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Eine Leiche in einem Strandkorb. Die morgendliche Idylle in Dangast ist dahin. Wer ist der Mann? War es ein natürlicher Tod? Die Kommissare Christin Kim und Jannek Koller ermitteln in der Drogenszene. Ein bisher unbekanntes Opioid wirft viele Fragen auf. Stehen zwei weitere Leichen mit dem ersten Fall in Verbindung? Handelt es sich vielleicht um ein Familiendrama? Viele Fragen, die im fünften Band der Reihe - Tatort Dangast - Tödliches Versprechen - auf spannende Weise beantwortet werden.
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Seitenzahl: 203
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Der entspannte Lauf eines Joggers in der frühmorgendlichen Idylle des Dangaster Strandes endete abrupt vor einem Standkorb, in dem eine männliche Leiche lag. Was zunächst nach einem natürlichen Tod aussah, entpuppte sich als Mord unter Einsatz einer überaus gefährlichen Droge. Nicht nur die Vareler Kommissare Christin Kim und Jannek Koller wurden in Alarmstimmung versetzt. In ganz Deutschland und weit über die Grenzen hinaus begann sofort eine akribische Suche nach der möglichen Herkunft des synthetischen Opioides. Der Kreis der Verdächtigen in der Drogenszene wurde immer enger gezogen. Auch einige Familienangehörige gerieten in den Fokus der Ermittlungen. Eine überaus aufwendige und risikoreiche Vorgehensweise eng synchronisierter Dezernate führte letztendlich über einen aufregenden Showdown zur Aufklärung.
Er liebte es, bereits kurz nach Sonnenaufgang in leichtem Trab auf dem Dangaster Deich in Richtung Petersgroden zu joggen. Gefühlt lief ihm die Sonne hinterher, die er trotz der morgendlichen Kühle sanft auf seinen Schultern spürte. Etliche Schafe waren schon dabei, ihr Frühstück zu genießen. Einige dösten noch vor sich hin und wurden von ihren Lämmern ungeduldig angestupst, sie sollten endlich aufstehen.
Kurz hinter dem imposanten Schöpfwerk Petershörn, das links von ihm lag, wechselte er auf die Straße in Richtung Cäciliengroden, bog jedoch dann nach einigen Kilometern wieder rechts ab, um auf den Deichweg zu gelangen, der ihn nach Dangast zurückführen sollte. Nachdem er den Ort durchquert und den Hauptstrand erreicht hatte, ließ er die Strandkörbe, die um diese Zeit noch verwaist waren, rechts liegen und wollte wieder auf den Deich zulaufen. Er hatte dort neben dem Eingang zum Campingplatz seinen Pkw geparkt. Schon in Gedanken an die warme Dusche und in Vorfreude auf das Frühstück, das nach einem so langen Lauf immer besonders gut schmeckte, erblickte er in einem der Strandkörbe einen Mann, der in einer recht auffälligen Haltung darin kauerte. Er stoppte seinen Lauf, sah genauer hin und fragte zunächst von weitem, »Guten Morgen! Ist bei Ihnen alles in Ordnung?« Da er keine Antwort bekam, ging er auf den Mann zu, der ihn mit offenen Augen anstarrte, sich dabei aber nicht rührte und schon gar nicht antwortete. Der Jogger beugte sich zu ihm herunter und ertaste den Hals des Mannes, um den Puls zu erfühlen. Obwohl der Mann vollständig mit Jeans, T-Shirt, Jacke und Sneakern bekleidet war, war er eiskalt und es war offenkundig, dass man ihm nicht mehr helfen konnte. Äußerlich waren jedoch keine Verletzungen zu erkennen und der Jogger war sich zunächst unsicher, ob er nun einen Rettungswagen oder die Polizei verständigen sollte.
Da er nie ein Handy zum Laufen mitnahm, eilte er zum Campingplatz, der nur wenige Meter entfernt war, und rief laut: »Kann bitte jemand sofort einen Rettungswagen und die Polizei rufen!«
Sicher ist sicher, dachte er.
TÖDLICHES VERSPRECHEN
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
Hauptkommissarin Christin Kim hatte gerade zusammen mit Edda, der Sekretärin des Vareler Kommissariats, einen Kaffee getrunken, als eine Schutzpolizistin in die Kaffeeküche geeilt kam und ihnen zurief: »Am Strand in Dangast ist ein Mann tot aufgefunden worden. Meisner schickt mich. Sie sollen übernehmen.«
Kim stöhnte: »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Ausgerechnet, wo ich gleich mit meiner Schwester zum Mittagessen verabredet bin.« Sie reichte Edda ihren halbvollen Becher, eilte mit gezücktem Handy aus dem Raum und sagte ihrer Schwester ab. Bevor diese Fragen stellen konnte, kam sie ihr zuvor, schob »Ich melde mich später noch mal«, hinterher. Dann legte sie auf. Dienst ist nun mal Dienst, ob es uns passt oder nicht.
Inzwischen stand sie schon mit einem Fuß im Zimmer ihres Kollegen Jannek Koller, rief ihm zu, was Sache war und fragte, ob er mitwolle. Koller, der immer dankbar war, wenn er den ungeliebten Büroarbeiten entkommen konnte, sah von seinem Rechner auf: »Na klar«, kam es kurz und knapp. Er schnappte zügig seine Jacke, die über seinem Bürostuhl hing, und gemeinsam eilten sie zu ihrem Dienstwagen, der auf dem rückwärtigen Parkplatz der Dienstelle auf seinen Einsatz wartete.
»Steht schon fest, wie der Mann ums Leben gekommen ist?«, wollte Koller wissen.
»Wohl eher nicht. Die Kollegen von der Bereitschaft haben uns angefordert. Sie haben einen Anruf von einem Camper erhalten. Mehr weiß ich zurzeit auch noch nicht.«
Als sie ankamen, schickte ein junger Polizist sie zu einem Jogger, der zitternd auf einer in der Nähe des Tatorts stehenden Bank saß. Er trug nur ein dünnes Sporttrikot ohne Ärmel und eine dazu passende kurze Laufhose. Ein Sanitäter brachte gerade eine goldfarbene Wärmedecke und legte sie ihm um die Schultern. Der dünne Kerl war vor lauter Schlottern kaum in der Lage, etwas zu sagen.
Kim setzte sich zur Befragung neben ihn, während Koller sich den Tatort näher ansehen wollte.
»Die Spusi ist auf dem Weg«, erklärte ein Schutzpolizist, der gerade dabei war, den Ort großflächig mit rotweißem Flatterband abzugrenzen.
»Wer hat euch gerufen?«, fragte Kim.
»Der da.« Der Polizist zeigte auf einen etwas abseits stehenden untersetzten Mann mit Halbglatze, der sich lautstark mit Schaulustigen unterhielt. »Der ist vom Campingplatz«, ergänzte der Polizist noch.
»Das heißt, der macht Urlaub hier oder der arbeitet auf dem Platz?«
»Soweit ich es mitbekommen habe, ist er wohl ein Urlauber aus Remscheid.«
Der Jogger schilderte, wie er den Mann gefunden hatte. Nachdem er versprach, am nächsten Tag aufs Revier zu kommen, um seine Aussage für das Protokoll zu wiederholen, entließ Kim ihn und er lief dankbar mit der in der Sonne glitzernden Wärmedecke davon.
Neben der Leiche kniete der Amtsarzt aus Varel, der Kim grüßend zunickte, und noch, bevor sie etwas fragen konnte, erklärte: »Ich hab’s Koller schon gesagt. Ich weiß nicht, ob der Mann eines natürlichen Todes gestorben ist. Er hat keine äußerlichen Verletzungen. Aber ich denke, es ist mindestens schon acht Stunden her, dass der Tod eingetreten ist. Die Rechtsmediziner sollten der Sache auf jeden Fall auf den Grund gehen. Er hat sich offensichtlich übergeben.« Er zeigte auf die Spuren am Mund des Toten, die eindeutig darauf hinwiesen.
»Schon klar«, antwortete Kim und nickte zustimmend. Gemeinsam mit Koller ging sie auf den Zeugen zu, der den Notruf gewählt hatte. Sie stellten sich vor, indem sie ihre Dienstmarke zeigten, und Kim bat den Mann, ein Stück mit ihnen zur Seite zu treten, damit sie ihn einigermaßen ungestört befragen konnten. Der Urlauber schilderte bereitwillig, dass er aufgrund des lauten Rufens des Joggers herbeigeeilt sei und auf dessen Bitte den Notruf gewählt habe. Er hätte noch geschlafen und von der ganzen Sache weiter nichts mitbekommen. Koller ließ sich den Personalausweis des Zeugen zeigen und bat ihn, morgen zum Kommissariat zu kommen, um seine Aussage dokumentieren zu lassen. Danach entließen sie auch ihn und kehrten zur Leiche zurück, um sich diese genauer anzusehen. Der Amtsarzt hatte sich schon verabschiedet, die Leute der Kriminaltechnik waren aber immer noch nicht vor Ort eingetroffen. Eigentlich müssten die doch schon längst hier sein, dachte Kim. Aber da sie es noch nicht waren, sah sie sich den Tatort jetzt zunächst selber akribisch an und bat Koller, ausreichend Fotos zu machen.
»Was meinst du?«, fragte Kim. »Sieht das nicht wie ein ganz normaler Herzinfarkt aus?«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Schau’ mal, was ich entdeckt habe.«
Er zeigte Kim eine Stelle neben dem Strandkorb, an dem der Tote sich offensichtlich übergeben hatte. »Er hat auch noch eindeutige Spuren an Mund«, erklärte er weiter.
»Hm, ja. Hatte der Arzt auch schon erwähnt.«
Sie bemerkten, dass der Leiter des Kriminaltechnischen Instituts Frieder Soltau mit seiner Gruppe im Anmarsch war. Die Techniker trugen schon ihre weißen Schutzanzüge und von weiten sah es aus, als seien sie gerade von einem anderen Planeten auf die Erde gefallen. Soltau entschuldigte sich für die Verspätung. Sie hätten noch einen Einsatz in Oldenburg gehabt und es daher nicht eher schaffen können. Kim zeigte ihm die Stelle, an der sich der Tote möglicherweise übergeben hatte.
»Okay, danke. Wir werden alles gründlich untersuchen«, versprach er. »Aber musstet ihr unbedingt hier so viel herumtrampeln?« Er blickte sie mürrisch an.
»Na ja, bei der Menge Spuren hier im Sand ist es doch wohl schwerlich möglich, verwertbare Fußspuren zu sichern. Hier sind ja vor uns schon wer weiß wie viele Leute herumgelaufen«, wagte Koller einen Einwand.
Soltau schwieg dazu und die beiden Kommissare trollten sich.
Koller hatte den Personalausweis des Toten in dessen Brieftasche gefunden, die in der Innentasche seiner Jacke gesteckt hatte. Mehrere Geldscheine befanden sich ebenfalls darin. Ein Raubmord war also auf jeden Fall schon mal auszuschließen. Bei der Leiche handelte sich recht sicher um Karl Sebold, wohnhaft in Oldenburg. Koller bat Milla, die IT-Expertin des Vareler Reviers, um eine gründliche Recherche und sie erklärte nur wenige Stunden später, dass die ehemalige Ehefrau des Toten, Irma Sebold, schon seit einigen Jahren von ihrem Mann geschieden war und in Wilhelmshaven lebte. Eine neue Beziehung des Opfers war zur Stunde nicht bekannt. Die Wilhelmshavener Kollegen übernahmen es daher, der Ex-Ehefrau die Nachricht zu überbringen. Sie war jedoch nicht zu Hause. Ihre Tochter Leila Sebold, die, wie Milla herausgefunden hatte, in Osnabrück lebte, erklärte, ihre Mutter sei für ein paar Tage nach Bremen zu ihrer Schwester gereist. Sie würde aber die Nachricht sofort telefonisch übermitteln.
Weil die Polizisten sich aber darauf nicht verlassen wollten, händigte die Tochter ihnen die Adresse der Schwester aus und die Bremer Beamten übernahmen den sensiblen Auftrag. Die ehemalige Ehefrau des Toten erklärte sich während des Besuchs der Beamten schließlich bereit, am übernächsten Tag nach Oldenburg in die Forensische Pathologie zu fahren, um ihren Expartner zu identifizieren.
Holger Meisner, der Leiter des Vareler Kommissariats, hatte nicht gezögert, das bewährte Ermittlungsteam um die Hauptkommissare Christin Kim und Jannek Koller zur Untersuchung des Falles heranzuziehen. Er war sich sicher, die vorgesetzte Dienststelle in Wilhelmshaven wäre damit einverstanden. In den letzten Jahren hatte die Gruppe, zu der auch der Oberkommissar Andreas Bremer und Kommissar Felix Henrich gehörten, überaus brenzlige und komplexe Fälle erfolgreich gemeistert und er war sehr zuversichtlich, dass es ihnen auch dieses Mal wieder gelingen würde.
Die Vierergruppe hatte sich jetzt im Konferenzraum zusammengefunden, um anhand der von Koller gefertigten Fotos der Leiche und den bisher gesammelten Informationen die weitere Vorgehensweise zu entwickeln.
Wie versprochen fuhr die geschiedene Ehefrau des Toten mitsamt ihrer Tochter am übernächsten Tag in die Rechtsmedizinische Abteilung Oldenburg, wo Kim und Koller bereits auf sie warteten. Die Obduktion hatte zwar schon stattgefunden, Dr. Martha Hillmann, die Leiterin der Oldenburger Außenstelle des Kriminaltechnischen Instituts Hannover, hatte den Beamten jedoch zuvor erklärt, die Untersuchungen wären noch nicht abgeschlossen und sie wolle sich aktuell noch nicht endgültig äußern. Ein natürlicher Tod sei aber mit Sicherheit auszuschließen.
»Verstehst du das?«, hatte Koller Kim gefragt. »Sie hat so geheimnisvoll getan.«
»Warten wir’s einfach mal ab«, murmelte Kim, die offensichtlich auch etwas stutzig geworden war.
Inzwischen waren die beiden Frauen eingetroffen und den Kriminalbeamten fiel sofort auf, dass weder die Ex-Ehefrau noch die Tochter besonders betroffen über den Tod ihres Angehörigen zu sein schienen. Distanziert gaben die beiden ihnen die Hand und folgten ihnen schweigend in den Sezierraum, in dem Dr. Hillmann bereits neben der aufgebahrten Leiche stand und sie alle erwartete.
Vor allem Irma Sebold wirkte wie versteinert, als sie mit maskenhafter Miene und starrem Blick auf die Leiche schaute und mit zusammengekniffenen Lippen murmelte: »Das ist definitiv Karl Sebold.« Sie drehte sich sofort um und wollte hastig den Raum verlassen, wartete aber dann doch an der Tür auf die Tochter, die ein leichtes Zittern nicht verhindern konnte, als sie ebenfalls ihren Vater identifizierte. Auch sie berührte ihn nicht und bat auch nicht wie bei Angehörigen oft üblich darum, einen Augenblick mit dem Toten allein bleiben zu dürfen, um sich zu verabschieden. Dr. Hillmann bedeckte den aufgebahrten Körper nun wieder mit dem Leichentuch und die Angehörigen durften gehen. Auch die Gerichtsmedizinerin schien über die überaus sachliche Szene etwas irritiert zu sein, denn sie blickte von Kim zu Koller und meinte: »So viel Teilnahmslosigkeit habe ich ja bisher wirklich nur sehr selten erlebt.«
»Wer weiß, warum die Eheleute geschieden wurden«, äußerte sich Kim nachdenklich. Koller warf ihr einen Blick zu und nickte. Sie verabschiedeten sich dankend von Dr. Hillmann, und weil es mittlerweile schon Mittagszeit war, kehrten sie in ein Oldenburger Lokal ein, um eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Nachdem sie die Speisekarte studiert und bestellt hatten, spürte Koller Kims prüfenden Blick.
»Ich denke, da sollten wir ansetzen. Was meinst du?«
Koller wusste sofort, worauf sie hinauswollte. »Kann man einen Menschen so hassen, dass dessen Tod einen so ganz und gar kalt lässt?«, überlegte er laut.
»Das glaube ich ganz bestimmt«, argumentierte Kim. »Meine Schwester und ich haben unseren Vater auch nicht wirklich geliebt. Er war jähzornig und er hat uns nicht selten eine rübergezogen. Das prägt.«
»Rübergezogen? Du meinst allen Ernstes, er hat euch geschlagen?«
»Das kam schon vor. Schlimmer fand ich, dass unsere Mutter meinem Vater täglich nach der Arbeit berichten musste, wie wir uns den Tag über verhalten hatten. Wenn wir ihrer Meinung nach ungezogen waren, bedeutete das immer, dass unser Vater uns bestraft hat, nie sie selbst. Manchmal wurden wir mit Schlägen gezüchtigt, mal gab es Hausarrest oder wir mussten irgendwelche ungeliebten Arbeiten im Haus oder Garten verrichten. Nun, irgendwas davon jedenfalls.«
»Und du hast ihn dafür so gehasst, dass du ihm den Tod gewünscht hast?«
»Nein! So weit würde ich niemals gehen. Aber du weißt doch auch aus Erfahrung, dass es Väter gibt, die noch viel Schlimmeres mit ihren Kindern anstellen.«
Koller hatte ihr aufmerksam zugehört. Er glaubte nun endlich zu wissen, warum Kim oft so hart und manchmal geradezu herzlos wirkte. Ihre Entscheidungen waren immer äußerst rational und präzise und die Ansagen kamen meistens kurz und beinahe kalt rüber. Anfangs hatte er sie deshalb nicht ausstehen können und für arrogant gehalten. Inzwischen kannte er ihre Qualitäten und sie gingen beinahe freundschaftlich miteinander um.
»Wir werden die beiden Ladies mal ganz gehörig unter die Lupe nehmen und sicherlich herausfinden, was da nicht stimmt«, insistierte Kim laut. Koller spürte, dass sie jetzt ganz in ihren eigenen Gedanken versunken war und bereits die weitere Vorgehensweise plante.
»Oder was bisher nicht gestimmt hat«, ergänzte er. Sie sah auf und erklärte mit klarer Stimme: »Du sagst es.«
Leila war nach dem schweren Gang in die Rechtsmedizinische Abteilung bei ihrer Mutter geblieben, um über die Modalitäten der Beerdigung zu sprechen. Außer ihnen beiden würde sich niemand darum kümmern, auch wenn sie sich innerlich noch so sehr dagegen wehrten. Leila hätte am liebsten sofort wieder das Weite gesucht, aber als Tochter würde sie die Beerdigung auf jeden Fall organisieren und bezahlen müssen. Von einer geschiedenen Frau würde man das sicher nicht verlangen können. Seit sie von den Übergriffen ihres Vaters auf ihre Mutter wusste, hatte sich ihre kleine Welt damals grundlegend verändert. Leila war jedem Mann gegenüber misstrauisch und jede Beziehung war bisher daran gescheitert. Ihre beste Freundin Valerie hatte ihr daher so lange zugeredet, bis sie sich endlich Hilfe bei einem Psychologen geholt hatte. Aber sie bekam ihre Ängste einfach nicht in den Griff. Auch darüber wollte sie mit ihrer Mutter reden. Vielleicht hatte diese ja einen Rat. Ihre Mutter war so stark, dass sie sich bis heute nie etwas von ihren Ängsten und Erlebnissen hatte anmerken lassen. Aber Leila wusste genau, ihre Mutter litt auch darunter. Sie hatte sich nur äußerlich besser unter Kontrolle.
Wie erwartet lehnte ihre Mutter spontan und nachdrücklich ab, sich um die Beisetzung zu kümmern.
»Aber Mama, er ist nun mal mein Vater. Lass mich bitte nicht im Stich.«
»Aber du hattest doch auch gar keinen Kontakt mehr zu ihm. Oder hast du mir da etwas verheimlicht?«
»Nein, natürlich nicht. Aber es gibt doch niemanden, der uns diese Bürde abnehmen könnte, oder? Die Kosten bleiben doch ohnehin bei mir hängen.«
»Das wird wohl so sein«, sinnierte Irma laut. »Okay, ich werde mich nach einem Beerdigungsinstitut umsehen, das uns möglichst viel Arbeit abnimmt.«
Leila hatte sie beobachtet. »Lässt dich der Tod von Vater gänzlich kalt?«, fragte sie leise.
»Allerdings! So kann man es ausdrücken. Und wie sieht es bei dir aus?«, antwortete sie etwas spitz.
»Weiß nicht. Im Moment spüre ich eher Erleichterung als Trauer.«
»Na also.«
Leila sah ihrer Mutter tief in die Augen. »Wie hast du es geschafft, dich emotional so abzuschotten? Ich möchte das wirklich auch gerne schaffen.«
»Du hast einen anderen Charakter als ich, mein Schatz. Du musst das lernen. Bist du noch bei Dr. Tillner in Behandlung?«
»Ja, aber so richtig helfen kann der mir bisher auch nicht.«
Irma seufzte. Sie nahm ihre Tochter in den Arm und streichelte ihren Rücken. »Wir werden das schon schaffen«, raunte sie ihr ins Ohr. »Wir haben uns doch lieb.«
Am nächsten Morgen bat Kim Milla zu berichten, was sie inzwischen alles recherchiert und zusammengetragen hatte. Milla hatte das Internet durchforstet und etliche Telefonate geführt. Sie hatte tatsächlich nichts Auffälliges an der Familiensituation der Sebolds entdecken können. Im Gegenteil. Karl Sebold war ein renommierter Chirurg in Oldenburg gewesen, spielte Golf in Rastede, hatte Kollegen, die ihn offensichtlich respektierten, was die Telefonate auch klar bestätigten. Einige schienen ihn sogar regelrecht zu bewundern. Inzwischen lag auch das Ergebnis der Obduktion der Leiche vor. Wie Milla erfahren hatte, hatten die Rechtsmediziner es zunächst selbst nicht glauben wollen, dass die Todesdroge Carfentanyl es tatsächlich bis nach Dangast geschafft hatte. Sie waren entsetzt und hatten aus Mangel an Erfahrung mit dieser Droge mit ihrer Leitstelle in Hannover abgesprochen, wie damit jetzt umzugehen war. Sie wussten zwar grundsätzlich, dass Fentanyl schon seit einiger Zeit durchs Oldenburger Land und ganz Niedersachsen kursierte, aber Carfentanyl war ihnen bisher noch nicht untergekommen.
Nach dieser überaus überraschenden wie erschreckenden Erkenntnis hatte Milla im Internet die neuesten Informationen über diese Droge abgerufen. Als sie ihren Bericht darüber präsentierte, hingen die Kollegen gespannt an ihren Lippen, weil sie sich die Ausmaße des Gebrauchs dieses synthetischen Opioides nicht vorstellen konnten und wollten.
»Ich habe mich inzwischen in Wilhelmshaven bei den Kollegen umgehört und erfahren, dass auch dort bereits ein Junkie nach der Einlieferung in ein Krankenhaus an Carfentanyl verstorben ist. Wir sollten in diesen Fällen so eng synchronisiert wie möglich zusammenarbeiten. Ich habe mir alle nötigen Informationen über das Wilhelmshavener Opfer notiert«, erklärte sie in die Runde.
»Das ist ja schon mal ein Anfang. Danke Milla,« Kim nickte ihr anerkennend zu. Sie bat die Kollegen Andreas Bremer und Felix Henrich, die Befragung der Angehörigen des Opfers aus Wilhelmshaven zu übernehmen.
»Koller und ich nehmen uns die beiden Frauen Sebold vor«, ergänzte sie.
»Denkst du daran, dass die Tochter in Osnabrück lebt?«, gab Koller zu bedenken. »Könnten wir das nicht im Rahmen der Amtshilfe den Kollegen dort überlassen?«
»Du weißt doch, was ich davon halte. Ich muss mir möglichst immer selbst ein Bild machen. Außerdem ist Osnabrück ja nicht aus der Welt. Auch halte ich es für gut, wenn wir uns beide zusammen die Damen anhören. Du hörst immer andere Nuancen heraus als ich. Das sollten wir wirklich auch hier nutzen.«
»Okay, einverstanden. Dann auf in den Kampf.«
Als die beiden eine gute Stunde später in Wilhelmshaven ankamen, waren sie erfreut, dass Leila Sebold ihnen die Tür öffnete. Sie schien etwas irritiert zu sein, sie zu sehen, machte aber dennoch einen entgegenkommenden Eindruck, während sie nach ihrer Mutter rief. Diese war offensichtlich überhaupt nicht erfreut, die Kommissare zu sehen, bat sie aber dennoch nach kurzem Zögern ins Wohnzimmer, wo sie sich alle gemeinsam um einen Esstisch gruppierten. Hier stand alles genau an seinem Platz. Eher spärlich eingerichtet, strahlte das Zimmer eine ähnliche Distanz aus wie die Wohnungsinhaberin selbst.
»Kann ich Ihnen vielleicht etwas anbieten«, fragte Leila freundlich.
Kim wollte schon verneinen, als ihr in den Sinn kam, dass es wohl zielgerichteter sei, beide Damen getrennt zu befragen. »Ein Kaffee wäre sehr freundlich«, antwortete sie zugewandt.
Während die Tochter in der Küche hantierte, nutzte Kim die Gelegenheit.
»Frau Sebold, wie lange sind Sie schon von ihrem Mann geschieden?«
»Seit ungefähr sechs Jahren.«
»Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, aber wollen Sie mir vielleicht verraten, warum Sie sich haben scheiden lassen?«
Irma Sebold stand abrupt auf und lief zum Fenster. In erstarrter Haltung blickte sie durch die schlichte weiße Gardine auf die Straße.
»Ich weiß nun wirklich nicht, was Sie das angeht«, antwortete sie hart, dabei Kim den Rücken weisend.
»Okay, verzeihen Sie. Aber Sie werden verstehen, dass wir uns über das Motiv an den Mörder ihres Mannes herantasten müssen.«
»Mörder?«, fragte die Zeugin schrill. »Was meinen Sie mit Mörder?« Sie hatte sich jetzt abrupt umgedreht und sah Kim erschrocken an.
Kim schalt sich innerlich eine Idiotin, konnte jetzt die Situation aber nicht mehr rückgängig machen. So ein Fauxpas hätte ihr niemals passieren dürfen. Das war ihr mehr als bewusst.
Koller hatte ihr einen erschrockenen Blick zugeworfen, sagte aber nichts. Es sah fast so aus, als würde er die Luft anhalten, um sie nicht zu kompromittieren.
»Tut mir wirklich sehr leid, Frau Sebold«, sagte sie jetzt so milde wie möglich. »Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann keines natürlichen Todes gestorben ist.«
»Ex-Mann!«, schallte es kalt zurück. Sie kehrte an den Tisch zurück und setzte sich wieder hin. Ihr Blick war jetzt starr auf die Tischdecke gerichtet.
Ihre Tochter kam hinzu und wollte den Tisch decken. Kim bat sie, noch einen Moment in der Küche zu warten. Sie würde sie in Kürze hinzubitten.
Etwas irritiert verließ Leila ohne weiteren Kommentar das Zimmer.
»Frau Sebold, wenn Sie nichts über Ihre Beziehung sagen wollen, akzeptiere ich das. Aber nur für den Moment. Ich muss Sie trotzdem fragen, wann Sie Ihren Ex-Mann das letzte Mal lebend gesehen haben und wo Sie sich am Vorabend und am Morgen des Tages befunden haben, als er im Standkorb entdeckt wurde.«
»Ich war in Bremen, das wissen Sie doch.« Ihre Stimme war jetzt so leise, dass Kim sie kaum verstehen konnte. Ein absoluter Sinneswandel schien sich in der Zeugin vollzogen zu haben.
»Ich habe ihn schon seit ungefähr einem Jahr gar nicht mehr getroffen«, erklärte sie jetzt in einigermaßen moderater Lautstärke. Sie sah von Kim zu Koller, wirkte jetzt erschöpft. »Mir wäre es lieber, Sie würden sofort gehen.«
Das war wie ein glatter Rausschmiss und Kim wusste, es hätte keinen Sinn mehr, hier jetzt weiter zu insistieren. Sie ging in die Küche und erklärte Leila, dass ihre Mutter sie gebeten habe zu gehen, und dass sie dem Wunsch jetzt Folge leisten würden. »Können Sie bitte morgen nach Varel aufs Kommissariat kommen? Wir haben auch noch einige Fragen an Sie.«
»Aber der Kaffee?«, stammelte Leila irritiert.
»Tut mir leid«, sagte Kim, ging zu Koller, der bereits auf dem Flur stand, und gemeinsam verließen sie die Wohnung.
Erst als sie im Auto saßen, fand Kim ihre Sprache wieder. Sie trommelte mit den Fäusten auf Lenkrad und schnauzte: »Wie konnte mir das nur passieren!«
Als Koller hörbar Luft zum Antworten holte, sah sie ihn warnend an. »Wäre wirklich besser, wenn du jetzt gar nichts sagst.«
Koller wollte gerade beschwichtigend eine Hand auf ihren Arm legen, aber hielt sofort inne, als er ihren erneuten Blick sah. Sie fuhren los.
Während Kim und Koller die Befragung bei der Familie Sebold vorgenommen hatten, waren die Kommissare Felix Henrich, im Team nur Felix genannt, und Andreas Bremer, den alle nur Bremer riefen, nahezu zeitgleich nach Wilhelmshaven gefahren.
Jetzt ging es darum, die Familie des dortigen Drogentoten Reuben Molefe aufzusuchen und zu befragen. Möglicherweise würden sich ja Parallelen zum Dangaster Mordfall ergeben, die ihnen insgesamt weiterhelfen würden. Milla hatte recherchiert, dass die dortige Familie aus Botswana stammte, und als sie an der Wohnungstür klingelten, erwarteten sie eigentlich eine dunkelhäutige Familie. Erstaunt waren sie dann, dass ihnen eine junge rothaarige Frau öffnete und ihnen erklärte, sie sei erst vor zwei Wochen eingezogen.
Nachdem die Beamten sich vorgestellt hatten, nannte auch sie ihren Namen und Felix fragte: