The Long Game – Die große Liebe sucht man nicht, sie findet einen - Elena Armas - E-Book

The Long Game – Die große Liebe sucht man nicht, sie findet einen E-Book

Elena Armas

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Beschreibung

Von der Autorin von Spanish Love Deception und die Queen des Slow Burn: Elena Armas!  Die ehrgeizige Fußballmanagerin Adalyn dachte schon, sie würde gefeuert werden, als ein Video im Internet auftaucht, das sie bei einer Auseinandersetzung mit dem Maskottchen ihres Fußballclubs zeigt. Doch Adalyn wird nur ins Exil, nach North Carolina, geschickt. Dort soll sie das angeschlagene Fußballteam, die Green Warriors, wieder auf Vordermann bringen, um sich zu rehabilitieren. Die Pläne scheitern allerdings, als Adalyn herausfindet, dass das Fußballteam aus neunjährigen Mädchen besteht, die Tutus zum Training tragen. Dass die Spielerinnen Angst vor Adalyn haben, ist zudem höchst kontraproduktiv. Cameron Caldani, ein Torwarttalent und aus unerklärlichen Gründen ebenfalls in der Stadt, wäre perfekt geeignet, um Adalyn bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Doch nach einer sehr unglücklichen ersten Begegnung ist er nicht gut auf Adalyn zu sprechen. Doch Adalyn wäre nicht Adalyn, wenn sie sich einfach so vertreiben ließe. Und Gegensätze ziehen sich schließlich an …  Begeisterte Stimmen zu Spanish Love Deception:  »Alles, was man sich von einem Liebesroman nur wünschen kann, ist hier zu finden.« Helen Hoang »Die perfekte Mischung aus mitreißender Handlung und prickelnden Szenen …« GLAMOUR »Romantik, Komödie, genau die richtige Menge an Spice ... ESKAPISMUS PUR.« ELLE

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((bei fremdsprachigem Autor))

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Vanessa Lamatsch

 

© Elena Armas 2023

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Long Game«, 2023 erschienen bei Atria Paperback, einem Imprint von Simon & Schuster, Inc., New York.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Sandra Dijkstra Literary Agency. All rights reserved.

© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2023

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Redaktion: Antje Steinhäuser

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München, nach einem Entwurf von Laywan Kwan

Covermotiv: Illustration: Bee Johnson

 

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

1

Adalyn

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Adalyn

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Cameron

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Adalyn

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Cameron

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Adalyn

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Cameron

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Adalyn

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Adalyn

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Cameron

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Adalyn

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Cameron

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Adalyn

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Cameron

Epilog

Adalyn

Zwei exklusive Bonuskapitel

Vasquez-Farm, Green Oak

Cameron

Töpferabend

Lazy Elk Lodge, Green Oak

Cameron

Camerons Blockhütte

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für all die Frauen, die ein- oder zweimal ausgetickt sind.Und wenn schon!Lasst diesen wunderbaren Gefühlen freien Lauf, Babes!

1

Adalyn

Der Kopf löste sich von seinen Schultern und rollte mit einem dumpfen Schlag gegen meine Füße.

Mir lief ein kalter Schauder über den Rücken, und auf meinen Armen bildete sich Gänsehaut.

Die Szene hätte mir vertraut sein müssen. Ich sollte mich an etwas erinnern, was ich durchlebt hatte – und jetzt auf einem Bildschirm erneut beobachtete. Aber ich konnte mich nicht entsinnen. Als sich also Schweigen ausbreitete und ein Vakuum in den Räumlichkeiten der Miami Flames zu entstehen schien, rutschte mir das Herz in die Hose. Und als im Video ein Kameramann leise die Worte flüsterte: »Mann, hast du das aufgenommen?«, war ich mir ziemlich sicher, dass meine Atmung aussetzte.

O Gott. Was …

Pauls Kopf erschien über dem kopflosen Hals von Sparkles, dem Teammaskottchen, und eine Welle von Panik überschwemmte mich.

Paul blinzelte, halb wütend, halb schockiert, dann spuckte er mir »Was, zum Teufel, stimmt nicht mit dir?« entgegen.

Ich öffnete den Mund, als wollte ich ihm unwillkürlich antworten. Jetzt. Auch wenn es keinen Unterschied bedeuten würde. »Ich …«

Die Darstellung auf dem Bildschirm erstarrte und zwang mich dadurch, den Blick auf das Gesicht des Mannes zu richten, der das iPad hielt, auf dem diese dreißig Sekunden abgespielt worden waren, die in meinem Gedächtnis nicht existierten.

»Ich glaube, wir haben genug gesehen«, sagte Andrew Underwood, CEO und Hauptgeschäftsführer des Miami Flames FC und in Miami ansässiger Geschäftsmogul.

»Da bin ich anderer Ansicht«, sagte der Mann an seiner Seite mit einem leisen Lachen. »Dies ist eine Krisensitzung. Es sollte gewährleistet sein, dass wir im Besitz aller Fakten sind.« Eine Krisensitzung? »Tatsächlich«, fuhr David fort, »finde ich, wir sollten es noch mal von Anfang an abspielen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was Adalyn da gegrunzt hat, während sie unseren lieben Sparkles geköpft hat. War das nur ein wütendes Knurren, oder hat sie tatsächlich Worte …«

»David«, fiel Andrew ihm ins Wort und ließ das iPad auf den übermäßig breiten Schreibtisch fallen, der die Männer von mir trennte. »Das hier ist ernst.«

»Ist es«, stimmte der jüngere Mann zu. Ich musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er schmunzelte. Ich kannte dieses Schmunzeln. Ich hatte dieses Schmunzeln geküsst. War ein ganzes Jahr mit ihm ausgegangen. Um dann unter diesem Schmunzeln zu arbeiten, als man ihn auf die Position berufen hatte, von der ich mein gesamtes Leben lang geträumt hatte. »Schließlich passiert es nicht jeden Tag, dass die Leiterin der Presseabteilung eines Major-League-Soccer-Clubs sich in fünfzehn Zentimeter hohen Absätzen auf das Maskottchen des eigenen Clubs stürzt.« Ich nahm wahr – hörte –, wie sein Lächeln breiter wurde und spürte, wie meine Miene versteinerte. »Ein schockierender Vorfall, ohne Zweifel. Aber auch …«

»Inakzeptabel«, beendete Andrew den Satz für ihn. »Wie jeder in diesem Raum weiß.« Diese fahlblauen Augen suchten meinen Blick, scharf und unversöhnlich. Was mich nicht überraschte. Ich kannte auch diesen bösen Blick. Ich hatte Das Starren den Großteil meines Lebens ertragen. Er fuhr fort: »Adalyns Temperamentsausbruch war unentschuldbar, aber du solltest es nicht übertreiben, David. Wir sprechen hier von meiner Tochter.«

Ich schob das Kinn vor, als hätte er mich nicht an etwas erinnert, was ich täglich zu vergessen suchte.

Adalyn Reyes, die übermäßig ambitionierte Tochter des CEO eines Fußball-Franchise, für das sie ihr gesamtes Leben lang gearbeitet hatte.

»Ich entschuldige mich für meinen Tonfall, Andrew«, sagte David. Ich sah ihn nicht an, auch wenn er nicht mehr so amüsiert klang. Ich konnte es nicht. Nicht nach allem, was in den letzten vierundzwanzig Stunden geschehen war. Nicht nach dem, was ich erfahren hatte. »Aber als stellvertretender Geschäftsführer der Flames mache ich mir Sorgen wegen der Auswirkungen dieses Vorfalls.«

Der Vorfall.

Meine Lippen wurden schmal.

Mein Vater schnalzte missbilligend mit der Zunge, richtete den Blick wieder auf das iPad und entsperrte es erneut.

Sein Finger wischte nach oben und unten, rechts und links, bis sich ein Dokument öffnete. Selbst auf dem Kopf stehend konnte ich sofort erkennen, was er ansah. Dieses Template hatte ich für die Presse- und Kommunikationsabteilung angelegt. Und jetzt benutzten es alle. Ich hatte das farbcodierte System zur Priorisierung entwickelt, das momentan dafür sorgte, dass der Bildschirm rot leuchtete.

Rot, also höchste Priorität. Rot, wie in Krise.

Wir hatten seit Monaten keine Krise gehabt. Seit Jahren.

»Das habe ich nicht freigegeben«, murmelte ich und hörte damit zum ersten Mal meine Stimme, seitdem mein Vater das Video gestartet hatte. »Jeder Bericht sollte über meinen Schreibtisch gehen, bevor er das Management erreicht.«

Aber mein Vater schnaubte nur und ignorierte mich, um weiter durch den – ich lehnte mich vor – fünfzehnseitigen Bericht zu scrollen.

Meine Augen wurden groß. »Kann ich …«

»Mediale Auswirkungen des Vorfalls«, sagte er, ohne auf mich zu achten. »Lasst uns damit anfangen.«

Wieder öffnete ich den Mund, aber David trat näher heran, und ich ließ mich von seiner Mähne sandblonden Haars ablenken. Sein Schmunzeln fing meinen Blick ein, und ich erkannte sofort, dass er etwas wusste. Etwas, wovon ich noch nichts ahnte.

»Viralitätsrate«, fuhr mein Vater fort und tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. Mein Magen sank tiefer. Viralität? Wovon? Die Brauen meines Vaters senkten sich unheilvoll. »Inwiefern unterscheidet sich die Wirkung von der Klickzahl?«

»Von welcher Plattform reden wir?«, stieß ich hervor und nahm die Schultern zurück. »Deswegen muss ich solche Berichte erst freigeben. Gewöhnlich füge ich Notizen für dich hinzu. Wenn du mich das mal sehen lässt, kann ich …«

David stieß ein Zischen aus, den Blick auf das iPad in den Händen meines Vaters gerichtet. Dann witzelte er: »Ich vermute, es spielt wirklich keine Rolle, Andrew.« Erneut sah er mich an. »Das Video ist auf allen Plattformen sechs Millionen Mal angesehen worden. Ich denke, das verstehen wir alle.«

Das Video.

Sechs Millionen Aufrufe.

Meine Knie wurden weich. Gerieten ins Wanken. Ich wankte. Für gewöhnlich sah mir das nicht ähnlich.

Mir war öfter als einmal mitgeteilt worden, dass ich zu kühl auftrat, mein Humor zu trocken war und ich zu selten lächelte. Meine Assistentin, Kelly – die Einzige im Büro der Flames, die sich die Mühe gemacht hatte, sich mit mir anzufreunden –, nannte mich offen eine unerschütterliche Statue. Aber ich wusste, dass die meisten Leute mich Eiskönigin oder Schneekönigin nannten – oder irgendeine Variation des Begriffs, der sich darauf bezieht, weiblich und kalt zu sein. Ich hatte mich davon nie beeinflussen lassen.

Weil ich mich nicht ins Wanken bringen ließ. Nie zitterte. Mich nie von irgendetwas beeinträchtigen ließ.

Oder zumindest nicht bis gestern, als ich …

David gluckste amüsiert. »Du bist offiziell viral gegangen, Ads.«

Als ich mich in fünfzehn Zentimeter hohen Absätzen auf das Maskottchen des Clubs gestürzt habe, wie David es ausgedrückt hatte.

Galle stieg mir in die Kehle, teilweise wegen dieses ›Ads‹, das ich immer so sehr gehasst hatte, und teilweise weil … Gott. Ich konnte nicht glauben, dass es viral gegangen war. Ich war viral gegangen. Viral.

»Sechs Millionen Aufrufe«, sagte mein Vater mit einem Kopfschütteln, als ich nichts sagte – nichts sagen konnte. »Sechs Millionen Leute haben gesehen, wie du das Maskottchen gerammt, sein Gesicht zerkratzt und ihm den Kopf abgerissen hast. Sechs Millionen. Das ist die Bevölkerung des Großraums Miami.« Seine Ohren leuchteten rot. »Du hast sogar deinen eigenen Hashtag: #sparklesgate. Und Leute verwenden ihn zusammen mit dem Hashtag des Clubs.«

»Ich wusste nicht, dass alles aufgezeichnet wird«, murmelte ich und hasste, wie ich dabei klang. »Ich konnte nicht ahnen, dass ein Video veröffentlicht werden würde, aber …«

»Es gibt kein Aber in dieser Situation, Adalyn. Du hast einen Kollegen angegriffen.« Das Wort angegriffen schien in der Luft hängen zu bleiben. Ich biss die Zähne zusammen. »Paul ist ein Angestellter und Sparkles der Inbegriff des Teams. Er ist ein Phönix, der Feuer, Unsterblichkeit und die ewige Transformationskraft der Miami Flames symbolisiert. Deines Teams. Und du hast ihn angegriffen, während die Presse zum Clubjubiläum im Haus war. Journalisten. Kameras. Die Mannschaft und ihre Familien. Kinder haben das gesehen, um Himmels willen.«

Ich schluckte schwer, wobei ich darauf achtete, mich weiter aufrecht zu halten. Um stark zu wirken. In solchen Situationen kam es immer auf das Auftreten an. Ich durfte nicht zusammenbrechen. Nicht hier. Nicht schon wieder. »Das verstehe ich, wirklich. Sparkles ist ein wichtiges Symbol und bei den Fans sehr beliebt. Aber der Begriff Angriff erscheint mir übertrieben. Ich habe Paul körperlich nicht verletzt, ich …«

»Du hast was?«, hakte mein Vater nach.

Anscheinend hatte ich einen ein Meter neunzig großen Vogel aus Schaumstoff, Polyester und Acrylfedern enthauptet, der als Sparkles bekannt war und Unsterblichkeit symbolisiert. Laut dem Videobeweis.

Aber das auszusprechen, würde mir nicht helfen, also stand ich für eine gefühlte Ewigkeit mit offenem Mund da und … sprach kein Wort.

Mein Vater legte den Kopf schräg. »Bitte. Ich würde gerne deine Erklärung hören.«

Mein Herz raste. Aber es gab nichts, was ich sagen konnte, ohne ein Gespräch anzustoßen, für das ich weder bereit noch gerüstet war. Nicht im Moment und wahrscheinlich niemals.

»Es war …« Ich brach ab, und ein weiteres Mal hasste ich es, wie meine Stimme klang. »Ein energischer Zusammenstoß. Ein Unfall.«

David, der die letzten Minuten untypisch still gewesen war, schnaubte. Hitze schoss in mein Gesicht, dessen Miene so oft als ungerührt und kühl beschrieben worden war.

Mit einem Seufzen legte mein Vater das Gerät wieder auf den Schreibtisch. »Wir können uns glücklich schätzen, dass es David gelungen ist, Paul davon zu überzeugen, keine Anzeige zu erstatten und uns auch nicht zu verklagen.«

Eine Anzeige. Eine Klage.

Mir wurde übel.

»Ich habe ihm eine Gehaltserhöhung angeboten, die er offensichtlich akzeptiert hat«, fügte David zu. »Schließlich war das ein derart untypischer Ausbruch für unsere sonst sehr … beherrschte Adalyn.«

Wie er das Wort beherrscht betonte – als wäre das etwas Schlimmes –, traf mich wie ein Schlag.

»Wir haben um die Aufzeichnungen des Vorfalls gebeten«, fuhr mein Vater fort. »Nachdem du quasi vom … Tatort geflohen bist. Aber jemand muss mit seinem Handy gefilmt haben. David vermutet, es war einer der Praktikanten eines Kamerateams.«

David schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Was natürlich unmöglich zu verifizieren ist.«

Ich konnte nicht glauben, was hier vor sich ging. Gott, ich konnte nicht glauben, was ich getan hatte.

Eine mir vollkommen fremde und seltsame Empfindung sammelte sich hinter meinen Augen. Ein Gefühl der Hitze, das mir den Blick … verschleierte. War das … Nein. Waren das … Nein. Das konnte nicht sein. Ich konnte nicht mit den Tränen kämpfen.

»Es ist nur ein Video«, sagte ich, aber gleichzeitig konnte ich nur darüber nachdenken, dass ich mich nicht erinnern konnte, wann ich das letzte Mal geweint hatte. »Das Problem wird sich in Wohlgefallen auflösen.« Das Brennen in meinen Augen verstärkte sich. »Wenn es etwas gibt, was ich über das Internet weiß, dann dass dort alles vergänglich und kurzlebig ist.« Wieso konnte ich mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geweint hatte? »Schon morgen wird sich niemand mehr dafür interessieren.«

Davids Handy piepte, und er zog das Gerät aus der Tasche. »Oh«, sagte er nach einem Blick auf den Bildschirm. »Aus irgendeinem Grund bezweifle ich das. Scheint, als hätten wir mehr als nur ein paar Presseanfragen. Sie möchten ausdrücklich mit dir sprechen.«

Das war definitiv besorgniserregend, aber gleichzeitig klickte etwas in meinem Kopf. »Wieso …« Stirnrunzelnd sah ich ebenfalls auf mein Handy. Keine Benachrichtigung. »Diese E-Mail hätte an mich gehen müssen. Wieso stehe ich nicht im CC?« David zuckte nur mit den Achseln, und mein Vater schnaubte. Schon wieder. Ich sah ihn an, und etwas in seiner Miene trieb mich voran. »Wir können das zu unserem Nutzen drehen.« Ich klang verzweifelt. »Ich kann das zu unserem Vorteil nutzen. Ich schwöre es. Ich werde einen Weg finden, wie wir von der Welle der Aufmerksamkeit profitieren können. Sogar von dem Hashtag. Wir wissen alle, dass das Team momentan sonst keine Schlagzeilen generiert. Wir hängen schon so lange im unteren Drittel der Eastern Conference fest, dass …«

Die Miene meines Vaters wurde hart, sein Blick eiskalt.

Schweigen, schwer und drückend, breitete sich im Raum aus.

Und in diesem Moment verriet mir der Blick, der kurz über mich glitt, dass der Kampf, den ich auszufechten glaubte, bereits vorbei war. Ich hatte den einen Fakt ausgesprochen, der ihn über die Kante trieb. Die Miami Flames steckten in der Scheiße. Wir hatten seit über einem Jahrzehnt nicht mehr die Play-offs erreicht. Wir schafften es nicht mehr, Stadien zu füllen. Die Flames waren die eine Investition von Andrew Underwood, die keinen Profit einbrachte. Die eine Investition, die ihn mehr gekostet hatte als Geld – seinen Stolz.

»Ich wollte doch nur sagen, dass …«, setzte ich an.

Aber mein Kampf war bereits verloren. »›Maskottchen-Gemetzel in Miami‹«, las er vom Bildschirm ab. »Wie findest du das als Medienfokus?«

Ich schluckte schwer. »Ich finde die Verwendung des Wortes Gemetzel übertrieben.«

Er nickte einmal, bevor er fortfuhr: »›Jubiläum der MLS Miami Flames endet in Massaker‹.«

»Massaker erscheint mir ebenfalls als unpassende Wortwahl.«

Mein Vater hob den Zeigefinger. »›Miamis Lieblingsvogel wurde gerupft und geröstet. Wessen Kopf wird als Nächstes rollen?‹« Der Finger senkte sich, um zu wischen. »›Sparkles verdient den Tod‹.« Die nächste Handbewegung. »›Ein Liebesbrief an Lady Birdinator‹.«

Lady Birdinator. Himmel.

Ich stieß heftig die Luft aus, was mir einen Blick des schmunzelnden David einbrachte. »Diese Medien haben es nur auf schnelle Klicks abgesehen. Das sind keine ernsthaften Einschätzungen, um die wir oder das Franchise uns Sorgen machen sollten. Mein Team kann eine Strategie entwickeln. Wir werden eine Pressemeldung herausgeben. Wir …«

»›Tochter des Miami-Flames-Besitzers Andrew Underwood und des früheren Models Maricela Reyes nach schrecklichem Vorfall mit Teammaskottchen im Rampenlicht‹.«

Die Beklemmung, die mich quälte, seitdem ich dieses Büro betreten hatte, verstärkte sich. Kalter Schweiß bildete sich auf meinen Armen und in meinem Nacken.

Er fuhr fort: »›Adalyn Reyes außer Kontrolle. Wer ist die Erbin des Underwood-Imperiums?‹« Ich schloss die Augen. »›Miami Flames FC in der Kritik. Bricht der Club doch zusammen?‹« Ein kalter Tropfen Schweiß rann über meinen Rücken. »›Hat die dumpfe, langweilige Leiterin der Presseabteilung endlich ihr Feuer gefunden? Weiblicher Zorn erklärt‹.«

Dumpf und langweilig.

Weiblicher Zorn.

Endlich ihr Feuer gefunden.

Es spielte überhaupt keine Rolle, wie aufrecht ich mich in diesem Moment hielt … ich konnte nicht ignorieren, wie klein ich mich fühlte. Und als ich mein Gewicht verlagerte, fühlte sich selbst meine maßgeschneiderte Hose falsch an. Zu locker und seltsam rau auf meiner Haut. Als sollte ich sie nicht tragen.

»Nun.« Die Stimme meines Vaters rief mich zurück ins Hier und Jetzt, also konzentrierte ich mich auf ihn. Auf sein Gesicht. Den harten Blick in seinen Augen. »Ich werde ehrlich sein: Für Schlagzeilen sind diese Meldungen ein bisschen lang, aber ich vermute, das spielt keine Rolle, wenn sie doch den Nagel auf den Kopf treffen.« Ein kurzer Moment der Stille. »Glaubst du immer noch, wir könnten von dieser Art der Medienaufmerksamkeit profitieren, Adalyn?«

Ich schüttelte den Kopf.

Der Mann, zu dem ich aufsah und um dessen Anerkennung ich mich in all den Jahren meiner Arbeit beim Club so kräftezehrend bemüht hatte, seufzte tief. »Könntest du uns wenigstens verraten, was in aller Welt diesen Ausbruch ausgelöst hat?«, fragte er. Die Frage traf mich so aus dem Hinterhalt, so unvorbereitet, dass ich nur dastehen und ihn mit offenem Mund anstarren konnte.

»Ich …« Konnte ich nicht. Wollte ich nicht.

Nicht mit David im Raum. Vielleicht hätte ich geantwortet, wenn mein Vater mir die Frage gestern gestellt hätte, wenn er mich abgefangen und gefragt hätte, als ich »vom Tatort geflohen« war, wie er es ausgedrückt hatte. Vielleicht hätte ich es ihm dann gesagt. Ich war offensichtlich nicht ich selbst gewesen. Aber jetzt konnte ich es nicht.

Damit hätte ich nur bewiesen, dass die Anschuldigungen der Wahrheit entsprachen. Dass ich unprofessionell war. Nicht geeignet für meinen Job und die Stellung, die ich eines Tages ausfüllen wollte. Wie sollte ich die Leitung von irgendetwas übernehmen, wenn ich auf diese Weise die Kontrolle verlor?

»Süße«, sagte David und sorgte damit dafür, dass ich mich ihm zuwandte. Ich konnte nicht glauben, dass ich ihm je gestattet hatte, mich anders zu nennen als Adalyn. Aber zumindest wusste ich jetzt, wieso er die Chuzpe hatte, das immer noch zu tun. »Du wirkst bleich. Geht es dir gut?«

»Ja«, krächzte ich, obwohl das nicht stimmte. Absolut nicht. »Es ist nur warm hier drin. Und ich … habe gestern Nacht kaum geschlafen.« Ich räusperte mich und fing den Blick meines Vaters ein. Worte quollen über meine Lippen. »Du weißt, wie hart ich gearbeitet habe und wie sehr ich mich dem Club verschrieben habe. Könntest du das nicht einfach …« Vergessen? Dich auf meine Seite schlagen? Keine Fragen stellen? Mein Vater sein?

Andrew Underwood ließ sich in seinem Stuhl nach hinten sinken, bis das Leder unter ihm knirschte. »Bittest du mich, dir eine Sonderbehandlung zuzugestehen, nur weil du meine Tochter bist?«

Ja, wollte ich sagen. Dieses eine Mal. Aber das Brennen in meinen Augen kehrte zurück und lenkte mich ab.

»Nein.« Er vollführte eine endgültige Geste mit der Hand. »Das habe ich noch nie getan, und damit werde ich jetzt nicht anfangen. Du bist eine Underwood und solltest es besser wissen, als um eine Sonderbehandlung zu bitten, nachdem du mich und den gesamten Club beschämt hast.«

Beschämt. Ich hatte mich selbst, meinen Vater und den Club beschämt.

Ich war immer stolz darauf gewesen, dass ich mich von den Worten meines Vaters oder seinen Handlungen als mein Chef nicht tangieren ließ. Aber die Wahrheit lautete, dass sie mich sehr wohl trafen. Dass das hier, dieses Chef-Angestellten-Verhältnis, das einzige Verhältnis war, das wir hatten.

Es war alles, was ich hatte.

»Du hast gegen den Verhaltenskodex verstoßen«, fuhr er fort. »Das würde mir erlauben, dich zu feuern. Und damit täte ich dir alles in allem vielleicht sogar einen Gefallen.«

Ich zuckte zusammen.

Als Reaktion musterte mich Andrew Underwood aus zusammengekniffenen Augen. Und erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließ er die Hände auf den Schreibtisch sinken. »Mir gefallen die Presseanfragen nicht, die David schon den ganzen Tag über erreichen.« Er legte den Kopf schräg. »Du stellst eine Ablenkung dar, also möchte ich, dass du Miami verlässt, während wir das hier in Ordnung bringen.«

David murmelte etwas, was ich nicht verstand, weil die Worte meines Vaters in meinem Kopf widerhallten.

In Ordnung bringen. Es gab also eine Lösung.

Mein Vater erhob sich aus seinem Stuhl. »Deine Assistentin. Wie heißt sie?«

»Kelly«, antwortete David an meiner Stelle.

»Sie wird jegliche Kommunikation übernehmen und sich um die Medienanfragen kümmern«, fuhr mein Vater mit einem Nicken fort. »Adalyn wird sie auf den neuesten Stand bringen, bevor sie aufbricht.« Er trat einen Schritt nach rechts, öffnete eine Schublade und sah mich an. »Sieh zu, dass du unter Kontrolle kriegst, was auch immer mit dir los ist, und lass uns hier Schadensbegrenzung betreiben.« Er schob das iPad in die Schublade. »Und mir wäre es lieber, wenn du die Sache deiner Mutter gegenüber nicht erwähnst. Wenn sie erfährt, dass ich ihre einzige Tochter bis zum Ende der Saison ins Exil geschickt habe, werde ich das noch lange zu hören bekommen.«

Ins Exil geschickt.

Bis zum Ende der Saison.

Bis dahin … waren es Wochen. Monate. Die ich weit entfernt von den Flames und Miami verbringen sollte.

Ich nickte knapp.

»Du wirst morgen aufbrechen. Du hast einen Auftrag. Wir haben eine wohltätige Initiative, die deine Gegenwart und all deine neu gefundene … Leidenschaft erfordert.« Er hielt inne. »Tatsächlich denke ich schon eine Weile darüber nach. Also dürfte dieser Zeitpunkt so gut sein wie jeder andere.« Er trat um seinen Schreibtisch herum. »Und Adalyn? Ich erwarte, dass du diese Aufgabe so ernst nimmst wie deinen Job hier. Enttäusch mich nicht noch einmal.«

2

Adalyn

»Die Green Warriors?«

Seufzend blickte ich zu meinem Handy auf dem Armaturenbrett des Mietwagens.

»Bist du dir sicher, dass das Team so heißt?« Matthews Stimme erklang erneut aus dem Lautsprecher. »Ich glaube nicht, dass ich je von ihnen gehört habe.« Eine Pause. »Moment, reden wir von den Charlotte Warriors?«

»Ich denke, ich wüsste, falls ich zu einem MLS-Team wie den Charlotte Warriors geschickt würde.« Meine Schultern sanken nach unten, während ich das Lenkrad umklammerte, aber ich versuchte, meinen Tonfall so locker wie möglich zu halten. Allerdings klang ich einfach nur erschöpft. »Es soll ein wohltätiges Projekt sein, also denk kleiner.«

»Kleiner. Okay …«, murmelte er, unterlegt vom Klappern seiner Tastatur. »Ist es nicht ein bisschen seltsam, dass du bereits dorthin unterwegs bist, ohne zu wissen, was du dort tun sollst? Hättest du nicht instruiert werden müssen oder irgendwas?«

»Seltsame Situationen erfordern seltsame Lösungen«, hielt ich dagegen. »Und ich wurde instruiert. Ich habe einen Ortsnamen, einen Kontakt und den Namen des Teams erhalten. Das Problem ist nur, dass mir die Zeit für eine Recherche gefehlt hat.« Nachdem man mir lediglich vierundzwanzig Stunden gegeben hatte, um Kelly auf den aktuellen Stand zu bringen, bevor ich in den Flieger steigen musste. Eine Welle der Erschöpfung überschwemmte mich, und ich musste ein Gähnen unterdrücken. »Ich hatte kaum Zeit zum Packen.« Oder schlafen. »Glücklicherweise kenne ich jemanden, der toll recherchieren kann und toll unter Zeitdruck arbeitet, weil Journalismus sein Beruf und seine Leidenschaft ist.«

»Vorteile des Jobs«, murmelte mein bester Freund, und in seiner Stimme schwang ein Unterton mit, den ich nicht deuten konnte. Ich runzelte die Stirn, aber er redete weiter, bevor ich nachfragen konnte. »Und ich werde dir helfen, wenn du mir erlaubst, dir vorher zu sagen, was ich wirklich denke.«

»Diese Jobnebenwirkung hatte ich vergessen«, meinte ich trocken.

»Ich denke«, verkündete er, ohne auf meinen Kommentar einzugehen, »dass die eigene Tochter wegen etwas so Lächerlichem ins Exil zu schicken eine ziemliche Überreaktion darstellt.«

»Bitte«, stieß ich hervor. »Nimm kein Blatt vor den Mund.«

»Ich habe mich bereits zurückgehalten. In Wirklichkeit finde ich, dass dein Vater sich benimmt wie ein Aas.«

Meine Schultern verspannten sich heftiger.

Matthew hatte meinen Vater noch nie gemocht, so wie mein Vater ihn noch nie gemocht hatte. Ich konnte das keinem von beiden übel nehmen. Sie waren so unterschiedlich wie … Tag und Nacht. Feuer und Eis. Wasser und Öl. Dasselbe galt für Matthew und mich. Der Mann war offenherzig, direkt und charmant, während ich – und mein Vater, wenn wir schon dabei waren – kontrolliert, kritisch und viel zu pragmatisch war, um sich über so gut wie alles im Leben zu amüsieren, wie Matthew es tat. Lachen und Kichern brachten keine Resultate. Zumindest nicht in meiner Welt.

Es war ein Rätsel, wieso wir überhaupt befreundet waren. Zumindest in meinen Augen. Mein bester Freund sah das anders. Er hatte seine Absichten schon vor Jahren bei unserer ersten Begegnung in der Schlange von Doña Claritas Sandwichladen klargestellt.

Er hatte versucht, mich anzubaggern. Ich hatte ihn von Kopf bis Fuß gemustert, bevor ich ihn mit aufrichtigem Interesse gefragt hatte, ob er zufällig high war. Seine Reaktion bestand aus rauem Gelächter, gefolgt von dem Kommentar: Ich mag dich. Du wirst mich auf Trab halten.

Aus irgendeinem Grund waren wir seit diesem Tag unzertrennlich.

»Mein Vater hat durchaus Argumente«, erklärte ich. »Es gibt ein demütigendes Video von mir, wie ich grunzend und stöhnend dem Maskottchen des Teams, für das ich arbeite, den Kopf abreiße.«

»Es ist witzig. Und die Welt ist ohnehin ein Schlachtfeld. Die Leute erkennen sich in dir. Sie fühlen mit dieser Zurschaustellung von weiblichem Zorn.« Nicht dieser weibliche Zorn schon wieder. »Wenn überhaupt, ist es inspirierend. Aber auf keinen Fall peinlich.«

Peinlich.

Du solltest es besser wissen, als um eine Sonderbehandlung zu bitten, nachdem du mich und den gesamten Club beschämt hast.

Ich schluckte schwer und versuchte, das Gefühl zu ignorieren, das sich bei der Erinnerung an die Worte meines Vaters in meinem Bauch ausbreitete. »Du bist zu klug, um zu versuchen, diese Sache zu beschönigen.«

»Ich habe online schon Schlimmeres gesehen, Addy. Du warst also in eine Prügelei verwickelt …«

»Es war keine Prügelei«, fiel ich ihm ins Wort, bevor ich stirnrunzelnd die Karte des Navis auf meinem Handy musterte. »Und nenn mich nicht Addy, Matty. Du weißt, dass ich mich bei Spitznamen wie ein Kind fühle.« Und es spielte keine Rolle, ob mein Ex oder mein bester Freund diese Spitznamen verwendete. Ich hasste es einfach, nicht mit vollem Namen angesprochen zu werden.

»Schön«, gab er nach, ohne auf meinen Tonfall einzugehen. »Dann war es keine Prügelei. Du hattest eine Auseinandersetzung …«

»Höchstens eine kleine Rangelei.«

»Du hattest höchstens eine kleine Rangelei mit Sparkles, dann hat irgendein Idiot den Clip in irgendeiner App hochgeladen, und jetzt hat sich die Generation Z drauf gestürzt. Und? Alle wollen von den Zoomern gemocht werden. Dort versteckt sich das Geld. Du bist wahrscheinlich ihre liebste Millennial.«

»Streng genommen liege ich genau auf der Grenze, also bin ich eher eine Zillenial, keine Millennial.« Ich kontrollierte erneut das Display, weil ich mich fragte, wieso die Straße so heftige Kurven beschrieb und die Vegetation an den Rändern immer dichter wurde. Ich hatte zudem nicht damit gerechnet, mich in solche Höhen zu schrauben. »Wie dem auch sei, das Video wurde bis heute acht Millionen Mal angesehen. Und als ich mit meiner Assistentin gesprochen habe, hat sie mir mitgeteilt, dass heute Paparazzi vor der Zentrale gecampt haben. Paparazzi. Als wäre ich … keine Ahnung, irgendeine Prominente, von der Mitte der Zweitausender ein heimliches Sexvideo geleakt wurde.«

»Und schau dir an, wie sich das für Kim Kardashian entwickelt hat. Jetzt hat sie ein Vermögen, eine eigene Marke, eine fragwürdige Reihe von Ex-Typen und bald schon ein rechtswissenschaftliches Diplom.«

»Matthew«, warnte ich ihn. »Ich werde nicht mit dir darüber reden, wieso du denkst, die Kardashians wären das Beste, was das 21. Jahrhundert je hervorgebracht hat – nicht schon wieder. Nicht nur habe ich keinerlei Interesse daran, so zu werden wie sie, sondern du bist sowieso lediglich deshalb besessen von ihnen, weil sie …« Meine Stimme verklang für einen Moment. »Du weißt schon … dicke Hintern haben.«

»Ich schätze auch ihre unternehmerischen Fähigkeiten«, hielt er mit einem theatralischen Keuchen dagegen. »Und es ist kein Verbrechen, auf Hintern zu stehen. Aber hör mir zu. Die Paparazzi waren wahrscheinlich da, um Williams oder Perez auf dem Weg zum Training zu erwischen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass deine Assistentin übertrieben hat, weil David das verlangt hat. Er war der Lakai deines Vaters, seitdem er den Job bekommen hat, für den du hundertmal besser geeignet wärst. Aber so ist Andrew nun einmal. Ein echtes Aas …«

»Du bist schon zu lange in Chicago«, fiel ich ihm ins Wort. Und ironischerweise hatte sich herausgestellt, dass David nie der Lakai meines Vaters gewesen war. Stattdessen … ich stoppte diesen Gedanken. »Ich kann mich nicht erinnern, wann ein Spieler der Flames das letzte Mal solche Aufmerksamkeit generiert hätte.« Ich hörte Leder quietschen. Als ich den Blick senkte, stellte ich fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten, weil ich das Lenkrad ein wenig zu fest umklammerte. »Mein Vater tut mir einen Gefallen, indem er mir die Chance eröffnet, die Sache in Ordnung zu bringen. Mir eine Chance bietet, mich reinzuwaschen.«

Für einen langen Moment herrschte Schweigen. Als Matthew wieder sprach, klang er ernst. Vorsichtig. Das gefiel mir gar nicht. »Ich weiß, dass du kein Problem hast, dich zu behaupten, aber … diese ganze Sache mit Sparkles sieht dir nicht ähnlich.« Mein Magen verkrampfte sich. »Ist etwas geschehen? Etwas, was dich … dazu getrieben hat?«

Dazu. Dieser überwältigende Druck, der mich seit diesen schrecklichen Momenten bevor ich mich auf Sparkles gestürzt hatte, immer wieder gequält hatte, kehrte in meine Brust zurück. Aber auch jetzt fühlte ich mich nicht bereit, darüber zu reden, was meinen Ausbruch ausgelöst hatte. Unzählige Gefühle schnürten mir die Kehle zu.

Sekunden vergingen, bis es mir schließlich gelang, mich zu räuspern. »Hätte ich gewusst, dass du dich nach meinen Gefühlen erkundigen würdest, hätte ich meine Zeit anderweitig gefüllt. Vielleicht mit einem Podcast. Du weißt doch, wie gerne ich Auto fahre, während eine tiefe Stimme über komplexe und scheußliche Morde spricht.«

»Ich meine es ernst«, sagte Matthew sanft. Zu sanft. So sanft, dass dieser Druck in meiner Brust sich noch verstärkte.

»Ehrlich, Matthew«, sagte ich, aus reinem Überlebensinstinkt ein wenig zu harsch. »Ich hatte eher damit gerechnet, dass du bereits T-Shirts mit dem Aufdruck #sparklesgate oder #LadyBirdinator gedruckt und zur Post gebracht hast. Diese Gefühlsduselei ist enttäuschend.«

War sie nicht, aber ich konnte mich gerade den Emotionen nicht stellen, die in mir tobten.

»Verdammt, Addy.« Er lachte auf, und diesmal ließ ich ihm das Addy durchgehen. »Jetzt hast du meine Überraschung versaut.«

Ich spürte, wie ich mich entspannte. Ein wenig.

Denn genau in diesem Moment bemerkte ich, dass die Straße vor mir eine Kurve beschrieb, die mitten in ein Waldstück führte. Wo, zum Teufel, befand ich mich?

»Können wir zum eigentlichen Grund unseres Telefonats zurückkehren?«, fragte ich. »Ich sollte mein Ziel bald erreichen, und wüsste gerne, was mich bei der Ankunft dort erwartet.«

»In Ordnung«, stimmte er zu, bevor ich wieder das Klappern seiner Tastatur hörte. »Also suchen wir nach den Green Warriors.«

»Korrekt. In North Carolina.«

Ein paar Sekunden vergingen, dann sagte er: »Nichts. Absolut gar nichts. Bist du dir sicher, dass du den richtigen Namen hast?«

Die alte Adalyn wäre sich sicher gewesen. Aber das war ich nicht. Die letzten vierundzwanzig Stunden hatten deutlich bewiesen, dass ich nicht länger die alte Adalyn war. »Versuch es mit Green Oak. Oder …« Hier ging es um irgendetwas Karitatives, also sollte ich wahrscheinlich nicht erwarten, dass das Team schon Schlagzeilen gemacht hatte. »Oder Freizeitmannschaft.«

Mein letztes Wort schien im Innenraum des Autos zu schweben, die Stille nur durchbrochen vom Knirschen der Reifen auf dem unebenen Untergrund.

Wann hatte ich die Asphaltstraße verlassen? Und wieso sagte Matthew nichts? Gab es keinen Empfang mehr?

Ich beäugte das Display. Volle Balkenzahl. »Matthew?«

Ein Stöhnen.

O nein. »Was hast du gefunden?«

»Das wirst du mir nicht glauben.«

»Könntest du dich präziser ausdrücken?«

»Hast du vernünftige Schuhe eingepackt?«

»Vernünftig? Du meinst Hausschuhe?« Ich runzelte die Stirn. »Ich werde mich ein paar Wochen dort aufhalten, also ja.«

»Nicht Hausschuhe. Eher Stiefel.«

»Stiefel?«, wiederholte ich.

»Wanderstiefel, meine ich. Du weißt schon, bequem und fest und ohne jeden Absatz.«

»Ich weiß, was Stiefel sind.« Ich verdrehte die Augen, auch wenn ich nicht an diese Art Stiefel gedacht hatte. »Aber ich werde arbeiten. Ich mache keinen Tagesausflug zu …« Wieder musterte ich die Karte. »… diesem langen Bergkamm?« Wo, in aller Welt, lag dieses Städtchen Green Oak? Gott, ich hätte wirklich recherchieren müssen, bevor ich in das Flugzeug gestiegen war. »Ich habe vor, den Green Warriors genauso viel Zeit zu widmen, wie ich es mit meinem Job bei den Flames getan habe. Und falls ich doch mal Freizeit haben sollte – was nicht der Fall sein wird –, weißt du genau, dass ich nichts von Aktivitäten halte, die Gore-Tex und das Risiko eines Absturzes von hohen Felsen beinhalten.«

»Oh, aber genau das wirst du tun.«

Ich runzelte die Stirn, als ich auf eine andere Schotterstraße abbog. »Was soll das heißen?«

Das Klappern von Tasten. Ein weiteres Stöhnen.

Es knackte in meinen Ohren. Gott, wie hoch in den Bergen war ich hier? »Matthew, ich stehe kurz davor, einfach aufzulegen.«

»In Ordnung. Was willst du zuerst hören? Die schlechte Nachricht? Oder die schlechtere Nachricht?«

»Es gibt keine gute Nachricht?«, fragte ich. Ich kniff die Augen zusammen und entdeckte die Kreuzung, nach der ich Ausschau hielt. Ich bog auf etwas ab, was eher ein Bergpfad zu sein schien. Kiesel knirschten unter den Reifen und prasselten gegen den Unterboden des Mietwagens. Ich umklammerte das Lenkrad. Fest. Das konnte nicht stimmen. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht auf einer solchen Straße landen sollte. Das gesamte Auto schwankte – vibrierte – wegen der Schlaglöcher auf dieser Straße, die eigentlich keine Straße war. »Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht.«

»Das versuche ich dir die ganze Zeit über zu sagen«, meinte Matthew. Hätte ich richtig zugehört, wäre mir die Dringlichkeit in seiner Stimme nicht entgangen. Aber ich war zu sehr damit beschäftigt, mich zu fragen, wieso hier keine Stadt war. Stattdessen fuhr ich auf ein Grundstück mitten im Wald zu. Im Wald.

Matthew sprach weiter, aber ich hörte ihn nicht, als ich um ein Blockhaus herumfuhr. Ein Blockhaus. Ein echtes Blockhaus aus Baumstämmen, mit Fenstern, die über die Masse von Bäumen hinwegsahen, die ich hinter mir gelassen hatte.

Das konnte nicht stimmen.

Aus irgendeinem Grund hatte sich auf dem Weg hierher eine genaue Vorstellung in meinem Kopf gebildet. Auf dem Flug hatte ich mich selbst davon überzeugt, dass ich in eine Stadt in North Carolina unterwegs war – vielleicht einen Vorort, was erklärt hätte, warum ich den Namen noch nie gehört hatte. Schließlich hatte ich einen Auftrag. Ein wohltätiges Projekt, das von einem MLS-Team gesponsert wurde. Es war ein richtiges Projekt in einer richtigen Stadt. Aber das zu glauben, fiel mir inzwischen schwer.

Egal, zu welchem Ort dieses Grundstück gehörte, das konnte keine Stadt sein. Auch kein Vorort. Es sah nicht einmal danach aus, als gäbe es hier irgendwo in der Nähe eine größere Siedlung.

Ich war umgeben von … Natur. Einem Waldgebiet. Hügel, die mit Smaragdgrün und Kupferbraun überwuchert waren. Ich war über Schotterstraßen gefahren, die mich zu einem Objekt geführt hatten, wie man es aus Werbekatalogen für rustikale Skiurlaube kannte. Vögel zwitscherten. Blätter raschelten. Wind rauschte. Sonst herrschte Stille.

Ich hasste es.

Ich war zu leichtsinnig gewesen. War zu übereilt aufgebrochen. Ich hätte mir die Adresse ansehen müssen, die Kelly mir geschickt hatte, bevor ich sie in die Navi-App eingegeben hatte. Ich hätte eine Recherche starten müssen. Ich hätte …

»Sie haben Ihr Ziel erreicht«, verkündete die Frauenstimme meiner Karten-App.

Ich ignorierte meine zugeschnürte Kehle und fuhr um die Blockhütte herum, auf der Suche nach einem Parkplatz. Es musste eine Erklärung geben. Einen Grund. Wahrscheinlich hatte ich einfach eine Abkürzung gewählt und so die größere Stadt auf dem Weg verpasst. Und hey, zumindest war das Blockhaus … geschmackvoll. Die meisten Menschen wären glücklich, an einem so schönen Ort Zuflucht suchen zu dürfen. Frische Bergluft. Tolle Sonnenuntergänge, die man von der Couch aus eingemummelt in eine Decke beobachten konnte. Eine Veranda mit freiem Blick in die Natur.

Aber ich war nicht die meisten Menschen.

Ich hasste Kälte. Und ich hatte noch nie den seltsamen Drang verspürt, auf der Suche nach frischer Luft quer durchs Land zu reisen. Ich mochte die Luft in Miami. Mochte die Stadt. Die Küste. Sogar die überwältigende Hitze. Meinen Job bei den Flames. Mein Leben.

Mein Magen verkrampfte sich, bis mir Galle in die Kehle stieg.

Hinter meinen Lidern blitzten Bilder von Sparkles’ Kopf auf, der über den Boden rollte.

Verstoß gegen den Verhaltenskodex.

Weiblicher Zorn.

Beschämt.

Du bist eine Ablenkung, also möchte ich, dass du Miami verlässt.

Meine Handflächen wurden so feucht, dass ich das Lenkrad nicht mehr richtig halten konnte. Bewegte sich das Auto, oder hatte ich schon in die Parkposition geschaltet?

»Adalyn?«, fragte Matthew und erinnerte mich so daran, dass er noch am Telefon war. Hatte er mit mir gesprochen? »Rede mit mir.«

Aber ich war zu sehr damit beschäftigt, mich auf die Vorgänge in meinem Körper zu konzentrieren. War das Erschöpfung? War ich dehydriert? Wann hatte ich das letzte Mal etwas getrunken? Hatte ich PMS? Ich schüttelte den Kopf. Gott, würde ich wieder austicken? Ich …

Irgendetwas knallte gegen die Stoßstange.

Ich trat auf die Bremse, so plötzlich, so heftig, dass mein gesamter Körper nach vorne geschleudert wurde.

Meine Stirn knallte aufs Lenkrad.

»Autsch«, hörte ich mich über das Rauschen in meinen Ohren stöhnen.

»ADALYN?«, erklang zu meiner Rechten Matthews Stimme. Die jetzt irgendwie gedämpft klang. »Himmelherrgott, was ist gerade passiert?«

»Ich habe etwas angefahren«, verkündete ich. Die rechte Seite meiner Stirn brannte. Ich gestattete mir, drei Sekunden lang nur zu atmen, ohne die Stirn vom Leder des Lenkrades zu heben, dann richtete ich mich auf und drehte den Kopf, um mein Handy zu suchen, das vom Armaturenbrett gefallen war.

Matthews Stimme kehrte zurück.

»Sag mir, dass es dir gut geht, oder ich schwöre, ich rufe auf der Stelle deine Mutter …«

»Nein«, krächzte ich. »Bitte nicht. Nicht Maricela. Sie darf nichts davon erfahren.« Ich blinzelte gegen die kleinen schwarzen Punkte an, die vor meinen Augen tanzten. »Es geht mir gut«, murmelte ich, dann bemerkte ich eine Bewegung hinter dem Auto. Da … lief etwas. Und gackerte? »Ich glaube, ich habe gerade ein Huhn angefahren.«

Unverständliches Fluchen drang aus dem Lautsprecher, während ich den Gurt löste und das Handy vom Boden sammelte. Ich richtete mich wieder auf und …

Die Welt drehte sich um mich. »Das war ein Fehler«, murmelte ich.

»Das versuche ich dir die ganze Zeit zu sagen, Adalyn. Die Green Warriors …«

»Ich glaube, ich muss mich übergeben.«

»Raus aus diesem Auto«, sagte er. »Jetzt.«

Mit einem Nicken, das Matthew nicht sehen konnte, legte ich den Rückwärtsgang ein. »Das Auto steht mitten in der Einfahrt, also werde ich es parken und dann …«

»Nein.«

»Ich kann das Auto nicht einfach so stehen lassen.« Kiesel knirschten unter den Reifen, als der Wagen sich in Bewegung setzte. »Vielleicht sollte ich auch nach dem Huhn sehen.« Ein Gedanke stieg aus dem Nebel in meinem Hirn auf. »O Gott. Was, wenn ich es umgebracht habe?« Mein Blick glitt in die Richtung, in die das Huhn verschwunden war. Ich konnte das einfach nicht glauben. »Noch ein dämlicher Vogel.«

Meine Lider sanken nach unten. Nur für einen Moment. Ich durfte mir eine Nanosekunde gönnen, einen kurzen Moment der Ruhe, aber …

Ein Knall erschütterte mich.

Ein weiterer Knall. Ich hatte etwas angefahren. Schon wieder. Diesmal etwas Größeres als ein Huhn. Etwas wie … Gott, lass es keinen Bären sein.

Panisch riss ich die Augen auf.

Im selben Moment erklang ein Knurren – das zu meinem Entsetzen sehr nach Bär klang – vom Heck des Autos. Mein Fuß senkte sich abrupt. Aber mein Hirn war vernebelt und meine Reflexe offensichtlich nicht in Ordnung, weil ich statt auf die Bremse scheinbar aufs Gaspedal trat.

Und den Mietwagen gegen einen Baum setzte.

3

Cameron

Die Frau im Wagen war bewusstlos.

»Hallo?«, rief ich. Ich kniff die Augen zusammen. Ich versuchte, einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen, aber ihr Kopf lehnte am Fenster, und ich sah nur ein Chaos aus … braunem Haar. Ich klopfte ans Fenster und fragte erneut, diesmal lauter: »Hallo?«

Keine Reaktion.

Grüne Neune. Das war nicht gut.

Ich unterdrückte meine Verärgerung und meine Wut und griff nach dem Türgriff. Ich hoffte nur, dass das Auto offen war. Erleichterung überschwemmte mich, als die Tür mit einem Klicken aufschwang.

Aber die Erleichterung verpuffte sofort, als die Frau einfach zur Seite kippte.

»Verflixt«, murmelte ich leise, als ich sie eilig auffing.

Die Situation hatte sich gerade von lästig zu besorgniserregend entwickelt.

Ohne Zeit zu verschwenden, zog ich die Frau an meine Brust und aus dem Wagen, um sie auf den Boden zu legen.

Ich sank neben ihr auf die Knie. Ihr Gesicht lag immer noch hinter Haaren verborgen, die ich jetzt zur Seite schob, um leicht geöffnete Lippen, eine Stupsnase und bleiche Wangen zu enthüllen. Zu bleich, wie mir auffiel. Ich hielt nach offensichtlichen Verletzungen Ausschau, und mein Blick blieb an einer Beule an ihrer Stirn hängen. Die heftige Rötung beruhigte meine Sorgen nicht.

»Hallo?«, rief ich ein drittes Mal, ohne dass sie reagierte. Ich tätschelte ihr sanft die Wange. Immer noch keine Reaktion. »Grüne Neune!«

Ich ließ für einen kurzen Moment den Kopf in den Nacken sinken und rieb mir das Gesicht, weil ich keine Lust hatte, vernünftig zu handeln. Ich konnte kaum verarbeiten, dass sie mich fast überfahren hatte. Es war durchaus nachvollziehbar, dass sie den dämlichen Vogel übersehen hatte, der seit Wochen auf meinem Grundstück herumrannte, aber mich? Ich hatte direkt hinter dem Auto gestanden. Und ich war wirklich nicht klein. Sie hatte in hellem Tageslicht einen ein Meter neunzig großen Mann übersehen, um ihre verdammte Karre dann gegen einen Baum zu setzen.

»Und jetzt wirst du mich dazu bringen, einen verdammten Notarzt zu rufen, oder?«, flüsterte ich mit einem Kopfschütteln, bevor ich mein Handy aus der Tasche zog. »Natürlich.«

Doch gerade, als ich das Display entsperrte, rührte sie sich und zog damit meine Aufmerksamkeit auf sich.

Sie stöhnte.

»Komm schon«, murmelte ich und wartete angespannt darauf, dass sie wieder zu Bewusstsein kam.

Sie rollte den Kopf zur Seite, und ihre Augäpfel bewegten sich unter der glatten Haut ihrer Lider.

Ungeduldig stieß ich den Atem aus und hob erneut die Hand. Sie sollte endlich aufwachen und sich gut fühlen. Klar, ich machte mir Sorgen, dass sie eine Gehirnerschütterung haben konnte, aber ich sorgte mich auch um mich selbst. Auf keinen Fall wollte ich einen Notarzt, oder – noch schlimmer – die Polizei rufen müssen. Ich würde …

Sie riss die Augen auf und stoppte damit meine Bewegung.

Braune Augen fanden meinen Blick.

»Wer sind Sie?«, stieß sie gepresst hervor. Ihr Blick senkte sich auf meine Hand, die ein kleines Stück über ihrer Schulter schwebte. »Fassen Sie mich nicht an.« Sie sah erneut auf. »Ich kann Selbstverteidigung.«

Ich runzelte die Stirn.

»Ich könnte Sie überwältigen.« Dann flüsterte sie: »Glaube ich.«

»Glauben Sie? Das klingt nicht besonders bedrohlich«, murmelte ich. Sie warf mir einen bösen Blick zu und verlagerte ihr Gewicht, nur um sofort das Gesicht zu verziehen. »Was tut weh?«, fragte ich. Als sie sich weder bewegte noch etwas sagte, streckte ich erneut die Hand nach ihr aus. Falls es nötig war, würde ich ihre Verletzungen selbst einschätzen. Ich würde sicherstellen, dass es ihr halbwegs gut ging, und sie dann für eine Untersuchung beim nächstgelegenen Krankenhaus absetzen. Sie war nicht mein Problem, aber …

Sie schlug nach mir.

Nach meiner Hand. Ein schneller, heftiger Schlag.

Ich blinzelte.

»Ich habe gesagt, Sie sollen mich nicht anfassen«, fauchte die Frau. Wut verzerrte ihre Miene. Oder vielleicht war es Angst. Ich konnte es wirklich nicht sagen. Außerdem war ich zu entgeistert, um mir tiefer lotende Gedanken zu machen. »Also?«, forderte sie. »Wer sind Sie, und wieso liege ich auf dem Boden?«

Ich starrte sie einfach an, vollkommen sprachlos. Als ich meine Fassungslosigkeit endlich überwunden hatte, konnte ich nur sagen: »Sie haben mich mit dem Auto angefahren.«

Die Frau runzelte die Stirn. »Ich habe Sie nicht …« Sie brach ab, dann starrte sie mit offenem Mund. »Oh.« Erkenntnis breitete sich auf ihrer Miene aus. »Oh.«

»Genau. Oh«, meinte ich trocken.

»Das Knurren«, murmelte sie. »Das waren Sie.«

»Natürlich war ich das. Was dachten Sie denn, was Sie angefahren haben?«

»Keine Ahnung. Einen … Bären?«

Meine Augenbrauen wanderten nach oben. »Und Sie haben trotzdem nicht gebremst?«

»Ich habe versucht zu bremsen.«

»Sie haben versucht zu bremsen«, wiederholte ich. Mein Blick huschte zu dem schicken und definitiv nicht für das Terrain geeigneten Auto, das mit Stoßstange am Stamm einer Eiche ruhte. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie relativ langsam gefahren war und so kaum einen Kratzer verursacht hatte. Und ich konnte mich auch glücklich schätzen.

Die Frau blieb stumm, scheinbar in Gedanken versunken, sodass mir keine andere Wahl blieb, als sie zu beobachten, während ihr wahrscheinlich alles wieder einfiel – unendlich langsam. Mein Blick glitt über ihren Körper. Ich registrierte ihre geknöpfte Bluse, den Bleistiftrock und die hohen Absätze. Alles an dieser Frau, von ihrer Kleidung – fraglos Designerware – bis zu ihrem unpraktischen Wagen, stank nach Großstadtleben und überteuerten Getränken, von denen sie auf dem Weg zum Büro Fotos schoss. All die Dinge, die ich absichtlich hinter mir gelassen hatte.

Mein Blick huschte erneut zu ihrem Gesicht. Zu der Stelle an ihrer Stirn, die genauso hässlich aussah wie noch vor ein paar Minuten. »Sie sollten diese Beule an Ihrer Stirn untersuchen lassen. Ich werde Sie zum nächsten Krankenhaus fa…«

Sie schoss in eine sitzende Position, dann kippte sie sofort wieder nach hinten.

»Auf keinen Fall.« Ich presste eine Handfläche auf ihre Brust, um weitere leichtsinnige Aktionen zu verhindern. Sie leistete Widerstand, aber es kostete mich kaum Anstrengung, sie unten zu halten. Du kannst mich überwältigen, genau. »Sie werden nicht gleich in den nächsten dämlichen Unfall stolpern.«

Sie senkte den Kopf, starrte meine Hand an. Die direkt über ihren Brüsten lag. Mit finsterer Miene sagte sie: »Ich habe Ihnen gesagt, Sie ….«

»Haben Sie sich verfahren?«, unterbrach ich sie, ohne mich von ihrem drohenden Blick beeindrucken zu lassen. Meine Berührung war rein zweckmäßig. Den Umständen geschuldet. »Sind Sie deswegen hier?«

Sie kniff die Augen zusammen. »Wieso sollte ich mich verfahren haben? Ich wollte gerade parken, als Sie mir in den Weg getreten …«

»Sie haben sich entweder verfahren …«, unterbrach ich sie erneut, »… oder Sie haben sich des unberechtigten Betretens schuldig gemacht. Suchen Sie sich etwas aus.«

Das schien sie unvorbereitet zu treffen, weil sie ein paarmal blinzelte. Ich konnte quasi sehen, wie sich die Zahnräder in ihrem Kopf drehten. »O Gott. Sind Sie einer von diesen irren Wildnisbewohnern, die davon leben, Leute abzuziehen, indem sie vor ihre Autos springen?« Ich runzelte die Stirn. Sie schüttelte den Kopf. »Ich wette, der Bart und der Akzent sind falsch.«

Ich legte den Kopf schräg. Okay, Sie war entweder geisteskrank oder hatte die heftigste Gehirnerschütterung, die mir je begegnet war.

»Ich kann zahlen«, bot sie vollkommen ernst an. »Wenn Sie weggehen. Ich kann mich gerade wirklich nicht mit einem Trickbetrüger herumschlagen.«

Ich atmete einmal tief durch, um mich zu beruhigen. »Dieses Blockhaus dort drüben?« Ich deutete mit dem Kinn hinter mich, hörte, wie hart meine Stimme klang. »Da lebe ich. Ich bin kein Mann aus den Bergen. Ich gebe ein kleines Vermögen aus, es zu mieten. Was auch die Einfahrt beinhaltet, in der ich fast von Ihnen überfahren worden wäre, und die Eiche, die Sie gerammt haben.« Und der Hahn gehörte unglücklicherweise ebenfalls dazu.

»Was?«, murmelte sie. Ihre Brauen sanken nach unten, dann verzog sie erneut das Gesicht.

Mein Blick huschte höher. Zu der Stelle an ihrer Stirn, die inzwischen eher eine Beule war. »Sie sollten das kühlen«, verkündete ich genervt. Ich gab ihre Brust frei und bot ihr meine Hand an. »Sie sollten wahrscheinlich einen Arzt aufsuchen. Kommen Sie, ich werde Sie fahren. Glauben Sie, Sie können aufstehen, ohne …«

»Aber ich habe diese Blockhütte gemietet. Genau die da drüben. Und ich habe Sie nicht fast überfahren.«

Ich musterte die Frau einen langen Moment, um so vielleicht herauszufinden, wie schlimm ihr Wahn – oder ihre Gehirnerschütterung – waren. Und dann, ohne Vorwarnung, setzte ich mich in Bewegung. »Okay, ich werde keine Zeit mehr verschwenden«, sagte ich und versuchte, meine Arme unter ihre Knie und ihren Rücken zu schieben. »Ich werde Sie zu einer Notaufnahme, einem Krankenhaus oder an irgendeinen anderen Ort fahren, der nicht hier ist.«

Ein schrilles Trällern drang aus ihrer Kehle und bohrte sich in meine Trommelfelle.

»Himmelherrgott«, beschwerte ich mich, als sie sich in meinen Armen wand. »Könnten Sie …« Ich hob sie hoch, dann traf ihr Ellbogen mich mitten in die Brust. »Autsch …« Ich setzte mich in Richtung meines Autos in Bewegung, als etwas Spitzes auf mein Kinn zuraste. »War das Ihr Knie?« Und noch mal. Es war ihr Knie. »Oh, um Himmels willen«, murmelte ich, bevor ich aufgab und dieses Gewirr aus Armen und Beinen wieder auf den Boden stellte.

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Kampfsport beherrsche.« Genervt strich sie ihren Rock glatt. Selbst mit Absätzen reichte sie mir kaum bis ans Kinn. »Und Sie bringen mich nirgendwohin. Ich fühle mich gut, ich brauche keinen Arzt, und ich habe mich nicht verfahren.« Sie nahm die Schultern zurück und hätte damit unglaublich selbstbeherrscht gewirkt, wäre da nicht der wilde Ausdruck in ihren braunen Augen gewesen. »Ich habe diese Hütte gemietet, und ich würde gerne auspacken. Ich habe Dinge zu erledigen. Sie und Ihr falscher Bart und Ihr alberner Akzent können sich vom Acker machen.«

Ich biss die Zähne zusammen und atmete einmal tief durch. Zählte von zehn nach unten. Sehr langsam. Zehn, neun, acht …

»Also?«, hakte sie nach, ihr Tonfall fordernd. Unendlich nervig. Fünf, vier, drei … »Misshandelt und betrogen zu werden, ist wirklich das Letzte, was ich heute noch brauchen kann.«

Ich schloss die Augen und stieß ein Geräusch aus, das irgendwo zwischen einem Schnaufen und einem Lachen lag.

Totaler Wahnsinn.

»Wieso grinsen Sie so?«

Ich richtete den Blick wieder auf sie. »Das nächstgelegene Krankenhaus liegt dreißig Meilen östlich«, sagte ich, ohne ihr eine Chance zu geben, mir ins Wort zu fallen. »Und jetzt nehmen Sie Daddys Auto, und verschwinden Sie von meinem Grundstück, ohne unterwegs irgendwen oder irgendwas zu töten, okay?« Die Frau riss den Mund auf, und ich war mir sicher, dass diese Miene ihrer Wut geschuldet war. Ich wandte mich ab. »Und kühlen Sie diese verdammte Stelle an Ihrer Stirn, bevor sie sich verfärben kann und Sie ein Vermögen für Make-up einsetzen müssen, um das zu überschminken«, fügte ich hinzu, als ich wegging.

Ich benahm mich unmöglich, aber die verletzten Gefühle irgendeiner Frau waren mir vollkommen egal. Ich hatte versucht, ihr zu helfen. Sie hatte die Hilfe ausgeschlagen.

Also war ich hier fertig. Und hoffentlich galt dasselbe für sie.

4

Adalyn

Unglaublich.

Ich konnte nicht glauben, dass er das gesagt hatte und dann einfach weggegangen war.

Zurück zu meiner Blockhütte.

Mit einem Schnauben stampfte ich zum Auto und zog mein Handy heraus.

Auf dem Bildschirm blinkten Dutzende Nachrichten und verpasste Anrufe. Alle von Matthew. Ich …

Mist. Ich hatte ihn vollkommen vergessen.

Ich las die Nachrichten, die extrem besorgt begannen und schließlich zu Drohungen eskalierten, dass er die Feuerwehr oder, noch schlimmer, meine Mutter, anrufen würde, wenn ich ihm kein Lebenszeichen schickte. Sofort tippte ich ein paar Zeilen.

 

Adalyn: Es geht mir gut. Der Anruf ist wegen schlechtem Empfang unterbrochen worden.

 

 

Daran stimmte nur, dass der Anruf unterbrochen worden war. Und Matthew musste sich ernsthafte Sorgen gemacht haben, weil ich schon Sekunden später eine Antwort erhielt.

 

Matthew: WTF Adalyn. Hast du eine Ahnung, was für Sorgen ich mir gemacht habe?

 

 

Ich seufzte. Er hatte wahrscheinlich jedes Recht, etwas aufgewühlt zu sein, aber …

 

Adalyn: Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen, als wäre ich ein hilfloses Kind, und vertrau mir. Es geht mir gut.

 

 

Ich starrte aufs Display und fühlte mich schlecht, weil ich meinen besten Freund angeblafft hatte, aber ich war immer noch verunsichert von der Begegnung mit diesem … Mann. Die drei Punkte begannen zu wandern; ich wartete seine Nachricht nicht ab.

 

Adalyn: Ich werde mich später bei dir melden – und bitte, ruf nicht Maricela an.

 

 

Ich sperrte den Bildschirm und atmete tief durch, dann gönnte ich mir eine ganze Minute Zeit, mich zu sammeln. Mein Kopf pulsierte, aber das war nichts, was sich nicht mit ein paar Schmerztabletten beheben ließe. Ich musste nicht ins Krankenhaus. Und ich brauchte auch keinen Eisbeutel. Und auf keinen Fall konnte ich es brauchen, dass ein vollkommen Fremder mir erzählte, was ich brauchte oder nicht brauchte.

Erfüllt von neuer Energie, ging ich zur Hütte – meiner Blockhütte, die er im Moment bewohnte – wahrscheinlich illegalerweise – und suchte gleichzeitig die Buchungsbestätigung aus meinen Mails heraus. Ich musste ein wenig scrollen, bis ich die Mail fand. Ich klickte sie an und ließ den Blick über den Text gleiten.

Da. Da war es. Buchungsbestätigung. Mit Buchungsnummer. Adalyn Elisa Reyes. Adresse: Lazy Elk Lodge, Green Oak, North Carolina.

Lazy Elk Lodge. Gott, was für ein verräterischer Name – wenn man sich denn die Mühe gemacht hätte, genauer hinzusehen, bevor man losgefahren war.

Ich stieg die Stufen zur Veranda hinauf, während ich mich bemühte, diesen Gedanken zu verdrängen. Mich wegen dieser Verfehlung zu geißeln, würde mir auch nicht weiterhelfen. Stattdessen sah ich mich um. Und jetzt, mit klarerem Blick, konnte ich tatsächlich verstehen, wieso jemand hierherkommen sollte. Die Blockhütte war schön – wenn man denn auf so was stand. Hoch genug, um zwei Stockwerke zu beinhalten, mit bodentiefen Fenstern rechts und links neben der Eingangstür. Elegant und doch rustikal fügte sie sich perfekt in die Umgebung ein.

Ich erreichte die Eingangstür und gestattete mir einen tiefen Atemzug, bevor ich die Hand hob, um zu klopfen.

Die Tür schwang sofort auf, als hätte er dahinter auf mich gewartet.

Dieses Gesicht erschien – harte und scharfe Linien hinter einem kurzen, aber ungepflegten Bart. Grüne Augen, von denen ich bisher gar nicht bemerkt hatte, wie grün sie waren, fingen meinen Blick ein. Ich konnte sehen, dass immer noch Wut darin brannte.

Ich öffnete den Mund, doch jetzt, wo ich mir diesen Mann aus einer stehenden, aufrechten Position ansehen konnte, stieg ein seltsames Gefühl in mir auf. Der Kerl hatte irgendetwas an sich – sein Gesicht oder vielleicht dieser dunkle Haarschopf oder vielleicht sogar seine breiten Schultern –, das mir … vertraut erschien? Aber wie konnte das sein? Mein Blick huschte weiter über sein Gesicht und blieb an seinem Mund hängen. Seine Lippen waren zu einem gepressten Schmollmund verzogen, der irgendwo in meinem Kopf etwas schrillen ließ. Vielleicht, wenn es all diese Gesichtsbehaarung nicht gäbe …

»Das war ein Fehler.« Ich sah mehr als dass ich hörte, wie sein Mund die Worte formte.

Ich suchte seinen Blick. »Was meinen Sie?«

Doch statt zu antworten, machte er Anstalten, die Tür zu schließen.

Ich schob Hand und Fuß vor, schob sie zwischen Tür und Rahmen. »Moment.«

Eines musste ich ihm lassen: Er wartete. Er hätte mich mühelos zurückschieben und die Tür trotzdem zuknallen können. Ich war nicht unbedingt eine kleine Frau und trug zusätzlich Absätze, aber er ragte trotzdem hoch über mir auf. Außerdem wirkte er schlank und stark. Mein Blick glitt über die Schulter und den Arm, die hinter dem Türspalt sichtbar waren, und mir fiel nur ein Wort ein: Athlet. Ich erkannte einen hochtrainierten Athleten, wenn ich einen sah. Das war nicht der richtige Moment dafür, aber ich fuhr mit meiner Inspektion fort, musterte erneut sein Gesicht. Mein vernebeltes Hirn suchte verzweifelt nach der Verbindung. Ich kannte ihn.

Ja, ich hatte diese Augen schon gesehen. Diese stur gesenkten, dunklen Augenbrauen. Und auch diese lange, gerade Nase.

Er murmelte etwas Unverständliches, und ich sah, wie er den Griff an der Tür verlagerte. In diesem Moment senkte ich den Blick auf seine Finger. Kräftig, lang. Der Mittelfinger ein wenig schief. Und an seinem kleinen Finger trug er einen Siegelring mit einem C.

Ein C. Aber das konnte nicht sein. Das …

Sein Räuspern riss mich aus meiner Versenkung.

Ich hob mein Handy. »Hier ist meine Buchung. Lesen Sie den Text, und überzeugen Sie sich selbst. Ich habe diese Blockhütte gemietet.« Ich hielt ihm das Gerät vor die Nase. »Lazy Elk Lodge.«

Wieder brummelte er etwas Unverständliches, öffnete jedoch endlich die Tür ganz.

»Hören Sie«, erklärte ich ihm, wobei ich die Stimme verwendete, die ich bei Pressekonferenzen einsetzte. Höflich, aber fest. Sachlich. »Im schlimmsten Fall haben wir hier eine Doppelbuchung, wofür Sie keine Verantwortung trügen. Aber falls das geschehen sein sollte, müssen wir den Irrtum aufklären.« Ich kontrollierte seine Miene, als er widerwillig den Text auf meinem Handy las. »Im besten Fall haben Sie sich einfach geirrt. In diesem Fall gebe ich Ihnen gerne ein paar Stunden, um die Hütte zu räumen. Ich kann später zurückkommen. Ich habe sowieso etwas in der Stadt zu erledigen.«

Er schnaubte. »Das ist eine schrecklich schlechte Entschuldigung.«

»Ich entschuldige mich nicht. Ich versuche nur, Höflichkeit walten zu lassen.«

»Sie sind allerdings auch nicht die Bewohnerin der Lazy Elk Lodge«, hielt er dagegen. Ich kniff die Augen zusammen. »Hier steht, dass Sie das Sweet Heaven Cottage auf dem Grundstück der Lazy Elk Lodge gebucht haben.« Diese finsteren Brauen hoben sich zu einem fast gelangweilten Ausdruck. »Wo auch immer das sein mag. Also, falls es Ihnen nichts ausmacht, ich habe in meiner Blockhütte einiges zu tun.«

Ich zog mein Handy zurück und vergrößerte die E-Mail. »Das kann nicht stimmen.« Ich scrollte weiter. Zwei große Finger erschienen in meinem Blickfeld und deuteten auf eine bestimmte Zeile: Sweet Heaven Cottage, 423 Lazy Elk Street, Lazy Elk Lodge. »Aber das kann nicht stimmen«, wiederholte ich. »Ich bin um die Hütte herumgefahren, als ich hier angekommen bin. Und da war nichts.« Mein Blick huschte suchend über die Umgebung, inzwischen fast verzweifelt. »Es gibt keine Straße. Und keine andere Hütte.«

Und das stimmte. Nicht wirklich. Aber dann blieb mein Blick an etwas hängen.

Rechts der Veranda, auf der wir standen, erhob sich eine Art Schuppen.

Kein Cottage. Definitiv nicht die Unterkunft, die ich gebucht hatte, oder?

Aber … je länger ich hinsah, desto weniger ließ sich das Schild übersehen, das von einer schief stehenden … Holzstange hing und in der Septembersonne leuchtete.

Darauf stand: 423 Lazy Elk Street.

Mein Magen verkrampfte sich vor Entsetzen und … einem anderen Gefühl.

Ich hatte das Innere natürlich noch nicht gesehen, aber das musste ich gar nicht. Dieses seltsame Gefühl vertiefte sich, und zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich das Handtuch werfen und mit eingeklemmtem Schwanz zurück nach Hause fliehen. Ich hatte meinen Vater enttäuscht und beschämt, aber das hier? Ein Schuppen in einer Wildnis, für die ich mich offensichtlich nicht gewappnet hatte? Das war zu viel. Ich …

Hinter mir erklang ein amüsiertes Glucksen, tief und leise und so selbstgefällig, dass ich vom Rand des Abgrundes zurückzuckte, an dem ich gestanden hatte.

Das war nicht ich. Ich hatte mir heute Morgen geschworen, dass ich nicht länger die wankende Adalyn sein würde.

»Das wird perfekt«, verkündete ich, als ich mich umdrehte und seinen Blick einfing. Die grünen Augen weiteten sich leicht, aber er machte keinen Rückzieher. Und in diesem Moment klickte es in meinem Kopf. Ich wusste ohne jeden Zweifel, wer dieser Mann war. Es hatte damit zu tun, wie … arrogant er war. Wie selbstbewusst. Das war ein Mann, der daran gewöhnt war, zu siegen. Und gerade hatte er gewonnen. Ich war diejenige, die sich geirrt hatte. Ich nahm die Schultern zurück und hüllte meine letzten Fetzen Würde um mich wie einen zerrissenen Mantel. »Und seien Sie versichert, Nachbar, jetzt, wo ich meine Unterkunft gefunden habe, werde ich Sie in Ruhe lassen und Ihnen erlauben, zu den wichtigen Angelegenheiten zurückzukehren, die Sie zu erledigen haben.«

»Ich bin nicht Ihr Nachbar.«

»Für mich sieht es aus, als würden wir uns ein Grundstück teilen.« Ich breitete die Arme aus. »Die wunderschöne und gemütliche Lazy Elk Lodge im beschaulichen Green Oak.«

»Sie werden nicht bleiben«, presste er hervor. »Sie können auf keinen Fall in …« Er nickte in Richtung des Schuppens »… dem Ding wohnen.«