The Deer and the Dragon - Piper CJ - E-Book

The Deer and the Dragon E-Book

Piper CJ

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Beschreibung

Marlow ist sich sicher, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Die Alternative wäre, sich einzugestehen, dass sie die Gabe - oder den Fluch - ihrer Mutter und Großmutter geerbt hat: Sie kann Engel und Dämonen sehen, darunter eine dunkle und heimtückische Kreatur, die Marlow ihr ganzes Leben lang begleitet hat. Zumindest glaubt sie das, bis eine Fae aus dem nordischen Pantheon in ihr Leben tritt und sie darüber aufklärt, dass sie das Bett mit dem Fürsten der Hölle geteilt hat.

Ein Prinz, der nun verschwunden ist.

Ehe sie sich versieht, ist Marlow tief in einen jahrhundertealten Krieg verstrickt und stolpert geradewegs auf ein Schlachtfeld zwischen mächtigen Wesen aus Mythen und Legenden der mächtigsten Pantheons der Welt. Und wer am Ende als Sieger hervorgehen wird, kann nur von ihr und der Liebe abhängen, an die sie nie zu glauben wagte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 719

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Schon ihr ganzes Leben lang wird die erfolgreiche Autorin Marlow von düsteren Visionen und seltsamen Träumen heimgesucht. Hat sie etwa die dunkle Gabe ihrer Mutter und ihrer Großmutter geerbt, die Engel und Dämonen sehen konnten? Vor allem der Traum von einem geheimnisvollen Fremden namens Caliban kehrt immer wieder. Mit ihm erlebt Marlow erotische Fantasien, denen kein realer Mann je gerecht werden könnte. Bis die Träume eines Nachts aufhören und Caliban spurlos verschwindet. Stattdessen tritt plötzlich eine Fae aus dem nordischen Pantheon in Marlows Leben und eröffnet ihr, dass Caliban ein Prinz der Hölle ist.

Und Marlow soll sich auf die Suche nach ihm machen.

Ehe sie sichs versieht, ist sie tief in einen jahrhundertealten Krieg verstrickt und stolpert geradewegs auf ein Schlachtfeld zwischen uralten Wesen aus den Mythen und Legenden des mächtigsten Pantheons der Welt. Und wer am Ende als Sieger hervorgehen wird, kann nur von ihr und der Liebe abhängen, an die sie nie zu glauben wagte.

Die Autorin

Piper C. J. ist Autorin, Fotografin, Hobbylinguistin und Pommes-Liebhaberin. Sie hat Ethnologie, Film und Radio studiert, was zu einem früheren Leben als Wetterfee im Frühstücksfernsehen, als Eishockey-Podcasterin und zu der Arbeit an Audio-Dokumentationen geführt hat. Wenn sie nicht gerade mit ihren Hunden Arrow und Applesauce spielt, bastelt Piper TikToks, studiert Märchen oder schreibt sehr, sehr schnell Fantasy-Romane. Mit The Deer and the Dragon, dem Auftakt einer brandneuen, spicy Romantasy-Saga, schieb sie sich auf Anhieb in die Herzen der Fans.

Piper CJ

THE DEER AND THE DRAGON

Ein No-other-Gods-Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die amerikanische Originalausgabe erscheint unter dem Titel

THEDEERANDTHEDRAGON bei Bloom Books,

an imprint of Sourcebooks, Naperville, Illinois.

Deutsche Erstausgabe: 06/2025

Copyright © 2024 by Piper CJ.

Copyright © 2025 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung

by Bloom in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich

Pflichtinformationen nach GPSR)

Übersetzung: Anu Katariina Lindemann

Redaktion: Susann Harring

Covergestaltung: t.mutzenbach design

nach einer Originalvorlage von Sourcebooks

Coverdesign: Helena Elias / Sourcebooks

Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-32810-8V002

www.penguin.de/verlage/bloom

Für alle queeren Frauen, die in Beziehungen mit Männern gelandet sind – als ständiger Beweis dafür, dass wir es uns nicht aussuchen können, wen wir lieben.

Bevor es losgeht, zunächst noch ein Wort von Piper

Haftungsausschluss zu Religion und psychischer Gesundheit:

Du hältst ein Werk der Fiktion, der Komik, der Erläuterung und der Pietätlosigkeit in deinen Händen. Auch wenn es gründlich recherchiert und durch meine eigenen Erfahrungen in der Kirche geprägt wurde, ist es in keinster Weise repräsentativ für die religiöse Mehrheit oder ein Handbuch für den Umgang mit dem Übernatürlichen eines Reichs oder Pantheons oder eine Reflexion über die Persönlichkeiten der Wesen in ihnen.

In Bezug auf die psychische Gesundheit befinden wir uns in der Lage von Marlow, unserer Protagonistin, die ihre psychische Gesundheit selbst nicht mit Wohlwollen betrachtet. Dies entspricht zwar meiner eigenen Erfahrung und der vieler anderer, aber es unterstützt keineswegs eine Sichtweise, die psychische Probleme als beschämend betrachtet oder leichtfertig abtut, sondern es beschreibt lediglich den Weg einer einzigen Figur, die diese Erfahrung macht.

Anmerkungen zu Sexarbeit

Es gibt keine Triggerwarnung für Sexarbeit, genauso wie es auch keine Triggerwarnungen für Kreditberater*innen, Immobilienmakler*innen, Tierärzt*innen oder Schriftsteller*innen gibt. Die Stärkung von Sexarbeiter*innen und ihre Entstigmatisierung sind Themen, die mir wichtig sind und die in vielen meiner Arbeiten vorkommen. Wenn dir Sexarbeit etwas Unbehagen bereitet, dann ist es nicht mein Ziel, die Umgebung für dich angenehmer zu machen, sondern dich zu ermutigen, dich mit Gedanken und Gefühlen zur Prostituiertenphobie auseinanderzusetzen. Weitere Informationen findest du in den Erfahrungsberichten, Artikeln und Beiträgen von Sexarbeiter*innen, die aus dem Nähkästchen plaudern.

Warnhinweise zum Inhalt

Dieser Roman ist für ein erwachsenes Publikum bestimmt und kann Themen und Elemente enthalten, die für manche Leser*innen beunruhigend oder ungeeignet sind. Eine ausführliche Liste der Warnungen zum Inhalt für dieses Werk sowie für alle anderen Werke von Piper CJ findest du unter: pipercj.com/gallery/content-and-trigger-warnings

Liebe Leser*innen,

Lesende sind Träumende.

Manchmal träumen wir davon, dass der Prinz der Hölle sich in uns verliebt hat und dass er die Welt in Schutt und Asche legt, um uns glücklich zu machen. Vielleicht gibt uns Marlow – ehemalige Sex-Arbeiterin, Autorin und die Hauptfigur der No Other Gods-Reihe – ein paar Tipps, wie man sich so einen überirdischen Schönling schnappt.

Als Kinder träumten wir von sprechenden Tieren, boshaften Faeries und Drachen, die auf ihrem Goldschatz sitzen. Wenn wir älter werden, verändern sich unsere Träume. Egal, ob wir von dem perfekten Latte Macchiato, der in einem Café in Seattle serviert wird, oder dem wundervollen Stück Kuchen, das es in einer Konditorei in Deutschland zu kaufen gibt, träumen – viele unserer Träume gehen über die Grenzen von Sprache, Kultur und Ländern hinaus. Manche träumen vom eigenen Haus, von einem Universitätsabschluss, von einer langen Reise – oder eben von dem schönen, unsichtbaren Ungeheuer, von dem die Welt behauptet, dass es nicht existiert.

Zwischen uns Träumenden gefragt: Was, wenn unsere Träume real sind? Wenn all die Dämonenprinzen, heidnischen Götter, gefallenen Engel und die Geheimnisse, die in ledergebunden Grimoires verborgen auf uns warten, mehr sind als nur Geschichten? Wenn die alten Runen auf von Moos überwucherten Steinen und die Wandmalereien antiker Tempel uns die Wahrheit verkünden? Wie würde die Welt wohl aussehen, wenn jede Ruhmeshalle der Götter der Welt recht behielte? Angenommen, du könntest diese Götter, Dämonen und Faeries mit deinen eigenen Augen sehen, würdest du an sie glauben oder würdest du fürchten, den Verstand verloren zu haben?

Marlows Reise durch die Welt von No other Gods ist manchmal spicy, manchmal herzzerreißend und manchmal macht sie uns wütend. Die Träume, durch die Marlows Abenteuer beginnt, erschaffen Welten, in denen das Übernatürliche nicht nur möglich, sondern unvermeidlich ist – es ist überall, mitten unter uns.

Diese Welten sind durch die Literatur miteinander verbunden. Das Geschichtenerzählen ist so alt wie die Menschheit selbst und die Themen und Motive – Liebe, Verlust, Identität und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit – existieren jenseits von Alter, Sprache und Nationalitäten. Geschichten führen uns auf eine Art und Weise zusammen, wie es nur wenig anderes vermag.

Ich hätte nie für möglich gehalten, wie sehr mich eure Reaktionen auf mein Buch berühren. Ich bin jedes Mal überwältigt, wenn ihr mir mailt, eine Review schreibt oder wir uns auf einer Veranstaltung begegnen. Ihr teilt eure Leidenschaft mit mir, zeigt eure Verletzlichkeit und eure tiefe Verbindung zu diesen Träumen. Manche von euch schreiben mir, dass sie in den Mythen und Sagen Trost finden. Andere erzählen mir von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Leben und dem Übernatürlichen und was es für sie bedeutet, religiöse Traumata zu überwinden. Obwohl ich es hasse, dass uns die Erfahrung religiöser Traumata verbindet, bin ich froh, dass wir gemeinsam einen Weg gefunden haben, unsere Vergangenheit aufzuarbeiten und eine magischere Zukunft für uns zu erschaffen.

Eure Geschichten erinnern mich daran, warum ich die Volkskunde so liebe. Die Inspiration für meine Bücher finde ich häufig in den Sagen und Mythen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Als Kind habe ich Geschichten über Faeries, Monster und Götter geliebt – nicht nur, weil sie magisch waren, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass in ihnen die Wahrheit über die menschliche Existenz zu finden ist. Seit ich vor über zehn Jahren mein Volkskundestudium abgeschlossen habe, versuche ich zu verstehen, warum uns gerade diese Geschichten auch heute noch so faszinieren. Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist, dass sie unserem Leben einen Sinn verleihen. Sie zeigen uns, wie wir mit Liebe und Verlust, mit Freude und Angst und mit all jenen Dingen, die das Menschsein ausmachen, umgehen sollen.

Deshalb liebe ich auch No other Gods so sehr. Es geht darin nicht nur um Marlows Reise – es geht um uns alle. Es geht um die Seiten an uns, die wir zu verbergen versuchen, um den Schmerz, den wir in uns tragen und die Hoffnung, an die wir uns klammern. Es geht darum, in etwas Zerbrochenem Schönheit zu finden. Es geht darum, wieder daran zu glauben, dass Magie wirklich existiert – auch wenn der Rest der Welt versucht, uns vom Gegenteil zu überzeugen.

Ich hoffe, dass Marlows Reise etwas in euch auslöst. Egal, ob ihr lacht, weint oder das Buch durchs Zimmer schleudert (was mir nicht leidtun würde!), ich hoffe, dass ihr darin etwas entdeckt, das sich für euch wahrhaftig anfühlt. Und wenn ihr euch fragt: „Was, wenn all das wahr ist?“

Nun, vielleicht ist es das ja wirklich.

Vielen Dank, dass ihr mit mir träumt.

Eure Piper CJ

Playlist der Figuren

MARLOW

HONEY

CUTTS

WICKEDGAME

JESSIEVILLA

GETOUTALIVE

ANDREARUSSETT

CALIBAN

THEDEATHOFPEACEANDMIND

BAD OMENS

DON’T FEARTHEREAPER

BLUE ÖYSTERCULT

SAVETONIGHT

ZAYDEWØLF

AZRAMES

POLTERGEIST

CORPSE, OMENXIII

WHEREAREYOU?

ELVISDREW, AVIVIAN

SUGAR

SLEEPTOKEN

FAUNA

B.O.M.B

EMLYN

GUMDROPMENACE

ESKELITE

STRUT

EMELINE

SILAS

GLITTER & GOLD

BARNSCOURTNEY

WARBRINGER

THEFATRAT, LINDSEYSTIRLING

COMEWITHMENOW

KONGOS

Eins

15. April, 26 Jahre

Ich hatte die Wahl zwischen zwei Übeln: diese fleischgewordene Enttäuschung von einem Mann mir gegenüber oder ein Leben in meiner Fantasie mit einem fiktiven Liebhaber.

Ich erinnerte mich daran, gelesen zu haben, dass sich das Gehirn mit sechsundzwanzig Jahren nicht mehr weiterentwickelt, während ich beobachtete, wie der Mann, der mir gegenübersaß, sein Essen mit leicht geöffnetem Mund kaute und sich dabei nicht die Mühe machte, zu schlucken, bevor er damit fortfuhr, sich wichtigzutun. Er hielt seine Essstäbchen falsch, er hatte Wasabi direkt mit der Sojasoße vermischt, er hatte während des ganzen Essens in einer unerträglichen Lautstärke gesprochen und sowohl neugierige als auch verärgerte Blicke auf sich gezogen. Es gab keine einzige Etikette, die er befolgte, und das war noch nicht mal das Schlimmste an ihm.

Ich war mir nicht sicher, ob ich hoffte, dass die Sache mit dem Gehirn stimmte. Ich befand mich in der Mitte meines sechsundzwanzigsten Lebensjahrs und fragte mich, ob dies das fertige Produkt war, das ich mir für meinen Verstand wünschte. Ich gab mein Bestes, um normal zu sein. Das war es doch, was normale Menschen taten, oder nicht? Sie hatten schreckliche Dates mit anderen normalen Menschen. Sie sahen keine Dinge, die in Wirklichkeit nicht da waren. Sie klammerten sich nicht an Geister und inadäquate Fantasien, die sie im Dunkeln heraufbeschworen hatten. Sie nahmen regelmäßig ihre Medikamente, gingen zur Therapie und lernten zu unterscheiden, was real war und was nicht.

Wenn mein Gehirn aber tatsächlich aufgehört haben sollte, sich weiterzuentwickeln, dann könnte das durchaus Vorzüge haben. Einerseits würde es bedeuten, dass ich mich nicht lange an diese dämliche Verabredung erinnern würde. Der Mann im Anzug, der mir gegenübersaß – Jared? Joshua? Ich war mir sicher, dass es Josh war –, wäre nach einer langen Serie von mittelmäßigem Sex und Dating-Apps eine Verabredung, die ich schnell wieder vergessen würde. Andererseits bedeutete es vielleicht, dass meine Balzgewohnheiten und versteckten, wunscherfüllenden Bewältigungsmechanismen in Stein gemeißelt waren und es keine Hoffnung mehr für mich gab. Vielleicht war ich dazu verdammt, eine Reihe von Joshes zu wiederholen. Das war wohl mein Fluch.

»Marlow?«

Oh, verdammt. Er starrte mich an. Hatte er mir etwa eine Frage gestellt? Ich kniff meine Augen leicht zusammen und suchte in dem Lärm des überteuerten Restaurants und dem höflichen Geplauder der gehobenen Gäste nach einem Anhaltspunkt.

»Wie bitte?« Ich bemühte mich um ein entschuldigendes Lächeln.

Für seinen verwirrten Blick hatte ich allerdings Verständnis. Natürlich irritierte es ihn, dass ich nicht zugehört hatte. Das war unser zweites Treffen und er hatte mehr von mir erwartet. Immerhin war ich beim letzten Mal absolut reizend gewesen. Geschminkt, gewachst und in ein wirklich umwerfendes Kleid gezwängt, mit den glänzendsten Haaren und dem charmantesten Lächeln war ich ein lebender Superlativ. Mein ganzes Leben lang hatte ich gelernt, wie man den perfekten ersten Eindruck hinterlässt.

Mein Profil war so gestaltet, dass ich mir jeden neugierigen Verehrer schnappen könnte. Das erste hochauflösende Bild hatte ein Freund vor vier Jahren auf einem Boot in Rio de Janeiro geschossen, wo die Grün- und Grautöne der Küste wunderbar zu meinen Augen passten. »Wo wurde das Foto gemacht?«, bot zukünftigen Dates immer einen leichten Gesprächseinstieg. Die nächsten beiden Bilder hatte ich ausgewählt, um die Outdoortypen anzulocken – von dem HD-Bild von mir in Yogahose und Sport-BH auf einem Berg bis hin zu mir am Strand, wo ich mit Freunden lachte, was auch die perfekte Gelegenheit war, um mich im Bikini zu zeigen und alle herauszufiltern, die keine Kurven mochten. Das Profil rundete ich mit einem Bild ab, auf dem ich allein mit einer Kaffeetasse vor meinem Computer saß und sehr ernst und geschäftsmäßig aussah, unmittelbar gefolgt von einem Foto, auf dem ich mit einer Flasche Wein in der Hand auf dem Bett hüpfte, mein Kleid flog hoch, die verwuschelten blonden Locken schwebten wie eine Wolke um mein Gesicht, und ich lächelte, als hätte ich gerade die beste Zeit meines Lebens. Welchen Traum auch immer ein Mann auf mich projizieren wollte, ich bot die Möglichkeit dazu, und zwar genau dort, in meiner aufwendig zugeschnittenen Bilderserie.

»Wer bist du?«, hatte mich die App gefragt.

»Wer auch immer ich sein soll«, antwortete mein Profil.

Bei jeder Verabredung ging es darum, die richtigen Fragen zu stellen, in der richtigen Tonlage zu lachen, mein Haar über die Schulter zu werfen, meinen Kopf in den Nacken zu legen, die Wimpern zu senken und – wie immer – sie zum Reden zu bringen. Wenn sie gingen, würden sie glauben, sie hätten ihre Seelenverwandte getroffen. Wenn ich ging, würde ich mich fragen, ob ich wohl noch die neueste Folge von Fire and Swords sehen könnte oder ob ich so lange warten müsste, bis sie auf einem Streamingdienst zu sehen war.

»Ich habe dich gefragt, ob du schon mal auf den Galapagosinseln warst«, wiederholte er.

»Nein.« Ich hielt meinen Tonfall so leicht wie möglich und blickte auf das aufwendig angerichtete Omakase-Sushi hinunter, das zweifellos mehr gekostet hatte, als die Hälfte der Bürger dieses Landes in einem Monat verdiente. Das war allerdings auch der Grund gewesen, warum ich einem zweiten Treffen zugestimmt hatte. Ich liebte gutes Sushi und kostenlos war zufällig mein Lieblingspreis. Der Lachsbauch war der am besten marmorierte in der ganzen Hemisphäre. Ich würde auch mit schrecklicher Gesellschaft wiederkommen, nur um Unmengen von dem Zeug essen zu können, selbst wenn ich dabei darüber nachdenken müsste, was für ein Leben diese Meerestiere gehabt hatten, bevor sie auf meinem Teller landeten.

Er nahm die Sake-Kanne und goss den Alkohol zuerst in sein Glas, danach in meins.

Ich behielt das entwaffnende Lächeln auf meinem Gesicht, als ich sagte: »Ich bin schon durch viele Teile Südamerikas gereist, habe Englisch als Zweitsprache unterrichtet und ich …«

»Oh, du musst unbedingt zurück und es nachholen. Ich habe einen Freund, der dort in dem unglaublichsten Resort arbeitet, das du jemals gesehen hast. Die Fische schwimmen direkt unter …« Sein Mund bewegte sich immer weiter, während meine Gedanken bereits in die Atmosphäre des Restaurants abschweiften und ich begann, über das Leben im Meer nachzudenken. Ich mochte Aquarien und fragte mich, wie lange es wohl schon her war, seitdem ich das letzte Mal eines besucht hatte. Vielleicht würde ich am Wochenende mal in das städtische Aquarium gehen, Magic Mushrooms mitnehmen, meine Kopfhörer aufsetzen und Musik hören, während ich Haie zählte.

Josh brauchte wenig Ermutigung, um das Gespräch fortzusetzen. Es bedurfte nur eines flehenden Blicks zur Kellnerin und einer entschlossenen Verneinung der Frage, ob wir noch Nachtisch wollten, damit sie die Rechnung brachte, ohne auf seine Meinung zu Digestifs zu warten. Sie wusste, dass ich die Rechnung selbst begleichen könnte, wenn ich es wollte. Das erkannte sie an der bewussten Auswahl meiner Designerstücke – von der grazilen Kette um meinen Hals bis zu der Tasche, die über der Lehne meines Stuhls hing. Mein ausdrucksloser Blick forderte Josh jedoch heraus, die Rechnung seinerseits zu begleichen. In meinen frühen Zwanzigern hätte ich mich beeilt, das selbst zu übernehmen, damit Josh nichts von mir erwartete. Jetzt aber setzte ich voraus, dass er seine Kreditkarte zückte – als Buße dafür, dass ich ihm beim Kauen mit offenem Mund hatte zusehen müssen. Bezahlen war das Mindeste, was er jetzt tun konnte.

Ich fragte mich, ob Josh sich eigentlich jemals erkundigt hatte, was ich beruflich machte. Aber vielleicht war das auch meine eigene Schuld. Ich war so gut darin geworden, andere dazu zu bringen, über sich zu reden, und selbst in den Hintergrund zu treten und ein Schattendasein zu führen. Ich fragte mich, wie viele meiner Verabredungen wohl mehr über mich wussten als meinen Namen und wie spektakulär ich im Bett war.

Kaum waren wir in die kalte, wolkenlose Nacht getreten, als er auch schon fragte: »Also, gehen wir jetzt zu mir?«

»Oh.« Ich machte ein langes Gesicht, um mein vorgetäuschtes Bedauern zu betonen, während ich in meinen Mantel schlüpfte und sagte: »Es tut mir ja so leid, aber ich habe mir schon ein Taxi gerufen, als ich auf der Toilette war. Es ist in zwei Minuten da.«

Josh sah aus, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Ich fragte mich, wie oft ein Mann mit einer vierzigtausend Dollar teuren Rolex wohl abgewiesen wurde. Andererseits war es ein ständiges Vergnügen für mich, »Fangen« zu spielen – je größer der Fisch war, desto befriedigender war es, ihn wieder zurück ins Wasser zu werfen. Alles an diesem Abend ließ mich wünschen, ich hätte mir lieber die Dokumentation über Wale angeschaut, anstatt Parfüm zu verschwenden, indem ich in die Welt hinaustrat.

»Und was ist mit dem Konzert?«

Ich runzelte die Stirn und sah dabei kaum von meinem Handy auf. »Konzert?«

Die Verwirrung wich der Unruhe, während er mein Gesicht studierte. »Nächste Woche. Das Konzert, auf dem ich …«

Fisch. Alles an diesem Mann glich einem Fisch. Wenn sie einem sagten, dass es viele Fische im Meer gab, vergaßen sie zu erwähnen, dass die Hälfte der Meeresbewohner langweilig, schuppig und ein Teil eines Schwarms von Tausenden war. Genauso wie er. Ich wäre lieber allein, high und würde mir am nächsten Wochenende tropische Fische ansehen. »Oh, es tut mir so leid, Josh – da ist schon mein Taxi!«

»Ich heiße Jacob.«

Ich verzog das Gesicht. Das tat mir jetzt wirklich leid. Ich hätte seinen Namen noch mal auf dem Dating-Profil überprüfen sollen, als ich auf die Toilette geflüchtet war.

Er wusste, dass der Abend nicht so toll gelaufen war, aber hatte immer noch die Eier, um sich einen Kuss holen zu wollen. Ich fing den Versuch mit einer seitlichen Umarmung ab, bevor ich auf die Straße lief, um das Taxi anzuhalten. Ich schloss die Tür, und dann fuhren wir in die Nacht hinaus, bevor mein Date Zeit hatte, sich von der Verletzung seines Egos zu erholen. Der Fahrer stellte genau die richtige Anzahl an Fragen, nämlich null. Er ließ mich mit dem summenden Telefon allein, das den Rücksitz des Fahrzeugs beleuchtete.

(Kirby): Wie war der Banker?

(Nia): Finanzvorstand, oder? Viel Kohle.

(Kirby): Nicht so wie der Technikertyp. Mar, könntest du den nicht noch mal anrufen? Wir waren an viel schöneren Orten, als du noch mit dem Technikertypen rumgemacht hast.

(Marlow): Ich würde mich jetzt gern mit einer Packung Käse und meiner Jogginghose vergnügen.

(Nia): Du solltest doch flachgelegt werden. Wie soll ich denn stellvertretend durch dich leben, wenn du so eine Zölibatshow abziehst.

(Kirby): Nein, das ist fair. Sie war schon immer eine Schlampe, was Käse angeht. Und niemand hat dich gezwungen zu heiraten, Nia.

(Nia): Ja, und? Muss ich jetzt mit den Konsequenzen meines Handelns leben?

(Marlow): Ich werde früh ins Bett gehen.

(Nia): Und einen tollen Haar- und Make-up-Tag verpassen? Verdammt, es muss bei dir ja fantastischen Käse geben.

Ich klickte auf die Taste an der Seite meines Telefons, wodurch sich der Bildschirm in einen Obsidianspiegel verwandelte, und lehnte meinen Kopf gegen das Fenster, um die schwarz-rotbraune Unschärfe von Häusern, Schatten, Rasenflächen und Zäunen zu beobachten, während wir eine Wohngegend durchquerten. Früher hatte ich mir immer die Häuser angeschaut und mich gefragt, was für ein Leben die Menschen darin wohl führten. Was machten die Leute beruflich, um sich ein Haus so nahe am Stadtzentrum leisten zu können? Was kostete ein dreistöckiges Haus mit fantastischer Gartengestaltung in einer der protzigsten Städte der Welt? Es war schon lange her, seitdem mich so etwas interessiert hatte.

Ich sah im Rückspiegel, wie der Fahrer die Stirn runzelte, als das GPS ihn in den nördlichen Teil der Metropole führte. Das war keine ungewöhnliche Reaktion. Niemand wohnte in der Lagerhausgegend. Es gab keinen Grund für eine junge Frau mit gutem Ruf, in Stöckelschuhen und mit rotem Lippenstift, sich zu den Lagerhallen fahren zu lassen. Er hielt an und betrachtete das Gebäude, das einst eine Brotfabrik gewesen war. Sein Gesichtsausdruck wurde besorgt, als er die wenigen Lichter und den dunklen Eingang sah.

»Sind wir hier richtig, Miss?«

»Home sweet home«, sagte ich lächelnd. Bevor ich aus dem Wagen stieg, zeigte ich auf die gute Fahrerbewertung auf meinem Bildschirm, die ich ihm gegeben hatte. Seine Augenbrauen blieben zusammengezogen, aber er zuckte mit den Schultern. Er wurde nicht gut genug bezahlt, als dass es ihn interessiert hätte.

Nachdem das Auto um die nächste Ecke verschwunden war, herrschte eine tiefe Stille – etwas, das in der Stadt nur schwer zu erreichen war. Es gab keinen Verkehr, keine Fußgänger, kein Anzeichen dafür, dass jemand anderes als die Phantome längst verstorbener Industriemagnaten hier herumspukten. Die Aprilnacht klammerte sich an die letzten Reste der Frühlingskälte und jagte eine Gänsehaut über meine nackten Beine. Ich fischte eine roségoldene Metallkarte aus meiner Handtasche und drückte sie gegen das Bedienfeld. Als es summte, lächelte ich zufrieden.

Ich bog in den gemauerten Korridor zum Atrium, wo mich eine stets aufmerksame Empfangsdame respektvoll begrüßte. Sie war eine von vier und diejenige, die ich am liebsten mochte. Ganz egal, wie kurz mein Rock, wie hoch meine Absätze oder wie spät es war, sie blieb immer höflich, ohne je eine Bemerkung fallen zu lassen. Ich kannte den Namen ihres Freundes, schenkte ihr an jedem Feiertag Pralinen, und wir schwärmten immer von den neuen Folgen von Fire and Swords, wenn ich im Flur herumlungerte. Aber sie hatte auch eine angeborene Gabe, zu erkennen, wann ich überfordert war und meine Ruhe haben wollte. Vielleicht war Intuition eine Voraussetzung für jeden, der einen Job in der Luxusbranche annahm.

Obwohl sie es nie offen aussprechen würde, verriet mir ihr Gesichtsausdruck jedes Mal, wenn ich nach einem Date durch die Tür stolperte, ihre Sorge. Sie hatte mir geholfen, ins Gebäude zu kommen, als ich zu betrunken gewesen war, um mein Telefon zu sehen, und sie hatte mich in meine Wohnung gelassen, als ich zu viele Gehirnfunktionen verloren hatte, um mich daran zu erinnern, wie meine Karte funktionierte. Es war offensichtlich, dass sie nicht die Art von Person war, die sich in einem Aquarium mit Pilzen berauschte.

Die kleine Reihe mit den glänzenden Aufzügen wartete ruhig, da sie angesichts der späten Stunde nicht mehr gebraucht wurden. Einer öffnete sich genau in dem Moment, als ich den Knopf drückte.

Ich wartete nicht, bis sich die Fahrstuhltüren wieder schlossen, sondern schlüpfte aus meinen hohen Schuhen, nahm sie in eine Hand und ließ sie mit den Spitzen nach unten baumeln. Ich sah noch das kurze, missbilligende Zusammenkneifen ihrer Augen durch die sich schnell schließenden Türen und setzte mein strahlendstes Lächeln auf. Ein Teil von mir respektierte ihren Mut. Es war tapfer, über die Bewohner zu urteilen, obwohl sie genau wusste, wie viel diese Wohnungen kosteten.

Ich drückte die glänzende Karte aus Metall auf das elektronische Türschloss, um Zugang zu meiner Etage zu erhalten – die zweite von oben. Das Penthouse war nicht mehr verfügbar gewesen, das war für mich in Ordnung. Jeder, der hier wohnte, hatte seine Gründe, die Öffentlichkeit zu meiden, und es gab kein besseres Wohnhaus in dieser Stadt für diejenigen, die genug Geld hatten, um sich von der Landkarte zu löschen. Die Diskretion des Gebäudes war mir die Herabstufung wert. Als jemand, der allein lebt, hätte ich den zusätzlichen Platz ohnehin nicht rechtfertigen können, es sei denn, ich wollte eine private Bowlingbahn einrichten.

Die Aufzugstür öffnete sich geräuschlos. Im gesamten Gebäude gab es dreizehn Wohnungen – zwei pro Stockwerk, außer für den glücklichen Mistkerl, der die dreizehnte ergattert hatte. Barfuß lief ich über den glänzenden schwarzen Marmor zu meiner Wohnung und drückte meinen Daumen auf den Scanner, der meinen Fingerabdruck erfasste, bis ein dezentes Klicken mir verriet, dass der Mechanismus die Tür entriegelt hatte.

In meiner Wohnung war es dunkel und so blieb es auch. Noch an dem Tag, an dem ich eingezogen war, hatte ich die automatische Beleuchtung deaktiviert.

Ich warf meine Handtasche auf den Boden und stellte die High Heels ins Schuhregal. Dann ging ich zum Fenster und starrte auf die Lichter der Stadt und auf das kleine Stückchen vom Fluss, das ich von meiner Wohnung aus sehen konnte. Ich hatte eine Schwäche für eine hübsche Aussicht.

Die Haare in meinem Nacken kribbelten, so wie es immer der Fall war, wenn man das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Gin, Moos und Nebel erfüllten den Raum und ich atmete es ein wie ein Gebet.

»Lass es offen«, hörte ich eine männliche Stimme aus dem Schatten sagen.

Ich kämpfte gegen den gegenteiligen Wunsch an, der tief in meinem Inneren entstand. Meine Fußnägel rollten sich auf und mein Herz klopfte wie wild bei dem Summen seiner Stimme. »Tu mir das nicht an«, murrte ich halbherzig, aber ich war mir sicher, dass er trotzdem den Hauch eines Lächelns in meiner Stimme hörte.

»Ist es nicht gut gelaufen?«, fragte er.

Ich blickte weiterhin zum Fenster, griff aber über meinen Kopf nach dem Reißverschluss. Viele Jahre waren inzwischen vergangen, aber ich war immer noch außer Atem, wenn er sprach. Es war so einfach, meine Entschlossenheit zu verlieren, wenn diese zärtlichen Worte über seine Lippen kamen. Ich schaffte es, an dem dünnen Metall zu ziehen, verlor aber den Halt, als ich sagte: »Er war unbedeutend.«

»Das werden sie alle sein«, erwiderte er und strich mir die Haare vom Hals. Ich bekam Gänsehaut im Nacken, die meine Wirbelsäule hinunterkroch. Er hielt das Oberteil meines Kleides in seiner kräftigen Hand und zog mit der anderen vorsichtig am Reißverschluss. Allerdings hörte er mittendrin plötzlich auf. Ich wartete, doch nichts weiter geschah. Die Spannung schwoll an, als ich noch einmal tief seinen Duft von Erde und Parfüm einatmete.

»Was?«, hauchte ich.

Elektrische Spannung, ausgelöst von seiner Berührung, durchströmte mich.

»Heilige Scheiße«, murmelte ich und zerfiel in meine Einzelteile.

Seine Finger arbeiteten sich an dem Saum meines Kleides hoch und schoben es über meine Hüften. Mein Magen zog sich zusammen, meine Lippen öffneten sich zu einem erstickten Keuchen, und ich schloss die Augen, als er hinter mich trat und sanft an der zarten Stelle zu saugen begann, wo mein Hals in meine Schulter überging. Jeder Sinn in meinem Körper war auf dieses herrliche Gefühl ausgerichtet. Sein Mund wanderte in meinen Nacken, seine Hände fielen von meinen Hüften und drängten mich nach vorn. Ich lehnte mich an das raumhohe Fenster und ließ die Kälte in mich eindringen, während er seine Hand an der Innenseite meines Schenkels hochschob – höher und höher.

»O Gott«, keuchte ich, als er den feuchten Beweis meines schwarzen Spitzenhöschens streifte.

»Du müsstest es doch besser wissen«, schimpfte er leise wegen meiner Wortwahl, in seiner Stimme lag eine neckende Wärme. Er schmiegte sich an meinen Körper, bis ich ganz gegen das Fenster gedrückt wurde. »Lässt du mich jetzt rein?«

Mein Gesichtsausdruck verriet wohl den Kampf, der gerade in meinem Kopf und in meinem Herzen tobte. Mein Körper sehnte sich nach ihm. Meine Brustwarzen zeichneten sich gegen das dünne Kleid ab. Das Pulsieren in meiner Brust breitete sich in jeden Teil von mir aus und ich spürte meinen Herzschlag in meiner gierigsten Stelle. Meine Finger pressten sich gegen das Glas. Er lachte leise.

»Nichts passiert ohne deine Erlaubnis«, sagte er, verlockend langsam strichen seine Finger immer noch über meinen Körper. Die prickelnde Nässe zwischen meinen Beinen, die auf die Innenseiten meiner Oberschenkel tropfte, entlockte mir ein leises Stöhnen der Zustimmung, während er immer weiter über den dünnen Stoff strich.

Ich keuchte wegen des Gefühls und er beugte sich noch einmal an meinen Hals und lächelte über mein Vergnügen.

»Du weißt, ich bin …« Die Worte fühlten sich ziellos an.

»Du bist was?« Er drückte mich stärker gegen das Fenster.

»Ich versuche aufzuhören.«

Er bewegte seine Finger schneller, als er sagte: »Als ob ich dich nicht kennen würde, Liebes. Wir wissen doch beide, dass es dich nie glücklich machen wird. Aber wenn du langweilige Restaurants und unbedeutende Männer dem vorziehst, was ich dir bieten kann …« Er hatte aufgehört, seine Hand zu bewegen.

Meine Lust, mein Verlangen, meine Verweigerung kamen in einem einzigen, kurzen Ton heraus. Meine Augen öffneten sich, als ich mich den Schatten zuwandte, aber ich wusste bereits, was ich sehen würde, bevor ich mich umdrehte.

Trotz des Kleides, das so fest wie ein Verband um meine Hüften hing, und der Beweisspuren an meinen Beinen wusste ich, dass er nicht da war. Er war schon seit einer langen Zeit nicht mehr da gewesen.

Zwei

Gott sei Dank hatte ich mein Telefon beim Schlafen immer auf lautlos gestellt.

Josh war ziemlich beschäftigt gewesen, nachdem er das Restaurant verlassen hatte. Ich hatte siebzehn SMS erhalten, die er im betrunkenen Zustand getippt hatte, und zwei Sprachnachrichten, in denen er beteuerte, dass das zwischen uns etwas ganz Besonderes war und dass wir es weit bringen könnten. Aber dann war er umgeschwenkt und hatte mich als hässliche Schlampe bezeichnet. Die ersten paar Nachrichten überflog ich, bevor ich die Sprachnachrichten löschte, ohne sie mir anzuhören. Ich blockierte seine Nummer, machte mir jedoch nicht die Mühe, meine sozialen Medien vor ihm zu verbergen. Alte Dates sehen zu lassen, wie viel besser es mir ohne sie ging, war ein beliebter Zeitvertreib von mir, und ich würde es hassen, ihm diese Gelegenheit zu nehmen.

Eine der besten Eigenschaften meiner Wohnung war die Fußbodenheizung. In dem Moment, als meine Zehen den glänzenden schwarzen Marmor berührten, fühlte es sich so an, als ob sie bei jedem Schritt von warmem Obsidian geküsst werden würden. Ich setzte den Teekessel auf und schöpfte den gemahlenen Kaffee in die French Press, so wie ich es jeden Morgen tat. Mein Blick wanderte zu den Flecken am Fenster und ich runzelte die Stirn. Das reflektierende Morgenlicht malte wunderschöne Gelb- und Orangetöne auf das raumhohe Glas sowie den sich schlängelnden Fluss und es beleuchtete den Abdruck meines Gesichts, meiner Unterarme und meiner Hände. Hellgelbes Licht fing die Streifen ein, wo ich meine Finger zu Fäusten geballt hatte. Es kribbelte in meinen Zehen bei der Erinnerung, meine Gedanken sehnten sich nach dem Duft von Moos. Normalerweise würde ich auf die Hausangestellte warten, aber ich war mir nicht sicher, ob ich wollte, dass sie meine nahezu perfekte Silhouette sah.

Putzen war jedoch eine Aufgabe für die Zeit nach dem Kaffee.

Ich verband mein Handy mit dem Soundsystem der Wohnung. Morgens brauchte ich fröhliche und lockere Musik. Ich wechselte zu einer Strand-Playlist, die ich geliebt hatte, als ich in den Tropen am Pool lag. Meine Therapeutin hatte mir zugestimmt, dass die Abkehr von den lyrischen Tragödien gefühlvoller Balladen wahre Wunder für meine psychische Gesundheit bewirkt hatte.

Die fröhlichen Beats pulsierten durch meine Wohnung – laut genug, dass ich herumwirbeln konnte, aber leise genug, um meine langsam erwachende Seele nicht zu verstören. Die Wohnungen waren herrlich schallisoliert, und selbst wenn der Besitzer des Penthouse einen Büffel besessen hätte, dann hätten die verstärkten Böden nichts davon verraten. Also machte ich mir keine Gedanken wegen der Lautstärke, sondern ließ mich von der Musik in ferne Erinnerungen an zweiunddreißig Grad warmes Wetter, an Sand zwischen den Zehen, an sonnige Tage, lächelnde Gesichter und an ein Leben weit, weit weg von diesem hier tragen.

Ich holte die Hafermilch aus dem Kühlschrank und starrte auf die kleinen sentimentalen Erinnerungsfetzen, die ich mir erlaubt hatte: ein Magnet mit dem Cover meines ersten Romans, der mich in Hysterie versetzt hatte, als ich das Schmuckstück zum ersten Mal in einer Buchhandlung gesehen hatte. Ein zweiter Magnet mit der kolumbianischen Flagge sicherte ein Bild von Nia und mir, wie wir in der Herbstsonne grinsten, während Kirby einen Korb mit Äpfeln über unsere Köpfe hielt, als wäre er ein UFC-Gürtel. Es war einer der wenigen Beweise, dass ich Freunde hatte. Und das kleine, körnige Schwarz-Weiß-Foto von meiner Urgroßmutter, die meine kleine Großmutter an den Ufern der norwegischen Fjorde in den Armen hielt, war ein rares Anzeichen von Sentimentalität.

Der Wasserkocher klickte und der Zauber der Erinnerungen war gebrochen – sowohl der Erinnerungen an sinnliche Hände auf meinen Hüften als auch jener an fröhliche, tropische Tage. Erinnerungen und Fiktionen würden mir nichts nützen, zumindest nicht, wenn ich nicht schrieb.

Ich ließ den Kaffee in der French Press ziehen, während ich die faulste Form meiner Morgenroutine absolvierte: Hautpflege, unordentlicher Dutt und Schlabber-Shirt. Meine eigene Wohnung zu haben, bedeutete, dass mich keiner dazu zwingen konnte, eine Hose anzuziehen. Ich schnappte mir meinen Laptop, meinen Kaffee, einen Löffel und ein Glas Honig vom Bauernmarkt, bevor ich mich auf die Couch setzte. Ich mochte meinen Kaffee dunkel und süß und hatte mal gelesen, dass Honig aus der Region eine heilende Wirkung habe. Die Fakten wollte ich gar nicht überprüfen, weil ich nicht wollte, dass irgendetwas den Placebo-Effekt beeinträchtigen könnte, der zu meinem guten Gesundheitszustand geführt hatte. Außerdem bedeutete das Alleinleben auch, dass mich keiner dafür verurteilen konnte, dass ich alle paar Schlucke wieder Honig in meinen Kaffee hineinlöffelte.

Er hatte sich mal über die fragwürdige Kombination lustig gemacht, sich aber gleich darauf korrigiert und hinzugefügt, dass es ihm natürlich nichts ausmachte. Mein Koffeinmissbrauch machte Schlafen schwieriger, und wenn ich mitten in der Nacht wach wurde … nun, dann führte eines oft zum anderen.

Ich durchforstete dreißig neue E-Mails und fragte mich, ob die Mitarbeiter von Inkhouse wohl jemals eine Pause einlegten. Es gab ständig neue Bearbeitungen, Neufassungen, Rechtsdokumente, Vorschläge, Marketing-Forderungen oder panische Nachrichten über kursierende Raubkopien meiner Romane. Ich überflog die Nachrichten, um zu sehen, ob etwas Wichtiges dabei war, öffnete aber schlussendlich nur die von Allison. Sie war seit meinem ersten Pantheon-Roman meine Betaleserin und schickte mir ausschließlich »Liebesbriefe«. Ich lächelte angesichts ihrer Lobeshymne auf meine Brillanz und meiner Liebe zum Detail und bei der Beschreibung, wie sie ihren Hund fast getötet hätte, als sie nach der überraschenden Wendung ihr Tablet quer durch den Raum gepfeffert hatte. Ich biss mir auf die Lippe wegen der Dosis Serotonin, die mich durchströmte.

Ich schloss das Mailprogramm, um nachzusehen, was in den Nachtstunden im Gruppenchat passiert war. Sie hatten eine Handvoll kurzer Thirst-Trap-Videos von heißen Mädels sowie Screenshots von verschiedenen Memes geteilt, und Nia schwärmte, dass ihr Mann ihr das Frühstück ans Bett brachte. Ich verließ den Chat, ohne darauf zu antworten. Sie wussten, dass ich im Verzug war. Ich musste Arbeit erledigen, Leute zufriedenstellen, Ärsche küssen und letzte Änderungen vornehmen. Die Pantheon-Serie schrieb sich schließlich nicht von selbst.

In jedem Roman hatte ich mich auf eine andere Weltregion konzentriert. In meinem Debüt, das von den nordischen Göttern, Walhalla und den Wikingerkriegen des ersten Jahrhunderts nach Christus handelte, war die Protagonistin eine Walküre. Das Buch hatte die Welt im Sturm erobert und war auf Platz fünf der New York Times-Bestsellerliste eingestiegen. Inkhouse hatte die Serie für insgesamt fünf Bücher unter Vertrag genommen und mir einen großzügigen Vorschuss gewährt. Der zweite Roman war eine Verbindung von griechischen und römischen Göttern und Gottheiten – eine Fortsetzung, die sich noch besser verkaufte als der Vorgänger.

Als ich gefragt wurde, warum Pantheon so erfolgreich war, erwiderte ich, dass meine Mythologie-Romane etwas hatten, was den glitzernden Vampiren von früher fehlte: perverser, unverbindlicher Sex.

Ich kämpfte mich gerade durch den dritten Teil. Meine Hauptfigur war ein brasilianischer Wildhüter zur Zeit der Kolonisierung am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, und die Redakteurin bemängelte, dass meine Haltung zur Abholzung der Wälder ein wenig zu hart war. Sosehr ich Elementarwesen und ihre Überlieferungen auch liebte, so schwer fiel es mir doch, eine Verbindung zu den üppigen Dschungeln, den steilen Bergrücken und den überschwemmten Gebieten des Amazonas herzustellen. Vielleicht konnte ich meinen Verleger davon überzeugen, mir eine Reise in den Regenwald zu sponsern, um inmitten von Tukanen und Jaguaren zu schreiben. Ich war zuversichtlich, dass ich alles, was ich in meiner Stadtwohnung zu Papier brachte, auch mit einem Cocktail in einer Hängematte inmitten tropischen Grüns verfassen konnte.

Aber statt mich auf meine Bearbeitungen zu konzentrieren, informierte ich mich im Internet über Tieradoption. Alle paar Wochen musste ich mich davon abbringen, mir ein Chinchilla, ein Kaninchen oder eine Katze anzuschaffen. Ich wusste, dass es angesichts meines Hangs zur Vergänglichkeit nicht klug wäre, ein Tier zu besitzen. Aber etwas zu wissen, hielt einen schließlich nicht davon ab, etwas haben zu wollen, und ich war ziemlich einsam. Meine Gedanken schweiften zu dem exotischen Haustier ab, das ich als Kind erfunden hatte. Ein weißer Fuchs war mein einziger Freund auf der ganzen Welt gewesen, als ich sonst niemanden gehabt hatte. Er hatte mit mir im Wald gespielt und mir Gesellschaft geleistet, wenn ich traurig war. Meine strengen Eltern hätten niemals ein Tier im Haus erlaubt, aber ich hatte schon immer eine lebhafte Fantasie gehabt, und ich brauchte einfach etwas, um nicht den Verstand zu verlieren. Ab und zu vermisste ich den Fuchs noch heute. Weder Sushi mit Männern wie Josh noch enttäuschende Affären konnten die Sehnsucht nach etwas Echtem stillen, obwohl ich es versucht hatte.

Ich hatte Nia gesagt, dass ich das wollte, was sie hatte, und sie hatte erwidert, dass ich das mit Sicherheit nicht wolle. Ich litt unter einem Paradefall des Das-Gras-auf-der-anderen-Seite-ist-grüner-Syndroms. Sosehr mich ihr glückliches Leben mit einem liebevollen Ehemann auch ansprach, so sehr lockte mich auch der Gesang der Sirenen, spontan ins Flugzeug steigen, allein leben und mit Fremden Sex haben zu können. Natürlich hatte Nia recht. Sie wusste, dass ihre Ehe mit Darius die Ausnahme war, die die Regel bestätigte. Abgesehen von ihr hatte ich noch nie jemanden getroffen, der froh war, den Bund der Ehe eingegangen zu sein.

Andererseits kannte ich auch nicht so viele Leute.

Nun, das stimmte nicht so ganz: Ich kannte jeden. Einige kannte ich durch die Social Media, andere durch Verabredungen und viele aus meinem früheren Leben als Dame des Abends. Viele mochte ich nur nicht, sprach nicht mit ihnen und interessierte mich nicht für sie. Menschen waren anstrengend und wenig pragmatisch. Warum beschwerten sie sich zum Beispiel über ihren Wohnort, wenn sie nicht bereit waren umzuziehen? Welchen Sinn hatte es, sich über den Ehepartner zu beklagen, wenn man sich nicht scheiden lassen wollte? Die Probleme anderer waren ermüdend, und ich hatte nicht die emotionalen Kapazitäten, um ihnen Empathie vorzugaukeln. Besonders als mein Lebensstil immer exzentrischer wurde, hatte es nicht lange gedauert, bis sich mein Freundeskreis auf drei Personen reduziert hatte, mit denen ich jedoch fast ausschließlich durch die Magie des Internets Kontakt hielt.

Es wäre schön, zu lieben und geliebt zu werden. Es wäre verdammt angenehm, wenn mal ein anderer den Kaffee kochen würde, während ich ausschlief. Ich wollte neben einer anderen Person aufwachen, Fire and Swords schauen, während wir aneinandergekuschelt auf der Couch lagen. Und ich wollte jemanden haben, der auf meinen Chinchilla aufpassen würde, wenn ich mal für ein paar Tage verreisen musste. Aber auch wenn ich mich bemühte, mein Herz war nicht bereit, sich zu verlieben.

Ich hob den Kopf, um die immer noch vorhandenen Flecken am Fenster zu betrachten, dann schaute ich wieder weg. Ich würde einfach das tun, was ich immer tat. Ich redete mir die Psychose, die sich so real anfühlte, mit einem vertrauten Mantra klein: Es war Wunschdenken gewesen. Ich hatte mir eingeredet, dass ich nicht allein war. Ich hatte mich gegen das Glas gelehnt – hoffend, sehnend, träumend. Niemand war da gewesen. Es war noch nie jemand da gewesen.

Mein Telefon pingte.

(Nia): Bitte sag mir, dass du heute das Haus verlässt. Ich werde nie erfahren, was in Brasilien passiert, wenn du vor Einsamkeit den Verstand verlierst.

(Marlow): Es geht nicht nur um Brasilien. Ich mische verschiedene südamerikanische Überlieferungen miteinander. Daher auch der Name.

(Nia): Pantheon, jaja, sehr clever, ich bin besessen davon, ich hab’s kapiert, jetzt beantworte die Frage.

(Marlow): Ich hol mir beim Inder die Straße runter ein Curry.

(Kirby): Du weißt, dass das bedeutet, dass sie sich etwas nach Hause bestellt. Glaubst du ernsthaft, dass wir deine hinterlistigen Formulierungen nicht längst durchschaut haben? Verlass das Haus, du Bastard. Hab ein neues Date. Vögel einen Fremden auf einer Clubtoilette. Aber verlass deine verdammte Wohnung!

(Marlow): Zwing mich doch.

(Kirby): Führe mich nicht in Versuchung. Ich werde zu dir kommen.

Kirby würde es wirklich tun, wenn ich es zuließe. Nia genauso. Obwohl sie nur eine Stunde von mir entfernt wohnten, wussten meine Freunde es besser, als dass sie einfach bei mir aufgetaucht wären. Ich würde den Summer ignorieren, selbst wenn sie vor meiner Wohnungstür stehen und eine Stunde lang auf den Knopf drücken würden. Sie verstanden es und drängten mich nicht. Selbst als Nia mir während meiner Bronchitis eine Suppe vorbeigebracht hatte, hatte sie diese bei der Rezeptionistin abgegeben, da sie mich gut genug kannte, um zu wissen, dass ich es als übergriffig empfinden würde, wenn sie einfach bei mir auftauchte.

Dafür schätzte ich meine Freunde umso mehr.

Allison, die einzige andere Person, die ich zu meinen Freunden zählte, lebte an der Westküste. Unsere Gespräche beschränkten sich auf die von mir erschaffenen Welten und die darin lebenden Figuren. Es war genau so, wie ich es haben wollte. Solange ich der Eintönigkeit um mich herum entfloh, war ich zufrieden. Zumindest so zufrieden, wie man sein konnte, wenn man dazu genötigt wurde, in der Realität zu leben.

Wir wissen doch beide, dass es dich nie glücklich machen wird, hatte er gesagt. Aber wenn du langweilige Restaurants und unbedeutende Männer dem vorziehst, was ich dir bieten kann …

Er wusste genauso gut wie ich, dass Alltäglichkeit nicht das war, was ich wollte. Das Einzige, was mir im Leben Freude bereitete, war, dieser Monotonie zu entkommen. Durch Essen, Sex, Drogen oder durch Streifzüge über die Märkte in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrschte. Für ein paar Minuten, manchmal sogar für ein paar Tage, konnte ich so tun, als wäre ich jemand anderes. Ich konnte die Ketten loslassen, die mich an die Erde fesselten, und in einem wundervollen Etwas verschwinden.

Vielleicht war es noch zu früh am Tag für Rauschmittel, aber ich ging trotzdem zum Barwagen und schraubte den Deckel einer Flasche Amaretto ab. Ich goss den Mandellikör in meinen honigsüßen Kaffee. Das Getränk war stark genug, um die Eingeweide zu reinigen und Erkältungskeime abzutöten. Jedes Kribbeln half mir dabei, einen der vielen offenen Tabs in meinem Gehirn zu schließen, sodass ich mich auf das konzentrieren konnte, was ich gerade schrieb, was ich gerade im Fernsehen sah oder was ich gerade aß. Der Lärm war zu viel für mich, als dass ich ihn ohne ein wenig Milderung hätte bewältigen können.

Ich bekam eine SMS von meiner Lektorin. Sie gab mir zu verstehen, dass sie wusste, dass ich ihre E-Mails gesehen, aber ignoriert hatte. Sie sagte, dass sie mich liebte, ich sehr hübsch und sehr talentiert sei, aber dass sie die Straßen mit meinem Blut streichen würde, wenn ich nicht bis Ende der Woche fünf neue Kapitel für sie hätte.

Ich lachte.

Der Verlag hatte mich mit EG zusammengebracht, dem perfekten, feindseligen, respektlosen Gegenstück zu mir.

Ich schickte ihr ein Emoji mit einem Zwinkern und einem Kuss. EG antwortete mit einem Stinkefinger, einer Aubergine, einer Faust und drei Wassertropfen.

Ihre Drohungen waren jedoch ein wirkungsvoller Schlachtruf.

Ich stellte das beschissenste Hörbuch an, das ich finden konnte, während ich mir die Haare kämmte, meine Wohnung aufräumte und darauf wartete, dass der Rausch des Alkohols endlich einsetzte. Ich weigerte mich, heute etwas Sinnvolles zu lesen. Ich wollte mich nicht mit den Großen vergleichen und auch nicht riskieren, des Plagiats bezichtigt zu werden, aber ich hatte bereits festgestellt, dass Bosheit mein bester Motivator war. Jede furchtbare Redewendung, jeder unbeholfene Satz, jede schlecht durchdachte Szene und jede unausstehliche Hauptfigur zeigte mir, dass ich gern etwas anders machen würde.

Gandhi sagte einst, dass wir selbst die Veränderung sein sollten, die wir in der Welt sehen wollten. Er sprach wahrscheinlich über Freundlichkeit oder Nächstenliebe oder so etwas in der Art, aber ich bevorzugte es, seine Weisheit darauf anzuwenden, die Autorin zu werden, deren Bücher ich selbst gerne lesen würde.

Ein paarmal kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und trank einen großen Schluck Kaffee, bis der Alkohol in meinen Fingern und Zehen kribbelte. Als der sanfte Rausch in meinen Ohren summte, schaltete ich das Hörbuch aus und machte mich daran, erst eine, dann drei, dann sieben Seiten zu schreiben. Es waren nicht genau fünf Kapitel, tja, EG würde eben das bekommen, was sie bekommen würde. Ich hatte nur zweimal aufgeschaut – jedes Mal, um meine Kaffeetasse mit Likör zu füllen. Als ich fertig war, schickte ich die Seiten an meine Lektorin, ohne sie noch mal zu lesen. Ich schaute auf die Uhr und sah, dass es bereits fünf Uhr nachmittags war. Ich hatte nichts gegessen und war herrlich betrunken.

Ich ignorierte die Benachrichtigungen des Tages auf meinem Telefon und rief direkt die Food-App auf, um mein Versprechen einzulösen und mir etwas zu essen zu besorgen. Ich bestellte drei Gerichte, denn ich beabsichtigte, zwei davon einzufrieren, um für die nächsten Tage etwas zu Hause zu haben, wie der verantwortungsbewusste Meal-Prepper, der ich nun mal war. Ich schaltete eine sinnlose Sendung über die Suche nach Atlantis ein, um nicht mit meinen Gedanken allein sein zu müssen, während ich auf mein Butter Chicken mit Reis wartete. Als der Lieferdienst klingelte, war das Kribbeln bereits verflogen.

Ich schnaubte und blickte auf die Likörflasche.

Ich hatte mir geschworen, nicht zu trinken, wenn ich traurig, gelangweilt oder wütend war. Ich hatte meine Liebe für Rausch- und Betäubungsmittel für das Schreiben, für Verabredungen und geselliges Beisammensein reserviert. Es war eine Regel, die ich in meiner Zeit als Sexarbeiterin für mich aufgestellt hatte. Nach den auf Scham basierenden öffentlichen Schilderungen war ich anfangs davon ausgegangen, dass das Dasein als Escort aus mir eine Drogensüchtige machen würde und es erbärmlich wäre, dass man koksen müsste, um eine Session durchzustehen oder um sich zu betäuben. Stattdessen verdiente ich in jeder Nacht, in der ich arbeitete, mehr Geld, als ich in vielen Monaten ausgeben konnte, aß in den besten Restaurants der Welt, reiste an traumhaft schöne Orte, lernte einige der Großen und Mächtigen der Welt kennen und hatte am Ende genug Geld, um von meinen Ersparnissen zu leben, während ich meine kreative Karriere startete.

Trotzdem hielt ich mich an meine Regel: Ich trank nur, um etwas zu erschaffen oder in der Gesellschaft von Freunden. Ganz egal, wie gut es sich anfühlen würde, rund um die Uhr betrunken zu sein.

(Kirby): Ich hab den ganzen Tag nichts von dir gehört. Lebst du noch?

(Marlow): Hab gegessen, Seiten abgeschickt und dieses Wochenende geh ich noch ins Aquarium.

(Kirby): Hast du Wasser getrunken?

(Marlow): Bist du meine Mutter?

(Kirby): Wir wissen doch beide, dass ich mir größere Sorgen um dich mache als deine Mutter.

Ich verließ den Chat, ohne zu antworten. Das schwierige Verhältnis zu meiner Mutter war kein Geheimnis. Ich schnaubte laut, schnappte mir eine Dose Mineralwasser aus dem Kühlschrank und rollte mich dann auf der Couch zusammen.

Kirby ließ die Sache auf sich beruhen. Sier wagte nicht zu wiederholen, was sier schon viel zu oft angedeutet hatte, aber ich konnte sieren Schmerz spüren. Ich war allein. Wegen unserer großen religiösen Differenzen sprach ich nicht mit meinen Eltern. Nachdem ich zu alt für einen fiktiven Fuchs geworden war, dienten die einzigen Geschöpfe, mit denen ich etwas zu tun hatte, oberflächlicher romantischer Ablenkung, die zwischen einer Nacht und sechs Wochen dauerte. Meine Freunde bestanden darauf, dass ein Imperium aus schönen Wohnungen, Designerschuhen, Bestsellern und Hightechgeräten wertlos sei, wenn ich niemanden hatte, mit dem ich es teilen konnte.

Meine vielversprechendste Chance auf Liebe war zwei Monate zuvor zu Ende gegangen – am 13. Februar.

Fast drei Monate hatte ich kurz davorgestanden, mich in ein Mädchen mit einem schönen irischen Akzent und einer schillernden Persönlichkeit zu verlieben. Sie hieß Eve und hatte so rotes Haar, dass ich auf eine Bibel geschworen hätte, dass es unecht ist, aber sie hat nur gelacht und dann Bilder von sich als zahnloses Kleinkind mit karmesinroten Locken hervorgeholt. Sie war interessant, gebildet, vernünftig. Sie verlangte nie etwas von mir, sondern ermutigte und unterstützte mich. Sie liebte meine Bücher, aber nicht so sehr, dass es mir unangenehm gewesen wäre. Sie erhob nie Ansprüche auf meine Zeit, Energie und Aufmerksamkeit. Sie war im MINT-Bereich tätig und bestimmt eine der intelligentesten Personen, die ich jemals getroffen hatte. Trotz ihrer Arbeit im Labor spielte sie Geige, verbrachte die meisten Wochenenden mit dem Singen von Volksliedern in einem Pub und hatte eine hinreißende Galerie von Fotos in mittelalterlichen Kostümen. Sie war lustig und nett und brachte Nia und Kirby schon nach dem zweiten Treffen dazu, voller Begeisterung unsere Hochzeit zu planen. Der Sex war spektakulär. Sie war alles, wonach ich jemals gesucht hatte.

Fast.

Nach einer tränenreichen Trennung am Telefon, bei der Eve wissen wollte, was sie falsch gemacht hatte, hatte ich sinnloserweise mehrere Male wiederholt, dass sie perfekt sei. Sie hatte mich einen Feigling genannt, weil ich mich einen Tag vor dem Valentinstag von ihr getrennt hatte, und wahrscheinlich hatte sie damit sogar recht. Aber dieser Tag war nicht der einzige Grund gewesen. Ich wusste ganz genau, wer und was mein Liebesleben sabotierte. Mein Herz war völlig nutzlos, es war so, als ob ich mich in eine Romanfigur verliebt hätte. Wenn ich nicht aus meiner eigenen Hyperfantasie heraustreten konnte, dann würde ich niemals weiterkommen. Ich musste nur lernen, den Strom der Fantasie zu kanalisieren, ihn in seinem Glas in meinen Romanen einzuschließen und nicht zuzulassen, dass er überschwappte und auf mein Kleid lief, an den Innenseiten meiner Schenkel heruntertropfte, mein Höschen ruinierte, meine Kleidung auf dem Boden zerknitterte oder meinen Umriss an das raumhohe Fenster mit Blick auf den Fluss zeichnete.

Und deshalb kauerte ich mich aufs Sofa, drückte die Knie gegen meine Brust und schwor mir, dass heute die Nacht der Nächte sein würde. Ich musste ihm sagen, dass er mich nicht mehr besuchen sollte.

Dann wartete ich, während der Himmel zuerst blau, dann rosa und dann schwarz wurde.

Ich kroch unter die Decke und starrte auf die Silhouette des Fläschchens mit den Schlaftabletten, auf die ich heute verzichtet hatte.

Die Nachttischuhr tickte von Mitternacht zu ein Uhr und dann bis zwei Uhr morgens.

Es war 2:40 Uhr, als ich seine Anwesenheit spürte. Sein Gewicht drückte auf das Bett, die Bettwäsche verrutschte, als er sich bewegte, genau wie bei einem Partner aus Fleisch und Blut. Mein Herz schmerzte.

Er drängte sich an mich, streichelte mich, berührte mich mit seinen Lippen. Sein Mund jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken, bis jeder Zentimeter meiner Haut kribbelte. Mein Körper reagierte, wollte Dinge, die mein Herz und mein Verstand verboten hatten. Meine Hüften schoben sich vor Verlangen nach vorn. Diese Verräter. Ich rollte von ihm weg, presste mein Gesicht ins Kissen.

»Schlechten Tag gehabt, Liebes?«

»Ich bin nicht dein Liebes, Caliban.« Ich flüsterte den Namen, den ich ihm vor langer Zeit gegeben hatte. Meine Wahl hatte ihn amüsiert, trotzdem schien es ihm zu gefallen.

Nach einer langen Pause in der Dunkelheit sagte er nur: »Doch, das bist du.«

Ich blieb auf der Seite liegen und starrte aus dem Schlafzimmerfenster auf die kahlen, winterlichen Bäume. In dieser Nacht gab es eine Mondsichel, einen scharfen, hellen Splitter, der zu dünn war, um Licht auf die Spuren des Wahnsinns zwischen meinen vier Wänden zu werfen. Normalerweise zog ich die Vorhänge zu, aber heute Nacht hatte ich versucht, wach zu bleiben. Ich hatte auf ihn gewartet.

»Du bist nicht real«, flüsterte ich und sprach zu der Halluzination, die mit einer Hand mein Herz hielt und es gleichzeitig brach. Ihn zu lieben, war mein größter Fehler. Ich wollte nicht mehr in ihn verliebt sein.

Calibans kühler Atem bewegte eine Haarsträhne über die nackte Haut meines Halses. Seine Finger glitten an meinem Kiefer entlang und umschlossen mein Kinn. Der Duft eines grünen, nebligen Waldes verschlang mich. »Wenn ich deine Meinung irgendwie ändern kann, dann würde ich es tun. Aber du musst mich darum bitten.«

»Caliban …«

Daraufhin beruhigte er mich. »Aber das wirst du nicht. Wir haben das schon mal durchgemacht«, sagte er. »Ich weiß, dass du dich daran erinnerst.«

Ich wurde immer unruhiger, schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, aber ich sagte nichts.

Ich konnte die letzte Nacht, in der ich ihn gesehen hatte, nicht vergessen, obwohl ich es versucht hatte.

Ich war einundzwanzig gewesen. Rote, grüne und blaue Laserlichter eines schäbigen Clubs dröhnten durch meine Erinnerung. Es war die Nacht, in der ich das College abgeschlossen hatte. Ich hatte nach Zigarettenrauch gestunken und mir im Bad zu viele Beulen geholt. Trotz des betrunkenen Nebels, der meine Erinnerung verwischte, und trotz der leeren Stellen, wo der Alkohol Details ausgelöscht hatte, konnte ich es nicht loslassen.

Es war die Nacht, in der ich meine Fähigkeit, ihn zu sehen, verloren hatte.

Ich war von einer Partynacht nach Hause gestolpert. Damals hatte ich in einer Kellerwohnung in einem schäbigen Viertel gelebt, von dem mir Caliban, meine Eltern, meine Freunde und jeder andere mit der Fähigkeit zu reden, abgeraten hatten. Aber etwas anderes konnte ich mir nicht leisten, es sei denn, ich wäre in eine WG gezogen, und ich war nicht bereit, mit anderen Leuten zusammenzuwohnen. Ich war die nach Pisse stinkende Außentreppe runtergefallen, hatte mir dabei den Knöchel verstaucht und war dann in die Wohnung gehumpelt. Ich hatte die Tür hinter mir zugeknallt, den Riegel vorgeschoben und vor Schmerz und Selbstmitleid die Zähne zusammengebissen.

In einer Bar hatte man mir einen Kurzen nach dem anderen ausgegeben, irgendetwas Blaues, das wie Zuckerwatte geschmeckt hatte. Ich hatte zu den schlechtesten Popsongs der Top Forty getanzt, war vom Pitcher des Collegeteams auf der Unisex-Toilette geleckt worden und dann zu jemandem ins Auto gestiegen, der zu betrunken gewesen war, um noch zu fahren. Ich war völlig erschöpft, aber wie viele andere naive Idioten in ihren frühen Zwanzigern, die keine Ahnung von der Kombination aus Zucker und Alkohol haben, war ich fest entschlossen, meinen Wodka mit Energydrinks mit Kirschgeschmack zu mixen. Die Aufputsch- und Beruhigungsmittel vibrierten durch meinen Körper, während die Welt schwankte. Ich schlug mit der Handfläche gegen die Wand und suchte nach einer Steckdose, die Kobolde gestohlen haben mussten, während ich im Club war. Ich sank auf den Boden.

»Soll ich das Licht einschalten?«, hatte Caliban gefragt und eine Flasche Wasser neben mich gestellt.

Ich hatte eine gute Nacht gehabt. Eine großartige Nacht sogar, von dem verstauchten Knöchel einmal abgesehen. Das war genau die Art und Weise, wie man große Ereignisse feiern sollte. Ich lebte den Traum.

Zumindest hatte ich mir eingeredet, dass ich mich amüsieren würde, bis ich seine Stimme hörte. In dem Moment, in dem seine sanften Worte mich überfluteten, bekam meine Fassade Risse. Was dann folgte, waren keine hübschen, damenhaften Tränen, sondern das herzzerreißende Schluchzen der Verlorenen. Ich zog die Knie an meine Brust.

»Hilf mir unter die Dusche«, lallte ich.

Und das tat er. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wann eine Kerze im Bad angezündet worden war oder wann er mir aus meinem Kleid geholfen hatte. Seine geisterhafte Gestalt war ein Anker in meinem verschwommenen Blickfeld, der mich in der Gegenwart festhielt, während ich ihn langsam anblinzelte. Er hatte den Vorhang offen gelassen und meinen Badezimmerboden unter Wasser gesetzt, damit die kleine orangefarbene Flamme freundlichere Schatten werfen konnte als diejenigen, die mich verfolgten. Ich erinnerte mich kaum noch an die sanfte Berührung seiner Finger, als er mein Haar zurückstrich, während ich kotzte, oder an seine beruhigende Anwesenheit und wie er mich hielt, als ich in der Badewanne lag und weinte. Ich war zu betrunken gewesen, um mich daran zu erinnern, wie sich sein nackter Oberkörper unter meiner Wange angefühlt hatte. Die sich um mich drehenden Wände hatten es mir nicht erlaubt, den Moment, in dem er meinen Kummer mit Seife und heißem Wasser abgewaschen hatte, zu genießen.

»Du hast gar keinen Spaß«, war alles, was er gesagt hatte. Ich wollte seine ernste Miene, als er das sagte, nicht sehen. Er war so schön, wenn er lächelte. Sein verschmitztes Grinsen mit den weißen Zähnen, sein schneeweißer Haarschopf, sein Zwinkern, seine hellgrauen Augen, die mich verbrannten und jeden Teil von mir elektrisierten. In dieser Nacht wusste ich, dass ich, wenn ich ihn ansah, entschlossene Stärke in seinem Gesicht sehen würde, dass Enttäuschung seine Augenbrauen zusammenziehen würde, dass es kein Lächeln geben würde, keine unbekümmerten Scherze, keine verspielten Momente, die Samen in mir pflanzen würden, die dann zu einem Garten wachsen würden, der nur für ihn blühte.

Ich hatte in seinen Armen so sehr geweint, dass ich mir dabei fast etwas ausgerenkt hätte.

»Es ist deine Schuld«, schluchzte ich durch den Strudel aus Rauschmitteln und Alkohol.

Er streichelte wieder durch mein Haar, während er mir zuhörte. Ich verschluckte mich an den Wassertropfen der Dusche und musste husten. Dann fuhr ich fort: »Ich trinke, um die Scheiße zu vergessen, die ich mir zu Hause vorstelle. Ich habe keine Freunde, weil ich nur hier sein will. Ich sage Verabredungen ab, versetze andere Leute und verschwinde überstürzt, weil es im Dunkeln etwas Besseres für mich gibt. Ich weigere mich, mit jemandem zusammenzuziehen, für den Fall, dass du mich besuchst. Ich treffe mich mit Fremden, um die Erinnerung daran auszulöschen, wie es sich anfühlt, wenn du …« Meine Stimme brach. »Du bist nicht real. Ich kann dieses Spiel nicht länger spielen. Ich brauche Hilfe, ich will nicht wie meine Mutter sein … wie meine Großmutter … Ich kann das nicht. Ich werde nie in der Lage sein, mein Leben zu leben, wenn ich weiterhin in dieser Fantasiewelt bleibe.«

Sein Griff wurde fester. Seine tiefe Stimme war sanft, aber bestimmt. »Liebes …«

»Ich will nicht mehr in dich verliebt sein«, schluchzte ich und kniff meine Augen fest zusammen, während ich mein Gesicht an seinem Körper vergrub. Und ich meinte es ernst. Dieser erbärmliche Traum machte mich kaputt. Meine nassen Haare klebten an meinem Gesicht und an seiner Brust. Meine Tränen, das Duschwasser und der wirbelnde, sich drehende Raum nahmen mir die Luft zum Atmen, während ich darum kämpfte, alles aus mir herauszubekommen, was ich auf dem Herzen hatte.

Er hatte mir einen Kuss auf den Scheitel gegeben, während er weiter über meinen Kopf strich und mir beruhigende Laute ins Ohr murmelte. In jener Nacht berührten seine Lippen unter dem fließenden Wasser mein Haar, genauso wie sie es jetzt taten.

Mein Herz brach, als ich an jene Nacht zurückdachte. Die Erinnerungen daran nur ein Phantom, das über einem ätherisch schönen Mann schwebte, der von den Sternen selbst abgesplittert war. Er hatte die Arme um den volltrunkenen Körper einer Einundzwanzigjährigen geschlungen, Kerzenlicht flackerte im Badezimmer, Dampf erfüllte den Raum, heiße Tropfen prasselten wie Patronen auf sie nieder, durchnässten uns beide, während diese Version von mir schluchzte.

Der Kuss holte mich zurück in die Gegenwart. Ich war wieder sechsundzwanzig, lag zwischen seidener Bettwäsche, mit Blick auf den Fluss. Ich atmete schwer aus, so als würde alle Last der Welt auf meinen Schultern liegen.

»Du hast gesagt, ich sei nicht real und du wolltest mich nicht mehr wiedersehen«, erinnerte er mich. Es war kein Vorwurf. Nur eine Tatsache.

»Ich war betrunken«, entgegnete ich.

»In vino veritas.«

»Und seitdem habe ich dich nicht mehr gesehen«, antwortete ich dem schwarzen Nichts. »Das war die Nacht, die mich dazu gebracht hat, weiterzuziehen, weißt du. Um zu versuchen, mein Leben zu ändern. Eine Woche später …«

»Ich weiß«, sagte er, und das tat er.