Thailand fürs Handgepäck -  - E-Book

Thailand fürs Handgepäck E-Book

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Beschreibung

Thailand gehört mit seinen schönen Stränden, seiner alten Kultur und seinen liebenswerten Menschen seit langem zu den beliebtesten Fernreisezielen. Diese Geschichten erzählen von Bergdörfern, Touristenzentren und dem Leben in Bangkok. Wir begegnen Fischerfamilien, Großstädtern und buddhistischen Mönchen. Die Autoren stellen sich der komplexen Gegenwart ihres Landes, viele von ihnen wurden mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Dieser Band gehört zur Pflichtlektüre für Reisende, die Thailand kennenlernen wollen. Sila Khomchai steht in Bangkok im Stau Kanokphong Songsomphan beobachtet ein Fischerdorf im Wandel Phaithun Thanya wird Zeuge einer ungewöhnlichen Begegnung Win Liaowarin erzählt von einem, der das Leben neu lieben lernt Anchan erlebt die Angst einer Familie vor dem Vater Seksan Prasertkul sieht Bangkok aus der Sicht eines Bettlers Praphasson Sewikul schildert das Schicksal einer gehörlosen Frau Assiri Thammachot beschreibt die Nöte eines Melonenverkäufers Prichaphon Bunchuai denkt über den Wert des Lebens nach Dies und vieles mehr über Thailand …

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Seitenzahl: 277

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Über dieses Buch

Thailand gehört mit seinen schönen Stränden, seiner alten Kultur und seinen liebenswerten Menschen seit langem zu den beliebtesten Fernreisezielen. Diese Geschichten erzählen von Bergdörfern, Touristenzentren und dem Leben in Bangkok. Die Autoren stellen sich der komplexen Gegenwart ihres Landes.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Kirsten Ritscher und Heike Werner (Hg.)

Thailand fürs Handgepäck

Geschichten moderner thailändischer Autorinnen und Autoren

Mit Illustrationen

Bücher fürs Handgepäck

E-Book-Ausgabe

Horlemann @ Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book des Horlemann-Verlags erscheint in Zusammenarbeit mit dem Unionsverlag.

Die deutsche Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel Wie ein Staubkorn auf der Erde. Thailand erzählt im Horlemann Verlag, Bad Honnef.

Die Übersetzung aus dem Thai wurde unterstützt durch litprom – Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. mit Mitteln des Auswärtigen Amtes.

© by Horlemann Verlag 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30142-9

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Version vom 26.07.2024, 17:49h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

THAILAND FÜRS HANDGEPÄCK

Die Highway-FamilieBegegnung auf der BrückeDer Blumentopf am FensterSalmans kleine WeltDer Topf, der nicht mehr zu retten warEin guter BürgerMatsiDie taube GreisinDie ErneuerungDie BettlerAbenddämmerung auf dem FlussWie ein Staubkorn auf der ErdeIm HimmelIn der HölleLiteratur für das Leben — Anmerkungen zur sozialkritischen Kurzprosa in Thailand

Anmerkungen

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Die Highway-Familie

Sila Khomchai

Meine Frau ist einfach super organisiert. Wenn ich ihr sage, dass ich um drei Uhr nachmittags eine wichtige Verabredung habe, bei der ich gemeinsam mit meinem Chef wichtige Kunden in einem Hotel am Flussufer in der Gegend von Khlong San1 treffe, dann erwidert sie, dass wir das Haus schon morgens um neun Uhr verlassen müssten, da sie selbst noch vor Mittag in der Umgebung von Saphan Khwai2 etwas zu tun habe. So sei die Zeit für den Fahrtweg zu beiden Zielen ausreichend kalkuliert.

Aber das ist noch längst nicht alles. Auf dem Rücksitz unseres Autos steht immer ein Korb mit Fastfood, eine Kühlbox mit Getränken sowie Knabberzeug und Naschkram von grüner Tamarinde bis zu Sternfrucht. Außerdem liegen ein kleiner Salzstreuer, eine Plastiktüte für den Abfall und ein Spucknapf bereit. Selbst für Reservekleidung, die am Haken vor der Scheibe hängt, hat sie gesorgt. Es sieht aus, als wollten wir ein Picknick machen.

Theoretisch gehören wir zur Mittelklasse, was sich aus der Lage unseres Hauses in einem Siedlungsgebiet nördlich von Bangkok schließen lässt. Um in die City zu fahren, durchqueren wir zuerst ein Siedlungsprojekt nach dem anderen, kreuzen dann bei Kilometer 25 die Phahonyothin-Straße, gelangen bei der Chetchuakhot-Brücke auf die Wiphawadi-Rangsit-Schnellstraße und halten schließlich direkt auf die Innenstadt Bangkoks zu. Das ist der einfachste Weg.

Gehörten wir der ärmeren Bevölkerungsschicht an, läge unser Wohnsitz wahrscheinlich in einem der Slums mitten in der Stadt, in der gleichen Gegend, in der auch die Leute der oberen Schicht leben, die aber von ihren riesigen Apartmentblocks aus den Sonnenuntergang betrachten können, der sich goldglitzernd auf den Wellen des Flusses spiegelt.

Dies ist jedoch noch nicht so wichtig wie der schillernde Traum, den wir fortwährend vor Augen haben.

Unser Ziel, in die Reihen der Menschen aus der Oberklasse zu gelangen, liegt uns klar vor Augen, aber noch ist uns der Weg dorthin versperrt. So arbeiten wir wie verrückt und denken uns ständig neue Pläne aus. Seit unsere große Hoffnung in einem eigenen Geschäft liegt, arbeiten wir Tag für Tag an der Verwirklichung. Was wir in der Zwischenzeit geschafft haben, ist, ein eigenes Haus und ein eigenes Auto zu besitzen, auch wenn die Ausgaben uns entsprechend belasten.

Ein Grund, ein Auto zu besitzen, ist – und das will ich überhaupt nicht leugnen – die Aufwertung des eigenen Status. Ausschlaggebend aber ist, dass dem Körper einfach nicht mehr zuzumuten ist, jeden Tag für drei bis vier Stunden in einem völlig überfüllten Bus eingequetscht zu stehen und durchgeschüttelt zu werden, während der Bus sich in der Hitze Zentimeter für Zentimeter vorwärts schiebt. Wenn man aber in seinem Wagen im Stau steckt, sitzt man zumindest im kühlen klimatisierten Innenraum und kann seiner Lieblingsmusik lauschen. Irgendwie ist das besser.

Es ist schon merkwürdig. Ich bin gerade mal achtunddreißig Jahre alt, aber wenn ich um elf Uhr abends nach Hause zurückkomme, schaffe ich es nur mit letzter Kraft, in mein Bett zu klettern. Diese völlige Schlappheit begleitet meinen Körper, seit ich arbeite. Dabei war ich während meiner Schulzeit Fußballer im Schulteam, und der Trainer setzte mich auf die halbe Position, was heute Mittelfeld genannt wird. Und nicht nur das – ich lief wie ein Dynamo und lief und lief; Müdigkeit kannte ich nicht.

Bestimmt liegt es daran, dass ich zu viel arbeite. Allerdings hörte ich in einem kurzen Radiobericht, der einmal während eines Musikprogramms zwischendurch lief, dass die Luftverschmutzung mit ihren giftigen Gasen unsere verschiedenen Körpersysteme angreife und der Stress des täglichen Lebens zusätzlich dazu beitrage, unsere Kräfte zu dezimieren.

Der Besitz eines Autos ist eine Notwendigkeit, es ist ein Ort der Ruhe und Entspannung. Man verbringt im Verhältnis genauso viel Zeit im Auto wie zu Hause oder am Arbeitsplatz. Wenn dann die Ehefrau all die Dinge arrangiert, die der Behaglichkeit dienen, wird es zu einem zweiten Heim, zu einem rollenden Büro.

Seit ich diese Einstellung verinnerlicht habe, stresst mich das Verkehrschaos in Bangkok nicht mehr. Die Abermillionen von Autos erscheinen mir nicht mehr seltsam. Selbst ein plötzlicher Stopp, der fast einer Übernachtung auf der Straße gleicht, ist zu einer normalen Sache geworden. Ich fange an, das Leben im Auto zu lieben, unsere Familie rückt so viel dichter zusammen. Manchmal essen wir unser Mittagessen gemeinsam auf der Schnellstraße. Das ist ganz kuschelig. Es gibt immer etwas zu lachen. Und wenn der Verkehr für Stunden lahm liegt, spielen wir irgendwelche Spiele.

»Mach die Augen zu!«, verlangt meine Frau.

»Warum?«, frage ich perplex.

»Mach es einfach!« Gleichzeitig zieht sie den Spucknapf vom Rücksitz hervor. Sie stellt ihn in den Fußraum, lupft ihren Rock und hockt sich unter das Lenkrad. Ich halte mir mit einer Hand die Augen zu, betrachte aber durch die gespreizten Finger ihre wundervollen Schenkel, die ja nichts Neues für mich sind. Und trotzdem – solche Momente erwecken wahrlich aufregende Gefühle in mir.

»Du schummelst!«, sagt sie mit missbilligendem Blick, nachdem sie ihr Geschäft erledigt hat, und lässt zwei, drei Schläge auf meine Schulter sausen, um ihre Beschämung zu überspielen.

Wir heirateten, ganz nach Empfehlung des Gesundheitsministeriums, als mündige Erwachsene. Darüber hinaus hielten wir uns streng an den behördlichen Rat, erst Kinder zu bekommen, wenn wir bereit dazu sind. Wir sind Leute vom Land, die sich abmühten, ihren Weg in der Großstadt zu machen. Nun, wo wir sozusagen bereit sind, bin ich achtunddreißig, meine Frau fünfunddreißig Jahre alt, und mit unserer körperlichen Verfassung steht es nicht zum Besten. Nachts um elf kommen wir nach Hause, nach Mitternacht kriechen wir ins Bett, und selbst wenn dann eine gewisse Stimmung aufkommt, sind wir schlichtweg zu schwach. Und weil es so selten passiert, sieht auch die Hoffnung auf Nachwuchs düster aus.

Eines Tages wachte ich mit besonders guter Laune auf und fühlte mich erfrischt und gestärkt, was wahrscheinlich an einem tiefen Schlaf lag, wie ich ihn lange nicht mehr hatte. Eines Morgens also spürte ich die weichen Strahlen der frühen Sonne, atmete die frische Morgenluft ein, streckte meine Beine aus und vollführte einige Sambaschritte zur Morgengymnastik. Ich duschte, wusch mir die Haare, trank ein Glas Milch, aß zwei gekochte Eier, … es war wie in meinen besten Mittelfeld-Jahren.

Auf der Wiphawadi Rangsit steckten alle Fahrzeuge fest. Wie ich von meiner Lieblingsverkehrsnachrichtensprecherin aus dem Radio erfuhr, hatte ein riesiger Lastwagen einen Strommast gerammt, der nun die Straße vor dem Flughafen blockierte. Die Straße würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt geräumt. Ich fühlte mich immer noch gesund und munter.

Im links neben uns stehenden Wagen hatten zwei Teenager, die noch nicht über das Schulalter hinaus waren, mächtig Spaß. Der Junge rubbelte in den Haaren des Mädchens, sie drehte sich zu ihm und kniff ihn in den Arm. Er legte etwas zögerlich seinen Arm um ihre Schulter, sie haute ihm ihren Ellenbogen in die Seite und …

Ich spürte, wie das Leben in mir erwachte, als wäre ich selbst dabei. Ich wandte mich ab, um eingehend meine Frau zu betrachten. Sie war schöner als jemals zuvor. Ich ließ meinen Blick langsam abwärts gleiten, landete bei ihren herrlichen Brüsten, ihren perfekten Beinen. Sie trug einen kurzen Rock, den sie gefährlich hoch geschoben hatte, um mehr Beinfreiheit zum Gasgeben und Bremsen zu haben.

»Deine Beine sind wunderschön …« Meine Stimme zitterte, mein Herz klopfte außergewöhnlich heftig.

»Du bist verrückt«, erwiderte sie mit ernsthaftem Ton. Nachdem sie ihre Fingernägel einer eingehenden Überprüfung unterzogen hatte, hob sie ihr Gesicht und gab mir so die Gelegenheit, ihren schlanken wohlgeformten Hals zu bewundern … Ich schluckte, guckte weg und versuchte, die fast quälende Erregung zu überwinden. Doch das Bild blieb, meine Gedanken ließen sich nicht kontrollieren. Das Tier in mir war geweckt, das Tier, das neue Dinge sucht und ausprobieren will. In meinem Inneren tobte es.

Meine Handflächen schwitzten, während ich mich nach den anderen Autos umsah. Unser Wagen war wie die anderen um uns herum mit getönten Scheiben ausgestattet, hatte aber eine zusätzliche Plastikfolie als Sonnenschutz. Die angenehm kühle Luft, das Klavierkonzert im Radio, wie ein Fluss ruhig und seicht, doch dann reißend und rasend … mit meinen zitternden Händen zog ich den Sonnenschutz an der Frontscheibe herunter.

In dieser Süße des Augenblicks ließen wir uns in unserer privaten Welt treiben.

Ich weiß, dass wir Menschen nicht nur die Natur um uns herum schon lange zerstört haben, sondern dass die Natur in uns selbst genauso zerstört ist. Wir stecken in der beklemmenden Enge des Großstadtlebens fest, in der Arbeit, in der Luftverschmutzung, in dem stets stockenden Verkehr.

All diese Umstände üben einen Einfluss auf die familiären Aktivitäten aus, die zum normalen Leben gehören und dessen Schwung ausmachen. Durch Hindernisse und rasante Veränderungen wird die fließende Lebensmusik einfach unterbrochen.

Vielleicht lag es an der langen Zeit ohne Berührungen, kombiniert mit dem mütterlichen Wunsch nach einem Kind oder an anderen Gründen, jedenfalls redete sich meine Frau diesmal nicht mit »Nein! Du zerknitterst meine Sachen!« heraus und ihr Widerstand ließ nach, sodass wir unser eheliches Glück endlich auf der Straße ausleben konnten.

Unser Leben ist glücklich. Wenn wir die Gelegenheit haben, andere Dinge zu tun, wie beispielsweise gemeinsam Kreuzworträtsel zu lösen, Scrabble oder andere Spiele zu spielen, ist es wie in alten Zeiten, als wir ganz frisch verliebt waren. Obwohl im Radio über die immer schlimmeren Verkehrszustände in Bangkok berichtet wird, … die gesamte Sukhumwit, die Phahonyothin, der Platz des Sieges, die Ramkhamhaeng, die Rama 4 – nirgends bewegt sich etwas …, ist es für mich, als ob ich in unserem Wohnzimmer auf meinem Lieblingssofa zurücksinken könnte.

Ich denke über ein neues, größeres Auto nach, um mehr Platz zum Essen und Spielen zu haben, vielleicht sogar mit Bad und Bett.

Vor kurzem, wir steckten mal wieder im Stau, begannen die Leute aus den Wagen neben dem unseren auszusteigen und sich auszustrecken. Ich tat es ihnen nach. So kam es, dass ich viele Leute kennen lernte. Wir begrüßten einander und unterhielten uns über die verschiedensten Themen aus Politik, Wirtschaft oder Sport. Wie gute Nachbarn.

Da wären zum Beispiel Herr Wichai, Geschäftsführer einer Firma, die Papierhandtücher vertreibt, Herr Pratchaya, der Besitzer einer Fischkonservenfabrik, oder Herr Phanu, der Bügelstärke herstellt. Ich selbst arbeite in der Werbebranche und habe deshalb auch Zugang zu Daten aus Umfragen, die die heutigen Verbrauchervorlieben betreffen. So kann ich mich mit all diesen Menschen wunderbar unterhalten. Es ist mir auf diese Weise sogar gelungen, mitten auf der Straße neue Kunden anzuwerben, womit ich nie gerechnet hätte.

Selbstredend wird ein so kluger Kopf wie ich vom Chef aufgefordert, sehr eng mit ihm gemeinsam zu agieren, und heute findet ein Treffen mit einem Getränkehersteller statt, der sein neuestes Produkt Satho-Can mit unserer Unterstützung auf den Markt bringen will. Unsere Hilfe beginnt bei der Kreation eines Markennamens, der sich leicht einprägen lässt und in aller Munde sein soll, geht weiter über die Etablierung der Ware im Zwischenhandel bis hin zur aggressiven Werbung, die wie ein Hammer einschlagen und mit ihrem Slogan die Zielgruppe überzeugen soll. Als jährliches Budget erhalten wir ungefähr zehn Millionen Baht. Das bedeutet, dass ich meinem Chef dabei helfen muss, unserem Klienten all die Details unserer Werbestrategie überzeugend zu präsentieren.

In Bangkok staut sich der Verkehr wie gewöhnlich. Mein Termin ist um drei Uhr. Jetzt ist es erst viertel nach elf, so bleibt mir genug Zeit, über die Arbeit nachzudenken und von meinem neuen großen und bequemen Auto zu träumen. Die Gelegenheit wird kommen, der Traum ist nicht unerfüllbar.

Die Autos schieben sich langsam über die Brücke in der Kaset-Gegend, bevor sie genau dort stecken bleiben, wo wir an jenem Tag unser Eheglück in der gleißenden Sonne erlebten. Vor uns sieht man sie eine endlos lange Schlange bilden. Über zehn Minuten stecken sie jetzt schon fest, und es wird mit Sicherheit noch lange dauern. Ich lehne mich zurück, schließe die Augen und versuche an meine Arbeit zu denken. Doch mein Herz rast ….

Es ist, als umkreise ein ewiges Liebeslied diesen Ort. Was an jenem Tag passierte, fühlt sich irgendwie unwirklich an, heimlich und hastig. Unsere vollführten Verrenkungen auf engem Raum waren so gewagt, so verlockend, so wie das Gefühl, das man als Kind verspürte, wenn man Mangostinen im Tempel klaute …

Ihr schönes Kostümchen war bös zerknittert, nicht nur wegen meines Überraschungsangriffs allein. Ihre hungrige Erwiderung heizte das Wageninnere dermaßen auf, als wäre die Klimaanlage abgeschaltet. Ihre Hand ergriff meine ganz fest, unlösbar, die andere wanderte zu meiner Schulter, drückte zu und grub mir die Fingernägel schmerzhaft ins Fleisch, sie atmete heftig …

Ich strecke meine Hand aus, um den zusätzlichen Sonnenschutz herunterzuziehen.

»Nicht«, schreit sie auf und sieht mir in die Augen.

»Ich weiß nicht, was mit mir heute los ist. Mir ist so merkwürdig schwindelig.«

Ich seufze, wende mich ab, kann ihr nicht in die Augen sehen und versuche, meinen Verstand einzusetzen, um die konfusen Gedanken zu verdrängen. Ein Sandwich, das ich mir aus dem Fresskorb vom Rücksitz hole, dürfte mir dabei helfen. Sie, die wirklich ganz blass um die Nase ist, greift nach einer Tamarinde und kaut genussvoll.

Nun, da ich satt bin, überfällt mich gähnende Langeweile. Ich steige aus und werfe den Menschen, die um mich herum mit ihren Armen schlenkern, ihren Rücken strecken oder einfach hin- und herschlendern, ein gekünsteltes Lächeln zu. Die ganze Atmosphäre ähnelt der in einer Siedlung am Morgen, wenn die Leute draußen ihren Frühsport betreiben. Ich habe das Gefühl, als seien sie alle meine Nachbarn.

Etwas weiter vorn ist ein Mann mittleren Alters gerade dabei, auf dem Grünstreifen mit einem Spaten ein Loch zu graben. Welch seltsamer Anblick!

»Was tun Sie da?«, frage ich ihn zur Begrüßung.

»Ich pflanze einen Bananenbaum«, antwortet er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Als er sein Werk vollendet hat, dreht er sich mit einem Lächeln zu mir um.

»Bananenbaumblätter erreichen eine beachtliche Größe. Sie können eine Menge von der dreckigen Luft um uns herum absorbieren«, erklärt er mir wie ein ganz großer Umweltschützer.

»Ich mache das jeden Tag, Setzling für Setzling. Wollen Sie auch? Ich hab noch welche im Wagen. Der Stau wird sich nicht so schnell auflösen. Im Radio sagten sie, dass es an zwei Stellen Unfälle mit sieben, acht Autos gab, einen am Fuße der Brücke, den anderen vor der Mochit-Station.«

»Okay, dann haben wir bald eine Bananenplantage«, erwidere ich und bekomme den Spaten in die Hand gedrückt.

Diese Beschäftigung befreit mich nicht nur von meiner Langeweile, sie bringt mir auch verblasste Kindheitserinnerungen zurück. Damals, in meiner alten Heimat, ging ich auch immer in den Garten, um meinen Frust raus zu lassen.

»Wenn die grünen Blätter rausschießen, wird es hier wunderbar sein; so, als fahre man durch einen Bananenhain«, sagt er, als wir mit unserer Arbeit fertig sind.

Enge Freundschaften können überall geschlossen werden, auch auf einer Autobahn. Mein neuer Freund lädt mich, während wir unsere Visitenkarten austauschen, auf einen Kaffee in seinem Auto ein, doch ich entschuldige mich. Ich bin zu lange weggeblieben.

»Mir ist immer noch nicht gut. Könntest du bitte fahren?«, stöhnt meine Frau mit unsicherer Stimme, als ich mich wieder ins Auto setze. Sie ist ganz weiß im Gesicht, Schweißperlen schimmern auf ihrer Stirn. In der Hand hält sie eine Plastiktüte mit ihrem Mageninhalt.

»Was ist los?« Ihre Verfassung erschreckt mich.

»Alles dreht sich, mir ist schlecht.«

»Ist es schlimm? Kannst du es noch aushalten? Sollen wir zum Arzt?«

»Es wird nichts Ernstes sein.«

Tapfer hebt sie ihren Kopf und sieht mich eine Weile an.

»Ich hab meine Regel seit zwei Monaten nicht gekriegt. Ich glaub, ich bin schwanger …«

Mich durchzuckt es heftig. Für einen Moment bin ich stumm wie ein Holzklotz, bevor ich innerlich jubelnd aufschreie.

Der Geruch von Erbrochenem weht mir um die Nase, aber das stört mich nicht im Geringsten. Ich fühle mich großartig und möchte aussteigen, um es in die ganze Welt hinaus zu brüllen: MEINE FRAU IST SCHWANGER! WIR HABEN ES AUF DEM HIGHWAY GEMACHT.

Ich wechsele auf die Fahrerseite, als die Autos wieder in Bewegung kommen. In meinen Gedanken bin ich bei unserem Kleinen. Unser Familienleben wird perfekt. Ich denke an das große Auto, das geräumig genug für Vater, Mutter und Kind sein wird, jenen dringend notwendigen Gebrauchsgegenstand, der unser Leben auf Bangkoks Autobahnen glücklich und zufrieden machen wird.

Begegnung auf der Brücke

Phaithun Thanya

Was für ein herrlicher Morgen, freute sich der Kuhhirte, als er zusammen mit einem jungen Bullen die Hütte, die ihnen als Schlafplatz diente, noch vor Sonnenaufgang verließ. Er trieb das Tier zur Bewegung an, fast zehn Kilometer sollten sie bewältigen, mal etwas langsamer, mal etwas schneller. Es gefiel ihm, dem jungen Bullen beim Laufen zuzusehen, wenn die starken Muskeln vor Kraft zitterten und deren Anspannung wellenförmig über den Körper verlief. Dieses Spiel der Muskeln zeigte seine Stärke wie bei einem Kickboxer, der bereit ist, seinen Gegner in einer so kurzen Zeit mit einem Faustschlag niederzustrecken, wie ein Spatz Wasser trinkt. Er genoss das frühmorgendliche Laufprogramm, und seit es seine Aufgabe war, hatte er es noch nie versäumt.

Jeden Morgen absolvierte er verschiedene Übungen mit dem Bullen – ein hartes Training für das junge Tier. Wetteinsätze bis zu dreihunderttausend Baht bei den Stierkämpfen waren es seinem Chef, dem Besitzer des jungen Kampfbullen, jedoch wert, diesem die beste Betreuung zukommen zu lassen. Er selbst war in Wirklichkeit nur der Pfleger dieses Bullen. Nie verdiente er mehr als dreißig Baht pro Tag. Manchmal – und das war eine Besonderheit – durfte er zur Feier eines Sieges an einem köstlichen Essen am Tisch seines Chefs teilhaben, aber auch nur dann, wenn sein Schützling den gegnerischen Kampfbullen tatsächlich besiegt hatte.

Er schlenderte gemächlich, den Bullen nicht weiter antreibend. Für diesen Morgen war das schnelle Lauftraining beendet, nur das Hin- und Hermarschieren im Sand stand noch auf dem Programm. Diese Übung diente sowohl der Stärkung der Gelenke des Bullen als auch seiner eigenen Muskelkraft. Er war inzwischen in der Lage, weit mehr als zehn Kilometer locker und ohne Pause zu bewältigen.

An Markttagen führte er seinen Bullen wie bei einem Schaulaufen quer über den Marktplatz, um ihn an große Menschenmengen zu gewöhnen. So würde dieser in der Kampfarena keine Scheu oder Angst zeigen, da Bullen in ungewohnter Umgebung leicht erschrecken und vor ihrem Gegner flüchten, wenn sie das Gejohle des Publikums hören. Der Spaziergang über den Markt gehörte damit zum Pflichtprogramm, das er fast jeden Morgen vollzog. Er liebte diesen Teil des Trainings, ein Glücksgefühl und unbändiger Stolz überfluteten ihn, wenn er mit dem Bullen vor der gaffenden Menge flanierte. In solchen Momenten fühlte er sich, als wäre er der wahre Besitzer des jungen roten Bullen.

Die frühe Sonne schien warm und mild. Der Bullenpfleger schritt ohne Eile vorwärts. Den gut aufgelegten Bullen ließ er vor sich her trotten, die Führung würde er in der Nähe der Brücke wieder übernehmen. Der Sandstrand, auf dem er die Übung zur Festigung der Gelenke absolvierte, lag am anderen Ufer des Flusses. Er musste, um dorthin zu gelangen, mit dem Bullen eine enge Brücke überqueren, die gerade breit genug für ein einziges Tier war. Kein anderer Kuhhirte würde seine Herde dort hinüber führen, da es sich nicht um eine gewöhnliche Brücke handelte, sondern um eine sogenannte Affenbrücke. Sie bestand aus zwischen den Ufern gespannten starken Drähten und in Abständen montierten Holzplanken, zwei weitere dicke Drähte dienten zum Festhalten. Sobald ein Mensch hinüberging, geriet die Brücke beängstigend heftig ins Schaukeln, von einem Bullen, der es wagte, sie zu betreten, ganz zu schweigen. Ein ungeübter Mensch müsste sie wohl kriechend überqueren, doch sein Bulle spazierte würdevoll über sie hinüber. Dies war eine weitere knifflige Trainingseinheit, und er glaubte, dass wahrscheinlich niemand sonst solch eine schwierige Aufgabe bewerkstelligen konnte.

Der Hüter des Bullen tastete sich rückwärts auf die Brücke. Diese begann mit den ersten Schritten von Mann und Tier zu schaukeln. Es erstaunte ihn etwas, dass die Brücke viel stärker als gewöhnlich in Bewegung geriet. Gleichzeitig schnaubte sein Bulle laut durch die Nase und stellte seine Ohren steil auf, als sähe er einen gegnerischen Kampfbullen. Im selben Moment konnte er hinter sich das Geräusch eines anderen Bullen hören. Argwöhnisch drehte er sich um und sah mit Erschrecken, dass ein Mann gerade dabei war, einen Bullen über die enge Brücke zu führen … und zwar ebenfalls einen Kampfbullen.

In der Mitte der Brücke standen sich beide Männer schließlich gegenüber und beide hielten sie das Seil, an dem sie ihre Bullen führten, in der Hand. Die zwei Kampfbullen hinter ihnen begannen sich gegenseitig zu provozieren – welch fatales Zusammentreffen an solch einem Morgen!

Die Brücke schwang gewaltig, als die Tiere versuchten, ihre Besitzer zur Seite zu drängen, um aufeinander loszugehen. Sie waren nur noch sechs, sieben Meter voneinander entfernt.

Der Kuhhirte war äußerst irritiert; niemals hätte er gedacht, dass ein Anderer den Mut aufbrächte, ihn herauszufordern. Er betrachtete dies als Herabsetzung seiner Würde, und das war eine Sache, die er nicht so einfach hinnehmen konnte.

»Verschwinde mit deinem Bullen«, rief er gereizt, während er mit den Händen seinen drängelnden Bullen am Vorwärtsgehen hinderte.

»Geh du doch«, erwiderte der Neuankömmling, dessen Gesicht keinerlei Angst erkennen ließ. Sein Bulle war elfenbeinfarben, die Hörner geschwungen und spitz wie Dornen.

»Du wirst gehen …«, sprach der Trainer des roten Bullen, »ich war zuerst auf der Brücke. Du kamst später, also gehst du zuerst.«

»Wer sagt denn, dass ich später kam? Du gingst rückwärts, wie kannst du gesehen haben, dass ich später kam?«, widersprach der Führer des hellen Bullen, um gleich darauf sein Tier mit lauter Stimme vom weiteren Drängeln abzuhalten. Er konnte den Bullen nicht einen Schritt nach hinten schieben. Dieser war sehr aufgeregt, weil das Überqueren einer Affenbrücke eine ungewohnte Angelegenheit für ihn bedeutete. Der Mann aber musste ihn auf die andere Seite führen, weil er sich dort mit einem Dorfvorsteher zur Begutachtung seines Bullen verabredet hatte.

»Was ist los? Warum gehst du nicht?« Der Pfleger des roten Bullen bemühte sich um einen normalen Tonfall.

»Ich sagte doch bereits, dass du umdrehst. Was fragst du denn noch?«, brüllte der andere zurück. Sein Bulle wurde immer unruhiger.

Die beiden Männer konnten sich nicht einigen. Ihre Bullen blickten sich direkt an und versuchten, ihre Führer weiter nach vorn zu schieben. Ihr Schnauben klang immer bedrohlicher, ihre Augen weiteten sich vor Zorn.

Die Brücke knarrte laut. Keiner der Männer machte Anstalten, sich zu bewegen, und die Geräusche der Bullen schwollen zu einem todesmutigen Schnauben an.

»Schnell, geh schnell weg! Oder siehst du nicht, dass die Bullen sich gleich gegenseitig aufspießen?«, schrie der Hüter des Roten mit schriller Stimme, denn er konnte seine Wut nicht länger unterdrücken.

»Du willst andere Leute zu etwas zwingen? Wenn du Angst hast zu sterben, dann geh zurück. Ich kann nicht!«, rief sein Kontrahent äußerst verärgert. Sein Atem ging ebenso stoßend wie der seines Bullen.

»Ich zwinge dich doch gar nicht. Aber stimmt es denn nicht, dass du zuerst zurückweichen müsstest? Du hast mich rückwärts auf die Brücke gehen sehen, warum hast du nicht sofort etwas gesagt? Du wolltest mich provozieren, nicht wahr!?«, beschwerte er sich in einem ähnlich aufgebrachten Tonfall. Er wurde immer wütender.

»Hör auf, nach etwas zu suchen. Ich wollte dich nicht herausfordern. Du hast überhaupt nicht aufgepasst, hast dich nicht einmal umgeschaut, und jetzt willst du anderen die Schuld geben«, antwortete der Besitzer des Beigefarbenen mit dem Finger auf sein Gegenüber zeigend. Er ging noch einen Schritt weiter und sein unruhiger Bulle folgte ihm auf dem Fuße.

»Herausforderung oder nicht.« Der Mann mit dem roten Bullen ließ nicht locker. »Ich führe meinen Bullen jeden Tag hier entlang, und nie ist etwas passiert. Nur heute macht es uns jemand nach.«

»Heh, das ist zu viel. Du sagst, ich mache es dir nach. Jeder Bulle kann auf diese Brücke, du glaubst wohl, deiner ist besonders schlau. Haltet euch nicht für einzigartig, diese Brücke gehört schließlich nicht deinem Vater. Warum sollte ich sie nicht überqueren können?«

»Du bringst tatsächlich meinen Vater mit ins Spiel? Das ist ja wohl das Allerletzte. Auch wenn mein Vater nicht der Eigentümer ist, deine Mutter hat sie auch nicht gebaut«, gab der Hüter des Roten zitternd vor Wut zurück.

Die beiden Bullen scharrten stärker mit den Hufen. Sie waren erregt, wollten in ihrer Wildheit aufeinander losgehen, sodass beide Männer ihre ganze Kraft aufbieten mussten, um sie zurückzuhalten. Die Brücke schlingerte stärker, die Drähte ächzten durchdringend und unten wirbelte das grüne Wasser fast flehentlich; bereit, alle Körper zu verschlucken, die herunterfallen.

Ohne dass einer nachgab, starrten sich die beiden Männer in die Augen. Der nervöse rote Bulle versuchte, ohne Furcht zu zeigen, seinen Betreuer weiter vorzuschieben. Der helle Bulle machte es genauso. Auch er drückte seinen Besitzer ständig vor, bis dieser ihm einen klatschenden Schlag verpasste. Die Brücke vibrierte und schaukelte so sehr, als würde sie gleich umschlagen. Bei beiden Männern und ihren Tieren begann sich das Entsetzen auf den Gesichtern zu zeigen.

»Sollen wir alle sterben? Geh du zuerst zurück, geh schnell! Kannst du nicht hören? Wir sterben alle, wenn wir warten … bitte!«, schrie der Mann mit dem beigefarbenen Bullen erneut auf. Seine anfängliche Wut schien sich zu legen. Mit einer Hand hielt er sich an dem improvisierten Geländer der Brücke fest. Sein Gegenüber verhielt sich ganz ähnlich.

»Wie soll ich denn zurückgehen? Die Brücke ist ein wenig zu eng. Der Bulle kann sich nicht umdrehen … Oder soll er etwa rückwärts gehen? Lass es doch deinen zuerst versuchen. Sie werden sich gleich aufeinander stürzen.«

»Mein Bulle kann ebenso wenig umkehren wie deiner. Was machen wir denn jetzt?« Das Gesicht des Mannes mit dem hellen Bullen erblasste. Sein Bulle scharrte unaufhörlich mit den Hufen auf den Holzplanken, womit er das Schlingern der Brücke nochmals verstärkte.

»Heh, heh, was macht ihr denn da? Warum stachelt ihr eure Bullen mitten auf der Brücke dermaßen an? Geht ein Stück zur Seite und lasst mich durch«, erschallte eine laute Stimme hinter dem roten Bullen. Gleichzeitig waren herannahende Schritte zu hören. Ein Mann mit einer Stange quer über der Schulter, an deren Enden je ein mit Latex gefüllter Eimer hing, torkelte mit weit vorgebeugtem Oberkörper wie ein Betrunkener auf die Brücke. Die frisch gezapfte weiße Kautschukflüssigkeit schwappte schon über und verteilte sich auf den Brückenplanken.

»Noch so ein Verrückter … warum willst auch du uns noch ärgern? Siehst du nicht, dass Leute und Bullen den Durchgang versperren?«, brüllte der Betreuer des roten Bullen zornig, während er sich umdrehte. Der dritte Mann auf der Brücke hatte sein Tier so verschreckt, dass dieses seinen Pfleger fast von der Brücke drängte.

»Ich habe schwer zu tragen! Wer will mich zurückhalten? Siehst du nicht, dass der Latex schon überall verschüttet ist? Ich habe die dunkle Ahnung, dass mein Chef mir ganz schön zusetzen wird«, beschwerte sich der wütende Mann auf zitternden Beinen.

Der Hüter des Roten drückte seinen Schützling rückwärts nach hinten, doch dieser weigerte sich. Er wollte nichts anderes, als sich auf den hellen Bullen stürzen. Die Brücke geriet erneut in heftigste Schwingungen, die dazu führten, dass noch mehr Latex aus den Eimern herauskleckerte.

»Lasst die Bullen nicht gegeneinander kämpfen! Alles ist schon verschüttet. Habt ihr nichts anderes zu tun? Die Bullen mitten auf der Brücke aufeinander zu hetzen, das hier ist doch keine Kampfarena. Wisst ihr nicht, dass es anderen Leuten Ärger bereitet?« Der Latex-Träger versuchte vergeblich, sein Gleichgewicht zu halten, denn die Brücke wackelte noch immer zu sehr.

»Du weißt doch längst, dass du nicht rüber kommst, warum gehst du nicht zurück? Los, geh zurück! Schnell! Wenn die Brücke reißt, sind wir alle tot«, entrüstete sich der Betreuer des roten Bullen. Für einen Moment wandte er sich von seinem vorherigen Gegner ab und warf erboste Blicke auf den Mann mit dem Latex.

»Dieser Weg ist zum Begehen da …«, erwiderte der Lastenträger. »Jeden Morgen gehe ich diesen Weg und noch nie habe ich so verrückte Menschen getroffen. Welch Desaster!«, beschwerte er sich murrend, lehnte aber einen Rückzug seinerseits ab, weil er befürchtete, noch mehr Latex zu verschütten. Verschüttete er auch noch den Rest, bedeutete dies den Verlust eines ganzen Tagesgehaltes.

Noch bevor der Mann mit dem Roten darauf antworten konnte, schrie der Besitzer des beigefarbenen Bullen auf. Am Fuße der Brücke erschien eine weitere Person, deren hektische Bewegungen seinen Bullen in Alarm versetzten.

»Gute Frau, warum kommst du auch noch auf die Brücke? Wie du siehst, blockieren Menschen und Tiere die Brücke. Stop! Halt sofort an! Die Bullen sind völlig verängstigt.«

»Macht Platz, ich muss zum Markt! Mein Kind stirbt, ich muss Medizin kaufen. Schnell, macht Platz.« Die Frau mittleren Alters schien weder die Warnung zu hören noch die versperrte Brücke wahrzunehmen. Sie wollte einfach nur hinüber.

»Ich sagte, du kannst nicht gehen. Bist du taub?«, tobte der Mann in höchster Tonlage.

»Nimm deinen Bullen zur Seite, verschwindet alle beide, ihr Idioten. Mein Kind stirbt, lasst mich Medizin kaufen«, kreischte die Frau und griff unsicher nach den Drähten zum Festhalten.

»Warum provoziert ihr mich? Schaukelt die Brücke nicht so! NEIN! Nicht schaukeln«, zeterte sie ohrenbetäubend.

»Frau! Zapple nicht so. Mein Latex ist schon fast völlig verschüttet, siehst du? Oh Mann, ich werde verrückt … warum muss das ausgerechnet mir passieren?«, brüllte der Latex-Träger von der anderen Seite. Allem Anschein nach konnte er es nicht länger ertragen.

»Dreh du doch um! Du beschwerst dich wie die Olle. Nichts als Geschrei! Mein Bulle ist völlig verstört. Gleich gehen wir alle baden«, rief der Pfleger des roten Bullen ärgerlich dazwischen.

Die Frau in den mittleren Jahren bebte mit den Erschütterungen der Brücke. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihre extreme Panik. Sie schrie wie eine Geisteskranke.