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Renate Stöckel hatte ihren Ferienaufenthalt in Dangast lange geplant. Seit Jahren war sie Stammgast in dem kleinen Badeort am Jadebusen. Das neue Bauprojekt des «Nordseeparks» hatte sie zunächst abgeschreckt, aber sie wollte sich nicht von den Negativbeurteilungen beeinflussen lassen und sich selbst ein Bild machen. Zum Wochenende war ein Familientreffen geplant und Renate freute sich, ihre Kinder und Enkel wiederzusehen. Leider schaffte sie es nur bis vor ihre Wohnungstür. Danach war sie spurlos verschwunden.
Fast zeitgleich geschieht ein brutaler Mord in Varel. Die taffe Kommissarin Kim und ihr mürrischer Kollege Koller tappen lange im Dunkeln.
Hängt vielleicht alles mit allem zusammen?
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Tatort Dangast
Im Schatten des Todes
Gitte Jurssen
Über dieses Buch:
Renate Stöckel hatte ihren Ferienaufenthalt in Dangast lange geplant. Seit Jahren war sie Stammgast in dem kleinen Badeort am Jadebusen. Das neue Bauprojekt des «Nordseeparks» hatte sie zunächst abgeschreckt, aber sie wollte sich nicht von den Negativbeurteilungen beeinflussen lassen und sich selbst ein Bild machen. Zum Wochenende war ein Familientreffen geplant und Renate freute sich, ihre Kinder und Enkel wiederzusehen. Leider schaffte sie es nur bis vor ihre Wohnungstür. Danach war sie spurlos verschwunden.
Fast zeitgleich geschieht ein brutaler Mord in Varel. Die taffe Kommissarin Kim und ihr mürrischer Kollege Koller tappen lange im Dunkeln.
Hängt vielleicht alles mit allem zusammen?
Copyright: © Gitte Jurssen 2021 – publiziert von telegonos-publishing
www.telegonos.de
(Haftungsausschluss und Verlagsadresse auf der website)
Covergestaltung: Kutscherdesign
ISBN der Printversion: 978-3-946762-56-0
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d-nb.de abrufbar
Der Schatten
Mittwoch, 03.07.2019
«Verflucht! Der Schlüssel passt nicht!» Renate stand vor der Eingangstür ihrer Ferienwohnung im ersten Stock der Ferienwohnanlage ‚Nordsee Park Dangast‘ und konnte es nicht fassen. Verunsichert schaute sie auf ihre Vermietungsunterlagen, die sie aus der Handtasche gezerrt hatte. Hatte man ihr eine falsche Wohnungsnummer genannt? Von der Rezeption der Ferienhausverwaltung bis zu ihrer Wohnung waren es etliche Schritte. Der Park war viel größer, als sie erwartet hatte. Sie stöhnte vor sich hin und versuchte noch einmal, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Nach ihrem schrecklichen Erlebnis in Varel war sie fluchtartig nach Dangast gefahren. Draußen herrschte immer noch eine unglaubliche Hitze, obwohl es schon beinahe Abend war. Wahrscheinlich hatten die Damen im Büro der Verwaltung schon längst Feierabend. Den Schlüssel hatte sie geholt, bevor sie sich auf den Weg nach Varel gemacht hatte.
Im Apartment-Haus war ihr die angenehme Kühle aufgefallen, die ihr entgegenkam. Sie atmete tief durch und dachte, sie sei in Sicherheit. Den Schatten, der sie verfolgt hatte, bemerkte sie nicht. Er befand sich jetzt direkt hinter ihr. Aber sie war viel zu verärgert über das Schlüsselproblem, als dass sie das Geschehen um sich herum wirklich wahrnahm. Missmutig entschloss sie sich endlich, noch einmal zur Verwaltung zu gehen. Was blieb ihr anderes übrig? Schlimmstenfalls müsste sie sich an die angegebene Notfallnummer wenden, die sie neben der Eingangstür entdeckt hatte.
Sie seufzte und steckte ihre Unterlagen wieder ein. Als sie sich zum Gehen umdrehen wollte, nahm sie einen heißen Atem im Nacken wahr. Noch bevor sie es schaffte, sich die Gestalt anzusehen, die hinter ihr stand, folgte ein Schlag auf den Kopf. Sie sackte zusammen. Stille!
Donnerstag, 04.07.2019
Fenna war verärgert. Wie so oft konnte man sich nicht auf ihre Mutter verlassen. Dabei hatte sie sich den Nachmittag extra freigenommen, um Renate in der neuen Ferienwohnung zu begrüßen. Sie arbeitete in Oldenburg in einer Werbeagentur und es herrschte Hochkonjunktur. Ein großes Projekt war hereingeschneit und ihr Chef war kurz davor, durchzudrehen. Er hatte ihr und den Kollegen den Urlaub verweigert. Sie wollte sich eigentlich die ganze kommende Woche um ihre Mutter kümmern, aber jetzt würde sie nur das Wochenende mit ihr und der restlichen Familie in Dangast verbringen. Ihre Geschwister hatten Zimmer im Strandhotel gemietet, weil die Ferienwohnung für alle zu klein war. Renate hatte zu Fenna gesagt, sie wolle einiges mit ihnen besprechen und ganz geheimnisvoll getan.
Renate, die Hotels nicht mochte, hatte darauf bestanden, für sich allein eine Ferienwohnung zu mieten. Noch nicht einmal Fenna wollte sie über Nacht bei sich haben. Aber da diese in Varel wohnte, war es ihr sogar lieber so. Sie konnte von zu Hause aus hinfahren, wenn es ihr passte.
Fenna stöhnte: «Typisch Renate. Zuverlässigkeit ist überhaupt nicht dein Ding.»
Morgen würden sie eintrudeln, die lieben Verwandten. Aber wo war Renate jetzt? Verärgert stapfte Fenna auf dem Flur des Apartmenthauses hin und her und grübelte, was sie machen könnte. Wenigstens ist es angenehm kühl hier, dachte sie.
Seit Kindertagen nannte Fenna ihre Mutter Renate. Sie war 1978 geboren und die Zeit war alles andere als konventionell gewesen. Kinder durften größtenteils machen, was sie wollten und es war geradezu verpönt, Mama oder Papa zu sagen. Aber heute war es anders. Als ob die Zeit sich zurückentwickelt hätte. Die Kids wurden wieder in feste Regeln gedrängt und die Jungenfrisuren sahen aus wie die der Hitlerjugend im Zweiten Weltkrieg.
Missmutig verließ Fenna das Haus und schlenderte über das Gelände der Ferienwohnanlage. Sollte sie warten oder gehen? Als sie an dem Verwaltungsbüro vorbeikam, ging sie entschlossen hinein und fragte, ob eine Frau Stöckel ihre Wohnung schon bezogen hätte. Sie erfuhr, dass ihre Mutter die Schlüssel wie geplant am Vortag erhalten hätte.
Ein ungutes Gefühl beschlich Fenna. Was hatte das zu bedeuten? Schnell schlug das Gefühl in Wut um. Man kann sich eben nicht auf sie verlassen. Warum wundere ich mich überhaupt?
Sie wurde langsam ungeduldig. Auf dem Parkplatz der Wohnanlage entdeckte sie Renates Auto. Auf dem Rücksitz lagen etliche Jacken. Sogar Gummistiefel hatte sie mitgebracht. Wozu auch immer. Renate hatte also noch nicht ausgepackt. Sie war aber doch schon gestern angekommen. Wollte sie die Jacken absichtlich im Auto lassen? Fenna wusste es nicht. Zum gefühlt hundertsten Mal versuchte sie, ihre Mutter auf dem Handy zu erreichen. Außer der Mailbox kam keine Reaktion. Auch die WhatsApp-Nachrichten wurden nicht beantwortet. Seit gestern Abend versuchte sie schon, ihre Mutter auf dem Smartphone zu erreichen.
Was, um Himmelswillen, sollte sie jetzt tun? Frustriert schlenderte sie in den Ort, um einen Kaffee zu trinken. Vielleicht würde Renate ja irgendwo auftauchen.
Donnerstag, 04.07.2019
Jannek Koller brummte der Schädel. Der Ärger über seine Abordnung nach Varel war präsent wie immer. Gestern Abend war die Whiskyflasche seine engste Vertraute gewesen. Erst um vier Uhr nachts war er in einen unruhigen Schlaf gefallen und hatte von seiner neuen Dienststelle geträumt. Ein Alptraum. Zwischenzeitlich war er in Wilhelmshaven eingesetzt gewesen, aber wie das Schicksal es wollte, war der Ermittlungsführer eines Dezernats in Varel vor kurzem gestorben und er wurde kurzerhand in dieses Kaff geschickt. Nicht etwa als Abteilungsleiter, weit gefehlt. Man hatte ihm gesagt, der neue Dezernatsvorgesetzte heiße Kim. Komisch, dass man ihm nur den Vornamen genannt hatte. Aber er war viel zu phlegmatisch, um nach dem Grund oder dem Nachnamen zu fragen. Ist doch alles scheißegal. Ich muss sehen, dass ich da wieder wegkomme.
Bisher galt er als einer der besten Ermittler im ganzen Oldenburger Land. Aber er hatte die Finger nicht von der Kleinen lassen können. Thea war halt eine scharfe Nummer. Sie hatte ihm imponiert. Wie sie mit den Hunden umging, war grandios. Sie war die Leiterin der Hundestaffel in Oldenburg, zu der auch sein Schäferhund Kobold gehörte. Sein bester Kumpel.
Für ihn würde er alles tun. Und Thea hatte Kobold fest im Griff. Das hatte außer ihm noch niemand geschafft, bis Thea kam. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie Kobold zu einem Polizeihund erster Klasse gemacht. Das war vor zwei Jahren gewesen und während der Zeit der Ausbildung war er ständig Gast in der Hundestaffel gewesen. Und das nicht nur wegen Kobold. Thea hatte ihm zwar die Zähne gezeigt, dennoch fand er sie einfach nur großartig. Über ein Jahr lang hatte sie ihn zappeln lassen. Dann war es zu einer Beziehung geworden, die lediglich auf Sex beruhte. Das lag nicht an ihm. Das waren Theas Vorgaben. Nur Sex und sonst gar nichts. Er hatte sich daran gehalten, aber Thea wollte plötzlich nichts mehr von ihm wissen. Als er ihr deswegen an Kobolds Prüfungstermin eine Szene gemacht hatte, war es zu einer hässlichen Auseinandersetzung gekommen und alle Anwesenden hatten es mitgekriegt. Ein paar Tage später wurde er nach Wilhelmshaven beordert. Er konnte es immer noch nicht fassen. Aber dann kam es noch schlimmer. Er musste nach Varel und heute war es so weit.
Der Leiter des 1. Fachkommissariats, Holger Meisner, der die verschiedenen Gruppen des Vareler Kommissariats koordinierte und das letzte Wort hatte, begrüßte ihn nur knapp. Er hätte einen Termin, sagte er, aber Koller solle sich am besten sofort zu einem Tatort begeben. Man hätte am Morgen einen Toten in einem Frisörsalon aufgefunden und Kim könnte bestimmt Hilfe gebrauchen. «Ein Mord passiert schließlich nicht alle Tage in Varel», hatte er noch gesagt und ihn an die Sekretärin Edda verwiesen, die ihm die Adresse des Frisörsalons geben sollte.
Das fängt ja gut an, dachte Koller, und machte sich auf den Weg.
Als er ankam, waren einige Beamte damit beschäftigt, den Tatort zu sichern. Die Flatterbänder vor dem Eingang konnte er aber, ohne dass sich jemand um ihn kümmerte, unterlaufen. Er war wütend über diese Schlamperei. Als er dann sah, wie eine Frau sich ungeniert und ungehindert über eine Leiche auf dem Fußboden gebeugt hatte, fing sein Herz laut an zu schlagen. Was hatte die da zu suchen? Und wo war dieser Kim?
«Entschuldigung! Was machen Sie da? Wo ist denn der Ermittlungsleiter?», fragte er aufgebracht.
Die Frau drehte sich überrascht um und sah in seine metallisch wirkenden blaugrauen Augen, die schon so manche Frau beeindruckt hatten. Sie stutzte, bevor sie in einer sehr jovialen Art, die vor nichts zurückzuschrecken schien, antwortete: «Das bin ich.»
Koller war so überrascht, dass er stammelte: «Sorry! Ich hatte mit einem Mann gerechnet.»
Ungläubig starrte er sie einen Moment an. Dünn wie ein Hering war sie, straßenköterblond, trug verwaschene Jeans und ein weites T-Shirt. Keine weiteren besonderen Merkmale, sozusagen unscheinbar. Aber es war ihm nicht entgangen, dass sie einen Moment zu lange in seine Augen gestarrt hatte. Bevor er sich darüber freuen konnte, dachte er: Sie ist meine neue Vorgesetzte. Ich muss aufpassen, was ich sage.
Er ärgerte sich über seinen Ausspruch und wurde rot. Er nahm wahr, dass sie sich ein Grinsen verkniff, als sie antwortete: «Das haben schon viele gedacht. Ich hoffe, Sie haben kein Problem damit.»
Prompt wendete die Frau sich wieder der Leiche zu und setzte ihre Beobachtungen fort, als wäre er gar nicht mehr da.
«Ich warte auf die Oldenburger Leute des KTI (Kriminaltechnisches Institut)», sagte sie schließlich, weil er nicht von ihrer Seite wich. «Sie müssen jeden Moment kommen. Die Frisörin Maja Söder, die den Toten gefunden hat, hab ich nach Hause geschickt, nachdem ich sie kurz angehört habe. Die anderen Angestellten sind von den Kollegen, die den Tatort abgesichert haben, nach Hause geschickt worden. Ich werde sie später befragen.»
Eine riesige Blutlache hatte sich unter der Leiche gebildet. Der Mann lag vor einem Frisierstuhl und eine eher kleine Wunde klaffte an seinem Hals. Genau in der vorderen Mitte, so dass mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Kehlkopf etwas abbekommen hatte. Aber sprechen würde er sowieso nie mehr können. Er hatte seinen letzten Atemzug getan.