Tausend und eine Nacht - Max Geißler - E-Book

Tausend und eine Nacht E-Book

Max Geißler

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Beschreibung

Illustrierte Fassung für Kinder und Jugendliche "Tausendundeine Nacht" ist die berühmteste Sammlung morgenländischer Erzählungen und zugleich ein Klassiker der Weltliteratur. Von ihrer historischen und literarischen Bedeutung sind sie allenfalls mit den Märchen der Gebrüder Grimm vergleichbar. Null Papier Verlag

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Max Geißler

Tausend und eine Nacht

Der Jugend erzählt

Max Geißler

Tausend und eine Nacht

Der Jugend erzählt

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021Illustrationen: Felix Schulze EV: Enßlin & Laiblin's Verlagsbuchhandlung, o.J. 1. Auflage, ISBN 978-3-962818-64-7

null-papier.de/717

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Vor­wort

Sind­bad der See­fah­rer

Asem und die Kö­ni­gin der flie­gen­den In­seln

Ala­din oder Die Wun­der­lam­pe

Dschan­scha

Der Weg der Nim­mer­wie­der­kehr

Be­lohn­te Freund­schaft

Abu der Faul­pelz

Das Zau­ber­pferd

Abu Nije und Abu Ni­je­tein

Der Sul­tan von Kai­ro

Die nei­di­schen Schwes­tern

Kö­nig für einen Tag

Der Rie­se im Topf

Prinz Achmed und die Fee Pa­ri­ba­nu

Prinz Aschen­put­tel

Der Fi­scher­sohn und die treu­en Tie­re

Der Mann mit dem kal­ten Blu­te

Das Vo­gel­kraut

Wie Hassan, der Schuh­fli­cker, Rich­ter wur­de

Die drei Kö­nigs­söh­ne und der Vo­gel Schrei­hals

Der Rich­ter, der von sei­ner Frau be­lehrt wur­de

Der un­dank­ba­re Kö­nig

Der Strolch und der Koch

Der hab­gie­ri­ge Kauf­mann

Der ge­dul­di­ge Dorf­schul­ze

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

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Ihr

Mär­chen bei Null Pa­pier

Hel­den­sa­gen

An­der­sens Mär­chen

Till Eu­len­spie­gel - Il­lus­trier­te Fas­sung

Die Mär­chen des Wil­helm Hauff

Weih­nach­ten

Grimms Mär­chen

Tau­send­und­ei­ne Nacht - 4 Bän­de - Er­wach­se­ne Mär­chen aus 1001 Nacht

Grimms Sa­gen

Bun­te Mär­chen

Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums

Grimms Mär­chen – Il­lus­trier­tes Mär­chen­buch

Tau­send und eine Nacht

Ali­ce hin­ter den Spie­geln

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Vorwort

Im Mor­gen­lan­de leb­te einst ein Kö­nig, den hat­te das Glück ver­las­sen; dar­über ver­fiel er in eine schwe­re Krank­heit des Geis­tes. Sie­ben Jah­re hat­te er nicht mehr ge­lacht, und selbst als sei­ne Hee­re wie­der sieg­reich, sein Land wie­der reich, sei­ne Schif­fe wie­der see­tüch­tig wa­ren, konn­te er den Froh­sinn von einst doch nicht fin­den.

Er be­rief alle Ärz­te von Ruhm an sei­nen Hof; sie hal­fen ihm nicht.

Da kam nach Jah­ren ein jun­ger Ge­lehr­ter und sag­te: »Herr Kö­nig, Ihr müsst Euch durch tau­send und eine Nacht Ge­schich­ten und Mär­chen er­zäh­len las­sen, und zwar aus ei­nem ein­zi­gen Mun­de, so wird es bes­ser mit Euch wer­den.«

Da war frei­lich gu­ter Rat teu­er; denn wer soll­te tau­send Näch­te lang Ge­schich­ten er­zäh­len?

Zum Glücke hör­te eine alte Frau von die­sem Rate, die kam zum Kö­nig und sag­te: »Ich weiß eine Skla­vin am Hofe des Kö­nigs von Schi­ras; die weiß alle Mär­chen der Welt.«

Da wur­de die Skla­vin ge­holt, und sie er­bot sich, dem kran­ken Sul­tan durch tau­send und eine Nacht hin­durch zu er­zäh­len. Der Sul­tan aber war sehr froh dar­über, be­lohn­te die Alte und ver­sprach, die schö­ne jun­ge Skla­vin zu sei­ner Kö­ni­gin zu er­he­ben, wenn sie ihn durch ihre Er­zäh­lun­gen ge­sund ma­che.

Und der Sul­tan hat sein Wort ge­hal­ten.

Sei­ne Schrei­ber aber ha­ben die Mär­chen in di­cke Bü­cher ge­schrie­ben, und et­li­che von ih­nen sind neu er­zählt in die­sen Band auf­ge­nom­men wor­den.

Und zur Erin­ne­rung dar­an, dass sie vor vie­len hun­dert Jah­ren in tau­send und ei­ner Nacht er­zählt wur­den, tra­gen sie noch heu­te ih­ren Ti­tel.

Sindbad der Seefahrer

Im Mor­gen­lan­de leb­te vor lan­ger Zeit ein jun­ger Mann na­mens Sind­bad. Der hat­te von sei­nen El­tern ein be­trächt­li­ches Ver­mö­gen ge­erbt, ge­riet aber in schlech­te Ge­sell­schaft und ver­schwen­de­te das Geld bis auf einen un­be­trächt­li­chen Rest. Und weil die Reue über eine ver­blen­de­te Tat im­mer erst kommt, wenn’s zu spät ist, so än­der­te sie auch in die­sem Fal­le nichts; aber die Er­kennt­nis sei­ner Tor­heit be­saß der arme Sind­bad in vol­lem Maße, und in vol­lem Maße auch den gu­ten Wil­len, ein bra­ver Mensch zu wer­den und wo­mög­lich mit dem we­ni­gen, was er noch hat­te, sich sein frü­he­res großes Ver­mö­gen zu­rück­zu­er­wer­ben.

Ei­nes Ta­ges ver­kauf­te er al­les, was er an be­weg­li­chen und un­be­weg­li­chen Gü­tern noch be­saß, be­gab sich auf ein Schiff, das ge­ra­de nach Ost­in­di­en se­geln woll­te, und be­gann den Han­del. Wäh­rend der See­rei­se lan­de­te das Schiff an meh­re­ren In­seln, auf de­nen Sind­bad sei­ne Wa­ren mit Nut­zen ver­kauf­te oder da­für wert­vol­le Ge­gen­stän­de ein­han­del­te, und ein­mal über­fiel sie eine so tie­fe Wind­stil­le, dass die Se­gel schlaff von den Mas­ten her­ab­hin­gen und an ein Vor­wärts­kom­men nicht zu den­ken war.

Es war ge­ra­de ein klei­nes Ei­land in der Nähe, das sich nur we­nig über den Spie­gel des Mee­res er­hob und dalag wie eine schö­ne grü­ne Wie­se.

Der Ka­pi­tän ließ die Se­gel ein­zie­hen und er­laub­te der Mann­schaft, an Land zu ge­hen. Auch Sind­bad fand dar­an Ver­gnü­gen; aber wäh­rend die Leu­te von den Be­schwer­den der lan­gen See­fahrt sich aus­ruh­ten, er­zit­ter­te die In­sel plötz­lich und be­gann pfeil­schnell durch die son­ni­ge Flut zu glei­ten. Die Ma­tro­sen spran­gen, so rasch sie konn­ten, ins Was­ser; et­li­che ret­te­ten sich in das Boot, das der Ka­pi­tän ih­nen zu­sand­te, et­li­che fan­den ih­ren Tod in den Wel­len. Und dies wäre auch Sind­bads Schick­sal ge­we­sen, wenn er nicht im letz­ten Au­gen­bli­cke ein Stück Holz er­fasst hät­te, das die Ma­tro­sen für ein Feu­er zum Ko­chen ih­res Mah­les mit auf das Ei­land ge­bracht hat­ten; denn auf ein­mal sank das grün­lich schim­mern­de Land tief und tiefer und war auch schon vie­le See­mei­len von dem Schif­fe ent­fernt, als Sind­bad er­kann­te: es war ein rie­si­ger Wal­fisch, der sich an der Ober­flä­che des Mee­res ge­sonnt hat­te. Der arme Sind­bad trieb nun mit sei­nem Holz auf dem of­fe­nen Mee­re und er­kann­te, dass er die Be­schwer­den die­ser selt­sa­men Fahrt nicht län­ger als bis zu Son­nen­un­ter­gang wür­de er­tra­gen kön­nen; und so be­fahl er sich sei­nem Got­te und sah tie­fe Fins­ter­nis über sein Auge sin­ken.

Es war aber nicht der Tod, son­dern es war die Nacht, und ein sanf­ter Wind trieb ihn als­bald an den Strand ei­ner In­sel. Dort ver­sank er in einen tod­ähn­li­chen Schlaf, und als er am an­de­ren Mor­gen er­wach­te, war we­der von sei­nem noch von ei­nem an­de­ren Schif­fe et­was zu se­hen. Müh­sam schlepp­te er sich durch das Strauch­werk, um et­li­che ge­nieß­ba­re Kräu­ter zu su­chen; und wie er ge­ges­sen hat­te, kam er auf ein frucht­ba­res Stück Land mit köst­li­chem Gras­wuchs, dar­auf wei­de­te ein Foh­len, des­sen stol­ze Schön­heit es ei­nes Kö­nigs wert er­schei­nen ließ.

Nicht lan­ge, so ver­nahm der See­fah­rer auch die Stim­me ei­nes Man­nes, der aus ei­ner gra­b­ähn­li­chen Ver­tie­fung trat und den Ver­irr­ten frag­te, wer er wäre. Sind­bad er­zähl­te ihm sein Aben­teu­er, und der Mann führ­te ihn in eine Höh­le, in wel­cher sich meh­re­re Knech­te be­fan­den. Die ga­ben ihm zu es­sen und er­zähl­ten, dass sie all­jähr­lich um die­se Zeit des Kö­nigs Stu­ten in der Ein­sam­keit die­ser In­sel auf die Wei­de füh­ren müss­ten.

Am an­de­ren Tage reis­ten die Knech­te mit ih­ren Ros­sen heim, und Sind­bad fuhr mit ih­nen; ihr Kö­nig aber war Ma­ha­r­a­d­jah von In­di­en.

So kam Sind­bad in das Land sei­ner Sehn­sucht, und als er ei­nes Ta­ges im Ha­fen spa­zier­te, lan­de­te ge­ra­de ein Schiff – und sie­he da, es war je­nes, das er einst hat­te un­frei­wil­lig ver­las­sen müs­sen. Er ge­lang­te also wie­der in den Be­sitz sei­ner Gü­ter, be­gann so­fort sei­nen Han­del auf­zu­neh­men, und als er ge­nü­gend ver­dient hat­te, schiff­te er sich mit neu­en Wa­ren wie­der ein; er nahm Aloe, San­del­holz, Kamp­fer, Mus­kat­nüs­se, Ge­würz­näg­lein,1 Pfef­fer und Ing­wer in großen Vor­rä­ten mit, lan­de­te auf dem See­we­ge an meh­re­ren In­seln und ver­mehr­te sein Ver­mö­gen durch Kauf und Ver­kauf, so­dass er schon von die­ser Rei­se als ein leid­lich wohl­ha­ben­der Mann wie­der in Bag­dad ein­traf. Dort woll­te er nun le­ben; aber die Mü­ßig­keit sei­ner Tage be­hag­te ihm nicht lan­ge, son­dern er be­kam wie­der Lust, aufs neue übers Meer zu rei­sen und zu han­deln.

Er er­sah sich also ein gu­tes Fahr­zeug und stach in See.

Ei­nes Ta­ges lan­de­te das Schiff an ei­ner öden In­sel, die zwar ei­ni­gen Baum­wuchs zeig­te, aber we­der Häu­ser noch Be­woh­ner zu ha­ben schi­en.

Sind­bad, der ein Stück land­ein­wärts wan­der­te, leg­te sich am Ufer ei­nes Ba­ches zum Schla­fe, nach­dem er eine gute Mahl­zeit ge­hal­ten hat­te. Aber als er er­wach­te, er­staun­te er nicht we­nig; denn das Schiff, das vor­her ru­hig vor An­ker ge­le­gen hat­te, war nicht mehr da. Er rief, aber kei­ner der Kauf­leu­te oder Ma­tro­sen, die mit ihm an Land ge­gan­gen, gab Ant­wort. Und ganz fer­ne am Ho­ri­zont ver­schwan­den die wei­ßen Se­gel des Fahr­zeugs wie eine entei­len­de Möwe.

Sind­bad, wie er sich also be­tro­gen sah, ward von großem Schmer­ze be­fal­len, warf sich auf die Erde und klag­te sich hun­dert­mal der Hab­gier an, die ihn da­heim nicht hat­te ru­hen las­sen.

End­lich stieg er auf eine sehr hohe Pal­me, um einen Über­blick über das Land zu ge­win­nen; da be­merk­te er in wei­ter Fer­ne et­was Wei­ßes, das er sich nicht an­ders er­klä­ren konn­te, als dass es ein Haus sei. Er raff­te zu­sam­men, was er noch an Nah­rungs­mit­teln be­saß, und wan­der­te dem ver­meint­li­chen Hau­se zu. Als er aber in die Nähe kam, be­merk­te er: es war eine wei­che wei­ße Ku­gel von rie­si­gem Um­fan­ge; denn sie hat­te einen Durch­mes­ser von fünf­zig Schrit­ten.

Wäh­rend der un­glück­li­che See­fah­rer noch im­mer rat­los da­stand, ver­fins­ter­te sich plötz­lich der Him­mel, als gin­ge die Son­ne un­ter. Es war aber nicht die sin­ken­de Nacht, son­dern ein mäch­ti­ger Vo­gel, der sei­ne Schwin­gen vor der gol­de­nen Schei­be des Him­mels dehn­te, her­an­flog und sich auf die große wei­ße Ku­gel setz­te.

»Aha«, dach­te Sind­bad, »das ist der Vo­gel Roch, von dem die Schiffs­leu­te so viel zu er­zäh­len wis­sen; und die große wei­ße Ku­gel ist sein Ei, das er aus­brü­ten will. Wie wär’s, wenn ich die­sen Vo­gel Roch zu mei­nem Schif­fe mach­te?«

Der Vo­gel Roch hat­te das eine Bein ge­ra­de an der Sei­te des Eies her­ab­hän­gen, an wel­cher Sind­bad stand; und die­ses Bein war fast so dick wie ein mä­ßi­ger Baum­stamm.

Ge­dacht, ge­tan!

Wäh­rend es Nacht wur­de, nahm Sind­bad einen Strick aus der Ta­sche, schleif­te sich fest an das Bein des wun­der­sa­men Vo­gels und dach­te: »Ein­mal muss er das Ei doch ver­las­sen, und wenn ich auch nicht weiß, wo­hin er mich trägt – trost­lo­ser als die­se In­sel kann mein Auf­ent­halt un­mög­lich wer­den. Also, gu­ten Mut, Sind­bad!«

Kaum grau­te der Tag, so er­hob sich der Vo­gel Roch und stieg ker­zen­ge­ra­de ge­gen den Him­mel em­por. So hoch, dass Sind­bad die Erde als­bald nicht mehr se­hen konn­te. Da­rauf stürz­te er sich mit sol­cher Schnel­le her­ab, dass dem ar­men Man­ne Hö­ren und Se­hen ver­ging. Als er aber die Erde un­ter sich fühl­te, knüpf­te Sind­bad rasch den Kno­ten auf, mit dem er sich an des Vo­gels Fuße be­fes­tigt hat­te, und sah, wie der Vo­gel Roch mit sei­nem Schna­bel nach ei­ner Schlan­ge hieb, die eine un­er­hör­te Län­ge hat­te. Da­mit flog er da­von.

Sind­bad be­fand sich nun in ei­nem tie­fen Tale, und die Ber­ge rings­um wa­ren so hoch, dass sie mit ih­ren Gip­feln in die Wol­ken rag­ten. Und der arme Sind­bad dach­te: »Da habe ich wohl noch ein schlech­te­res Ge­schäft ge­macht, als mit der öden In­sel.«

Er be­gann nun, das Land um­her zu be­trach­ten. Da be­merk­te er zu sei­ner Ver­wun­de­rung Dia­man­ten, so groß wie die Er­däp­fel. Die la­gen da um­her wie Stei­ne und glänz­ten hel­ler als ge­fal­le­ne Ster­ne.

Aber sei­ne Freu­de an dem Reich­tum des Ta­les ver­ging, als er in der Fer­ne eine große An­zahl Schlan­gen er­kann­te; von de­nen war jede so dick, dass sie einen Ele­fan­ten hät­te ver­schlin­gen kön­nen, wenn nur ei­ner da­ge­we­sen wäre; und Sind­bad mach­te sich mit dem Ge­dan­ken ver­traut, dass er nun wohl an die Stel­le des Ele­fan­ten tre­ten müs­se. Zum Glück sah er, dass die Schlan­gen sich in ihre Höh­len zu­rück­zo­gen, weil es Tag wur­de; denn sie fürch­te­ten den Vo­gel Roch.

An die­sem Tage schritt Sind­bad gan­ze Weg­stre­cken lang auf glei­ßen­den Dia­man­ten, ohne die ge­rings­te Lust zu ha­ben, ei­ni­ge da­von auf­zu­he­ben, und je­der wäre doch ein Kö­nig­reich wert ge­we­sen. Aber die Nacht war schon wie­der auf dem Wege; denn weil die Ber­ge so him­mel­hoch wa­ren, ver­barg sich die Son­ne sehr rasch; und weil Sind­bad kei­nen Aus­weg aus dem Tale sah, er­späh­te er eine Höh­le zur Nachtru­he, kroch hin­ein und ver­schloss sie mit ei­nem Stei­ne. Nicht lan­ge, da ver­nahm er das Glei­ten der Rie­sen­schlan­gen drau­ßen, die ein­an­der mit furcht­ba­rem Zi­schen be­geg­ne­ten; jene Nacht ge­hör­te dar­um nicht zu den An­nehm­lich­kei­ten im Le­ben des See­fah­rers.

Er ver­moch­te kein Auge zu schlie­ßen und war froh, als die Son­ne end­lich einen Schein durch den Spalt am Tür­stein der Höh­le warf. Um die­se Zeit schritt er her­aus, aß noch den Rest sei­nes Mah­les und lehn­te sich zum Schla­fen an einen Fel­sen.

Kaum hat­ten sich sei­ne Li­der ge­senkt, als et­was mit großem Geräusche ne­ben ihm nie­der­fiel, das ihn jäh aus dem Schlum­mer riss. Es war ein großes Stück ro­hes Fleisch, und zu­gleich er­kann­te er, dass an den Hän­gen des Ta­les noch an­de­re und grö­ße­re Stücke her­ab­roll­ten.

»Dies ist also je­nes Tal der Dia­man­ten, von de­nen mir die Kauf­leu­te auf dem Schif­fe er­zählt ha­ben«, dach­te Sind­bad. Er hat­te die Ge­schich­te da­mals für ein Mär­chen ge­hal­ten; denn sie lau­te­te: »Das Tal der Dia­man­ten ist so tief und die Ber­ge rings­um­her sind so steil, dass kein Mensch hin­ab­stei­gen kann, um das edle Ge­stein zu ge­win­nen. Wer sich nun in den Be­sitz der Dia­man­ten set­zen will, der muss von den Gip­feln der Ber­ge große Stücke Fleisch in das Tal rol­len, dann kom­men die Ad­ler und tra­gen das Fleisch ih­ren Jun­gen in die Nes­ter auf den Gip­fel. An je­dem Stücke Fleisch aber sind et­li­che Dia­man­ten des Tal­grun­des hän­gen ge­blie­ben; und wer nun die Ad­ler von ih­rem Hors­te scheucht, der fin­det die Dia­man­ten.«

Was Sind­bad ge­fürch­tet hat­te, traf also zu: es gab kei­nen Aus­weg aus die­sem fürch­ter­li­chen Tale des To­des! Aber die Stun­de, die ihm die Be­stä­ti­gung die­ser Er­kennt­nis brach­te, er­füll­te ihn zu­gleich mit der gan­zen Freu­de köst­li­cher Hoff­nung. »Wie?« frag­te er sich, »hat mich nicht der Vo­gel Roch vie­le Mei­len durch die Luft ge­tra­gen? Und soll­te den Ad­lern die­ser Ber­ge nicht mög­lich sein, mich em­por­zu­schlep­pen zu je­nen Gip­feln?«

Er hat­te die­sen Ge­dan­ken kaum zu Ende ge­dacht, so band er sich auch schon das längs­te Stück des her­ab­ge­roll­ten Flei­sches auf den Rücken, sam­mel­te in Eile sei­nen le­der­nen Spei­se­sack voll der schöns­ten Dia­man­ten, schlang die­sen fest an sei­nen Gür­tel und leg­te sich auf den Bauch ins Gras.

Es wa­ren noch nicht fünf Mi­nu­ten ver­gan­gen, so ge­sch­ah ein Brau­sen in der Luft. Das kam von den Ad­lern, die sich gie­rig auf das Fleisch stürz­ten, das da um­her­lag; und der stärks­te un­ter ih­nen pack­te das größ­te mit sei­nen Fän­gen und trug Sind­bad samt dem Flei­sche zu sei­nem Horst.

Die Kauf­leu­te, die in der Nähe der Nes­ter auf der Lau­er la­gen, schlu­gen nun einen großen Lärm, bis sie die Ad­ler ver­scheucht hat­ten, und als­bald nä­her­te sich ei­ner dem Fle­cke, auf dem Sind­bad hock­te.

Na­tür­lich wun­der­te sich der Kauf­mann nicht we­nig, einen Men­schen in die­ser Ge­gend zu fin­den; und wie sie alle im Krei­se stan­den, staun­ten sie über die un­er­hör­te Dreis­tig­keit, mit der der See­fah­rer sei­ne List aus­ge­führt hat­te.

Sind­bad fühl­te sich aber nicht recht wohl im Be­sit­ze sei­ner Dia­man­ten; denn er dach­te: »Nun wer­den Sie mit Über­macht sich auf mich stür­zen und mich mei­nes kost­ba­ren Gu­tes be­rau­ben.« Dem war aber nicht so; denn je­dem Kauf­mann war ein be­stimm­tes Nest zu­ge­teilt, an des­sen In­halt die an­de­ren kein recht hat­ten. Und je­ner, der den Sind­bad statt der Dia­man­ten in sei­nem Hors­te ent­deck­te, hät­te für dies­mal das Nach­se­hen ge­habt, wenn Sind­bad nicht sei­nen Beu­tel auf­ge­tan und ge­sagt hät­te: »Da wäh­le dir einen der hells­ten Stei­ne, ich will ihn dir schen­ken!«

Der Glanz, der aus dem Beu­tel fiel, war leuch­ten­der als der Glanz der Son­ne und brach in ihre Au­gen, dass sie die Li­der sen­ken muss­ten; wa­ren sich doch alle ei­nig, dass sie so kost­ba­res Ge­stein an dem Hofe kei­nes Kö­nigs ge­se­hen hät­ten. Der Kauf­mann be­gnüg­te sich da­mit, einen ein­zi­gen von den Dia­man­ten Sind­bads für sich aus­zu­wäh­len, und Sind­bad for­der­te ihn auf, einen grö­ße­ren zu neh­men.

»Ach«, sag­te der glück­li­che Mann, »ich habe an die­sem einen ge­nug; denn er al­lein ist ein Kö­nig­reich wert.«

Des an­de­ren Ta­ges reis­ten sie über die Ber­ge von dan­nen, wo sie noch vie­le rie­si­ge Schlan­gen tra­fen, de­nen sie je­doch glück­lich ent­gin­gen. Sie er­reich­ten nach ei­ni­gen Wan­der­ta­gen einen Ha­fen und fuh­ren von da zu ei­ner In­sel, auf der in da­ma­li­ger Zeit ein Baum wuchs, aus de­nen die Men­schen den Kamp­fer ge­wan­nen. Die­ser Baum war so groß, dass sich in sei­nem Schat­ten tau­send Men­schen la­gern konn­ten. Nach­dem Sind­bad noch ei­ni­ge Han­dels­ge­schäf­te ab­ge­schlos­sen hat­te, reis­te er wie­der heim nach Bag­dad.

Nicht lan­ge hat­te er dort ge­ses­sen, so be­fand er sich wie­der auf dem Welt­mee­re, und ein wil­der Sturm er­fass­te dies­mal das Schiff, so­dass der Ka­pi­tän ge­zwun­gen war, eine In­sel an­zu­lau­fen, an der er viel lie­ber vor­über­ge­se­gelt wäre; denn jene In­sel war von ei­ner zahl­lo­sen Men­ge scheuß­li­cher Zwer­ge be­wohnt. Das wa­ren zwei Fuß hohe, be­haar­te Ge­sel­len, de­ren je­den ein Mann sich leicht vom Lei­be hal­ten konn­te. Aber sie ka­men in Scha­ren wie die Heuschre­cken, war­fen sich schon ins Meer, als sie das Schiff er­blick­ten, klet­ter­ten dar­an em­por wie die Rat­ten und wa­ren läs­ti­ger als ein Schwarm von Hor­nis­sen.

Aber der Ka­pi­tän hat­te ge­warnt, einen der Zwer­ge zu tö­ten; denn sonst wür­den die an­de­ren über die Schiffs­leu­te her­fal­len und nicht eher ru­hen, bis der letz­te der Mann­schaft ver­nich­tet sei.

Der Ka­pi­tän hat­te von Stun­d’ an kein Kom­man­do mehr auf sei­nem Schif­fe. Die Zwer­ge rich­te­ten das Steu­er, lan­de­ten und nö­tig­ten alle, die an Bord wa­ren, an Land zu ge­hen; das Schiff aber führ­ten sie nach ei­ner an­de­ren In­sel drau­ßen im Ozean.

Die Mann­schaft und die Rei­sen­den er­war­te­ten nun einen si­che­ren Tod. Alle gin­gen ein Stück land­ein­wärts und ka­men zu ei­nem großen Ge­bäu­de; das Tor tat sich auf, und sie tra­ten in einen Hof, dar­in la­gen auf der einen Sei­te sehr vie­le Men­schen­kno­chen, auf der an­de­ren eine Men­ge Brat­spie­ße. Kein Mensch konn­te von die­sem schreck­li­chen Orte flie­hen; denn das Tor hat­te sich mitt­ler­wei­le laut­los ge­schlos­sen.

Als die Son­ne un­ter­ging, trat mit mäch­ti­gem Geräusche ein Mann aus dem Hau­se, der war so groß wie ein Palm­baum, hat­te lan­ge Haa­re am Lei­be und auf der Stirn ein Auge, das glüh­te wie eine hei­ße Koh­le. Lan­ge Zäh­ne rag­ten aus sei­nem Mun­de her­vor, die Ober­lip­pe war ge­spal­ten wie bei ei­nem Ka­mel, und die Un­ter­lip­pe hing ihm bis auf die Brust her­nie­der. Sei­ne Ohren wa­ren wie die ei­nes Ele­fan­ten, und an den Fin­gern sa­ßen ihm Nä­gel wie die Klau­en ei­nes Ad­lers.

Das Un­ge­heu­er er­griff Sind­bad und dreh­te ihn um und um – wie der Schläch­ter einen Ham­mel. Als der Rie­se aber sah, dass er sehr ma­ger war, ließ er ihn los. So prüf­te er auch all die an­de­ren, und weil er er­kann­te, dass der Ka­pi­tän un­ter den An­kömm­lin­gen am bes­ten ge­nährt war, steck­te er ihn an einen Spieß und briet ihn über dem Feu­er. Dann ver­schwand er mit dem Bra­ten in sei­nem Hau­se und ver­zehr­te ihn zum Abend­brot.

Am nächs­ten Mor­gen öff­ne­te der Rie­se das Tor und schick­te die Män­ner auf die In­sel, da­mit sie sich Nah­rung such­ten. Als aber der Abend kam, wur­den sie alle von ei­ner un­sicht­ba­ren Ge­walt wie­der im Hofe des Schre­ckens zu­sam­men­ge­trie­ben, der Rie­se kam, wähl­te sich den Fet­tes­ten und ver­zehr­te ihn zum Abend­bro­te.

Am drit­ten Tage ge­sch­ah es wie zu­vor. Da sprach Sind­bad zu sei­nen Ge­nos­sen: »Es sind vie­le sehr schö­ne hohe Bäu­me an die­sem Stran­de. Wir wol­len uns heim­lich Flö­ße da­von bau­en und mor­gen von die­sem Stran­de flie­hen; denn hier war­tet der Tod si­che­rer auf uns als drau­ßen auf der ho­hen See.«

Sie mach­ten sich als­bald an die Ar­beit und wa­ren ge­ra­de fer­tig da­mit, als die un­sicht­ba­re Ge­walt sie wie­der in den Hof des Rie­sen trieb – alle muss­ten ihr fol­gen, wie die Nä­gel ei­nem Ma­gnet. Der Rie­se wähl­te sich aber­mals einen zum Mah­le aus und leg­te sich da­nach schla­fen. Als sie ihn drau­ßen schnar­chen hör­ten, sag­te Sind­bad: »Es ist zwar ver­bo­ten, einen Men­schen zu tö­ten – aber die­ser ist ein Mör­der. Kommt, glü­het die Brat­spie­ße und stoßt sie ihm ins Auge, da­mit wir frei wer­den!« Neun un­ter den Män­nern hat­ten Mut zu die­ser Tat, sie hiel­ten die Spit­zen der um­her­lie­gen­den Spie­ße in die Flam­me, schli­chen sich in das Schlaf­ge­mach des Rie­sen und stie­ßen ihm die glü­hen­den Ei­sen ins Auge.

Mit ei­nem furcht­ba­ren Ge­brüll er­hob sich der Wil­de und griff mit den Hän­den um sich, aber es ge­lang ihm nicht, einen sei­ner Pei­ni­ger zu fas­sen. Die flo­hen alle zum Stran­de, wo die Flö­ße la­gen, und war­te­ten auf das ers­te Licht, um zu ent­flie­hen. Aber noch ehe sie die schwan­ken Fahr­zeu­ge auf dem Was­ser hat­ten, nah­te auch schon der Rie­se, ge­führt von zwei gleich­großen schreck­li­chen Ge­sel­len … Da tat die höchs­te Eile not, und nicht lan­ge, so stie­ßen die Flö­ße vom Lan­de und schos­sen un­ter kräf­ti­gen Ru­der­schlä­gen hin­aus ins Meer. Aber die Rie­sen bra­chen Fels­stücke los, schleu­der­ten sie den Flie­hen­den nach und war­fen so ge­schickt, dass alle Flö­ße zer­trüm­mert wur­den – bis auf ei­nes. Die Schiffs­leu­te auf den an­de­ren muss­ten er­trin­ken, und nur die drei je­nes am wei­tes­ten ent­fern­ten Fahr­zeugs blie­ben heil. Un­ter die­sen be­fand sich Sind­bad.

Als die Ge­ret­te­ten nun aufs hohe Meer steu­er­ten, er­fass­te sie als­bald ein Sturm und warf sie an eine In­sel.

Ver­geb­lich such­ten sie auch hier nach Men­schen; als aber der Abend nah­te, kroch eine Schlan­ge, lang und schup­pig wie ein Palm­baum, des We­ges und ver­zehr­te die Beglei­ter Sind­bads, und auch er wäre dem Un­ge­tüm zum Op­fer ge­fal­len, hät­te er sich nicht auf eine List be­son­nen. Rasch trug er zu sei­nem Ver­ste­cke – ei­ner klei­nen Fel­sen­höh­le – einen Hau­fen dür­res Rei­sig, leg­te es dicht vor den Ein­gang und schlug Feu­er. Die gan­ze Nacht hin­durch ließ er eine Flam­me aus dem Rei­sig em­por­zün­geln, und im Grau­en des Ta­ges sah er ein Schiff vor­über­se­geln. Er klet­ter­te auf einen Fel­sen, er schrie, er gab Zei­chen al­ler Art – doch sei­ne Be­mü­hun­gen wa­ren ver­ge­bens. Elen­den To­des zu ster­ben schi­en sein Los.

Da in der höchs­ten Not be­sann er sich auf sei­ne Dia­man­ten, die er noch in dem Le­der­beu­tel am Gür­tel trug. Er hielt einen der ed­len Stei­ne in das Licht der auf­ge­hen­den Son­ne – und sieh, und sieh! Wie der strah­len­de Glanz ei­ner zwei­ten Son­ne flog es übers Meer! Da staun­ten die Schiffs­leu­te und steu­er­ten dem hei­ßen schö­nen Lich­te nach.

So wur­de Sind­bad ge­ret­tet und kam auch dies­mal glück­lich heim in sei­ne Va­ter­stadt Bag­dad. Aber die Genüs­se und Ver­gnü­gun­gen, de­nen er sich nach den Stra­pa­zen sei­ner drit­ten Rei­se hin­gab, ver­moch­ten ihn nicht lan­ge zu fes­seln. Er be­gab sich als­bald nach Per­si­en und schiff­te sich von Neu­em ein. In ei­nem Un­wet­ter war der Ka­pi­tän ge­zwun­gen, die Se­gel zu strei­chen, die Mas­ten zu kap­pen, und nicht lan­ge da­nach lief das Schiff auf ein Riff und zer­schell­te. Am Stran­de be­fan­den sich zum Glücke Quel­len und Früch­te, und die zu Tode er­schöpf­te Mann­schaft konn­te wie­der zu neu­en Kräf­ten kom­men.

Kaum er­schi­en die Son­ne des nächs­ten Ta­ges, so mach­te sich Sind­bad mit fünf sei­ner Ge­fähr­ten auf; denn sie hat­ten von ih­rem Fel­sen aus mensch­li­che Woh­nun­gen ge­se­hen. Als sie sich de­nen nä­her­ten, brach eine Schar schwar­zer, wil­der Men­schen dar­aus her­vor, um­ring­te die Frem­den und ge­lei­te­te sie un­ter großem Freu­den­ge­heul in eine der Hüt­ten. Dort setz­ten sie ih­ren wei­ßen Gäs­ten ein sehr wohl­schme­cken­des Kraut vor, von dem die­se in ih­rem Hun­ger aßen. Sind­bad aber, der eine List wit­ter­te, weil er merk­te, dass die Schwar­zen die Spei­se ver­schmäh­ten, kos­te­te nur ein we­nig da­von, und bald wur­de er ge­wahr, dass der Ge­nuss des Krau­tes sei­nen Ge­nos­sen den Ver­stand voll­stän­dig ver­wirr­te. Sie ge­bär­de­ten sich wie trun­ken und aßen nun große Men­gen Reis, der mit Ko­kos­öl zu­be­rei­tet war, und den die Wil­den nur reich­ten, um die Frem­den zu mä­s­ten.

Sind­bad, der als der ein­zi­ge sei­nen kla­ren Ver­stand be­hal­ten hat­te, er­kann­te sein trau­ri­ges Schick­sal, und die Not sei­ner Tage mach­te ihn fast zum Ske­lett. Da­rum ver­schon­ten ihn auch die Wil­den und trös­te­ten sich mit der Hoff­nung, dass auch die­ser eine in spä­te­rer Zeit ih­nen noch einen gu­ten Bis­sen lie­fern soll­te, jetzt aber ga­ben sie nur we­nig auf ihn acht.

Ei­nes Ta­ges hat­ten die Wil­den ihre Hüt­ten ver­las­sen, nur ein paar alte Frau­en wa­ren zu­rück­ge­blie­ben, da sah Sind­bad die Stun­de sei­ner Flucht ge­kom­men. Er ent­wisch­te, und als die Frau­en nach ihm rie­fen, ver­dop­pel­te er sei­ne Schrit­te und lief, bis die Nacht her­ein­brach.

Sie­ben Tage ging er so in ei­nem fort und leb­te von Ko­kos­nüs­sen, die er am Wege fand. Am ach­ten kam er zum Stran­de des Mee­res und be­merk­te plötz­lich einen Men­schen, der Pfef­fer­früch­te sam­mel­te. Der führ­te Sind­bad zu sei­nen Ge­nos­sen, und mit ih­nen ver­ließ er we­ni­ge Tage dar­auf die ge­fähr­li­che In­sel.

Am drit­ten Mor­gen lan­de­te das Schiff an ei­nem frucht­ba­ren Ei­lan­de, auf dem eine sehr schö­ne Stadt stand. Man führ­te Sind­bad zum Kö­ni­ge, der ihn freund­lich emp­fing und ihn auf­for­der­te, mit ihm um die In­sel zu rei­ten. Da be­merk­te der See­fah­rer, dass in die­sem klei­nen Rei­che je­der ohne Sat­tel, ohne Bü­gel und Zü­gel zu Pfer­de saß. »Ei«, sprach er, »das ist ein selt­sa­mer Brauch. Herr Kö­nig, ich will Euch da­für et­was Bes­se­res zei­gen!«

Er stell­te also einen Sat­tel her, pols­ter­te ihn und be­zog ihn mit wei­chem Le­der; er flocht einen Zü­gel und ließ von ei­nem Schmie­de ein Paar Steig­bü­gel an­fer­ti­gen.

Dem Kö­ni­ge, der da von all die­sen Din­gen nichts wuss­te, ge­fiel die neue Art zu rei­ten sehr wohl. Er be­lohn­te Sind­bad reich­lich und er­nann­te ihn so­fort zu sei­nem Staats­mi­nis­ter. Da­mit Sind­bad das Reich des In­sel­kö­nigs aber nicht so bald wie­der ver­las­se, schenk­te ihm die­ser das schöns­te jun­ge Mäd­chen zum Wei­be.

Nun ge­sch­ah es bald da­nach, dass die Frau ei­nes vor­neh­men Man­nes ge­stor­ben war; Sind­bad ging zu ihm, um ihm ei­ni­ge Wor­te des Tros­tes zu sa­gen, aber der vor­neh­me Mann blieb trau­rig und sprach: »Was nützt mir dein Trost, mein lie­ber Mi­nis­ter Sind­bad, da ich mor­gen doch ster­ben muss?«

»Ei«, ent­geg­ne­te Sind­bad, »du bist ja frisch und ge­sund. Wa­rum soll­test du denn mor­gen zu Tode kom­men?«

»Und es wird doch ge­sche­hen«, er­griff der an­de­re wie­der das Wort; »denn hier­zu­lan­de ist es Ge­setz und Sit­te, dass die Frau dem Man­ne, der Mann der Frau in das Grab folgt.«

Sind­bad ließ sich das noch ein­mal sa­gen; denn er hat­te auf all sei­nen Fahr­ten nie von die­sem wun­der­li­chen Brau­che ge­hört. Und am an­de­ren Tage muss­te er se­hen, dass sie die Tote zu Gra­be tru­gen. Das Grab lag auf ei­nem ho­hen Ber­ge. Als man die Lei­che hin­ab­ge­senkt hat­te, setz­te sich der vor­neh­me Mann auf eine Bah­re, man stell­te einen Krug Was­ser ne­ben ihn und reich­te ihm sie­ben klei­ne Bro­te. Da­nach glitt auch die­se Bah­re in die Tie­fe.

Sind­bad, weil er Mi­nis­ter war, hielt so­fort eine Kon­fe­renz mit dem Kö­ni­ge; aber der Kö­nig zog die Ach­seln und sag­te: »Mein lie­ber Mi­nis­ter Sind­bad, an die­ser schö­nen Ge­pflo­gen­heit ist nichts zu än­dern; und mir selbst und dir auch wird es so er­ge­hen wie je­nem vor­neh­men Man­ne, wenn un­se­re Frau­en vor uns ster­ben.«

Von Stun­d’ an ward Sind­bad sehr nach­denk­lich und ver­wünsch­te das Ge­schenk, das ihm der Kö­nig in je­nem jun­gen Wei­be ge­macht hat­te. Er be­ob­ach­te­te die Frau aufs sorg­sams­te, und je­des Un­wohl­sein er­füll­te ihn mit Grau­en und Furcht. Ei­nes Ta­ges klag­te sie über hef­ti­ge Schmer­zen; Ärz­te wur­den ge­holt, alle Mit­tel wur­den ver­sucht – ver­geb­lich: die jun­ge Frau konn­te ihr La­ger nicht mehr ver­las­sen, und nach sie­ben Ta­gen war sie tot.

»Das ist eine schö­ne Ge­schich­te«, dach­te Sind­bad; denn er stell­te Be­trach­tun­gen sehr trüb­se­li­ger Art an. Aber es fiel ihm nichts ein, wo­durch er sich hät­te aus sei­ner üb­len Lage be­frei­en kön­nen. So kam der drit­te Tag her­an und mit ihm das Be­gräb­nis; der Kö­nig und alle Vor­neh­men der Stadt ga­ben der To­ten das Ge­lei­te zu dem Brun­nen auf der Spit­ze des Ber­ges, in den sie und ihr über­le­ben­der Gat­te ver­senkt wer­den soll­ten. Sind­bad schritt tod­blei­chen An­ge­sichts dicht hin­ter der Bah­re, und so sehr er noch auf die­sem letz­ten Gan­ge den Kö­nig bat, ge­gen ihn das har­te Ge­setz die­ses Lan­des nicht an­zu­wen­den – es half nichts; denn der Kö­nig mein­te, er sei der ers­te Die­ner des Staa­tes und müss­te das Ge­setz vor al­lem er­fül­len.

Zu­erst senk­te man die Tote in den Schacht der tie­fen Grot­te, dann setz­te sich Sind­bad auf die für ihn be­reit­ste­hen­de Bah­re, emp­fing sei­nen Krug Was­ser und die sie­ben klei­nen Bro­te, und lang­sam, lang­sam glitt die Bah­re an Stri­cken in die Fins­ter­nis. Dann wur­de der Stein über der Brun­nen­öff­nung ge­schlos­sen. »Wäre es nicht bes­ser, die Stirn an den Schrof­fen der Wän­de ein­zu­sto­ßen«, dach­te Sind­bad, »als in die­ser furcht­ba­ren Nacht zu ver­hun­gern?« Er tas­te­te mit sei­nen Hän­den und fühl­te Lei­chen um sich her. Aber die Lie­be zum Le­ben war zu groß in ihm – er er­griff den Krug und trank, er fand die Bro­te und aß da­von.

So war die drit­te Nacht her­an­ge­kom­men, und Sind­bads Vor­rat an Nah­rungs­mit­teln war auf­ge­zehrt. Auf ein­mal ver­nahm er ein Keu­chen, wie das ei­nes ge­hetz­ten Tie­res, er hör­te ein Geräusch, als wenn dies Tier durch einen Spalt im Ber­ge sich zwäng­te, er sah die Au­gen die­ses Tie­res, die sich gie­rig wie grü­ne Lich­ter in die Nacht stell­ten. Es war eine Hyä­ne, die, von dem Ge­ruch der Ver­we­sung an­ge­lockt, einen Weg in das schau­der­vol­le Grab ge­fun­den hat­te.

Ein Über­maß von Freu­de kam in des ar­men Sind­bad Herz; denn er dach­te: auf dem Wege, auf dem die­ses Tier durch die un­ter­ir­di­schen Grot­ten ge­gan­gen sei, müs­se auch er ans Licht kom­men. Er be­gann zu tas­ten, er er­griff einen Kno­chen als Waf­fe ge­gen die Hyä­ne und scheuch­te sie in die Flucht; er kroch auf al­len vie­ren einen un­end­lich lan­gen Gang durch Za­cken und Schrof­fen und durch trie­fen­des Ge­stein. End­lich sah er – wie einen Stern – ein Licht in der Nacht der Tie­fen auf­ge­hen: das war der Tag, der weit, weit­hin vor dem Ein­gan­ge des un­ter­ir­di­schen We­ges stand. Und als Sind­bad zu die­ser Öff­nung ge­lang­te, bran­de­te rings­um­her das Meer, und wil­de Klip­pen hin­gen um ihn, über die noch kei­nes Men­schen Fuß ge­schrit­ten war.

Kaum konn­te der ge­quäl­te Mann noch auf den Fü­ßen ste­hen. Er fiel nie­der und dank­te sei­nem Got­te für die wun­der­ba­re Ret­tung; dann fing er sich ei­ni­ges See­ge­tier, das er roh ver­zeh­ren muss­te; aber durch sie­ben Tage fris­te­te er sein Le­ben in der Ein­sam­keit, und am ach­ten kam ein Schiff mit ge­bläh­ten Se­geln her­auf; der Ka­pi­tän er­kann­te den Men­schen in den Klip­pen des Stran­des, sand­te ein Boot zu ihm, das brach­te ihn an Bord, und mit dem Schif­fe ge­lang­te er in die heiß­er­sehn­te Hei­mat.

Aber die Lust zu neu­en Rei­sen war dem Hel­den so vie­ler Aben­teu­er auch durch die­se Stra­pa­zen nicht ge­nom­men wor­den. Nach Jahr und Tag rüs­te­te er zu neu­er Fahrt. Nicht lan­ge, so lan­de­ten sie an ei­ner wei­ßen In­sel, dort fan­den sie ein Ei des Vo­gels Roch, wel­ches eben­so groß wie je­nes frü­he­re und schon lan­ge be­brü­tet war; denn der Schna­bel des jun­gen Rie­sen­vo­gels hat­te schon eine Öff­nung in die Scha­le ge­pickt.

Die Kauf­leu­te, die sich bei Sind­bad be­fan­den, hat­ten so et­was noch nie ge­se­hen, dar­um mach­ten sie sich so­fort dar­an, das Ei mit ih­ren Äx­ten in Stücke zu schla­gen und den jun­gen Vo­gel her­aus­zu­ho­len. Sind­bad warn­te sie zwar ein­dring­lich, aber er fand kein Ge­hör; und nicht lan­ge, so ver­fins­ter­te sich die Luft, und zwei mäch­ti­ge Wol­ken flo­gen nä­her und nä­her.

Der Ka­pi­tän er­kann­te, dass die Wol­ken nichts an­de­res sei­en als die al­ten Vö­gel, dar­um gab er Be­fehl, so rasch als mög­lich auf das Schiff zu ei­len; und ein paar Au­gen­bli­cke spä­ter stieß das Fahr­zeug denn auch mit vol­len Se­geln vom Lan­de.

Wie die bei­den Ro­che merk­ten, dass ihr Jun­ges ge­tö­tet war, flo­gen sie ih­ren Weg zu­rück und ka­men in kur­z­er Frist wie­der; je­der aber trug dies­mal einen mäch­ti­gen Fels­block zwi­schen den Fü­ßen. Als sie ge­ra­de über dem Schif­fe wa­ren, ließ der eine den Fel­sen aus den Kral­len glei­ten, und er muss­te das Schiff zer­schmet­tern, wenn der Steu­er­mann nicht eine ge­schick­te Wen­dung aus­ge­führt hät­te. Da­rum fiel der Fels­block ins Meer und zer­riss die Flu­ten der­art, dass man den Grund des Ozeans se­hen konn­te. Der an­de­re Vo­gel Roch aber ließ sei­nen Fels­block so ge­nau auf die Mit­te des Schif­fes fal­len, dass es in tau­send Sp­lit­ter zer­schell­te. Alle Ma­tro­sen und Kauf­leu­te wur­den er­schla­gen, nur Sind­bad, der sich in der Tie­fe des Fahr­zeugs ver­bor­gen hat­te, tauch­te le­bend em­por, und es ge­lang ihm, sich auf ein Stück des Wracks zu ret­ten. Er wäre aber den­noch elend zu­grun­de ge­gan­gen, wenn er nicht zu­fäl­lig in eine Mee­res­s­trö­mung ge­trie­ben wor­den wäre, die ihn sanft und bei schöns­tem Wet­ter an den Strand ei­ner In­sel trug.

Bä­che von süßem, köst­li­chem Was­ser ran­nen durch die grü­nen Auen die­ses Lan­des, und Bäu­me mit al­ler­lei Früch­ten wuch­sen in Men­ge rings­um­her.

Sind­bad aß von den Früch­ten und er­quick­te sich an den küh­len Quel­len, als er plötz­lich einen Greis am Ufer ei­nes Ba­ches sit­zen sah, der so ge­brech­lich schi­en, als hät­te er auch Schiff­bruch er­lit­ten. »Ach, lie­ber Herr«, klag­te der Greis, »könn­tet Ihr mich nicht auf Eu­ren Schul­tern durch den Bach tra­gen?«

Sind­bad, der ein sehr ge­fäl­li­ger Mann war, be­sann sich nicht lan­ge, hob den Al­ten auf sei­ne star­ken Schul­tern und trug ihn hin­über.

Aber als er ihn dort ab­set­zen woll­te, wei­ger­te sich der Rei­ter, sei­nen Sitz zu ver­las­sen, und alle An­stren­gun­gen Sind­bads, der Last le­dig zu wer­den, blie­ben er­folg­los. Und wenn er sich mit ihm ins Gras streck­te, der Rei­ter wich nicht von sei­nem Plat­ze. Tau­send Lis­ten fie­len dem See­fah­rer ein, aber der Alte war klü­ger, und so füg­te sich Sind­bad sei­nem schreck­li­chen Lose, mit der Last des Grei­ses durch sei­ne Tage wan­dern zu müs­sen.

Ein­mal – es wa­ren schon ei­ni­ge Wo­chen ver­gan­gen, seit er das Reit­tier des strup­pi­gen Al­ten ge­wor­den – fand er einen sehr schö­nen Fla­schen­kür­bis, den höhlte er aus, press­te den Saft ei­ni­ger Trau­ben hin­ein und stell­te ihn in die Son­ne, da­mit der Saft gäre. Nach ein paar Ta­gen kam er wie­der zu dem Orte, fand den Trank aus­ge­zeich­net und leer­te den Kür­bis zur Hälf­te. Die Wir­kung des Wei­nes war vor­treff­lich: Sind­bad be­kam neue Kraft und neu­en Le­bens­mut und zog sin­gend mit sei­ner schwe­ren Last durch das son­ni­ge Land.

Da der Alte die wun­der­ba­re Wir­kung des Wei­nes er­kann­te, woll­te er auch zu trin­ken ha­ben. Sind­bad trab­te also zu der Kür­bis­fla­sche zu­rück; der Greis sog den Kür­bis mit durs­ti­gen Lip­pen leer und ward von dem un­ge­wohn­ten Ge­trän­ke so ver­gnügt, dass er sich nicht mehr auf den Schul­tern Sind­bads hal­ten konn­te: als die­ser ei­ni­ge Sprün­ge mach­te, ku­gel­te der trun­ke­ne Rei­ter von sei­nem Röß­lein und fiel einen schwe­ren Fall ins Gras.

Nun war das La­chen an Sind­bad. »Ich könn­te dich mit ei­nem Bau­mast er­schla­gen«, sag­te er, »um dich für die Übel­tat zu stra­fen; aber ich sehe da eben, dass du in dei­nen schmut­zi­gen Haa­ren ei­ni­ge sehr wert­vol­le Per­len trägst, so groß wie Ha­selnüs­se. Wenn du mir die gibst, will ich dir dein Le­ben schen­ken.«

»So, so«, mach­te der Greis. »Sol­che Din­ger kann ich mir sehr leicht wie­der ver­schaf­fen, die ha­ben gar kei­nen Wert für mich und sind in mein Haar ge­kom­men, ich weiß nicht wie.«

Da lös­te Sind­bad drei wei­ße und eine köst­li­che schwar­ze Per­le aus den strup­pi­gen Haa­ren und schätz­te, dass die Klein­odi­en einen Wert von vier Sch­lös­sern ha­ben möch­ten. »Da­mit hast du dei­ne Schuld be­zahlt«, sag­te er, »und nun wün­sch’ ich dir einen gu­ten Tag.«

Der Alte schau­te ihm mit sau­ren Bli­cken nach, aber Sind­bad eil­te so schnell er konn­te zum Stran­de; denn er sah ge­ra­de ein Schiff vor­über­se­geln, dem er sich be­merk­bar mach­te, so­dass es lan­de­te und ihn auf­nahm.

Als er den Schiffs­leu­ten sein Aben­teu­er er­zähl­te, staun­ten sie sehr und sag­ten: »Du bist ein Glückspilz, Sind­bad; denn du bist kei­nem an­de­ren in die Hän­de ge­fal­len, als dem Meer­greis; und die­ser grau­sa­me Ge­sel­le hat noch kei­nen aus sei­nen Kral­len ge­las­sen.«

Nach ei­ni­ger Zeit lan­de­te das Schiff im Ha­fen ei­ner großen Stadt; Sind­bad schloss sich dort ei­ni­gen Kauf­leu­ten an, die mit Sä­cken aus­zo­gen, Ko­kos­nüs­se zu sam­meln.

Als­bald ge­lang­ten sie in einen großen Wald, der aus sehr ho­hen, sehr glat­ten Bäu­men be­stand, so­dass es un­mög­lich war, ohne Lei­tern bis in die Kro­nen der Bäu­me em­por­zu­klet­tern.

Als die Män­ner in den Wald tra­ten, sa­hen sie eine große Men­ge wü­ten­der Af­fen, die sich mit er­staun­li­cher Be­hän­dig­keit von Wip­fel zu Wip­fel schwan­gen.

Die Kauf­leu­te sam­mel­ten Stei­ne und war­fen dann nach den Af­fen, die aber setz­ten sich in Ver­tei­di­gung, und weil sie kei­ne Stei­ne hat­ten, so ris­sen sie die schwe­ren Nüs­se von den Bäu­men und schleu­der­ten sie ge­gen ihre Fein­de. Auf die­se Wei­se füll­ten sich die Sä­cke der Samm­ler rasch, und als sie die Nüs­se ver­kauf­ten, lös­ten sie eine Men­ge Geld.

Sind­bad ver­wen­de­te das sei­ne auf eine sehr merk­wür­di­ge Wei­se: er ding­te sich ei­ni­ge Schwar­ze, die er zur Per­len­fi­sche­rei ver­wen­de­te, bis ein Schiff un­ter Se­gel ging, das ihn zur Hei­mat führ­te. Die Per­len aber brach­ten ihm beim Ver­kauf un­er­mess­li­che Reich­tü­mer.

Nach Ver­lauf ei­nes Jah­res litt es ihn aber­mals nicht mehr da­heim. Das Schiff, das er im per­si­schen Meer­bu­sen be­stieg, hat­te eine so un­glück­li­che Fahrt, dass Ka­pi­tän und Steu­er­mann den Weg ganz und gar ver­lo­ren; denn zu da­ma­li­ger Zeit wa­ren die Schif­fe noch nicht mit den Hilfs­mit­teln von heu­te aus­ge­rüs­tet. Ei­nes Ta­ges ge­bär­de­te sich der Ka­pi­tän wie ein Ra­sen­der, warf sich auf das Deck und riss sich den Bart aus; dann schrie er: »Wir be­fin­den uns an der ge­fähr­lichs­ten Stel­le des Ozeans; eine rei­ßen­de Strö­mung treibt das Schiff, in ei­ner Vier­tel­stun­de sind wir alle des To­des!«

Das war eine sehr üble Aus­sicht; und kaum wa­ren die Wor­te des Ka­pi­täns ver­hallt, so trieb das Schiff mit der Schnel­lig­keit ei­nes Stur­mes ge­gen einen sehr ho­hen und stei­len Berg, an dem es zer­schell­te. Zwar wur­den alle Per­so­nen und die meis­ten Wa­ren ge­ret­tet, aber der Schiffs­haupt­mann war un­tröst­lich und schrie: »Gr­abt euer Grab und lasst uns ein­an­der Le­be­wohl sa­gen; denn von die­sem Ort ist noch kein Mensch le­bend ge­kom­men.«

Die Küs­te war ganz mit den Trüm­mern ge­schei­ter­ter Schif­fe be­deckt, un­er­mess­li­che Reich­tü­mer an Gold, Per­len und sel­te­nen Mu­scheln wa­ren am Strand auf­ge­häuft. Aber all die­se Din­ge dienten nur dazu, den Schmerz der Ge­stran­de­ten zu ver­meh­ren. Der Berg hielt je­den Wind von die­ser Stel­le ab, so­dass nie­mand auf den Trüm­mern der Schif­fe sich ret­ten konn­te; denn die rei­ßen­de Strö­mung wü­te­te mit gan­zer Kraft. Der Berg selbst war aber so steil, dass kein Mensch an dem über­hän­gen­den Ge­wän­de em­por­zu­klim­men ver­moch­te.

Wie Leu­te, die ih­ren Ver­stand ver­lo­ren hat­ten, lag die Schiffs­mann­schaft ta­ge­lang in den Trüm­mern um­her. Die zu­erst star­ben, wur­den von den an­de­ren be­gra­ben. Zu­letzt war Sind­bad al­lein üb­rig­ge­blie­ben, weil er mit sei­nen Nah­rungs­mit­teln am bes­ten haus­ge­hal­ten hat­te; aber als er den letz­ten sei­ner Ge­nos­sen be­grub, blie­ben ihm nur noch so we­nig Le­bens­mit­tel, dass auch er sich sein ei­ge­nes Grab schau­fel­te.

Nun mün­de­te nicht weit von je­ner Stel­le ein Fluss ins Meer; der brach aus ei­nem Fel­sen­to­re von köst­li­chen Edel­stei­nen; und wer in das Tor hin­ein­blick­te, schau­te nichts als gäh­nen­de Tie­fe und un­er­mess­li­che Nacht. Und wäh­rend Sind­bad das rät­sel­haf­te Fel­sen­tor be­trach­te­te, sag­te er zu sich: »Die­ser Fluss wird dich viel­leicht nur auf ei­nem Tei­le sei­nes Lau­fes un­ter der Erde ver­ber­gen. Wie, wenn ich mir ein Floß bau­te und auf sei­nen Wo­gen vor­wärts­drän­ge? Vi­el­leicht käme ich dann von die­sem Un­glück­sor­te fort und in ein schö­nes, hel­les Land!«