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Felix Andrews genießt das Collegeleben in vollen Zügen, aber nun fühlt er sich bereit für eine feste Beziehung. Daher bittet er seine Freunde, ihn bei der Partnersuche zu unterstützen. Gesagt, getan – sie schicken Felix zu einem Blind Date mit dem liebenswerten Marshall. Nur läuft nichts wie geplant, und am Ende ist Felix eins völlig klar: Marshall möchte er am liebsten nie wiedersehen. Doch der folgende Morgen hält eine Überraschung für ihn bereit. Marshall Harrows weiß schon nach dem ersten Date: Felix Andrews ist sein Traummann. Leider steht seine Schwärmerei unter keinem guten Stern. Aber das Schicksal und ihre gemeinsamen Freunde führen Felix und Marshall immer wieder zusammen …
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2025
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SAXON JAMES
THE DATING DISASTER
FRANKLIN UNIVERSITY 2
Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld
Über das Buch
Felix Andrews genießt das Collegeleben in vollen Zügen, aber nun fühlt er sich bereit für eine feste Beziehung. Daher bittet er seine Freunde, ihn bei der Partnersuche zu unterstützen. Gesagt, getan – sie schicken Felix zu einem Blind Date mit dem liebenswerten Marshall. Nur läuft nichts wie geplant, und am Ende ist Felix eins völlig klar: Marshall möchte er am liebsten nie wiedersehen. Doch der folgende Morgen hält eine Überraschung für ihn bereit.
Marshall Harrows weiß schon nach dem ersten Date: Felix Andrews ist sein Traummann. Leider steht seine Schwärmerei unter keinem guten Stern. Aber das Schicksal und ihre gemeinsamen Freunde führen Felix und Marshall immer wieder zusammen …
Über die Autorin
Die australische Autorin Saxon James schreibt über queere Charaktere. Ihre Bücher umfassen eine breite Spanne – von Young Adult bis zu Unterhaltungsliteratur für Erwachsene ist alles dabei. Eins haben jedoch ihre Bücher gemeinsam: Immer geht es um die Liebe in all ihren wunderbaren Facetten.
Wenn sie nicht gerade schreibt, gönnt sich Saxon jede Menge Kaffee und Schokolade bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Lesen.
Die englische Ausgabe erschien 2022 unter dem Titel »The Dating Disaster« bei May Books, Australien.
Deutsche Erstausgabe März 2025
© der Originalausgabe 2022: Saxon James
Published by arrangement with Bold Type Agency Pty Ltd, Australia via Michael Meller Literary Agency GmbH, München.
© für die deutschsprachige Ausgabe 2025:
Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,
Hammergasse 7-9, 98587 Steinbach-Hallenberg
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Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Die Nutzung des Inhalts für Text und Data Mining
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Umschlaggestaltung: Ronja Forleo
Lektorat: Corinna Wieja
Korrektorat: Theresa Neuendorf
Schussredaktion: Daniela Dreuth
Satz & Layout: Second Chances Verlag
ISBN Klappenbroschur: 978-3-98906-062-3
ISBN E-Book: 978-3-98906-063-0
Auch als Hörbuch erhältlich!
www.second-chances-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Titel
Über die Autorin
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Danksagung
FELIX
Einige Wochen zuvor
Der Typ – nein, der Mann – nein, der Prachtkerl mir gegenüber hätte ein Volltreffer sein müssen. Graue Augen, dunkelbraune Haare, leichter Bartschatten und muskulöse Arme, mit denen er mich in der Mitte durchbrechen könnte. Er ist über eins achtzig groß und die perfekte Mischung aus Kraft und Sanftheit, bei der ich vollkommen weich werde – nun ja, außer in der Hose.
Trotzdem ist dieses Date bisher schmerzhafter als ein Anal-Bleaching nach dem Wachsen.
Mein Blick wandert zur Weihnachtsdekoration über der Bar, und ich ermahne mich erneut, bei der Sache zu bleiben.
Marshall knetet seine hinreißend großen Hände immer wieder auf dem Tisch. »Ah …« Er schluckt. »Also … Du kommst aus Massachusetts.«
»Das hatten wir schon, ja«, erwidere ich und verkneife mir ein Lachen. Zwar scheint er ein absoluter Schatz zu sein, aber – und damit meine ich ein großes aber – jemand wie er würde auf keinen Fall mit jemandem wie mir fertigwerden. Er ist so … rein. Was wirklich schade ist, denn er ist unglaublich heiß, und ich würde alles tun, um von ihm fertiggemacht zu werden – im Bett, versteht sich.
»Hm. Stimmt.« Er kneift die Augen zusammen und blinzelt dann hektisch, was den Sahneschnitten-Look leider völlig verdirbt. Außerdem könnte ich schwören, dass er mich noch kein einziges Mal direkt angesehen hat. Sein Blick huscht durch die Bar, als wäre er am liebsten irgendwo anders.
Meine Erwartungen, die bei seinem Anblick in die Höhe geschossen sind, stürzen nun in sich zusammen. Doch das ist nicht seine Schuld, sondern meine, weil ich mich mit diesem Date zu sehr unter Druck gesetzt habe. Klar, ich habe gern Sex, am liebsten jeden Tag, aber nachdem mein Dad im vergangenen Jahr meinen Patenonkel geheiratet hat und auch einige meiner Freunde inzwischen frisch verliebt sind, sehne ich mich ebenfalls nach einer festen Beziehung.
Deshalb habe ich meine Freunde auf die Operation »Findet für Felix einen Freund« angesetzt, doch bisher haben sie kläglich versagt. Obwohl ich fairerweise zugeben muss, dass sie nichts von dieser Mission wissen. Sie glauben alle, ich sei bloß auf der Jagd nach weiteren Sexpartnern.
Und ja, wahrscheinlich lande ich mit dem Teddybären mir gegenüber im Bett, trotzdem trifft mich die Enttäuschung schwer. Er ist nicht mein Mr Right, und langsam nagt es an mir, dass ich keinen einzigen halbwegs anständigen Mann finde, bei dem mein Herz schneller schlägt und der auch von mir mehr will als nur einen Quickie.
Ich fühle mich zwar wohl in meiner Haut und bin zufällig jemand, der gern Sex hat, aber ich lebe nicht hinterm Mond. Ich weiß, wie mich manche Typen nennen. Selbst nachdem sie mit mir geschlafen haben. Meistens lasse ich das nicht an mich heran, doch in solchen Momenten – wenn ich einem Mann gegenübersitze, bei dem mein Herz seltsame Saltos schlägt, wenn ich ihn nur ansehe – tut es wirklich weh zu wissen, dass ich niemals gut genug sein werde.
»Was machst du gern am Wochenende?«, fragt Marshall und nippt so hastig an seinem Bier, dass ein paar Tropfen auf seinem Shirt landen. Auf seinem Shenanigans-Polo-Shirt, um genau zu sein. Offensichtlich hat er seine Schicht der Bar in der Nähe des Campus der Franklin University fünf Minuten vor unserem Date beendet und dachte, es wäre ein kluger Schachzug, mich dort zu treffen. Nachdem ich mir wortwörtlich stundenlang den Kopf darüber zerbrochen habe, was ich anziehen soll. Für ihn. Um ihm zu gefallen.
Ich habe mir so viel Mühe für ihn gegeben, doch er hielt es wohl nicht für nötig, mir denselben Respekt entgegenzubringen.
Entschlossen, meine miese Stimmung abzuschütteln, hebe ich eine Schulter und versuche mich an einem Lächeln. »Hauptsächlich Matratzensport«, erwidere ich. Denn, hey, wenn er sich schon nicht als Beziehungsmaterial eignet, kann er mir wenigstens das Hirn rausvögeln. Damit ich wenigstens irgendetwas von diesem Date habe.
»Ja, ich auch.« Er nickt und wirkt plötzlich erleichtert. »Wenn ich nicht arbeite, lasse ich es an den Wochenenden meistens ruhig angehen. Videospiele mit den Jungs, lesen, vielleicht etwas …«
»Oh, du dachtest, dass ich mit ›Matratzensport‹ entspannen meine?«
Er reißt die Augenbrauen hoch. »Äh … ist das nicht …«
»Wie süß … Ich meinte es wörtlich.«
Seine Lippen formen ein O und seine Wangen röten sich. »Das ist, also, cool«, stammelt er.
Wunderbar. Jetzt hat er mich in eine Schublade gepackt. Ich unterdrücke ein Seufzen, da ich ihm keinen Vortrag über Sex-Positivität halten will. Wie lange soll ich diese Sache noch laufen lassen, bevor wir beide zugeben können, dass es nicht funktioniert? Dating ist neu für mich, deshalb weiß ich nicht, ob es Regeln gibt, aber ich will nie wieder verstecken, wer ich bin, so wie in meiner gesamten Highschoolzeit, in der ich nicht geoutet war. Und ich werde mir von diesem Typen bestimmt nicht das Gefühl geben lassen, er sei was Besseres als ich, nur weil ich gern Sex habe.
Doch auch wenn sich diese unangenehmen Gefühle in meinem Bauch sammeln, hab ich immer noch Bock auf die After-Party. Marshall wäre nicht der Erste, der mit mir schläft, obwohl er mich nicht leiden kann.
Marshall fährt sich mit einer Hand durch die zerzausten Haare, wodurch ein riesiger Schweißfleck unter seiner Achsel und sein gewaltiger Bizeps zum Vorschein kommen. Mein Blick folgt dem Verlauf seiner Schulter zu seinem breiten Hals und der kräftigen Kieferpartie. Dann treffen sich unsere Blicke, und zwischen uns sprühen Funken.
Er räuspert sich und sieht nach unten. »Hast du … hast du, ähm, was studierst du?«
Die Art, wie er die Frage stellt, lässt mich die Augen verengen und ich recke den Kopf, um meine Vermutung zu bestätigen. Von hier aus kann ich seinen Schoß zwar nicht sehen, rate aber ins Blaue hinein.
»Bitte sag mir, dass du deinen Schwanz betrachtest, und nicht eine Liste mit Gesprächsthemen.«
Ruckartig hebt er den Kopf und sein schuldbewusster Gesichtsausdruck verrät ihn augenblicklich. »Ich …«
»Ist es wirklich so schwer, sich mit mir zu unterhalten?«
»Was? Nein. Nein, ich …«
Damit wäre das geklärt. Es klickt einfach nicht. Wir sind zu verschieden. Ich erinnere mich daran, dass es in Ordnung ist, und versuche, die Enttäuschung und das Gefühl der Wertlosigkeit tief in mir zu vergraben. Er ist nicht mein Mann fürs Leben. Und wird es auch niemals sein. Na ja, allerdings ist das kein Grund, warum er nicht mein Mann für heute Nacht sein könnte.
Ich stehe auf, wobei mein Stuhl quietschend über den Boden schabt.
Marshall starrt mich mit offenem Mund an, doch ich bin entschlossen, das Beste aus dem Abend zu machen. Es ist schon fast elf und die Bar gerappelt voll, aber es ist immer noch zu früh, um ihn hinten in der Gasse zu vernaschen. Was bedeutet, dass wir irgendwo hingehen müssen, und es wäre mir lieber, wenn es nicht meine Wohnung ist. Bei mir zu Hause würde nämlich er entscheiden, wann er gehen will, und nicht andersrum. Diese Lektion habe ich auf die harte Tour gelernt.
Bevor er auch nur ein Wort sagen kann, schnappe ich mir seine riesige Hand, verschränke meine Finger mit seinen, und ziehe ihn durch die Menge. Er folgt mir anstandslos, und erst, als ich die Hintertür öffne und in die dunkle Gasse hinaustrete, leistet er ein wenig Widerstand.
»Felix, was hast du …«
Ich drehe mich um und drücke ihn gegen die Hauswand. Obwohl er die Beine ein wenig spreizt, sodass ich mich dazwischen stellen kann, ist er immer noch um einiges größer als ich. Auch wenn unser Date in der Bar eine Katastrophe war, weiß ich schon, dass sich das Ende dieses Abends in mein Gedächtnis einbrennen wird.
Mit weit aufgerissenen Augen legt er seine sexy Hände an meine Taille. »Was tust du?«
»Ich will dich küssen.«
Er atmet zittrig ein. Schluckt. Nickt. »Okay.«
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, ohne große Erwartungen, doch sobald sich unsere Lippen berühren, ist es so, als ob etwas in uns explodiert. Er öffnet sich mir sofort und umspielt meine Zunge mit einer Selbstsicherheit, die ich beim Date vermisst habe. Sein warmer Mund, sein fester Griff an meinem Rücken und seine harte Brust an meiner sorgen dafür, dass Schmetterlinge in meinem Bauch herumflattern. Diese kleinen geflügelten Mistviecher drehen tatsächlich ihre Runden.
Marshall umfasst mein Gesicht und stößt ein leises Brummen aus. Sein Kuss ist leidenschaftlich und innig, einfach unglaublich, und lässt meine Knie weich werden, aber ich brauche mehr. Ich will seinen harten, nackten Körper auf mir spüren, seinen Schwanz in mir, und sehen, wie der unbeholfene Mann, der mir heute Abend gegenübersaß, verschwitzt und voller Verlangen sich selbst vergisst.
Stöhnend grabe ich die Finger in seine Schultern, ehe ich sie über seine Brust gleiten lasse, um durch dieses alberne Polo-Shirt seinen Nippel zu zwicken.
Schwer atmend löse ich mich von ihm und drücke meine Lippen stattdessen an sein Ohr. »Ich will, dass du mich vögelst«, flüstere ich.
Sofort verändert sich seine Haltung.
Marshall erstarrt und zieht ruckartig den Kopf zurück. »Ich … ich …«
»Schon okay«, versichere ich ihm. »Das Date war ein Reinfall, aber wir können es wenigstens mit einem Orgasmus beenden, findest du nicht?«
Seine Verwunderung weicht einer angespannten Miene, und er schüttelt den Kopf. »Das ist nichts für mich.« Und da ist das Selbstbewusstsein, nach dem ich gesucht habe. Im unpassendsten Moment.
Mein Magen zieht sich unangenehm zusammen, und ich trete hastig einen Schritt zurück. »Alles klar.« Ich werde ihn nicht zwingen, mich zu nehmen. Wenn er mich nicht will, verdient er mich auch nicht.
Schmerz breitet sich in meiner Brust aus, und ich versuche, ihn abzuschütteln.
»Es tut mir leid, ich … ich bin … ich bin nicht …«
»So ein Typ«, beende ich den Satz für ihn, da ich diesen Mist schon oft genug gehört habe. Entweder hält er sich für zu gut für einen Quickie mit mir, oder er ist noch nicht geoutet. Was es auch ist, ich habe keinen Nerv dafür. »Keine Sorge. Die Botschaft ist angekommen.«
Ich klopfe meine Taschen ab, um sicherzugehen, dass ich alles dabeihabe, bevor ich mich zum Gehen wende.
Marshall packt mich am Arm, und ich werfe ihm einen finsteren Blick zu.
»Das solltest du lieber lassen, Großer.«
Er zuckt zurück, als hätte er einen Stromstoß bekommen. »Entschuldige. Bitte. Ich bin verwirrt.«
Also nicht geoutet. »Mach dir keine Gedanken darüber«, wiegele ich ab und schenke ihm ein aufrichtiges Lächeln. Ich habe diese irritierende Reise zur Selbsterkenntnis immerhin auch durchgemacht. Ich trete auf ihn zu und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke für das Date.«
»Du gehst?«
»Ich halte es für das Beste.«
Er macht ein langes Gesicht, doch ich drehe mich um und blende es aus, während ich mich daran erinnere, wie erbärmlich es ist, wegen einer kleinen Zurückweisung zu heulen. Marshall ist nicht mein Prince Charming, aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht finden werde. Eines Tages. Irgendwann.
Trotzdem werfe ich unwillkürlich einen Blick über die Schulter, als ich den Parkplatz erreiche. Marshall lehnt zusammengesackt an der Wand und sieht mir nach. Obwohl ich seinen Gesichtsausdruck aufgrund der Dunkelheit nicht erkennen kann, hat sich ein Felsbrocken in meinem Bauch festgesetzt. Dabei ist es echt sein Pech.
Er wollte all das nicht, also hat er kein Recht, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, weil ich gegangen bin. Ich habe keine Zeit für Spielchen, und definitiv nicht für Typen, die mich an meinem Selbstwert zweifeln lassen. Das habe ich in den letzten Jahren wirklich schon oft genug erlebt.
Ich gehe. Die Geräusche des Strands hinter mir klingen gedämpft, der Geruch des Salzwassers hängt schwer in der Luft, als ich den vertrauten Heimweg antrete. Allein.
***
Auf Nimmerwiedersehen, Marshall Harrows.
Das ist mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen, doch ich hätte ihn wohl besser nicht ans Universum schicken sollen. Als ich aufwache, unterhält sich mein Mitbewohner Jason, mit jemandem, dessen Stimme mir beunruhigend vertraut vorkommt. Wenn man bedenkt, dass Jason ohnehin nur selten hier schläft, ist seine Anwesenheit um diese Uhrzeit schon seltsam genug, aber …
Ich schlage die Decke zurück, um mir das Ganze genauer anzusehen. Doch sobald ich die kleine Treppe hinuntergegangen bin, wünsche ich mir, ich wäre im Bett geblieben. Mitten in unserem derzeit freien Zimmer stehen Jason … und Marshall.
Mein Magen schlägt einen Purzelbaum, als sein Blick augenblicklich zu meiner kurzen Schlafanzughose wandert. Ich könnte mir in den Hintern treten, weil ich mich nicht erst angezogen habe, aber wer hätte denn auch damit rechnen können?
»Hey Fe«, sagt Jason. »Du kommst genau richtig, um unseren neuen Mitbewohner kennenzulernen.«
Ohh, ganz sicher nicht.
»Marshall, das ist Felix«, fährt Jason fort, als hätte er mir nicht gerade den Boden unter den Füßen weggezogen.
Anstatt des angenehmen Purzelbaums von eben, dreht sich mein Magen nun um. Mein Zuhause ist der Hafen, wo ich so sein kann, wie ich wirklich bin. Ich muss mich nicht zurückhalten oder verstellen, und jetzt zieht dieser über eins achtzig große, voller Vorurteile steckende, ungeoutete Typ mit den sexy Augen und zerzausten Haaren ein.
»Äh, hi.« Er lächelt mich verwirrt an.
»Hi. Also … wie kommt das?« Oha, das klang selbst in meinen Ohren schrill.
»Bowser hat gefragt, ob ich das Zimmer will …« Sein Blick huscht zu Jason, als würde er nach Bestätigung suchen.
»Und ich bin so froh, dass er es getan hat«, erwidert Jason. »Einige der Typen, die sich beworben haben … Na ja, sie hatten nicht unbedingt die besten Empfehlungen.«
Marshall lacht leise. »Ich mache euch keine Probleme. Normalerweise hänge ich sowieso nur mit Bowser ab.«
»Woher kennst du ihn?«, frage ich, bemüht, weder panisch noch schnippisch zu klingen, aber, scheiße. Was für eine beschissene Scheiße.
»Wir sind beste Freunde.«
Okay, das erklärt, warum Bowser unser Date arrangiert hat. Er kann von Glück sagen, dass er über die Feiertage schon nach Hause gefahren ist, sonst würde ich ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Ein sehr ernstes. Denn wie zum Teufel kommt man auf die Idee, jemanden mit seinem zukünftigen Mitbewohner zu verkuppeln?
»Ich muss los«, verkünde ich abrupt.
Jason sieht mich besorgt an, und ich könnte schwören, dass Marshall blass wird. Seine Augen sind so groß wie Untertassen, und obwohl ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe, kenne ich diesen Blick. Keine Sorge Kumpel, ich werde dich nicht outen.
»Alles in Ordnung bei dir, Fe?«
Ist es das? Einsatz: hysterisches Lachen. Warum auch nicht?
Ich muss mit dem Typen zusammenleben, der mich abgewiesen und mir das Gefühl gegeben hat, so minderwertig zu sein, wie meine innere Stimme es mir weismachen will. Wann immer ich ihn ansehe, werde ich mit meinen eigenen Unsicherheiten konfrontiert.
Dass er wie ein getretener Welpe aussieht, macht die Sache nun auch nicht leichter.
»Ja, klar. Alles gut«, antworte ich.
MARSHALL
»Und, wie findest du es?«, fragt mein bester Freund Bowser.
Ich sehe mich in dem Raum um, der größer ist als meine Hälfte des Zweibett-Zimmers im Studentenwohnheim, aus dem ich vor Kurzem ausgezogen bin. Bowser ist über die Feiertage früher nach Hause gefahren, deshalb war er bei meinem Einzug vor ein paar Wochen nicht hier, und ich bin erst heute Morgen zurückgekommen. »Abgeschieden.«
»Abgeschieden?«, keucht er gespielt empört. »Du hast von hier aus einen Blick auf den Strand, Mann.«
»Ja, aber der Weg zur Arbeit ist länger.«
»Du undankbarer Rüpel.«
»Hast du wieder britische Sitcoms gesehen?«
Er zuckt mit den Schultern. »Die Briten sind witzig, Kumpel. Ich sag’s dir, da ist dieser …«
»Ich verzichte.«
»Aber …«
Lachend stupse ich ihn an. »Ich werde mir in meiner begrenzten Fernsehzeit bestimmt nicht ansehen, wie Scotland-Yard-Agenten Jack the Ripper aufspüren.«
»Das ist nicht …« Er unterbricht sich, da er weiß, dass ich ihn aufziehe. »Wie lange muss ich dich noch behalten, bevor ich dich gegen einen neuen besten Freund eintauschen kann?«
Ich deute auf das Zimmer. »Hey, wir sind jetzt Mitbewohner. Das verschafft mir mindestens noch ein paar Monate.«
Bowser grummelt vor sich hin und zerrt den Teppich heran, den er in einem Secondhandladen aufgetrieben hat. Das Zimmer ist schlichter eingerichtet und teurer als die Unterkunft im Studentenwohnheim, aber ich musste da raus. Ein Mitbewohner, der die ganze Nacht auf ist, Selbstgespräche über den rückläufigen Merkur führt und Sternbilder aufzeichnet, passt nicht gut zu mir. Während er in den Himmel blickt, sehe ich ständig in die Vergangenheit. Geschichte ist so was von cool und absolut beängstigend. Aus dem, was vor uns geschehen ist, können wir so viel mehr lernen als aus den Ratespielchen der Astrologie.
»Wir statten dein Zimmer so aus wie meins«, erklärt Bowser. »Xbox und Fernseher da drüben, dann holen wir einen gebrauchten Schreibtisch und … ooh! Ein Aquarium, Alter. Das stellen wir an die Wand …«
»Hier wird nichts Lebendiges einziehen. Also kauf mir auch keine Pflanze.«
»Oh-oh.« Er schlüpft aus meinem Zimmer und verschwindet in seinem, ehe er mit einem winzigen Topf zurückkommt. »Du verlangst doch nicht, dass ich Cactus Everdeen zurückbringe, oder?«
»Cactus Ever… was?«
Bowser stellt den Terrakottatopf auf mein Fensterbrett, und ich betrachte den flauschigen weißen Ball darin genauer.
»Das ist der wohl hässlichste Kaktus, den ich je gesehen habe.«
»Es ist ein Greisenhaupt-Kaktus.« Er zwinkert mir zu. »Hat mich an dich erinnert.«
Ich schnaube.
»Keine Sorge, sobald er wächst, verwandelt er sich von einer Kugel in einen großen, haarigen Schwanz.«
»Perfekt. Ich wollte schon immer phallusförmige Pflanzen.«
»Siehst du? Ich kenne dich zu gut.«
Ich lasse ihn das hässliche Ding bewundern und packe meine Klamotten aus. Schlagartig erfasst mich Erleichterung. In den letzten Monaten habe ich im Shenanigans als Aushilfe die Barkeeper unterstützt, um Geld zu sparen und in meinem Abschlussjahr aus dem Studentenwohnheim auszuziehen. Doch als Bowser mich anrief und mir erzählt hat, dass sein Mitbewohner noch vor dem Frühlingssemester die Fliege macht, habe ich meine Pläne angepasst. Finanziell wird es etwas eng werden, aber scheiß drauf. Jetzt kann ich wenigstens ohne ständiges Hintergrundmurmeln lernen.
Mom und Dad musste ich auch beichten, dass ich hin und wieder ihre Hilfe brauchen könnte. Doch sie waren toll und haben mir nach Weihnachten nicht nur meinen monatlichen Zuschuss erhöht, sondern außerdem versprochen, sich an den Einkäufen und Nebenkosten zu beteiligen, falls nötig. Hoffentlich muss ich dieses Angebot jedoch nicht in Anspruch nehmen.
»Hey, du hast mir gar nicht erzählt, wie dein Date mit Felix gelaufen ist«, bemerkt Bowser.
Ich stöhne und stehe plötzlich total unter Strom. Bowser war vor Weihnachten nicht hier, aber als ich Felix an meinem Einzugstag über den Weg gelaufen bin, hatte das eine mehr als unangenehme Unterhaltung zur Folge. Felix sind beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen, als ihm klar wurde, dass wir von nun an zusammenleben würden, und in der Woche vor Weihnachten wurde die Stimmung immer verkrampfter.
»Schrecklich.«
»Was?« Bowser klingt überrascht. »Ich dachte, die Sache wäre ein Volltreffer.«
Himmel, ich weiß, was er meint. Sobald mir klar wurde, dass der süße Typ mit den rotblonden Haaren meinetwegen da war, hätte ich mir beinahe in die Hose gemacht. Ich hätte absagen und so tun sollen, als wäre ich krank. Hätte ich es mal lieber getan. Denn als ich ihm gegenübersaß und unter dem Blick aus seinen blauen Augen immer nervöser wurde, war mir nur allzu bewusst, wie sehr ich die Sache vermasselte.
»Wie zum Teufel konntest du das vergeigen? Ihr entsprecht perfekt dem Typ des jeweils anderen.« Er klingt persönlich beleidigt.
»Wieso gehst du davon aus, dass ich es vergeigt habe?«
»Weil ich dich kenne.« Als ich nicht antworte, lässt er sich aufs Bett fallen und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Seine dunkelroten Haare sind unter der falsch herum aufgesetzten Kappe verborgen. »Felix hat eine Schwäche für kräftige Typen – er hätte auf jeden Fall versucht, mit dir zu schlafen.«
Mein Gesicht wird bis zu den Ohren heiß. »Äh, hat er auch.«
»Ach ja?«
»Jap.«
Bowser leckt sich über die Lippen, den Blick auf die Decke gerichtet, und ich weiß bereits, in welche Richtung diese Unterhaltung geht, noch bevor er den Mund aufmacht. »Diese Jungfrau-Sache …«
»Es ist keine Sache.« Ich hasse dieses Gespräch. »Es ist nichts Besonderes oder so. Ich will nur nicht durch die Betten turnen.«
»Okay, aber dir ist schon klar, dass du nicht durch die Betten turnst, wenn du mit nur einer Person schläfst, oder?«
»Ja, ich verstehe Worte.« Ich verstehe auch das Wort demisexuell. Sex … hat mich nie gereizt. Manchmal witzele ich – mit mir selbst – darüber, dass mein Bruder Robbie meinen Sexualtrieb mitgeerbt hat, wenn man bedenkt, welche Geschichten er mir erzählt. Es gab in meinem ganzen Leben genau eine Person, mit der ich tatsächlich gern geschlafen hätte, doch leider wollte sie mich nicht. Deshalb prangt nun ein großes J auf meiner Stirn, und Bowser will mir offenbar helfen, etwas dagegen zu »unternehmen«. Ich liebe diesen Kerl – in gewisser Weise erinnert er mich an Robbie –, aber auf diesen Teil seiner Unterstützung könnte ich gut verzichten.
»Vielleicht gehst du die Sache zu verkopft an. Du solltest ausgehen, dir jemand Heißes angeln und es einfach hinter dich bringen. Dann ist der Druck weg. Ich würde mich ja anbieten, wenn ich bei einem Typen einen hochbekommen würde. Ich hab’s versucht, Kumpel, doch da unten rührt sich nichts.«
»Ich will es aber nicht einfach nur hinter mich bringen.«
Er hebt ergeben die Hände. »Okay, kein Grund, gleich sauer zu werden. Ich dachte nur, wenn du schon mit jemandem schlafen willst, ist Felix eine gute Wahl.«
»Und wieso?«
»Er ist dein Typ. Er ist willig. Und er ist die Art Mann, mit der du einen One-Night-Stand haben kannst, ohne dass es unangenehm wird, wenn ihr euch wiederseht.«
Ich sehe Bowser mit schmalen Augen an. »Hast du mit ihm geschlafen?«
Er lacht. »Nein. Na ja, er hat’s versucht, aber ernsthaft, da unten war tote Hose.«
Ich versuche, diese verstörende Vorstellung abzuschütteln, und schmeiße einen Haufen zusammengelegter Wäsche in den Schrank. »Ist doch sowieso egal. Wir hatten keinen Sex, ich will nichts Zwangloses, und Felix hat nicht vor, mich wiederzusehen.«
Und um ehrlich zu sein, habe ich es damit auch nicht eilig. Die wenigen zufälligen Begegnungen in den Tagen, bevor ich über Weihnachten zu meiner Familie gefahren bin, waren ziemlich unangenehm. Ich schiebe mir die Brille höher. Mir ist klar, wie unmöglich die Hoffnung ist, dass wir uns nicht über den Weg laufen werden. So umwerfend der Typ auch ist, an unseren leidenschaftlichen Kuss will ich nicht unbedingt ständig erinnert werden, aber leider ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich ihm von nun an öfter begegne.
»Nun, ich glaube nicht, dass Felix das jemals gesagt hat.«
Die vertraute Stimme lässt mich erstarren. Mein Magen verkrampft sich, während ich überlege, ob ich hinter der Schranktür hervortreten und mich Felix stellen soll, oder mich schlicht hier verstecke, bis er verschwindet.
Bowser grinst, ignoriert meinen panischen Blick und winkt in meine Richtung. »Felix, du kennst unseren neuen Mitbewohner schon?«
Mist. Diese Flachpfeife grinst einfach nur breiter, als ich mir mit einem Finger über den Hals fahre. Die Zunge klebt mir am Gaumen, als ich meine Gesichtszüge entspanne und hinter der Schranktür hervortrete. »Hey …«
Felix verengt seine unfassbar blauen Augen. Fast zwei Wochen habe ich ihn nicht mehr gesehen, aber ich werde wieder daran erinnert, dass ich mit meiner Brille … Verdammt.
Er ist sogar noch heißer, wenn er nicht vollkommen verschwommen ist. Aus dem Nichts erfasst mich Nervosität, und ich schiebe meine feuchten Hände in die Hosentaschen. Hände schütteln? Nein danke.
»Immer noch mit dem Einzug beschäftigt, hm?«, fragte er und verzieht sein hübsches Gesicht.
Ich nicke. »Sieht so aus.«
»Seid dabei nicht so laut.«
Bowser lacht. »Ich bin so froh, dass euer Date so gut lief, denn ihr werdet ab jetzt viel Zeit miteinander verbringen.«
Ich schließe die Augen, und als ich mich traue, sie wieder zu öffnen, hat Felix die Arme fest über der Brust verschränkt.
»Nenn mich ruhig schräg, aber ich würde einen Abend, der mit Zurückweisung endet, nicht als gelungen bezeichnen.« Dann wirbelt er auf dem Absatz herum und geht.
Es kostet mich all meine Kraft, mein Gesicht nicht in meinen Händen zu verbergen.
Bowser setzt sich auf. »Okay, du hast es nicht nur vergeigt, du hast es gewaltig verkackt. Wie hast du es geschafft, das Kätzchen zu verärgern?«
»Kätzchen?«
»Ja.« Er deutet auf die Stelle, an der Felix kurz zuvor gestanden hat. »Er flirtet gern und kann ziemlich temperamentvoll und hitzköpfig sein. Aber ich hab es ernsthaft für unmöglich gehalten, dass Fe jemanden hassen könnte. Allerdings so, wie er dich gerade angesehen hat …« Er zuckt zusammen. »Du musst mir von eurem Date erzählen.«
»Damit du mich noch mehr runterputzen kannst?«
»Damit ich weiß, wie schlimm es ist. Was denn sonst?« Er zuckt mit den Schultern. »Und auch, um dich noch ein bisschen runterzuputzen. Weil … das muss ich eigentlich nicht erklären.«
Oh Mann. Ich reibe mir mit einer Hand übers Gesicht, ehe ich mich neben Everdeen auf die Fensterbank setze. Direkt unter dem Fenster ragt ein Stück des weißen Flachdachs heraus, auf das ich mühelos klettern kann, um mir den Sonnenuntergang über dem Strand anzusehen. Bowser blickt von seinem Zimmer aus auf den Liberty Court – den Platz, der von diesem Teil der Wohnhäuser eingefasst wird – und nachmittags beugt er sich gern mal aus dem Fenster und unterhält sich mit den Leuten draußen. Die Ruhe auf dieser Seite des Hauses passt perfekt zu mir.
Ich erzähle Bowser von dem Date. Angefangen damit, dass ich Überstunden machen musste, weshalb ich nach Schweiß und abgestandenem Bier stank, und obendrein versehentlich meine Brille auf der Toilette vergessen hatte, jedoch keine Aufmerksamkeit darauf lenken wollte, indem ich sie hole.
»Ich war so dermaßen nervös.«
»Du? Nervös?«, fragt Bowser.
»Ja, ich check’s auch nicht.« Normalerweise verwandle ich mich nicht in ein schüchternes, stammelndes Nervenbündel. Ich bin vielleicht nicht der selbstbewussteste Mann der Welt, breche in Gegenwart neuer Leute aber gewöhnlich auch nicht gleich vor Nervosität zusammen.
Felix … bringt mich aus dem Konzept. Heftig. Sogar jetzt löst das Wissen, dass er sich im selben Haus aufhält und ich ihm wieder über den Weg laufen könnte, all diese »Oh-Scheiße«-Gefühle in mir aus. »Vielleicht sollte ich wieder ins Wohnheim ziehen?«
Bowser schnaubt. »Wir beide wissen doch, dass dein alter Mitbewohner wahrscheinlich gerade eine Séance auf deinem Bett abhält. Also, vielleicht solltest du deine Geschichte erst mal weitererzählen und mir verraten, wieso du Felix abgewiesen hast.«
»Er hat mich geküsst.«
»Richtig.«
»Und mich dann gebeten, ihn zu vögeln.«
»Ah.« Bowser räuspert sich und lacht auf. »Klar. Nun, ich verstehe, wieso das nicht funktioniert hat.«
»Darf ich dich jetzt gegen einen besseren besten Freund eintauschen?«
»Nein, ich hab dir dieses Zimmer besorgt, wodurch ich mindestens bis zum Ende des Colleges dein bester Freund bleibe.«
Der Mistkerl hat recht.
»Bitte sag mir, dass du Fe sanft abgewiesen hast.«
»Natürlich.« Das habe ich ganz sicher. Aber wenn das der Fall wäre, würde er dann so sauer auf mich sein?
»Was hast du genau gesagt?«
Dazu fällt mir nichts ein. »Das weiß ich nicht mehr. Dass es nicht möglich ist … oder dass ich nicht darauf stehe, oder …«
Dieses Mal lacht er laut auf. »Oh mein Gott. Kein Wunder, dass du Single bist.«
»Es ist nicht meine Schuld, dass alle immer nur Sex haben wollen.«
Er lächelt mich aufrichtig an. »Kann ich nicht nachvollziehen. Hör zu … Hätte ich gewusst, dass euer Date so schiefgelaufen ist, hätte ich dich vorgewarnt. Aber keiner von euch hat mir was gesagt, und ich weiß, wie dringend du aus dem Wohnheim raus wolltest …«
»Schon in Ordnung.«
Er wirkt immer noch unsicher.
»Wirklich. Das Haus ist groß und schließlich leben wir zu fünft hier. So oft werden Felix und ich uns vermutlich gar nicht über den Weg laufen.«
FELIX
Für ein Haus mit fünf Schlafzimmern und mehreren Wohnbereichen ist es definitiv zu klein. Seit ich aus Massachusetts zurück bin, begegne ich Marshall praktisch überall. Ich sehe ihn vor den Vorlesungen in der Küche oder treffe auf ihn, wenn er aus dem Badezimmer kommt. Selbst wenn er nicht persönlich anwesend ist, hinterlässt er überall Erinnerungen daran, dass er hier wohnt.
Wie zum Beispiel die dunkelblauen Handtücher, die immer schief und verkrumpelt über der Halterung hängen, statt ordentlich und gerade. Sein Deo-Spray, das er nie zurück in den Schrank stellt, und dessen Duft immer länger in der Luft hängt als das Deo der anderen. Oder die fast leeren Milch-Packungen im Kühlschrank, in denen sich nur noch ein winziger Schluck befindet, und seine lächerliche Angewohnheit, Schränke nie komplett zu schließen, sodass die Türen immer einen kleinen Spalt offen stehen.
Ganz zu schweigen davon, dass er seine Zimmertür sperrangelweit offen lässt, wenn er das Haus verlässt. Offen. Er bietet sein Zimmer und seine Habseligkeiten praktisch jedem an, der vorbeigeht. Viel zu vertrauensselig. Er macht mich misstrauisch. Und ich denke schon wieder an den Kerl, obwohl ich rausgegangen bin, um genau das abzustellen.
Die Hängematte in der Nähe des Hauses ist frei, also setze ich mich hinein und wickle mich in den Stoff. Von hier aus kann ich den Platz gut im Auge behalten. Unser Haus, das Freidman, gehört zu den vier Gebäuden, die diesen großen Platz umfassen, und wenn ich ehrlich bin, hat mich genau diese Tatsache zum Einzug bewegt.
Ich liebe es, nachmittags hier herumzuhängen. Es ist immer jemand da, was meine soziale Ader sehr liebt, und ein himmelweiter Unterschied zu der Kleinstadt in Massachusetts, in der ich aufgewachsen bin. Dunkle, terrakottafarbene Steinfliesen bedecken all die Flächen, an denen keine Palmen, Kakteen oder spitzblättrige Farne wachsen, und an den weißen Stuckgebäuden ranken Kletterpflanzen hinauf. Hier riecht es nach Sonne und einem Hauch von Gras, der vom Stoner House herüberweht. An den meisten Nachmittagen spielt jemand Musik oder schmeißt den Grill an.
Ich atme tief ein, sauge die Atmosphäre in mich auf und ziehe mein Handy hervor. Da ich den Großteil meiner Kursarbeiten erledigt habe, kann ich mich heute Abend auch amüsieren. Allerdings bin ich wählerischer als sonst, als ich mir die Auswahl auf Grindr ansehe. Normalerweise schreibe ich den ersten einigermaßen attraktiven Muskelprotz an, den ich finde, aber heute … nein. Nein. Und … nein.
Nach der Scheidung meiner Eltern kam ich zu dem Schluss, dass sich die Liebe nicht lohnt. Zuzusehen, wie zwei Menschen, die meiner Meinung nach immer perfekt zusammenpassten, plötzlich getrennte Wege gehen, hat mich in einen Strudel gestoßen, den ich zutiefst bereue. Nur mit Ach und Krach habe ich mein erstes Jahr auf dem College bestanden, hatte oft zwanglosen und manchmal ungeschützten Sex und habe alle Substanzen ausprobiert, die man mir angeboten hat. Ich habe mich ausgelebt und abreagiert, ziemlich unklug zuweilen, vielleicht habe ich sogar versucht, Mom und Dad für die Trennung zu bestrafen, aber … nun, da sie mit ihren neuen Partnern zusammen sind, erkenne ich erst, wie unglücklich sie früher waren.
Ich bin so dankbar, dass Brady mir geholfen hat, wieder auf den richtigen Weg zu finden.
Seufzend lege ich das Handy auf meine Brust, ehe ich zu dem Bogengang sehe, der zur Straße führt. Und natürlich kommt in dem Moment, in dem ich den Blick hebe, Marshall auf den Platz. Verdammt. Wie kann ein Typ so lästig sein … und so umwerfend?
Er starrt auf sein Handy, den Rucksack hoch auf den Schultern, was seine breite Brust auf verlockende Weise betont. Als würde er die Dinge hervorheben, die meine Zunge nie kennenlernen wird. Warum muss Bowser ausgerechnet mit diesem Riesen befreundet sein?
Marshall sieht auf, bevor er vorbeiläuft, und kurz treffen sich unsere Blicke. Irgendetwas daran fasziniert mich. Er ist das komplette Gegenteil des blinzelnden Nervenbündels mit den zusammengekniffenen Augen, das ich bei unserem Date kennengelernt habe, doch dann ist der Moment schon wieder vorbei und er verschwindet im Haus.
Ich schnaube und richte die Aufmerksamkeit wieder auf mein Handy, um Brady zu schreiben.
Ich: Lust auf SEALs heute Abend?
Brady: Immer.
Na, das hilft mir wenigstens gegen meine Ruhelosigkeit. Es gibt nichts Besseres, als einen besten Freund, der dieselben Interessen teilt – und diese Interessen sind zufällig große Männer, die uns durch die Gegend werfen können. Was in Bradys Fall viel schwieriger ist, da er selbst zu dieser Kategorie Mann gehört.
Ich schwinge meine Beine über die Seite der Hängematte und halte inne. Ob schon genug Zeit vergangen ist, damit ich Marshall drinnen nicht über den Weg laufe?
»Fe, was geht?«
Bowser sitzt auf seiner Fensterbank und lässt dabei eines seiner langen, muskulösen Beine nach draußen baumeln. Oh Mann, mein Leben ist hart. Überall große, kräftige Typen, und keiner will sich von mir vernaschen lassen. »Nicht viel. Ich dachte, du hättest Vorlesungen?«
»Nee, hatte heute früher Schluss. Gehst du nachher aus?«
»Auf jeden Fall.« Ich wackle mit den Schultern. »Ich will mir einen SEAL angeln.«
Er lacht laut auf. »Natürlich willst du das.« Er hält kurz inne, und ich sehe ihm an, dass er noch etwas sagen will.
»Raus damit.«
»Raus womit?«
Ich nagle ihn mit meinem Blick fest. »Wir spielen das Spiel, oder nicht?«
Er wirft einen Blick über die Schulter in sein Zimmer, ehe er sich wieder zu mir dreht. »Also … du und Marshall.«
»Nein.«
»Was ist passiert?«
»Willst du wirklich so tun, als hätte er es dir nicht schon erzählt?«
»Ich tratsche gern.« Er zuckt mit den Schultern, als wollte er sagen: Was soll man machen? »Aber hauptsächlich will ich sichergehen, dass das Zusammenleben für euch nicht zu unangenehm ist.«
Ich fahre mir mit einer Hand durch die Locken und bemühe mich um einen gelassenen Ausdruck. »Warum sollte es unangenehm sein?«
»Wegen der Zurückweisung.«
»Als würde mich das interessieren. Auch wenn er mich nicht will, gibt es genügend andere Männer, die es tun.« Leider ist keiner von ihnen an mehr interessiert als an dem Sex mit mir. Ich hüpfe aus der Hängematte und zupfe übertrieben meine abgeschnittene Hose glatt. »Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss mich fertig machen, um einen davon zu treffen.«
»Hey«, ruft er mich zurück. »Du weißt schon, dass es nicht daran liegt, oder? Marshall findet dich umwerfend.«
Nervosität lässt mich erzittern, doch ich schiebe sie beiseite und schnippe mir eine Locke aus dem Gesicht. »Andernfalls hätte er auch Tomaten auf den Augen.«
»Oder wäre hetero«, erwidert Bowser.
»Oh bitte. Du bist hetero und findest mich trotzdem umwerfend.« Verspielt klimpere ich mit den Wimpern.
»Mist, du hast mich erwischt.« Er zwinkert mir zu. »Ich will damit nur sagen, dass du ihm noch eine zweite Chance geben solltest. Ich glaube nicht, dass er an dem Abend in Topform war.«
»Bei dir klingt es, als würde ich ihn hassen.«
»Tust du das nicht?« Ich sehe ihm an, dass er wieder lachen will. »Denn die Anspannung, wenn ihr zwei in einem Raum seid, ist wirklich heftig.«
Ich setze eine finstere Miene auf. »Zwischen uns herrscht keine Spannung. Da ist überhaupt nichts. Gar nichts. Genauso, wie es dein Freund wollte. Deshalb halte ich mich weiter von ihm fern und bin einfach so atemberaubend wie immer.«
»Als könntest du etwas anderes sein«, neckt er mich.
Ich werfe Bowser einen Luftkuss zu und gehe ins Haus, doch sobald ich den mit marokkanischen Fliesen ausgelegten Eingangsbereich betrete, verpufft meine gespielte Großspurigkeit. Möglicherweise bin ich ein bisschen stur und hasse Veränderungen, genau wie mein Dad, ich bin aber auch stolz auf mein freundliches Wesen. Wäre es wirklich so schlimm, Marshall eine zweite Chance zu geben? Was hat er denn eigentlich getan?
Unser Date hat definitiv keine Wiederholung verdient, doch das Schlimmste an dem Abend war mein verletzter Stolz. Wenn ihn seine Sexualität tatsächlich so verwirrt, wie er gesagt hat, sollte ich ihn als empathischer Mitbewohner dann nicht unterstützen? Und zugeben, dass ich etwas übertrieben reagiert habe und womöglich falschlag? Puh, das fällt mir schwer.
Ich schließe die Augen und zwinge mich, entspannt und ruhig zu atmen. Ich werde freundlich und hilfsbereit und verständnisvoll sein. Ja. Wenn ich Marshall das nächste Mal sehe, werde ich meine Enttäuschung darüber, dass er mir nicht so verzweifelt die Klamotten vom Leib reißen wollte wie ich ihm, wie durch Zauberhand loslassen. Ein Kinderspiel.
Gezwungen beschwingt laufe ich um die Ecke in die Küche – doch bei Marshalls Anblick wird mein Inneres wie im Schleudergang durcheinandergewirbelt. Er hat sein verschwitztes T-Shirt ausgezogen und seitlich in seine Sporthose gesteckt, während er an die Anrichte gelehnt eine Schale Müsli verputzt.
Ich schlucke und bemühe mich mit aller Kraft, ihn nicht abzuchecken, obwohl meine Augen unbedingt zum ersten Mal seinen umwerfenden, muskulösen Körper betrachten wollen. Ich vibriere förmlich unter der Anstrengung, und es dauert einen Moment, bis mir klar wird, dass ich ihn unverhohlen anstarre.
Er hebt seine braunen Augenbrauen. »Alles okay?«
Seine tiefe Stimme lässt mich beinahe ins Schwärmen geraten, doch stattdessen räuspere ich mich und lächle. »Isst du Müsli?« hätten wahrscheinlich nicht meine ersten Worte sein sollen.
Er neigt die Schüssel, damit ich hineinsehen kann. »Ja, und?«
»Es ist Nachmittag. Müsli gibt’s zum Frühstück.«
»Bist du die Essenspolizei?«
»Ich bin nur …« Ich würge dieses Thema ab – obwohl es wirklich unnatürlich ist – und gehe es anders an. »Hör zu, wir hatten einen holprigen Start, und ich wollte sagen … Na ja, ich weiß, wie es ist, verwirrt zu sein, und wenn du reden willst, bin ich für dich da.«
Statt des von mir erwarteten Danks legt er den Kopf schräg. »Verwirrt?«
»Ja, du weißt schon, über deine …« Ich vergewissere mich, dass keiner unserer anderen Mitbewohner hier ist, für den Fall, dass er sich noch nicht geoutet hat. »Sexualität.«
Der Blick seiner sturmgrauen Augen wandert über meinen Körper und bleibt kurz an meiner abgeschnittenen kurzen Hose hängen. »Ich bin nicht verwirrt, was meine Sexualität angeht.«
Was? Ich runzle die Stirn. »Aber das hast du gesagt.«
»Wann?«
»Als ich dich gebeten habe, mich zu vögeln. Und, entschuldige, wenn ich das sage, doch dieser Kuss hat sich auch nicht sehr verwirrt angefühlt.«
Er lacht leise. »Weil ich nicht verwirrt bin. Ich bin bi – und verstecke das auch nicht.«
»Also …« Wenn er mich nicht zurückgewiesen hat, weil er innerlich mit der Vorstellung gekämpft hat, einen Penis in den Mund zu nehmen, dann … hat er mich einfach geradeheraus abgewiesen. Nach diesem Kuss. Was zum Teufel hab ich ihm getan? Mir fehlen die Worte. Mein schrilles, verletztes Lachen erfüllt die Stille. »Das heißt also, ich bin nicht gut genug für dich? Bowser hat mir nämlich schon erzählt, dass ich dein Typ bin, die Ausrede kannst du daher nicht benutzen.«
Ein Muskel in Marshalls Wange zuckt. »Du bist wirklich beleidigt.«
»Du denkst, ich wäre nicht gut genug für dich. Wie soll ich da nicht beleidigt sein?«
»Hab ich das behauptet?«
Ich stemme die Hände in die Hüften. »Was war dann der Grund?«
»Wofür?«
Ich verziehe das Gesicht und hebe genervt die Hände. »Vergiss es.«
»Nein.« Er stellt die Schüssel auf die Anrichte. »Du bist echt sauer. Wir sollten darüber reden.«
»Danke, ich verzichte. Klingt nicht nach einem angenehmen Gespräch.«
»Du tust so, als würde ich dir wegen des Dates Sex oder so was schulden.«
Seine Worte lassen mich innehalten. Ich öffne ein paar Mal den Mund, um ihm zu sagen, wie gewaltig falsch er liegt, doch der Satz kommt mir nicht über die Lippen. Stattdessen treibt der Schmerz, der sich in meiner Brust festgesetzt hat, nun aus. Ich habe kein einziges Mal behauptet, er würde es mir schulden