mit gerunzelter Stirn.

»Er steht auf deinem Hemd!« lachte er.

Erschrocken blickte Cornelia an sich herunter. »Zu dumm«, sagte sie und biß sich auf die Lippen. »Daß ich gerade dieses T-Shirt erwischen mußte.«

»Ist es so schlimm, wenn ich dadurch deinen Namen erfahren habe?«

»Es ist völlig unnötig«, erklärte sie altklug. »Ich weiß ja auch nicht, wie Sie heißen.«

»Roland Hartwig!« stellte er sich vor. »Nun weißt du sogar meinen Nachnamen und kennst mich besser als ich dich. Du hast mir einen Gefallen getan, Cornelia, obwohl ich dir keinen Auftrag gegeben habe. Meinst du, daß ein Euro als Bezahlung ausreicht? Oder soll ich dir ein Eis kaufen?«

»Geld ist mir lieber. Ich brauche Geld, ich spare nämlich. Wir sind sehr arm, müssen Sie wissen.«

Roland hatte seine Wagentür aufgeschlossen und sich hinter das Steuer gesetzt. Er suchte in seiner Geldbörse nach einem Eurostück, als ein Parkwächter kam. Er schaute Cornelia böse an.

»Ist es denn die Möglichkeit!« herrschte er die Kleine an. »Habe ich dir nicht verboten, hier auf dem Parkplatz die Autofahrer anzubetteln?«

»Ich – ich bettele nicht«, beteuerte Cornelia.

»Du kannst mir viel erzählen, ich habe dich beobachtet. Den ganzen Tag streichst du hier herum und belästigst Leute. Am besten bringe ich dich gleich zur Polizei. Die wird dir schon erzählen, was sie von Kindern deiner Art hält. Vielleicht bekommen deine Eltern sogar eine Anzeige, weil sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.«

»Ich weiß nicht, was Sie wollen«, mischte sich Roland zu seiner eigenen Verwunderung in das Gespräch ein. Schließlich, was ging ihn Cornelia an? Er kannte sie ja erst seit ein paar Minuten. Vielleicht war es pädagogisch richtiger, ihr nicht beizustehen. Wer weiß, was sie alles auf dem Kerbholz hatte? Aber ihr trauriges Gesicht rührte ihn, und die Reaktion des Wärters fand er übertrieben.

»Cornelia ist meine Tochter«, erklärte er mit Bestimmtheit. »Sie hat hier auf mich gewartet, während ich Gäste auf die Messe begleite. Ich hatte ihr gesagt, daß sie inzwischen meine Scheiben putzen solle. Was ist daran verboten?«

Roland drückte dem Mann zwei Euro in die Hand, was eine ziemlich besänftigende Wirkung hatte. Dann öffnete er die Tür zum Beifahrersitz.

»Steig ein, Cornelia. Wir wollen nach Hause fahren.«

»Ja, Papi!« sagte sie mit schallender Stimme. Dann nahm sie neben Roland Platz. Klein und verloren hockte sie auf dem Beifahrersitz, eine steile Falte stand auf ihrer Stirn, ihre Lippen waren zusammengekniffen.

»Du siehst nicht gerade erfreut aus«, stellte Roland fest. »Dabei habe ich dich vor dem Parkwächter und vielleicht sogar vor der Polizei gerettet.«

»Na ja«, machte sie ungnädig. »Erstens schulden Sie mir noch ein Euro. Und dann wollte ich eigentlich noch den ganzen Nachmittag auf dem Parkplatz arbeiten. Wenn ich jetzt mit Ihnen in die Stadt zurückfahre, ist das ein ziemlicher Verlust für mich.«

»Wieviel verdienst du denn an einem Nachmittag beim Scheibenputzen?«

»Zehn Euro mindestens.«

»Und wenn ich dir zehn Euro schenke?«

»Nein, danke«, sagte Cornelia würdevoll. »Geschenke darf ich nicht annehmen. Ich will mir das Geld nur mit eigener Arbeit verdienen. Eigentlich darf ich auch nicht im Auto fremder Leute einsteigen.«

»Willst du aussteigen? Wenn du eine Parklücke entdeckst, kannst du es mir sagen. Ich halte sofort.«

Cornelia äugte angestrengt nach draußen. Es herrschte dichter Verkehr. Rechts und links flitzten die Autos in langen Kolonnen vorbei.

»Es geht wohl nicht«, meinte sie. »Dann fahre ich eben mit Ihnen in die Innenstadt. Sie werden es doch nicht meiner Mutter erzählen?«

»Da kannst du ganz beruhigt sein«, sagte Roland. »Ich kenne deine Mutter nicht. Ich weiß nicht einmal, wie ihr heißt und wo ihr wohnt. Auch habe ich einen Beruf und hätte bestimmt nicht die Zeit, nach ihr zu suchen. Bist du nun zufrieden?«

Cornelia seufzte. Eine Zeitlang schwiegen sie. Roland konzentrierte sich aufs Fahren. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

»Stimmt das eigentlich, daß du schon am Vormittag auf dem Parkplatz warst? Oder hat sich der Wärter geirrt?«

»Hmm«, kam die unbestimmte Antwort.

»Ja oder nein?«

»Ja«, gestand sie widerwillig ein.

»Müßtest du nicht am Vormittag in der Schule sein? Zur Zeit sind doch keine Ferien?«

»Ich war heute nicht in der Schule. Unsere Klassenlehrerin ist krank, da haben wir bloß Vertretungsunterricht. Der lohnt sich sowieso nicht, wir nehmen nur bekannte Sachen durch. Und außerdem muß ich Geld verdienen. Die Messe dauert ja nur neun Tage, die muß ich ausnutzen. So viel Autos auf einen Fleck gibt es im ganzen Jahr nicht wieder.«

»Wissen das eigentlich deine Eltern, daß du die Schule schwänzt und Geld verdienst?«

»Nein, Mutti weiß es nicht. Sie würde sich nur unnötig aufregen. Dabei ist es doch ehrlich verdientes Geld, nicht wahr?«

»Ja und nein, Cornelia. Schau mal, du fragst die Leute ja nicht vorher, ob sie deinen Dienst überhaupt wollen.«

»Pah«, machte sie verächtlich. »Niemand ist gezwungen, mir Geld zu geben. Ich habe schon oft genug gratis gearbeitet. Manche glauben, ich wische ihre schmutzigen Scheiben nur zum eigenen Vergnügen. Die meisten aber sind sehr nett und großzügig. Es ist ein ziemlich schwerer Job.«

»Ach, wirklich?«

»Man muß sehr aufpassen, viel mehr als in der Schule. Da sind die Parkwächter, die einen davonjagen wollen. Und dann darf man nur solche Autos waschen, deren Besitzer gerade zurückkommen. Man kann sich ja nicht stundenlang danebenstellen und auf die Leute warten. Meistens fange ich erst an, wenn ich die Fahrer herankommen sehe. Immer klappt das natürlich nicht. Die Autobesitzer finden in der Menge ihre Wagen nicht gleich und laufen auf einen falschen zu. Wenn sie dann plötzlich kehrtmachen, habe ich mich umsonst bemüht.«

Roland lachte.

»Hast du keine Angst, deine Lehrerin zu treffen?«

»Nö. Die muß ja in der Schule sein. Und außerdem verabscheut sie Autos und Betrieb. Sie würde mit der Straßenbahn kommen, und ich bleibe ja ständig auf dem Parkplatz. Aber jetzt können Sie mich rauslassen.«

Sie hatten die Innenstadt erreicht. Roland fand nach einigem Suchen einen Platz, auf dem er halten konnte.

»Auf Wiedersehen, kleine Cornelia!« sagte er gutgelaunt. »Vielleicht treffe ich dich mal wieder. Bei der Hannover-Messe oder sonstwo.«

»Ja, vielleicht.« Sehr überzeugend klang es nicht. Cornelia stand auf dem Bürgersteig und hielt die offene Autotür fest. Offensichtlich zögerte sie, endgültig zu gehen.

»Worauf wartest du noch?«

»Den Euro!« erinnerte sie ihn. Als er sie ihr gegeben hatte, war sie blitzschnell im Menschengewühl verschwunden. Roland blickte hinter ihr her, hatte sie aber gleich aus den Augen verloren. Nachdenklich startete er den Wagen und fuhr nach Hause.

*

Dr. Roland Hartwig war Jurist und als Syndikus in einem Industrieunternehmen in Hannover tätig. Er war siebenunddreißig Jahre alt, wirkte aber jünger, da er schlank und elastisch war und sich durch Sport fit hielt. Er konnte fröhlich lachen, was ihm ein jungenhaftes Aussehen verlieh. Heute jedoch war er ernst. Unwillkürlich kam ihm die kleine Cornelia immer wieder in den Sinn. Welch ein kleiner Frechdachs war sie doch, dabei originell und gescheit. Irgend etwas an dem Kind rührte ihn und ließ ihn nicht wieder los.

Als er die Wohnungstür aufschloß, kam ihm Gudrun entgegen. Gudrun, seine Lebensgefährtin und Partnerin – und wenn es nach ihm ginge, auch seine Frau und die Mutter seiner Kinder. Doch in diesen Punkten ging es nicht nach ihm. Gudrun hatte ihre eigenen Vorstellungen von ihrem Leben und setzte sie durch. Sie umarmte und küßte ihn flüchtig auf den Mund.

»Schön, daß du kommst, Roland«, sagte sie. »Eigentlich hatte ich dich früher erwartet.«

Erst jetzt fiel ihr der ungewohnt nachdenkliche Gesichtsausdruck ihres Freundes auf.

»Was ist, Roland? Hattest du Ärger? Oder Schwierigkeiten mit deinen Messegästen?«

»Nichts dergleichen«, wehrte er ab. »Ein wenig müde bin ich von der Hektik auf dem Messegelände.«

Doch Rolands Stimmung hob sich auch nicht nach dem guten Abendessen, als er sich ausgeruht und ein wenig entspannt hatte.

»Du hast doch was?« bedrängte Gud­run ihn.

Diese Tonart haßte Roland. Er mochte es nicht, wenn ihn die Freundin derart aushorchte. Verstand sie nicht, daß er einen kleinen Freiraum für seine eigenen Gedanken haben mußte? Gud­run war Schulpsychologin. Vielleicht lag es daran, daß sie allen seinen seelischen Regungen nachgehen mußte.

»Ich habe heute ein kleines Mädchen kennengelernt«, begann er zögernd mit seiner Erklärung.

»Und deswegen deine langweilige Stimmung?« tadelte ihn Gudrun. »Es gibt Tausende von kleinen Mädchen in dieser Stadt.«

»Sie war etwas Besonderes«, verteidigte sich Roland und fügte hinzu: »Ich wollte, du hättest sie kennengelernt. Vielleicht verständest du sie leichter, als ich das kann. Du, als Psychologin.«

»Ach geh!«, sagte sie leichthin. »Schwierige Kinder erlebe ich jeden Tag. Immer wieder muß ich mich neu auf ein solches Kind einstellen und im geduldigen Gespräch herausfinden, wie man ihm helfen könnte. Mir genügen die vielen Fälle, die mir im Dienst vorgestellt werden. Da brauche ich in meiner Freizeit keine weiteren zu suchen.«

Doch Roland konnte und wollte die Erinnerung an Cornelia nicht aus seinen Gedanken verdrängen. Er erzählte Gudrun von seiner Begegnung mit diesem Kind.

»Was hältst du von der Sache?« fragte er die Gefährtin am Schluß seines Berichtes.

»Ein verwahrlostes Kind«, stellte sie sachlich fest. »Es deutet alles darauf hin. Sie kann unbemerkt die Schule schwänzen. Ihre Eltern sehen nicht, daß sie Geld hat, das offensichtlich nicht von ihnen stammt.«

»Wahrscheinlich ist sie schlau genug, ihr Doppelleben vor den Eltern zu verbergen. Sie wirkte sehr intelligent.«

»Mag sein. Es gibt übrigens Kinder in allen Gesellschaftsschichten, die wenig Zuwendung erfahren und die man daher ›verwahrlost‹ nennen kann. Auch reiche und gebildete Leute kümmern sich häufig nicht genügend um ihren Nachwuchs, was um so empörender ist, als sie ja die Mittel hätten, um ihren Kindern optimale Bedingungen zu verschaffen. Für die ärmeren Bevölkerungsschichten habe ich Verständnis. Ihr Kampf um die nackte Existenz ist vorrangig und oft genug so hart, daß keine Kraft mehr bleibt für die Erziehung ihrer Kinder. Auch fehlen ihnen manchmal die Kenntnisse für diese Aufgabe.«

Gudrun sprach wie ein Lehrbuch. Seltsam, bislang hatte Roland das nicht gestört. Jetzt aber, im Zusammenhang mit Cornelia, nahm er Anstoß daran.

»Ich glaube, du kannst ein Kind wie Cornelia nicht in dieser Form einordnen«, sagte er verärgert. »Du hältst die Schublade für ›Verwahrloste‹ für zutreffend, also schiebst du das Kind hinein. Nichts sprach dafür, daß sie von ihren Eltern vernachlässigt wird. Sie ist ein wenig eigenwillig und hat ihre eigenen Gedanken. Sie paßt in keine Schublade, was ich positiv bewerten würde. Aber was rede ich. Du kennst sie eben nicht.«

»Wie alt ist das Kind?«

»Höchstens neun Jahre alt.«

»Das ist beruhigend«, sagte Gudrun spöttisch. »Wäre sie dreizehn, würde ich glauben, du wärest einer kleinen Lolita, einer raffinierten frühreifen Verführerin, ins Garn gegangen. Deine Begeisterung, ja, Verliebtheit, kennt keine Grenzen.«

Es sprach Gereiztheit, wenn nicht gar Eifersucht aus ihren Worten.

»Du bist geschmacklos«, entgegnete Roland. »Wenn du sie kennen würdest, wäre es dir selbst unbegreiflich, solch einen Gedanken zu äußern.«

»Wenn ich sie kenne«, machte sie gedehnt. »Aber ich hatte nicht das Vergnügen. Ich sehe nur, welche Wirkung sie bei dir hinterließ. Wenn es also keine Lolita ist, die bei einem reiferen Mann ungeahnte Verwirrungen auslöst, dann kann es sich nur um väterliche Gefühle handeln, die sie in dir geweckt hat.«

Gudrun hoffte auf Rolands Widerspruch, doch dieser blieb aus. Nachdenklich schaute er auf sein Weinglas, in dem sich das Licht der Lampe geheimnisvoll widerspiegelte. Nach einer Weile, in der gespanntes Schweigen zwischen ihnen herrschte, sagte er nachdenklich: »Die Psychologin hat mal wieder recht. Du hast mit deinem Scharfblick erkannt, was mich bei dieser Begegnung so bewegt hat. Ja, ich möchte ein Kind haben, solch ein Kind. Ein aufgewecktes, intelligentes, originelles Kind, das ich ins Leben führen kann. Dessen Entwicklung ich miterlebe, in dem ich mich wiedererkenne. Diese Sehnsucht läßt sich nicht einfach unterdrücken. Sie wird um so heftiger, je länger man sie verdrängt. Ich weiß es seit heute mit schmerzlicher Klarheit.«

»Bislang hörte ich es anders von dir«, sagte sie mit schriller Stimme. Gud­run konnte ihren Ärger nicht verbergen.

Doch Roland achtete nicht darauf. Versonnen fuhr er fort: »Man weiß es wohl selbst nicht immer, welche Wünsche im tiefsten Grund der eigenen Seele schlummern. Durch irgendein belangloses Ereignis kommen sie ans Tageslicht. Wenn es heute nicht diese Cornelia gewesen wäre, dann hätte ich morgen ein anderes Kind getroffen, das mir einen Spiegel vorgehalten hätte. Laß uns heiraten, Gudrun, möglichst bald. Warum zögern wir noch?«

»Fängst du schon wieder damit an!« Mit gespielter Verzweiflung hielt sie sich die Ohren zu. Doch Roland ging nicht auf ihren scherzhaften Ton ein. Er ging zu dem Sessel, in dem sie hockte, setzte sich auf die Lehne und ergriff ihre beiden Hände. Tiefer Ernst stand auf seinem Gesicht.

»Wir lieben uns doch, Gudrun, nicht wahr? Wir leben zusammen, wir haben gemeinsame Interessen. Warum sollen wir nicht endlich den Weg zum Standesamt gehen? Wir könnten ein oder zwei Kinder in unsere Gemeinschaft aufnehmen. Wir könnten ihnen ein Elternhaus und Heimat geben. Wir könnten…«

»Es ist gegen unsere Vereinbarung«, sagte sie kühl. »Ich möchte keine feste Bindung eingehen. Ich muß das Gefühl der Freiheit behalten. Darum möchte ich keine Kinder haben. Sie würden mich auch in meiner Karriere behindern. Und außerdem – ich erlebe täglich so viel Kinderelend. Ich möchte es nicht noch vermehren.«

»Unsere Kinder brauchten nicht zu leiden«, wandte er ein.

»Du kennst alle Fehler, die man machen kann und kannst sie in der Erziehung der eigenen Kinder leicht vermeiden. Sie fänden alle Geborgenheit bei uns, die sie brauchten, jedes Verständnis und natürlich auch die materiellen Mittel, die notwendig sind. Es wäre die letzte und glücklichste Erfüllung unserer Beziehung. Warum sträubst du dich?«

»Weil ich nicht will. Unsere Verbindung war auf absolute Freiwilligkeit gegründet. Schau, was soll eine Liebe, wenn sie den Menschen fesselt? Heute könnte ich gehen, wenn ich dich nicht mehr liebe. Wären erst Kinder da, wäre mir das unmöglich. Ich hätte ihnen gegenüber ja eine schwere Verantwortung. Sie würden mich an dich binden, auch wenn uns sonst nichts mehr verbindet.«

»Du glaubst also selbst nicht an die Dauerhaftigkeit unserer Beziehung?« fragte er traurig.

»Mach es nicht so dramatisch, Roland«, antwortete Gudrun. »Ich halte mich nur an unsere Abmachungen. Du bist es, der dauernd auf Änderung drängt. Was fehlt uns denn eigentlich? Wir leben zusammen, weil uns diese Gemeinschaft im Augenblick alles gibt, was wir in einer Zweierbeziehung suchen. Was morgen sein wird, das weiß ich nicht. Ich brauche aber das Gefühl, jederzeit frei sein zu können. Doch das beruht ja auf Gegenseitigkeit. Vielleicht bist du eines Tages recht froh über diese Regelung.«

»Ich wünsche mir Kinder, Gudrun.«

»Ich höre es. Von mir wirst du sie nicht haben.«

»Ich hoffe zuversichtlich, daß dies noch nicht dein letztes Wort ist.«

»Du solltest endlich aufhören, mir deine Vorstellungen aufzudrängen. Ich werde meine Meinung nicht ändern. Mach dir also keine Illusion für die Zukunft.«

Der Abend endete mit einem Mißklang. Roland und Gudrun hatten sich schon oft gestritten über die Frage einer möglichen Heirat. Immer wieder war es ihr gelungen, ihn von ihrer Auffassung zu überzeugen. Heute jedoch schienen beide unversöhnlich zu sein. So ernst war ihr Zerwürfnis noch nie gewesen.

*

Cornelia ahnte nichts von dem Aufruhr, in den sie ihren neuen Bekannten, Roland Hartwig, versetzt hatte. Wie sollte sie auch! Sie hatte ihre eigenen Sorgen.

Dazu gehörte, daß sie für Mutti und für sich das Abendessen zubereiten mußte. Vorher kamen natürlich die Einkäufe. Brot und Butter und Aufschnitt mußten besorgt werden. Heute gab es sogar Fruchtjoghurt als Nachtisch. Cornelia hatte ihn als Sonderangebot billig beim Kaufmann erstanden. Sie deckte sehr sorgfältig den Abendbrottisch in der Küche. Mutti sollte alles fertig vorfinden, wenn sie endlich heimkam. Mutti war oft so müde und manchmal sogar traurig. Cornelia hatte scharfe Augen und beobachtete genau, auch wenn die Mutter es vor ihr verbergen wollte. Die Kleine empfand eine große Liebe und Zärtlichkeit für ihre Mutti. Sie wollte sie froh und glücklich sehen, wußte aber nicht, wie sie das anstellen sollte. Cornelia seufzte. Das Leben konnte so schwierig sein, und die Erwachsenen verhielten sich oft so unverständlich.

Sie würde es nie begreifen, daß Vati und Mutti sich hatten scheiden lassen. Natürlich hatte Mutti ihr alles erklärt. Aber verstehen, richtig verstehen konnte sie es nicht. Vati hatte eine andere Frau gefunden, die er lieber hatte als Mutti, so war es ihr gesagt worden. Schon das erschien ihr unmöglich zu sein. Gab es eine liebere, schönere Frau als Mutti? Cornelia schüttelte bei diesem Gedanken ihren Kopf, daß die dunklen Locken flogen. Nein. Es war nicht zu glauben, sie würde es nicht fassen. Vati mußte mit Blindheit geschlagen sein. Und dann gab es auch noch sie, seine Cornelia. Konnte ein Vater vergessen, daß er ein Kind hatte? Konnte man das, Frau und Kind verlassen, um eine andere Frau zu nehmen?