The Mind Maze - Chrissy Zane - E-Book

The Mind Maze E-Book

Chrissy Zane

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Beschreibung

Klappentext: Ihre zerbrochene Welt ist ein verdammtes Kunstwerk. Denise kennt es nicht anders - ihr Leben lang war sie nur die zweite Wahl, das Opfer von Spott und Ablehnung. Als sie auf Dean trifft, glaubt sie, endlich ihre große Liebe gefunden zu haben. Doch nichts ist, wie es scheint. Dean verbirgt ein dunkles Geheimnis, das nicht nur Denise, sondern unzählige Menschen in tödliche Gefahr bringt. Aus ihrem vermeintlichen Glück wird ein Albtraum - und ein Entkommen scheint unmöglich.

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Seitenzahl: 315

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Triggerwarnung

Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete. Hier gibt es keine geschönten Wahrheiten, keine sanften Auswege. Stattdessen: Mobbing, Mord, Folter. Entführung, Manipulation, Vergewaltigung (nicht zwischen Love Interests). Verstümmelung, blutige Details, Grauen in seiner reinsten Form. Psychische Abgründe, die manch einer lieber nicht betreten würde. Und ja – auch Kindermorde.

Das hier ist keine harmlose Geschichte. Sie kann wehtun. Sie kann nachhallen. Also überlegt euch gut, ob ihr euch ihr wirklich stellen wollt.

Falls ja – willkommen. Ihr gehört hierher.

Für alle, die im Leben Schmerz

und Ablehnung erfahren haben – ihr

seid stärker, als ihr glaubt. Eure

Geschichte ist noch nicht zu Ende.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Epilog

Prolog

Der Regen prasselt unaufhörlich auf die Straßen und zieht silberne Schlieren über den Asphalt. Die Stadt wirkt müde, ausgewaschen, als hätte jemand ihre Farben genommen und nur noch Grautöne übriggelassen. Tropfen klatschen gegen die Fenster, laufen an rostigen Regenrinnen hinunter und versickern in den Rissen der Gehwege. Der Geruch von nassem Beton vermischt sich mit abgestandenem Zigarettenrauch und etwas anderem – etwas Schwerem, das in der Luft liegt und nicht dorthin gehört. Als hätte die Stadt selbst ein Geheimnis, das sie für sich behalten will.

Ich stehe da, die Hände tief in den Taschen meiner Hose vergraben, als könnte ich mich so von der Kälte abschirmen, die sich in meine Knochen frisst. Mein Hemd klebt mir feucht am Rücken, meine Brille rutscht mir immer wieder von der Nase, aber ich lasse sie. Mein Blick bleibt an der Pfütze vor mir hängen. Ich beobachte, wie sich das Licht der Straßenlaterne auf der Oberfläche spiegelt. Es zittert, verzerrt sich, wird vom Regen immer wieder unterbrochen. Wie ein Bild, das nie ganz vollständig ist. Genau wie wir. Genau wie alles hier.

Dean lehnt an der Backsteinwand neben mir. Der Regen scheint ihn nicht zu kümmern. Er sieht aus, als wäre er aus einer anderen Zeit gefallen, als könnte ihn nichts wirklich berühren. Sein Gesicht ist ausdruckslos, aber die Zigarette zwischen seinen Fingern dreht er langsam hin und her, ohne sie anzuzünden. Er tut das immer – kleine Bewegungen, bedeutungslos und doch voller Bedeutung. Als würde er auf etwas warten, das nie kommt.

»Sie war wunderschön«, sagt er plötzlich, leise, fast schon sanft. »Nicht so wie diese Mädchen, die sich für was Besseres halten. Sie hatte … was Echtes an sich. Etwas, das man erst erkennt, wenn es zu spät ist.«

Mein Magen zieht sich zusammen. Ich schlucke, versuche, das Bild in meinem Kopf zu verdrängen, aber es bleibt. Zu spät. Wann ist es zu spät? Und wie viele merken es erst, wenn sie schon mittendrin sind?

»Hat sie geschrien?« Meine eigene Stimme klingt fremd, leise, fast so, als wäre sie gar nicht meine.

Dean lacht. Es ist kein echtes Lachen. Kein glückliches. Nur ein dumpfer Laut, leer und bedeutungslos. »Natürlich«, sagt er. »Erst vorsichtig. Dann panisch.« Eine Pause. »Aber dann … dann hat sie zugehört.«

Meine Finger verkrampfen sich in meinen Taschen. Ein Zittern erfasst meinen Körper, aber der Regen macht es leichter, es zu ignorieren. So wie alles andere.

»Du solltest beim nächsten Mal mitkommen«, meint Dean, als wäre es ein freundschaftlicher Rat. »Es ist … ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann. Befreiend. Wie ein Lied, das du kennst, aber nie bis zum Ende gehört hast.«

Ich sage nichts. Ich will nicht, dass diese Worte sich in meinem Kopf festsetzen, aber sie tun es trotzdem.

Dean sieht mich an, als könnte er genau lesen, was ich denke. Dann lächelt er. Kein freundliches Lächeln. Es ist das Lächeln von jemandem, der sich selbst am meisten gefällt. »Wir sind ein gutes Team«, sagt er so leise, dass es eher ein Flüstern ist. Fast ein Versprechen. »Du öffnest die Tür … und ich schließe sie.«

Die Worte hängen in der Luft wie ein Echo, das nicht verschwinden will. Ich kenne das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Und es ist nicht das erste Mal, dass ich in dieser Dunkelheit stehe und mich frage, ob ich jemals wieder hinausfinden werde.

Ein Blitz zuckt über den Himmel und taucht die Gasse für einen Moment in grelles Licht. In der Pfütze vor mir sehe ich unsere Schatten – zwei Gestalten, nebeneinander, und doch getrennt durch etwas, das immer zwischen uns stehen wird.

Dann ist das Licht weg und die Dunkelheit verschlingt uns wieder vollständig.

Kapitel 1

Die kalte Nachtluft kriecht durch meine viel zu dünne Jacke, während ich vor dem Kinoeingang stehe. In meiner linken Hand halte ich ein großes Popcorn, in der rechten eine Cola – beides kommt mir plötzlich so lächerlich vor, dass ich es am liebsten einfach fallen lassen würde. Aber ich bleibe stehen. Wartend. Wie erstarrt, während die Minuten vergehen und meine Hoffnung mit jeder Sekunde schwindet.

Vielleicht haben sie sich nur verspätet. Vielleicht ist es ein Missverständnis, und gleich biegen sie um die Ecke, lachend und mit Entschuldigungen auf den Lippen. Doch tief in mir weiß ich es besser. Ich weiß, dass niemand kommen wird.

Mein Blick gleitet zum Handy, welches ich aus der Tasche ziehe. Keine Nachrichten. Keine Anrufe. Nichts. Stille. Die gleiche Stille, die mich schon seit Jahren umgibt – nur diesmal ist sie lauter, schmerzhafter. Ich hätte es ahnen müssen, hätte die Zeichen längst sehen sollen. Ich war nie wirklich ein Teil von ihnen gewesen. Nur das fünfte Rad am Wagen, der Lückenfüller, diejenige, die man ruft, wenn niemand sonst verfügbar ist.

Aber heute? Heute fühlt es sich an wie Verrat. Sie wissen, dass dieser Tag wichtig für mich ist, und trotzdem hat keiner den Anstand, abzusagen. Stattdessen haben sie mich einfach stehen lassen – allein, mit einem Kinoticket in der Tasche und einer mickrigen Hoffnung im Herzen. Um mich herum lachen die Menschen, Paare und Freunde schlendern Arm in Arm an mir vorbei. Und ich stehe da, erstarrt in meiner eigenen Bedeutungslosigkeit. Soll ich reingehen und den Film allein ansehen? Oder einfach nach Hause gehen und so tun, als hätte dieser Tag nie existiert?

Ich trete einen Schritt zurück. Plötzlich scheint die Welt um mich herum riesig, und ich selbst werde immer kleiner. Der Gedanke, mich allein in einen dunklen Kinosaal zu setzen, ist zu erdrückend. Sie haben gewonnen – die Welt hat gewonnen. Ich werde nach Hause gehen, mich in meinem Zimmer verkriechen und hoffen, dass der nächste Tag weniger wehtut. Doch bevor ich mich abwenden kann, höre ich eine Stimme neben mir.

»Hey…«

Langsam drehe ich mich zur Seite und sehe ihn. Einen Jungen, etwa in meinem Alter, mit Hornbrille und die Hände tief in seiner Jackentasche vergraben. Seine Augen wirken nervös, als würde er überlegen, ob es klug gewesen ist, mich überhaupt anzusprechen.

»Du siehst so traurig aus«, sagt er zögernd. »Ist alles in Ordnung?« Normalerweise hätte ich so eine Frage ignoriert. Was soll ich schon sagen? Aber an diesem Abend, an meinem beschissenen Geburtstag, bricht etwas in mir. Ich zucke die Schultern und zwinge mich zu einem Lächeln, das sich jedoch falsch anfühlt.

»Heute ist mein 18. Geburtstag. Eigentlich wollte ich mit meinen Freunden einen Film anschauen… aber sie sind nicht gekommen.«

Seine Augen leuchten für einen Moment auf – aus Mitgefühl oder vielleicht Verständnis, ich bin mir nicht sicher. Er wirkt nicht wie die anderen. Nicht cool, nicht laut, kein Mensch, der einen Raum mit seiner bloßen Anwesenheit füllen kann. Er ist… anders. Vielleicht sogar genauso anders wie ich.

»Das tut mir leid, mein Name ist Ayden… und ehm Happy Birthday, trotzdem«, sagt er leise. »Ich wollte mir auch einen Film anschauen. Vielleicht… vielleicht könnten wir zusammen einen Film ansehen?«

Ich zögere. Soll ich das wirklich tun? Mit einem Fremden ins Kino gehen, an meinem 18. Geburtstag? Aber was habe ich zu verlieren? Meine „Freunde“ haben mich längst im Stich gelassen. Und vielleicht, nur vielleicht, wird es mir besser gehen, wenn ich den Abend nicht allein verbringe.

»Dankeschön, ja… danke und hi, ich heiße Denise«, sage ich schließlich und folge ihm in Richtung Eingang. Ich weiß nicht, wer er ist oder warum er sich überhaupt für mich interessiert, aber in diesem Moment ist es mir egal. Alles, was zählt, ist, dass ich erstmal nicht allein bin. Doch während wir das Kino betreten und die Dunkelheit uns verschluckt, ahne ich nicht, dass diese Begegnung der Anfang von etwas ist, das ich niemals hätte kommen sehen können. Eine Geschichte, die mich an den Rand des Abgrunds treiben wird – und vielleicht darüber hinaus.

Denn manchmal ist das, was uns Trost bietet, auch das, was uns am tiefsten verletzt.

Der Film ist wirklich heftig. Blut, Schreie, dunkle Szenen – genau das, was ich mir an meinem beschissenen Geburtstag gewünscht habe, um den Kopf freizubekommen. Aber Ayden? Ayden scheint den falschen Film erwischt zu haben. Jedes Mal, wenn eine besonders brutale Szene kommt, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie er nervös auf seinem Sitz herumrutscht oder sich die Hände vors Gesicht hält. Fast schon amüsant, wie dieser Nerd mit seiner Hornbrille in einem Horrorfilm gelandet ist, während die meisten anderen Zuschauer den Nervenkitzel zu genießen scheinen.

Auf der Leinwand jagt eine Frau mit blutigen Füßen durch die Dunkelheit. In der Ferne ertönt ein Geräusch – metallisch, schleifend, wie eine rostige Klinge über Beton. Die Kamera zoomt auf ihr Gesicht, auf die pure Panik in ihren Augen. Ich merke, wie sich meine Finger fester um den leeren Popcorneimer schließen.

Dann der erste Jumpscare. Ein Schrei, eine groteske Fratze, die urplötzlich aus dem Nichts auftaucht. Ayden zuckt so heftig zusammen, dass er beinahe sein Getränk verschüttet. Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu grinsen. Irgendwie ist das… süß.

Die nächsten 90 Minuten sind ein Rausch aus Blut, Schatten und Dunkelheit. Türen schließen sich von selbst, Körper verschwinden, und immer wieder schleicht sich das dieses leise Kratzen unter meine Haut und beschert mir eine Gänsehaut, auch wenn es kaum zu hören ist, dass tief aus den Lautsprechern hallt, kaum hörbar, aber dennoch unüberhörbar. Der Film spielt mit uns, zieht uns immer tiefer in seinen Strudel aus Angst und Paranoia.

Als das Licht schließlich wieder angeht, brauche ich einen Moment, um mich zu fangen. Mein Herz pocht, meine Hände sind kalt. Neben mir sitzt Ayden, die Brille halb von der Nase gerutscht und die Schultern hochgezogen, als hätte er gerade einen Überlebenskampf hinter sich. Ich kann nicht anders – ich lache leise.

Er versucht immer noch tapfer zu wirken, aber ich bemerke es trotzdem: Er hatte den gesamten Film über Angst. Vielleicht ist er wirklich nur wegen mir hiergeblieben. Allein der Gedanke lässt mich kurz lächeln – ein ungewohntes, ehrliches Lächeln, das ich an diesem Abend nicht mehr erwartet habe. Auch wenn der Film vorüber ist, bleiben wir noch im Barbereich des Kinos sitzen, anstatt direkt nach Hause zu gehen. Und ich muss sagen, es ist sehr angenehm, noch etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Ich habe schon lange keine richtigen Gespräche mehr mit jemandem geführt, der echtes Interesse an mir zu haben scheint. Denn die meisten sind eher gezwungen, enthalten nur oberflächlichen Smalltalk und es werden die meiste Zeit nur sinnlose Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht.

»Ich bin vor drei Wochen hergezogen,« sagt Ayden, während er seine Cola umrührt. »Mein Dad hat einen neuen Job hier in South Hampton bekommen. Wir haben vorher in einem kleinen Kaff bei London gewohnt.« Seine Stimme klingt ruhig, aber ich spüre, dass der Umzug ihm nicht leichtgefallen ist.

»Und du bist mitgekommen?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Ich meine, du bist doch schon… wie alt bist du nochmal?«

»Siebzehn.« Er zuckt mit den Schultern. »Ja, ich hätte alleine bleiben können, aber… mein Dad und ich haben ein gutes Verhältnis. Er hat mich allein großgezogen. Ich dachte, warum nicht? Außerdem…« Er hält kurz inne, als würde er überlegen, ob er weitersprechen soll. »Außerdem wollte ich mal raus. Irgendwas Neues sehen.«

Ich nicke und überlege, was ich darauf sagen soll. Er ist definitiv nicht wie die Typen, die ich sonst kenne. Keine großen Sprüche, kein Machogehabe. Einfach… ein netter Junge.

»Ich wohne auch noch bei meinen Eltern,« sage ich schließlich. »Solange ich noch zur Schule gehe, bleibt das wohl auch so.« »Und danach?« Seine Augen mustern mich neugierig, als würde meine Antwort wirklich eine Rolle für ihn spielen. »Danach?« Ich grinse schief. »Danach will ich weg. Paris, Mailand… vielleicht sogar Australien.« »Australien? Ernsthaft?« Seine Augen weiten sich leicht. Zum ersten Mal wirkt er weniger nervös und mehr neugierig.

»Ja, aber…« Ich seufze und nehme einen letzten Schluck von meiner Cola. »Da gibt’s diese riesigen Spinnen. Die könnten das Ganze ruinieren.«

Ayden lacht leise, ein warmes, ehrliches Lachen. »Dann lass Australien vielleicht besser aus.«

Für einen Moment schweigen wir. Doch es ist kein unangenehmes Schweigen. Es fühlt sich fast… normal an. Allerdings kommen mir leichte Zweifel. Diese Ruhe, diese perfekte Zufälligkeit, sie ist zu glatt. Und ich bin nicht jemand, dem das Leben perfekte Abende schenkt.

Vielleicht ist es nur mein über Jahre aufgebauter Pessimismus. Vielleicht ist es meine Unsicherheit, die mir immer einflüstert, dass Menschen nie das sind, was sie vorgeben zu sein.

Aber an diesem Abend lasse ich es einfach so stehen. Kein Misstrauen, keine Fragen, keine Zweifel.

Es ist mein 18. Geburtstag, und zum ersten Mal fühle ich mich nicht wie das fünfte Rad am Wagen.

Kapitel 2

Die Nacht ist still, als ich mit Denise durch die leeren Straßen gehe. Die Lichter der Laternen werfen lange Schatten auf den Gehweg, und irgendwo in der Ferne hört man das leise Summen einer Straßenbahn, die vorbeirattert. Es ist spät, aber keiner von uns scheint es eilig zu haben. Unsere Schritte sind langsam, fast so, als würden wir den Moment hinauszögern.

Wir reden nicht viel, aber das ist okay. Die Stille zwischen uns ist nicht unangenehm – eher so eine Art von ruhiger Vertrautheit, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt haben. Ich kann immer noch die Geräusche des Films in meinen Ohren spüren, das verzerrte Kreischen, das dumpfe Knirschen von Knochen, das metallische Schleifen. Denise hingegen wirkt entspannt. Fast so, als hätte der Film ihr auf seltsame Weise gutgetan.

Als wir vor ihrem Haus ankommen, bleibt sie stehen und dreht sich zu mir um. Die Straßenlaterne über uns taucht ihr Gesicht in ein warmes, weiches Licht, und für einen Moment wirkt sie... anders. Nicht so distanziert wie am Anfang des Abends.

»Danke, dass du mit mir ins Kino gegangen bist«, sagt sie leise. Ihr Blick ist schwer, müde und ich frage mich, ob es der Film war oder einfach nur der ganze Tag. »Danke, dass du mich mitgenommen hast«, erwidere ich und schiebe die Hände in die Taschen meiner Jacke. »Sonst hätte ich mir den Film wahrscheinlich nie im Leben angeschaut.«

Sie lacht leise. Ein echtes, ehrliches Lachen. Ich ertappe mich dabei, wie ich es mir für eine Sekunde einprägen will. Dann wird es wieder still.

Ein Moment vergeht, vielleicht auch zwei.

»Gute Nacht, Ayden.«

»Gute Nacht, Denise.«

Sie zögert, dreht sich dann um und geht zur Haustür. Ich weiß, dass ich sie einfach gehen lassen sollte. Aber noch bevor sie das Türschloss aufdreht, höre ich mich selbst sagen:

»Hey, ähm… kann ich deine Nummer haben?«

Sie hält inne, dreht sich langsam zu mir um. Ihre Lippen verziehen sich zu einem leichten, fast spielerischen Lächeln. Dann holt sie ihr Handy aus der Tasche und hält es mir hin. Ich tippe schnell meine Nummer ein, rufe mich selbst an, damit sie auch meine hat. »Jetzt hast du sie«, sagt sie knapp, steckt das Handy zurück und verschwindet ins Haus.

Ich bleibe noch eine Sekunde draußen stehen. Spüre die kühle Nachtluft auf meiner Haut, das leichte Kribbeln in meinen Fingern. Dann atme ich tief durch, drehe mich um und mache mich auf den Heimweg.

Als ich nach Hause komme, ist es still. Viel zu still. Ich schließe die Tür hinter mir und lehne mich für einen Moment dagegen. Diese Stille ist anders als die eben, nicht ruhig, nicht angenehm – sondern eigenartig, sodass man es nicht erklären kann.

Langsam trete ich in den Flur, streife meine Jacke ab und lasse mich auf das Sofa fallen. Mein Kopf fühlt sich seltsam an. Nicht müde, nicht schwer – einfach… durcheinander. Der Abend war ganz anders als erwartet. Ich streiche mir mit einer Hand durch die Haare, versuche, die Gedanken zu ordnen und atme tief durch. Die letzten Stunden hatte ich mir ganz anders vorgestellt, viel ruhiger, viel einfacher. Doch dann ist er erschienen – wie immer, als wäre er einfach aus dem Nichts da. Dean. Er taucht auf, als wäre er ein Schatten, der nie wirklich verschwunden ist. »Hallo Ayden, na, wie war dein Abend?« fragt er, und ich merke, wie seine Stimme mit einem leichten Spott durchdrungen ist. »Ich dachte, du wolltest nur eben zum Kiosk und mit Kippen zurückkommen. Hast du die unterwegs schon selbst geraucht, oder was hast du eigentlich gemacht?« Er hebt eine Augenbraue und schaut mich an, als ob er schon weiß, dass irgendetwas nicht stimmt. »Und vor allem, warum grinst du so dämlich?« Klar, Dean. Er hat immer diesen Blick drauf, als würde er meine Gedanken durchschauen. Ich kann ihm auf keinen Fall von Denise erzählen. Nicht jetzt. Niemals. Er wird sie genauso behandeln wie alle anderen Mädchen, die ich irgendwann mal gekannt habe – er wird sie kaputt machen. Wie immer. Kein Mädchen ist sicher vor ihm, vor diesem Blick, der alles entwertet, was gut und rein ist. Ich beiße die Zähne zusammen, versuche, mein Gesicht in den Griff zu bekommen, damit er nichts merkt. »Ach, ähm«, beginne ich, und meine Stimme klingt irgendwie schwach. »Ich habe auf einer Parkbank gesessen. Hab plötzlich richtig Kopfschmerzen bekommen. Und, äh, sorry, ich habe die Zigaretten vergessen. Eigentlich war ich gar nicht beim Kiosk. Es tut mir wirklich leid. Ich hole dir morgen früh welche, versprochen.« Ich versuche mich irgendwie aus der Situation zu winden. Es ist nicht einfach, Dean zu entkommen. Er hat die Kontrolle über mich, als ob er mir immer über die Schulter schaut. Ich kann ihm nicht einfach von Denise erzählen. Nicht wenn es dann wieder so endet wie immer – mit ihm, der alles in den Dreck zieht, bis nichts mehr übrig bleibt. Aber wie mache ich das? Wie verhindere ich, dass er weiter in diese Ecke meiner Welt eindringt und alles ruiniert, was ich mir gerade aufbaue? Dean merkt natürlich, dass irgendwas nicht stimmt. Er hat diese Gabe, alles zu spüren, was ich versuche zu verbergen. Doch ich schaff’s irgendwie, ihn abzuwimmeln, ohne dass er zu viele Fragen stellt. Aber ich weiß, dass er sie stellen wird – früher oder später wird er wieder für all meine Qualen Verantwortlich sein.

Kapitel 3

Am nächsten Morgen

Ich hätte es besser wissen müssen. Wirklich. Ich hätte wissen müssen, dass sie sich nicht ändern. Dass ich für sie nie mehr sein werde, als eine Randfigur in ihrer Welt. Ein Name auf einer Liste, den man vergisst, wenn er gerade nicht ins eigene Leben passt.

Und doch – ein Teil von mir hatte gehofft, dass eben genau das nicht passiert. Hoffnung ist so eine verdammt heimtückische Sache. Sie lässt dich glauben, dass es dieses eine Mal anders sein könnte. Dass du dieses eine Mal nicht die Person bist, die am Rand steht und darauf wartet, dass jemand sie wahrnimmt. Ich stehe auf dem Flur der Schule, mein Handy in der Hand. Mein Blick bleibt an der letzten Nachricht auf dem Bildschirm hängen.

»Guten Morgen :)«

Nur zwei Worte, eine einfache Geste – aber es fühlt sich anders an. Echtes Interesse. Keine Pflicht, kein beiläufiges „Ach ja, sie existiert ja auch noch.“

Ich wünschte, ich könnte dasselbe über meine Freunde sagen. Oder besser gesagt – über die Menschen, von denen ich geglaubt hatte, dass sie es sind. Gestern war mein Geburtstag. Und sie haben es vergessen. Oder schlimmer: Sie haben so getan, als hätten sie es vergessen. Ich spüre, wie sich meine Finger um mein Handy verkrampfen. Ich sollte es einfach ignorieren. Einfach so tun, als würde es mir nichts ausmachen. So, wie ich es immer tue. Aber diesmal… diesmal kann ich nicht. Mein Blick gleitet über den Flur. Und da sind sie. Rico, Vic, Ally und Daryl. Sie stehen wie immer zusammen, bilden ihre kleine, exklusive Welt. Lachen, tauschen Blicke, als wäre der Rest der Welt nur die Kulisse für ihren Film.

Und ich? Ich bin nur eine Statistin. Nicht mehr. Nicht weniger. Ich spüre, wie mir die Wut in den Magen schießt. Es ist nicht einmal das Vergessen, das mich so sehr trifft. Es ist die Gleichgültigkeit. Das Wissen, dass ich in ihrer Welt so wenig zähle, dass sie sich nicht einmal die Mühe machen, eine Lüge zu erfinden, die sich halbwegs echt anfühlt.

Ich atme tief durch und gehe auf sie zu.

»Hey, habt ihr gestern nicht etwas vergessen.« Meine Stimme ist fester als erwartet. Vier Köpfe drehen sich zu mir. Erst Verwirrung. Dann ein kurzes Zögern. Und schließlich dieses gespielt erschrockene Lächeln.

»Oh, fuck, das war gestern?« Vic legt eine Hand auf die Brust, als hätte sie gerade realisiert, dass sie ihren Haustürschlüssel vergessen hat.

»Ehrlich jetzt?« Ich verschränke die Arme vor der Brust. Mein Herz hämmert, aber ich zwinge mich, den Blick zu halten. »Gestern. Mein Geburtstag. Der Tag, über den ich die letzten zwei Wochen geredet habe. Und nicht einer von euch hat es für nötig gehalten, sich zu melden?« »Oh man, Denise...«, beginnt Rico und lehnt sich lässig gegen die Wand. Er zieht eine entschuldigende Grimasse, aber sie erreicht nicht einmal ansatzweise seine Augen. »Ich dachte, das wäre nächste Woche.« Ich lache. Ein kurzes, bitteres Lachen.

»Klar«, sage ich trocken. »Nächste Woche.«

»Komm schon, Denise, mach jetzt kein Drama draus«, mischt sich Daryl ein.

»Ach nein?« Ich spüre, wie sich etwas in mir zusammenzieht. »Und was ist dann die Ausrede für den Gruppenchat? Ally hat gestern Abend Bilder von euch gepostet – bei Vic zu Hause. Ihr hattet also Zeit, was zusammen zu machen, aber niemand hat auch nur daran gedacht, mich zu fragen?«

Einen Moment lang ist es still. Und dann? Dann lachen sie. Tatsächlich. Sie lachen. Nicht lauthals, nicht spöttisch, sondern dieses halb belustigte, halb genervte Lachen, das man jemandem schenkt, der sich gerade einbildet, dass er wichtiger ist, als er wirklich ist. Und in diesem Moment trifft es mich. Es ist nicht einmal Böswilligkeit. Es ist Gleichgültigkeit.

Und das ist so viel schlimmer.

Ich hätte heulen können. Vor Wut. Vor Enttäuschung. Aber es passiert nicht. Denn gestern...

Gestern hatte ich jemanden, der mir zugehört hat.

Jemanden, der mir das Gefühl gegeben hat, dass ich nicht unsichtbar bin.

Und plötzlich fühlt sich ihre Gleichgültigkeit nicht mehr so allmächtig an. »Denise, jetzt übertreib nicht«, sagt Rico schließlich, als würde er mir einen Gefallen tun, indem er sich überhaupt noch mit mir unterhält.

Ich atme tief ein. Und dann tue ich etwas, das ich schon viel früher hätte tun sollen. Ich trete einen Schritt zurück. »Ihr habt recht«, sage ich leise. Sie blicken mich verwirrt an. »Wie bitte?« fragt Ally.

Ich zwinge mich zu einem Lächeln.

»Ich spiele wirklich in einer anderen Liga als ihr.«

Vic schnaubt. »Jetzt komm schon, Denise, sei nicht kindisch.« Aber ich bin nicht kindisch. Ich bin es einfach nur leid. »Schon gut«, sage ich ruhig. »Ihr müsst euch gar nicht mehr entschuldigen. Ich hab’s verstanden. Ihr werdet euch nie ändern. Und wisst ihr was? Ich bin es leid, darauf zu warten.«

Ich drehe mich um und gehe los, ohne mich noch einmal nach ihnen umzusehen.

Und diesmal fühlt es sich nicht an, als würde ich etwas verlieren.

Sondern als hätte ich endlich etwas gewonnen.

Kapitel 4

Ich sitze auf der Kante des Bettes, der Raum ist still, und nur das schwache Licht von draußen schleicht sich durch die Ritzen der Rollos. Es ist ruhig, aber ich kann ihn spüren. Dean. Ich schließe die Augen, versuche ruhig zu bleiben, aber die Gedanken um Denise lassen mich nicht los. Es war nicht geplant, mit ihm darüber zu reden. Eigentlich wollte ich nichts sagen. Aber irgendwie… irgendwie habe ich mich verplappert. Ich schnaube leise, als ich an das Kino denke. Mist. »Ach man, du hättest sehen sollen, wie einsam und verloren sie dort stand, Dean«, sage ich schließlich, die Worte kommen fast wie von selbst. Ich kann es nicht mehr zurücknehmen. »Sie ist anders. Wirklich anders.«

Dean ist sofort da, seine Stimme klingt von der Tür her, als hätte er nur gewartet, dass ich einen Fehler mache. »Oh? Was meinst du, Ayden? Klingt fast so, als würdest du schwärmen.« Ich ignoriere seinen Spott und drücke die Lippen zusammen. »Nicht so wie die anderen, okay? Sie ist nicht so oberflächlich. Nicht so banal.« Dean lacht leise. Ich höre, wie er sich bewegt, die Geräusche seiner Schritte kommen näher. »Du klingst ja fast, als wärst du verliebt, Alter.«

»Lass gut sein, Dean«, sage ich schnell. Meine Stimme klingt schärfer, als ich es wollte. »Ich meine es ernst. Sie war gestern vor dem Kino. Allein. Ihre „Freunde“ haben sie einfach sitzen lassen, und das an ihrem Geburtstag.« Ich spüre, wie die Wut in mir hochkommt. »Stell dir das vor, Dean. Sie steht einfach da, in der Dunkelheit, mit diesem Blick in den Augen. Keine Wut. Keine Tränen. Nichts. Nur… Enttäuschung. Und das krasseste ist, sie sagt nichts. Nichts.« Ich schlucke. »Als wäre sie das gewohnt.«

Dean lacht wieder, diesmal tiefer, fast wie ein Grunzen. »Klingt nach einem Drama, das du dir selbst eingebrockt hast, Ayden.«

Ich spüre, wie meine Hände zu Fäusten werden. »Nein, Dean. Du verstehst nicht. Sie ist nicht wie die anderen. Sie ist… nicht so wie diese ganzen Mädchen, die du immer kaputtmachst. Und du wirst es mir diesmal nicht versauen.«

»Ohhh«, hört sich seine Stimme plötzlich an, als wäre er ein Kind, das gerade ein interessantes Spielzeug gefunden hat. »Genau das macht sie doch erst richtig interessant. Du klingst ja richtig besessen.« Dean schnaubt. »Zerbrechlich, oder? So eine kleine, verlorene Prinzessin, die auf ihren Ritter wartet, der sie rettet… oder sie komplett bricht.«

Mein Magen zieht sich zusammen, als er diese Worte sagt. »Hör auf, Dean«, zische ich und springe auf, so schnell, dass der Stuhl neben meinem Bett umfällt. »Hör auf über sie zu reden. Sie gehört nicht in dein Spiel, nicht zu dir. Du wirst sie nicht so behandeln wie die anderen. Ich warne dich, verdammt nochmal.«

Ich stehe da, balle die Fäuste. Mein Atem geht schnell, und ich merke, dass ich eigentlich gar nicht mehr weiß, was ich tun soll, um ihn davon abzuhalten. Aber ich will es nicht zulassen. Nicht diesmal.

Dean tritt einen Schritt näher. »Ach, komm schon, Ayden. Hast du schon Besitzansprüche entwickelt, oder was? Das ist neu und genau deshalb macht es das nun auch so interessant..« Seine Stimme wird leiser, fast zu einem Flüstern. »Und weißt du was? Jetzt will ich sie erst recht kennenlernen. Du hast sie mir quasi auf dem Silbertablett serviert.«

»Das ist kein Spiel, Dean«, sage ich und versuche, mich zu beruhigen, doch in mir brodelt etwas, das ich nicht mehr kontrollieren kann.

»Alles ist ein Spiel«, erwidert er, diesmal mit einem leichten Lächeln, das ich nicht sehen kann, aber ich spüre es in seiner Stimme. »Und du bist gerade der, der die Regeln ändern will. Aber weißt du, was das Problem ist, Ayden? Die Frage ist nicht, wer die Regeln setzt. Die Frage ist, wer das Spiel am Ende gewinnt.«

Meine Wut steigt, doch ich drehe mich einfach um, ohne noch ein Wort zu verlieren. Mein Herz schlägt laut in meiner Brust, während ich in den Flur gehe, und die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse.

Doch Dean ist immer da, ist selbst in meinen Gedanken ein fester Bestandteil. Und ich weiß, dass er nicht aufhören wird, bis er bekommt, was er will. Aber diesmal wird es nicht so einfach sein. Diesmal werde ich nicht zulassen, dass er Denise in die Finger bekommt.

Ich lasse die Stille in meinem Kopf zu einem dröhnenden Geräusch werden und versuche, den Zorn zu unterdrücken, der sich in mir festkrallt. Aber ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, indem ich mich überhaupt in diese Lage gebracht habe. Dean wird niemals ruhen, bis er sein nächstes „Opfer“ in die Finger bekommt. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er nie locker lässt, wenn er erst mal Blut geleckt hat. Und ich, ich verdammter Trottel habe ihm Denise auf dem Silbertablett serviert. Habe mich wieder von ihm manipulieren lassen, wieder genau das getan, was er wollte.

Ich verfluche mich innerlich. Mein Magen zieht sich zusammen, meine Finger krallen sich in meine Jeans, während ich im Flur auf und ab laufe. Kein Wort sollte meine Lippen verlassen. Ich hatte mir geschworen, dass ich ihn von Denise fernhalte. Aber dann? Dann ist es einfach rausgerutscht. Habe ihn auf sie aufmerksam gemacht, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.

Ich presse die Zähne zusammen, ein bitteres Gefühl breitet sich in meiner Brust aus. Ich weiß genau, was jetzt passiert. Es ist immer das gleiche Spiel mit Dean. Sobald er merkt, dass mir jemand wichtig ist, dass da irgendjemand ist, den ich beschützen will –wird diese Person zu seiner neuen Zielscheibe. Er genießt es, Dinge zu zerstören. Genießt es mir zuzusehen, wie ich nur hilflos daneben stehen kann, während er alles in den Abgrund reißt.

Und Denise? Sie hat keine Ahnung, was auf sie zukommt. Sie kennt Dean nicht. Sie weiß nicht, wozu er fähig ist. Ich muss einen Weg finden, sie aus der Sache rauszuhalten, aber verdammt noch mal, wie? Wie soll ich etwas aufhalten, das sich längst in Bewegung gesetzt hat?

Mein Kopf hämmert. Ich fahre mir durch die Haare, versuche, irgendwie einen Plan zu schmieden, aber es fühlt sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen wegrutschen. Ich bin in die Falle getappt – wieder einmal. Und jetzt muss ich irgendwie dafür sorgen, dass Denise nicht diejenige ist, die am Ende darunter leidet, nur, weil ich so dumm war sie anzusprechen. Ich hätte an ihr vorbei gehen sollen, dann wäre alles so viel einfacher. Aber nein, ich kann an ihrer wunderschönen Erscheinung nicht vorbei gehen. Ach man, ich bin so ein Idiot. Wird sich das jemals ändern? Werde ich jemals ein Mädchen kennenlernen können, ohne Angst und Bedenken haben zu müssen, dass Dean sie zerstören wird?

Kapitel 5

Tja, der kleine Ayden ist ja so ein richtiger Musterbub. Ein lieber, netter Junge mit seinen ach so ehrlichen Absichten. Aber ich? Ich bin das komplette Gegenteil. Rosen, Kerzen, dieser ganze Romantik Scheiß ist doch der größte Witz, den es gibt. Frauen wollen keinen lieben Prinzen, der auf einem scheiß Gaul angeritten kommt, der ihnen dann auch noch Honig ums Maul schmiert. Sie wollen einen, der weiß, was er tut. Der ihnen zeigt, wo’s langgeht und in der richtigen Situation auch mal ordentlich an die Wand drückt.

Als Ayden sich versprochen hat und mir von diesem schüchternen Ding erzählt hat – Denise oder wie auch immer sie heißt – war mir sofort klar: Die will ich. Nicht, weil sie mich interessiert. Nein… Ich will sie, weil er sie will. Und Ayden soll lernen, dass er nicht immer bekommt, was er will. Eigentlich bekommt er das so oder so nie. Wir sind das perfekte Team, ohne, dass er überhaupt einen Plan hat.

Während er tiefgründige Gespräche führt, sich in ihren Blicken verliert und auf irgendeine unschuldige Lovestory hofft, lehne ich mich zurück und warte. Ich beobachte. Die Weiber zu studieren ist eine meiner größten Stärken – und auch Denise wird ein offenes Buch für mich sein. Sie weiß es vielleicht selbst noch nicht, aber ein Typ wie ich ist genau das, was ihr fehlt. Ruhige, unscheinbare Mädchen brauchen jemanden, der sie aus ihrer heilen Welt reißt. Der ihnen zeigt, was wahres Verlangen bedeutet.

Ich kenne sie alle, denn sie sind ja alle gleich. Haben den selben unsicheren und schüchternen Blick. Dieses Zögern zwischen Angst und Neugier. Das Flackern, wenn sie nicht wissen, ob sie fliehen oder bleiben sollen. Ich kann es riechen, wenn jemand noch nie die Kontrolle abgegeben hat. Und genau das reizt mich. Ayden wird es mit seinem netten Getue versuchen. Wird ihr den Hof machen, ihr Komplimente machen, ihr das Gefühl geben, dass sie besonders ist.

Und während er sich abmüht, werde ich mich im Schatten bewegen und sie studieren.

Ihre Bewegungen, ihre Art zu sprechen, ihre Unsicherheiten. Ich werde sie am Ende besser kennen als sie sich selbst. Und wenn der richtige Moment kommt – wenn sie glaubt, dass sie noch die Wahl hat – dann werde ich zuschlagen. Dann gehört sie mir, nur mir. Scheiß auf Ayden…

Kapitel 6

Ein paar Tage später

Die Tage ziehen sich wie ein alter Kaugummi. Ayden schreibt mir jeden Tag, er ist nicht aufdringlich, aber immer drauf bedacht höflich und freundlich in seiner Wortwahl zu sein. Die Anderen in der Schule ignorieren mich, aber das ist auch ok. Ich möchte mich nicht mehr ausnutzen lassen, ich möchte nicht mehr das fünfte Rad am Wagen sein. In den letzten Tagen ist mir all das mir immer und immer wieder durch den Kopf gegangen: „Denise kannst du auf meine Katze aufpassen“, „ich bin krank, du bringst mir doch sicher die Hausaufgaben vorbei und hilfst mir schnell, sie zu erledigen“, „Denise leihst du mir Geld fürs Mittagessen“… und so könnte es weiter stundenlang durch meinen Kopf rattern. Es ging ihnen nie um mich als Person, nie um meine Gefühle oder Bedürfnisse, es ging ihnen ausschließlich darum, jemanden zu haben, der immer ja und amen sagt. Jemanden zu haben, der immer tut und macht, was die anderen erwarten oder wünschen. Verdammt, ich bin 18 Jahre alt, und so viele Jahre, so verdammt viele Jahre, habe ich mich nie als die Person sehen können, die ich vielleicht wirklich bin. Ayden gibt mir das Gefühl, wichtig zu sein. Er hört mir zu und vor allem, er interessiert sich für mich und meine Bedürfnisse. Bei ihm habe ich das Gefühl nicht nur die zweite, dritte oder gar vierte Wahl zu sein. Dennoch bleibt die Angst, dass es am Ende auch wieder darauf hinaus läuft. Oder werde ich immer damit leben müssen, die zweite Wahl zu sein? Werde ich immer damit leben müssen, irgendwelche Erledigungen machen zu müssen, um akzeptiert zu werden? Bin ich nur die zweite Wahl, weil ich ein paar Kilo mehr auf den Rippen habe? Von Geburt an, muss ich irgendwas erfüllen, um angenommen zu werden. Mein eigener Vater sagte schon vor meiner Geburt zu meiner Mutter, „Ist dieses Kind kein Mädchen, mit grünen Augen und braunen Haaren, dann ist das nicht mein Kind“.

Er wollte nur einen Ersatz für seine erste Tochter. Die Frau verließ ihn und hat die Kleine mitgenommen, weswegen ich sie in seinen Augen ersetzen sollte. Und dann, keine zwei Jahre später hat er uns verlassen, weil er keine Lust auf die Vaterrolle hatte, lieber jüngere Frauen getroffen und sich nicht mehr für mich interessiert hat. Vermutlich ist das auch der Grund, warum meine Mom mich nicht ausstehen kann. Denn hätte sie mich nie bekommen, wäre ihre große Liebe vermutlich noch bei ihr. Als ich ungefähr 4 Jahre alt war, lernte meine Mutter ihren jetzigen Mann kennen, als sie auf einem Tanzabend war.

Er ist zwar nicht mein richtiger Dad, aber mehr Dad, als der andere es je sein könnte. Aber wie soll ich lernen etwas wert zu sein, wenn alle Menschen, außer ein einziger, so zu mir sind? Ich kann nicht aufhören an all die Situationen zu denken, in denen ich mich fühlte, als wäre ich nichts wert, als bräuchte mich eh keiner. Warum verdammt nochmal tut es so weh, warum kann ich nicht lernen, dass mir alles scheißegal wird? Ich möchte doch nur einmal für jemanden die erste Wahl sein. Die Person, die man zuerst anruft, wenn es wichtige Neuigkeiten gibt, oder andere banale Sachen. Ich möchte nach der Schule nach Hause kommen und von meiner Mutter hören, „Hey mein Schatz, wie war dein Tag?“, denn nicht mal meine eigene Mutter interessiert sich für mich, und mein Dad, ja eigentlich ist er ein echt lieber und guter Mann, aber leider ist er wegen der Arbeit nicht so oft zu Hause. Also, was bleibt mir dann noch? Nichts, und wieder einmal bin ich allein mit all den Gedanken, die ich nicht abschütteln oder verdrängen kann.

Kapitel 7

Manchmal frage ich mich, warum sie überhaupt mit mir schreibt. Ich bin nicht cool, nicht besonders charismatisch, nicht der Typ, auf den Mädchen normalerweise stehen. Und doch reden wir jeden Tag. Ihr Name taucht ständig auf meinem Display auf, und jedes Mal, wenn ich eine neue Nachricht von ihr sehe, spüre ich dieses kleine Kribbeln im Bauch.