The Last Camp - Second Edition - Arnd Frenzel - E-Book

The Last Camp - Second Edition E-Book

Arnd Frenzel

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Beschreibung

Eine unbeschwerte Urlaubsreise wird zu einem Kampf ums Überleben, als ein neuartiger Virus die Welt in Angst und Schrecken versetzt. Für ein junges Paar aus Atlanta wird die idyllische Blockhaussiedlung, in die sie sich zurückziehen wollten, zu einem gefährlichen Schlachtfeld. Mit Straßensperren, militarisierten Zonen und einer bedrohlichen Atmosphäre konfrontiert, müssen sie sich durch eine Welt des Chaos und der Verzweiflung navigieren. Doch selbst nach ihrer Ankunft im Camp ist der eigentliche Albtraum noch nicht vorbei. Zwischen kranken Überlebenden und der bedrohlichen Präsenz einer mysteriösen Anhalterin offenbart sich eine viel dunklere und tödlichere Bedrohung. »The Last Camp« ist ein packender Horror, der die Grenzen zwischen Menschlichkeit und Überlebensinstinkt auf brutale Weise auslotet. In einer Welt, in der das Leben seinen Wert verloren hat, kämpfen sie nicht nur gegen einen Virus, sondern auch gegen die dunkelsten Abgründe der menschlichen Natur.

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Seitenzahl: 1326

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Arnd Frenzel

The Last Camp

-Second Edition-

Horror

Texte : © Copyright by Arnd Frenzel

Cover : © Copyright by Arnd Frenzel

2. Auflage / 2024

Vertrieb : epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors.

Prolog

Warum fürchtet der Mensch das Unbekannte? Ist es nicht der Mensch selbst, der zum größten Übel gehört? Vielleicht reicht diese Reinigung nicht aus, um das Überleben zu sichern. Doch am Ende wartet entweder die Hoffnung oder ein selbstgerechtes Schicksal, welches alles verändert...

1

»Hast du schon das Radio eingepackt?« Schreit eine weibliche Stimme aus dem Bad.

»Das brauchen wir nicht«, erwidert eine männliche Stimme aus dem Schlafzimmer. »Ich bin mir sicher, das es dort auch ein Radio geben wird. Schließlich fahren wir nur in den Osceola National Forest und nicht in die Wildnis.«

Arlo und Samantha sind gerade dabei, ihre Reisetaschen zu packen, denn am nächsten Morgen soll es für 3 Wochen in eine Blockhütte abseits der Zivilisation gehen. Auf diesen Trip freuen sich die beiden schon sehr lange, endlich mal raus aus der großen Stadt und aus den eigenen vier Wänden. Die kleine Wohnung, die sich in einem Mehrfamilienhaus mitten in Atlanta befindet, kann sich aber sehen lassen. Alles ist aufgeräumt, fast schon glänzend sauber und perfekt eingerichtet.

Der Herr des Hauses ist gerade dabei, seine Kleidung in einen kleinen Metallkoffer zu quetschen, aber egal was er auch versucht, es passt nicht alles hinein. Seine bessere Hälfte kümmert sich währenddessen um die Badezimmerutensilien und verstaut alles in eine noch schmalere Tasche, die aber völlig ausreicht.

»Schatz?« Ruft sie erneut. »Sollen wir nicht lieber heute Abend noch abreisen?«

»Warum?« Fragt Arlo prompt und schon ein wenig genervt. Sein Koffer bereitet ihm weiterhin große Schwierigkeiten.

»Du weißt schon, wegen den seltsamen Ereignissen der letzten Tage. Ich hatte dir doch davon erzählt, dass jeden Tag weniger Kinder in die Tagesstätte gekommen sind. Heute Morgen waren es nur noch 2 und wir haben sonst mehr als 30.« Samantha arbeitet als Betreuerin in einem Kindergarten. Letzten Monat ist sie 25 geworden und wurde endlich als feste Kraft eingestellt. Für sie ist das eine große Gelegenheit, aber durch das Fernbleiben der Kinder ist ihre Beschäftigung schon wieder in Gefahr.

»Darauf würde ich nicht so viel geben«, antwortet Arlo laut. »Das ist doch alles nur reine Panikmache. Der Großteil der heutigen Nachrichten ist ohnehin gestellt, die Regierung will einfach nur, dass wir mehr kaufen, das nennt man Politik. Ich habe selbst schon einiges mitbekommen und weiß, wovon ich rede.« Arlo arbeitet als Fernsehtechniker und ist sehr oft in den Studios unterwegs, die Nachrichtensendungen ausstrahlen. »Wir können auch heute nicht mehr fahren Sam, das Ferienhaus ist erst ab morgen gemietet und vielleicht müssen wir dann im Auto übernachten.«

Zur gleichen Zeit läuft im Wohnzimmer eine Livesendung aus Atlanta. Eine größere Gruppe von Menschen hat sich in der Innenstadt versammelt, um gegen die Polizeigewalt zu demonstrieren. Von Sekunde zu Sekunde werden es mehr und die Stimmung ist kurz vor dem Kippen. Noch haben die Ordnungskräfte alles unter Kontrolle, doch das kann sich schnell ändern.

»Schau dir das doch bitte einmal an, Schatz.« Sam ist mittlerweile im Wohnzimmer angekommen und beobachtet das Fernsehprogramm. »Das ist doch alles nicht mehr normal und wenn das heute noch eskaliert, kommen wir morgen überhaupt nicht mehr aus der Stadt heraus.«

Mit langsamen Schritten bewegt sich Arlo aus dem Schlafzimmer, er ist weiterhin genervt von seinem Koffer und betrachtet jetzt den Fernseher. Als er gerade etwas loswerden möchte, klingelt es an der Haustür.

»Verdammt«, schreit Sam fast schon, »das kann doch nur Yvonne sein. Was will diese Frau schon wieder von uns?«

Die genannte Frau wohnt eine Wohnung weiter und ist das absolute Gegenteil von Sam. Mit ihren 23 Jahren hat sie im Leben noch nichts erreicht und beißt sich lieber mit Gelegenheitsjobs durch. Ihre Haare sind ihr Markenzeichen, denn jeden Monat trägt sie eine andere Farbe. Derzeit sind sie vollständig orange und die Spitzen reichen gerade über ihre Schultern. Das alles wäre eigentlich noch vertretbar, wenn sie nicht immer versuchen würde, Arlo schöne Augen zu machen. Genau das ist auch der Hauptgrund, warum Sam sie nicht ausstehen kann und die Fröhlichkeit in der Wohnung hat gerade rapide abgenommen.

Langsam bewegt sich Sam zur Tür und öffnet sie nur einen Spalt breit, um zu schauen, wer sich davor befindet. Der Versuch geht aber daneben, denn die Tür wird unerwartet heftig aufgedrückt und die Frau mit voller Wucht gegen die Garderobe geschoben. Doch bevor Sam überhaupt vor Schmerzen aufschreien kann, quetscht sich Yvonne an ihr vorbei und steuert das Wohnzimmer an.

»Habt ihr das gesehen?« Schreit der ungebetene Gast durch den Raum. Ohne zu fragen, wird sich die Fernbedienung gekrallt und auf einen anderen Kanal geschaltet. Auch dort läuft gerade ein Live Bericht aus Atlanta, gefilmt aus einem Hubschrauber. »Seht euch das an«, redet sie munter weiter, »sie haben es schon wieder getan.«

Ohne etwas darauf zu sagen, starren Arlo und Sam, die sich ihren gestoßenen Ellenbogen hält, auf den Fernseher. Der Hubschrauber kreist über einen größeren Park mit einem stilvollen Brunnen in seiner Mitte. Direkt daneben befinden sich einige Polizisten und mehrere Krankenwagen mit Blaulicht. In einem von diesen sitzt ein Uniformierter hinten auf der Rampe und lässt sich verbinden, eine tiefe Wunde klafft an seinem Arm. Etwas weiter rechts davon liegt eine Person am Boden und bewegt sich nicht mehr. Der Nachrichtensprecher spricht von erneuter Polizeigewalt und das live Programm wird noch einmal zurückgedreht, damit es auch jeder mitbekommt. Auf dem Bildschirm taucht jetzt ein Mann auf, das müsste der sein, der dort mittlerweile am Boden liegt und er läuft langsam auf die Polizisten zu. Einige von ihnen schreien ihn an, es sieht so aus, als ob er stehen bleiben soll, aber er geht unvermindert weiter. Dann geschieht etwas Merkwürdiges. Der Mann, es handelt sich wohl um einen Obdachlosen, greift einen der Polizisten an und bewegt dabei seinen Kopf in die Richtung des Uniformierten. Als die Kamera näher heranzoomt, ist genau zu erkennen, dass er den Polizisten in den Arm beißt. Die anderen Gesetzeshüter ziehen ihre Waffen und schießen auf den Angreifer. Dieser wird von mindestens zehn Kugeln durchsiebt, taumelt nach vorne und fällt mit dem Gesicht nach unten auf den Boden.

Die Sendung schaltet wieder auf Echtzeit und der Sprecher redet ununterbrochen von der Gewalt an unbescholtenen Bürgern.

Yvonne reagiert als Erstes auf das Gesehene und bricht das Schweigen in der kleinen Runde.

»Das passiert gerade überall, meine Friseurin Celine hat mich eben angerufen und mir erzählt, das sie bei ihr an der Ecke auch jemanden erschossen haben.«

Nachdenklich schaut Arlo zu Sam und sie erwidert seinen Blick, die Angst steht in ihren Augen. Das interessiert Yvonne aber nicht wirklich, sie schiebt sich dreist dazwischen und wendet sich an Arlo. Mit seiner Größe von 1,75m und seinem muskulösen Körperbau ist er der perfekte Frauenschwarm. Seine kleinen schwarzen Locken und seine 28 Jahre runden das Gesamtpaket sogar noch ab.

»Ich will auch in die Stadt, also zu dieser Demo aus dem Fernsehen und ihr zwei begleitet mich«, schreit sie ihn fast an. »Zieht euch einfach etwas über, es ist nicht weit von hier.«

»Das kannst du vergessen Yvonne«, antwortet ihr aber Sam. »Wir bleiben hier, schließlich fahren wir morgen in den Urlaub. Ich glaube auch nicht, dass wir etwas mit dieser Sache zu schaffen haben.«

Der ungebetene Gast wirbelt herum und mustert Sam von oben bis unten. »Bei solchen Aktionen solltest du auch lieber zu Hause bleiben«, antwortet Yvonne herablassend. »Ich gehe besser mit Arlo alleine dort hin.«

Sam ist gerade mal 1,62m groß und hat eine sehr schmale Statur, eher schon zierlich. Ihre schulterlangen blonden Haare kämt sie sich immer nach hinten und bindet sie dort zu einem Zopf zusammen. Dadurch erhält sie fast noch ein kindliches Aussehen.

»Du gehst nicht mit meinem Mann dort hin und ich weiß auch nicht, wie du immer auf solche Ideen kommst. Es wäre jetzt auch besser, wenn du wieder gehst, denn wir haben noch einiges zu tun«, antwortet ihr Sam mit einer patzigen Stimme. Für eine Weile schaut Yvonne arrogant zu ihr herüber, dreht sich noch einmal zu Arlo und bewegt sich anschließend direkt zur Haustür. Dort baut sie ihre 1,70m in voller Größe auf und wirkt tatsächlich beleidigt.

»Dann eben nicht«, gibt sie von sich. »Ihr verpasst einen echt geilen Abend, denn das wird heute Nacht noch knallen in der Stadt.« Nach einer kurzen Pause legt sie noch einen drauf. »Ich danke dir noch einmal für die Adresse von eurem Ferienhaus, das war sehr lieb von dir, Arlo.« Direkt nach ihren Worten öffnet sie die Tür und verschwindet. Sam geht ihr noch nach, schaut kurz auf den Hausflur hinaus und schließt dann leise den Eingang.

»Warum hast du Yvonne die Adresse gegeben?« Fragt sie jetzt etwas lauter. Sie steht immer noch an der Tür und aus dem Wohnzimmer kommt keine Antwort. »ARLO«, schreit sie richtig laut. »Ignorierst du mich mit Absicht?« Langsam kommt Arlo in ihre Richtung geschlendert und schaut sie dabei unschuldig an.

»Das war wirklich keine Absicht Schatz, ich wollte nur ein wenig mit unserem Urlaub angeben. Irgendwie ist mir dabei wohl auch der Ort der Location herausgerutscht, aber das ist doch egal, sie kann sich so eine Reise schließlich nicht leisten.«

»Ich hasse diese Frau und ich möchte nicht, dass du dich mit ihr alleine unterhältst.« Eine kleine Träne läuft ihr die Wange herunter und Arlo nimmt sie fest in seine Arme.

»Du musst dir keine Sorgen machen Sam, wir fahren morgen für drei Wochen in den Urlaub und genießen unsere Zeit. Lass uns jetzt einfach den Rest zusammen packen und dann gehen wir schlafen. Ich möchte morgen sehr früh aufbrechen.« Bei Sam bildet sich darauf ein kleines Lächeln im Gesicht.

»Okay Schatz, lass uns das genau so machen, ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Zeit«, sagt sie leise flüsternd in sein Ohr.

Den Rest des Abends verbringen die beiden damit, ihre Sachen zu packen. Die Taschen und Koffer werden später schön aufgereiht vor die Haustür gestellt, so verschwenden sie am Morgen keine unnötige Zeit. Im Wohnzimmer läuft währenddessen der Fernseher weiter. Nur keiner der zwei hatte die Zeit oder die Lust, sich damit noch einmal zu beschäftigen. Vielleicht wäre es aber ratsam gewesen, denn die Demo verlief wirklich nicht friedlich. Der Mob hatte schnell damit begonnen, Gegenstände in die Richtung der Polizisten zu werfen. Erst waren es nur kleine Dosen und Feuerzeuge, doch das änderte sich, nachdem die Sicherheitskräfte anfingen, die Menge gewaltsam zurückzudrängen. Die ganze Nacht über gab es zahlreiche Ausschreitungen, verteilt über viele Teile der Stadt. Autos wurden zerstört, Müllhaufen entzündet und Geschäfte geplündert. Erst im Morgengrauen wurde es ruhiger, die Polizisten hatten die Lage wieder unter Kontrolle und es gab nur noch ein paar kleine Widerstandsnester, die aber kaum von Bedeutung waren. Die Stadt konnte endlich schlafen...

2

Beißender Geruch weckt Arlo gegen 5 Uhr am Morgen. Es stinkt regelrecht im Schlafzimmer und er kann sich die Herkunft nicht erklären. Ihm bleibt also nichts anderes übrig, als aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Der gebotene Anblick ist sehr erschreckend, unten in der Straße brennen doch tatsächlich mehrere Autos. Einige sind sogar schon ausgebrannt und schmoren nur noch vor sich hin. Keine Feuerwehr, keine Polizei, alles ist ruhig, als ob es niemanden interessiert.

»Gut, das unser Auto in der Tiefgarage steht, sonst wäre unser Urlaub schon vorbei«, sagt er leise zu sich selbst, schließt das Fenster und trottet in die Küche. Eine Rückkehr in das Bett lohnt sich nicht mehr, sie wollten ohnehin in einer Stunde aufstehen und draußen wird es langsam hell. Also wird in Ruhe die Kaffeemaschine befüllt und anschließend der Schalter betätigt. Das Teil war ein Geschenk von seiner Schwiegermutter, genau dieser Gedanke geht ihm gerade durch den Kopf, als er sich auf dem Weg zum Bad befindet. Die Eltern von Sam sind bei ihm nicht gerne gesehen, daher ist es auch gut, dass man sich nur selten im Jahr besucht, denn sie wohnen in New York City. Sie hatten sich für ihre Tochter etwas Besseres gewünscht und nicht so einen billigen Fernsehtechniker, einen Versager, wie er auch oft genannt wird. Bei dem Gedanken lächelt Arlo ein wenig, er wäscht sich die Finger und geht zurück in die Küche.

Kein Kaffeegeruch? Verwundert geht Arlo zur Kaffeemaschine und erkennt, dass sie überhaupt nicht leuchtet. Als nächstes bedient er den Lichtschalter und nichts passiert, das sieht nach einem Stromausfall aus. Ein erneuter Blick aus dem Fenster signalisiert, das auch die Straßenlaternen nicht leuchten, das ist ihm wegen der brennenden Autos nicht sofort aufgefallen. Irgendwo in der Stadt ertönen Sirenen, die Nachricht der Vandalen wird wohl endlich angekommen sein.

Aufgewachsen ist Arlo in Columbus und seine Kindheit war wirklich glücklich, denn seine Eltern hatten alles für ihn getan. Kurz nach seinem 22. Geburtstag hatten sie einen schweren Autounfall und kamen dabei ums Leben. Dieser Schock sitzt bei ihm immer noch sehr tief und die Gedanken an das Ereignis schmerzen gewaltig.

Total verschlafen erscheint Sam in der Küche, die lauten Sirenen werden sie geweckt haben. »Was stinkt hier denn so?« Fragt sie als Erstes, nachdem sie den Raum betreten hat.

»Erst mal einen guten Morgen, die Dame«, antwortet Arlo gewitzt. »Bei uns in der Straße hatten heute Nacht ein paar Randalierer ihren Spaß und haben die Autos unserer Nachbarn angesteckt.«

Total geschockt schaut Sam aus dem Fenster. »Gut, das wir unser Auto in die Tiefgarage gefahren haben, kaum auszudenken, was wir sonst für einen Stress bekommen hätten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Yvonne ihre Finger mit im Spiel hatte, hoffentlich wurde sie wenigstens eingebuchtet. Nur warum kommt keiner zum Löschen?«

»Tja«, antwortet Arlo, »die haben sicher eine Menge zu tun, schließlich haben wir auch keinen Strom, Kaffee kannst du also vergessen.«

»Mir ist auch irgendwie nicht nach Kaffee, Schatz. Ich gehe jetzt ins Bad und versuche mich im Dunkeln fertigzumachen, anschließend sollten wir von hier verschwinden.«

Zustimmend schaut Arlo seiner Frau noch hinterher und blickt dann wieder aus dem Fenster. Seine Augen richten sich auf das Ende der Straße, direkt auf die große Kreuzung, denn dort läuft jemand herum. Nur laufen ist nicht wirklich der richtige Ausdruck dafür, die Person schlürft eher über den Asphalt und das mitten auf der Straße.

»Das die immer mit dem Alkohol übertreiben müssen«, sagt Arlo leise und beobachtet, wie die Person langsam näher kommt und gegen eine Straßenlaterne prallt. Doch anstatt sich vor Schmerzen zu krümmen, bewegt sie sich einfach weiter.

»Drogen«, kommt erneut von Arlo. »Drogen und Alk, das ist keine gute Mischung.«

Mittlerweile ist Sam wieder zurück in der Küche und packt ihn am Arm. Sichtlich aufgeschreckt zuckt er zusammen und dreht sich herum.

»Was bist du denn so schreckhaft, Schatz?« Lächelt sie ihn an. »Das Bad ist jetzt frei, du kannst dich also auch fertigmachen.« Ein weiteres Mal schaut Arlo noch zur Straße, aber die Person ist weiter geschlendert und verschwindet langsam hinter der nächsten Häuserwand.

Es dauert nicht lange und das Paar ist bereit für ihre Reise, auch der Strom ist endlich wieder zurück. Anstatt noch einmal in die Nachrichten zu schauen, nehmen sie lieber ihre Taschen und fahren mit dem Aufzug nach unten. Die Wiederkehr der Elektrizität ist ein glücklicher Zufall, denn sonst hätten sie alles das Treppenhaus herunter tragen müssen und dank Sam wäre das echt viel gewesen.

In der Tiefgarage ist es ruhig, kein Mensch ist zu sehen und das Auto der beiden befindet sich in der letzten hinteren Parkbox. Es handelt sich um einen Chevrolet Classic in einem schönen hellen Blau. Bekommen haben sie das Fahrzeug von den Eltern von Sam und Arlo kann es absolut nicht leiden, was nicht nur an den Schwiegereltern und der hohen monatlichen Rate liegt. Das Auto ist total unzuverlässig, andauernd geht etwas kaputt und die Kosten sind schon enorm in die Höhe geschossen. Hoffentlich schafft der Chevy überhaupt die Reise von Atlanta bis nach Lake City, schließlich sind das mehr als 200 Meilen und das alles über die Interstate 75. Dort angekommen wartet dann im Osceola National Forest ein kleines gemütliches Ferienhaus auf sie. Dieses steht mitten in einem Waldpark, direkt neben anderen kleinen Behausungen, völlig abseits der Zivilisation. Natur und Ruhe, das ist genau das, was die beiden sich schon länger wünschen.

Doch erst einmal liegt etwas anderes im Fokus, das Gepäck muss in den Kofferraum. Eigentlich eine leichte Angelegenheit, Deckel auf, Sachen rein, Deckel zu, aber nicht bei Sam. Bei ihr muss alles superordentlich sitzen, jeder Koffer braucht seinen Platz, nichts darf unterwegs verrutschen oder nervige Geräusche von sich geben. Ein Umstand, den Arlo partout an Sam nicht leiden mag, es ist schon krankhaft und es gibt oft deswegen Stress.

»Dann fangen wir mal an«, spricht Arlo leise. Er hat keine Ahnung, warum er flüstert, aber irgendetwas macht in nervös. Draußen in der Stadt ertönen auch schon wieder die nächsten Sirenen.

»Lass mich das mal machen«, antwortet Sam. »Das ist meine Aufgabe, das weißt du doch. Wenn du das packst, wird alles schief gehen und an das folgende Chaos möchte ich nicht denken.« Sam redet mit einer normalen Lautstärke und die Worte schallen in der Garage wieder.

»Geht das auch ein wenig leiser Sam?«

»Was hast du für ein Problem Schatz? Hier ist doch niemand, der uns hören kann. Außerdem ist es mir auch egal, was die anderen über mich denken, ich liebe meine Ordnung«, entgegnet sie ihm trotzdem ein wenig leiser.

Arlo öffnet den Kofferraum, der wie immer sehr laut quietscht und schaut in den leeren Raum darunter. »Das sollte ich wirklich einmal ölen«, sagt er eher zu sich selbst als zu seiner Frau.

Sofort beginnt Sam mit dem Packen, eine Tasche dort, ein Koffer daneben, das nächste Teil oben drauf und schon wird das Erste wieder heraus geholt. Arlo könnte sich jetzt wirklich eine rauchen, denn beim Zuschauen wird ihm gerade völlig anders. Das wird aber schnell wieder vergessen, schließlich ist hier unten das Rauchen verboten und dieses Laster hat er auch schon lange abgelegt. Aufgehört hatte er zu dem Zeitpunkt, als seine Eltern tödlich verunglückten. Ihm wurde gesagt, dass der Fahrer in dem entgegenkommenden Auto versucht hatte, sich eine Zigarette anzuzünden und das während der Fahrt mit einem Streichholz. Dieses ist ihm dann herunter gefallen und zwar direkt auf seine Hose, die dummerweise sofort Feuer fing. Durch die Ablenkung ist er in den Gegenverkehr geraten und frontal in das Auto seiner Eltern gefahren. Den Aufprall haben die zwei nicht überlebt und der Verursacher ist mit leichten Verletzungen davon gekommen. Eigentlich wollte Arlo ihn schon immer kennenlernen und ihm dann alles Mögliche vor den Kopf schmeißen, nur hat er seine Idee nie in die Tat umgesetzt.

Ein leises Geräusch aus der anderen Ecke der Tiefgarage reißt ihn aus seinen Gedanken. Er schaut kurz zu Sam, die immer noch mit dem Einpacken beschäftigt ist und bewegt sich dann langsam auf das Gehörte zu. In der Gegend selbst ist es dunkel, daher kann er nichts erkennen, aber irgendetwas muss dort sein, er hat es schließlich gehört. Vorsichtig läuft er weiter und die Lampe an der Decke beginnt zu blinken. Das hat schon alles etwas Unheimliches, entweder geht die gleich kaputt oder der Strom verschwindet wieder, aufhalten lässt ihn das aber nicht.

»Da ist doch was«, sagt er leise. Ein erneutes Geräusch direkt auf Kopfhöhe lässt ihn stoppen. Im Schatten versucht er etwas zu erkennen und es tauchen zwei leuchtende Punkte vor ihm auf. Direkt darauf springt eine Katze von einem Autodach herunter und landet vor seinen Füßen, schnurrt einmal um seine Beine herum und verschwindet in der nächsten Ecke. Der Schock sitzt tief und lässt ihn auf der Stelle erstarren.

»Arlo?« Fragt Sam von hinten und kommt näher. »Was ist passiert?« Langsam kommt er wieder zu sich, dreht sich herum und umarmt seine Frau.

»Die Katze von Yvonne hat mich erschreckt.«

»Du hast Angst vor einer Katze?« Fragt sie erheitert und kann sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. »Komm schon Schatz, ich bin fertig mit dem Packen, wir können also los. Es sieht auch so aus, als ob der Strom gleich wieder verschwindet. Soll ich vielleicht als Erstes fahren?«

»Ja«, antwortet Arlo, »das wäre wohl gerade das Beste. Ich gehe eben und schließe das Gitter auf.«

Das Sicherungsgitter ist schnell geöffnet. Nach dem Aufschließen muss es nur noch hochgedrückt werden und Sam kann hinausfahren. Weiterhin ertönen aus vielen Richtungen Sirenen aus der Stadt. Zuzuordnen sind sie aber nicht, es ist also nicht erkennbar, ob es sich um die Feuerwehr, die Polizei oder um einen Krankenwagen handelt.

Nach dem Schließen des Tores steigt Arlo ins Auto und sie fahren eine kleine Anhöhe nach oben. Am Ende erwartet sie die Straße, die an beiden Seiten mit Häusern zugebaut wurde. Es gibt kaum grüne Stellen, nur Teer, Steine und Beton. Einige der parkenden Autos sind noch am Qualmen, Flammen sind aber keine mehr zu sehen. Das Feuer hat sich wohl alles geholt, was es zum Überleben braucht. Kein Fahrzeug ist auf der Straße zu sehen und auch Menschen laufen nicht herum. Das ist schon eigenartig, an normalen Tagen wird hier 5 Minuten gewartet, bis endlich eine Lücke entsteht. Doch heute ist nichts los und sie können direkt losfahren.

Sie biegen auf die linke Seite, denn die Straße führt zur Interstate und genau das ist ihr Ziel. An der nächsten Kreuzung bleiben sie an einer roten Ampel stehen und schauen in die Querstraßen, aber viel ist hier nicht zu entdecken, wenigstens auch keine brennenden Autos. Am Ende der Straße sehen sie doch tatsächlich eine ältere Frau mit ihrem Hund. Ungeduldig wartet sie darauf, dass ihr Tier das Geschäft vollendet.

»Endlich mal ein Mensch«, gibt Arlo von sich. »Ich dachte schon, die wären alle ausgestorben.« Ein Grinsen huscht über seine Lippen, aber der Witz kam nicht wirklich gut an.

»Die haben sicher alle Angst, schließlich war die letzte Nacht sehr unruhig«, antwortet Sam. »Denk an die brennenden Autos in unserer Straße.«

»Noch ein Grund aus der Stadt zu verschwinden«, fügt Arlo hinzu.

Sie stehen weiterhin an der Kreuzung und beobachten die Frau in der Querstraße. Der Hund ist endlich fertig und zusammen mit dem Frauchen verschwindet er in einem nahe gelegenen Wohnhaus. Die Ampelanlage hat ihren Dienst in der Zwischenzeit eingestellt, denn die Beleuchtung ist erloschen. Also setzt Sam das Auto langsam in Bewegung, aber Arlo schreit sie von der Seite an.

»STOPP SAM.« Aus dem Schock heraus tritt sie sofort auf die Bremse und die Räder stehen wieder still. Von links kommen jetzt 3 Polizeiautos angebraust und es ist weder ein Blaulicht zu sehen, noch eine Sirene zu hören. Sie düsen einfach an dem Paar vorbei, ohne eine Notiz von ihnen zu nehmen und verschwinden an der nächsten Kreuzung.

»Das war echt knapp Sam«, sagt Arlo wieder. »Die hatten es verdammt eilig.« Wie ein Stein sitzt Sam in ihrem Sitz und schaut zu ihm herüber.

»Willst du nicht lieber fahren, Arlo? Jetzt fühle ich mich gerade nicht wohl. Die können doch nicht so schnell durch die Straßen fahren und das auch noch ohne sich anzukündigen. Hier stimmt etwas nicht und ich bekomme es wirklich mit der Angst zu tun.«

Mit einer schnellen Bewegung beugt Arlo sich nach vorne und schaltet das Radio ein. Auf ihrem Lieblingssender läuft gerade Musik, was wirklich beruhigend wirkt. »Dann lassen wir das mal an und schauen, ob die irgendetwas zu sagen haben«, gibt er von sich.

Die Positionen im Fahrzeug ändern sich nicht und langsam fährt Sam über die Kreuzung hinüber. Die Reise geht in südlicher Richtung weiter und die Straßen werden tatsächlich ein wenig voller. Rechts und links befinden sich auch wieder Menschen und je näher sie der Interstate kommen, desto mehr Autos fahren herum. Die Normalität hat die beiden eingeholt und das fühlt sich für sie sehr gut an. Die Demos konzentrierten sich wohl eher nur auf die Innenstadt und auf das Gebiet, wo die beiden ihre Wohnung haben. Auch die nächsten Ampelanlagen sind wieder im Betrieb. Einige Geschäfte haben noch geschlossen, denn die Rolltore vor den Eingängen sind heruntergefahren und diejenigen, die schon geöffnet haben, leiden unter einem ungewöhnlich großen Kundenandrang. Allen Anschein nach werden die Räumlichkeiten völlig leer gekauft.

»Die haben sicher alle Angst, das die Unruhen weiter gehen und keiner mehr etwas kaufen kann«, sagt Arlo zu den Beobachtungen. Darauf nickt Sam einfach nur und sie fährt langsam weiter. Die Straßen werden immer voller und im Radio spielen sie einen Song nach dem anderen. Alles ohne Pause, kein Moderator, keine Werbung, nur Musik.

Sie nähern sich endlich der Auffahrt zur Interstate und dort kommen sie auf die 75. Auf dieser Straße können sie fast bis zum Zielort durchfahren. Erleichterung erfüllt den Innenraum des Chevys, denn das Ende der Stadt ist greifbar, aber kurz vor der Abzweigung geht plötzlich nichts mehr. Alles ist mit Fahrzeugen verstopft, als ob die halbe Stadt die Interstate nehmen möchte.

»Das kann es doch nicht sein«, meckert Sam. »Wo wollen die denn alle hin? Können wir bitte den Platz tauschen Arlo, auf diesen Mist hier habe ich jetzt keine Lust.«

Zustimmend steigt Arlo aus dem Auto, läuft einmal hinten herum und wirft dabei einen kurzen Blick in das folgende Fahrzeug am Heck. Dort sitzt eine ganze Familie im Inneren, mindestens 3 Kinder befinden sich auf der Rückbank und der Rest ist vollgestopft mit Gepäck. Mit einem komischen Gefühl steigt er an der Fahrerseite wieder ein und übernimmt das Steuer. Sam ist in der Zwischenzeit auf den Beifahrersitz gerutscht, ein Aussteigen kam für sie nicht infrage.

Langsam rollt der Metallkoloss weiter und Arlo lenkt den Chevy auf die Interstate, wo aber auch alles voll ist. Alle 4 Fahrbahnen sind belegt und es geht kaum voran, viele sind am Hupen und die Abgase sind einfach nur widerlich. So haben sie sich den Beginn ihres Urlaubes nicht vorgestellt. Über ihnen kreist ein Hubschrauber und Sam öffnet das Fenster, um nach oben zu schauen.

»Das ist einer von CNN«, bemerkt sie etwas lauter.

»Die machen sich sicher ein Bild vom Stau«, antwortet Arlo beiläufig. Er ist gerade dabei, die Spur zu wechseln, denn so wie es aussieht, geht es in der Mitte etwas zügiger voran.

»Da kommen noch 2 Hubschrauber, aber die sind vom Militär.«

Jetzt schaut auch Arlo nach oben und beobachtet das erwähnte Spektakel von Sam. Die beiden Militärhubschrauber fliegen direkt in die Nähe von dem anderen und umkreisen ihn.

»Was die wohl von dem Nachrichtenhelikopter wollen?« Fragt Arlo und schaut weiter nach oben. Nach einigen Sekunden fliegt der von CNN Richtung Stadt und die beiden vom Militär geben Geleitschutz. Zur gleichen Zeit spielt das Handy von Sam eine Melodie.

»Oh«, sagt sie erschrocken und sieht auf dem Display die Nummer von ihren Eltern stehen. Skeptisch und auch ein wenig ängstlich schaut sie zu Arlo hinüber.

»Das sind meine Eltern Arlo, aber warum rufen sie mich auf meinem Handy an?« Sam liebt ihre Eltern, aber leider gibt es nicht viel Kontakt. Einmal natürlich wegen Arlo, den sie überhaupt nicht mögen und dann noch wegen ihrer eigenen Berufswahl. Ihr Vater ist ein Anwalt aus Manhattan und er hatte sich mehr für seine kleine Tochter gewünscht. Mit gemischten Gefühlen nimmt sie den Anruf entgegen und sagt »Hallo« in das Handy.

»Hallo, mein Schatz«, ertönt die Stimme von ihrem Vater. »Wo seid ihr gerade und was macht ihr genau?« Seine Stimme klingt unsicher und Sam bekommt ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend. Ihr Vater strotzt normal vor Souveränität und er fragt auch nie nach Arlo.

»Hallo Dad, wir sitzen im Auto und befinden uns auf der Interstate in Richtung Süden«, antwortet sie ihm endlich. »Wir fahren doch für die nächsten 3 Wochen in den Urlaub, das hatte ich euch doch erzählt. Also was ist los Dad? Du hörst dich so seltsam an, ist etwas mit Mum?«

»Nein, mein Schatz mit deiner Mutter ist alles in Ordnung. Ich mache mir nur ein wenig Sorgen um euch. Hier in New York passieren seltsame Dinge. Das Militär sperrt ganze Stadtteile ab, niemand darf mehr ausreisen und eine Ausgangssperre haben sie auch verhängt. Wir dürfen das Haus nur noch verlassen, wenn wir einen wichtigen Grund dafür haben. Jeder Passant wird auf der Straße vom Militär kontrolliert.«

»Das hört sich echt nicht gut an«, sagt Sam mit zitternder Stimme. Ihr Blick streift den von Arlo, der echt neugierig, ja fast schon ängstlich in ihre Richtung schaut. Das Auto bewegt sich wieder ein wenig vorwärts.

»Bei uns in Atlanta hat es heute Nacht Unruhen gegeben«, fährt sie fort. »Die haben sogar einige Autos in Brand gesteckt, aber wegfahren dürfen wir trotzdem noch, schließlich sind wir schon auf der Interstate. Bei euch in New York muss es schlimmer als bei uns gewesen sein.«

»Damit hast du vollkommen recht mein Kind, hier wurde sogar das Kriegsrecht ausgerufen«, antwortet ihr Vater sofort. »Etliche Schüsse haben wir aus der Stadt vernommen und es war sehr ungemütlich. Im Radio haben sie durchgegeben, das einige Menschen schwer erkrankt sind. Irgendein Virus macht die Leute wahnsinnig und wir sollen uns von ihnen fernhalten. Ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat, aber es hört sich nicht gut an und ich möchte euch in Sicherheit wissen.«

»Dad, bei uns war es doch auch unruhig, aber von den anderen Dingen haben wir nichts gehört. Im Radio spielen sie auch nur Musik. Mama ist aber nicht krank, oder?«

»Nein«, antwortet ihr Vater mit einer beruhigenden Stimme. »Sie liegt nur im Bett wegen ihrer Migräne. Du weißt doch, mit Stress kommt sie nicht klar und sie zieht sich dann zurück. Wann«..... Die Worte ihres Vaters sind verstummt, Sam schaut auf das Display und sieht, das sie kein Netz mehr hat und Arlo blickt sie immer noch starr von der Seite an.

»Was ist los Sam«, durchbricht er die aufkommende Stille im Auto.

»Ich habe kein Netz mehr«, antwortet sie leise.

»Ja, aber was hat dein Dad gesagt?« Die Stimme von Arlo wird ungeduldig.

»Die haben New York abgesperrt und das Kriegsrecht ausgerufen. Dad sagte etwas von einem Virus, der Menschen wahnsinnig machen soll. Wir sollen uns unbedingt von kranken Menschen fernhalten.«

Die Situation hier auf der Interstate macht das natürlich unmöglich. Wo können sie auch hin, wenn sie jemand Krankes sehen?

»Geht es deinen Eltern denn gut?« Fragt Arlo schließlich mit ruhiger Stimme.

»So weit ich das mitbekommen habe ja«, antwortet Sam. »Sie sind zu Hause und wollen den Mist einfach aussitzen. Nur die Sache muss wirklich ernst sein, sonst hätte mein Dad uns niemals angerufen.«

Der Song im Radio wird durch ein schrilles Piepsen unterbrochen und eine männliche Stimme ertönt aus den Lautsprechern.

»Achtung, das ist eine automatische Durchsage der Nationalgarde von Atlanta. Die starken Unruhen von letzter Nacht sind wieder unter Kontrolle und die Polizei hat zusammen mit der Nationalgarde die Sicherheit wieder hergestellt. Wir bitten alle Einwohner, die Ruhe zu bewahren und zu Hause zu bleiben. In einigen Stadtteilen ist es schon zu Hamsterkäufen und Plünderungen gekommen, so ein Verhalten wird von uns nicht toleriert, denn es gibt auch keinen Grund zur Panik. Alle Straßen, die aus der Stadt herausführen, sind komplett überfüllt, es lohnt sich also nicht, die Stadt auf diesem Wege zu verlassen. Weiterhin wurde uns ein Bericht zugespielt, in dem es um einen unbekannten Virus gehen soll. Bisher ist aber nicht viel darüber bekannt, auch nicht, ob an diesem Gerücht etwas Haltbares dran ist, aber vermeiden sie bitte zu ihrer eigenen Sicherheit den Kontakt mit kranken Menschen und bleiben sie den öffentlichen Krankenhäusern fern. Schließen sie ihre Türen und Fenster und verhalten sie sich ruhig, bei Problemen kommen wir zu ihnen.«

Erneut ertönt das Piepsen und die Aufzeichnung beginnt von vorne. Für Arlo hat die Nachricht aber gereicht und er schaltet das Radio aus. Sein Blick geht gebannt nach vorne und seine Gedanken rasen davon.

»Dein Dad hat wohl die Wahrheit gesagt«, kommt leise von ihm.

»Warum sollte er auch lügen?« Antwortet Sam ein wenig patzig. »Aber was genau sollen wir jetzt machen Arlo? Sollen wir nicht lieber umkehren und uns zu Hause einschließen?«

»Nein«, kommt entschlossen zurück. »Wir müssen uns von Atlanta entfernen, wir bleiben bei unserem Plan und fahren zu dem Ferienhaus im Wald.«

Wie durch ein Wunder beginnt der Verkehr wieder zu fließen, sie kommen tatsächlich voran und schaffen eine ganze Meile. Atlanta ist nur noch im Rückspiegel zu erkennen und Sam schaut aus dem Heckfenster. Dort sieht sie die Skyline verschwinden und irgendwie wirkt das alles sehr bedrohlich, was passiert gerade in der großen Stadt?

Die nächste Meile ist geschafft und endlich können sie auch erkennen, warum der Verkehr sich nicht mehr staut. Die Nationalgarde, die Polizei oder sonst jemand hat die Mittelleitplanke geöffnet. Die beiden linken Spuren wechseln tatsächlich auf die Gegenfahrbahn. Nicht unbedingt die beste Idee, aber in Richtung Atlanta ist kaum noch einer unterwegs. Das Paar bleibt aber auf der richtigen Seite und kann weiter beschleunigen.

Versunken in seinen Gedanken überholt Arlo einen Bus. Direkt auf der gleichen Höhe beginnt das riesige Gefährt, ohne eine Vorwarnung zu schlingern. Erst driftet es auf die Seite der beiden Urlauber und dann geht es wieder zurück auf die andere Spur. Dort durchbricht es unerwartet die rechte Leitplanke, rollt das Ufer hinunter und fällt mit einem lauten Knall auf die Seite. Das ganze Geschehen ist bei Sam nicht vorbeigegangen und sie kann sich jetzt nicht mehr halten.

»HALT BITTE SOFORT DAS AUTO AN ARLO, DER BUS NEBEN UNS HATTE EINEN UNFALL.« Doch von ihm kommt trotz ihrer hysterischen Worte keine Reaktion, der Chevy hält seine Linie und fährt unvermindert weiter. »Bist du jetzt taub geworden Schatz, die hatten einen schrecklichen Unfall. Wir müssen sofort anhalten und ihnen helfen.«

Weiterhin passiert nichts, als ob Arlo in einer Art von Trance feststeckt. Doch das Geschehene muss er erst einmal verdauen, auch wenn das nicht einfach für ihn ist. Als sie auf Höhe des Busfahrers waren, konnte er einen kleinen Blick in den Innenraum werfen. Neben dem Fahrer tauchte ein Fahrgast auf und begann mit ihm zu kämpfen, deshalb wurde auch die Kontrolle über den Bus verloren. Das war aber nicht der schockierende Punkt, sondern der Angreifer hatte versucht, den Busfahrer zu beißen. Wie ein Tier ist er über ihn hergefallen. War das vielleicht der Virus? Nach seinen Gedanken versucht er jetzt endlich auf seine Frau zu reagieren und bremst das Auto ein wenig ab.

»In dem Bus waren kranke Sam, so wie es dein Vater und der Sprecher im Radio gesagt hatte. Ich habe es gesehen, jemand wollte den Busfahrer beißen und das war auch der Grund für den Unfall. Wir können also nicht anhalten, oder willst du auch krank werden? Niemand hat uns bisher darüber aufgeklärt und wir wissen auch nicht, wie es sich überträgt.«

Irritiert schaut Sam zu ihm herüber, sie öffnet ihren Mund, sagt aber nichts. Sie kann seine Worte nicht verstehen, warum sollte auch jemand den Busfahrer beißen? Ihre Augen richten sich wieder nach vorne, denn der Verkehrsfluss wird erneut langsamer und ist auf der Gegenfahrbahn ganz zum Erliegen gekommen.

»Der Verkehr wird wieder dichter Schatz. Sollen wir nicht lieber versuchen, die nächste Abfahrt hinunter zu fahren, um den Stau zu umgehen?« Bevor Arlo darauf antworten kann, sehen die beiden auch den Grund, warum es auf der anderen Seite nicht mehr weiter geht. Dort stehen zwei Panzer quer auf der Straße und versperren den Weg. Mehrere Soldaten mit Waffen kauern dazwischen und schauen grimmig in die Richtung der angekommenen Autos. Dank der langsamen Geschwindigkeit bekommen die zwei das ganze Spektakel hautnah mit. Es sieht wirklich danach aus, als ob die Uniformierten die Fahrzeuge über eine Abfahrt von der Interstate lotsen. Diese führt in ein Industriegebiet von Atlanta und von dort geht es direkt zurück in die Stadt.

»Siehst du das?« Fragt Sam beunruhigt. »Die schicken alle zurück nach Atlanta.«

»Gut, das wir auf dieser Seite geblieben sind Sam. Hoffentlich dürfen wir hier wenigstens weiter fahren.«

Rechts neben ihnen rollt ein neuerer VW Bus, der durchgehend mit ihnen Schritt hält. Ein Mann mit einer Halbglatze sitzt am Steuer und starrt stur auf die Straße. Auf dem Beifahrersitz befindet sich eine Frau mit kurzen Haaren und sie kaut nervös auf ihren Fingernägeln. Im hinteren Teil des Fahrzeuges halten sich noch weitere Personen auf und auf dem ersten Blick sehen sie wie schlafende Kinder aus. Für die Urlauber geht es jetzt ein wenig schneller voran und sie lassen den VW hinter sich, doch in der Ferne taucht etwas Bizarres direkt auf der Straße auf. Erneut kommt die Blechkolonne völlig zum Stehen und der Bully von eben stoppt schräg hinter ihnen. Auf den Vordersitzen sind die Erwachsenen am Diskutieren, die erneute Pause scheint ihnen nicht zu gefallen.

Die Interstate ist an dieser Stelle nur noch zweispurig und ein Mann in einem Porsche, der sich direkt vor Sam und Arlo befindet, steigt aus seinem Sportwagen und schaut sich um. Da sie gerade an einem Berghang stehen und die Straße im Tal wieder ansteigt, können sie sehr weit gucken. Etwas weiter unten wurde die Fahrbahn vom Militär blockiert. Dort steht jetzt tatsächlich ein großer grüner Container quer auf dem Asphalt und daneben wurden mehrere Zelte aufgebaut. Das ist auch der Grund, warum es nicht mehr weiter geht.

»Wo sind denn die ganzen anderen Autos vor uns hin? Die Interstate war doch gerade noch völlig verstopft«, fragt Sam in die Stille des Autos.

»Ich weiß es nicht«, antwortet Arlo nachdenklich. »Wir haben sicher das Pech, das gerade erst abgesperrt wurde. Die anderen sind vielleicht noch durch gekommen. Es sieht tatsächlich so aus, als ob die dort unten einen Armeestützpunkt aufgebaut haben. Ich kann aber nichts Genaues erkennen, dieser blöde Typ aus dem Porsche steht mir im Weg.«

Mit einem Handgriff öffnet Arlo seine Tür und ist bereit zum Aussteigen, doch Sam packt ihn am Arm und hält ihn zurück.

»Bleib bitte im Auto Schatz, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache.« Mit einem fragenden Ausdruck schaut er sie an und schließt wieder seine Tür. Im gleichen Moment tauchen aus dem Waldgebiet zur Rechten unzählige bewaffnete Soldaten auf. Sie springen einfach über die Leitplanke und verteilen sich zwischen den Fahrzeugen. Das müssen an die Hundert sein und sie beginnen sofort damit, die Autos zu kontrollieren. Zwei von ihnen sprechen mit dem Mann aus dem Porsche und deuten ihm an, dass er sich wieder hinein setzen soll. Doch der redet lauthals auf sie ein und gestikuliert dabei wild mit seinen Armen. Das geht den Soldaten aber zu weit und einer von ihnen rammt dem Sportwagenfahrer seine Waffe direkt in den Bauch. Wie ein Sack fällt der in sich zusammen und krümmt sich vor Schmerzen am Boden. Das scheint aber nicht zu interessieren, denn sie schmeißen den kauernden Mann zurück in sein Fahrzeug und schließen mit einem bösen Blick die Autotür.

Das nächste Auto in ihrer Reihe ist das von Sam und Arlo. Sie nähern sich langsam von vorne und deuten an, dass der Fahrer das Fenster öffnen soll. Noch ganz starr vor Schock lässt Arlo seine Scheibe herunter und schaut den ankommenden Soldaten direkt in die Augen.

»Was ist Ihr genauer Zielort?« Fragt der eine, der den Mann aus dem Porsche kurz vorher niedergeschlagen hatte.

»Wir wollen in den Osceola National Forest«, antwortet Arlo dann doch ziemlich gefasst.

»Was genau wollen Sie dort?« Fragt der Uniformierte weiter. Auch Sam hat den ersten Schock überwunden und beugt sich herüber, um die Männer draußen besser sehen zu können.

»Wir haben dort ein Ferienhaus gemietet«, kommt erneut von Arlo.

»Sie sind also nicht auf der Flucht, um aus der Stadt zu entkommen?« Fragt jetzt der andere Soldat aber mit einer weit netteren Stimme.

»Nein«, erwidert Arlo. »Wir haben unseren Urlaub schon vor Wochen gebucht und heute ist der Tag der Anreise.« Unaufgefordert lehnt er sich zu Sam hinüber und öffnet das Handschuhfach. Der unhöfliche Soldat ändert darauf hin seine Haltung und zielt mit seiner Waffe direkt ins Auto.

»Keine Bewegung«, schreit er Arlo an.

»Ich wollte Ihnen doch nur die Unterlagen vom Urlaub zeigen. Die befinden sich hier im Handschuhfach«, antwortet Arlo ängstlich, ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Sam wird kreidebleich, sie schaut abwechselnd zu ihrem Mann und dann wieder zu dem Soldaten mit der Waffe. Der Nettere vor dem Auto flüstert dem anderen etwas zu und endlich entspannt sich die Lage. Alle können aufatmen, auch wenn der Schock jetzt tief sitzt.

»Okay«, sagt der Soldat. »Zeigen Sie mir diese verdammten Unterlagen, aber bloß keine hektischen Bewegungen.«

Vorsichtig greift Arlo jetzt in das Fach und holt einen Zettelhaufen hervor. Diesen reicht er langsam durch das Fenster nach draußen und die Soldaten schauen sich das in Ruhe an. In dem Papierhaufen befinden sich alle Buchungsquittungen vom Ferienhaus und auch das genaue Datum ist verzeichnet. In der Zwischenzeit schaut Sam aus ihrem Fenster heraus. Überall stehen die Soldaten an den Autos und reden mit den Menschen. Auch der schräg hinter ihnen stehende VW Bus hat Besuch bekommen. Im Augenwinkel kann sie erkennen, dass die Frau am Weinen ist.

»Das sieht gut aus, Sie sind also Arlo und Samantha Stenn?« Fragt der Nettere von den beiden draußen und reicht ihnen die Unterlagen zurück.

»Ja«, antwortet Arlo ganz ruhig.

»Hatten Sie irgendwelchen Kontakt mit kranken Menschen?« Fragt wieder der Unhöfliche.

»Nein hatten wir nicht«, antwortet Sam und lässt ihren Blick im Seitenspiegel, um zu sehen, was mit den Menschen aus dem Bully ist.

Die Soldaten vor dem Auto halten ein leises Gespräch. Angespannt versucht Arlo etwas zu hören, versteht aber leider nichts Genaues. Das einzige, was er mitbekommt, ist »Anordnung« und »Zulassen« wegen Fahrziel. Der freundliche Uniformierte beugt sich wieder herunter und schaut ins Auto, der andere entfernt sich währenddessen und gesellt sich zu seinen Kollegen, die derzeit am VW Bus stehen.

»Hören Sie mir jetzt bitte gut zu«, fängt der übrig gebliebene Soldat mit einer ruhigen Stimme an zu reden. »Wir haben die Anordnung, jedes Auto festzuhalten, welches sich auf der Flucht aus der Stadt befindet. Durchlassen dürfen wir nur diejenigen, die ein festes Ziel vorweisen können. Ich befestige Ihnen jetzt ein gelbes Band an Ihrer Autoantenne, damit fahren Sie bitte hier auf den Randstreifen und dann langsam zu den Zelten dort unten. Sie müssen sich dort noch einer medizinischen Untersuchung unterziehen und erst dann dürfen Sie Ihre Fahrt fortsetzen. Machen Sie sich aber nicht zu viele Hoffnungen, denn es gibt noch weitere Straßensperren auf dem Weg nach Süden.«

Sam lässt ihren Blick vom Spiegel und beugt sich zu dem Soldaten herüber. »Können Sie uns vielleicht sagen, was genau hier los ist?« Fragt sie mit einer sehr freundlichen Stimme.

»Nein, das kann ich leider nicht«, bekommt sie als Antwort. »Aber etwas kann ich Ihnen verraten, die ganze Stadt wird derzeit abgesperrt und niemand kommt mehr heraus. Alle, die hier kein gelbes Band von uns bekommen, müssen in ihren Autos bleiben und warten, bis sie wieder zurück in die Stadt können.«

»Sie haben doch etwas von kranken Menschen erwähnt, können Sie uns bitte sagen, was es damit auf sich hat?« Fragt Arlo neugierig.

»Sie sind nicht davon betroffen«, bekommt er nur als Antwort. Als nächstes befestigt der Soldat das Band an ihrer Antenne und tritt zurück, um das Auto von ihnen durchzulassen. Sofort startet Arlo den Motor und fährt behutsam auf den Seitenstreifen. Auf der Höhe des Porsches hören sie hinter sich mehrere Schüsse und der Chevy kommt wieder zum Stehen. Erschrocken blicken sie sich um und müssen erkennen, das der fiese Soldat von eben mit seiner Waffe den VW Bus durchlöchert hat.

»ARLO«, schreit Sam, »DER SOLDAT HAT DIE KINDER IM BULLY ERSCHOSSEN.« Aus der Heckscheibe heraus beobachten die zwei, wie der nette Soldat auch zum Tatort rennt. Unterdessen werden die Erwachsenen aus dem Fahrzeug gezerrt und an die Seitenwand gestellt. Es herrscht ein riesiges Durcheinander und irgendwie ist der Überblick verloren gegangen. Die Frau aus dem Bully sackt in sich zusammen und fällt schmerzvoll auf die Interstate. Auch aus anderen Richtungen kommen jetzt Uniformierte gelaufen und einer von ihnen reißt dem Fahrer vor dem VW die Ärmel nach oben. Der Blick auf seine Arme zeigt einen blutenden Verband. Ohne zu zögern zieht der Soldat seine Pistole und schießt dem Mann direkt ins Gesicht. Ohne Kontrolle rutscht der tote Körper am Metall herunter und landet neben der jammernden Frau auf dem Asphalt. Der Unfreundliche, der vorher noch die Kinder erschossen hatte, brüllt von oben auf sie herab, aber es kommt keine Reaktion von ihr. Schließlich zielt er mit seiner Waffe auf ihren Kopf und drückt ab. Eine Diskussion entsteht unter den Soldaten und einer von ihnen schreit sie alle lauthals an. Sofort verstummen die Stimmen und die Uniformierten verteilen sich wieder auf die nächsten Fahrzeuge. Der Schreiende spricht noch kurz in sein Funkgerät und wendet sich anschließend dem Mercedes zu, der hinter Arlo und Sam gestanden hatte.

In vielen der Fahrzeuge auf der Interstate sind die Menschen am Weinen. Viele haben das Geschehene mitbekommen und die Furcht steht in ihren Gesichtern. Langsam bekommt sich Arlo wieder unter Kontrolle und lässt das Auto anrollen. Den Porsche lassen sie schnell hinter sich zurück und Sam sitzt geschockt auf ihrem Beifahrersitz. Vorsichtig beugt er sich zu ihr herüber und versucht sie mit seinen Worten etwas zu beruhigen.

»Vielleicht waren sie krank«, kommt leise von ihm und Sam reagiert darauf. Ihre Augen sind völlig durchnässt und ihre Stimme ist am zittern.

»Das ist aber noch lange kein Grund, sie eiskalt zu erschießen. Das waren noch Kinder hinten im Auto und das werde ich niemals vergessen«, sagt sie mit weinender Stimme.

Mit Schrittgeschwindigkeit geht es jetzt weiter und vor ihnen reihen sich weitere Autos mit gelben Bändern ein, sie sind also nicht die einzigen, die passieren dürfen. Hinter ihnen schert ein dunkeler Pick-up aus und folgt langsam der Kolonne. Das Problem daran ist aber, das Gefährt hat kein Bändchen zum Vorzeigen. Die unzähligen Soldaten zwischen den Fahrzeugen interessieren sich nicht dafür, sie lassen ihn einfach gewehren und gehen ihren Aufgaben nach.

»Werden sie uns überhaupt durchlassen?« Fragt Sam immer noch schluchzend.

»Ich weiß es nicht Sam«, antwortet Arlo überlegt. »Das ist alles nicht mehr normal, aber ich glaube schon, warum sollten die sich sonst diese Mühe machen?« Mit dieser Antwort gibt sich Sam aber nicht zufrieden.

»Und wenn sie uns auch erschießen? Vielleicht sind die Soldaten auch die Kranken und töten einfach wahllos Menschen.«

Arlo wirft ihr einen merkwürdigen Blick zu und fährt dabei weiter an den stehenden Fahrzeugen vorbei, sogar ein Sattelschlepper befindet sich in der Schlange. Die Menschen hinter den Scheiben schauen teils hoffnungslos und teils ängstlich zu ihnen herüber. Die Fahrt über den Randstreifen ist so langsam, dass wirklich mit jedem Blickkontakt aufgenommen werden kann, doch Arlo und Sam versuchen das zu vermeiden. Zu groß ist ihre Angst, etwas zu erblicken, was sie nicht sehen wollen. Der Pick-up folgt ihnen aber weiterhin und es ist nichts zu erkennen, denn die Scheiben sind völlig abgedunkelt.

Der Abstand zu der provisorischen Grenze der Nationalgarde wird immer kleiner. Ganz vorne befindet sich ein großer Panzer, der mit seiner Masse die Interstate blockiert. Direkt dahinter stehen einige Armeelastwagen, mit denen sicher die Soldaten angekommen sind. Der Rest des Lagers ist mit Zelten bepflastert und der Container hat keine Bedeutung. In der Mitte des kleinen Stützpunktes parken einige Fahrzeuge mit gelben Bändchen und an jedem stehen bewaffnete Soldaten. Die Insassen steigen hinaus und werden zu den Zelten begleitet. Die Prozedur kostet natürlich Zeit und die Schlange auf dem Randstreifen kommt ins Stocken. Mehr als 3 Fahrzeuge werden nicht gleichzeitig bearbeitet und der Rest muss sich gedulden. Die Zeitspanne und das Unbekannte nagen an den Nerven der Wartenden.

Die Stenns in ihrem Auto sagen kein Wort, sie blicken gedankenversunken aus dem Fenster und warten. Mit Hoffnung schaltet Arlo das Radio ein und es läuft tatsächlich wieder Musik. Zusammen lauschen sie jetzt den Songs, obwohl sie nicht wirklich auf die Stücke achten.

Ein lautes Grollen reißt sie aus ihren Gedanken. Sofort dreht Arlo das Radio leiser und schaut zum Himmel. Auch Sam gibt sich einen Ruck, sie beugt sich nach vorne und blickt nach oben. Dort entdecken die zwei unzählige Militär Hubschrauber und die sind alle auf dem Weg nach Atlanta. Das müssen an die 50 sein und rechts und links kreuzen Kampfjets. Durch die Heckscheibe ist die Stadt nicht mehr zu sehen, sie sind schon zu weit entfernt. Ein erneutes Grollen erreicht ihre Ohren und es hatte eine Ähnlichkeit mit einem starken Gewitter.

»Was war das Arlo?« Fragt Sam verwundert. In ihrer Stimme steckt die Angst und ihre ansonsten so perfekte Haltung ist wie weggewischt. Ohne groß darüber nachzudenken, nimmt Arlo ihre Hand und schaut sie an. Ihre Tränen sind zwar getrocknet, aber die Augen sind immer noch rot.

»Ich weiß es auch nicht Sam, aber es hörte sich so an, als ob eins der Flugzeuge abgestürzt ist.«

»Das ist alles so ein Albtraum«, antwortet sie darauf und Arlo küsst sie behutsam auf die Stirn. Schnell dreht er das Radio wieder lauter, aber da ist nichts mehr, es ertönt nur noch ein Rauschen.

»Schau mal bitte auf dein Handy, vielleicht hat es wieder ein Netz«, versucht er die Situation zu überspielen. Daraufhin packt Sam in ihre Umhängetasche, zieht das Teil heraus und blickt auf das blinkende »Kein Netz« Symbol.

»Nein Arlo, das ist immer noch weg und ich mache mir wirklich Sorgen um meine Eltern. Wenn das in New York ähnlich oder vielleicht noch schlimmer ist, dann könnte ihnen alles passiert sein.«

»Dein Dad ist ein starker Mann Sam, dem kommt man nicht so schnell bei, die werden das schon überstehen.« Für seine Worte schaut sie ihn dankbar an, denn das hat ihr ein wenig Ruhe gebracht. Natürlich hat er mit seiner Aussage recht, ihr Vater ist wirklich ein starker Mann. In seiner beruflichen Karriere hat er schon viel erlebt, da wird er sich doch nicht von einer banalen Grippewelle einschüchtern lassen.

Endlich geht es auch für sie weiter, die ersten Autos haben die Militärzone verlassen und fahren am anderen Ende auf der leeren Interstate davon.

»Siehst du das Sam«, sagt Arlo darauf, »die dürfen tatsächlich weiter fahren.«

»Ja«, antwortet sie. Ihre Hoffnung kehrt langsam zurück und Arlo parkt den Chevy zwischen den Zelten. Links von ihnen befindet sich das Fahrzeug, welches in der Reihe vor ihnen war und auf der rechten Seite steht jetzt der Pick-up, der seine Fahrt auch fortgesetzt hat. Sam kann hinter der Scheibe eine Person ausmachen, mehr ist aber nicht zu erkennen. Von hinten treten zwei Soldaten an ihr Auto heran und deuten darauf hin, das sie aussteigen sollen.

»Ich habe Angst Schatz«, sagt Sam und Arlo greift nach ihrer Hand.

»Es wird schon alles gut gehen, Sam.«

»Aber wir wollten doch einfach nur in den Urlaub, ich habe mich schon so darauf gefreut und jetzt haben wir gesehen, wie Menschen erschossen werden.« Das Weinen beginnt von vorne und einer der Soldaten klopft ungeduldig mit seiner Waffe gegen die Scheibe. Sofort reagiert Arlo darauf und öffnet seine Tür, auch Sam reist sich zusammen und geht ins Freie.

»Mitkommen«, schallt es ihnen entgegen und langsam bewegen sie sich zu einem der größeren Zelte. Die Soldaten deuten auf den Eingang und positionieren sich direkt daneben. Das unsichere Paar folgt ihren Anweisungen und geht durch den Durchgang. Im Zelt selber befindet sich nur ein langer Gang mit vielen kleinen Durchlässen auf der rechten Seite. Aus einem von diesen erscheint jetzt eine Frau, sie trägt einen grünen Kittel, einen Mundschutz und viel zu enge Handschuhe. Eine kurze Kopfbewegung von ihr zeigt an das sie genau hier eintreten sollen. In dem darauffolgenden kleinen Raum befindet sich nur eine Krankenliege, 2 Klappstühle und ein riesiger Arztkoffer.

»Hinlegen bitte«, kommt von der Frau. Ihre Stimme hört sich jung an, aber dank ihrer Maske ist das Alter nur schätzbar. Als Erstes bewegt sich Sam auf die Liege und ihre Augen bleiben dabei auf Arlo gerichtet. Die Fremde holt ein Fieberthermometer aus einer ihrer Taschen und misst bei ihr die Temperatur im Ohr. Ohne etwas darauf zu sagen, fühlt sie als nächstes noch den Puls am Handgelenk.

»Hatten Sie in den letzten 2 Tagen Kontakt zu kranken Menschen?« Fragt sie mit einer ruhigen Stimme. »Oder ist einer von Ihnen vielleicht gebissen worden?«

»Nein«, antwortet Arlo beunruhigt, »wir waren die letzten Tage durchgehend zu Hause und haben für unseren Urlaub geplant.«

»Was ist das für eine Krankheit?« Fragt Sam sichtlich gereizt, aber die Frau reagiert nicht auf ihre Frage, sondern bittet darum, das Oberteil und die Hose auszuziehen. Natürlich ist Sam darüber nicht begeistert und spielt das trotzige Kind.

»Warum soll ich das tun? Mir fehlt doch überhaupt nichts.« Mit besorgten Augen schaut die Ärztin jetzt zu Arlo, der sich wohl um seine Frau kümmern soll.

»Mach es einfach Schatz, es wird schon nichts Schlimmes dabei sein«, flüstert er ihr mit lieben Worten zu. Verwirrt schaut Sam zu ihm auf und beginnt der Aufforderung zu folgen. Erst das Oberteil und dann die Hose. Mittlerweile sitzt sie auf der Liege und die Frau schaut sich ihre Arme und Beine an. Dann geht sie noch einmal um Sam herum und blickt auf den Rücken und den Nacken.

»Gut, Sie können sich wieder anziehen.« Jetzt ist Arlo an der Reihe und bei ihm läuft die Untersuchung deutlich schneller, da er sich sofort auf alles einlässt. Nachdem auch er sich wieder angezogen hat, überreicht die Ärztin ihnen eine Gelbe Karte.

»Zeigen Sie die Karte bitte den Soldaten vor dem Zelt, die lassen Sie dann passieren.« Das Teil landet in den Händen von Arlo und er möchte den Raum verlassen, aber Sam ist noch nicht fertig und sendet einen bösen Blick zu der Frau im Kittel.

»Was genau ist hier los? Sie müssen doch etwas wissen, schließlich sind Sie eine Ärztin.« Die Stimme von Sam ist nicht gerade freundlich, doch die Frau nimmt ihren Mundschutz herunter und lächelt sie sogar an.

»Ich kann Ihnen nicht viel sagen und das tut mir ehrlich leid. Auch uns lassen die Soldaten im Unklaren.« Die Frau entpuppt sich als eine sehr junge Ärztin und lenkt ihre Aufmerksamkeit jetzt auf Arlo.

»Wir sind also nicht krank?« Fragt er vorsichtig.

»Nein, Sie sind nicht krank«, bekommt er als Antwort. Damit ist Sam aber immer noch nicht zufrieden und sie möchte das Gespräch weiterführen.

»Wir haben eben mitbekommen, wie Ihre tollen Soldaten einfach Menschen erschossen haben. Auch vor den Kindern haben sie keinen Halt gemacht.«

»Dazu kann ich Ihnen leider auch nichts sagen.« Die Ärztin kommt nach ihren Worten ein wenig näher und fängt an zu flüstern. »Sie sollten so schnell es geht von hier verschwinden. Wir wissen nicht genau, wie lange wir diese Scharade noch aufrechterhalten können. Eigentlich lautet unser Befehl, die Menschen in den Fahrzeugen zu untersuchen und alle Auffälligkeiten den Soldaten zu melden. Das mit den gelben Bändern war eine Idee von meiner Vorgesetzten. Sie wollte mit dieser Aktion einige Unschuldige retten, bevor hier alles zusammenbricht. Behalten Sie diese Informationen aber bitte für sich und gehen Sie jetzt zu ihrem Auto, die Zeit drängt.

Arlo und Sam können es nicht fassen, das Gehörte ist einfach zu unrealistisch. Trotzdem nicken sie der Frau noch einmal freundlich zu und verlassen den Behandlungsraum. Die Ärztin kommt ihnen aber tatsächlich hinterher und packt Arlo am Arm.

»Halten Sie sich bitte von den Kranken fern und meiden Sie unter allen Umständen die Toten.« Im Anschluss lässt sie ihn wieder los und geht zurück in ihren Raum, auch den Mundschutz hat sie unterwegs aufgesetzt.

Am Eingang draußen wartet immer noch einer der Soldaten und schaut auf die gelbe Karte von Arlo. Nach einer kurzen Pause zeigt er in die hintere Richtung und gibt seinen Befehl. »Steigen Sie unverzüglich in Ihr Fahrzeug und fahren Sie dort hinten zwischen den Zelten hindurch.«

Ohne ein Wort darauf zu erwidern, gehen die zwei zu ihrem Auto und steigen ein. Auch der Pick-up steht noch an Ort und Stelle, nur der Fahrer sitzt nicht mehr im Inneren. Beim Einsteigen konnte Sam einen Blick auf die Fahrertür erhaschen, ein kleines Loch am Fenster signalisiert einen Einschuss von außen, die Sache ist also nicht gut ausgegangen.

Der Motor wird gestartet und Arlo lenkt den Chevy anschließend geschickt um die Hindernisse herum. Hinter den Zelten warten noch mehr Soldaten mit Waffen, sie winken ihnen aber einfach nur zu und deuten darauf hin, dass sie weiterfahren sollen. Direkt hinter dem provisorischen Stützpunkt beschleunigt Arlo das Fahrzeug und sie befinden sich endlich wieder auf der Interstate. Die Straße ist komplett frei, kein Auto ist zu sehen und auf der rechten Seite erblicken sie ein Schild mit der Aufschrift »Macon 75« und darunter »70 Meilen« ...

3

Starke Kopfschmerzen überziehen das Aufwachen, Yvonne liegt auf einem harten Feldbett und öffnet ihre Augen. Sie erkennt einen kleinen Kellerraum, an der Decke baumelt eine nackte Lampe und die Glühbirne ist leicht am flackern. Ihr nächster Blick geht auf ihre Armbanduhr, doch sie schaut ins Leere, denn an ihrem Arm befindet sich nichts mehr.

Langsam kommen die Gedanken zurück, doch was genau ist letzte Nacht passiert? Sie ist jedenfalls in die Stadt gegangen und hat sich den Demonstranten angeschlossen. Giselle und Ben, zwei alte Bekannte aus einem früheren Job, haben sich später noch zu ihr gesellt. Zuerst befanden sie sich mitten zwischen den rebellierenden Menschen, bis die Cops damit begangen, sie alle zurückzudrängen. Es dauerte nicht lange und die ersten Schlagstöcke wurden dabei eingesetzt. Als die Ersten schmerzhaft zu Boden fielen, wurde es für die drei Zeit, den Rückzug anzutreten. Ben zog die Frauen in eine Seitengasse und von dort ging es über eine Menge Müll weiter in die nächste. Dort hatten sie endlich ein wenig Ruhe und konnten verschnaufen. Etwas weiter die Gasse hinunter befand sich ein altes offenes Parkhaus und genau das war jetzt ihr neues Ziel.

Durch ein Loch im obersten Stockwerk ging es auf das Dach und von dort oben hatten sie einen guten Ausblick auf die Straßen. Sie setzten sie sich auf die Kante des Sims, ließen ihre Beine baumeln und blickten auf das Chaos unten in der Stadt. Überall befanden sich Demonstranten, mittlerweile waren sie auch bewaffnet und lieferten sich einen harten Kampf mit der Polizei. Giselle, die gerade erst 18 geworden war, stößt Ben in die Seite und erntet damit seine Aufmerksamkeit.

»Hast du das Zeug dabei Ben?« Fragt sie ihn leicht kichernd. Er nickt darauf nur, öffnet seinen Rucksack und holt ein kleines, in Alu verpacktes Päckchen heraus.

»Das ist eine kleine Überraschung«, sagt er mit Blick auf Yvonne. Ben ist schon ein wenig älter, Yvonne schätzt ihn auf Mitte 40, sie könnte sich aber auch täuschen. Sorgfältig wickelt er den Gegenstand aus und ein weißes Pulver kommt zum Vorschein.

»Jetzt geht die Party erst richtig los«, schreit Giselle vom Dach hinunter und gönnt sich eine tiefe Nase von dem hingehaltenen Pulver. Auch Ben fackelt nicht lange und zusammen legen sich die beiden nach hinten. Yvonne ist noch am Zögern, denn normal wollte sie damit aufhören und ihre Gründe dafür sind nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem lässt sie sich überreden und nimmt ein wenig, aber nicht so viel wie die anderen. Zusammen blicken sie jetzt alle nach oben und schauen zu den Sternen, auch wenn die unzähligen Nachrichtenhubschrauber das Bild ein wenig trüben.

»Das ist doch mal ein Abend«, kommt von Ben. »Dort unten tobt der Krieg und wir lassen es uns hier oben gut gehen.« So vergeht die Zeit und zusammen genießen sie den wahnsinnigen Augenblick. Giselle setzt jetzt noch einen drauf, mit einer mitgebrachten Spritze haut sie sich die Drogen in den Arm und verdreht ihre Augen. Yvonne ist das aber egal, denn sie befindet sich selbst gerade in einer anderen Welt. Auch Ben redet nur noch dummes Zeug und bekommt dank der Mittel von seiner Umwelt nichts mehr mit.