Tatort Oberbayern - Caroline Sendele - E-Book

Tatort Oberbayern E-Book

Caroline Sendele

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Beschreibung

Drei Oberbayern Krimis in einem Band. »Hannas Leichen« von Alex Buchenberger: Der Softwareunternehmer Lothar Brinkmann wird zusammen mit seiner Freundin tot im Pool seiner luxuriösen Villa nahe Burghausen aufgefunden. Um zu klären, womit man es hier zu tun hat, wird Hauptkommissarin Hanna Schmiedinger von der Traunsteiner Mordkommission in aller Frühe zum Tatort beordert. Gemeinsam mit dem Computerspezialisten Rainer Talgruber beginnt die eigenwillige Kommissarin zu ermitteln, doch der Fall entpuppt sich als weitaus komplizierter, als sie zunächst angenommen hat. »Chiemsee-Komplott« von Caroline Sendele: Am Tag, als Fernsehmoderator Robert Adelhofer in München seine Biografie vorstellt, wird in der elterlichen Scheune in Breitbrunn am Chiemsee sein Bruder tot aufgefunden. Zufall? Star-Reporterin Katharina Langenfels recherchiert - auch in Adelhofers Vergangenheit. Vor Jahren hatte er einen Winter in den Bergen allein und ohne Hilfsmittel überlebt und war dadurch berühmt geworden. Eine Challenge, die er sich selbst gestellt und die sein Bruder Lukas kräftig vermarktet hatte … »Tegernsee-Connection« von Jürgen Ahrens: Spezlwirtschaft, Intrigen und Verbrechen bis zum Mord: Hinter der Fassade der feinen Gesellschaft am Tegernsee verbergen sich bisweilen finsterste menschliche Abgründe. Das erfährt auch Kommissar Markus Kling, als er es bei seinem ersten Fall mit einer Schmiergeldaffäre zu tun hat und ein Luxushotel bis auf die Grundmauern niederbrennt. Im Zentrum der Ermittlungen steht ein Feuerteufel, der seine Umgebung in Angst und Schrecken versetzt - erst recht, als er bei seinen Taten über Leichen geht.

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Seitenzahl: 997

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Caroline Sendele; Alex Buchenberger; Jürgen Ahrens

Tatort Oberbayern

Sammelband Oberbayern-Krimis

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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E-Book-Produktion: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer unter Verwendung von: © DominikSchraudolf/www.pixabay.com, © picsfive/www.stock.adobe.com

Chiemsee-Komplott:

Copyright der Originalausgabe © 2021 by Gmeiner-Verlag GmbH

Hannas Leichen:

Copyright der Originalausgabe © 2019 by Gmeiner-Verlag GmbH

Tegernsee-Connection:

Copyright der Originalausgabe © 2020 by Gmeiner-Verlag GmbH

ISBN 978-3-7349-9494-4

Inhalt

Impressum

Caroline Sendele: Chiemsee-Komplott

Zum Buch

Prolog

Juli 2019 Dienstagmorgen, Redaktion »Fakten« München

Dienstagmittag, Breitbrunn am Chiemsee

Dienstagnachmittag, München Innenstadt

Dienstagnachmittag, Breitbrunn am Chiemsee

Dienstagabend, München Haidhausen

Dienstagabend, Breitbrunn am Chiemsee

Dienstagnacht, Breitbrunn am Chiemsee

Mittwochmorgen, München Haidhausen

Donnerstagvormittag, »Monaco TV«, München

Donnerstagvormittag, Redaktion »Fakten«, München

Samstagvormittag, Breitbrunn am Chiemsee

Samstagnachmittag, Frauenchiemsee

Samstagabend, München Haidhausen

Einige Stunden vorher, Breitbrunn am Chiemsee

Samstagabend, München Bogenhausen

Montagvormittag, Redaktion »Fakten«, München

Montagabend, München Haidhausen

Mittwochvormittag, »Monaco TV«, München

Mittwochnachmittag, München Bogenhausen

Freitagmorgen, München Haidhausen

Freitagabend, München Bogenhausen

Samstagnachmittag, München Haidhausen

Montagvormittag, München Schwabing

Montagnachmittag, Redaktion »Fakten«, München

Montagnachmittag, München Bogenhausen

Dienstagvormittag, Breitbrunn am Chiemsee

Dienstagnachmittag, Redaktion »Fakten«, München

Dienstagnachmittag, München Bogenhausen

Dienstagnachmittag, Redaktion »Fakten«, München

Dienstag Spätnachmittag, München Haidhausen

Mittwochmorgen, München Haidhausen

Mittwochmittag, Redaktion »Fakten«, München

Mittwochabend, München Bogenhausen

Mittwochabend, München Haidhausen

Donnerstagmorgen, München Haidhausen

Donnerstagabend, München Innenstadt

Freitagmorgen, München Haidhausen

Samstagmorgen, München Haidhausen

Samstagnachmittag, München Haidhausen

Dienstagabend, München Bogenhausen

Mittwochmorgen, München Haidhausen

Mittwochvormittag, München Bogenhausen

Mittwochnachmittag, Redaktion »Fakten«, München

Mittwochnachmittag, München Bogenhausen

Mittwochabend, München Bogenhausen

Donnerstagmorgen, München Bogenhausen

Donnerstagmorgen, München Haidhausen

Donnerstagabend, München Bogenhausen

Donnerstagabend, München Haidhausen

Samstagvormittag, Wolfersdorf

Samstagnacht, München Bogenhausen

Sonntagvormittag, Archiv »Fakten«, München

Sonntagnachmittag, Breitbrunn am Chiemsee

Ein halbes Jahr später, München Haidhausen

Gleiche Zeit – Mallorca

Danke

Alex Buchenberger: Hannas Leichen

Zum Buch

Haftungsausschluss

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Jürgen Ahrens: Tegernsee-Connection

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Widmung

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Danksagungen

Caroline Sendele: Chiemsee-Komplott

 

Zum Buch

Am Tag, als Fernsehmoderator Robert Adelhofer in München seine Biografie vorstellt, wird in der elterlichen Scheune in Breitbrunn am Chiemsee sein Bruder tot aufgefunden. Zufall? Star-Reporterin Katharina Langenfels recherchiert – auch in Adelhofers Vergangenheit. Vor Jahren hatte er einen Winter in den Bergen allein und ohne Hilfsmittel überlebt und war dadurch berühmt geworden. Eine Challenge, die er sich selbst gestellt und die sein Bruder Lukas kräftig vermarktet hatte …

Caroline Sendele wurde 1965 in Heidelberg geboren. Aufgewachsen in München, verbrachte sie viel Zeit am Chiemsee. Während des Studiums verließ sie Bayern und machte nach einem Abstecher nach Sevilla ihren Magister in Germanistik, Romanistik und Geschichte in Freiburg. Ein Volontariat beim Privatradio eröffnete ihr den Weg Richtung Journalismus. Die nächste Station war SWF3 in Baden-Baden, wo sie als Moderatorin und Redakteurin arbeitete. Auch im SWF/SWR Fernsehen hat sie einige Jahre moderiert. Heute ist sie Teamchefin der Nachmittagssendung „Kaffee oder Tee“ im SWR Fernsehen. Ihre Herzensgegend ist der Chiemgau geblieben. Auszeiten dort, vor allem auf der Fraueninsel, stehen fest im Terminkalender.

Prolog

Sie kamen vom Friedhof nach Hause. Beide hängten die Trachtenjanker an die Garderobe und zogen die Schuhe aus. Den Kaffeetisch hatte sie vorher gedeckt. Heute würden sie die Frau kennenlernen, mit der sie irgendwie verbunden waren. Zwei Stunden Fahrt nahm sie dafür auf sich – eine Idee der netten Journalistin.

Hier würden sie sie empfangen, hier in ihrem neuen Leben. Eine Zweizimmerwohnung hatten sie gefunden – mit Blick auf den See, wie früher. Das alte Leben rückte weiter von ihnen weg. Sie setzte sich neben ihn und streichelte ihm kurz über die Hand: »Schee, dass d’ mit aufm Friedhof warst.«

Er brummte freundlich: »Hast den guadn Käskuchn gmacht, den mags bestimmt.«

Es klingelte an der Tür.

 

Juli 2019 Dienstagmorgen, Redaktion »Fakten« München

»Und zur Vorstellung der Biografie von Robert Adelhofer um 14 Uhr gehen Sie, Frau Langenfels.« Redaktionsleiter Bernd Riesche-Geppenhorst hatte dies nicht als Frage formuliert. Katharina wusste seit zwei Wochen, dass sie über den »bayerischen Bub aus den Bergen« – wie Adelhofer sich selbst nannte – schreiben würde. Dass Adelhofer ihr nicht direkt sympathisch war, hatte sie bereits hinlänglich geäußert. Klar, dass RG – Katharinas Kürzel für ihren Chef – dies für die ideale Voraussetzung hielt, um die Adelhofer-Serie zu schreiben.

»Es muss polarisieren, polarisieren, Frau Langenfels«, hörte sie bei eigentlich jedem Thema.

»Mit der Biografie werden natürlich die ganze Bergwinter-Challenge und die Folgen noch richtig hochkochen. Nehmen Sie sich Zeit dafür. Ein Vierteiler über Adelhofer sollte es mindestens werden.«

»Hm«, brummte Katharina, obwohl ihr Chef nicht auf eine Antwort wartete. Sie war auf den allerletzten Drücker in die Redaktionskonferenz gerast. 9 Uhr war eigentlich spätester Dienstbeginn, RG bestand darauf, dass jedes Redaktionsmitglied vor der Konferenz um 9.30 Uhr mindestens drei Zeitungen durchgeschaut hatte. »Konkurrenzbeobachtung und Themenfindung«, nannte er das. Svenja hatte getrödelt, es herrschte Stau auf dem Weg zu ihrer Schule und Stau auf dem Weg in die Redaktion, der alltägliche Münchner Morgenwahnsinn. Katharina war um 9.28 Uhr in den Konferenzraum gestürzt und hatte sich unter dem vorwurfsvollen Blick ihres Chefs auf ihren Platz gesetzt. Sie war nicht zum ersten Mal die Einzige, vor der keine Zeitungen oder ausgeschnittene Artikel lagen. Es gab von manchen Kollegen genervte, von manchen – vor allem Kolleginnen – mitleidige Blicke. Wie sie es hasste. Jedenfalls lauschte sie schweigend der Diskussion über Themen, Längen und Erscheinungsdatum der vorgeschlagenen Artikel.

Ihr Blick fiel auf das Foto an der Wand gegenüber: Bob Woodward und Carl Bernstein, die beiden Journalisten, die einst Präsident Nixon zu Fall gebracht hatten. Nach der Amtseinführung von Donald Trump hatte es eines Morgens im Konferenzraum von »Fakten« gehangen, schön gerahmt und ohne jeglichen Kommentar. Wer es aufgehängt hatte, wusste niemand. RG ließ es hängen. Er, der ansonsten darauf bestand, dass der Konferenzraum völlig schmucklos blieb, weil er nur zum Arbeiten diente. Bilder oder Pflanzen hielt er für unangebracht. Als Katharina die beiden amerikanischen Helden in diesem Moment ins Gespräch vertieft an ihren Schreibtischen sah, dachte sie voller Neid: Euch haben bestimmt eure Frauen schön den Rücken freigehalten. So könnte ich auch pünktlich und bestens vorbereitet in jede Sitzung kommen.

»Frohes Schaffen.« Dieser Satz, mit dem RG jeden Tag die Konferenz beendete, holte Katharina zurück in die Realität. 14 Uhr Pressekonferenz Adelhofer. Wie sie den Termin wahrnehmen sollte, war ihr ein Rätsel. Sie hatte völlig vergessen, für den Nachmittag eine Betreuung für Svenja zu organisieren. Ehrlich gesagt hatte sie den Adelhofer-Termin insgesamt verdrängt, wie sie beschämt feststellte. In Gedanken begann sie, den Tag umzuorganisieren. Eigentlich sollte dieser Dienstag nämlich, zumindest ab mittags, Svenja gehören. Sie hatte ihrer Tochter versprochen, sie von der Schule abzuholen, mit ihr Burger zu essen und danach ins Kino zu gehen. In wenigen Wochen hatte Svenja die erste Klasse geschafft und Katharina war in dieser für ihre Tochter so wichtigen Phase zu selten für sie da gewesen.

Die Schuld dafür gab sie dem grünen Landtagsabgeordneten Michael Medell beziehungsweise seinen Kontrahenten der rechtskonservativen »Anderen Partei« AP. Sie hatten Medell unterstellt, bei der illegalen Verhinderung von Abschiebungen mitgeholfen zu haben. Katharina hatte nachweisen können, dass angeblich von Medell stammende Aufrufe im Internet von AP-Accounts unter seinem Namen gepostet worden waren. Mithilfe ihrer Freundin Birgit Wachtelmaier – Archivarin bei »Fakten« und routinierte Hackerin – war sie dem Betrug auf die Schliche gekommen. Der Artikel hatte hohe Wellen geschlagen und der rechten Partei deutlich geschadet. Ihre Sympathiewerte waren um mehrere Prozent gesunken.

Die Verkaufs- und Downloadzahlen von »Fakten« schossen in der Woche in die Höhe, als die Story rauskam.

»Großartig, Frau Langenfels, großartig, es polarisiert. ›Fakten‹ schreibt das, was wehtut.«

Derart überschwänglich hatte ihr Chef sie vorher noch nie gelobt. Er ertrug stoisch die Angriffe der Rechtskonservativen, die mit Klagen gedroht und via Facebook und Twitter versucht hatten, eine Lügenpresse-Kampagne gegen »Fakten«loszutreten. RG hatte die Onlineredaktion personell aufgestockt. Die Kollegen konnten jeden Angriff in den sozialen Netzwerken sachlich und kompetent entkräften. Die AP hatte recht schnell die Lust verloren und Katharina lernte eine Seite ihres Chefs kennen, die ihre ansonsten eher kritische Haltung ihm gegenüber ins Wanken brachte. Das Ganze war gerade vier Wochen her.

Als er ihr wenig später die Adelhofer-Sache zuteilte, hatte sich leider die andere Seite von Riesche-Geppenhorst gezeigt. Dass Katharina alleinerziehend war, spielte für ihn keine Rolle. Darauf zu achten, dass sie zumindest vorübergehend Themen bekam, die während normaler Arbeitszeiten recherchiert werden konnten und ihr die Möglichkeit gaben, Svenja pünktlich aus dem Hort abzuholen, kam ihrem Chef nicht in den Sinn. Bei Themen, die sie selbst spannend fand, ertrug sie die familienunfreundlichen Arbeitszeiten. Sie wusste, dass es eine Auszeichnung war, dass sie die großen Geschichten für »Fakten« schrieb. Dies galt auch für das Adelhofer-Thema. Für diesen Mann einen schönen Nachmittag mit Svenja sausen zu lassen, reizte sie allerdings nicht. Jedenfalls schlappte sie nach der Konferenz lustlos in ihr Büro und rief Oliver an – ihren »platonischen Lebenspartner«, wie sie ihn liebevoll nannte.

»Warum heiratet ihr eigentlich nicht? Ihr habt euch doch lieb, und wir wären eine richtige Familie«, kommentierte Svenja regelmäßig.

Oliver und Katharina kannten sich seit der ersten Klasse. Damals hatte er ihr ein paarmal begeistert durch die dunkelbraunen Locken gewuschelt, bis Katharina ihm eine geknallt hatte.

»Nur, weil du komische Haare hast, brauchst du mir nicht dauernd in meine zu fassen«, hatte sie ihn dazu belehrt.

Oliver war überrascht zurückgezuckt und hatte sich entschuldigt. Was an seinen glatten blonden Haaren komisch war, verstand er nicht. Ab diesem Tag wurden sie Freunde, saßen fast die ganze Schulzeit nebeneinander und halfen sich gegenseitig durchs Abitur. Während Olivers Jura- und Katharinas Journalistikstudium blieb der Kontakt genauso eng.

Oliver hatte sich sämtliche unglücklichen Liebesgeschichten von Katharina angehört und selbst nur von Frauen berichtet, die er entweder für unerreichbar hielt oder deren Interesse er nicht erwiderte. Bis zum heutigen Tag war er Dauersingle. Dass sie beide etwas anderes sein könnten als gute Freunde, war ihnen nie in den Sinn gekommen – auch wenn das außer ihnen niemand verstand. Vor allem nachdem Katharinas letzte Beziehung noch vor Svenjas Geburt zu Ende gegangen war, was Oliver eine neue Rolle zugewiesen hatte.

»Ich kann Kinder nicht leiden. Wenn du es unbedingt willst und sonst niemanden hast, spiele ich natürlich den Patenonkel für Svenja. Aber glaub nicht, dass ich ewig Zeit habe zum Dutzi-Dutzi-Machen. Ich habe schließlich einen fordernden Beruf.«

Das waren Olivers einfühlsame Worte gewesen, als er seine Freundin nach Svenjas Geburt im Krankenhaus besucht hatte. Hätte Katharina Oliver und seinen angeborenen Pessimismus nicht mehr als 30 Jahre gekannt, hätte sie ihn wahrscheinlich rausgeschmissen. Und wie sie es vermutet hatte, tat Oliver alles für Svenja. Seine Bedeutung ging weit über die eines Patenonkels hinaus. Oft musste sie an die Zeit denken, als ihre Tochter drei Jahre alt war und Oliver einen besonders schwierigen Fall bearbeitet hatte: Eine junge Frau hatte ihn gebeten, sie zu verteidigen. Sie berichtete ihm, ihr Freund habe sie mehrfach vergewaltigt, streite dies aber ab. Sie hatte ihn angezeigt, nachdem sie ins Frauenhaus gezogen war. Dieser Fall ging Oliver sehr an die Nieren, letztlich wurde der Täter verurteilt – vor allem dank Olivers akribischer Arbeit. Obwohl er in dieser Zeit oft bis spät in die Nacht Akten wälzte, war er zur Stelle, wenn Svenja »Olipfa«, wie sie ihn damals nannte, sehen wollte oder Katharina ihn als Babysitter brauchte.

Ob die Liebe zum Patenkind speziell heute so groß wäre, dass Oliver einspringen würde, bezweifelte Katharina. Sie hatte seine Großzügigkeit in letzter Zeit recht häufig strapaziert. Und Svenja hatte wahrscheinlich wenig Lust, von Oliver aus der Schule abgeholt zu werden, weil ihre Mutter es nicht schaffte. In der Regel nahm Oliver Svenja mit in seine Kanzlei, was Svenja anfangs »cool« fand. Immerhin gab es ein eigenes Kinderzimmer für sie. Aber was war das speziell heute gegen Burger und Kino? Katharina merkte, wie sich das schlechte Gewissen breitmachte. Mit flauem Gefühl in der Magengegend griff sie zum Hörer:

»Hallo, Oliver, wie geht’s?«

»Mittelprächtig, ich habe den ganzen Morgen einen komischen Druck auf der Stirn und den Nebenhöhlen, ich frage mich, ob das wirklich nur eine Nebenhöhlenentzündung ist. Vielleicht sollte ich eine Computertomografie machen lassen. Die letzte ist immerhin schon ein Jahr her.« Auch das noch, Oliver hatte einen seiner hypochondrischen Anfälle. Er würde noch ungehaltener reagieren.

»Und du, hast du die Kinokarten? Svenja hat mich gestern extra angerufen, um mir zu erzählen, dass sie heute Mama-Tag hat. Sie freut sich wahnsinnig auf den Nachmittag mit dir.«

Katharina schnürte es den Hals zu und kurz verfluchte sie ihren Chef – und Robert Adelhofer gleich dazu.

»Katharina, du willst nicht etwa sagen …« Oliver kannte sie einfach zu gut. Der Kloß im Hals wurde größer.

»Sagt dir Robert Adelhofer was?«

»Dieser Idiot mit seiner Talkshow? Klar sagt der mir was. Ein selbstgefälliger Vollpfosten, der aus seiner Bergwinter-Nummer Kapital geschlagen hat. Frauen finden angeblich, dass er gut aussieht. Warum?«

»Weil der heute Nachmittag seine Biografie vorstellt.«

»Katharina, du hast wochenlang deine Tochter vernachlässigt, du hast heute endlich einen freien Nachmittag für dich und Svenja, sag mir nicht, dass du die bist, die zu diesem Termin muss.«

Nein, natürlich nicht, ich kann mir meine Aufträge aussuchen und habe RG einfach gesagt: »Nee, den Adelhofer muss leider ein Kollege machen, auf den habe ich keine Lust«, dachte Katharina wütend.

»Warum sagst du nichts? Ich habe also recht. Ich soll meine Kopfschmerzen vergessen, meine Klienten gleich mit und mit Svenja Burger essen und ins Kino? Okay, ich mache es, wegen Svenja, weil sie mir wirklich langsam leidtut. Und noch was: Heute Abend um 21 Uhr bin ich im Jazzclub. Wenn du bis dahin nicht zu Hause bist, nicht mehr mein Problem. Tschüss.«

Idiot, gefühlskalter Macho, schoss es Katharina durch den Kopf. Das Telefon klingelte, Olivers Nummer auf dem Display.

»Hallo, ich bin es. Tut mir echt leid, dass ich eben ausgerastet bin.«

»Oliver, vergiss es, du hast vollkommen recht. Und ich schwöre dir, heute Abend bin ich um 18 Uhr zu Hause. Spätestens, versprochen. Nach der Pressekonferenz findet noch ein Umtrunk statt, und da sollte ich hin, weil RG was Größeres über Adelhofer will. Um 18 Uhr bin ich aber daheim, komme, was wolle. Das Ganze fängt erst um 14 Uhr an, ich hole Svenja auf alle Fälle von der Schule ab und ich kann auch noch mit ihr Burger essen. Nur das Kino müsstest du übernehmen. Du bist dann übrigens Svenjas Vater. Sie will unbedingt in den neuen ›Fack ju Göhte‹, der ist für Kinder unter zwölf nur in Begleitung eines Elternteils erlaubt. Bei zu übler Fäkalsprache halt ihr bitte die Ohren zu. Ich hab mich breitschlagen lassen, ihre halbe Klasse war schon drin.«

»Alles klar. Auch noch gegen das Gesetz verstoßen. Super! Dann gehe ich aber selbstverständlich mit zum Burgerladen. Ohne einen Chickenburger ertrage ich diesen furchtbar gut aussehenden M’Barek nicht.«

Katharina grinste vor sich hin. Chickenburger waren das einzige Fast Food, das ihr hypochondrischer Freund aß.

»Hühnerfleisch ist fettarm, das verstopft die Arterien nicht wie Pommes«, pflegte er zu sagen, wenn er zwei Portionen Barbecuesauce zu seinem Burger orderte und anschließend genüsslich in das Hühnerpressfleisch biss.

»Klar kannst du mit, ich dachte nur, dein Job und deine Kopfschmerzen …«

»Das krieg ich irgendwie hin. Wenn du ab morgen dein Leben im Griff hast, werde ich ab sofort sowieso alle Zeit der Welt haben, um mich um meinen Beruf und meine Gesundheit zu kümmern statt um anderer Leute Kinder.«

»Um 12.15 Uhr vor der Schule?«

»Okay, bis später. Wenn du nicht da bist, werde ich mir mit Svenja übrigens nicht die Beine in den Bauch stehen, du weißt, wo du uns findest.«

»Ich bin pünktlich«, sagte Katharina grimmig und legte auf.

Die nächsten zwei Stunden verbrachte sie im Archiv von »Fakten«und suchte mit ihrer Freundin und Archivarin Birgit Wachtelmaier die wichtigsten Infos zu Robert Adelhofer zusammen. In kürzester Zeit hatte Birgit die verschiedenen Datenbanken abgefragt. Und obwohl Katharina ihre Freundin einige Jahre kannte, war sie über deren Schnelligkeit mal wieder überrascht. Sie passte nicht zu ihrem eher gemütlichen Aussehen. Birgit war mit ihren 38 Jahren das, was Frauenzeitschriften als »vollschlank« bezeichneten, dazu nur 1, 62 Meter groß. Und durch die enganliegende Kleidung, die sie liebte, wurde ihre Leibesfülle zusätzlich betont. Heute trug sie zu knallgelben Leggins schwarze High Heels – wobei »high« wörtlich zu nehmen war. Obenrum hatte sie sich in einen froschgrünen, mit Pailletten bestickten Body gezwängt. Ihre Outfits ergaben ein beeindruckendes Bild, das Katharina immer aufs Neue faszinierte. Seit der Scheidung von einem netten, etwas farblosen Beamten, den Birgit einst tatsächlich auf dem Finanzamt bei einem Beratungsgespräch für ihre Steuererklärung kennengelernt hatte, lebte sie ihre gewonnene Freiheit vor allem mit ihrer Kleidung exzessiv aus. Arnulf hatte sich damals Hals über Kopf in Birgit verliebt und sie genoss das Umsorgtwerden. Zehn Jahre später erwies sich das als zu wenig. Birgit lebte seit drei Jahren allein – glücklich, wie sie betonte.

Um ihre Erscheinung noch farbenfroher zu gestalten, hatte sie heute ihre schulterlangen, schwarz gefärbten Haare mit einer Haarspange nach hinten gesteckt, auf der eine große rote Stoffblume leuchtete. Birgits Gesicht war sorgfältig geschminkt, Rouge und Lippenstift passten zur Haarspange. Während Katharina staunte, hörte sie Birgit streng sagen: »Du ziehst dir bestimmt noch was Anständiges an? Ich meine, diese alte Jeans und das graue Kapuzen-Shirt, das ist vielleicht was für den Spielplatz mit Svenja, aber nicht für die Adelhofer-Pressekonferenz. Der Mann ist schließlich wichtig, was glaubst du, wer da heute alles hingeht? Vielleicht wäre für dich auch einer dabei.«

Katharina verbiss sich jeglichen Kommentar, schaute nur grinsend an sich runter und sagte: »Auf alle Fälle weiß mein Zukünftiger gleich, dass er sich auf eine Frau mit Kind einlässt. Ich bin nämlich tatsächlich in meiner Svenja-Kluft, weil ich mir eigentlich heute mit ihr einen schönen Nachmittag machen wollte.«

»Von mir aus lass die Jeans an, aber zieh oben wenigstens Bluse und Blazer an, du weißt, ich habe reichlich Auswahl.« Tatsächlich hatte Birgit Wachtelmaier im Laufe der Jahre für ihre Freundin eine Art Kleider-Fundus bei sich im Archiv angelegt. Und sie war, wenn es um Katharinas Kleidung ging, geschmackssicher. Sie hatte sie des Öfteren vor peinlichen Auftritten bewahrt. Katharinas oberste Priorität in Sachen Mode war nämlich »praktisch«. Das bedeutete meistens – wie heute – T-Shirt, Hoodie, Jeans, Lederjacke und Sneaker, im Sommer Clogs oder Flipflops.

»Danke, Birgit, bist ein Schatz, ich komme nachher noch vorbei.« Sie warf ihrer Freundin eine Kusshand zu und ging zurück in ihr Büro. Auf dem Weg warf Katharina einen kurzen prüfenden Blick in den Spiegel auf dem Damenklo. Zumindest hatte sie sich heute Morgen noch die Haare gewaschen und, wie ihre Friseurin ihr geraten hatte, lufttrocknen lassen.

»Für Naturlocken das einzig Wahre, sonst stehen sie dir nur kreuz und quer vom Kopf ab«, hatte sie ihr beim letzten Besuch wieder gepredigt, nachdem sie Katharinas Mähne zu einer hübschen, halblang gestuften Frisur geschnitten hatte.

»Für eine junge berufstätige Mutter genau das Richtige, schick und praktisch. Farbe brauchen wir noch keine, du hast ein fantastisches Naturbraun«, hatte Manuela festgestellt und sie zufrieden entlassen.

»Danke für das ›jung‹«, hatte Katharina erwidert, die sich mit Anfang 40 für keine junge Mutter mehr hielt. Aber die Figur ist ganz nett, sprach sie sich Mut zu, als ihr prüfender Blick auf die untere Körperpartie fiel. Die Jeans war glücklicherweise ein neueres Modell einer edlen Marke, die sie sich nach der Medell-Sache gegönnt hatte.

»Der beigefarbene Blazer sieht einfach toll aus zu deinen braunen Haaren und Augen«, hörte Katharina Birgit sagen, wenn sie nachher ihr Pressekonferenz-Outfit bei ihr ausleihen ginge.

Sie wendete sich mäßig interessiert dem Fall Adelhofer zu. »Ein Mann wie ein Erdbeben«, titelte eine große Boulevardzeitung nach Adelhofers erster Fernsehshow. »Die deutsche Antwort auf Robert Redford« nannte eine Modezeitschrift ihr Fotoshooting mit »beautiful Robert«. Katharina grinste bei diesen einfallsreichen Schlagzeilen und schaute sich die Fotos von Adelhofer näher an. Skilehrertyp, dachte sie. Robert Adelhofer sah nicht nur so aus, er war tatsächlich Skilehrer und Bergführer gewesen, als ihn noch niemand kannte. Aus dieser Zeit grinste ihr von den Fotos der typische Vorzeige-Bayer aus dem Alpenvorland entgegen, mit dunkelblonden Locken, braungebranntem Gesicht und schlanker, hochgewachsener Figur. »Mit seinem charmanten Lächeln erobert er jede Frau im Sturm«, sinnierte die »Society«.

Katharina bezweifelte, dass Robert Adelhofer das bei ihr gelingen würde.

Dann kamen die Storys über das Ereignis, das Adelhofer berühmt gemacht hatte. Mit 24 Jahren, am 17. Oktober 2014, war er von Ramsau aus Richtung Watzmann aufgebrochen, dem bayerischen Schicksalsberg, an dem diverse Bergsteiger ihr Leben gelassen hatten. Es war der letzte schöne Herbsttag – für den Tag danach war ein Wetterwechsel angekündigt. Es wären nicht mehr viele Bergsteiger unterwegs. Genau so hatte Adelhofer das geplant. Eingeweiht war nur sein älterer Bruder Lukas, der ihn auf der Tour begleitete. Mit ihm hatte er zwei Jahre vorher eine Watzmann-Überquerung gemeistert, beide Brüder kannten die Gegend gut. Lukas Adelhofer wusste, dass er allein würde zurückgehen müssen. Robert wollte einen Winter lang in den Bergen überleben – ohne Unterstützung, ohne Vorräte, seine persönliche Challenge, wie er später erklärte. Lukas sollte das seinen Eltern mitteilen – ohne zu erwähnen, wo Robert losgelaufen war, und mit dem Hinweis, dass man ihn nicht suchen solle. Es würde ihn sowieso niemand finden, dafür werde er sorgen.

Dass nicht nur die Eltern Adelhofer, sondern einige Wochen später alle großen Boulevardblätter von Adelhofers Challenge erfahren hatten, lag laut Lukas Adelhofer daran, dass Roberts Abwesenheit natürlich aufgefallen war. Er habe sich irgendwann entschlossen, bei Nachfragen von Roberts Challenge zu berichten, um wilden Gerüchten vom Tod in den Bergen vorzubeugen.

Irgendjemand müsse wohl die Presse verständigt haben. Ob das stimmte, war mehr als fraglich. Wahrscheinlicher erschien eine Absprache zwischen Robert und Lukas Adelhofer, nach der Lukas nach einiger Zeit an die Öffentlichkeit gehen würde. Der jüngere Bruder schloss auffallend schnell einen Exklusivvertrag mit einer Klatschzeitung und dem Privatsender »Monaco TV« ab und gab bereitwillig Auskunft über alle Details aus dem Leben von Robert und seiner Familie. Nur wo sich sein Bruder aufhielt und wo er ihn zuletzt gesehen hatte, das verschwieg er beharrlich. Da es keinerlei Anhaltspunkte gab, wie sie an Exklusivfotos von Adelhofer herankommen könnten, sparten sich sogar die hartgesottensten Klatschblätter die Suche nach dem Abenteurer. Stattdessen bekam der interessierte Leser Fotostrecken geliefert vom jungen Bergsteiger aus Breitbrunn am Chiemsee – Robert beim Klettern, Robert als Kind im Kuhstall, Robert als Jugendlicher auf einer Motorradtour durch Oberbayern, Robert beim Knutschen auf einer Party. Nichts war banal genug, es nicht zu zeigen.

Und beautiful Robert traf offenbar einen Nerv: Auf dem Adelhofer-Hof in Breitbrunn stapelten sich die Briefe weiblicher Verehrerinnen, die anboten, den armen Robert nach seiner Challenge aufzupäppeln – spätere Eheschließung nicht ausgeschlossen. Robert Adelhofer war schon berühmt, bevor er fünf Monate später, an einem klaren Märztag, wiederauftauchte. Bergsteiger begegneten am Fuß des Watzmann einer vollkommen ausgemergelten Gestalt, übelriechend, mit langem Haar, langem Bart, langen Fingernägeln – an neun Fingern, an der linken Hand fehlte der Mittelfinger – und vollkommen zerfetzter Kleidung. Der Mann gab an, Robert Adelhofer zu sein, und ließ sich von den Bergsteigern nach unten begleiten. »Der schöne Robert – nur noch Haut und Knochen«, stand unter dem ersten Foto von Adelhofer nach seiner »Wiedergeburt«. Tatsächlich sah er relativ abgemagert aus und das penetrante Siegerlächeln war auf diesem Foto nicht vorhanden. Das sollte sich schnell ändern. Der junge Star zog sich für zwei Wochen auf den Hof seiner Eltern zurück. Währenddessen gab er »Monaco TV« kurze Exklusivinterviews. Deutschland konnte daran teilhaben, wie Robert langsam wieder »beautiful« wurde.

Nach 14 Tagen folgte ein ausführliches Gespräch mit »Monaco TV« und die Presse jubelte: »Robert ist zurück.« Weiterhin verging kein Tag ohne Fotos von Robert Adelhofer in den Zeitungen, meist in Begleitung ständig wechselnder Frauen.

Wie gut, dass es ihn nur einen Finger gekostet hat, dachte Katharina entnervt, während sie sich durch den Wust von Artikeln wühlte, die spannende Themen behandelten wie Roberts Lieblings-Schweinsbraten-Rezept und Roberts Meinung zur Potenzpille Viagra.

Weil Adelhofer sich so gut vermarkten ließ, wurde ihm von »Monaco TV« schnell eine eigene Fernsehshow angeboten. »Krise« hatte von Anfang an top Einschaltquoten und Deutschland diskutierte eine Woche lang über die Frage, ob das für die Sendung gewählte Logo geschmacklos oder progressiv war: Robert Adelhofers Gesicht groß im Hintergrund und vorne Roberts linke Hand, deren Zeige- und Ringfinger das Victoryzeichen formten. Dazwischen deutlich zu sehen: die Narbe des fehlenden Mittelfingers. Und drunter der Slogan: »Krise überleben – bei Robert reden.« Das Konzept der nachmittäglichen Talkshow bestand darin, dass Adelhofer Menschen zu Gast hatte, die entweder in einer Krise steckten oder diese bewältigt hatten. Bei den Gesprächen mit seinen Gästen weinte er gerne auch mal, wenn sich die Gelegenheit bot.

Mit Grausen dachte Katharina an die Sendung zurück, die sie sich einmal angeschaut hatte: Adelhofer hatte eine Frau zu Gast gehabt, deren achtjähriges Kind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war und die in den Jahren danach drei Totgeburten erlitten hatte. Nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, überlebte sie nur mit starken Beruhigungsmitteln und weiteren Psychopharmaka. Adelhofer schaffte es, dass die Frau ihre Gefühle vor dem Fernsehpublikum ausbreitete, und fing schließlich mit den Worten »ich spüre ganz intensiv, wie Sie sich fühlen, das tut weh, so unendlich weh« selbst an zu weinen.

Katharina hatte damals angewidert aus- und nie wieder eingeschaltet.

Aber »Krise« lief inzwischen fast vier Jahre höchst erfolgreich und Deutschland teilte sich in zwei Lager: Robert-Adelhofer-Fans und Robert-Adelhofer-Hasser. Der Sender hatte erreicht, was er wollte. Den 29-jährigen Adelhofer kannten inzwischen 80 Prozent der Deutschen zwischen 10 und 70 Jahren. Und das, obwohl die Sendung nur einmal in der Woche lief, mittwochs von 14 bis 16 Uhr.

Die Quoten hatten sich an diesem Tag derart vervielfacht, dass der Sender »Krise« am liebsten täglich ausgestrahlt hätte. Robert hatte abgewunken.

Clever. Er verbrauchte sich nicht so schnell, dachte Katharina.

Und jetzt die Biografie. Von jeder zweiten Litfaßsäule grinste derzeit Robert Adelhofer und streckte seine verstümmelte Hand ins Bild. Die erste Auflage war schon vor dem Erscheinen ausverkauft, der Verlag kam mit dem Nachdruck kaum hinterher. Das musste als Adelhofer-Background-Wissen reichen, beschloss Katharina und packte ihre Sachen zusammen.

Als sie gerade zur Tür raus wollte, klingelte das Telefon, Birgit:

»Kommst du zum Klamottenwechsel? Ich habe außerdem noch eine nette Randinfo gefunden.«

»Ich war sowieso gerade auf dem Weg zu dir runter.« Katharina überlegte, welche Quelle ihre Freundin angezapft hatte. Birgit hackte sich gern in verschlüsselte Dateien von Polizei oder Staatsanwaltschaft und gab die Infos mit Unschuldsmiene an Katharina weiter. Während sie sich im Archiv in eine braune Seidenbluse und den besagten beigefarbenen Blazer warf und von Birgit durch zustimmendes Nicken das Okay für dieses Outfit bekam, berichtete die Archivarin:

»Im Stehsatz der ›Abendausgabe‹ gibt’s einen Artikel, bisher noch nicht erschienen. Lukas Adelhofer soll völlig abgestürzt sein, alkoholabhängig, arbeitslos, hat wohl erfolglos versucht, in Rosenheim Immobilien zu verkaufen, und vegetiert auf dem Hof seiner Eltern vor sich hin, nimmt Antidepressiva und ist ziemlich am Ende.«

»Ehrlich gesagt, Birgit, finde ich die Tatsache, dass du dich in die Datenbank der ›Abendausgabe‹ eingehackt hast, genauso interessant wie den abgestürzten Lukas, danke für beides!«

Birgit lächelte geschmeichelt. »Dafür besorgst du mir ein Autogramm von beautiful Robert, okay?«

Katharina hatte sich inzwischen ihrer Sneakers entledigt und braune Wildledermokassins angezogen – dazu Daumen hoch von Birgit. Als sie auf ihre Bitte nicht reagierte, setzte Birgit nach:

»Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dir zu sagen, ich brauche das Autogramm für meine Nichte, aber ich will es für mich, ich schau ›Krise‹ immer. Man kann so schön mitweinen. Und der Adelhofer ist halt ein Sahneschnittchen.« Birgits hellblaue Augendeckel klapperten verlegen auf und ab. Ihr Gesäß rutschte nervös auf dem Bürostuhl hin und her.

»Zum Beispiel neulich diese Frau, die mit zusammengewachsenen Vierlingen schwanger war, die sie hat abtreiben lassen, das war unglaublich, wie cool die das weggesteckt hat. Cooler als ich vor dem Fernseher.«

Katharina grinste. »Ich werde sehen, was sich machen lässt.«

Dienstagmittag, Breitbrunn am Chiemsee

Das Telefonklingeln hallte durchs ganze Erdgeschoss des Adelhoferschen Bauernhofes und versetzte Rosa Adelhofer in Panik. Seit Roberts Verschwinden in seinem »Bergwinter«, wie der Bub diesen Wahnsinn genannt hatte, kam das Herzrasen bei Rosa immer, wenn sie das Telefon hörte. Gehetzt eilte die stämmige Frau aus der Küche in den Gang, um den Hörer des altmodischen Wählscheibentelefons abzunehmen. Gegen ein tragbares Gerät, das Robert ihr seit Langem schenken wollte, hatte sie sich bisher erfolgreich gewehrt. Sie wollte so wenig wie möglich mit diesem Apparat zu tun und ihn nicht ständig in Reichweite haben. »Adelhofer«, meldete sie sich mit unsicherer Stimme und lauschte in den Hörer, um möglichst schnell zu erahnen, wer dran sein könnte.

»Hallo, Mama, ich bin’s, der Robert.«

»Ah, Robert, Gott sei Dank. Geht’s dir gut, Bub?« Das war seit der Rückkehr ihres Sohnes aus den Bergen jedes Mal ihre erste Frage und Robert reagierte darauf zunehmend ungeduldig: »Bestens, sag mal, der Lukas ist noch nicht da. Weißt du, wann er losgfahren is’?«

Wenn Robert Adelhofer mit seinen Eltern sprach, verfiel er sofort in seinen Heimatdialekt. Dabei hatte er sich den am Anfang seiner Karriere als Fernsehstar hartnäckig abtrainiert. Nur ein leichter bayerischer Einschlag durfte es sein, den liebte die Zielgruppe. Das hatte die Medienforschung von »Monaco TV« herausgefunden.

»Mei, Robert, du weißt es eh, dass ich den Lukas fast nie mehr seh. Der kommt aus seiner Wohnung kaum raus und bei uns schaut er sowieso ned rein. Beim Bettenmachen hab ich eben ausm Fenster gschaut und sei Auto steht ned aufm Hof. Also müsst’ er gfahren sein. Hoffentlich ist ihm nix passiert, meinst, ich sollt’ bei der Polizei anrufen?«

»Na, wart ma noch a bissl, wahrscheinlich hängt er in irgendeiner Kneipn rum, der wird schon noch kommen. Dankschön Mama. Ich komm die Woch’ raus und bring genug Bücher mit, damits die bei den Führungen verkaufen könnts.«

»Is’ recht, Bub, weißt es ja, dass des der Papa macht, ich kann’s ned. Wenn’s halt bloß ned jede Woch glei’ so viel Leut’ wärn, des is’ so ein Lärm, ich mag’s halt gar ned. Aber ich weiß ja, dass es wichtig für dich is’.«

An die wöchentlichen Führungen auf dem Adelhofer-Hof hatte sich Rosa nicht gewöhnt. Wildfremde Menschen besichtigten ihre persönlichen Räume, das Schlafzimmer, in dem sie seit mehr als 40 Jahren schlief und in dem sie ihre beiden Söhne auf die Welt gebracht hatte, die ehemaligen Kinderzimmer von Robert und Lukas, ihre Küche, ihr Wohnzimmer, einfach alles. Robert hatte das nach seinem Bergwinter vorgeschlagen. Und mit der Landwirtschaft auf dem Adelhofer-Hof ging sowieso nichts mehr. Die alten Adelhofers konnten das Geld gut gebrauchen – wobei die Einnahmen Robert bekam und ihnen jeden Monat etwas gab – wie viel, das wusste Rosa Adelhofer nicht. Wie in einem Museum wurden jedenfalls einmal die Woche Schilder aufgestellt, nicht zu besichtigende Räume abgeschlossen und an der Haustür eine provisorische Kasse aufgebaut. Für zehn Euro Eintritt durften die Robert-Adelhofer-Fans einen Blick in sein Geburtshaus werfen, während sich die Mutter des Stars meistens in der Bügelkammer einschloss.

Nachdem Lukas sich zurückgezogen hatte, übernahm Vater Max Adelhofer die Führungen. Am Schluss verkaufte er im Erdgeschoss massenweise Poster von Robert und Pins mit dem Logo seiner Show.

»Mama, jetzt machst dir keine Sorgen wegen dem Lukas, der wird schon auftauchen, er is’ halt einfach nimmer so zuverlässig wie früher. Nachher bei der Pressekonferenz is’ er bestimmt da. Kannst es dir ja im Fernsehen anschauen, wennst magst.«

»Na, Bub, des mach ich lieber ned, weißt, ich mag halt ned an des denken von damals. Bist a guter Bub, ich bin stolz auf dich, wie du des gschafft hast mit dem Fernsehen.«

»Ja, ja, Mama, Servus, bis bald, gell, ich komm die Woch’ runter.«

Unglücklich legte Rosa Adelhofer den Hörer auf die Gabel und ging zurück in die Küche. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie wollte zwei Söhne mit netten Schwiegertöchtern, Enkelkinder, die bei ihr auf dem Schoß saßen und ihre Kuchen aßen. Stattdessen blieb ihr nur der Lukas, von dem sie nicht genau wusste, was eigentlich mit ihm los war – bloß, dass er viel trank und nichts mehr mit seinen alten Freunden aus Rosenheim zu tun hatte. Das erzählten sich die Leute beim Bäcker und beim Metzger im Dorf. Lukas selber kam kaum noch zu ihr in die Küche. Sie hörte ihn nur nachts oft. Dann stand er fluchend vor seiner Zimmertür im ersten Stock und bekam den Schlüssel nicht ins Schloss.

Und der Robert lebte sowieso weit weg da in München, arbeitete beim Fernsehen. Anscheinend war er richtig berühmt. Aber ihr Robert war er auch nicht mehr, die beiden Söhne hatten nichts mit den Buben gemeinsam, die früher zu ihr in die Küche gerannt waren und geschrien hatten:

»Mama, Mama, komm, erzähl uns a Gschicht.«

Auf der Bank vor dem Kachelofen saßen sie in die Kissen gekuschelt, Robert hatte sich – teilweise mit Gewalt – den besseren Platz erobert, und Rosa hatte erzählt, was ihr gerade eingefallen war, von Feen und Königen, von Drachen und Helden.

Rosa Adelhofer holte ein Taschentuch aus ihrer Schürze, wischte sich die Tränen ab und begann, einen Kuchen zu backen – wie immer, wenn ihr Leben dunkel war.

Dienstagnachmittag, München Innenstadt

Danke, Birgit, dachte Katharina, als sie mit einem Glas Champagner in der Hand im gelben Salon des Hotels Bayerischer Hof stand, umgeben von lauter schönen, bestens gekleideten und maßlos wichtigen Menschen. Mit ihrer »Die kann man zu jedem Anlass tragen«-Jeans, dem Blazer und der Seidenbluse war ihr Outfit auf der Skala der auf dieser Veranstaltung vertretenen modischen Offenbarungen zwar relativ weit unten angesiedelt, aber zumindest noch im grünen Bereich. Der gelbe Salon war einer der vielen edlen Räume, die Münchens bekanntestes Luxushotel zu bieten hatte. Schwere gelbe Brokatvorhänge und französische Paneele wirkten auf Katharina wie aus der Zeit gefallen. Eher aus dem Jahr 2019 stammte das an einer Seite aufgebaute und bisher noch völlig unberührte Buffet. Die offizielle Buchvorstellung war zwar seit einer guten halben Stunde vorbei, jetzt wurde es allerdings für die meisten Journalisten erst richtig interessant.

Vorhin hatten sie alle nur dagesessen und Adelhofers kurzen Zitaten aus seinem Buch gelauscht. Glückliche, bayerische Kindertage, eiskalte Nächte in seinem einsamen Bergwinter im Bereich des Watzmann – genauer legte er sich zu seinem Aufenthaltsort nicht fest – und sein einziges großes Lebensziel: die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Das Ganze wurde garniert mit einführenden und abschließenden Worten von Manager Achim Wedel, die so salbungsvoll waren, dass Katharina den Eindruck gewann, Adelhofer solle als Mischung aus dem Papst, Reinhold Messner und Günther Jauch rüberkommen.

Achim Wedels Äußeres hingegen würde nach Katharinas Dafürhalten zu einem Zuhälter passen: blonde gegelte Haare, dicker Siegelring, satinglänzendes rosa Sakko.

Jedenfalls waren Adelhofer und sein Wedel umlagert von einer hin- und herwogenden Blase aus Kameras, Aufnahmegeräten und Mikrofonen. Katharina schaute sich die Hektik aus der Ferne an. Alle wollten die exklusive Aussage, das exklusive Bild. Und letztlich würde am nächsten Tag in jeder Zeitung dasselbe stehen, in jedem Fernsehsender dasselbe Bild gezeigt werden und in jedem Radiosender derselbe O-Ton kommen. Chancen auf die Exklusivstory würden nur die haben, die nachher am Buffet oder noch später nach drei bis vier Gläsern Sekt Adelhofer in ein Gespräch verwickeln konnten. Und genau das würde sie versuchen müssen, überlegte Katharina gerade, als sie das fleischgewordene Hindernis dieses Plans auf sich zusteuern sah. Horst Riebelgeber von der »Abendausgabe«, der Mann für alle Fälle von Münchens größter Boulevardzeitung.

Wenigstens nicht das graue Polyesterhemd, konstatierte Katharina und hoffte, dass der leichte Baumwollanzug, in den sich Riebelgeber zur Feier des Tages geworfen hatte, das Geruchsproblem, das er normalerweise für seine Umwelt darstellte, lindern würde.

»Man merkt eben, wer die echten Profis sind. Nur Anfänger stellen sich in den Pulk«, begrüßte Riebelgeber Katharina und zog das obligatorische karierte Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Das Haar klebte ihm fettig am Kopf und Katharina fühlte sich eingehüllt in eine Wolke aus »ungewaschen«, wie sie diese Duftmarke gerne beschrieb.

»Auf die eigentlich interessante Frage kriegen die sowieso keine Antwort«, sagte Riebelgeber mit einer wegwerfenden Geste in Richtung der Kollegen.

»Hm«, murmelte Katharina vage und versuchte, durch ein paar kleine Schritte rückwärts aus Riebelgebers Dunstkreis zu fliehen.

»Du glaubst doch nicht, dass die nur irgendeinem von diesen Lutschern erzählen, wo Lukas Adelhofer heute war. Der Mann hat Robert letztlich berühmt gemacht, hat für ihn Verträge mit Fernsehen und Printmedien abgeschlossen, hat alles für ihn getan und ist heute bei dieser Pressekonferenz nicht anwesend. Da muss ich nachher wohl dem Achim ein bisschen auf die Pelle rücken.«

Armer Achim, dachte Katharina.

»Wenn ich dem sage, was bei uns im Giftschrank für ein Artikel auf Veröffentlichung wartet, wird er bestimmt gesprächiger sein.«

»Was für ein Artikel?«, fragte Katharina scheinheilig und dankte insgeheim bereits Birgits Hacker-Fertigkeiten.

»Das musst du schon selbst recherchieren, der kleine Hinweis vom lieben Horst sollte genügen. Ich werde jetzt was essen.«

Tatsächlich war inzwischen die Journalisten-Fragestunde zu Ende und wurde von der Schlacht ums kalte Buffet abgelöst. Katharina entdeckte Robert Adelhofer bei der Sushi-Station. Ihre eigene Abneigung gegen rohen Fisch musste sie ignorieren. Sie drängelte sich durch das Gewühl, um einen Platz in Adelhofers Nähe zu ergattern. Nachdem sie einer Blondine aus Versehen auf den Fuß getreten war und die daraufhin einen spitzen Schrei ausstieß, hatte Katharina ihr Ziel unfreiwillig erreicht: Alle Umstehenden inklusive Robert Adelhofer drehten sich nach ihr um. Er musterte sie mit einem interessiert-süffisanten Lächeln und steuerte mitsamt seinem Sushi-Teller auf sie zu. »Frau Langenfels, wie schön, ich hatte gehofft, dass Sie kommen würden. Allerdings hätte ich nicht vermutet, dass Sie sich in die Niederungen der Lebensbeichte eines Buben aus den Bergen begeben, als seriöse Journalistin. Freut mich natürlich sehr!«

Adelhofer kannte sie also, vermutlich von der Medell-Sache. Die Blondine warf giftige Blicke zu ihr herüber. Adelhofer sah das und drehte ihr den Rücken zu. »Kommen Sie, Frau Langenfels, das reicht für zwei. Begleiten Sie mich nach nebenan, da haben wir unsere Ruhe.«

Adelhofer steuerte auf eine kleine Tür direkt hinter dem Buffet zu, die von einem Sicherheitsbeamten bewacht wurde. Der ließ ihn sofort durch und verzog keine Miene, als Adelhofer mit einem genuschelten »die Dame gehört zu mir« Katharina hinter sich herlotste.

Die Tür fiel ins Schloss und Katharina befand sich allein mit Robert Adelhofer in einem kleinen Raum, der sie an ihre einstige Lieblingsfernsehserie »Das Haus am Eaton Place« erinnerte. Schwere, braune Ledersessel, ein Kamin mit einem sicherlich nicht billigen Perserteppich davor, riesige Ölgemälde an den Wänden und dieselben Brokatvorhänge wie im Gelben Salon. Es fehlte nur noch der Butler Hudson, der mit würdigem Schritt und einer Kognak-Karaffe in der Hand durch den Raum schritt.

Katharina setzte sich Adelhofer gegenüber in einen der Sessel und lehnte höflich ab, vom Sushi zu probieren. Adelhofer schien das nicht weiter zu stören, er schob sich lustvoll ein Stück rohen Fisch in den Mund.

»Herr Adelhofer, ich arbeite an einer Serie über Sie und es wäre wunderbar …« Katharina kam nicht weiter. Achim Wedel riss die Tür auf und stürzte auf Robert zu. »Hier steckst du. Das gibt’s doch nicht. An dein Handy gehst du auch nicht. Wir müssen sofort fahren.« Nach einem kurzen entnervten Blick Richtung Katharina fixierte er Adelhofer, als würde der sich dadurch hypnotisch aus dem Sessel bewegen.

Der blieb entspannt sitzen und sagte ruhig, mit nicht zu überhörender Schärfe: »Ich komme gleich, Achim. Wartest du bitte draußen?« Wedel machte auf dem Hacken kehrt und schloss die Tür hinter sich etwas zu laut. Adelhofer überging das.

»Frau Langenfels, das tut mir ausgesprochen leid, entschuldigen Sie bitte Herrn Wedels ungebührliches Verhalten. Es ist offenbar wichtig. Dürfte ich Sie kommende Woche anrufen, damit wir unser Gespräch fortsetzen? Bitte seien Sie mir nicht böse.« Er hatte den »Der liebe Bub aus den Bergen«-Blick aufgesetzt, mit dem er offenbar bei den Frauen recht erfolgreich war. Katharina bemerkte das eher amüsiert.

»Auf Wiedersehen, Herr Adelhofer. Ich freue mich auf unser Gespräch nächste Woche. Hoffentlich erwarten Sie keine schlechten Nachrichten.«

Sie bemerkte ein kurzes Aufflackern von Unsicherheit in Adelhofers Gesicht, und schon war Katharina draußen. Der Bodyguard mit Knopf im Ohr stand weiterhin vor der Tür. Ein Stück entfernt telefonierte Achim Wedel. Er war sichtlich nervös, eine gegelte Haarsträhne war ihm ins Gesicht gefallen, er schien es nicht zu bemerken. Katharina nahm sich ein Glas Sekt, das eine Servierdame ihr anbot, und schlenderte durch den Salon. In Hörweite Wedels blieb sie stehen. Er konnte sie nicht sehen, schlemmende Kollegen verdeckten die Sicht.

»Das weiß ich noch nicht, macht lieber einen Plan B … Heute auf keinen Fall … An den Chiemsee, habe ich doch gesagt … Ich habe keine Ahnung, wie lang er dableibt und ich habe auch keine Zeit mehr. Servus.« Wedel winkte nervös Adelhofer zu sich, der inzwischen aus dem Nebenraum gekommen war, und die beiden verschwanden.

Katharina rief Birgit in der Redaktion an. »Schaust du mal, ob du den Rosenheimer Polizeifunk anzapfen kannst? Da muss irgendwas passiert sein. Ich sollte nach Hause, habe ich Svenja und Oliver fest versprochen.«

»Alles klar, Chefin«, kam es gut gelaunt zurück. Dann war die Verbindung unterbrochen und sie wusste, dass ihre Freundin sofort beginnen würde, sich in geheime Netze zu hacken.

Dienstagnachmittag, Breitbrunn am Chiemsee

Malerisch lag die alte Scheune des Adelhofer-Hofs auf der kleinen Anhöhe inmitten einer saftigen Sommerwiese. Für Touristen war dieser Anblick normalerweise ein begehrtes Fotomotiv, man hatte von hier oben einen wunderbaren Blick auf den Chiemsee und einen Zipfel der Insel Herrenchiemsee. Für die Adelhofers stellte das Gebäude einen überflüssigen Rest der großen landwirtschaftlichen Vergangenheit dar. Ende des 18. Jahrhunderts hatte ein Urahn die Scheune aus Holz gebaut. Einige Hundert Meter vom Hof entfernt wurde hier das Heu der umliegenden Wiesen gelagert – und Generationen von Adelhofers hatten in der romantischen Abgeschiedenheit ihre Unschuld verloren.

Das lag lange zurück, inzwischen stand die Scheune ungenutzt da und wurde in der Regel nur noch von Mäusen und Mücken bewohnt.

Daher bot die Adelhofer-Höhe heute ein ungewohntes Bild. Mehrere Polizeiwagen hatten tiefe Spuren in die Wiese gegraben. Die ganze Scheune war weiträumig abgesperrt. Geduldig schickten Polizeibeamte ein paar Neugierige weg, die von dem Auftrieb auf der Höhe angelockt worden waren. Gesehen hatten den Tatort bislang nur Kriminalhauptkommissarin Nina Obermann, die Spurensicherung und der Streifenpolizist, den die Bereitschaftspolizei hier vorbeigeschickt hatte, nachdem ein Anrufer die Polizei in Prien über das Verschwinden von Lukas Adelhofer informiert hatte. Der Mann hatte die Scheune ins Spiel gebracht, aber angegeben, selbst nicht dort gewesen zu sein. »Des erspar’ ich mir lieber, ich kann mir vorstellen, wie’s da ausschaut.«

Tatsächlich bot sich ein schrecklicher Anblick: Ein Toter lag inmitten einer riesigen Blutlache auf dem Boden. Eine Leiter führte neben dem Toten auf den oberen Scheunenboden. Von dort schien der Mann gefallen oder gesprungen zu sein, aus circa fünf bis sechs Metern, schätzte die Kommissarin. Der Schädel war am Hinterkopf eingedrückt, Hirnmasse war herausgelaufen. Über den Boden verteilt lagen NATO-Draht und Unmengen von Glasscherben, auf denen der Körper offenbar gelandet war. Wie die Unterseite des Toten aussah, mochte sich Nina Obermann lieber nicht vorstellen. Arme und Beine zeigten aberwitzige Verrenkungen, waren vermutlich mehrfach gebrochen. »Sammelt bitte alle Spuren, Fingerabdrücke, Stoffreste, Essensreste, liegen gelassene Tatwaffen, Abschiedsbriefe und so weiter.« Die genervten Blicke der Kollegen von der Spurensicherung verrieten, dass sie sich nicht gerne ihre Arbeit erklären ließen.

Nina Obermann verließ daher lieber die Scheune. Draußen sah sie eine dunkelblaue Limousine die Anhöhe hochrauschen. Sie grub eine weitere Spur in die Wiese und blieb mit quietschenden Reifen direkt vor der Absperrung stehen. Nina Obermann kannte Robert Adelhofer von den Plakaten, mit denen er zurzeit Werbung für sein Buch machte. An denen kam keiner vorbei. Und der Mann, der dynamisch und mit resolutem Gesichtsausdruck aus dem Auto stieg, war tatsächlich derselbe, der von den Litfaßsäulen grinste. Der Fahrer – gegelte Haare, rosa Sakko – blieb sitzen.

»Was ist hier passiert und wieso darf ich nicht in unsere eigene Scheune?«, schnauzte Adelhofer einen Polizeibeamten an, der ihm den Weg versperrte, als er über das rot-weiße Absperrband steigen wollte.

Nina Obermann ging auf Adelhofer zu und reichte ihm die Hand: »Guten Tag, ich bin Nina Obermann, Kriminalpolizei Rosenheim, wer sind Sie?« Adelhofer erstarrte.

»Das ist der Fernsehmoderator und Buchautor Robert Adelhofer und ich bin sein Manager Achim Wedel. Diese Scheune gehört der Familie Adelhofer, er wird wohl diese Wiese betreten dürfen«, mischte sich der Gegelte ein.

Nina Obermann wandte sich dem Mann zu: »Herr Wedel, ich muss Sie bitten, sich aus der Absperrung zu entfernen. Sie können am Wagen auf Herrn Adelhofer warten. Herr Adelhofer, kommen Sie bitte mit.«

Wedel plusterte sich auf – wodurch sich eine unschöne Rotfärbung in seinem fleischigen Gesicht ausbreitete. Eine kurze Handbewegung und ein Kopfnicken Adelhofers Richtung Auto sorgten allerdings sofort dafür, dass der Manager sich zurückzog.

»Wenn mein eigener Bruder hier drin tot liegt, werde ich wohl das Recht haben, ihn zu sehen.« Mit diesen Worten ging Adelhofer Richtung Scheune.

»Herr Adelhofer, ich kann Ihre Aufregung verstehen. Jemand wie Sie ist es nicht gewohnt, dass andere Ihnen sagen, was Sie zu tun und zu lassen haben. In diesem Fall müssen Sie sich damit abfinden. Zunächst möchte ich wissen, wie Sie darauf kommen, dass der Tote dort drin Ihr Bruder ist? Soweit ich informiert bin, hat man Sie in München angerufen und gebeten hierherzukommen, um einen Toten zu identifizieren. Ihre Eltern sahen sich dazu nicht imstande. Sie sagten uns noch, dass Ihr Bruder mit Ihnen auf einer Pressekonferenz in München gewesen sei?«

Die Kommissarin beobachtete, wie für einen Moment Unsicherheit über Adelhofers Gesicht flackerte.

»Ich weiß natürlich nicht, ob der Tote mein Bruder ist. Und ich finde es ungeheuerlich, wie Sie mich indirekt für verdächtig erklären, nur weil ich den berechtigten Verdacht äußere, der Tote könnte mein Bruder sein. Er war nicht mit auf der Pressekonferenz in München, ich dachte, diese Recherchefähigkeit hätte sogar die Kripo Rosenheim«, fügte Adelhofer spitz hinzu. »Ich habe mir bereits den ganzen Tag Sorgen gemacht, wo er bleibt. Dann ist es doch nachvollziehbar, dass ich bei einem solchen Anruf der Polizei denke, es handelt sich um meinen Bruder. Könnten wir dieses Versteckspiel endlich beenden und in die Scheune gehen?«

»Folgen Sie mir«, erwiderte Nina Obermann knapp.

Adelhofer trottete mit verächtlichem Blick hinter der Kommissarin her. Die glänzend schwarzen Schnürschuhe und die Hosenbeine des grauen Designeranzugs wurden zunehmend von kleinen braunen Dreckspritzern bedeckt, die der stampfende Schritt Adelhofers aus den in die Wiese gegrabenen Fahrrillen emporschleuderte.

Bevor sie die Scheune betraten, nötigte die Kommissarin ihn, sich Plastiküberzüge über seine Schuhe zu streifen. Er tat dies widerwillig und ging mit zunehmend erschrockenem Blick über die Glasscherben und den NATO-Draht zur Leiche.

Dort angekommen wurde Robert Adelhofer kreidebleich und nickte nur kurz auf die Frage, ob es sich bei dem Toten um seinen Bruder Lukas Adelhofer handle. Dann drehte er sich um, verließ schnellstmöglich die Scheune und erbrach sich auf die saftige Sommerwiese der Adelhofer-Höhe.

Dienstagabend, München Haidhausen

»Unglaublich. Du hier? 20 Minuten zu früh? Bist du krank? Ist die Pressekonferenz ausgefallen? Hat RG dich endlich gefeuert?«

»Darf ich erst mal in meiner eigenen Wohnung ankommen? Übrigens, entzückend siehst du aus.« Katharina ging mit einem liebevoll-spöttischen Blick auf sein interessantes Outfit an Oliver vorbei in die Küche und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

Mit dem Fahrrad in der Rushhour vom Bayerischen Hof durch die Münchner Innenstadt nach Haidhausen, wo sie wohnte, war kein Vergnügen.

Aber ihre Wohnung war für Münchner Verhältnisse nicht teuer, hatte drei Zimmer, einen kleinen Balkon und lag direkt am Weißenburger Platz, den sie schon als Kind geliebt hatte. Für keinen Job der Welt würde sie diese Wohnung hergeben. Amüsiert betrachtete sie das Treiben in der Küche.

Oliver war mit der Zubereitung von Kartoffelpuffern beschäftigt. »Ich kann nicht kochen und das ist gut so.« Dieser Spruch prangte auf der einzigen in Katharinas Haushalt verfügbaren Schürze und jetzt auf Olivers Bauch. An den Händen trug er dicke Latexhandschuhe, um sich nicht beim Schälen der Kartoffeln zu schneiden. Zu einer Blutvergiftung würde es nicht kommen. Auf dem Kopf – das hatte ihm vermutlich Svenja aufgeschwatzt – saß eine Baseballkappe mit dem Konterfei von Elyas M’Barek. Der Mann, der ansonsten mit seinen intellektuellen Freunden Free-Jazz-Sessions organisierte, ließ sich für Svenja in die Niederungen der Populär-Unterhaltung herab, Katharina schmunzelte: »War’s schön? Wo ist Svenja überhaupt?«

»Die ist zu euren Nachbarinnen gegangen, um Apfelmus auszuleihen. Als sie festgestellt hat, dass ihr keines mehr dahabt, hat sie einen kleinen Tobsuchtsanfall bekommen und ist gleich zur Problemlösung geschritten – ganz die Mutter.« Oliver grinste.

Im selben Moment klingelte es Sturm. Mit einem kleinen Seufzer ging Katharina zur Wohnungstür. Warum hatte dieses Kind nicht wenigstens ein kleines bisschen von der Gemütsruhe seines Vaters erben können? Tobias’ Langsamkeit war ihr manchmal auf den Geist gegangen, als sie noch zusammen waren. Jetzt wünschte sie sich ab und an etwas davon bei ihrer Tochter.

»Wie, du bist da? Hoffentlich hast du was gegessen, die Kartoffelpuffer sind nur für mich und Oliver.« Mit diesen Worten stürzte Svenja an ihrer Mutter vorbei in die Küche und stellte zwei Gläser Apfelmus auf dem Esstisch ab.

»Ella und Sibylla sind super, die haben mir das Apfelmus geschenkt.« Svenja strahlte.

»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen«, erwiderte Katharina und drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die sommersprossige Stirn. »Und gegessen habe ich noch nichts. Ich werde einfach noch ein paar Kartoffeln schälen und dann reicht es für drei.«

»Aber es gibt kein zweites Paar Handschuhe in diesem mehr als improvisierten Haushalt«, kam es aus Olivers Ecke.

»Ich werde die Kartoffeln unter Einsatz meines Lebens mit nackten Händen schälen«, konterte Katharina. »Wie war der Film, Svenjalein?«

»Spitze«, sagte Svenja, während Oliver über ihren Kopf hinweg den Finger in den Hals steckte und unverkennbare Zeichen starker Übelkeit mimte.

»Einen Lehrer wie den Herrn Müller hätte ich auch gern. Der ist superlustig und soooo cool. War toll, selber schuld, dass du lieber auf deine Versammlung gegangen bist.« Svenjas tiefbraune Augen leuchteten, während sie eingekuschelt in ihre Schmusedecke auf der Eckbank in der Küche saß und erzählte. Sie trug ihr Lieblingsoutfit: rote Latzhose, Tote-Hosen-Shirt (sie kannte die Musik zwar nicht, fand aber den Bandnamen »mega«) und natürlich dieselbe »coole« Kappe auf dem Kopf wie Oliver. Darunter schauten ihre braunen Wuschelhaare heraus. Sie sah zum Knuddeln süß aus.

Zufrieden setzte Katharina sich an den Küchentisch und half, Kartoffeln zu schälen. Offenbar hatte Svenja weniger auf die zum Teil deftige Wortwahl des Films als vielmehr auf Elyas M’Barek geachtet. Umso besser.

»Wolltest du nicht um 21 Uhr im Jazzclub sein? Von Haidhausen bis nach Schwabing brauchst du eine halbe Stunde.« Es war 20.30 Uhr, Oliver lag auf Katharinas Sofa und schenkte sich gerade von dem edlen italienischen Bio-Rotwein nach, den er selbst mitgebracht hatte. Mehr als sechs Euro für eine Flasche Wein auszugeben, lehnte Katharina ab. Billige Weine konnten nach Olivers Meinung zu viele Giftstoffe enthalten, deshalb brachte er seinen Alkohol meist selbst mit. Er hatte Katharinas Schürze inzwischen abgenommen und trug noch sein Job-Outfit – dunkelblaue Bundfaltenhose, blau-weiß gestreiftes Designerhemd. Krawatte und Slipper hatte er ausgezogen. In der Luft hing der Duft nach den Puffern, aus Svenjas Zimmer leuchtete der blaue Plastikbär, eine Lampe, die auf Anweisung der Siebenjährigen die ganze Nacht zu brennen hatte.

»Als großer Adelhofer-Fan kann ich später kommen.« Oliver grinste. »Erzähl.«

Katharina wusste, welch Sakrileg es war, unpünktlich zum wöchentlichen Jazz-Treffen zu kommen. Dass Oliver den Anpfiff für sie in Kauf nahm, rührte sie. Sagen wollte sie das nicht, stattdessen kuschelte sie sich mit einem knappen »rutsch mal« zu seinen Füßen in die Sofaecke, umschloss ihr Rotweinglas mit beiden Händen und begann zu erzählen.

Das Handyklingeln zwei Stunden später erreichte nur Katharinas Mailbox. Oliver war inzwischen nach Schwabing entschwunden und Katharina auf dem Sofa eingeschlafen. »Birgit hier, Lukas Adelhofer ist tot. Die Obduktion zeigt keine Spuren von Fremdeinwirkung. Bin leicht in den Polizeifunk reingekommen.«

Dienstagabend, Breitbrunn am Chiemsee

»Jetzt is’ der Bub tot.« Das war das Einzige, was seit Roberts Ankunft in der Adelhoferküche gesagt worden war. Rosa Adelhofer hatte den Satz in den Raum gestellt. Seit zehn Minuten schwang die traurige Botschaft zwischen ihnen.

Als Erinnerung, dass bis vor Kurzem Normalität geherrscht hatte auf dem Adelhofer-Hof, hing noch der Geruch von angebratenen Zwiebeln in der Küche. Wurstsalat und Bratkartoffeln hatte es zu Mittag gegeben, das Lieblingsessen ihrer drei »Mannsleit«, wie Rosa Adelhofer in glücklicheren Tagen ihren Mann und die beiden Söhne genannt hatte.

Tränen liefen über das faltige Gesicht der alten Bauersfrau. Aus dem ordentlich aufgesteckten Dutt hingen einige graue Haarsträhnen. Nach ihrer Ohnmacht am Nachmittag, als die Polizistin da gewesen war, hatte sie sich ein bisschen hingelegt. Als es ihr besser ging, war sie mechanisch aufgestanden. Sie trug noch immer ihre Kittelschürze, die sie, kurz bevor das Unheil seinen Lauf genommen hatte, zum Kochen über den grünen Lodenrock und die weiße Trachtenbluse gebunden hatte.

Wie ein Relikt aus einer besseren Zeit leuchteten die rosa Blümchen auf der Schürze.

Max Adelhofer blickte starr auf die blau-weiß karierte Tischdecke. Sein wettergegerbtes Gesicht wirkte grau. Die kräftigen Bauernhände, die sonst immer in Bewegung waren, lagen reglos auf dem Tisch. Sein Ehering, auf den die Esstischlampe schien, warf einen kleinen Lichtstrahl an die Wand. Wie um zu sagen, dass die Ehe Bestand hatte, obwohl eins der Kinder, das daraus hervorgegangen war, nicht mehr lebte.

Der Einzige am Tisch, der sich bewegte, war Robert Adelhofer. Sein Handy zeigte alle paar Sekunden mit einem kurzen Ton eine neue Nachricht an. Robert schrieb zurück oder hörte seine Mailbox ab. Der Sender, diverse Zeitungen – alle wollten natürlich Infos über Lukas’ Verbleib. Adelhofer wusste, dass es nicht klug wäre, gleich mit der Presse Kontakt aufzunehmen. Das würde sofort gegen ihn verwendet werden:

»Mitleidloser Bruder«, »Adelhofer will Kapital aus dem Tod seines Bruders schlagen«, »Hat er seinen Bruder auf dem Gewissen?« – die Schlagzeilen sah er vor sich.

Außerdem konnte er es seiner Mutter wohl im Moment nicht antun, Journalisten ins Haus zu holen.

Sein Vater würde darüber wegkommen, sein Wahlspruch war: »Was uns ned umbringt, macht uns stärker.« An einen seiner Söhne hatte er diese Einstellung weitervererbt, der andere war offenbar daran zerbrochen. Zum ersten Mal betrachtete Robert seine Situation und die seines Bruders aus dieser Sicht und war ergriffen von seinen eigenen Gedanken. Das Handy gab einen weiteren Signalton von sich, genervt stellte Robert es stumm.

»Gell, Mama, des mit den Führungen lass ma erstamal bleibn, jetzt tu ma unsern Buben begrabn und dann schauma weiter.« Unbeholfen legte der alte Adelhofer seine Hand auf die seiner Frau und rieb darauf herum, in dem Versuch, Trost zu spenden.

Dienstagnacht, Breitbrunn am Chiemsee

Im Bauernhaus der Adelhofers herrschte Totenstille. Das Erdgeschoss lag im Dunkeln, Kühle kam von den alten Steinplatten in der Eingangshalle. Der lebensgroße heilige Florian, der am linken Ende der Halle in der Ecke stand, war in Umrissen wahrzunehmen. Wie ein Schutz wirkte er nicht, eher wie eine Bedrohung.

Die alten Adelhofers schliefen wohl, es war leicht. Leichter, als sie es sich vorgestellt hatte. Durch das Fenster zur Stube, das gekippt war und Gott sei Dank nach hinten raus ging, konnte sie einsteigen. Zu Lukas’ Zimmer ging es über die Hintertreppe, die nicht knarzte.

Drin empfingen sie das übliche Chaos und ein entsetzlicher Gestank. Teller mit verschimmelten Lebensmitteln überall. Die hatte die Polizei stehen lassen. Sie wusste, dass die hier gewesen war. Sie wollte nur kurz sehen, ob alles nach Plan lief. Der Laptop fehlte. Klar, hatten sie mitgenommen. Würden nichts finden. Auch die Ordner waren nicht da, aber da war nichts Spannendes drin. Sie ging zu dem schweren Bauernschrank und zog mit ihrem Handschuh leicht die Schranktür auf. Das Corpus Delicti war weg. Das hatte Lukas sofort rausgerissen, nachdem sie es ihm gezeigt hatte. Durchgedreht war er, auf den Boden geschmissen hatte er es. Spuren gab es keine im Schrank. Kopien hatten sie. Sie musste grinsen über ihren perfekten Plan. Es lief, wie sie es wollte. Die Polizei wäre sie bald los. Beruhigt konnte sie verschwinden – unbemerkt, wie sie gekommen war. Auf das Haarspray hatte sie an diesem Tag verzichtet, damit der Geruch sie nicht verriet.

Mittwochmorgen, München Haidhausen

Ein leises, penetrant wiederkehrendes Geräusch weckte Katharina. Im Halbschlaf hatte sie das Klingeln einer Eieruhr in ihren Traum eingebaut. In wachem Zustand schlug sie sich diesen Gedanken gleich aus dem Kopf. Es wäre das erste Mal in sieben Jahren, dass Svenja vor ihr aufstand. Und Frühstück machte – absurder Gedanke. Das Brummen musste vom leise gestellten Festnetz-Telefon kommen.

Katharina stieg verschlafen aus dem Bett und meldete sich mit ebensolcher Stimme. Am anderen Ende eine hellwache Birgit. Manchmal hatte Katharina den Verdacht, dass ihre Freundin im Büro übernachtete. Sie könnte ja einen Anruf verpassen oder mitten in der Nacht auf die Idee kommen, einen Computercode zu knacken.

»Hast du deine Mailbox noch nicht abgehört?«

»Nein«, murmelte Katharina irritiert.

»Lukas Adelhofer ist tot, keine Spuren von Fremdeinwirkung. Die Leiche wird in zwei Tagen freigegeben. Sie haben aufgrund von Dringlichkeit direkt für heute die Obduktion angesetzt. Damit der Fall bald geklärt ist und der berühmte Herr Adelhofer nicht lange von der Presse belagert wird. Im Moment gehen sie davon aus, dass Lukas sich auf den Scheunenboden runtergestürzt und vorher NATO-Draht und Glasscherben ausgelegt hat – um auf jeden Fall zu verbluten, falls der Sturz allein ihn noch nicht umbringt. Solche perversen Vorschläge findet man zuhauf im Internet, habe vorhin in den einschlägigen Foren recherchiert, ziemlich eklig das Ganze. Jedenfalls sieht es danach aus, dass am Samstag die Beerdigung ist, Friedhof Breitbrunn am Chiemsee.«

Katharinas erster Gedanke: bitte nicht Samstag.

Das bedeutete einen freien Tag weniger mit Svenja, kein gemütliches Einkaufen – im Sommer liebten sie es besonders, den Samstag zu verbummeln, erst auf dem Markt, danach auf dem Spielplatz oder im Englischen Garten, später bei einem leckeren Abendessen auf dem Balkon. Lecker bedeutete für Svenja Fischstäbchen mit Pommes und ohne Salat, und Seeteufel mit Orangenrisotto und viel Salat, wenn es nach Katharina ging. Egal, beides würde es diesen Samstag nicht geben. Stattdessen: arbeiten. Und das in Breitbrunn am Chiemsee. »Wie kommst du auf die Idee, dass die Beerdigung ausgerechnet am Samstag stattfindet?«, fuhr Katharina inzwischen hellwach ihre Freundin an.

»Weil beautiful Robert clever ist und am Samstag die meisten Leute kommen. Werd’ erst richtig wach, bis später.« Deutlich unterkühlt wurde am anderen Ende der Hörer aufgelegt. Katharina seufzte und beschloss, eine Entschuldigung bei Birgit auf später zu verschieben. Der normale morgendliche Wahnsinn war angesagt. Wie üblich war sie zu spät dran, es führte nichts daran vorbei, demnächst den Wecker auf eine halbe Stunde früher zu stellen. Seit Svenja pünktlich um 8 Uhr in der Schule sein musste, war jeder Morgen die pure Hektik. Das Projekt »wie erkläre ich meiner Tochter, dass ich am Samstag weg bin, und was mache ich mit ihr während dieser Zeit« konnte sie Gott sei Dank vertagen, bis tatsächlich feststand, dass Lukas Adelhofer am Samstag zu Grabe getragen wurde.

Vielleicht war es doch Mord, dann ging es nicht so schnell.

Eineinhalb Stunden später saß sie an ihrem Schreibtisch in der Redaktion und hatte wieder das eigentlich Unmögliche geschafft: Svenja erfolgreich geweckt, in Rekordzeit Müsli mit frischem Obst und gemahlenen Nüssen – ihrer beider Lieblingsfrühstück – gezaubert, selbiges gemeinsam mit Svenja gegessen und sie dabei noch M, N und S vorlesen lassen – die drei neuen Buchstaben, die sie am Vortag gelernt hatte. Danach schnell angezogen, geschminkt (in maximal 90 Sekunden), Svenja in die Schule gebracht, in der Redaktion noch die Zeitungen zum Fall Adelhofer quergelesen, und pünktlich (!) um 9.30 Uhr hatte sie in der Redaktionskonferenz gesessen. Die »Abendausgabe« startete eine große »Robert-Adelhofer-Story«, Untertitel: »Vom Kuhstall am Chiemsee in die glitzernde deutsche Medienwelt«.

Das war ihrem Chef natürlich ein Dorn im Auge.

»Frau Langenfels, Sie haben es sicher gesehen, das Abendblatt zieht Adelhofer groß auf, zehnteilige Serie, aber nur mit altem Material. Die Fotos vom ersten Schultag, das Überleben des Bergwinters – alles tausendmal gesehen. Sie machen es bestimmt anders, wie wir es besprochen hatten, es muss polarisieren. Wir sollten es deutlich größer fahren, jetzt, wo der Bruder tot ist. Am besten wäre mindestens ein Zehnteiler über den wahren Robert Adelhofer, den, den man noch nicht kennt, das Verhältnis zu seinem Bruder, zu den Eltern. Dürfte kein Problem für Sie sein, oder? Gehen Sie auf die Beerdigung, versuchen Sie, nah an ihn ranzukommen, wir wollen nur Insiderinformationen. Sprechen Sie mit der Mutter, dem Vater, den alten Freunden. Wir starten diesen Donnerstag mit einem aktuellen Bericht und mit der Hintergrundstory nächste Woche, einverstanden? Wenn ein paar unerwartete Details vorkommen, wird es polarisieren.« RG grinste zufrieden.